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Full text of "Zeitschrift für Anatomie und Entwickelungsgeschichte"

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Vibrary of the Museum 


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OF 


 COMPARATIVE ZOÖLOGY, 


AT HARVARD COLLEGE, CAMBRIDGE, MASS. 


Pounded by private subscription, In 1861. 


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Deposited by ALEX. AGASSIZ. 
No. 7389. dv - 


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Deren en benennen sen —me— 


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ZEITSCHRIFT 


FÜR 


ANATOMIE 


UND 


ENTWICKELUNGSGESCHICHTE. 


UNTER MITWIRKUNG VON 


Pror. CHR. AEBY m Bers, Pror. AL. ECKER ın FRrEigurg, Pror. JOS. GERLACH 
IN ERLANGEN, Pror. W. HENKE ın Tüsıngen, Pror. V. HENSEN ın Kıeı, Pror. 
€. LANGER m Wien, Pror. NATH. LIEBERKÜHN m Margurg, Pror. FR. MERKEL 
ın Rostock, Pror. HERM. MEYER ı Zürich, Dr. G. RETZIUS ın STOockHoLM, 
Pror. NICOLAS RÜDINGER ıy München, Pror. G. SCHWALBE ıv Jena, 
Pror. A. W. VOLKMANN mw Harıe, Pror. HERM. WELCKER mw HaııE 


HERAUSGEGEBEN 


VON 


Dr. WILH. HIS uno Dx. WILH. BRAUNE, 


PROFESSOREN DER ANATOMIE AN DER UNIVERSITÄT LEIPZIG. 


ERSTER BAND. 


MIT 58 HOLZSCHNITTEN UND 16 TAFELN. 


LEIPZIG, 
VERLAG VON F. C. W. VOGEL. 


1876. 


UON SOD.E UN 
EOCIREM AD 


Inhalt des ersten Bandes. 


Erstes und zweites Heft 
(ausgegeben am 1. Mai 1875). 


Untersuchungen über die Entwickelung von Knochenfischen, besonders 

über diejenige des Salmens. Von Wilhelm His (Tafel I. II) . 

Ueber das Hüftgelenk, nebst einigen Bemerkungen über Gelenke über- 

haupt, insbesondere über das Schultergelenk. Von Hermann 

Welcker in Halle AT Tee 

Ueber die Muskeln der Hönschlichen en Von Dr. Hesse, Assistent 
_ am anatomischen Institut in Leipzig (Tafel III. IV.) 

Die oberen und unteren Muskeln der Lippen. Von W. Henke, Pro- 
fessor in Prag (Tafel V.) 

Zur endgültigen Heilung der Brüche am obern Finde des Oberschenkel 
knochens. Von Dr. L. Rabe, Assistent der chirurgischen Kiinik 
in Halle (Tafel VL) . RR DE PR 

Ueber die Entdeckung des ee Von Wilhelm His 


Drittes und viertes Heft 


(ausgegeben am 26. November 1875). 


Zur Mechanik des Brustkastens.. Von A. W. Volkmann 

Beiträge zur Myologie (Conjugatio musculorum. — Ueber Mekelnane 
täten. — M. tibialis anticus, M. extensor carpi rad. longus, Mm. 
interossei manus et pedis. — Platysma myoides). Von Hermann 
Welcker in Halle : AN: 

Die Bursae phrenico - hepatica Snlärior und Boserier. Von Dr. A. 
v. Brunn, Prosector in Göttingen (Tafel VII.) 


Seite 


107 


121 
128 


205 


IV Inhalt des ersten Bandes. 


Beobachtungen über die Befruchtung und Entwicklung des Kaninchens 
und Meerschweinchens. Von Dr. V. Hensen in Kiel (Taf. VIII. IX.) 

Der Keimwall des Hühnereies und die Entstehung der parablastischen 
Zellen. Von Wilhelm His (Tafel XII). : 

Ein Beitrag zur Kenntniss der Structur der Sehnen. Von Dr. W. orzse 
(Tafel XIV.) 


Besprechungen. 


Die Entwickelungsgeschichte der Unke, als Grundlage einer ver- 
gleichenden Morphologie der Wirbelthiere. Von Dr. Alexander 
Goette. Mit Atlas. Leipzig, 1875. Voss. Referirt und besprochen 
von W. His 


Fünftes und sechstes Heft 
(ausgegeben am 10. März 1876): 


Ueber die Ernährungskanäle der Knochen und das Knochenwachsthum. 
Von Professor G. Schwalbe (Tafel XV. XVI.) i | 

Beobachtungen über die Befruchtung und Entwicklung des Kaniatihens 
und Meerschweinchens. Fortsetzung. Von Dr. V. Hensen in Kiel 
(Tafet X— XII.) U Re en uNd. 01100 

Der Musculus „sternalis“. Von Dr. Karl Bardeleben, Prosector und 
Privatdocent in Jena . AR RE A 2 

Fernerer Fall eines Musculus ers ton Dr. Fr. Hesse, Prosector 
in Leipzig 


Besprechungen. 


1. Topographisch-chirurgische Anatomie des Menschen. Von Dr. Rü- 
dinger. Stuttgart, 1874. 1875. Cotta. Besprochen von W. Braune 

2. Die Entwickelungsgeschichte der Unke, als Grundlage einer ver- 
gleichenden Morphologie der Wirbelthiere. Von Dr. Alexander 
Goette. Mit Atlas. Leipzig, 1875. Voss. Referirt und be- 
“sprochen von W. His. (Schluss) 


Seite 


213 


274 


290 


298 


308 


353 


424 


459 


465 


465 


Untersuchungen über die Entwickelung von Knochen- 
tischen besonders über diejenige des Salmens, 


Von 
Wilhelm His. 


In einer separat erschienenen Monographie (Untersuchungen über 
die Eientwickelung bei Knochenfischen. Leipzig F. ©. W. Vogel 1873.) 
habe ich vor 2 Jahren begonnen, meine Erfahrungen über Knochen- 
fischeier und deren Entwicklung mitzutheilen. Der vorliegende Auf- 
satz bildet eine Fortsetzung jener früheren Mittheilung. In ihm werde 
ich vorzugsweise die numerischen Verhältnisse der Furchung und des 
Wachsthums besprechen, sowie das erste Auftreten von Nebenkeimzellen. 
In späteren Aufsätzen gedenke ich eine Reihe weiterer Punkte zur 
Sprache zu bringen. 

Die Grundlage auch von dieser Publication bildet eine sehr grosse 
Zahl von Contourzeichnungen, die ich nach den Präparaten, je bei 
bestimmter (meistens bei 40facher) Vergrösserung mit dem Prisma 
aufgenommen habe. So wichtig die Schnittmethode an und für sich 
ist, so gewinnt sie in entwickelungsgeschichtlichen Fragen ihren vollen 
Werth doch erst durch die Herstellung grosser Reihen von Zeichnungen, 
die unter sich vergleichbar und dem Maasstabe zugänglich sind, und 
durch die auf solchen Zeichnungen basirenden plastischen Reprodue- 
tionen. Es ist für die Entwickelungsgeschichte nicht anders, als für 
andere nach Praecision strebende Naturwissenschaften. Wir alle, die 
wir die hohe Entwickelung der heutigen Physik und die relativ hohe 
der Chemie preisen, wissen, dass diese Wissenschaften ihr Aufblühen 
dem ausgiebigsten Gebrauche verdanken, den sie von Wägung und 
Messung gemacht haben, und dass sie auf einer dürftigen Stufe 
wären stehen geblieben, hätten sie sich auf blosse Beschreibungen 
qualitativer Versuche und Reactionen beschränkt. Wer ferner den 


Bewegungen der neueren Physiologie gefolet ist, der hat den Um- 
Zeitschrift f. Anatomie. Bd. I]. 1 


2 Hıs. Untersuchungen über die Entwickelung 


schwung kennen gelernt, den die Einführung messender Methoden 
auch hier zur Folge gehabt hat. Die Entwickelungsgeschichte, die 
ihrem ganzen Wesen nach eine physiologische Wissenschaft ist, darf 
ihrerseits die Wege nicht bei Seite lassen, welche sie in die Reihe 
der exacten zu stellen versprechen. Mögen auch diese Wege fast 
sämmtlich noch zu bahnen, und mögen die ersten auf ihnen erreich- 
baren Ergebnisse unvollkommen und bedeutender Verbesserung be- 
dürftig sein, so ist dies kein Grund, vor ihrer Begehung zurück zu 
schrecken, denn hier, wie bei allen derartigen Unternehmungen wer- 
den die Fragen erst unter der Arbeit selbst ihre scharfe Fassung, und 
die Methoden ihre feinere Ausbildung erreichen. 


Die Furchung des Keimes und die Bildung der 
Keimschichten. 


Die Periode von der Befruchtung des Eies ab bis zur Bildung 
eines geschichteten Keimes bildet einen natürlichen Entwickelungs- 
abschnitt. Eine zweite Periode beginnt mit dem Auftreten der ersten 
Formanlagen des Körpers, und endist mit der völligen Umwachsung 
des Dotters durch den Keim. Diese Periode kommt in ihrer Dauer 
der ersten gleich, oder ist etwas kürzer, als jene. In ihr vollenden 
sich die primitive Anlage und Gliederung des Körpers. 

Bei verschiedenen Fischspecies varlirt bekanntlich die absolute 
Entwickelungsdauer in ziemlich breiten Grenzen. Lachs und Forelle 
gehören zu den am langsamsten sich entwickelnden Knochenfischen. 
Man wird dies in Verbindung setzen mit der späten Laichperiode 
dieser Thiere und der voraussichtlich niedrigen Temperatur des Wassers 
in den Monaten November und Dezember. Die Temperatur hat in 
der That einen erheblichen Einfluss auf die Entwickelungsgeschwindig- 
keit der Fischeier. Immerhin genügt sie nicht zur Erklärung der vor- 
handenen Unterschiede; denn auch bei übereinstimmenden Temperatur- 
bedingungen erhalten sich bedeutende spezifische Differenzen der Ent- 
wicklungsgeschwindigkeit. Ich habe Lachseier im geheizten Zimmer bei 
einer Temperatur von 11—12°C. sich entwickeln lassen. Die Bildung 
einer flachen Scheibe erfolgte mit dem siebenten Tage, die ersten ge- 
formten Spuren des Embryo traten mit dem neunten Tage auf, die Eium- 
wachsung vollendete sich am achtzehnten bis neunzehnten. Bei Hecht- 
eiern, in Wasser derselben Temperatur gehalten, war die flache, geschichtete 
Keimscheibe mit 30 —36 Stunden gebildet. Die ersten Spuren des Em- 
bryo waren gegen Ende des zweiten Tages sichtbar, und die Umwachsung 
des Dotters vollendete sich mit dem Schlusse des dritten. Ebenso voll- 


von Knochenfischen bes. über diejenige des Salmens. 3 


zog sich bei Aescheneiern die- Dotterumwachsung mit dem Ende des 
dritten Tages. !) 

Der Keim zieht sich bald nach dem Eintritte des Eies in’s Wasser 
erheblich zusammen.?) Er ruht Anfangs, wie wir wissen, auf der 
Rindenschicht so auf, dass seine zugeschärften Ränder sich weit über 
sie ausbreiten und ohne scharfe Grenzen auf ihr sich verlieren. So- 
wohl in die Basis des Keimes als in seine Peripherie sind Rinden- 
bestandtheile, blasse Kugeln sowobl, als Kerne und Körner verschiedener 
Grösse vorgeschoben, Bestandtheile, die er sich als Nahrungsmaterial 
einverleibt hat. Durch Einziehung seiner flach ausgebreiteten Ränder 
und durch gleichzeitige Erhebung über das Niveau der Dotterkugel 
grenzt er sich scharf ab, und nunmehr zeigt sich an seiner freien 
Oberfläche eine zarte Verdichtungsschicht, welche an entwässerten 
Schnitten meist sich zu falten pflegt. Dieselbe Abgrenzung zeigen auch 
die aus der Furchung hervorgegangenen Segmente. Die Peripherie des 
Keimes wird im Uebrigen von einer hyalinen Substanz gebildet, die 
nach Innen mit dem körnigen, in hohem Grade undurchsichtigen Dotter 
verschmilzt. Von einem Keimbläschen ist keine Spur sichtbar. Nicht 
nur da, wo derKeim die Rinde berührt, sondern auch an seiner freien 
Oberfläche ist er mit groben Körnern besetzt, und während der ersten 
Furchungsstadien erscheinen solche constant in der Peripherie der 
Furchungssegmente, ein deutlicher Fingerzeig, dass man sich an der 
Peripherie des Keimes keine undurchgängige Membran gelagert den 
ken darf. 

Während die Contraction des Keimes ihren Höhepunkt erreicht, 
treten die ersten Furchen auf, von da ab ändert er aber bis zum 
völligen Ablauf der Furchung noch wiederholt seine Gestalt. Erst 
wird er wiederum etwas flach, dann zieht er sich neuerdings zusammen, 
endlich flacht er sich zum dritten Male ab, und während bald darauf 
die Embryonalanlage auftritt, nimmt er nun stetig an Ausdehnung 
zu, bis er das Ei vollständig umwachsen hat. 

Nach Messungen am lebenden Hechtei, beginnt die Zusammen- 
ziehung in der zweiten Stunde, sie erreicht ihr Maximum zu Ende der 
dritten (im Stadium der 4. bis 8. Theilung) dann folgt die Wieder- 


1) Beim Hering dauerte die Eiumwachsung nach den Angaben der Commission 
für wissenschaftl. Untersuchungen deutscher Meere sogar nur zwei Tage. (Cor- 
respondenzblatt des deutschen Fischereivereins 1874 pg. 267.) 

2) LEREBOULLET hat schon gezeigt, dass auch der Keim unbefruchteter Eier 
beim Eintritte in’s Wasser sich contrahirt (Recherches d’embryologie eomparee. 
Embryologie du Brochet etc. in den Mem. des Savants dtrangers XVII pg. 478). 
Ich kann die Wahrnehmung bestätigen. 


1 * 


4 Hıs. Untersuchungen über die Entwickelung 


ausdehnung bis zur 17. Stunde, von da ab die zweite kurz dauernde 
Zusammenziehung bis zur 24. und nun wird das Flächenwachsthum 
stetig bis zur Umhüllung der Dotterkugel am Schluss des 3. Tages. !) 

Am Lachsei erstreckt sich die erste Contractionsperiode über den 
ersten Tag, am 2. und 3. folgt Wiederausdehnung, am 4. neue Zusammen- 
ziehung und auf diese folgt das stetige Wachsthum nach der Fläche. 2) 


1) Obige Angaben sind einer Messungsreihe vom 15. April 1871 entnommen, 
welche im einzelnen folgendes ergab: 


unbefruchteter Keim 2.1mm 11 Stunden p.f. 1.7 mm 


1 Stunden p.f. 2.1 12305 # 1.08 
SER R 1.9 ee: 2 2.05 Hierbei 
BE 5 > 1.15 Don: = 2.05 ist immer 
BB AN 1.4 Da na 
51/g » » 1.4 25 DI) » 2.1 Bogens 
8 „ Ei 1.5 27 > es 2.15 gemessen. 
I x 1.55 SODHEN 5 2.15 
er SAuRE u 2.45 


Eine zweite etwas unvollständigere Reihe habe ich aus einigen älteren nach 
den lebenden Eiern aufgenommenen Prismazeichnungen bestimmt. In Betreff 
der beigefügten Diekenwerthe muss ich bemerken, dass diese ohne Benutzung 
von Schnitten nur unsicher feststellbar sind. 

Kurz nach der Befruchtung. Dm. des Keimes. Annähernde Dicke derselben. 


1.75 0,5 

Stadium der 2 Theilung 1.55 0.6 
— 4 — 183 0.65 

nach 4 Stunden 1.5 0.7 

Be une, 1.55 er 

»» 28.0, 1.35 = 
Rare 1.85 — 


1) Meine auf den Lachskeim bezüglichen Messungen sind an Eiern gewonnen, 
die in 30/0 Chroms. erhärtet und dann in verdünntem Alkohol aufbewahrt waren. 
Die nachfolgende kleine Tabelle enthält die Mittelwerthe aus je mehreren Messungen. 
Bei den Colonnen & 1 und I sind die Werthe an feuchten, in Chroms. gehärteten, 
in Alkohol aufbewahrten, bei der Colonne G 2 an entwässerten Präparaten be- 
stimmt. Hervorzuheben ist der Umstand, dass Lachs- und Hechtkeime trotz der 
ungleichen Eigrösse in denselben Dimensionsgrenzen sich bewegen. Sowohl bei 
der Reihe G als bei I erschienen die ersten Spuren des Embryo am 8. Tage, 


61 | | G.2 | IL, 
Durchmesser. | Durchmesser. Dicke. | Durchmesser. 

Kurz n. d. Befr. 1.65 91 0.15 e 
er 1 1.0 0.46 a 
RR 1:5 | DT 0.47 1.45 
Ar 1.42 1.40 0.5 351) 
De: 1.32 110 0.74 1.05 
(DE 1.32 1.48 0.45 119) 
Ts 22 “| 2.05 0.27 2.2 


von Knochenfischen bes. über diejenige des Salmens,. 5 


Das Volum der Keimscheibe nimmt bis zum Auftreten der Keim- 
schichten stetig zu. Um über das Volumswachsthum der Keimscheibe 
Anhaltspunkte zu gewinnen, habe ich für eine Anzahl von Präparaten 
Näherungswerthe bestimmt, indem ich der Contour eines Meridional- 
schnittes diejenige der von ihr am wenigsten abweichenden regelmäs- 
sigen Figur (Ellipse oder Rechteck mit angefügten Dreiecken) sub- 
stituirte, und den Inhalt des Körpers berechnete, welcher durch deren 
Umdrehung um die kurze Axe entsteht. 

Die nachfolgende Tabelle giebt die erhaltenen Werthe sowie die 
Flächeninhalte der Schnitte: 


: = 5 mn. R- = 3 
SS ZS3#E2 | S»eE 3% Sr 
dee =38n eäZ 2er hai 
GA TENo: 

Zhster Tas... 9% 3577 | 496 0.310 0.254 
3628 | 492 0.307 0.198 

Beginn des 2. Tages | 3582 552 0.345 0.309 0.252 
3623 544 0.340 0.242 
3580 668 ı 0.417 .| .0.327 
5621 440 | 0.275 0.183 

Beginn des 3. Tages 3587 776 0.485 0.398 
3588 736 0.460 0.377 0.382 
3532 704 0.440 0.371 

Beginn des 4. Tages | 3591 940 0.587 0.443 


3393 »- : 952 0.595 0.486 
Beginn des 5. Tages | 3600 1160 0.725 0.565 


Beginn des 6. Tages 3544 356 | 0.535 | 0.528 0.523 
3544 832 | 0520 | 0.475 
Beginn des 7. Tages | 3547 596 | 0.372 | 0507 


mn mn tt mn m nn 
oO 
HM 
[op) 
rg 


3643 504 0.315. | 0.597 


Es ist nicht wohl zulässig, mittelst derselben Methode weiter zu 
gehen, als bis zum Beginn der Wiederausdehnung der Keimscheibe; 
denn von der Zeit ab, wo der Durchmesser der letzteren 2 mm über- 
schreitet, darf sie nicht mehr als Rotationskörper angesehen werden. 
Als Vorbereitung zum Auftreten der Embryonalanlage zeigt sie nun 
eine bilaterale Gruppirung der Masse. 


6 Hıs,. Untersuchungen über die Entwickelung 


Ich besitze indess eine weitere Bestimmung die nach einer völlig 
verschiedenen, allerdings auch mit nicht zu unterschätzenden Fehler- 
quellen behafteten Methode gewonnen is. Von einer Keimscheibe, 
an welcher das Gehirn des Embryo als breite ofiene Rinne angelegt 
ist, und deren grösster Durchmesser 3,2"m beträgt, habe ich unter 
möglichst genauer Innehaltung sämmtlicher Maasse ein 40 mal ver- 
grössertes Wachsmodell gemacht. Dasselbe besitzt ein Volum von 
50 Cub.®, woraus sich das Volum der unvergrösserten Keimscheibe auf 
0,781 Cub.mm berechnet, eine Zahl, die wie man sieht den in der Ta- 
belle enthaltenen sich gut anschliesst. 

Die Volumsänderungen der Keimscheibe während der verschiedenen 
Phasen der Furchung dürfen nicht ohne Weiteres als Ausdruck der 
Massenänderung angesehen werden. Zwischen den Furchungssegmenten 
bilden sich nämlich Lücken von wechselnder Ausdehnung, durch welche 
der Keim ein schwammiges Gefüge erhält. Bei der Schlussabplattung 
werden diese Lücken theilweise verschlossen, theils verschmelzen sie 
zu einem unter dem Keim befindlichen zusammenhängenden Raum, 
der sog. Keimhöhle. Fasst man die Anfangs- und die Endwerthe 
obiger Tabelle ins Auge, so ergiebt sich daraus für die Furchungs- 
periode ein Zunehmen .der getrennten Keimmasse auf annähernd das 
Doppelte. 

Ueber die Reihenfolge der Furchenbildung habe ich nur Be- 
kanntes zu wiederholen, auf die erste Furche folgt die sie rechtwinkelig 
schneidende zweite, dann eine, mit dieser parallele, dritte und 
vierte. Es ist im Stadium der 8. Theilung die Scheidung noch eine 
entschieden bilaterale, wie denn auch der Keim zu der Zeit nicht 
kreisrund, sondern in der Richtung der Hauptfurche verlängert ist.!) 
Indem die Furchung weiter schreitet, verliert sich die Spur bilateraler 
Scheidung, die Scheibe wird wieder kreisrund und die oberflächlich 
sichtbaren Furchungssegmente schieben sich mit gebrochenen Grenz- 
linien zwischen einander ein. 

Die zuerst auftretenden Furchen erstrecken sich als enge Spalten 
von der Oberfläche in das Innere, dann weiten sie sich, wie die Schnitte 
erhärteter Präparate zeigen, zu geräumigen Buchten aus. Durch das 
Zusammenfliessen mehrerer Buchten entsteht während des Stadiums der 
Achttheilung vorübergehend eine grössere, der Barr’schen Furchungs- 
höhle des Batrachiereies vergleichbare Höhlung. Allein auch diese 
erhält sich nicht als einfacher Raum, sondern nach Kurzem findet 


1) Sehr gut hat dies Stadium DareEste im Cosre’schen Atlas von Stichling 
gezeichnet. 


von Knochenfischen bes. über diejenige des Salmens, 7 


man den Keim durchzogen von einem Systeme zusammenhängender 
Lücken, das zwischen seinen Furchungssegmenten sich ausbreitet. 


In den oberflächlichen Furchen 
des Keimes findet man stets ein- 
zelne Rindenbestandtheile, Kerne, 
Körner und blasse Kugeln.!) Letztere 
sind vereinzelt auch in verschie- 
denen Tiefen des Keimes zu finden. 

Die Furchung nimmt in der 
obern Hälfte des Keimes ihren An- 
fang und während letztere bereits in 
8 bis 12 Segmente zerklüftet ist, 
ist die untere Hälfte noch unge- 
furcht. Auch dieser Gegensatz ver- 
wischt sich bald, und es lassen sich 
beim Lachs schon vom 3. Tage 
ab keine constanten Grössenunter- 
schiede zwischen den Zellen der Basis 
und denjenigen der Decke nachwei- 
sen. Von dieser Zeit ab ist es mög- 
lich mikrometrische Messungen zu 


> je 


£: Seas 


\ ) 
ae 


Fig. 1. Senkrechter Durchschnitt eines Lachs- 

keimes im Beginn der Furchung mit buchtiger 

Erweiterung der Spalten. 40mal vergrösserte 
Prismazeichnung. 


Fig. 2. _ Senkrechter Durchschnitt eines Lachs- 

keimes etwa vom Beginn des 2. Tages p.foec. 

Zwischen der obern segmentirten und der untern 

nicht segmentirten Hälfte ist die Andeutung einer 

Furchungshöhle (die Höhle ist im Holzschnitte 

übertrieben gross ausgefallen) 40 mal vergrös- 
serte Prismazeichnung. 


benutzen, um in die numerischen 


Verhältnisse der Furchung einige Einsicht zu gewinnen. 


Die Durchmesser der Furchungssegmente des Lachseies 
bestimmte ich an einer meiner Präparatenreihen (G) vom 3. bis zum 


6. Tage. Sie betrugen: 


im Beginn des 3. Tages 60—80 u. (Extrem. 55— 100) 


„ ” 


Wir setzen die resp. Mittel zu 


wozu die Beobachtung berechtigt, 


„40-50 
„30-36 
„2228 


70, 45, 33 und 25 und berechnen, 
die Elemente als Kugeln. Das 


Volum eines Elementes beträgt alsdann: 
im Beginn des 3. Tages 179592 Cub.u 


„4. 
d. 


„ ” 


„ ” „ 


” 7 


U 
BB, 
„ 83193 „ 


!) Was an den entwässerten Schnitten als blasse Kugel erscheint, gehört 
wohl durchweg in die Categorie der farbigen Tropfen des frischen Eies. 


8 Hıs. Untersuchungen über die Entwickelung 


Laut der oben mitgetheilten Bestimmung lässt sich beim Beginn 
der Entwickelung das Volum der Keimmasse rund zu 


0.25 Cub.m= oder zu 250 Mill. Cub.u. 


ansetzen. ‘° Unter der Voraussetzung, dass die Masse bis zum 6. Tage 
nicht zunimmt, berechnet sich die Zahl der Furchungselemente 


im Beginn des 3. Tages zu 1392 
5 e A ee 20282 
n e oe u...282068 
si a ».10. 805 


d.h. der absolute Zuwachs wächst von Tag zu Tag und er beträgt: 


vom 3. zum 4. Tag 3840 
ot. 8036 
ED OA 


Dagegen beträgt der Vermehrungscoefficient: 


vom 3. zum 4. Tag 3.75 
du ea, 02299 
ee) 


Noch grösser als zwischen dem 3. und 4. Tag muss der Coefficient 
sein zwischen dem 2. und dem 3. Wir finden im Beginn des 2. Tages 
noch Anfangsstufen der Furchung, die 6—8 Theilung. Legen wir die 
8 Theilung zu Grunde, so erhalten wir als Coeffieienten: 


vom 2. bis zum 3. Tag 178 
” 1. er) ” 2. „ 8 


Bei obiger Berechnung ist das Wachsthum des Keims vernach- 
lässigt; ich lasse eine Berechnung folgen, bei welcher angenommen 
ist, die Masse des Keimes habe vom 2. bis 6. Tage um 100°/, und 
zwar jeden Tag um 25°, zugenommen. Alsdann beträgt ihr 
Volum 

am Beginn des 3. Tages 312.5 Mill. Cub.yu 


„ ” ch} 4. ch} 315 „ „ 
Rh} „ &h} 5. „ 437.5 97 &R} 
eb) ” eh} 6. &R} 500 „ ”„ 


Die Zahl der Elemente: 


am Beginn des 3. Tages 1740 
5 „ ” ” 4. ” 1848 
De, 2520 
6.2 0.22, 6.1090 


von Knochenfischen bes. über diejenige des Salmens. 9 


der Zuwachs: 
vom 3. zum 4. Tag 6108 


Werden Du Sue. 16971 
RE OP a Snake, ar Le) ui! 


und die Vermehrungscoefficienten: 


vom 2. zum 3. Tag 217.5 
er BE Ar, 4.51 
a 2.95 
ee 2.63. 


Es geht daraus hervor, dass der Zerklüftungsprozess in seiner 
Intensität erst steigt, nach Kurzem sein Maximum erreicht, und dann 
rasch wieder abfällt. Allein die Zahlen zeigen ausserdem wie langsam 
überhaupt die Zellenspaltung vor sich geht. Vom 5. bis zum 6. Tage 
theilt sich eine Zelle in etwa 18 Stunden einmal, zwischen 4. und 5. 
Tage braucht sie dazu 16, zwischen 3. und 4. gegen 12 Stunden und 
selbst am 2. Tage, wo der Prozess am lebhaftesten vor sich geht, sind 
im Mittel noch etwa 3 Stunden nöthig zur Verdoppelung eines 
Furchungselementes. }) 

Für die Kerne der Furchungssegmente ergab die Messung der 
beiden Axen: 


1) Dies ergiebt sich aus folgender Betrachtung: sind zur Verdoppelung eines 
Elementes im Mittel 3 Stunden nöthig, so beträgt die Zahl der aus einem ent- 
standenen Elemente nach 


3 Stunden 2 
6 ns 4 
9 2 8 
12 = 16 
15 er 32 
18 55 64 
21 ” 128 
24 > 256 


Nach derselben Berechnungsweise ergiebt sich, dass auch bei Annahme eines 
viel grösseren Vermehrungscoeffieienten die zur Verdoppelung nöthige Zeit sich 
immer noch nach Stunden bemisst. Nehmen wir z. B. an, die Furchung habe 
beim Beginn des 2. Tages noch nicht begonnen, so wäre der Vermehrungs- 
coefieient = 1740 und die zur Verdoppelung eines Elementes nöthige Zeit be- 
trüge gegen 21/;s Stunde. Natürlicherweise bleibt sich der Coefficient, der vom 
zweiten Tag zum dritten so bedeutend seinen Werth ändert, auch im Verlauf 
des 2. Tages nicht durchweg constant. Nach alledem wird es verständlich, 
weshalb wir nur in den Anfängen der Furchung im Stande sind, den Theilungs- 
prozess direct zu beobachten, während dies später, trotz anscheinend günstiger 
Verhältnisse nicht gelingt. 


10 Hıs. Untersuchungen über die Entwickelung 


im Beginn des 3. Tages 24 auf 20 Cub. u 


”’ DR) ı 4. „ 22 ” 18 ” 
2. rk} „ D. „ 14 PR) 12 rR} 
ER] „ 2 6. „ 11 „ 10 DR 


berechnen wir die Kerne als Rotationsellipsoide so beträgt das Volumen 
je eines Kernes: 


im Beginn des 3. Tages 5032 Cub. u 
5 5 EEE 
» R 20: 00T, 

Br DO a 


In Volumprozenten des ganzen Furchungselementes ausgedrückt, er- 
giebt, dies 
im Beginn des 3. Tages 2.80 °/, 


ı er] 2 4. ri) 1.52 br} 
29 „ &b} 5. ” 5.62 er] 
br) ” ” 6. eh} 7.04 „ 


Eine starke Aenderung des Verhältnisses zwischen den Furchungs- 
elementen und ihren Kernen tritt somit vom 3. zum 4. Tage ein, von 
da ab aber bleibt sich das Verhältniss ziemlich constant bis zum 6. 
Tage. Die Unterschiede von 7.82, 5.62 und 7.04 sind der Art, dass 
auf sie kein Gewicht gelegt werden kann, denn sie fallen unzweifel- 
haft in den Bereich der Fehlergrenzen. Am erheblichsten ist die 
relative Zunahme der Kernmasse vom 2. zum 3. Tage. An einem 
Furchungssegment von 200 u Länge und 120 u Höhe finde ich z. B. 
einen Kern von nur 22 auf 20 u. Das Volum des letzteren beträgt 
also weniger als !/,, °/, vom Volum des Furchungssegmentes. 

Nehmen wir an, jedes Furchungssegment enthalte einen Kern, so 
bestimmt sich unter Benutzung der für den wachsenden Keim erhal- 
tenen Zahlen das Gesammtvolum aller Kerne des Keimes: 


im Beginn des 3. Tages 8.75 Mill. Cub.y 


2 ER ” 4. br] 29.3 DR) 
9 ” „ D. br) 24.5 ” 
„ ” „ 6. „ 39.2 e2) 


Letztere Tabelle ist mit Fehlern höherer Ordnung behaftet, als die 
bisher mitgetheilten, da sie aus Multiplication von je zwei be- 
rechneten Werthen hervorgegangen ist, überdies nimmt sie keine Rück- 
sicht auf das Vorkommen zweikerniger Furchungselemente. Immerhin 
darf man doch auch aus ihr als sicheres Ergebniss entnehmen, dass 
auf die bedeutende Vermehrung der Kernmasse zwischen dem 3. und 


von Knochenfischen bes. über diejenige des Salmens. »r 


4. Tage in den nächstfolgenden Zeiten eine Verzögerung in deren Zu- 
nahme eintritt. 

Anlässlich der raschen Zunahme der Kernsubstanz in den ersten 
3 Tagen erhebt sich chemischer Seits die Frage, woher das Material 
hierzu stammt. Nachdem durch die MiescHuer’schen Arbeiten der 
grosse Phosphorgehalt der Kerne festgestellt ist, handelt es sich darum 
bei einem stattfindenden Kernwachsthum die Quellen phosphorreicher 
Nahrung aufzudecken. Es liegt nahe, hierbei an die Dotterkörner zu 
denken, welche noch vor Beginn der Furchung, und während der ersten 
Stadien derselben in den Keim eintreten. Sollte ihnen wirklich die 
Bedeutung zukommen, spezielles Nahrungsmaterial für wachsende Kerne 
zu sein, so würde der in der Umgebung des Keimes so reichlich vor 
sich gehende Zerfall der Rindenkerne eine besondere Bedeutung be- 
sitzen, für die Möglichkeit der Zellenvermehrung im Keime selbst. 

Die ersten Furchungssegmente stimmen in ihren Eigenschaften 
mit dem ungetheilten Keim überein. Wie dieser bestehen sie der 
Hauptsache nach aus einer höchst undurchsichtigen von kleinen Kör- 
nern reichlich durchsetzten Masse. Dieselbe wird umgeben von einem 
ziemlich stark lichtbrechenden durchsichtigen Substanzhofe. Wird die 
Oberfläche verletzt, so breitet sich noch während der ersten 2 Tage 
nach der Befruchtung das Protoplasma in verzweigten Strömen aus, 
wie dies für den unbefruchteten Keim schon beschrieben worden ist. 
Vom 2. Tage ab wird es möglich, in den Segmenten bis zu }/, ”” 
Dm. hinauf einen Kern wahrzunehmen und nun erkennt man ihn ohne 
Schwierigkeiten durch alle ferneren Stadien hindurch. In den fol- 
genden Tagen stellen sich die Keimzellen als glänzender Körper dar, 
deren Peripherie hyalin ist, während die körnige Masse sich um den 
Kern herum lagert. 

In der Zeit vom 3. und 4. Tage besitzen die Keimzellen, wie 
dies neuerdings auch WEIL!) besprochen hat, ein ausgezeichnetes 
Bewegungsvermögen, und da sie ziemlich gross sind, und es zu ihrer 
Beobachtung keiner Heiz- oder sonstigen Vorrichtungen bedarf, so 
bilden sie eines der vorzüglichsten Objecte zum Studium von Zellen- 
bewegungen. Zeitweise ruht ein solcher Körper während einiger Zeit, 
dann treibt der hyaline Saum an einer oder mehreren Stellen buck- 
lige, stets. von gerundeten Contouren umgebene, Vorsprünge. Diese 
bleiben erst hyalin, dann strömen mit einem Ruck Körner in sie ein, 
die gesammte Körnermasse geräth in Bewegung, nun stellt sich wie- 
der Ruhe ein, und das Spiel beginnt nach einiger Zeit aufs neue. 


1) Weir, Sitzungsber. der k. Ak. zu Wien III. Abth. 1872 Aprilheft. 


>12 Hıs. Untersuchungen über die Entwickelung 


Wie schon oben erwähnt wurde, bilden die Keimzellen ein Ge- 
rüst mit zwischenliegenden Maschen, man findet sie an Präparaten, - 
die durch Anstechen des lebenden Eies erhalten sind, meist noch in 
Ketten beisammen liegen. Im allgemeinen ist das Gerinsel im un- 
teren Theile des Keimes lockerer als im oberen. An der freien Ober- 
fläche sind während des 3. Tages noch einzelne Lücken zwischen den 
Furchungselementen sichtbar, theils dreieckige, da wo 3 Zellen zu- 
sammenstossen, theils polygonale, da wo es deren mehrere sind). 
Bis zum 5. Tage sind die oberflächlichen Lücken ganz geschwunden 
oder auf schmale Spalten redueirt. Die Oberfläche ist ohne Unter- 
brechung bepflastert, und die ihr zugekehrten Zellen bilden eine im 
Vergleich zum übrigen Keime dichte Rinde, die sich mit ihrem Rande 
eine Strecke weit an die dem Dotter aufruhende Basilarlläche fort- 
setzt. Innerhalb dieses umgeschlagenen Randes nehmen vom 4. Tage 
ab die an der Basis des Keimes befindlichen Lücken an Ausdehnung 
zu. Durch ihre Verbindung entsteht ein grösserer spaltförmiger Raum, 
welcher von einzeln stehenden, wie Füsschen dem Keime unterge- 
schobenen Zellenhaufen durchsetzt wird. Von dem letzteren und von 
seinem ringförmigen Rande wird der Keim getragen, der unter ihm 
befindliche Raum ist die Keimhöhle der Autoren. Seine Anfänge 
erkennt man zu der Zeit, da der Keim seine zweite Contractionsphase 
durchmacht, d. h. noch ehe eine Scheidung von Schichten in letzterem 
erkennbar ist. 


In den nun folgenden Perioden der Wiederausdehnung ändert 
sich das Bild und es treten Jie Vorgänge ein, die schliesslich zur 
Bildung getrennter Keimschichten führen. 


Wie die früher mitgetheilten Daten zeigen, erfolgt die Ausdeh- 
nung der Keimscheibe sehr rasch. Beim Hecht wächst deren Durch- 
messer im Laufe einiger Stunden, beim Lachs im Laufe eines Tages 
auf das anderthalbfache und darüber; da überdies die Keimscheibe, 
während sie sich ausdehnt, dünner wird, so kann die Ausdehnung 
nicht als Folge einfachen Appositionswachsthums verstanden werden. 
Eher kann man annehmen, dass die Ausdehnung und gleichzeitige 
centrale Verdünnung der Scheibe in: Folge rasch eingetretener Zellen- 
wanderungen entstanden sei. Es ist dies ein Gedanke, den schon 
C. Vogt als naheliegend andeutet?), wogegen neuerdings GOETTE 


l) Am besten constatirt man das an Flachschnitten oder an ganzen, von der 
* Fläche gesehenen Keimen. 


2) C. VogT, Embryologie des Salmones Neuchätel 1843. p. 38 u. p. 42. 


von Knochenfischen bes. über diejenige des Salmens. 13 


eine Zellenverschiebung als Folge der Theilungsvorgänge ins Spiel 
treten lässt!). Die Zellen des Keimes sind zu Strängen und theil- 
weise zu eigentlichen Platten verbunden, ein Verhältniss, das zwar 
Contractionen einzelner Parthien oder des ganzen Keimes erlaubt, das 
jedoch eine eigentliche Zellenauswanderung ausschliesst. 

Ehe wir nach andern Erklärungen uns umsehen, constatiren wir 
die Einzelnheiten der Beobachtung: 

Im Beginn des 6. Tages?) hat der Lachskeim die Gestalt eines 
leichtgewölbten Kuchens von 1.4—1.5””m Durchmesser und 0.4— 
0.45=® Dicke. Die Mitte desselben ist am dicksten, der Rand 
gleichmässig gerundet, die Zellen messen 22—28 u. Die an der 
Oberfläche liegenden sind etwas kleiner, und bilden eine dichtgefügte 
Schicht, deren freie Fläche glatt, deren innere mittelst zackiger 
Fortsätze der Unterlage eingefugt ist. GöTTE nennt diese Schicht 
Deckschicht, ein Name, den ich beibehalte. Sie überschreitet den 
Aequator des Keimes und endigt an dessen Unterfläche mit freiem 
Rande in der Umgebung der die Anfänge der Keimhöhle darstellenden 
Lückenräume. Eine kleine Strecke weit berührt somit die Deckschicht 
die Dotterrinde In dem Taf. II. Fig. 1 dargestellten Schnitte misst 
die Deckschicht von dem einen Endpunkte zum andern 2.2” bei einem 
Durchmesser des Keimes von 1.48", 

Andere Schichten als die Deckschicht sind noch nicht gesondert, 
gleichwohl ist es der folgenden Darstellung halber zweckmässig, am 
Keime schon jetzt zwischen der Masse zu unterscheiden, welche un- 
mittelbar an die Deckschicht anstösst und derjenigen, welche in der 
Tiefe liegt. Ich bezeichne erstere als Gewölbtheil, letztere als 
Füllungsmasse; der Gewölbtheil ist von dichterem Gefüge als die 
Füllungsmasse, letztere bildet zur Zeit die Decke der Keimhöhle und 
stützt sich noch mit zahlreichen Füssen auf den Boden derselben. 

Im Beginn des 7. Tages ist der Keim bereits zur flachen Scheibe 
umgewandelt und er lässt bei den Flächenansichten den Gegensatz 
einer durchsichtigen Mittel- und einer breiten, dunkleren Randzone erken- 
nen. Schnitte, die den Keim halbiren, zeigen, dass der Mitteltheil dünn, 


1). GörTE, Beiträge zur Entwickelungsgesch. der Wirbelthiere. M. ScHUuLTzr’s 
Archiv. Bd. IX, p. 688 u. f.. 

2) Die Zeitbestimmungen obiger Darstellung beziehen sich auf dieselbe Reihe 
G, welche schon oben meinen Maassbestimmungen zu Grunde gelest war. Die 
Entwickelung geschah bei einer Wassertemperatur von 11—120 im geheizten 
Zimmer. Eier, die im Freien belassen werden, entwickeln sich erheblich lang- 
samer. 


14 Hıs. Untersuchungen über die Entwickelung 


der Rand dagegen verdickt ist. Ersteren bezeichnen wir jetzt als Mit- 
telscheibe, letztere mit der schon von C. E. v. Baer eingeführten 
Bezeichnung als Randwulst. Die Keimhöhle erstreckt sich als zu- 
sammenhängende flache Spalte unter der gesammten Mittelscheibe 
-durch, und wird an der Peripherie von dem auf der Dotterrinde 
ruhenden Randwulste des Keimes umgrenzt. 


Die Deckschicht ist nur noch an der oberen Fläche des Keimes 
vorhanden, sie endigt frei an dessen Rand, ja sie kann den Rand 
etwas überragen. 

In dem Taf. II. Fig. 2 abgebildeten Schnitte beträgt die Aus- 
. dehnung der Deckschicht von einem Endpunkte zum andern 2.25 "m 
also nahezu gleich viel wie bei Fig. 1, während der Durchmesser des 
Keimes auf 2.16 =», d.h. beinahe um die Hälfte gewachsen ist. 


Im Bereich des Randwulstes ist die Schichtung angelegt, obwohl 
noch unvollkommen durchgeführt. Eine unebene Spalte trennt eine 
tiefere, der Dotterrinde anliegende Schicht von der oberen, mit der 
Deckschicht verbundenen. Ohne scharfe Grenze schliesst sich die 
untere Fläche des Randwulstes derjenigen der Mittelscheibe an. 
Beide sind gegen die Keimhöhle hin noch rauh. 

Am 8. Tage ist die Mittelscheibe stark verdünnt (von 50y aut 
25), der Randwulst scharf geschieden in zwei übereinanderliegende 
Schichten, in deren unterer die Zellen vorwiegend horizontal, in deren 
oberer sie vertikal gestreckt sind. Die Spalte, welche die beiden 
Schichten trennt, ist oben schärfer und glatter begrenzt als unten, 
und sie erstreckt sich bis in die Nähe des äusseren Saumes; hier hört 
sie auf, und die beiden Schichten hängen unmittelbar unter einander 
zusammen. Der innere Saum der unteren Keimschicht!) verjüngt 
sich, und stellenweise verfolgt man seine Fortsetzung bis zur Unter- 
fläche der Mittelscheibe.e Ein zusammenhängendes Blatt als Fort- 
setzung der unteren Schicht des Randwulstes ist nicht nachzuweisen. 


Bei Beurtheilung des Mechanismus der Keimscheibenumwandlung 
ist vor Allem das Verhalten der Deckschicht zu beachten. Nach- 
dem dieselbe im gewölbten Keim gegen die Basis eingebogen war, 
endigt sie im abgeplatteten Keime frei am Rande der oberen Fläche, 
d.h. sie hat sich mit sammt der anhaftenden Zeilenmasse aufgebogen. 


1) GörTTE hat den Ausdruck Keimschicht für die noch unvollständig geschie- 
denen Blätter vorgeschlagen. Der Ausdruck erscheint mir passend, denn er 
kann manche weitschweifigen Auseinandersetzungen und Missverständnisse ver- 
meiden helfen. 


von Knochenfischen bes. über diejenige des Salmens. 15 


Der Saum, der zuvor der Keimhöhle zugekehrt war, sieht jetzt nach 
aussen, und dass sie dabei an Ausdehnung kaum merklich gewonnen 
hat, geht aus den oben mitgetheilten Zahlen hervor. 


Bei Ausführung jener Bewegung müssen zwei Widerstände über- 
wunden worden sein; von welchen der eine in tangentialer, der an- 
dere in radialer Richtung sich geltend machte. Der in tangentialer 
Riehtung wirksame Widerstand war dadurch bedingt, dass mit Auf- 
riehtung des subäquatorialen Substanzringes dessen Durchmesser zu- 
nahm; die Persistenz der Spannung ist am kürzlich abgeflachten Keime 
daran ersichtlich, dass die Randzellen der Deckschicht eirculär an- 
geordnet sind, und dass sich überdies der äusserste Rand etwas nach 
aufwärts biegt). 


In radiärer Richtung musste bei der Umstülpung des Gewölb- 
saumes der Widerstand überwunden werden, welcher aus dessen Zu- 
sammenhang mit der Füllungsmasse und aus der Cohäsion der letzteren 
resultirt. Diese Ueberwindung geschieht, laut der Beobachtung da- 
durch, dass die Füllungsmasse zerreist. Letztere hört auf, einen zu- 
sammenhängenden Klumpen zu bilden, rückt an die Peripherie des 
Keimes und bildet nun die untere Schicht des Randwulstes. 


Mit Rücksicht auf die früheren Verhältnisse haben wir somit 
folgende Umlagerung: 
1) die verdünnte Mittelscheibe entspricht der Kuppel des ursprün- 
lichen Gewölbes; 


2) die obere Schicht des Randwulstes geht hervor aus der äqua- 
torialen und subäquatorialen Zone des Gewölbtheiles; 


3) die untere Schicht des Randwulstes ist die zur Seite gezogene 
Füllungsmasse. Kleinere Reste der letzteren erhalten sich 
noch in Zellen, die theils an der Decke, theils am Boden der 
Keimhöhle vorhanden sind. 


Grösse und Richtung der Verschiebung finden theilweise in der 
Anordnung der Zellen der unteren Keimschicht einen Ausdruck. Un- 
tere und obere Schicht des Randwulstes stehn, dem Obigen zu Folge, 
unter ungleichen mechanischen Bedingungen, auf die untere wirkt 
ein radıär gerichteter Zug, der sie, um einen kurzen Ausdruck zu 
brauchen, unter der obern Keimschicht wegzieht. Folgen dieser Ver- 


1) Ueber dies Hervorragen der Deckschicht vergl. man GöTtE, 1. e. p. 694 
und seine Abbildungen Fig. 6 u. 7, sowie die Abbildungen OrLLacHer’s Taf. I, 
Fig. 4—6, 


16 Hıs. Untersuchungen über die Entwickelung 


schiebung sind: die Spalte, welche das untere Blatt vom oberen 
trennt, die zunehmende Verdünnung und die Lockerung des zwischen 
der unteren Randwulstschicht und der Unterfläche der Mittelscheibe 
bestehenden Verbindung. 

Es ist nun aber der Grund zu suchen für die Aufrichtung und 
Umklappung des Gewölbsaumes. Man darf allenfalls vermuthen, dass 
die Ursache dieser Veränderungen in der Deckschicht zu suchen sei. 
Denken wir uns nämlich die eingerollte Deckschicht strebe vermöge 
ihrer Elasticität darnach, sich aufzurollen und flach auszubreiten, so 
übt sie auf die unterliegende Masse einen Zug aus, vergleichbar dem- 
jenigen, den eine zusammengebogene und durch ein Band gehaltene 
Uhrfeder auf dieses ausübt. Würde im letzteren Falle die absolute 
Festigkeit des Bandes geringer werden, als die Spannung der Feder, 
so würde das Band zerreissen, und seine beiden Enden würden von 
den auseinanderweichenden Enden der Feder auseinander gezogen. 

Gegen eine ausgiebige Wirkung der Art Seitens der Deckschicht 
lässt sich nun aber für’s erste ihre geringe Mächtigkeit einwenden, 
und ausserdem kann man die Erwägung machen, dass die auffedernde 
Schicht die Verbindung mit ihrer nächsten Unterlage lockern und 
sich isolirt umrollen müsste, bevor sie den gesammten übrigen Keim 
umzugestalten vermöchte. 

Die Abflachung des Keimes mit ihren begleitenden Erscheinungen 
lässt sich vielleicht noch auf eine andere Weise verstehen: Ein Ge- 
wölbe flacht sich ab, wenn seine Widerlager auseinander weichen. 
In unserem Falle würden die äquatorialen und subäquatorialen Zellen- 
zonen als diejenigen zu betrachten sein, welche die Stelle des Wider- 
lagers vertreten. Führt nun die Substanzzunahme in deren Bereich zu 
einer Ausweitung des Ringes, so kann daraus die besprochene Um- 
änderung in der Construction des Gesammtgebildes hervorgehen. 
Liegt die Zone grössten Wachsthums an der Peripherie der Scheibe, 
so wird ferner nicht allein diese an Umfang rasch zunehmen, sondern 
es muss auch der, von dem mehr und mehr sich erweiternden Rand- 
wulste ausgehende Zug auf die Mittelscheibe dehnend wirken, diese 
wird entsprechend der Zunahme ihres Umfanges sich verdünnen. 

In Betreff der ungleichen Mächtigkeit des Randwulstes habe ich 
den bekannten Angaben früherer Autoren nichts beizufügen. 


Bildung des Embryo. 


Im beistehenden Holzschnitte sind bei 20facher Vergrösserung 4 
Figuren zusammengestellt, welche die Gestalt und Gliederung der 
Embryonalanlage für 4 auf einanderfolgende Stufen darstellen. - Fig. 1, 


von Knochenfischen bes. über diejenige des Salmens. 127 


1, 3 und 4 stammen von derselben Beobachtungsreihe (A) des Lachs- 
eies und sind vom 12., 14. und 15. Tage. Fig. 2 habe ich, wegen 
einer Lücke in meiner Lachsreihe, aus einer Forellenreihe entlehnt. 
Fig. 1—83 sind nach feuchten Präparaten in auffallendem, Fig. 4 nach 
einem- eingekitteten im durchfallenden Lichte gezeichnet. 
Bei Fig. 3 ist, der Modellirung entsprechend, das Gehirn nach- 
träglich eingezeichnet. 
Fig. 5 endlich stellt den Embryo von 3 im Profil dar; die über 
der Bogenlinie liegende Contour ist direet mit dem Prisma gezeichnet, 
das Uebrige nach Durchschnittsbildern herein construirt. 


Fig. 1—3. 


Vh. Vorderhirn. Mh. Mittelhirn. Hh. Hinterhirn. R. Rautengrube. Nh. Nachhirn. 
Ag. Augenblase. Gh. Gehörgrube. Uw. Urwirbel. Fl. Flossenanlage. Rw. Randwulst. 
Rk. Randknospe. Ch. Chordalis dorsalis. 


Die erste Spur des sich abgliedernden Embryo erscheint in der 
hintern Hälfte der Keimscheibe zur Zeit, da diese einen Durchmesser 
von ca. 3%® erreicht hat. Es ist eine kleeblattförmige, vom Rand- 


1) Bilder bei auffallendem Lichte gezeichnet theilt bekanntlich auch OEr- 
LACHER mit. Von den meinigen differiren sie in erheblichem Maasse. Ob 
Schrumpfung in Folge zu starker Chromsäure, ob Vertroeknung seine Präparate 
verunstaltet haben, oder ob er sie bei ungenügender Beleuchtung gezeichnet 

Zeitschrift f. Anatomie. Bd. I. 2 


18 Hıs. Untersuchungen über die Entwickelung 


wulst nach vorn sich erstreckende Platte, welche eine breite, in 3 
Buchten auslaufende Grube umschliesst. Die Grube, (die Medullar- 
ogrube), wird durch eine tiefe mediane Rinne in zwei. Seitenhälften 
geschieden, sie ist an ihrem vordern Ende am tiefsten, nach rückwärts 
flacht sie sich ab, und sie hat schon in einer Entfernung von 0.6" 
vom vordern Embryonalrand gemessen, ihre scharfen Seitengrenzen verlo- 
ren. Eine zweite seichte und quer gelagerte Vertiefung liegt etwas weiter 
hinten, 0.8""% vom vordern Rand entfernt. Das hintere Dritttheil 
der Embryonalplatte ist dem Randwulste eingefügt, und ihrer axialen 
Verlängerung entsprechend, ist der Saum des letzteren leicht über den 
übrigen Umkreis vorgetrieben. 

3 Tage später erkennen wir eine bereits weit gediehene Gliederung 
des Embryonalleibes. Das Gehirn besteht, wie Fig4 zeigt, aus Vorder- 
hirn, Mittelhirn, Hinter- und Nachhirn. Das Vorderhirn ist klein. 
Auf der Grenze zwischen ihm und dem langgestreckten Mittelhirne 
gehen die Verbindungsstiele der Augenblasen ab; letztere legen sich dem 
Mittelhirn flach an. Eine tiefe Querspalte, die Queraxe der Rauten- 
orube, bezeichnet die Grenze zwischen dem schmalen Hinterhirn und 
dem langgezogenen Nachhirn, neben letzterem sind die Gehörgruben 
als noch offene Einbuchtungen wahrnehmbar; in einiger Entfernung 
von ihnen zeigen sich die vordersten Urwirbel, deren jederseits über 
20 sich zählen lassen. £ 

Da die 4 Figuren bei der gleichen Vergrösserung gezeichnet und 
ihr vorderes Ende in eine Linie gelegt ist, ist es leicht, dieselben auf 
einander zu beziehen. 

Bei Fig. 1 beträgt die grösste Breite 1.75”, die geringste noch 
0.92 m, Bei Fig. 4 die grösste, in der Augengegend gemessenen 
Breite 0.5 "®, die Breite in der Rautengrubengegend 0.47. Die offene 
Grube, die dort vorhanden war, ist hier geschwunden. Vergleichen 
wir damit noch Fig. 2, so wird ersichtlich, dass die ursprünglich breite 
Anlage sich zusammengelegt hat und dass die Grube zur Hirnhöhlung 
und zwar besonders zu derjenigen des Mittelhirnes geworden ist. Die 
breiten Seitenlappen der in der 1. Fig. gezeichneten Platte sind zu 
den Augenblasen geworden, und sie stimmen auch in Betreff der Längs- 


und das undeutlich Gesehene ergänzt hat, vermag ich nicht zu entscheiden. 
Bilder, wie seine Fig. 9, 10, 13 sind mir bei zahlreicher Beobachtung feuchter 
Präparate im auffallenden Lichte nie vorgekommen und sind mir daher un- 
verständlich. Auch seine kugelförmige Abgrenzung der Randknospe vermochte 
ich nicht zu beobachten. Die oben mitgetheilten Zeichnungen 1—3 und 5 
habe ich bei Beleuchtung mit concentrirtem Sonnenlichte mittelst des Prisma 
wiederholt aufgenommen. 


von Knochenfischen bes. über diejenige des Salmens. 19 


ausdehnung mit denen der nachfolgenden Figuren überein. Die hin- 
tere Querbucht der Anlage 1 bezeichnet bereits den Ort der Rauten- 
grube und der einspringende Winkel zwischen Randwulst und Em- 
bryonalplatte, denjenigen der Gehörgrube. Der Blick auf die vierte Fig. 
überzeugt uns aber ferner, dass die erste Anlage nur die Anlage des 
Kopfes umfasst, dass hinter ihr Nichts vorhanden ist, das als Rumpf- 
anlage sich deuten liesse. Nichtsdestoweniger entsteht und wächst 
die Rumpfanlage sehr rasch und ihre Entstehung geht Hand in Hand 
mit der Umwachsung des Dotters durch die Keimscheibe. Wenn die 
Dotterumwachsung vollendet ist, ist auch die Rumpfanlage beisammen. 


Die Masse, aus welcher die Rumpfanlage hervorgeht, ist im Rand- 
wulst der Keimscheibe aufgespeichert, und sie gelangt dadurch an 
ihren Ort, dass jeweilen die dem hintern Ende des bereits ab- 
gegliederten Embryo zunächst liegenden Strecken an diesen sich heran- 
schieben, und ihn nach rückwärts verlängern. Ist der Dotter bis auf 
einen kleinen Rest umwachsen, so ist vom Randwulste nur noch ein 
kleiner, das hintere Körperende bildender Ring übrig, dessen Hälften 
schliesslich gleichfalls sich verbinden. 


Bei der Einbeziehung des Randwulstes in die Körperanlage liefern 
die äusseren, dem convexen Saume näher liegenden Zellen des Wulstes 
die Axialgebilde, die des inneren concaven Saumes gehen in die 
Seitentheile des Körpers über. So lange die Dotterumwachsung durch 
die Keimhaut nicht vollendet ist, wird der Umwachsungsrand hinter 
(der Embryonalanlage von einem kleinen gerundeten Vorsprung überragt, 
welchen wir uns eben durch die Zusammenschiebung hinterer Rand- 
zellen gebildet zu denken haben. OELLACHER, der ihn bereits beschrieben 
‚hat!), nennt ihn Schwanzknospe, eine Be- 
zeichnung, die ich mit dem unverfäng- Fig. 6. 
licheren Ausdruck Randknospe ver- 
tausche. Beifolgender Holzschnitt dient 
zur Erläuterung des Bildungsherganges; 
die Pfeile bezeichnen die Reihefolge der 
in der Richtung von vorn nach rück- 
wärts auf einander folgenden gleichwer- 
thigen Theile. Die Uranlage des Kör- 
pers ist sonach ein platter Ring, dessen 
Breite und Dicke an einer Stelle, dem 
zukünftigen Kopfende, ein Maximum, 
am gegenüberliegenden Schwanzende ein 


I) OELLACHER, Zeitschrift f. wiss. Zool. Bd. XXIII pag. 21. 


o%* 


20 Hıs. Untersuchungen über die Entwickelung 


Minimum besitzt. Successiv legen sich die zwei Seitenhälften des 

Ringes an einander, und vereinigen sich als symmetrische Körperhälften. 

Dabei bedürfen das Kopf- und das äusserste Schwanzende keiner Ver- 

wachsung, da ihre Seitenhälften von Anfang an verbunden sind. Beim 
Fig. 7—10. 


—_ 


; 1 N 
£ N 
UT As ” S 


Lachs vollendet sich der ganze Vorgang in 6 Tagen, beim Hecht und 
ebenso bei der Aesche in etwa 24 Stunden. Wie der Kopf, so werden 


Umwachsungsstadien des Lachseies- 


auch die Theile des Rumpfes in einer Grösse angelest, die in der 
Folge nur sehr allmählich zunimmt. 


von Knochenfischen bes. über diejenige des Salmens. 91 


Will man die verschiedenen Entwickelungsstadien während der 
Umwachsungsperiode auf einander projieiren, so hat man vom Kopf- 
ende als unbeweglichem Stücke auszugehen. Ich habe so in Fig. 11 
vier Stadien des Lachseies 10 mal vergrössert dargestellt, und dabei die 
genauen Maasse der beobachteten Embryonen inne gehalten. Es ergiebt 
sich aus der Zeichnung, dass der vor dem Kopfe liegende Theil des 
Keimhautrandes allerdings einen viel grösseren Weg zurücklest, als 
der hintere Rand, allein der letztere darf nicht, wie ÖELLACHER will, 
als feststehend angenommen werden. !) 


Die Maasse der bezüglichen Beobachtungsreihe sind folgende: 


AN. A 10. A12. A14. 


Präparate. _ Beginn des | Beginn des | Beginn des | Beginn des 
12. Tages. | 14. Tages. | 16. Tages. | 18. Tages. 


Meridianbogen der 
Keimhaut vor dem 
Embryo. ..... 2.350m |83bis4.5mm [gegen 1O"m| gegen 14m 


Länge des Embryo 1.4 mm 2,7 mm 3.5 mm 4.7 mm 


Grösste Breite der 
Embryonalanlage . rAmm Om a 0.65 m 


Nach vollendeter Umwachsung des Eies durch die Keimhaut um- 
schliesst der Lachsembryo etwas mehr als ein Viertheil des Eiumfanges. 


Fig. 12. 


Hechtei. Aeschenei. 


Bei kleineren Eiern ist der umschlossene Bogen grösser, bei sehr kleinen 
Eiern überschreitet er sogar 180°. 
So bildet KuPFFER aus den Eiern von Gobius minutus und 


1) Man vergl. OErLAcHer’s Schema p. 4 seiner 2. Abhandlung. 


23 Hıs. Untersuchungen über die Entwickelung 


Gobius niger Embryonen ab, welche mehr als 180° des Eiumfanges um- 
fassen und die dabei sehr kurz sind.!) Ich habe zur Vergleichung mit 
der obigen Figur des Lachseies in Fig.12 u.13, bei gleichfalls zehnmaliger- 
Vergrösserung und unter Benutzung genauer Maasse verschiedene Um- 

Fig. 14. wachsungsstadien des Hecht- und des Aescheneies dar- 
gestellt.) Man ersieht daraus, dass beim grossen Lachsei 
der Embryo nach Abschluss der Umwachsung eine ab-- 
solut beträchtlichere Länge erreicht hat, als im kleineren 
Ei der Aesche, und in diesem hinwiederum eine be- 
OR trächtlichere als im noch kleineren Hechtei. Die un- 

ET , gleichen Längen kommen indess ausschliesslich auf 

% redueirt. Kosten des Rumpfes, denn die Kopfdimensionen sind 
bei den von mir untersuchten 3 Fischspezies auf derselben Entwicke- 
lungsstufe nahezu dieselben. 

Das Volum eines 40 mal vergrösserten Wachsmodells des Lachs- 
embryo nach eben vollendeter Eiumwachsung (A 14) beträgt 47 Cub.®. 
Dies ergiebt für den Embryo ein Volum von 0.73 Cubmm- Nach der- 
selben Methode hatte ich Fig. 6 für die gesammte Keimscheibe im 
Beginn der Embryobildung 0.78 Cubm"- erhalten. Man darf die Methode 
selbstverständlich nicht als eine sehr präcise ansehen, immerhin ist, 
selbst bei Voraussetzung relativ bedeutender Fehlergrenzen, der Schluss. 
nicht zu umgehen, dass das Volum des Embryo nach eben vollendeter 
Dotter-Umwachsung nicht sehr erheblich von demjenigen des Gesammt- 
keimes im Beginn der Embryobildung differirt. Es geht daraus hervor, 
dass die Bildung der formellen Körperanlage wesentlich auf Um- 
gruppirung einer bereits vorhandenen materiellen beruht. Aus allen, 


1) KuprFer in M. Schultze’s Archiv Bd. IV. Taf. XVII u. XVIII. Angeblich 
ist KupFrEr’s Zeichnung 60 mal vergrössert, d.h. wohl, die Details seines Originals - 
entsprechen denen einer 60maligen Vergrösserung. Wäre KuUPFFEr’s Angabe wört- 
lich zu nehmen, so würde das Gobiusei nur 0.43% messen. Ich vermuthe, dass. 
Kuprrer’s Zeichnung etwa 20mal vergrössert ist. 


?) Maasse der zu obigen Figuren be- Hecht. | Aesche. 
nutzten Präparate: 5, Ih. c. | a. b. 
mm mm mm mm cm 


Länge des Keimhautmeridians vor dem 


imbryio 2... 22022 2,0 2 2, er ed 4.4 4.7 5 gegen & 
VanzesdespRmbryo  .. 0.0 n ler 3.5 3.7 3.9 4.65 
Grösste Breite des Embryo . . . ... 1.10 | 0.8 0.6 0.8 — 


An der Skizze des Aescheneies habe ich noch das Stadium eingetragen, welches 
der Embryobildung unmittelbar vorausgeht. An dem betreffenden Präparate be- 
trug der Durchmesser des Keimes 2.8mm, die grösste Breite des Randwulstes 
0.65mm, die ihr gegenüberliegende geringste 0,35 mm, 


von Knochenfischen bes. über diejenige des Salmens. 23 


früheren sowohl als späteren Messungen ergiebt sich übereinstimmend, 
dass die Zunahme der Keimmasse nicht in Sprüngen vor sich geht, 
sondern stetig und mit verhältnissmässiger Langsamkeit. So mässig 
nun aber der Betrag des Wachsthums während der in Rede stehenden 
Periode ist, so muss er doch genügen, den Umformungsprozess des 
Keimes einzuleiten, und in kurzer Frist zum Abschluss zu bringen; 
denn ein anderes die Formung bestimmendes Agens ist in keiner 
Weise zu erkennen. 

So sehr man dahin gedrängt wird, Wachsthum als die Ursache der 
Ausdehnung des Keimes über den Dotter und als diejenige der Embryo- 
bildung anzusehen, so schwer ist es doch, sich Rechenschaft davon zu 
geben, wie das Wachsthum im Keime vertheilt sein muss, um die be- 
schriebenen Vorgänge zu Stande zu bringen. Wir hatten oben den 
Gedanken ausgesprochen, dass sich die Abflachung des zuvor ge- 
wölbten Keimes auf ein intensiveres Wachsthum in der Randzone zurück- 
führen lasse, und damit konnte auch die zunehmende Verdünnung der 
Mittelscheibe in Zusammenhang gebracht werden. Bleiben wir bei 
dem Gedankengange stehen, so können wir annehmen, dass der Rand 
des Keimes nicht allein durch rasches Wachsthum sich ausbreitet, 
sondern dass er auch in Folge ungleicher Wachsthumsvertheilung sich 
gegen die Mittelscheibe einbiegt und so, als eine Art abgeklemmter 
Schleife die Anlage des Embryo bildet. Mit dieser Erklärung behelfen 
wir uns allenfalls bis zum Aequater der Dotterkugel, dann aber lässt 
sie uns völlig im Stich. Nach Ueberschreitung des Aequators nimmt 
die Länge des Randwulstes rasch ab, ohne dass der Embryoleib um 
gleiche Länge zunimmt. 

Bedenkt man, dass der Randwulst sich dem hintern Körperende 
anfügt und schliesslich ganz in dessen Körperende aufgeht, so sollte 
man unter der gleichzeitigen Voraussetzung stetigen Wachsthums er- 
warten, dass die Werthsumme: Länge des bereits angelegten Embryo 
+ halbem Umkreis des Randwulstes stetig zunimmt. Statt dessen 
wächst sie rasch bis zur Ueberschreitung des Aequators, und nimmt 
dann wieder ab, um schliesslich kaum dem Anfangswerth gleich zu 
bleiben. So ergiebt die Messung für die obige Figur des Lachseies: 


IR | Halber Umkreis des | Summe 
| Länge des Embryo. | Randwulstes. ; | ws 
= mm z | mm 
No; 1 | 1.4 9.7 7.1 
Ei DT 94 11.8 
ES! 3.5 1.9 11.4 
ke: 4.7 1.— 5.7 


94 Hıs. Untersuchungen über die Entwickelung 


Dazu kommtnoch folgende Beobachtung: An Fischeiern, welche durch- 
sichtig genug sind, um im lebenden Zustand unverletzt sich beobachten 
zu lassen, wie an Hecht- und Aescheneiern überzeugt man sich, dass 
der Randwulst mit Spannung den Dotter umgiebt, letzterer pflest an 
den Berührungsstellen mehr oder minder erheblich eingeschnürt zu 
sein, und bei den, bis über den Aequator fortgeschrittenen Umwach- 
sungsstadien setzt sich der noch freie Theil des Dotters förmlich 
hernienartig ab von dem bereits umwachsenen Theil der Kugel.!) Diese 
Wahrnehmung, ebenso wie die von der raschen Ausdehnung und dann 
wieder eintretenden Verkürzung des Randwulstes führen uns zur Vor- 
stellung, dass dieser, ähnlich einem elastischen Ring über den Dotter 
weggezogen wird. Wo nehmen wir aber die Kraft her, welche das 
Herüberziehen des Ringes bewirkt? Man kann versuchen, die Con- 
traction des Dotters in’s Spiel zu ziehen; unstreitig lässt sich mittelst 
dieser ein Mechanismus denken, wonach die Keimscheibe erst sack- 
artig ausgeweitet wird und später, der Elastieität ihres Randes folgend, 
zur Kugel sich schliesst; allein wenn man eine solche den Keim deh- 
nende Kraft einführt, wird es wieder unverständlich, wie zu derselben 
Zeit der Embryo sich bildet, dessen gesammte Bildungsgeschichte das 
unzweifelhafteste Gepräge einer Substanzzusammendrängung an sich 
trägt. Wir stehen also hier vor einem noch ungelösten Problem ent- 
wickelungsgeschichtlicher Mechanik, für das vielleicht später ver- 
gleichende Untersuchungen den Schlüssel gewähren werden. 

Ueber die erste Anlage des Embryo und seines Oentralnerven- 
systems herrscht in den Darstellungen nichts weniger als Ueberein- 
stimmung, obwohl die thatsächlichen Beobachtungen der verschiedenen 
Forscher unter sich kaum abweichen. Unter den älteren Beobachtern 
hat v. BAER?) zuerst die Existenz eines verdickten Randwulstes con- 
statirt. Als erste Spur des Embryo erkannte er eine sehr breite seichte 
Furche, deren Boden kielartig gegen den Dotter vortritt und deren be- 
grenzende Ränder, die Rückenwülste, noch fast die ganze Breite des Eies 
einnehmen; später sollen sie sich erheben und der Länge nach zu- 
sammenschliessen, und darauf lässt v. BAER die Gehirnbildung, die 
Urwirbeltheilung u. s. w. folgen. | 

Grossen Werth lest v. BAER bei seiner Darstellung auf die Ueber- 
einstimmung in den’ ersten Entwickelungsstadien bei Knochenfischen 


1) In obiger kleinen Tabelle ist auf diesen Umstand keine Rücksicht ge- 
nommen; das Ei als reine Kugel vorausgesetzt; indess ändert dies natürlich 
an der allgemeinen Thatsache der Zu- und Abnahme der fraglichen Werthsumme 
nichts. 

2) BAER, Unters. über die Entwickelungsgesch. der Fische. Leipzig 1835, p. 10. 


von Knochenfischen bes. über diejenige des Salmens. 25 


und bei Batrachien, und die Beobachtungen an den letztern haben 
ihn geleitet bei Interpretirung der sehr viel schwieriger verfolgbaren 
Fischentwicklung. 

In der grossen Vocr’schen Monographie sind die Vorgänge der 
Dotterumwachsung und der Embryobildung bereits weit eingehender 
erörtert; u. A. hat Vogt von der Trübung der Keime durch Säuren 
Gebrauch gemacht, um die früheren Stadien desEmbryo zu verfolgen.!) 
Er beschreibt die Furchung, welche v. BAER noch entgangen war, die 
eintretende Abplattung des Keimes, die excentrische Stellung der 
ersten Embryonalanlage und den Zusammenhang der letzteren mit 
dem Randwulste. Es finden sich bei Vogr manche für die damalige 
Zeit sehr bemerkenswerthe Aeusserungen. Nicht allein führt er die 
Keimabplattung bereits auf eine Umlagerung der Zellen zurück, sondern 
er denkt selbst an Zellenbewegungen ?) als Ursache der Umlagerung, aller- 
dings giebt er dem Gedanken keine weitere Folge. Die Umgebung 
des Dotterloches, d. h. also den Randwulst, sieht Vogr als den Haupt-. 
sitz der zur Bildung des Embryo führenden Zellenerzeugung an. Der 
Einsicht, dass der Embryo durch Zusammenrücken der zwei Ringhälften 
entstehe, hat er offenbar sehr nahegestanden, immerhin ist er nicht zu 
deren Formulirung gelangt.) 

In zwei durch den Zeitraum von 10 Jahren von einander geschie- 
denen sorgfältigen Arbeiten hat LEREBOULLET die Fischentwicklung 
behandelt.*) Mit der Abplattung des Keimes sieht er die Spaltung in 
zwei am Rande zusammenhängende Schichten eintreten. Auf dieser 
Stufe nennt L. den Keim Keimblase (Vesicule blastodermique) und 
vergleicht das Verhältniss der letzteren zum Dotter mit demjenigen 
einer serösen Haut. Die im Keime auftretende Furchungshöhle, welche 
hierbei LEREBOULLET beschreibt, ist in neuerer Zeit mit Unrecht an- 
gefochten worden. Er versteht darunter, wie aus seiner allerdings 


1) Voct, Embryologie des Salmones. Neuchätel 1842. Die Bilder undurch- 
sichtig gemachter Keime geben die Figuren 121 u. £. 

2) 1. c. p.42. On powrrait eroire que les cellules elles-mömes sont douees 
d’un certain mouvement, qui les rend aptes, & se reunir dans un point donng, 
puisque —; mais un pareil mouvement des cellules serait difüieile & expliquer dans 
/etat actuel de nos connaissances. 

3) La partie libre du vitellus, que nous avons appel& le trou vitellaire, est 
entourde d’un anneau assez &levd, qui se dögrade insensiblement en dehors, tandis 
qw& linterieur ses parois sont presque verticales. On dirait que cet anneau est 
la continuation des deux carenes qui accompagnent le sillon. 

4) LEREBOULLET, Embryologie compar&de du brochet, de la perche et de l’Ecre- 
‘visse M&m,. des savants &trangers 1853 tom. XVII. — Annales des Sciences 
naturelles, Zool. IV. Serie Bd. XVI et XVIII. Developpement de la truite. 


96 Hıs. Untersuchungen über die Entwickelung 


etwas schematisirten Abbildung (Fig. 27 der 1. Abhandlung) hervorgeht, 
die durch neuere Arbeiten wohlbekannte Spalte zwischen der oberen 
und der unteren Keimschicht. Den zuerst auftretenden Primitivstreifen 
(Bandelette primitive) beschreibt L. als flaches Dreieck, das mit seiner 
breiten Basis in den Randwulst übergeht. Der Streifen wird in der Folge 
schmaler und verlängert sich. Ueber das Wie? giebt L. keinen klaren 
Aufschluss. Das Auftreten der Rückenfurche erklärt er als einen spätern 
Vorgang, und aus seiner Beschreibung geht hervor, dass er damit das 
Sichtbarwerden zweier Seitenhälften des Medullarrohres in der Flächen- 
ansicht meint. 

KuPrrer,!) der den Vortheil gehabt hat, an den sehr durchsichtigen, 
. beinahe fetttropfenfreien Eiern kleiner Fische (Gasterosteus und Gobius) 
zu untersuchen, hat über den Anschluss des Randwulstes an die erste 
Spur der Embryonalanlage besonders scharfe Anschauungen gewonnen. 
Für Gasterosteus giebt K. im Wesentlichen folgende Schilderung: 
„An einer Stelle beginnt der Keimsaum sich zungenförmig gegen den 
Pol vorzuschieben, und dieser Fortsatz wächst bis zum Pol vor. Gleich- 
zeitig wulstet sich der Keimsaum stärker in dem Abschnitte, von dem 
jener Fortsatz seinen Ausgang nimmt, während am entgegengesetzten 
Umfange die Wulstung abnimmt. Die Hauptmasse der Zellen zieht 
sich nach der Stelle hin, wo die neue Bildung ihren Ausgang nimmt.“ 
Etwas abweichend gestalten sich die Dinge an den sehr kleinen Eiern 
von Gobius. Für den Mechanismus der Keimsaum- und der Embryo- 
bildung beansprucht KuUPFFER Zellenwanderungen, da er sich die 
nachweisbar rasch dabei eintretenden Massenverschiebungen in an- 
derer Weise nicht zu denken vermag. Auch KUPFFER kommt nicht 
zum scharfen Ausdrucke der bilateralen Entstehung des Rumpfes aus 
dem Randwulste. Die Entstehung der Gehirnanlage schildert K. in 
einer von seinen Vorgängern wesentlich abweichenden Weise. 

Von den beiden neuesten Autoren über Knochenfischentwickelung 
hat OELLACHER folgende Anschauungen formulirt: 

Nachdem sich zuvor schon das Hornblatt (die Deckschichte von 
GOETTE) durch die Beschaffenheit seiner Zellen vor dem übrigen Keime 
ausgezeichnet hat, hebt sich der Keim excentrisch vom Dotter ab, und 
es entsteht die Keimhöhle, welche allmählich sich vergrössert. Nun sol- 
len sich von der Decke die unteren Zellen ablösen, zum Theil auch nach- 
träglich herabfallen, und in die oberflächliche Schichte des Dotters ein- 
graben. Die Stelle des Keimes, wo der Embryo sich bilden wird, bleibt 


1) Kurprrer, Beob. über die Entwickelung der Knochenfische. Max 
Schultze’s Archiv, Bd. IV. p. 221 u. £. 


von Knochenfischen bes. über diejenige des Salmens. DH, 


von Anfang ab dick; von ihr aus soll die Bildung des Embryo derart 
ausgehen, dass letzterer immer mehr nach vorn hervorwächst, während 
das hintere, mit der Schwanzknospe versehene Ende ruhen bleibt. Durch 
einen schematischen Holzschnitt veranschaulicht ÖELLACHER diese 
seine Vorstellung. Darnach rückt nur der vordere dünne Theil der 
Keimhaut über den Dotter weg, und trifft schliesslich wieder mit der 
Schwanzknospe zusammen. Hinsichtlich des Wachsthums des Embryo 
spricht OELLACHER von einer beständigen Stoffaufnahme, Vergrösserung 
und Vermehrung der in der primitiven Anlage enthaltenen Zellen ; 
die zusehende Verschmälerung des Embryo bereitet ihm Verlegenhei- 
ten, die er zwar in anerkennenswerther Weise eingesteht, über die er 
indess die geeignete Brücke nicht zu finden weiss. Das sehr bedeutende 
Material, welches sich OELLACHER gesammelt hat, hätte ihn bei syste- 
matischer Anwendung von Messmethoden sicherlich zur richtigen Auf- 
fassung der Vorgänge führen müssen. 

GOETTE?) verfolgt in dem bis jetzt veröffentlichten Theile seiner 
Arbeit nur die Vorgänge, welche der eigentlichen Embryobildung vor- 
ausgehen. Die Abplattung des Keimes sieht er (l. e. 684) als eine 
Folge der Zellentheilung an. Die bei einer jeden Zellentheilung statt- 
findenden Raumverschiebungen sollen nämlich überwiegend so statt- 
finden, dass die Ausbreitung der Platte in horizontaler Richtung ge- 
währleistet sei. Die Entstehung des Randwulstes erklärt GOETTE aus 
einer „Anstauung der gegen die Peripherie verdrängten Zellen am 
Rande der Dottergrube“. Da nun: die embryonale Hälfte der Keim- 
scheibe zusehends mächtiger, die entgegengesetzte dagegen immer 
dünner wird, so nimmt GOETTE an, dass im Verlauf der Keimaus- 
breitung Zellen aus der dünnen Hälfte in die dickere überwandern. Mit 
Recht macht G. darauf aufmerksam, dass für die Annahme einer, in 
beschränkten Keimtheilen ausserordentlich verstärkten Ernährung 
(i. e. Wachsthum) kein Grund vorliegt. Das Auftreten der untern, 
„secundären“ Keimschicht wird, soweit es sich um die thatsächliche 
Beobachtung handelt, von @. in correeter Weise geschildert, dagegen 
bezeichnet er den Bildungsvorgang als „Umschlag“ der obern „primä- 
ren“ Keimschicht. So, wie nämlich G. die Sache auffasst, wächst die 
untere Keimschicht aus dem äussersten Rande der oberen hervor, und 
verlängert sich alsdann in centripetaler Richtung. Indem obere und 
untere Schicht in entgegengesetzter Richtung sich bewegen, muss die 
Scheidung derselben vom Ursprung der tiefern Schicht zu deren innerem 


2) GoETTE, Beiträge z. Entwickelungsgesch. d. Wirbelthiere. M. Schultze’s 
Archiv, Bd. IX. p. 679 u. £. 


28 Hıs. Untersuchungen über die Entwickelung 
sg a nee 
5 3 [Zeit nach der Länge Grösste Bump ee ae 
ses Befruchtung. | des Körpers | Kopfbreite, hinter der |dem a 
as n Desilane | es 
[ae (gestreckt). | 

im Beginn: Di nz SR ve 
A 9 .|des12.Tages 1.4 . 1.4 —_ — 
A1O0 Melden, DR 0.6 — 
A12 a LER 3.9 0.55 — — 
A14 A Koracs 4.7 0.65 — — 
A15 le 4.7 0.65 0.3 — 
A 16 Re 4.85 0.65 0.31 — 
A1S ED, 5.4 0.5 0.4 1a 
A19 MD 5.6 1.0 0.4 1e8 
20:20 6.4 — — 1.9 
A21 RAR 6.8 1.15 0.4 1.95 
A 22 DS 7.0 — — 1.95 
A 23 2. nel — — 2.0 
A 24 alle 1.2 — — 2.1 
A25 Er EARER 7.6 1.2 — Dal! 
A 27 a 8.4 1.25 — al 
A283 KRSDLTH 8.8 1.3 0.45 241 
A29 SEEN 9.3 1.4 0.45 2.1 
A 30 Oh, 9.6 1.5 0.45 2.1 
A31 Ali 10.0 — — 2.1 
AB AA, 11.4 — — 2.2 
A 33 Pa Re 11.9 — — 2.3 
A 34 N 12.9 2.0 0.8 2.5 
A735 Im Des 13.7 2.2 0.85 2.6 
IASSb a cH8 N, 14.6 2.9 0.9 DET 
Bear 62... 15.8 2.4 0.9 2.9 
38 | ...08, „ 17.6 2.5 0.95 Sl 
A 39 SELL... 19.2 DIT 1.2 3.2 
NA 10. 25.0 4.2 3.2 588 


Schwanz- 
länge 
(vom After 
zum hintern 
Leibesende.) 


5.2 


von Knochenfischen bes. über diejenige des Salmens. 


Rumpf- 
länge 
(berechnet). 


mm 


19.2 


Verhältniss- 
zahlen. 
Kopf 

zur Ge- zur 

sammt- Rumpf- 
länge. | länge. 
318 1.47 
a 1.58 
3.49 1.64 
3.55:| 1.65 
3.40 | 1.50 
3.62 1a 
4.0 1.95- 
A I) 
4.16 | 2.47 
5.17 2.14 
5.16 2.62 
Dan, 2.65 
5.41 2.66 
5.45 2.69 
5.68 | 3.09 
6.0 2.97 
Art 1.66 


29 
arche ne 
IIERBER ut) der hin 

der messer | Gehör- | Mittel- 
Urwirbel des blase. | hirn- 
(vorn Augapfels. | randes 
gemessen). vom vordern 
Kopfende. 
0.06 0.4 1. 0.9 
= 0.4 1.15 — 
— 0.4 1.15 | 0.9 
ma 0.4 1.15 Ser 
—G 0.4 1.15 Baar 
= 0.45 15165, > 
— 0.45 115 er 
0.1 0.50 1.3 u 
= 0.55 | 14 1.0.9 
0.12 0.65 1.4 Ne 
Pe 0.7 — 110 
0.15 02 SE 1.2 
u 0.7 ASE as 
En 0.75 = = 
— 0.77 er A 
— 0.8 > aN 
D.1T.,. S0kena 
0.18 | 0:9 Beleg 
0.19 | 1.0 2 0g 
Da ae 
0.19 219 Ne 
0.2 1.3 a 2.8 
0.25. ag 
0.3 1.8 N 


30 Hıs. Untersuchungen über die Entwickelung 


freiem Rande hin sich entwickeln. Wenn GOETTE in seinen, offenbar 
noch nicht zur genügenden Klarheit durchgearbeiteten Einzelvor- 
stellungen von mir sehr wesentlich abweicht, so stimmen wir doch in 
dem Bestreben überein, die Bildung der ersten Embryonalanlage auf 
eine mechanisch abzuleitende Zellenumlaserung zurückzuführen. 


Wachsthum und weitere Ausbildung des Fischembryo bis zur 
Aufzehrung des Dottersackes. 


Als Grundlage des folgenden Capitels schicke ich eine Tabelle vor- 
aus. Die Messungen sind an den feuchten Präparaten einer in ver- 
dünnter Chromsäure (!/, %) erhärteten, später in verdünntem Alkohol 
aufbewahrten Entwicklungsreihe ausgeführt. Die Reihe A, welche ich 
hier benutze, schliesst sich der Reihe G, welche den über Furchung 
gemachten numerischen Bestimmungen zu Grunde lag, der Art an, 
dass A9 der Stufe G9 entspricht, d. h. beide geben den Embryo in 
seinen ersten Anfängen. Dagegen ist die im Zimmer zur Entwicklung 
gebrachte Reihe G der im Freien entwickelten Reihe A etwas voraus- 
geeilt. Die in der Reihe vorhandenen Unterbrechungen rühren daher, 
dass mir einige Präparate zu Grunde gegangen sind. Zum Aufheben 
der Präparate wurden die Eier erst auf wenige (2—3) Tage in Chrom- 
säure gelest, und dann der Theil, welcher den Keim oder den Embryo 
enthält, mit dem Rasirmesser abgetragen. Beim Härten der ganzen Eier 
wirkt die Kapsel verunstaltend auf den Embryo. 

Nachdem die Umwachsung des Eies vollendet ist, erscheint der 
Embryo als ein schmaler Streifen, der im Bereich des Vorderkopfes 
ringsumher frei ist, im Bereich des Hinterkopfes aber und des Rumpfes 
dem Dottersacke aufsitzt. Der Kopf ist etwas breiter als der Rumpf 
und enthält, ausser dem bereits gegliederten Gehirn, die Augenblasen 
und die Gehörblasen, letztere durch leichte Anschwellung kenntlich. 
Der Rumpf zeigt bis gegen das hintere Ende hin die Urwirbelglie- 
derung. Neben der die Rumpfanlage bezeichnenden Leiste sind die 
ersten Spuren der Brustflossen bemerkbar. 

Nach einigen Tagen hat sich auch der Schwanz abgegliedert, 
dessen vorderes Ende von der Zeit an bestimmbar ist, da ein After 
vorhanden ist. Die Schwanzbildung und die Bildung des Afters be- 
fuhen auf einer zunehmenden Abschnürung des Hinterleibes vom 
Dottersacke; der Schwanz, einmal angelegt, ist ruderartis abgeplattet 


und pflegt, bei gleichzeitiger Krümmung des Embryonalkörpers, auf der 
einen Fläche zu liegen. 


von Knochenfischen bes. über diejenige des Salmens. 31 


Ueber das Volumwachsthum geben obige Zahlen natürlich keinen 
Aufschluss. Das Volum eines 40fach vergrösserten Wachsmodells von 
einem Fische der Reihe A vom 31. Tage bestimmte ich zu 265 Cub.®“, 
was für das unvergrösserte Thierchen 4.14 Cub.”” ergiebt. Nehmen 
wir das Anfangsvolum des Keimes = 0.25 Cub.”” so beträgt das 
mittlere Tageswachsthum vom 1. bis 31. Tage 0.133 Cub.”®. Allein 
das absolute Volumswachsthum ist während dieser Zeit nicht stetig 
dasselbe, es steigt besonders in der zweiten Hälfte bedeutend an, wie 
schon die grobe Besichtigung der Grössenzunahme der Fische ergiebt. 
Legen wir die pg. 5 bestimmten Näherungswerthe für das Anfangs- 
wachsthum zu Grunde, und setzen wir das Wachsthum des Keimes 
vom 1.—9. Tage zu 0.25 Cub.””, so ergiebt dies ein Tageswachsthum 
von 0.028 Cub.”®, d. h. nur etwa !/; des obigen Werthes. 

Längenwachsthum. Die Tabelle, einen Zeitraum von etwas 
über 4 Monaten, d. h. die gesammte Embryonalzeit bis zur Aufzehrung 
des Dottersacks umfassend, zeigt ein stetig fortschreitendes Längen- 
wachsthum. In den 120 Tagen, vom 20. bis 140., ist die Länge eines 
Fischehens um 2%”, gewachsen, d. h. im Mittel täglich um 0.166", 
Indess haben während dieser Zeit Perioden rascheren und solche 
langsameren Wachsthums mit einander gewechselt. In Folge der 
individuellen Unregelmässigkeiten und theilweise auch der Messungs- 
fehler sind in der Tabelle die Zuwachse von einem Tage zum andern 
ziemlich ungleich. Eine brauchbarere Tabelle erhält man bei Benutzung 
der Differenzen von je mehreren Tagen und bei Berechnung der bezüg- 
lichen Tagesmittel. Darnach beträgt: 


Die Zunahme. Tassernittel, 
In den: mm mm 
6 Tagen v. Beginn d. 12. bis Beginn d. 18. Tages 3.3 0.55 
De. I: 18. $ DA. 0.7 0.116 
BE: u 24. . SNUREEE 1.8 0.30 
DE. % 30. a 3DK. 5, 1.6 0.32 
6, ® 35. a; Aller, 1.2 0.20 
DI =.. N 41. x A 1.9 0.316 
tn $ AT. .; 54. „ 1.8 0.26 
BR, # 54. s, 62.0,,; 2.1 ı 0.251 
15; ,, S 62. i; Tee 3.4 0.22 
(Fe h 17. % 140. „ 5.8 I: 0.09 


32 Hıs. Untersuchungen über die Entwickelung 


Wir können dieser Tabelle zufolge 4 Perioden auseinander halten: 


Die erste vom 12.—18. Tage ist die Periode der raschesten Körper- 
verlängerung, allein sowohl der totale, als der Tageszuwachs dieser 
Zeit sind nicht der Ausdruck wirklicher Neubildung, und können nach 
den früheren Mittheilungen über die Art der Körperzusammenfügung 
nicht mit den Zuwachswerthen der nachfolgenden Zeiten in eine Linie 
gestellt werden. 


Auf die Umwachsung des Eies folgt eine kurze Periode mit ge- 
rinsem Tageswachsthum. Zeitlich fällt das Ende derselben zusammen 
mit der Entstehung und der beginnenden Thätigkeit des Herzens. Von 
der 4. bis zur 11. Woche folgt eine Periode regelmässigen Wachsthums, 
während welcher das mittlere Tageswachsthum von 0.2 bis 0.32 7 
beträgt. Später, mit zunehmender Erschöpfung des aus dem Ei mit- 
gebrachten Nahrungsvorrathes nimmt das Tageswachsthum wiederum 
erheblich ab. 


Das Längenwachsthum vertheilt sich ungleichmässig auf die drei 
Hauptabtheilungen des Körpers. Aus der Vergleichung der Kopflänge 
mit der Gesammtlänge ergiebt sich, dass im Allgemeinen der Kopf 
im Längenwachsthum hinter den übrigen Körperabtheilungen etwas 
zurückbleibt, in der 4. Woche bildet er annähernd !/,, in der 11. nur 
noch !/, der Gesammtlänge. Zu demselben Ergebnisse führt die Ver- 
gleishung der Kopf- mit der Rumpflänge. Auch hier ist die Verhält- 
nisszahl im Beginn der 4. Woche mehr denn noch einmal so klein, 
als in der 10. und 11. Woche, sie beträgt am 24. Tage 1.47, am 77. 3", 
Verhältnissmässig am raschesten wächst der Schwanz. Der Kopf ist 
vom 24. Tage zum 77. auf das 1.7fache gewachsen, der Rumpf auf 
das 4fache, der Schwanz auf das 5.6fache. Das Zurückbleiben des 
Kopfes hängt theilweise damit zusammen, dass seine Theile eine Zeit 
hindurch näher zusammengeschoben werden, ein Punkt, auf welchen 
wir unten zurückkommen werden. Bemerkenswerth ist der Gang des 
Wachsthums in der Zeit zwischen 77 und 140 Tagen. Da wächst, 
wie man sieht, der Kopf um 2.6”“ oder um 81 %, der Schwanz 
um 2.3”” oder um 34.3 %, der Rumpf aber nicht einmal um 1”” 
d.h. nur um wenige Prozente. Dafür holt nun der Rumpf im 
Diekenwachsthum reichlich ein, was er hinsichtlich des Längenwachs- 
thums versäumt. — Die Urwirbel und die aus ihnen entstandenen Mus- 
kelscheiben verbreitern sich, entsprechend dem Längenwachsthum des 
Rumpfes und des Schwanzes; im Allgemeinen ist ihr Durchmesser 
vorne geringer als hinten. Auch gliedern sich, wie bei andern 
Wirbelthieren, die hintersten Urwirbel zuletzt ab; dagegen liegt kein 


von Knochenfischen bes. über diejenige des Salmens. 33 


Grund zur Annahme vor, dass nach einmal abgegliedertem Schwanz 
neue Urwirbel gebildet werden. 

Am Schädel eilt die Schnauze im proportionalen Wachsthum den 
übrigen Theilen voraus. Mit 77 Tagen misst das Kopfstück vor dem 
Auge 0.4”® der Rest 2.8, mit 140 Tagen das vordere Stück 1.2, 
das hintere 4.6” d. h. es nimmt jenes um 200 %, dieses um nur 
64 % an Länge zu. 

Auch in Betreff der Beeikehiahiid stellt sich die Sache für den 
Kopf etwas anders als für den Rumpf. Der Kopf ist stets breiter als 
der Rumpf (dieser wieder breiter als der Schwanz). Die grösste 
Kopfbreite fällt in die Gegend der Augen. Die Bestimmung der 
Rumpfbreite geschah bei meinen Messungen am hücken hinter der 
Brustflossengegend. Das Verhältniss der grössten Kopfbreite zur Rumpf- 
breite beträgt zwischen 19—25. Tag 2.17—2.25:1; später steigt die 
Verhältnisszahl bis 2.5, ja am Ende der 11. Woche bis 3. — Dann 
aber holt der Rumpf wieder einen Theil des Vorsprungs ein, den 
der Kopf hatte, und mit 140 Tagen haben wir das Breitenverhältniss 
ES 

Die Kopfbreite steigt: 

vom 19. zum 77. Tag auf das 4.15fache 
LO LAU: ee s646tache, 
Die Rumpfbreite: 
vom 19. zum 77. Tag auf das 4fache 
19.2, 1077; 165, u 8fache. 


Der Augapfel wächst erst langsam, dann etwas rascher und in 
der letzten Periode wiederum langsam. 
Sein Durchmesser nimmt zu 


” 


mm mnı 


In den 10 Tagen vom 19.—29. um 0.1, d.h. im Mittel täglich um 0.01 


22.2 2, „ 29.—51. „ 0.4, “ 4 es 0018 
20: ;, „sol 01, ©... 0.48, S; u: ns RAD: 
ld. 2, „ 17.—140. „ 0.45, 5 R 5 OUUT 


Vom 19. bis zum .77. Tage ist er auf das 3.37fache, bis zum 
140. Tage auf das 4.ö5fache angewachsen. 

Im Bereich des Kopfes finden Verschiebungen in dem Sinne 
statt, dass die Theile des Hinterkopfes denen des Mittelkopfes sich 
nähern. Der Abstand zwischen dem hinteren Rande des Mittelhirns 
und dem vorderen Kopfende beträgt in der 4. Woche 0.93— 0.95”, 


derjenige des vorderen Randes der Gehörblase von vorn beträgt in der 
Zeitschrift f. Anatomie. Bd. T. 3 


34 Hıs. Untersuchungen über die Entwickelung 


4. Woche 1,15%®, im Beginn der 6. Woche beträgt jener 1.4, dieser 
12”, d. h. die Gehörblase liegt noch immer ca. 0.2”” hinter dem 
Mittelhirn. Später lassen sich wegen grösserer Undurchsichtigkeit 
der Theile die Maasse nicht mehr unmittelbar nehmen, dagegen 
lassen sich äusserlich, sowohl der eine, wie der andere Ort erkennen. 
Das Ende des Mittelhirns und der Anfang des Cerebellum sind an 
einer queren Einsenkung erkennbar, der Ort des Gehörorganes ist 
bestimmt durch die äusserlich wahrnehmbaren Grenzen von Operculum 
und Praeopereulum. Der bogenförmige hintere Rand des Operculums 
reicht oben bis zu einer vertikal verlaufenden Rinne, die die Gränze 
des zukünftigen Praeoperkels bestimmt. Im Berührungsgebiete beider 
liegt das Gehörorgan (äusserlich durch eine rundliche Anschwellung 
markirt). Die Rinne aber, welche den hinteren Rand des Mittelhirns 
bezeichnet, liegt senkrecht darüber. 

Uebrigens tritt noch auffälliger als bei der äusseren Betrachtung 
der Embryonen die im Bereiche des Hinter- und Mittelkopfes ein- 
tretende Verschiebung am Gehirn selbst zu Tage, wie bei dessen Be- 
schreibung sich ergeben wird. In einem späteren Aufsatze gedenke 
ich hierfür Abbildungen vorzulegen, und dann auch die äusseren so- 
wohl, als die inneren Formumbildungen eingehender zu erörtern. Für 
diesmal lasse ich nur noch meine Beobachtungen folgen über das 
erste Auftreten von Nebenkeimzellen. 


Vorgänge in der Rindenschicht. — Auftreten von 
Nebenkeimzellen. 


Die Eigenschaften der Rinde des Lachseies sind in meiner oben 
eitirten Monographie beschrieben worden. Unter dem Keime und 
an dessen Peripherie häufen sich, wie wir wissen, grosse farbige 
Kugeln reichlich an. Die Rinde bietet in Folge dessen an senkrechten 
und noch mehr an Flachschnitten ein areolirtes Ansehen. Grosse helle 
Räume von 40—100 u Durchm. sind geschieden durch Brücken einer 
kernreichen, nur mässig trüben Substanz; da und dort begegnet man 
auch grösseren mit Kernen dicht erfüllten Kugeln. Nach Aussen zeigt 
sich die Rindenschicht des Eies durch eine sehr scharfe Contour 
abgegrenzt, die wohl der Ausdruck einer zarten Verdichtungs- 
schicht ist. 

Die Veränderungen, welche im Bereich der Rindenschicht vor 
sich gehn, sind nun folgende: 

1) Ein Theil der Kerne zerfällt in kleinere Körner. Besonders 


von Knochenfischen bes. über diejenige des Salmens. 35 


entwickelt -sich eine Schicht von solchem Kerndetritus un- 
mittelbar unter dem Keime, und sie liefert dem Keime ein, 
während der ersten Entwickelungszeit nachweisbar LIE 
Nahrungsdepot. 


In einem Theil der Kerne erscheinen Gruppen kleiner glänzen- 
der Punkte, in andern sieht man helle kuglise Räume auf- 
treten, theils einzeln, theils in ganzen Haufen (Taf. I. Fig. 1—4, 
Taf. II. Fig. 7). Beide Formationen gehören einer und der- 
selben Reihe an, und sie sind durch Zwischenglieder verbunden, 
d. h. es sind die erst erwähnten glänzenden Punkte der einen 
Kerne identisch mit den etwas grösseren hellen Räumen der 
andern. Mit dem Auftreten der hellen Räume vergrössern 
sich die Kerne. Die Formen, die sie annehmen, sind viel- 
fach die von zerfliessenden Tropfen und in.der That scheinen, 
die also veränderten Bildungen nach der Art zäher Flüssig- 
keiten zusammenzufliessen und wiederum sich zerspalten zu 
können. Offenbar handelt es sich bei den geschilderten Ver- 
änderungen der Rindenkerne um Zersetzungsvorgänge regres- 
siver Natur. 


Ein Theil der Kerne bleibt lange Zeit hindurch frei von den 
beschriebenen Veränderungen. 


An der Oberfläche der Rindenschicht entwickelt sich in nächster 
Umgebung des Keimes eine trübe, körnig aussehende Zone, in 
welcher die Rindenkerne nur noch vereinzelt aufgefunden 
werden, und welche hierdurch, sowie durch ihre grössere Un- 
durchsichtigkeit sofort von der übrigen Rinde sich abhebt. 
Durch Carmin und durch andere Farbstoffe wird sie intensiver 
als ihre Umgebung gefärbt. Im Beginn des 2. Tages p.f. noch 
fehlend, erscheint sie während dessen Verlauf; am Anfang des 
3. Tages ist sie als dünne ringförmige Platte vorhanden, und 
sie nimmt während der folgenden Tage an Mächtigkeit zu 
(Taf. I. Fig. 1—4). Der innere Rand der Platte ist verjüngt, 
und schiebt sich auf kurze Strecken unter den Keim; der 
äussere endigt zugeschärft. Ihre grössere Mächtigkeit besitzt 
sie in einer Entfernung von 0.9 bis 1” vom Mittelpunkt 


1) Nicht zu verwechseln mit Rindenbestandtheilen sind geronnene Tropfen 


des flüssigen Dotters. Dieselben können, da die gerinnende Substanz helle 
Lücken umschliesst, Strueturelemente simuliren. Wer sich indess die Gerinnungs- 
bilder mit ihrem eigenthümlichen Gegensatz verschieden lichtbreehender Sub- 
stanzen gehörig eingeprägt hat wird der Täuschung nicht anheim fallen. 


3* 


36 Hr. Untersuchungen über die Entwickelung 


des Keimes. - Einmal angelest erweitert sich die trübe Zone 
nieht in nennensweriher Weise und sie wird daher in der 
Felse von der auswachsenden Keimschebe überlagert (Taf. II. 
Fie. 13). 


Ich bezeichne die beschriebene Zone als Keimwall, da sie, 
wenn auch nicht m allen. so doch in gewissen Hauptpunkten mit 
dem Keimwall des Hühnereies übereinstimmt. Während der frühesten 
Entwickelungssiufen lassen sie schen bei mässigen Vergrösserungen helle 
runde Räume in ihrem Innern erkennen (Taf. L Fig. 2), später wird 
ihr Gefüge dichter und nur mit Hülfe starker Systeme selanst man 
zur Ueberzeusung, dass sie einerseits noch grössere Lückenräume um- 
schliesst, andererseits aber aus einem Gewirre feiner Fäden sich auf- 
baut, die am ehesten den Fäden seronnenen FaserstofSss zu vergleichen 
sind Sobald sich überhaupt die Substanz des Keimwalles von ihrer 
Umgebung geschieden hat, werdem Zellen in ihr sichtbar, erst verein- 
zeit, dann aber in zunehmender Menge. Jede derselben umschliessen 
einen oder mehrere helle, in der Regel ovale Kerne. und besteht aus- 
serdem aus einem sehr schmalen, in kurze Zacken auslaufenden Pro- 
toplasmahofe. Die Dimensionen der Zellen sind gerins, 9—15 u, 
die ihrer Kerne 7—12 u, sie ändern sich nicht während der 
ersten paar Tage. Dagegen findet man nach Ablauf der ersten Woche 
und nach dem Auftreten der erster Embryonalanlage grössere Formen, 
die nunmehr auch weit schärfer als die zuerst vorhandenen Zellen 
umsäumt sind Taf IL Fie. 7 zeigt solche Zellen zum Theil bereits 
in Keiien angeordnet unter der Keimscheibe eines Eies vom 13. 
Tage r. £ 

Woher stammen nun die frasliehen Zellen? sind sie Abkömmlinge 
des Keimes, oder sind sie aus Bestandtheilen der Binde hervorge- 
sangen? Sehon der Ort ihres ersten Auftretens ausserhalb, ja in 
emiser Entfernung vom Keime spricht dafür, dass sie der Rinde ent- 
stammen. Gegen ihre Zusammengehöriskeit mit dem Keime lassen 
sich überdies folsende Gründe geltend machen: 

Die Zellen treten zu einer Zeit auf, wo die Furchunsskugeln noch 
sehr sross sind und ein Volum besitzen, das dasjenige der Keimwall- 
zellen um das 2—-400%che übersteigt. In den Figuren 5 und 6 der 
Ta£ II. habe ich bei derselben Vergrösserung mit System XII eine Fur- 
ehungskugel und em zellenhaltiges Stück des Keimwalles gezeichnet: 
daran treten die Unterschiede in der Grösse und im sonstigen Aussehen 
beider. Zellenarten ohne Weiteres zu Tage. Solken die Keimwall- 
zellen nur verimte Furchungskugeln sein, so könnten sie jedenfalls 


von Knochenfischen bes. über diejenige des Salmens. 37 


nur Spaltungsproduete einer ganz andern Ordnung sein, als alle die 
übrigen im Keime vorhandenen Elemente. Die Keimwallzellen sind abze- 
sehen von der Grösse auch durchihre übrigen Charaktere von den Furehungs- 
zellen völlig verschieden. Während bei diesen die äussere Abgren- 
zung eine scharfe ist, ist sie bei jenen eine unbestimmte; während 
bei diesen der Kern einen kleinen Bruchtheil des Ganzen bildet, ist 
bei jenen der Protoplasmahof ausnehmend gering; während bei diesen 
eine hyaline Aussenzone vorhanden ist, ist bei jenen Nichts der Art 
zu bemerken. Während ferner bei diesen die Theilung zu einer zuneh- 
menden Verkleinerung führt, sehen wir jene von ihrem ersten Auftreten 
ab, innerhalb Dimensionssrenzen schwanken, die für eine Reihe von 
Tagen dieselben bleiben. Auf die späteren Schicksale dieser Zellen 
und auf ihre Beziehungen zur Embryonalanlage gehe ieh für diesmal 
nicht ein. Das Mitsgetheilte muss genügen, den Keimwallzellen eine 
selbständige Stellung anzuweisen; dann selbst dann, wenn man ihre 


Abstammung von der Rinde noch in Zweifel ziehen will, bleibt es 


nöthig, für sie und für ihre Producte einen besondern Namen zu 
besitzen. Ich werde sie daher, im Anschluss an meine frühere Na- 
mengebung parablastische oder Nebenkeim-Zellen nennen. 

Die eben beschriebenen Zellen der Dotterrinde sind zu leieht zu 
beobachten, als dass sie nieht schon öfters gesehen und beschrieben 
worden wären Mehrere Autoren. welche dieselbe erwähnen, glauben, 
dass sie zur Bildung des Darmdrüsenblattes dienen. Schon €. Vost 
giebt eine Beschreibung von Zellen !), die unter dem Embryo liegen 
und die keine geschlossene Fläche bilden. Indess ist aus seiner Dar- 
stellung nicht mit Sicherheit zu entnehmen, ob er wirklich die oben 
erwähnten Zellen meint. Sehr klar ist dagegen die Darstellung von 
LEREBOULLET.?) Unter dem Namen einer Couche sous- blastodermique 
führt er Zellen ein, die er, im Gegensatz zu den Keimzellen, direet 
aus den kuglisen Elementen des Nahrungssdotters ableitet. Er sagf, 
dass sie in Abständen von einander stehen, dass Fetttropfen mit 
ihnen in derselben Schieht liegen, und dass sie im Uebrigen in eine 
amerphe, durch Säuren evagulirbare Substanz eingebettet ind LE- 
REBOULLET leitet von diesen Zellen das Darmdrüsenblatt ab. 

Später hat KuPFFER bei seinen Beobachtungen an Gasterosteus 
und Spinachia eine Schieht von Zellen aufgefunden, welche ausser- 
halb des Keimes liegen, und die, wie er glaubt, frei im Dotter ent 


2) VosrL e. p-. 152. 
2) LEREBOTLLET, Embryelogie du brochet. M&m. des savants &irangers 1353, 
p- 494. Taf. I Fig. 32. 


38 Hıs. Untersuchungen über die Entwickelung 


standen sind. Ob dieselben zum Darmdrüsenblatte werden, lässt er 
unentschieden }). 

Neuerdings hat in einem besonderen kleinen Aufsatze van BAm- 
BECKE ?) die Rindenschicht unter dem Keime als Couche inter- 
mediaire beschrieben. Auch er hebt hervor, dass dieselbe nicht an 
der Fürchung Theil nimmt, dass sie aber gleichwohl Zellen enthält 
mit ovalen Kernen, und dass diese Zellen von den Furchungselementen 
durch ihre geringere Grösse sich unterscheiden. v. BAMBECKE unter- 
scheidet an seiner Couche intermediaire einen Randwulst und eine dünne 
Mittelplatte. Aus letzterer soll das Darmdrüsenblatt hervorgehen. 

Ehenso beschreibt und zeichnet OwsJAnnıKow von Corregonus la- 
varetus Zellen „des Nebenkeimes“ deren Ursprung er in den Dotter ver- 
setzt, und die er ausdrücklich für entsprechend den von mir beim 
Hühnchen beschriebenen Nebenkeimzellen erklärt. Der Referent im 
medicin. Centralblatte (No. 13. 1875) nennt als OwsJanxıkow’s Vor- 
gänger GOETTE*). Dies isf ein Irrthum, denn GOETTE, obwohl be- 
kannt mit den früheren Angaben, verwirft die ausserhalb des Keimes: . 
liegenden Zellen rundweg und anerkennt keine andere Grundlage der 
Keimblätter, als die aus dem gefurchten Keim hervorgegangenen. 

Von den Beobachtern der Wiener Schule haben sowohl Weit °): 
als RiENEcK®) die Zellen der Dotterrinde übersehen. 

OELLACHER?) dagegen kennt sie sehr wohl und bildet sie auch 
wiederholt ab. Die Geschichte die er davon giebt beruht indess we- 
niger auf Beobachtung, als auf der Voraussetzung, dass auch sie vom 
gefurchten Keime abstammen müssen. Er stellt sich vor, es wären. 
Furchungszellen, die bei der Bildung der Keimhöhle aus dem Keim 
in den Dotter herabgefallen seien, und die sich in dessen oberfläch- 
liche Schicht eingegraben hätten. Uebrigens nimmt er an, und darin 
stimme ich mit ihm überein, dass sie später in den Keim einwandern. 
Nach dem oben gegebenen Nachweise von dem frühen Auftreten der 
Nebenkeimzellen ist die OELLACHER’sche Vermuthung nicht weiter 
haltbar. An die eigentliche Entstehungsgeschichte der Nebenkeim- 


I) KvupFrer in M. Schultze’s Archiv. Bd. IV. p. 217 Taf. XV. Fig. 1. 

2) Comptes rendus 1872. Bd. LXXIV. p. 1056. 

3) OWSJANNIKOW, Bull. de !’Acad. de St. Petersb. tom. XIX. pg. 225 u.f. 

4) GÖTTE ]. c. p. 700. 

S)AWerm,1.e. p.23: 

6) RIENEcK, Ueber die Schichtung des Forellenkeimes.. M. Schultze’s 
Archiv. Bd. V. p. 356. 

7) ÖELLACHER |]. c. pag. 12; in den Figuren seiner Tafeln sind die frag- 
lichen Zellen mit Z’ und Z” bezeichnet. - 


von Knochenfischen u. s. w. 39 


zellen vermag ich selbst Nichts beizutragen. Die Salmen- und die 
Forelleneier sind bei der unvollkommenen Gliederung ihrer Rinden- 
schicht kein geeignetes Material zu deren Verfolgung. Nur auf den 
einen Punkt mache ich aufmerksam, dass da, wo im Keimwall die 
neuen Zellen auftreten, die eigentlichen Rindenkerne schwinden. 


Erklärung der Abbildungen. 


Die Figuren beider Tafeln sind mit dem Hartnack’schen Zeichnungsprisma 
aufgenommen. Die in Klammern beigesetzten römischen Ziffern bezeichnen 
das angewendete System. Die zugehörigen Maassstäbe sind am Fusse der 2. 


Tafel verzeichnet. 


Fig. 1. Lachskeim, nebst einem Theile der Rindenschicht, vom ersten 
Tage nach der Befruchtung. S. VII. 

F Furche. 

Dk Dotterkerne, in der Rindenschicht des Keimes liegend. 

V helle Vacuolen. 

R Rindenschieht mit Kernen und mit Vacuolen verschiedener Grösse durch- 
setzt. Diese sowohl, als die im Keime liegenden Vacuolen entsprechen den far- 
bigen Tropfen des frischen Eies, welche durch die vorangegangene Behandlung 
des Präparates entfärbt, oder aus ihren Fächern entfernt sind. 


Fig. 2. Lachskeim nebst Umgebung im Beginne des 3. Tages p. foec. 
SEN IT. 

Fk Furchungskugeln mit hellerem Saum und peripherisch liegenden Dot- 
terkörnern. 

Dk Körner aus dem Zerfall der Dotterkerne hervorgegangen. 

R% Rindenkerne. 

m. Fk metamorphosirte Rindenkerne. 

Kw Keimwall mit hellen Räumen im Innern einer feinkörnigen Masse. 


Fig. 3. Lachskeim nebst Umgebung im Beginn des 4. Tages. S. VII. 
Buchstaben wie oben. 
Kh Lücken unter dem Keim als Vorläufer der Keimhöhle. 


Fig. 4 Lachskeim nebst Umgebung im Beginne des 5. Tages. S. VII. 
Buchstaben wie oben. 


Taf: II. 


Fig. 1. Lachskeim nebst Umgebung aus dem Beginn des 6. Tages. S.IV. 
D Deckschicht. 
G Gewölbtheil. 


40 His. Untersuchungen über die Entwickelung von Knochenfischen ete. 


F Füllungsmasse. 

Kw Keimwall. 

Kh Anfänge der Keimhöhle. 

R Rindenschicht mit ihren Kernen. 


Fig. 2. Lachskeim nebst Umgebung aus dem Beginn des 7. Tages. S.IV. 
O Obere Keimschicht. 
U Untere Keimschicht. 

Uebrige Bezeichnungen wie oben. 


Fig. 3. Lachskeim nebst Umgebung aus dem Beginn des 8. Tages. S.IV. 


Fig. 4 Frische Keimzellen. 

a. Vom 3. Tage nach der Befruchtung. S. VII. 

b. Vom 6. Tage, theils in Ketten zusammenhängend, theils isolirt; die un- 
teren 2 Figuren D’ zeigen die bei der Bewegung vortretenden Buckel der hya- 
linen Randschicht. S. VIII. 


Fig. 5. Keimzelle vom Beginn des 3. Tages S. XII. Sie zeigt die hya- 
line Randschicht und eine netzförmige Vertheilung der Körnermasse (Kitt- 
präparat). Hauptzweck dieser Figur ist die Vergleichung mit ° 


Fig. 6., welche ein Stück vom Keimwall desselben Präparates und mit 
demselben Systeme XII gezeichnet wiedergiebt. In der feinkörnigen Masse % 
liegen ausser den Vacuolen 7 die parablastischen Zellen Z, meist mit ovalem 
Kern und mit unscharf abgegrenztem körnigen Zellkörper. 


Fig. 7. Ein Stück von dem Rand des Keimes mit Umgebung vom 
13, Ragep. f 

Rw Randwulst des Keimes mit seinen 2 Schichten. 

Ms Mittelscheibe. 

R% Rindenkerne. 

Pb helle parablastische Zellen, theils ein- theils mehrkernig, zum Theil 
in Ketten hintereinanderliegend. Auf der rechten Seite der Figur ist die ur- 
sprüngliche Keimwallgegend an ihrer grösseren Durchsichtigkeit erkennbar. 


Ueber das Hüftgelenk, 


nebst einigen Bemerkungen über Gelenke überhaupt, insbesondere 
über das Schultergelenk. 


Von 
Hermann Welcker in Halle. 


Von dem Ideale SOEMMERRING’s, der, jenen oft citirten Worten 
zufolge, ein Handbuch zu liefern wünschte, an dem man künftig, „als 
einer Basis, nach Erforderniss leicht ändern, wegnehmen und zu- 
setzen könnte“ — so dass mithin die Summe der descriptiven 
Anatomie in gesicherter Fassung allmählich zusammen 
käme — von diesem Ideale sind wir, so viele Handbücher inzwischen 
erschienen sind und neue Standpunkte für die Betrachtung eröffnet 
wurden, noch weit entfernt. Sieht man näher zu, so findet man häufig 
genug in Angelegenheiten der gröberen Anatomie, an Stellen, wo 
längst volle Sicherheit erwartet werden dürfte, erhebliche Ineongruenzen 
der Schilderungen, oftmals ohne den leisesten Hinweis der späteren, 
abweichenden Darstellung auf die frühere und ohne eine nähere Be- 
gründung dieser Abweichungen. Ich gebe zu, dass dergleichen Hin- 
weise und Begründungen leicht lästig und schleppend werden; indessen 
handelt es sich doch um ein endliches Vollenden eines geschlossenen 
und sicher stehenden Baues, und es ist darum scharf zuzusehen und 
offen zu legen, wie jeder neu zugetragene Baustein sich zu den älte- 
ren, bereits fest oder probeweise eingefügten, schicken möge. 

Jenes gemeinsame, sich zusammenschliessende und zu sicherem 
Abschluss führende Arbeiten der einzelnen Forscher, wie es SoEM- 
MERRING vorschwebte, fehlt vielleicht nirgends so sehr, als heutiges- 
tags in der gröberen Anatomie. Oftmals gehen die Handbücher an 
wichtigen Angaben der vorzüglichsten Forscher ohne ein Zeichen der 


42 WELCKER. 


Zustimmung oder des Widerspruches vorüber; anderemale freilich 
schleppen sich unrichtige Angaben decennienlang von Buch zu Buch. 
Revisionen in dieser Richtung sind meist wenig dankbar. Hat man 
eine unsichere Stelle in den Handbüchern entdeckt und sich auf die 
Rechtstellung derselben eingelassen, eine grosse Zahl von Textstellen 
verglichen, eine Reihe vielleicht umständlicher, auf den bestimmten 
Punkt gerichteter Zergliederungen ausgeführt, so findet es sich nicht 
selten zum Schlusse, dass das gewonnene Ergebniss, annähernd oder 
ganz, in irgend einer der einander entgegenstehenden Schilderungen 
bereits mitgetheilt ist, ohne dass freilich der Leser darum hätte erken- 
nen können, dass gerade diese Angabe die richtige sei. Die Aufgabe 
des Forschers schrumpft nun dahin zusamnıen, meist ohne eine eigene 
Entdeckung aufweisen zu können, auf die Angaben der Vorgänger 
referirend und kritisch einzugehen — eine für den Autor ausser- 
ordentlich wenig lohnende, wenn auch für die Wissenschaft unerläss- 
liche Leistung. 

Das hier Gesagte findet auf mehrere Punkte desjenigen Capitels, 
dessen Revision dieser kleine Beitrag gewidmet ist, volle Anwendung. 
Die Kapsel des Hüftgelenkes und die sie verstärkenden Faserzüge 
werden in den Handbüchern so verschieden dargestellt, dass bei der 
physiologischen und chirurgischen Wichtigkeit dieses Bandapparates 
eine erneute auf anatomische Untersuchung gestützte Sichtung wohl 
am Orte ist. Die Bezeichnungen: Lisamentum superius, iliofemorale u.a. 
werden in ganz verschiedenem Sinne gebraucht; selbst über die Rich- 
tung und Ansatzweise des stärksten und mithin die Bewegungen des 
Schenkelbeines wesentlich bestimmenden Faserzuges der Kapsel gehen 
die Angaben auseinander. Nicht minder widersprechend sind die 
Schilderungen des Ringbandes (Zona orbicularis), dessen Bedeutung 
für die Gehbewegungen, wie für die Luxationen des femur, doch ohne 
Zweifel eine erhebliche ist. 

Wesen und Bedeutung des Lig. teres sind trotz vieler wider- 
sprechender Angaben noch immer unaufgeklärt. Hier und in ähn- 
lichen Fällen giebt es nur Einen zum Ziele führenden Weg: die 
wiederholte, die verschiedenen Angaben im Auge hal- 
tende und sie prüfende anatomische Zergliederung. 


Ueber das Hüftgelenk ete. 43 


I. Längsfaserzüge der Hüftgelenkkapsel. 


Art und Weise der Abgrenzung der Längsbänder. — Zerlegung des We- 
ber’schen „Lig. superius“ in ein Lig. iliofemorale superius und anterius. — 
Irrige Angaben über Lage und Richtung der stärksten Faserzüge der Hüft- 


kapsel. — Verschiedenheit der Funktion des Lig. ileofemorale superius und an- 
terius. — Lig. pubofemorale. — Lig. ischiofemorale (an Stelle des ischiocapsu- 
lare der Autoren). — „Torsion‘ der Hüftkapsel. — 


Bewegt man an einem Hüftstücke, dessen Kapselband blossgelegt 
ist, das femur hin und her, so bemerkt man, dass bei bestimmten 
Stellungen einzelne Faserzüge der Kapsel sich vorzugsweise spannen 
und strangartig vortreten; man erkennt, dass bestimmte Bewegungen 
des Schenkelbeines durch diese Faserzüge gehemmt werden. Die Be- 
srenzung dieser Hemmungsbänder, zumal die Breite derselben, 
mag, indem zwischen je zweien derselben stets intermediäre Faser- 
züge eingeschaltet sind, die nach Lage und Wirkung den vorigen 
sich zwischenordnen, einigermaassen arbiträr sein; doch scheint es 
mir, dass die Richtung und Insertion derjenigen Stränge, die den 
Namen besonderer Verstärkungsbänder oder Hemmungsbänder 
verdienen, wenig Streitiges haben könne. r 

Zur Feststellung dieser longitudinalen Stränge verzeichnete ich 
auf dem Kapselbande, indem ich dasselbe durch möglichste Streckung 
des femur stark spannte, mit einem Farbstifte eine Längslinie auf 
jeden der Faserzüge, welche sich am meisten spannten: ich erhielt 
vier solcher Linien. Der Schenkelkopf wurde sodann bei gebeuster 
und etwas abducirter Haltung des femur (sitzende Stellung mit ge- 
spreizten Beinen) aus der Pfanne gezogen und die nun schlaffe Kapsel 
durch Zug am femur möglichst gespannt: es erheben sich hierbei 
vier mehr oder weniger stark vortretende Stränge — es sind die- 
selben, welche bei dem ersten Versuche durch Linien bezeichnet 
wurden. Hiernach dürften folgende vier Hemmungsbänder zu 
unterscheiden sein, welche mit den von früheren Autoren beschrie- 
benen in verschiedenem Grade zusammenfallen: 


1. Lig. ileofemorale superius. (Obere und äussere Partie von 
WeBeEr’s Lig. superius.) Vgl. Fig. 1 und 2. (Siehe dieselben nächste 
Seite.) 

Ursprung unterhalb der Spina ant. inf. o. ilei und etwas nach 
aus- und rückwärts. Steigt nach aussen, abwärts und etwas rückwärts 
und inserirt am oberen Ende der vorderen Umdreherlinie (an der Basis 
des trochanter major). Es ist das kürzeste und weitaus dickste 
dieser vier Bänder (gegen 60m lang, 7 bis 14mm dick). Seine Breite — 


44 WELCKER. 


wenn eine solche bestimmter angegeben werden kann — beträgt in 
der Mitte des nach dem Schenkel hin etwas verbreiterten Bandes 
ungefähr 15", 


Fig. 1 und 2. Die 4 longitudinalen Faserstränge der Hüftkapsel; Vorder- und Hinteransicht. 


ifs = lig. ileofemorale superius, 
ifa = lig. ileofemorale anterius, 
pf = !ig. pubofemorale, 


isch. f = lig. ischiofemorale. 


Das lig.ileofem. sup. hemmt die Streckung des Schenkels (beziehungsw. 
die Rückwärtsbeugung des Rumpfes); es theilt diese Funktion mit den 
drei folgenden Bändern, erfüllt dieselbe aber, als das weitaus stärkste, 
am wirksamsten. Es hemmt zugleich die Auswärtsrollung und die Ad- 
duction. Den höchsten Grad seiner Spannung und Elevation erlangt 
dieses Band, wenn das in mittlerer Beugung befindliche femur stark 
nach auswärts rotirt wird. 


2. Ligamentum ileofemorale anterius. (Medialer Theil von 
Weper’s Lig. superius; lig. superius bei HEnke.) Vgl. Fig. 1 und 2. 

Ist das längste der vier Verstärkungsbänder und nächst dem 
vorigen das stärkste. Entspringt unterhalb der spina ant. inf., un- 
mittelbar neben dem vorigen. Steigt ziemlich rein senkrecht und 
etwas nach rückwärts zum unteren Theile der vorderen Umdreher- 
linie, da, wo diese von der inneren Firste der Schenkelröhre getroffen 
wird (etwa 1 Zoll von dem trochanter minor). 


Ueber das Hüftgelenk etc. 45 


Dieses Band ist etwas mehr circumsceript und von seiner Um- 
gebung etwas mehr abgehoben, als das vorige, so dass mit mehr Recht 
eine „Breite“ (10 bis 14”m) angegeben werden kann. Länge 80"m, 
In Folge von Einmischung von Fasern der zona orbicularis, welche 
bei seiner Präparation schräg durchschnitten werden, ist dieses Band 
in der Mitte seines Verlaufes am dicksten, doch auch hier nur 4 bis 
San stark. 

Ep. WEBER!) hat diese beiden Bänder sammt den dazwischen- 
liegenden Fasern als ein einziges, dreieckiges Band, „ligamentum 
superius“, beschrieben, dessen obere Spitze an der spina ant. inf. o. 
lei, und dessen segenüberliegender breiter Rand längs der ganzen 
vorderen Umdreherlinie inserirt, worin ihm die Mehrzahl der Autoren 
folete?). Es lässt sich aber nicht verkennen, dass die zwischen den 
beiden von mir geschiedenen Randpartien des WEBER’'schen lig. supe- 
rius liegende Bandmasse ansehnlich dünner ist, als jene Randpartien . 
— eine THatsache, die auch HEnLE bestätigt®); sodann aber, was 
wichtiger: es wirken diese beiden Abschnitte des WEBER’schen Ban- 
des zweien ganz verschiedenen Bewegungsrichtungen des Schenkels 
als Hemmungsbänder entgegen: das lig. ileofemorale anterius, wie 
bereits bemerkt, der Streckung; das superius der Streckung, der Aus- 
wärtsrollung und der Adduction. Die verschiedene Wirkung beider 
Bänder ergiebt sich schon daraus, dass die Resultanten derselben, wie 
ich hervorheben möchte, zur Längsachse des Schenkelhalses sehr ver- 
schiedene Lagen haben; die des oberen Bandes geht der Achse des 

1) Mechanik der Gehwerkzeuge, 138. 

?) Hente (Bänderlehre, 127) vereinigt unter dem Namen lieg. ileofemorale 
das 'lig. superius WEBER’s und alle übrigen Bandfasern, welehe überhaupt vom 
Darmbeintheile des Pfannenrandes zutreten, so dass der Hinterrand dieses 
lig. ileofemorale unmittelbar bis zum „ischiocapsulare‘“ zurückgreift und die 
Wirkung dieses umfänglicheren Bandes eine etwas gemischte ist (der von HENLE 
hinzugezogene hintere Theil hemmt nämlich die Einwärtsrollung). Ich gebe 
zu, dass diese Hinzuziehung der hinter der spina inferior entspringenden Fasern 
insofern Manches für sich hat, als diese Fasern mit der hinteren Grenze unseres 
lig. ileofemorale sup. innig und ohne Abgrenzung verschmolzen sind und zur 
Hemmung der Extension einen erheblichen Beitrag liefern. Auf die Hemmung 
‚der Abduction haben diese hinteren Fasern geringen, auf die Auswärtsrollung 
absolut keinen Einfluss. 

3) „Abwärts gegen die Schenkelinsertion divergiren die oberflächlichen 
Bündel des lig. ileofemorale; die einen ziehen lateralwärts gegen das obere 
Ende der lin. obliqua femoris, die andern medianwärts zur Wurzel des kleinen 
Trochanter; zwischen beiden Faserzügen entsteht eine dreiseitige 


aufwärts zugespitzte Lücke, die von den tieferen Faserbündeln ausgefüllt 
wird“ (a.a.0©. 128). 


46 WELCKER. 


 Schenkelhalses nahezu parallel; die des vorderen kreuzt dieselbe in 
einem ansehnlichen Winkel (vgl. Fig. 1). 

Hinsichtlich dieser beiden Faserzüge findet sich, zumal in den 
physiologischen Erörterungen, manches Unklare und Widersprechende. 
Da das zweite der von mir unterschiedenen Bänder vermöge seiner 
senkrechten Richtung am reinsten der Streckung des Schenkels ent- 
gegentritt und da es vermöge seines circumseripten Baues dem Auge 
als ein für sich Bestehendes sich abhebt, so ist vielleicht hierdurch 
die Meinung entstanden, nach welcher die grösste Stärke des Kap- 
selbandes in mehreren Darstellungen diesem senkrechten Faserzuge 
zugeschrieben und dieser senkrecht verlaufende Abschnitt des WE- 
BER'schen Bandes als das ganze „lig. ileofemorale“ WEBER’s genommen 
wird. Ich erwähne in dieser Beziehung nur die Angaben von HENKE, 
LuscHhkA und QuAIN-HOFFMANN, denen gegenüber geltend zu machen 
ist, dass das lig. superius WEBER’s seine weitaus stärkeren 
Faserzüge schräg nach dem trochanter major hinübertreten 
lässt, und dass das WEBER’sche Band nur in dieser Richtung jene 
von WEBER hervorgehobene, die Achillessehne überragende Dicke be- 
sitzt, während der mehr senkrechte, herabtretende Faserzug (lig. ileo- 
femorale anterius) weitaus schwächer ist). 


1) Die Angaben, welche dem herabtretenden Faserzuge die grösseste 
Stärke und den Haupteinfluss auf die Fixirung des Rumpfes zuschreiben, sind 
folgende: 

HEnkE (Handb. d. Anatomie und Mechanik der Gelenke, 206): „Besonders 
drängen sich stärkere Fasern zu festen Bandsträngen zusammen gegen das 
untere Ende des vorn an der linea obliqua anterior zwischen Hals und Körper 
des Oberschenkels herablaufenden Ansatzes. Die bedeutendste Masse ist 
das von der spina ant. inf. o. il. gerade herablaufende lig. ileofemorale (superius, 
WeBER).“ Der von Henke beigefügte Holzschnitt (a. a. ©. Fig. 47 — den ich 
in dieser Abhandlung pag. 13, Fig. 7, copirt wiedergebe —) zeigt von dem WE- 
BERr’schen lig. superius nur jenen herabtretenden, schwächeren Faserzug, 
während der weit mächtigere, nach dem trochanter major schräg hinübertretende 
Theil des Bandes (unser superius) durch keine Linie angedeutet ist. — Jener 
„gerade vor dem Gelenkkopfe herabgehende starke Bandstrang“ ist nach 
HENKE (pag. 208) das Hemmungsband der Schenkelstreckung, und ebenso wird 
pag. 210 „der gerade von oben herunterkommende Hauptstrang‘“ in seinem 
Einflusse auf Adductions- und Abductionshemmung hervorgehoben. Ganz ähn- 
lich disponirt HENKE in einer spätern Mittheilung (Text zum Atlas der topo- 
graph. Anat. p. 11) die Faserung der Hüftkapsel: „Ihre stärksten Fasern kommen 
über dem Kopfe und Halse herab von der höchsten Stelle des Pfannenrandes 
und weiter hinten herum und setzen sich am unteren Ende der linea obliqua 
an, bilden also einen sie gerade vor der Mitte des Kopfes senkrecht 
herab verstärkenden Strang, lig. ileofemorale.“ In allen diesen Angaben 
Henke’s geschieht des querlaufenden, weit stärkeren Faserzuges keine Er- 


Ueber das Hüftgelenk ete. 47 


Der sehr verschieden grosse Einfluss, den beide Abtheilungen des 
Weper’schen lig. superius auf die Hemmung der Schenkelstreckung 
und auf die Schenkelbewegungen überhaupt besitzen, tritt sehr klar 
hervor durch folgenden Versuch: An zwei vollständigen Becken, deren 
femora bis zur Hälfte abgesägt sind, entferne man die Gelenkkapseln 
— an dem einen mit ausschliesslicher Hinterlassung der ligg. ileofem. 
superiora, während an dem anderen Becken nur die anteriora 
zurückbleiben. Stellt man das erstere dieser beiden Präparate auf 
einem Stative auf, welches zwei in passender Entfernung senkrecht 
befestigte Eisenstäbe besitzt, auf welchen die Markröhren der femora 
undrehbar niedergeschoben werden, das Becken sieh mithin in nor- 
maler Aufstellung befindet!), so ändert ein sehr kräftiger senkrechter 
Druck auf das Becken, oder ein Versuch, dasselbe nach rückwärts zu 
. ziehen, sehr wenig an dessen Stellung, während das zweite Präparat, 
da die lieg. anteriora weit schwächer sind, bei demselben Drucke 
schon etwas mehr rückwärts gebogen wird. 


Nimmt man die Präparate von dem Stative, so zeigt es sich, 
_ dass an dem einen (Erhaltung der ligg. superiora) ein höherer Grad 
von Adduction bei gestrecktem femur nicht möglich ist, während an 
dem zweiten Präparate die gestreckten Schenkelheine merklich addu- 
cirt werden können. (Unterlässt man es, die Aufstellung auf dem 
Stative so einzurichten, dass die femora undrehbar sind, so drehen 
sich bei fehlenden lisg. ileofem. superiora, wenn auf das Becken ge- 
drückt wird, die Schenkelbeine in Auswärtsrotation.) 


wähnung, und es wird mithin bei der Würdigung der physiologischen Leistung 
des Bandapparates ein theilweise anderes anatomisches Substrat vorausgesetzt, 
als in Wahrheit vorliegt. 

Aehnlich LuscHkA (Anat. d. Menschen, III. 1, 269): „Der mächtigste, 
9 Millim. dicke, einer Belastung von mindestens 5 Centnern fähige Faserzug 
geht als lig. Bertini s. ileofemorale vom vorderen, unteren Darmbeinstachel 
gegen den kleinen Rollhügel herab.“ 

Aehnlich Quaın-Horrmann (Lehrb. d. Anat. I, 206): „Ihr stärkster Theil 
ist vorne; hier erstrecken sich ihre Fasern senkrecht vom oberen Pfannen- 
rande an das untere Ende der linea intertrochanterica und werden durch 
einen festen, von der spina o. il. ant. inf. herkommenden Strang, das lig. ileo- 
femorale s. accessorium anterius, verstärkt.“ 


1) Auch beim Unterrichte erweist sich diese Aufstellung des feuchten Bän- 
derpräparates des Beckens für mehrere Zwecke der Demonstration (Theorie des 
aufrechten Stehens u. s. f.) sehr nützlich. Das Stativ besteht aus einem Brette, 


in welches zwei hinreichend starke Eisenstäbe in passender Entfernung einge- 
lassen sind. 


48 WELCKER. 


3. Lig. pubofemorale (vgl. Fig. 1 und 2). Hier kein nennens- 
werther Widerspruch in den Handbüchern. Entspringt vom pecten 
des Schambeines und jenem Vorsprunge des Pfannenrandes, in welchen 
das pecten ausläuft; steigt nach abwärts, aussen und rückwärts und 
inserirt etwa 1 Zoll hoch oberhalb des trochanter minor, am unteren 
Ende der oberen Umdreherlinie. Dieses Band ist gegen 75”” lang 
und nur 2 bis 3”” diek. Es hemmt. die Abduction. 


Das lig. ileofemorale anterius liest diagonal zwischen dem ileo- 
femorale superius und dem pubofemorale, mit ersterem den Becken- 
ursprung, mit letzterem den Schen- 
kelansatz nahezutheilend, so dassdie 
drei Bänder zusammen ungefähr die 
Gestalt eines N bilden (Fig. 1). 


4. Lig. ischiofemorale 
(vgl. Fig. 3). Entspringt hinten 
am Becken zwischen Pfannenrand 
und Basis des absteigenden Sitz- 
beinastes (aus der Rinne, durch 
welche die Sehne des m. obtu- 
rator externus gleitet) und steigt, 
in nahezu horizontaler Richtung 
nach aussen, oben und vorn, im 
obern Theile der Kollhügelorube 
(unmittelbar neben den dort fest- 
sitzenden Rollmuskelsehnen) in- 
serirend. Die Lage dieses Ban- 
Fig. 3. Die longitudinalen Stränge der Hüft- des ist ziemlich genau zwischen 


Kapsel ENRENSIEN den Endpartien beider Mm. obtu- 
el eolemorals SNEELS ratores. Dasselbe ist 3 bis 4 a 
ifa = lig. ileofemorale anterius; B 
pf = lig. pubofemorale; 5 : dick, gegen 02m lang und etwa 
isch f = lig. ischiofemorale. 12 mm breit 


Aber geht dieses von mir als lie. ischiofemorale bezeichnete 
Band wirklich an das femur und kommt ihm eine besondere Wir- 
kung zu? Da dieses Band in den Lehrbüchern theils fehlt, theils als 
nicht an den Schenkelknochen, sondern nur an die Kapsel tretend, 
beschrieben wird und ihm, abweichend von den auf „femorale‘“ aus- 
klingenden Bezeichnungen, der Namen „ischiocapsulare“ gegeben 
wurde, so könnte man vermutben, dass dasselbe sehr inconstant und 
sein Schenkelansatz, wenn vorhanden, sehr unansehnlich und ohne 
nennenswerthen Einfluss auf die Schenkelbewegungen sei. Dies alles 


Ueber das Hüftgelenk etc. 49 


ist aber nicht der Fall; ich habe dieses Band in der von mir be- 
schriebenen Weise constant vorgefunden. Dasselbe ist merklich 
stärker, als das pubofemorale, sein Schenkelansatz ist sehr fest und 
sein Einfluss auf die Schenkelbewegungen ist ein ganz bestimmter 
und energischer. Das lig. ischiofemorale spannt sich stark, wenn 
man das Femur um seine Längsachse nach einwärts zu rollen sucht, 
und nur nach seiner Durchschneidung kann ein höherer Grad dieser 
Bewegung ausgeführt werden. Das lie. ischiofemorale ist hiernach 
ein Hemmungsband für die Rotation des Schenkels nach 
innen. Den sicheren Nachweis der Existenz dieses Bandes, zumal 
seiner Insertion an das Femur, liefert folgende Präparation: 


Man trage an einem Präparate, welches unserer Fig. 1 und 2 entspricht, 
die lig. ileofemoralia und das pubofemorale vollständig ab und durchschneide 
auch das lig. teres, so dass das: Schenkelbein nur noch durch das von mir 
als lig. ischiofemorale angesprochene Band mit dem Becken in Verbin- 
dung steht. Bringt man nun das Schenkelbein in gestreckte Lage und 
macht einen Versuch, dasselbe einwärts zu rollen, so leistet das lig. ischio- 
femorale einen ganz energischen Widerstand, und es gehört schon eine 
ziemlich kräftige Umdrehung des Knochens dazu, das Band zu zerreissen. 
In mehreren Fällen, in welchen ich diesen Versuch ausführte, riss das 
Band, zum Beweise der Festigkeit seiner Schenkelinsertion, nicht dort, 
sondern am Becken ab’). 


5) WEBER erwähnt bei Schilderung der dünnen Stellen der Kapsel (p. 138) 
zwei „Sehnenbündel“, in welchen unser lig. pubofemorale und ischiofemorale 
theilweise zu erkennen sind. Doch hat WEBER den vom Sitzbein kommenden 
Faserzug nicht als lig. ischiofemorale, sondern offenbar als ein ischiocapsu- 
lare aufgefasst; er nennt denselben (p. 140) ein vom Pfannenrande aus an 
das Ringband tretendes Verstärkungsbündel. Ganz ähnlich die späteren 
Forscher: 

BARKoWw, von welchem die Aufstellung des „lig. ischiocapsulare“ herrührt, 
beschreibt dasselbe (Syndesmologie, 1841, p. 79) folgendermassen: „Das lig. ischio- 
capsulare entspringt als ein starker, mehrere Linien breiter Fascikel oberhalb 
des tuber ischii, in der Mitte zwischen ihm und dem Pfannenrande, geht 
an die Kapsel und inserirt sich an die hintere Fläche derselben in 
der fossa trochanterica.“ 

HENLE (a. a. O. 126): „In der zona orbicularis enden die longitudinalen 
Fasern, lig. ischiocapsulare (Barkow), welche an dem Theile des Pfannen- 
randes, den das Sitzbein trägt, — ihren Ursprung nehmen.“ 

Nach Quaın-Horrmann (p. 207) ziehen die Fasern des lig. ischiocapsulare 
„in die Kapsel gegen die fossa trochanterica hin, ohne sie vollständig zu errei- 
chen.“ — Das Band „endigt an eirculär verlaufenden Fasern, welche in der 
Nähe der Trochanteren liegen und zona orbieularis genannt werden.“ 

Bei Langer (Lehrb. d. Anat. 147) heisst es, dass „von jenen Fasern, welche 
vom Scham- und Sitzbein zur Kapsel gehen, sich ebenfalls einige am Schenkel- 


beine anheften.“ Doch passt dies nicht auf unser Band, denn unmittelbar vor- 
Zeitschrift f. Anatomie. Bd. I. 4 


50 WELCKER. 


Alle diese vier hier beschriebenen Verstärkungsbänder werden 
schlaff und verlaufen nahezu parallel (von dem ileofem. anterius gilt 
letzteres am wenigsten), wenn das Femur in mässigem Grade flektirt 
und etwas abducirt wird, das Bein sich mithin in einer mittleren 
Stellung befindet; der Schenkelkopf kann in dieser Stellung am Prä- 
parate um !/, Zoll und mehr aus der Pfanne hervorgezogen werden 
(vel. Fig. 5). Bringt man das Schenkelbein wiederum in Streckung 
(Fig. 4), so winden die Bänder sich spiralig um den Schen- 


Fig. 4. Femur in gestreckter Stellung (,‚Torsion‘‘ der Kapsel). 

Fig. 5. Femur in gebeugter Stellung (Zurückwindung und Entspannung der Kapsel). 
isch. f = lig. ischiofemorale. ; 

Die punktirte Linie deutet die Richtung des lig. ileofem. ant. an. 


kelhals, demselben um so fester sich anschmiegend und den Schen- 
kelkopf um so fester in die Pfanne einpressend, je mehr das 
Extrem der Streckung erreicht wird. Die Längsfaserzüge des Kapsel- 


her wird von den „an den Körpern der drei Theilstücke des Hüftbeines“ ent- 
springenden Verstärkungsbändern gesagt, dass sie „durchgehends vorne an 
der lin. intertrochanterica“ enden. Vom Sitzbeine geht aber doch keine Band- 
faser nach vorn, und das lig. ischiofemorale inserirt hinten am Femur. 

Den Namen „lig. ischiofemorale“ finde ich nun: bei LuscHkA (a. a. O. 
III, 1, 365), doch wird hier nur der Ursprung des Bandes am Sitzbeine, 
nicht aber nachgewiesen oder auch nur erwähnt, dass und wie das Band am 
-Femur inserire. Auf die bestimmte Angabe Hexre’s hin, dass dasselbe in 
der „Zona ende“, habe ich das Band wiederholt sorgfältig präparirt, ehe. ich 
mich zur Aufstellung eines lig. ischiofemorale berechtigt hielt. 


Ueber das Hüftgelenk etc. 51 


bandes bewegen sich hierbei ganz ähnlich um den Schenkelhals, wie 
es die Falten eines Rockärmels thun, wenn man den unteren Rand 
desselben mit den Fingerspitzen gegen den Handteller anpresst und 
nun Pronation ausführt, in welchem Falle die Falten sich spiralig 
um den Arm wickeln und der Aermel verkürzt wird, während sie 
bei der Supination unter Verlängerung des Aermels in gestreckte 
Stellung zurückkehren. Streckt und beugt man an dem Präparate 
abwechselnd das Femur, dasselbe hierbei so weit von der Pfanne weg- 
ziehend, als die Bänder es erlauben, so hat man den Eindruck des 
Hinein- und Herausschraubens, und es ist klar, dass der Aus- 
tritt des Schenkelkopfes bei der Luxation einer solchen Heraus- 
schraubung entspricht. Die in Fig. 5 angedeutete Haltung des 
Beines, in welcher die Kapsel möglichst entspannt ist, ist zugleich 
diejenige, welche bei verschiedenen Erkrankungen des Gelenkes vom 
Kranken gewählt wird). 

Auf unser Präparat (Fig. 5) zurückblickend finden wir, dass das 
vorn gelegene lig. ileofemorale anterius (in der Abbildung durch eine 
punktirte Linie angedeutet) und das hinten gelegene ischiofemorale 
bei der Schenkelstreckung (Fig. 4) in immer stärker kreuzende Rich- 
tung gerathen; ersteres steigt vom Becken aus abwärts zum femur, 
letzteres schräg aufwärts. Das lig. ischiofemorale erscheint hiernach 
als ein Complement des lig. ileofemorale anterius und als ein noth- 
wendiges Glied in der Reihe der den Schenkelhals umwindenden 
Längsstränge, von welchen, behufs einer vollständigen Torsion der 
Kapsel und Feststellung der Extremität, auch einer am hinteren 
Theile des Schenkelbeines (des Schenkelbeines und nicht etwa blos der 
Kapsel) seine Anheftung finden muss. Die hintere Insertion der Kap- 
sel macht, indem der fibröse Theil derselben längs der Rollhügellinie 
. bekanntlich ohne Ansatz ist, vom pubofemorale aus einen Sprung 
nach oben, und die ersten Bandfasern der Kapsel, mit welchen sie 
den Knochen wieder trifft, sind eben die Insertion des lie. ischic- 
femorale. 


1) Auf diese „Torsion‘ des Kapselbandes hat WEBER (a. a. 0. 144) zuerst 
aufmerksam gemacht; ich hebe diesen interessanten und für die Bewegungen 
des Schenkelbeines massgebenden Mechanismus umsomehr hervor, als ich des- 
selben in anatomischen Darstellungen nur bei Langer (a. a. O. 147) gedacht 
finde. — Ich vermuthe, dass die Wirkung dieses Mechanismus während des 
Gehens noch in einer besonderen, unten (III) zu erörternden Weise bei jedem 
Schritte zur Geltung kommt. 


4* 


52 WELCKER. 


II. Zona orbieularis. 


Widersprechende Angaben der Autoren. — Bau der Zona nach der Ansicht 
des Verf. — Function der Zona. — Präparationsverfahren zum Nachweise des 
Baues der Zona. 


Zu einer vollen Einsicht in den Bau des Hüftgelenkes gelangt 
man erst durch die genaue Kenntniss der zona orbicularis. Diese 
von E. WEBER aufgestellte Zona wird indess von den Autoren so 
verschieden beschrieben, dass man hier in der That eine um so 
weniger klare Vorstellung gewinnt, je mehr Beschreibungen man 
liest. Es ist zuzugeben, dass die Zona keine sehr manifeste Bildung 
ist, deren Grenzen und Verknüpfungen schon bei einer nur beiläufigen 
Präparation von selbst zu Tage treten; noch weniger aber ist sie ein 
Artefact, und es scheint mir, dass, wenn man sorgfältig vorgeht, die 
Präparation stets zu wesentlich demselben Ergebnisse führen wird. 


Nach WEBER (a. a. O. 140) geht „nicht die ganze Bandmasse, 
welche unter der spina ant. inf. ihren Ursprung nimmt, als lig. su- 
perius zum Schenkelbeine hinüber, sondern sobald dieselbe den Rand 
der Schenkelkopffläche erreicht hat, geht ein Theil davon auf diesem 
Rande in zwei Schenkeln nach vorn und ringförmig um den 
Schenkelkopf herum“; — ein „Ringband, das unter der spina ant. 
inf. entspringt, und um den Schenkelkopf herum 
dahin wieder zurückgeht.“ Das wäre aber 
nicht sowohl eine „Zona“, als eine von der 
spina inf. il. aus um den Schenkelhals gelegte 
Schlinge. Das lig. superius würde von den 
Fasern dieser Schlinge nirgends gekreuzt sein, 
sondern es läge zwischen deren Ursprungs- 
schenkeln (vgl. Fig. 6). x 

Zu diesem Ringbande treten nach WE- 
BER (pag. 138 und 140) „vom Pfannenrande 
N  shionlänisttes AB noch zwei Verstärkungsbündel“ (ihrem 
beri, entworfen nach der Be- Beckenursprunge nach unsere lieg. pubo- und 

ee bier ’>- ischiofemorale), welche Stränge indess nach 
Weper’s Darstellung vom Becken zur Kapsel, nicht aber von dort 
aus weiter zum Schenkelbeine gehen. 


Sehr abweichend hiervon fasst HENKE!) die Zona auf. Liess 


1) Handbuch d. Anat. u. Mechanik der Gelenke, 206. — HENxkE erwähnt 


Ueber das Hüftgelenk ete. 53 


WEBER die Ursprungsschenkel derselben vom obern Theile des „lig. 
superius“ abtreten so zeigt uns HEnke’s Abbildung (a. a. O. Fig. 47, 
die ich in Fig. 7 wiedergebe) eine Bandschlinge, deren beide Schenkel 
mit dem mittleren Theile eines lie. ileofemorale (anterius) zu- 
sammenhängen, den Darmbeinursprung jenes Bandes gar nicht be- 
rühren und die, umgekehrt, wie 
bei WEBER, von der Schen- 
kelinsertion des Bandes nach 
aufwärts schwenken. Ganz 
entsprechend dieser Abbildung 
lautet es im Texte (pag. 206): 


Mit dem von der spina ant. 
inf. ilei gerade herablaufenden 
lig. ileofemorale „kommen von 
beiden Seiten Stränge zusam- 
men, die eine ganze Strecke 
weiter zurück am oberen 
und unteren Umfange der 
Pfanne entspringen, um 
den oberen und unteren Um- 
fang des Halses fast kreis- 
förmig herumlaufen (Zona or- 
bieularis), während hier nur ein 
ganz dünnes Kapselblatt sich 
an denselben inserirt, endlich 
aber vorn und unten in 
dieselbe Insertion am un- 
teren Ende der linea obli- 
qua femoris eingehen.“ 


Fig. 7. Zona orbicularis Weberi und 
„lg. ileofemorale‘ nach Henke. 


— eine Zona mithin, welche aus zwei Hälften besteht, deren jede, 
wenn ich HENKE recht verstehe, einen Beckenansatz und einen Schen- 
kelansatz besitzen würde Wiederum eine andere Darstellung giebt 
LANGER, derzufolge die Zona als ein Anhängsel des lig. pubo- und 
ischiofemorale erscheint, eine von dem Scham- und Sitzbeine aus 
nach vorn um den Schenkelhals geführte Schlinge ?). 


nicht, dass er hier von Weger’s Beschreibung abweicht, sowie wiederum HENLE, 
der eine von beiden abweichende Darstellung giebt, die Auffassung HENKE’s 
nicht erwähnt. 


2) „Von jenen Fasern, welche vom Scham- und Sitzbeine zur Kapsel gehen, 
heften sich ebenfalls einige am Schenkelbein an; ein grosser Theil derselben 
aber verwebt sich, ohne Ansätze am Schenkel aufzusuchen, mit dem Bande und 
bildet eine um die engste Stelle des Halses herumgelegte, gegen die fossa 


54 WELCKER. 


Eine wesentlich andere Auffassung hat HEnLE!). Derselbe sieht 
in der Zona nicht eine von irgend einem Knochen ausgehende Band- 
schlinge, sondern einen in sich geschlossenen, mit dem Knochen 
nirgends in directer Verbindung stehenden Faserring, der seinen 
Zusammenhang mit letzteren nur dem Hindurchtreten von Längs- 
fasern des Kapselbandes verdankt ?). 


Die Mehrzahl der übrigen Autoren ist in der Beschreibung der Zona 
WEBER’n gefolgt. So beruht die Bildung der Zona nach LuscHhkA°) auf der 
Abzweigung starker Faserzüge „vom lig. ileofemorale“, und in der bei- 
gefüsten Fig. LI entspringt die Zona vom Darmbeine. Nach HYrTL?) 
erscheint die Zona geradezu als ein Theil des lig. Bertini, welches 
„theils an der lin. intertroch. ant. endigt, theils mit zwei um den 
Hals des femur herumgehenden --Schenkeln eine Art Halsband (zona 
orbicularis) bildet.“ Man vergleiche hierzu die Fig. 156 bei HEITZz- 
MANN °), woselbst die an der Rückseite des Gelenkes dargestellte Zona 
die Aufschrift „lieg. Bertini“ trägt und mit allen ihren Fasern zur 
spina inf. ilei hinaufsteist. 


Welche Auffassung ist nun die richtige? 


Ich muss wiederholten Zergliederungen zufolge im Wesentlichen 
den Angaben HEnte’s beitreten. Die Zona ist ein in sich ge- 
schlossener und durch ihre eigenen Fasern mit dem Knochen 
nirgends in Verbindung stehender Faserring. Dieser Ring 
umkreist, allwärts der Synovialhaut nahe anliegend (während die 
Längsfasern der Kapsel sich mehr aussen halten) ziemlich die Mitte 
des Schenkelhalses, so dass die kräftigsten Züge seiner Fasern überall 
in den tiefsten Einschnitt des Halses zu liegen kommen®) Bei diesem 
Verlaufe kreuzt die Zona der Reihe nach die beschriebenen Längs- 


trochanterica scharf gerandete Schleife, die zona orbieularis“ (Langer, Lehrb.. 
d. Anat. 147). 

1) Bänderlehre, 1. Aufl. 125; 2. Aufl. 130. 

2) Gute Abbildungen der Zona hat HEnLE gegeben, a. a.O. 105, 107 und 110.— 
In einer Note, in welcher HrNLE auf seine Abweichung von WEBER hinweist, 
heisst es durch einen Druckfehler (der auch in der 2. Aufl. wiederkehrt): „WE- 
BER’s zona geht nämlich von der spina superior oss. il, aus.“ 

3) Anat. III, 1. 365. 

4) Lehrb. d. Anat. 11. Aufl. 359. 

5) Descript. u. topogr. Anat. 114. i 

6) Bei einem frisch aus der Kapsel genommenen Schenkelbein erkennt man 
meist sehr gut die Furche, rings um den Schenkelhals, in welcher die Zona 
gleitet, und oft zeigt auch der trockne Knochen, zumal an der Vorderseite des- 
Halses, einen deutlichen Eindruck derselben. 


Ueber das Hüftgelenk etc. 55 


bänder und sie empfängt hierbei von jedem derselben (am reichlichsten 
von dem pubo- und ischiofemorale) Verstärkungsfasern; dieses aber in 
der Weise, dass von den Beckenursprüngen der Längsbänder einige 
Randfasern zum oberen Rande der Zona, und ebenso von den Schenkel- 
ursprüngen der Längsbänder einige Fasern zum unteren Rande der 
Zona umbiegen. Die Zona, die in dieser Weise durch accessorische, 
den eirculären sich anschliessende Fasern mehr oder weniger fest mit 
verschiedenen Stellen des Beckens wie des Femur zusammenhängt, 
wurde, indem die selbständigen Fasern derselben, d. i. die eigentlichen 
Zonafasern, nicht nach Gebühr beachtet und bald diese, bald jene 
accessorische Fasern als „Ursprünge“ der Zona in Anspruch ge- 
nommen wurden, als eine von sehr verschiedenen Stellen, bald des 
Beckens, bald des Femur, ausgehende Schlinge angesehen.) 

Die Zona ist an verschiedenen Stellen verschieden breit und dick. 
Am meisten aneinandergedrängt sind ihre Fasern am oberen Theile 
des Schenkelhalses (an der Stelle der Kapsel, welche dem oberen 
und hinteren Rande des lig. ileofem. sup. entspricht); hier bildet die 
Zona einen 5 bis 7% breiten, 2 bis 3”" dicken Strang, der bei vielen 
Exemplaren ziemlich circumseript sich hervorhebt und nach der Syno- 
vialseite prominirt. Sowohl die vorne, wie die hinten am Schenkel- 
halse herabtretenden und ihn umgreifenden Fasern treten mehr aus- 
einander, so dass die Zona an diesen Stellen breiter und dünner wird. 
Die einzige Stelle, wo die Zirkelfasern von aussen und ohne erhebliche 
Präparation deutlich hervortreten, ist an der hinteren Fläche des Kapsel- 
bandes, zwischen den ligg. pubo- und ischiofemorale; der Raum zwischen 
diesen beiden Bändern ist fast nur durch Ringfasern geschlossen, so 
dass der fibröse Theil der Kapsel hier keine Schenkelinsertion besitzt 
und, sobald die Synovialmembran getrennt wird?), einen freien, der 
lin. intertroch. posterior zugewendeten Rand zeigt, der (vermöge der 
vom lig. pubo- und ischiofemorale zutretenden Randfasern) bogenför- 
mig zwischen den Schenkelinsertionen der genannten Längsbänder aus- 


!) Die von der Schenkelinsertion des lig. ileofem. anterius zum unteren 
Rande der Zona umbiegenden Fasern mögen HEnkE’s, die von den Beckenur- 
sprüngen des pubo- und ischiofemorale zum oberen Rande der Zona gehenden 
Fasern die Langer’sche Darstellung veranlasst haben. Die Auffassung WEBER’s 
mochte darin ihren Grund haben, dass die Zona mit der auf sie zutretenden 
Ursprungspartie der ligg. ileofemoralia nicht sowohl durch Faserbeimischung 
als durch die derbe Beschaffenheit der letztgenannten Bänder sehr unverschieblich 
verknüpft ist. 

2) was bei unvorsichtiger Reinigung der Kapsel hier sehr leicht unversehens 
geschieht. 


56 WELCKER. 


sespannt ist.!) Ganz ähnlich treten von den Beckenursprüngen beider 
Bänder bogenförmige Fasern an den der incisura acetabuli zugewen- 
deten Rand der Zona°), und indem die Longitudinalfasern auch dort 
sehr sparsam sind, gelingt es leicht, hier sichere Grenzen der Längs- 
bänder und der Zona zu finden und ober- wie unterhalb der Zona je 
ein Fenster in die Kapsel einzuschneiden, welches die Grenzen der 
Zona und der beiden hier befindlichen Längsbänder freilest. 
Beust und streckt man abwechselnd das Schenkelbein eines Prä- 
parates, an welchem in der eben beschriebenen Weise der der hinteren 
Rollkügellinie zugewendete Theil der Zona freigelegt ist, so sieht man, 
dass die Zona von den sie hier kreuzenden Längsbändern (pubo- und 
ischiofemorale) hin- und hergeschleppt wird; wenn der Schenkelhals 
vorwärts rollt (Schenkelstrekung) so rollt die Zona, dem lig. ischio- 
femorale folgend, nach aufwärts; umgekehrt bei Schenkelbeugung, dem 
pubofemorale folgend, nach abwärts, und je mehr im ersteren Falle 
die Längsbänder in spiralig umwindende Stellung zum Schenkelhalse 
kommen (vol. oben pg. 50), umsomehr wird die Zona gegen den 
Pfannenrand herangeführt und der Schenkelkopf somit von 
einem fest anliegenden Ventil umfasst. 

In weitfesterer Verbindung, als mit den eben genannten schwächeren 
Hemmungsbändern, steht die Zona mit den lieg. ileofemoralia, und der 
dort gelegene Abschnitt der Zona ändert bei Schenkelbewegungen seine 
Lage zur spina ant. inferior o. ilei offenbar nur in sehr geringem 
Grade. Doch wird man einen ‚„‚Ursprung‘‘ des Ringbandes nicht 
an den Knochen verlegen, noch auch sonstwie von den ligg. ileofemo- 
ralia herleiten dürfen. Zu einer Zusammenschnürung der vom 
Pfannenrande in weitem Umkreise entpringenden und am Femur eben- 
falls in erheblicher Ausbreitung inserirenden Längsfasern des Kapsel- 
bandes (welche mithin an und für sich einen sehr weiten und mehr 
cylindrischen Sack bilden würden, der solchergestalt niemals dem 
dünnen Theile des Schenkelhalses ventilartig angepresst sein würde) 
gehört eben nicht eine vom Darmbeine herabtretende Schlinge, 
sondern es benöthigt hierzu wirklicher Ringfasern, die auf kürzestem 
Wege den Schenkelhals umwinden und die Längsbänder da, wo der 
verdünnte Theil des Schenkelhalses von ihnen sonst nicht berührt 
würde, enge zusammenfassen. In dieser Zusammenfassung der 
Längsfasern der Kapsel, so dass das mit dem labrum cartilagineum 
beginnende Ventil sich mehr und mehr schliesst und für die Drehung 


l) Gut dargestellt mn Hexzr’s Fig. 110 (1. Aufl.) 
2) vgl. HEnLE, Fig. 107. 


Ueber das Hüftgelenk etc. 57 


des Schenkelhalses um seine Längsachse eine sichere Führung gegeben 
ist, liegt meines Erachtens die Bedeutung der Zona. 

Da 'es der Zweck dieser Darstellung ist, die über den Bau der 
Zona bestehenden Controversen womöglich zum Abschluss zu bringen, 
so theile ich die Präparationsweisen mit, auf welche die gegebene 
Schilderung sich stützt. 


Fig. 8. 


Fig. 8. Rechtes Hüftgelenk, derart gespalten, dass beide Hälften des Kapselbandes nur 
durch das Femur verbunden sind. 


7 = vordere Wandung der Kapsel, mit anhangendem Darmbein und ÖOberhälfte des 


Schambeines ; 
H = hinterer Lappen, mit Sitzbein und Rest des Schambeins. 
sas = spina ant. sup. ilei; — fi = tuber ischii; /mj = trochanter major; — 
lc = labrum cartilagineum; — fr = lig. transversum acetabuli; fe = lig. teres. 
ifs = lig. ileofemorale sup.; — p f = lig. pubofemorale. 


ZU bis Z? = Zona orbicularis; dieselbe kreuzt bei 1 das lig. ileofem. sup.; bei 2 das 
ileofem. ant.; bei 3 das pubofemorale; bei 4 das ischiofemorale. 

In der Bahn der Zona wie der vier Längsbänder zahlreiche Pfriemenstiche, in Form 
kleiner Längsspältchen hervortretend. 


1. Man spalte, wie bei dem durch Fig. 8 dargestellten Präparate ge- 
schehen ist, das Kapselband der Länge nach durch zwei Einschnitte, deren 
einer längs des äusseren Randes des lig. ileofemorale superius, der andere 
längs des medialen Randes des pubofemorale verläuft und durchsäge sodann 
in fortgesetzer Richtung beider Schnitte das Hüftbein, so dass nach hinzu- 
gefügter Durchschneidung des lig. teres die beiden Stücke des Hüftbeins 
(das obere an der Vorderhälfte, das untere an der Hinterhälfte des Kapsel- 
bandes hängend) frei auseinander geschlagen werden können. Man über- 
zeugt sich, zunächst die Längsbänder feststellend, durch Zufühlen wie durch 
Haltung des Präparates gegen das Licht, dass der vordere Lappen des 
Kapselbandes (V) von zweien mehr oder weniger kräftig vortretenden Faser- 
zügen begrenzt wird: lig. ileofemorale superius und pubofemorale, und dass 
zwischen beiden ein drittes Band diagonal verläuft: lig. ileofemorale anterius. 


98 


WELCKER. 


Weniger deutlich giebt sich in dem hinteren Lappen (H) das lig. ischiofemo- 
rale durch Beleuchtungsunterschiede zu erkennen. Was nun die Zona an- 
langt, so zeigt die Durchschnittsfläche des vorderen Lappens der Kapsel, 
dass der Hinterrand des lig. ileofemorale superius ziemlich im dessen Mitte 
(bei Z1 in Fig. 8) rechtwinklig gekreuzt wird von der Zona, die dort ein 
compacter, 5 bis 7 WM breiter, 2 bis 3 WM dieker, in circumscriptem Quer- 
schnitt hervortretender Strang ist. Derselbe besitzt am lig. ileof. superius 
eine sehr derbe Befestigung; von einem Ausfliessen von der spina ilei 
aus zeigen die in ihrem ganzen Verlaufe übersichtlichen Fasern nirgends 
eine Spur. Die Bündel des lig. superius verlaufen, wie erwähnt, mehr 
aussen, so dass dieser strangförmige Theil der Zona (Z1) gegen die Synovial- 
haut an vielen Präparaten merklich prominirt. Im mittleren Theile des 
Vorderlappens der Kapsel wird das lig. anterius von der breiter und dünner 
werdenden und hier weniger deutlich hervortretenden Zona in schräger 
Richtung gekreuzt (2). Der untere (laterale) Rand der Zona ist es, welcher 
hier den oberen Rand der zwischen lig. superius und anterius gelegenen 
dünnen Stelle der Kapsel bilden hilft. — Nun kreuzt die Zona das lig. pubo- 
femorale (3) und alsbald, in den Lappen H übertretend, auch das ischiofemo- 
rale (4); ihre Fasern sind allmählich so sehr auseinandergefahren und sie 
ist hierdurch so breit geworden (gegen 20 bis 25 %®), dass sie ziemlich den 
ganzen Raum zwischen den letztgenannten beiden Bändern erfüllt, dem 
Ursprunge und Ansatze derselben ziemlich nahe kommend. Die kräftigeren 
Faserzüge dieser breiten Partie der Zona liegen dem Schenkelrande der 
Zona näher, als dem Beckenrande. Nachdem die Zona das lig. ischiofemorale- 
gekreuzt hat, sammeln sich ihre Fasern wieder zu einem am Hinterrande des 
Schenkelhalses hinaufsteigenden, zu einer Breite von 3 bis 4 WM sich zu- 
sammenschliessenden Strange (Z°), und wir sind wieder zurückgekehrt zu 
dem das lig. superius kreuzenden Theile, von welchem wir ausgingen. 

Besonders deutlich tritt der Verlauf der Kapselbandfasern hervor, wenn 
man (wie LANGER zur Ermittlung des Faserverlaufes der Haut gethan) ver- 
schiedene Stellen des nach Art der Fig. 8 gespaltenen Kapselbandes mit 
einem Pfriemen durchsticht und von der Synovialseite aus die Richtung 
der kleinen Längsspalte mustert, welche der vollkommen drehrunde 
Pfriemen hinterlässt!). Ueberall, wo eine bestimmte Richtung der Fasern 
vorherrscht, hinterlässtder Pfriemenstich einen jene Faserrichtung definirenden 
Längsspalt. Ich habe in Fig. 8 die erzielten Einstiche genau eingetragen 
und auch hier ein mit meiner Schilderung der Längsbänder wie der Zona 
übereinstimmendes Ergebniss erhalten. Auf das Bestimmteste zeigt es sich, 
dass die Fasern der Zona keine Abzweigung der ligg. ileofemoralia 
sind und dass sie mit der spina ilei, von welcher der wulstige Theil der 
Zona (Z1) um. mehr als einen Zoll weit entfernt liegt, direct nicht 
zusammenhängen. 

2. Auch an einem Präparate, wie es der Fig. 1 zu Grunde liegt, übersieht. 
man sehr gut die Stärke und die Verlaufsrichtung der Zona; jedes der isolir- 
ten vier Längsbänder enthält den betreffenden, das Längsband kreuzenden 
Abschnitt der Zona, von welcher mithin acht Querschnitte blosgelegt sind. 


1) Dasselbe Verfahren lässt sich bei der Sclerotica, Cornea und anderen 


membranösen Gebilden mit Erfolg anwenden. 


Ueber das Hüftgelenk ete. 53 


3, Bei einem Versuche, in das Kapselband Fenster einzuschneiden, 
so dass nur die Zona, und von den Längsfasern nur diejenigen, welche zu 
den beschriebenen vier Längsbändern ausgeprägt sind, stehen bleiben, 
sollten, wie man unseren Voraussetzungen gemäss vermuthen könnte, acht 
soleher Fenster entstehen (vier zwischen Becken und Oberrand der Zona, 
vier zwischen Unterrand und Femur). Man erhält, sofern man nicht künstelt, 
nur sechs Fenster, indem die beiden ligg. ileofemoralia am Oberrande der 
Zona dicht aneinandergedrängt sind und die Schenkelinsertion des ischio- 
femorale dem ileofemorale superius unmittelbar anliegt. Es ist lehrreich 
ein solches Präparat auszuführen; dasselbe giebt durch die Art und Weise, 
wie die einzelnen Stränge des Gitterwerkes, in welches die Kapsel zerlegt 
wurde, bei den Schenkelbewegungen einander ziehen und spannen, vollen 
Einblick in die Art der Ineinanderfügung der verschiedenen Faserzüge. Vor 
Allem zeigt sich deutlich die Selbstständigkeit der Zona, und kein Beschauer 
dieses Präparates wird sie dem oder jenem der vom Knochen zutretenden 
Bänder als Anhängsel zurechnen. 

4. Nachdem an einem halbirten Becken die Kapsel äusserlich gereinigt 
ist, steche man mit einem schmalen Messer an irgend einer Stelle, sehr 
nahe der Schenkelinse:tion, in die Kapsel ein und trenne diese ringsum, 
dicht an der Insertion vom Knochen ab. Nun wird die Pfannenwandung 
von der-Höhle des kleinen Beckens aus durchbohrt, diese Oefinung auf zwei 
Zoll Durchmesser erweitert, der Schenkelhals durchsägt und der in der Pfanne 
zurückgebliebene Schenkelkopf mit dem Meisel zertrümmert und entfernt. 
Hier lässt sich die Kapsel, deren Gestalt (wesentlich vermöge der Zona) 
fast genau dieselbe geblieben ist, wie bei noch darin sitzendem Femur, von 
innen und aussen vollständig übersehen. Hält man das Präparat gegen das 
Licht, in die eingeschnittene Knochenöffnung der Pfanne hineinblickend, so 
übersieht man die Zona in ihrem ganzen Verlaufe, dazu sämmtliche longi- 
tudinalen Bänder, mehr oder weniger deutlich begrenzt durch die dünneren, 
durchscheinenden Stellen der Kapsel). 


Wie energisch die Zona als Ringband wirkt, davon überzeugt man 
sich bei der zuletzt beschriebenen Präparation, wenn man, nach Durch- 


1) Greift man an diesem Präparate mit gebogenem Finger in die Schenkel- 
beinlücke des Kapselbandes, den Finger auf den der unteren und hinteren Wand 
der Kapsel angehörenden Theil der Zona hakenförmig einschlagend, so kann 
man dieselbe wie eine Schlinge hin- und herschaukeln, und nimmt 
vielleicht den Eindruck hin, dass sie, wie WEBER angab, mit zwei Ursprungs- 
schenkeln zur spina inf. ilei führe. Ein genaues Zufühlen, wobei die vordere 
Kapselwand zwischen zwei entgegengesetzte Finger gefasst wird, lehrt jedoch, 
dass die Kapselwand unmittelbar unterhalb der Spina inf. o. ilei (woselbst die 
Finger nur lig. superius und anterius zwischen sich haben) dünner ist, als 
etwas weiter abwärts, wo sie jene Bänder und .die sie kreuzende Zona betasten, 
welch’ letztere öfters wie ein vorspringender Wulst gefühlt wird. Da das lig. 
ileofemorale sup. das stärkste der von der Zona gekreuzten und mit ihr ver- 
webten Bänder ist, so hat die Zona mechanisch mit der spina inf, ilei einen 
sehr festen Zusammenhang, sie wirkt wesentlich von dieser Knochenstelle aus, 
aber sie „entspringt“ nicht von derselben. 


60 ä WELCKER. 


schneidung des lig. teres vom Becken aus, einen Versuch macht, den 
Schenkelhals unzertrümmert aus der Kapsel herauszuziehen. Hier 
wird es klar, dass bei jeder Luxation, wo immer die Kapsel zerreisse 
und der Durchtritt des Kopfes geschehe, die Zona zerreissen muss. 
Sie zerreisst aber da, wo sie durch weiten Auseinandertritt ihrer Fasern 
am dünnsten ist —: unten und hinten!). 


III. Ligamentum teres acetabuli. 


1. Bau des lig. teres. Insertionsverhältnisse. -— Inter- und extracapsulärer 
Abschnitt des Bandes. — Bewegungsmechanismus. — 2. Lig. teres nach 
H. Meyer. — Hemmungsband der Adduction und der Auswärtsrollung. — 
Gegengründe Hexte’s. — Desgl. des Verf. — 3. Leitband der Gefässe? — 
Vascularisation des Schenkelkopfes. — 4. Beziehung des lig. teres zur Um- 
treibung der Synovia. — Einrichtungen. verschiedener Art bei andern Ge- 
lenken, welche den Umtrieb der Synovia befördern. — Bleiben die Gelenk- 
flächen des Schulterkopfes und der Pfanne, des Schenkelkopfes und der 
Pfanne, bei allen Bewegungen dieser Gelenke in gleich innigem Contacte?r — 
5. Verbreitung des lig. teres in der Thierreihe. — Mangel desselben beim 
Orang. — Sehr seitliche Einpflanzung des lig. teres. — 


1. Ueber die Natur des lig. teres, von welchem HENLE sagt, dass 
es „beide Namen mit Unrecht trage“?) und welches Azpy, gleichfalls 
den Namen eines Bandes zurückweisend, als „die vielfach verkannte 
innere Kapsel“ des Hüftgelenkes bezeichnet®), werde ich mich vollstän- 
dig erst unten (IV), nach Würdigung gewisser Eigenthümlichkeiten 
des Schultergelenkes, aussprechen können. Wiederholten Zergliederungen 
zufolge, sehe ich in dem lig. teres ein von dem fibrösen Theile der 


l) Die Angabe Hrxte’s (Bänderlehre: 1. Aufl. 128, 2. Aufl. 131), dass die 
laterale (oder hintere) Wurzel der Sehne des, M. rectus femoris sich „nach 
Ursprung und Verlauf als freigewordene ringförmige Fasern der Kapsel 
betrachten lasse,“ darf nicht dahin verstanden werden, dass diese Sehne etwa 
mit der „Zona“ etwas zu thun habe oder dass diese Sehne eines directen 
Ursprungs vom Becken entbehre. In der That setzt sich jenes accessorische 
Ursprungsbündel der Rectussehne in directem Verlaufe, etwa 3 em von der spina 
inf. ilei entfernt, an den Pfannenrand, auf einer ihm angehörigen rauhen Knochen- 
fläche fest, und nur der hintere, sich allmählich verdünnende Rand der Sehne 
verwebt sich mit rückwärts und theilweise quer auf die Kapsel tretenden Fasern 
mit deren äusserer Schicht, so dass eine Unterminirung der Sehne, falls man 
jene hinteren Fasern ihr zurechnet, allerdings zu einer geringen Anschälung der 
Kapsel führt. — Vortrefflich abgebildet ist die Anheftung der Rectussehne bei 
HENntE in der Fig. 108, bei R f, und es zeigt diese Figur, dass jene Sehne mit 
der Zona nichts gemein hat. 

2) Bänderlehre, 1. Aufl. 124. 

3) Bau des menschl. Körpers, 305. 


Ueber das Hüftgelenk ete. 61 


Kapsel und dem Pfannenrande aus in’s Innere der Gelenkhöhle treten- 
des, bindegewebiges Band, welches von der incisura acetabuli aus einen 
synovialen Ueberzug gewinnt. Der in dieser Synovialhülle liegende, 
plattgedrückte bindegewebige Innenstrang (vgl. Fig. 9) entspringt mit 
einer längeren und weitaus stärkeren hinteren Wurzel 1, von der 
Aussenfläche des Kapselbandes, indem von dessen hinterem und 
unterem Theile (aus dem Raume zwischen lig. pubofemorale und ischio- 
femorale, zumal längs des lateralen Randes des letztgenannten Bandes) 
eine Anzahl oberflächlich gelegener Fasern zu einem platten, gegen 
5 © breiten und 2 bis 3 °® langen Strange zusammentreten, welcher 
zwischen lig. transversum und ineisura acetabuli hindurch ins Innere 
der Kapsel einbiegend und mit einer zweiten (kurzen) Wurzel sich 
vereinisend, in den intracapsulären Theil des lig. teres übergeht. 
(Vor ihrem Uebertritt auf das lig. transversum kreuzt die lange Wurzel 


Fig. 9. 


Fig. 9. Rechte Beckenhälfte; Femur abdueirt und stark gebeugt. Ursprünge des lig. 
teres, an dem sonst unverletzten Kapselbande blosgelest. Trepanation des Pfannenbodens. 


2 = lange Wurzel des lig. teres- 
f = lig. transversum acetabuli; daneben (oberhalb der untergeschobenen Nadel) die kurze 
Wurzel des runden Bandes. 


in nächster Nähe des lig. ischiofemorale den zwischen diesem Bande 
und dem lig. pubofemorale ausgespannten medialen Rand der Zona.) 
Die kurze, nicht ganz einen °” lange, weit schwächere vordere 
Wurzel des lig. teres entspringt vom Knochen (in einer Grube des 
Pfannenrandes, zwischen incisura acetabuli und Vorderende der facies 
lunata), dicht neben dem obern Ursprung des lig. transversum acetabuli; 
dieselbe trägt zur Bildung des Vorderrandes des lig. teres bei. 
Offenbar sind „lig. teres‘“ und seine lange Wurzel als ein Ganzes, 
als das eigentliche lig. teres, die kurze Wurzel als ein dessen Be- 
wegungen regulirendes Hemmungsbändchen zu betrachten, und wir 
würden an dem lig. teres einen 2 bis 2,5 ““ langen intracapsulären, 


2 WELCKER. 


mit Synovialmembran umgebenen Theil, und einen meist etwas längeren 
extracapsulären Theil zu unterscheiden haben. Die Bedeutung der 
ineisura acetabuli ist: „Eintrittsstelle für die fibröse Grundlage des 
runden Bandes ins Innere des Gelenkes“}). 

Der hier beschriebene Zusammenhang des lig. teres mit der Kapsel- 
wandung, auf welchen bereits HenLE und Arpy kurz hingewiesen 
haben), bedingt nun aber einen Bewegungsmechanismus, welcher, 
‘wie es scheint, unbeachtet geblieben ist. 

Die lange Wurzel des runden Bandes, mit ihrer Unterlage (Kapsel- 
wandung) meist nur sehr lose verbunden, gleitet bei Auswärts- und 
Einwärtsrotirung des Femur frei hin und her, und ohne dass bei 
diesen Bewegungen der aus „Band“ und Wurzel gebildete Strang eine 
stärkere Spannung erlitte, befindet sich die längere Hälfte desselben 
bald innerhalb, bald ausserhalb des Gelenkes, wobei der Vereinigungs- 
winkel beider Wurzeln bald ein spitzer, bald ein stumpfer wird. Die 
Synovialmembran, an der „Einpflanzungsstelle“ des Bandes hinlänglich 
verschieblich, lässt den in das Innere des Gelenkes ein- und austreten- 
den Theil des fibrösen Innenstranges ungehindert hin- und herrücken. 
Zu einer eigentlichen Spannung des lig. teres kommt es unter 
diesen Umständen bei keiner Stellung des Femur. Rotirt man das 
gebeugte Femur nach auswärts, so dass die Fovea des Schenkel- 
kopfes möglichst weit von dem Pfannenausschnitte wegrückt und 
ein dort fest inserirendes Band allerdings gezerrt werden müsste, 
so schleppt das lig. teres seine beiden Wurzeln möglichst weit 
in's Innere des Gelenkes; die kurze Wurzel, die bei Einwärts- 
rotirung dem lig. transversum dicht anliegt, schwenkt hierbei meh- 
rere Millimeter weit gelenkeinwärts; die lange Wurzel, etwa 1 °” 
weit ins Innere des acetabulum vorrückend, entfaltet eine nach- 


1) Nicht immer ist das lig. teres und seine Wurzeln gleich vollstängig ent- 
wickelt, doch habe ich den hier beschriebenen Bau in einer ansehnlichen Zahl 
von Fällen vorgefunden. 

2) Das lig. teres „tritt breit an der Lücke zwischen der incisura acetabuli 
und dem lig. transversum in’s Gelenk —“. „Die queren Bündel des lıg. teres 
grenzen nach aussen an die Fasern des lig. transversum; von den longitudinalen 
Bündeln entspringt die Hauptmasse am hinteren Rande der incisura acetabuli 
theils von der Aussenfläche der Pfanne, theils aus der Kapsel und gelangt unter 
dem lig. transversum in die Gelenkhöhle; andere treten vom lig. transversum 
und von der vorderen Ecke der incisura acetabuli hinzu.“ (HENLE a. a. O. 124). 

Argy sagt von seiner „inneren Kapsel des Hüftgelenkes“, dass sie ein 
„trichterförmig gegen die Pfanne’ erweitertes Rohr“ vorstelle. „Die Aussenfläche 
der inneren Gelenkkapsel wird theils von Fett-, theils von Sehnenlagen über- 
deckt, welche das von ihr gebildete Rohr vollständig ausfüllen und durch den 
Pfanneneinschnitt frei nach aussen hervortreten.“ (a. a. ©. 305.) 


Ueber das Halselerk: etc. 63 


schleppende Wirkung auf den ihr als Ursprungsstelle dienenden (bei 
jener Schenkelstellung erschlaffenden) Theil der Kapsel, und es wird 
hierbei das lockere, fetthaltige, subsynoviale Bindegewebe, welches auf 
der Vereinigungsstelle beider Bandwurzeln festsitzt und den Raum 
zwischen incisura und lig. transversum ausfüllt, mehr gegen das Innere 
des Gelenkes angedrängt. Diese Wirkung der Insertionsweise des lig. 
teres ist bereits vor völliger Bloslegung seiner Wurzeln bei Anwen- 
dung passender Schenkelbewegungen — an verschiedenen Präparaten 
mit verschieden deutlichem Erfolge — wahrzunehmen; man sieht, 
indem eine bestimmte Stelle der Kapselwandung während der Aus- 
wärtsrotirung des Femur plötzlich nach der incisura acetabuli hin- 
rückt, dass die Ursprungsstelle des lig.teres wandert. Beugt 
und streckt man das Femur, so wird die zwischen lig. transversum 
und incisura acetabuli befindliche Grube im Momente der Beugung 
leer (eingezogen), noch mehr im Momente der Auswärtsrollung. 


2. Fragen wir nun: Ist das lig. teres Hemmungsband? — 
Schon unsere Schilderung der anatomischen Thatsachen macht dies 
höchst unwahrscheinlich. Auch hätten bereits die von HENLE (a. a. OÖ, 
131) beigebrachten Gründe diese Frage erledigen dürfen, und es scheint. 
dass Hyrru jener älteren Ansicht ein zu grosses Zugeständniss macht, 
wenn er neuerdings!) sich dahin ausspricht, dass die Beschränkung 
der Schenkeladduction „vorzugsweise“ von der Hüftgelenkkapsel geleistet 
werde, das runde Band somit „nur geringen Antheil“ an dieser 
Hemmung habe. Es liest aber eine sehr viel weitergehende Angabe 
eines speciell in Sachen der Gelenkmechanik ausgezeichneten Forschers, 
H. MEYER, vor, welcher dem runden Bande einen sehr bestimmten 
und complieirten Einfluss auf die Hemmung der Schenkelbewegungen 
zuschreibt. Die Lehre Mryer’s ist kurz folgende: 

Der hintere und der vordere Rand des lig. teres werden nach MEYER?) 
durch stärkere Stränge („chorda anterior und posterior“) gebildet, während 
der mittlere Theil eine dünnere Platte ist3). Die chorda anterior ist 
nach MEYER nur Hemmungsband für die Rotation des Femur nach 
innen; die chorda posterior „hat eine wichtigere und vielseitigere 
Bedeutung, indem sie alle solche Bewegungen hemmt, durch welche die 
fovea capitis femoris nach oben geführt wird, diese sind aber im 
Stehen die Adduction und in der Beugung der Hüfte eine Rotation des 
Femur um seine Längsachse. Die Bedeutung des lig. teres ist demnach 


1) Topogr. Anat. II. 520. 

2) Lehrbuch der physiol. Anat. 1. Aufl. 125; 2. 133, 

3) Wir erkennen in diesen „chordae“ die in den Synovialüberzug ein- 
geschlossenen Fortsetzungen unserer in den Vorder- und Hinterrand des runden 
Bandes einfliessenden kurzen und langen Wurzel. 


64 WELCKER. 


die, dass es bei’m Stehen eine Fixirung des Femur in querer Rich- 

tung giebt, und dass es beim Gehen den Rumpf, während er bei ge- 

beugtem Hüftgelenke auf einem Beine ruht in einer Weise fixirt, welche 
ihn verhindert, seiner Schwere folgend durch eine Drehbewegung hinab- 
zufallen. Es hat daher in der queren Richtung beim Ruhen auf einem 

Beine dieselbe Wirkung, wie das lig. ileofemorale in der Richtung von 

vorn nach hinten beim aufreehten Stehen.“ 

Diese Angaben scheinen mir unhaltbar. Seinen Ausspruch, dass 
das lig. teres in keinerlei Weise in die Bewegungen des Hüftgelenkes 
hemmend eingreife, hatte HENLE auf Beobachtungen gestützt, welche 
bei stehender Kapsel angestellt wurden. Ich füge hinzu, dass man 
zu noch entscheidenderem Ergebnisse gelangt, wenn die Anfangs un- 
verletzte Kapsel während des. Versuchs in bestimmter Weise 
durchsehnitten wird. Der höchste Grad der Spannung des lig. 
teres bei unverletzter Kapsel wird (wie sich an einem Präparate, an 
welchem die hintere Wandung der Pfanne in weitem Umkreise ab- 
gebrochen ist, constatiren lässt) erreicht, wenn das mässig gebeugte 
Femur stark addueirt oder rückwärts rotirt wird. (Man bemerke wohl, 
dass dies zugleich die Stellungen sind, bei welchen das unvergleichlich 
stärkere lig. ileofemorale superius am meisten gespannt ist.) 
Aber auch die kräftigste Ablenkung des Schenkelbeines in den ge- 
nannten, wie in sonst welchen Richtungen vermag das lig. teres, wie 
sich hier bequem übersehen, durch Anschlingung des Bandes prüfen 
und nach der oben gegebenen anatomischen Schilderung verstehen 
lässt, nicht bis zu dem Grade zu spannen, welcher offenbar erreicht 
werden müsste, sofern das Band als Hemmungsband wirkte. Durch- 
schneidet man nun die Insertion des lig. ileofemorale superius der 
Quere nach und führt, zugleich nach Kräften auswärts rotirend (den - 
Contact der Gelenkflächen aber beibehaltend) den möglichsten Grad 
der Adduction aus, so vergrössert sich der Winkel, in welchem das 
Schenkelbein zur Medianebene des Körpers tritt, um ein Ansehnliches. 
(Derselbe betrug in einem Falle vor der Durchschneidung 30°, nach 
derselben gegen 40°; in einem zweiten Falle waren die Winkel 42 
und 48.) Lediglich das durchschnittene Kapselband ist es, welches 
für diesen Zuwachs der Bewegung Raum gab: seine Schnittwunde 
klafft im Momente der forcirten Adduction, resp. Auswärtsrotation, 
um Y/,‘“, während das lie. teres nun allerdigs etwas stärker gespannt 
ist, als vorher, seine Verlängerung aber nicht sowohl einer Dehnung, 
als einer weiteren, auf dem oben geschilderten Mechanismus beruhenden 
Verschiebung seiner Ursprungstselle verdankt. Diese und andere Ver- 
suche führen, wie ich glaube, übereinstimmend zu dem Ergebniss: 

„Das Kapselband der Hüfte ist so beschaffen und die Anheftungs- 


Ueber das Hüftgelenk ete. 65 


punkte des lig. teres sind so gelagert, der Beckenursprung dieses Bandes 
auch anderweitig so eingerichtet, dass dasselbe, so lange die Kapsel 
intact ist, bei keiner Stellung gezerrt wird, oder in die Lage kommt, 
als Hemmungsband zu wirken, zu welch letzterem Behufe es überdies 
zu schwach sein würde“). 

3. Ist das lig. teres Leitband der Gefässe des Schenkel- 
kopfes? 

Die Art und Weise der Vascularisation des Schenkelkopfes hat 
Interesse rücksichtlich der Beurtheilung der Heilerfolge bei Schenkel- 
halsbruch, und ziemlich allgemein wird das Ausbleiben der knöchernen 
Wiedervereinisung dem Umstande zugeschrieben, dass die Blutzufuhr 
zu dem oberen Bruchstücke „nur durch das lig. teres“ vermittelt 
werde und darum nicht ausreiche. Hier ist nun zunächst sicher zu 
stellen, ob und inwiefern der Schenkelkopf durch das lig. teres über- 
haupt Blut erhält. - 

Der Angabe Hyrrr’s, durch die subtilsten Injeetionen sich über- 
zeugt zu haben, dass die Blutgefässe des runden Bandes nicht in 
die Substanz des Schenkelkopfes eindringen, sondern an der 
Einpflanzungsstelle des Bandes schlingenförmig umbiegen (Topograph. 
Anat. Il, 521), stellt LuschKA „die bestimmteste Erklärung“ ent- 
gegen, dass er „im Inneren des Bandes niemals Zweigchen der art. 
obturatoria vermisst habe, welche ihren Weg durch die Poren der 
fovea capitis in die Substanz des Schenkelkopfes nehmen“ — (Anat. 
des Menschen III, 364). Ich finde nun aber, dass in !/,-der Fälle 
die fovea gar keine „Poren“ hat, in diesen Fällen also absolut 
keine Vascularisation des Schenkelkopfes vom lig. teres aus Statt 


l) In dem nach Abschluss meiner Versuche erschienenen Werke MEYER’s: 
„Statik und Mechanik des menschl. Körpers, Leipzig 1873, wird die Funktion 
des lig. teres (pag. 343), welchem die „Bedeutung eines Bandes, insbesondere 
eines Hemmungsbandes zugeschrieben wird, dahin präeisirt, „dass das l. teres bei 
flectirter Stellung des Femur hemmend auf die Rotation nach aussen wirkt“. 
Diese Funktion des runden Bandes wird vorzugsweise aus der Gestalt der 
Fovea capitis femoris erschlossen, einem rinnenförmigen Auschnitte der Fovea, 
von welchem M. annimmt, dass er dem Seitendrucke des gespannten Bandes 
seine Entstehung verdanke und in welchem das Band dann liegen werde, wenn 
es am meisten gespannt sei,. d. i. wenn es funktionire — d. i. bei Auswärts- 
rotation des flectirten Schenkels. 

Auch STRUTHERS (The Lancet, Febr. 1863, „On the true function of the 
round ligament of the hip-joint.“) nennt als die Funktion („the function and 
the only function“) des runden Bandes: „Hemmung der Auswärtsrotation in 
gebeugter Stellung“. — Ich verweise auf die Insertionsverhältnisse des lig. teres 
und auf den (pag. 64) mitgetheilten Versuch mit Durchschneidung des lig. ileo- 


femorale superius. 
Zeitschrift f. Anatomie. Bi. I. 5 


66. WELCKER. 


finden konnte, während in 2/, der Fälle allerdings feine Durchboh- 
rungen — ofienbar Gefässlöcher — vorhanden sind. Die Injectionen 
Hyrrr's mögen sich auf Fälle meiner ersten Gruppe, diejenigen 
LuschkaA’s auf Fälle der zweiten Gruppe beziehen!,. Aber die Blut- 
menge, welche bei letzteren durch diese Oefinungen in den Schenkel- 
kopf einzudringen vermag, muss ausserordentlich gering sein, so dass 
auch in diesen Fällen die Bedeutung des Bandes als „gubernaculum 
vasorum“ kaum in Anschlag kommen dürfte. Dagegen ist, wie es 
scheint ziemlich unbeachtet geblieben, dass der Schenkelhals und 
-kopf eine ganz ansehnliche Blutzufuhr durch Gefässe erhalten, welche 
in zwei Gruppen in den Knochen eindringen — einmal auf der Höhe 
des Schenkelhalses, dicht am Rande des Gelenkkopfes, woselbst man 
niemals 6 bis 12 foramina nutritia von ca, 1 "® Querschnitt ver- 
missen wird; sodann, in geringerer Anzahl und weniger constant, an 
der vorderen Fläche des Schenkelhalses. 


Die genannten Gefässe, welche als artt. colli femoris superiores und 
anteriores bezeichnet werden können, entstammen den artt. circumflexae 
femoris, und zwar ist der gewöhnliche Ursprung und Verlauf der supe- 
riores der, dass ein Ast der a. circumflexa fem. interna zwischen m. 
quadratus femoris und mm. obturatores aufwärts steigt, sodann zwischen 
den Insertionsenden der mm. obturatores hindurch zur Kapsel tritt, diese 
durchbohrt, um von da aus, in mehrere Aeste zerspalten, unter die Syno- 
vialmembran des Schenkelhalses und in die erwähnten foramina einzu- 
treten 2). 


Da diese Gefässe, welchen normal die Ernährung des Schenkel- 
halses und -kopfes obliegt, bei intracapsulärem Schenkelhalsbruche 


1) Bereits in einer unter E. H. und Ep. WEBER geschriebenen Dissertation 
(De arteriis articulationis coxae, auct. WALBAUM, Lipsiae 1855) wird Bezug auf 
diese Poren genommen, welche Verfasser als constante Bildung zu betrachten 
scheint: „Aliis quoque de causis vasa transire arbitror; in lamella enim tenui 
foveolae capitis, praecipue in osse macerato, multa foramina subtilia videmus, 
quorum per partem vasa penetrare possunt.‘“ — Dem Ausdrucke: „multa fo- 
ramina“ gegenüber lasse ich einige Ziffern folgen. Unter 30 Schenkelbeinen 
Erwachsener fand ich 9 ohne die erwähnten Poren. Ein bis 2 feine Löcher, 
stets unter 1%” Querschnitt, fanden sich in 11 Fällen; 3 bis 6 Löcher in 8 
Fällen; einmal fanden sich 10, einmal gegen 25 ausserordentlich feine Durch- 
bohrungen. Bei Kindern und jugendlichen Individuen scheinen diese foramina 
ganz zu fehlen. — Die Handbücher nennen die fovea cap. femoris eine „rauhe, 
nicht überknorpelte Grube“; von Durchbohrungen finde ich nichts angemerkt. 

2) Der Eintritt der artt. colli fem. superiores in den Schenkelhals und ihr 
Vordringen bis nahe zur fovea capitis femoris findet sich abgebildet bei AstLev 
CooPrEr (Abh. über Luxationen und Fracturen der Gelenke u. s. w.) und von 
dort copirt in FRORIEP’s chirurg. Kupfertafeln XCII, Fig. 3. Dieselben Gefässe 
hat auch WaLsaum injieirt (a.a. 0. Fig. 1). 


Ueber das Hüftgelenk etc. 67 


ohne Zweifel zerreissen, so fehlt nach Obigem in etwa !/, der Fälle 
dem oberen Fragmente jede Blutzufuhr und in den übrigen Fällen 
ist sie nicht ausreichend. 


4. Umtreibung der Synovia in den Gelenken, insbeson- 
dere im Hüftgelenke. Zieht man an einem’ Schenkelbeine von 
der fovea capitis aus über die Wölbung des Schenkelkopfes eine 
Linie, deren Verlängerung 1 Zoll vor, und eine ebensolche Linie, 
welche 1 Zoll hinter den trochanter minor trifft, so bezeichnen (wie 
sich an dem Präparate mit trepanirtem Pfannenboden übersehen lässt) 
diese beiden Linien — ad und ac der Fig. 10 — ziemlich genau die 
Lagen, welche das lig. teres während der 
Streckung und bei mässiger Beugung 
des Schenkels inne hat; der zwischen 
beiden Linien fallende Abschnitt des Ge- 
lenkkopfes ist es, über welchen das Band 
bei jedem Schritte hin- und zurückge- 
führt wird, so dass dasselbe eine wi- 
schende Bewegung über die Gelenk- 
fläche hin ausführt. Es kann nicht aus- 
bleiben, dass das von der tiefsten Stelle 
des Gelenkes aus mit Synovia reichlich 
benetzte Band bei diesen Bewegungen die 
Synovia über die Gelenkflächen hin- und 
herführt, so dass hierdurch Gelegenheit 
zu einer vollständigeren und fortwährend 
sich erneuernden Einsalbung des Gelenkes 
gegeben ist. Hierzu kommen dann noch 
die oben erwähnten, von den Schenkel- 


bewegungen abhängigen Verschiebungen 
der an der Basis des runden Bandes ge- 
legenen, mit Synovia benetzten Fett- 
lappen. 

Die Funktion des lig. teres, wel- 
ches unserer Darstellung zufolge weder 
als Hemmungsband, noch als Leitband 
der Gefässe betrachtet werden kann, ist 
somit, wie ich vermuthe: Umtrei- 
bung der Synovia!). 


Fig. 10. 


Rechte Beckenhälfte ; 
Femur in mässiger Beugung. 


a = Insertion des lig. teres am 
Schenkelkopfe. 

ab und ac = Grenzlinien des- 
jenigen Abschnittes des Schenkelko- 
pfes, welcher bei den Gehbewegungen 
am lig. teres hin und herschleift. 

ac? = Grenzlinie, innerhalb wel- 
cher der Kopf bei extremer Schenkel- 
beugung vom runden Bande ge- 

troffen wird. 


!) Bei vollständiger Beugung des Schenkels trifft die Linie, welche der 
Verlängerung des lig. teres entspricht (a c? der Fig. 10), in die fossa tro- 


5* 


63 WELCKER. 


Nimmt man mit Ep. WEBER an, dass die Oberfläche des Schen- 
kelkopfes und der Pfanne einander unmittelbar anliegen und dass 
diese unmittelbare und allseitige Berührung bei den Gehbewegungen 
strenge beibehalten bleibe, so ist es auch bei der eben mitgetheilten 
Auffassung des lieg. teres immerhin schwer ersichtlich, wie (sofern 
nicht noch andere, bis jetzt nicht in Betracht gezogene Einwirkungen 
hinzukämen) es ausbleiben könnte, dass bei den stundenlang fortge- 
setzten Gehbewegungen die Synovia aus dem capillären Zwischenraume 
der Knorpelflächen gänzlich vertrieben würde und letztere sich trocken 
rieben. 

Ich finde nun, dass bei zahlreichen Gelenken Einrichtungen be- 
stehen, welche sich auf die raschere und vollständigere Umtreibung 
der Synovia beziehen, Einrichtungen besonderer und sehr verschiedener 
Art, welche ihren morphologischen Verhältnissen nach längst bekannt 
sind, auf diese Leistung aber seither nicht bezogen wurden. Ich 
erwähne nur Folgendes: 

Im Schultergelenke findet sich, ganz ähnlich wie im Hüft- 
gelenke, ein sich hin und herschiebender Strang, die Bicepssehne, 
welche bei den Bewegungen des Armes die Umtreibung der Synovia 
auf das Wirksamste steigern muss. Der untere Theil dieser Sehne 
taucht in eine trichterförmige, zum suleus intertubereularis führende 
Ausbuchtung der Synovialhaut ein (vgl.pag.75, Fig.12,r), in welcher 
fortwährend Synovia sich sammelt und aus welcher die bei den Arm- 
bewegungen auf und absteigende und über dem Gelenkkopfe hin und 
hergleitende Sehne fortwährend schöpft. Hierzu kommt, dass, wo 
immer das intracapsuläre Stück der Sehne je nach der Armstellung 
sich befindet, die Kapselmembran in Folge des Vorragens der Sehne 
ein wenig von der Knorpellläche des Humeruskopfes sich abheben 
wird, so dass zu beiden Seiten der Sehne ein capillärer, von Synovia 
gefüllter Spalt offen bleibt. Sehr erheblich muss die Wirkung dieser 
Vorrichtungen während der Pendelbewegungen der Arme sein; bei 
jedem Vorwärtsschwingen steigt die Bicepssehne in jenes „recepta- 
culum synoviae“ hinab, bei jedem Rückwärtspendeln tritt sie 
mit Synovia benetzt auf die Kugel zurück. Aber nicht nur durch 
Längs verschiebungen, auch mit ihren Rändern voran schleift und wischt 
die Bicepssehne, gleichzeitig Längsverschiebungen ausführend (dies 
chanterica, und der von dem runden Bande bestrichene Theil des Schenkel- 
kopfes beträgt nahezu 1/) von dessen Oberfläche, Gleichzeitig bestreicht das 
Band bei diesen Bewegungen die fossa acetabuli (zumal bei der Aus- und Ein- 
wärtsrollung des femur), deren von dem Bande leergelassener Raum, wie bereits 
HENLE a. a. 0. 124 bemerkt, von Synovia erfüllt ist. 


Ueber das Hüftgelenk ete. 69 


bei den Längsachsendrehungen des Humerus, wo ein dreieckiger Ab- 
schnitt des Humerusscheitels unter dem intracapsulären Stücke der 
Sehne hin und hergeschleppt wird), und es ist ferner hervorzuheben, 
dass bei verschiedenen Bewegungen die Sehne in anderer, oftmals in 
entgegengesetzter Richtung schiebt, als die Kapselmembran. 

Die Gelenkflächen des Atlas und des Epistropheus, an beiden 
Knochen unregelmässig convex, berühren einander, wie HENKE (a. a. 
0. 94) auseinandersetzt, höchst unvollständig; in der Ruhestellung 
(Blick nach vorn) nur mittelst einer die Mitte jeder Gelenkfläche 
querdurchziehenden Firste, so dass an jedem dieser Gelenke vor und 
hinter jener Berührungslinie die Gelenkflächen klaffend auseinander- 
weichen. Ich zweifle nicht, dass die Leistung der von HENKE nach- 
gewiesenen Vorrichtung die Umtreibung der Synovia ist. Dreht sich 
der Atlas, die durch Henkz bekannt gewordene Niederschraubung des 
Kopfes vollführend, so kommt je eine vordere und eine hintere Ge- 
lenkflächenhälfte des einen Knochens mit einer hinteren und einer 
vorderen des anderen in unmittelbare’ Aneinanderpressung; die Synovia 
wird hierdurch in andere Abschnitte des Gelenkes eingetrieben, wäh- 
rend sie bei der Zurückschraubung des Kopfes in die sich wieder 
öffnenden Spalte zurückkehrt. 

Durch HEnkE!) wissen wir, dass das Ellenbogengelenk kein 
reines Charnier ist, indem die Ulna während der Beugung mittelst 
einer Schraubenbewesung zur Seite geführt wird. Beträgt diese seit- 
liche Ausweichung bei einer vollen Beugung, wie HENKE berechnet, 
auch nicht ganz 2 Millimeter, so ist es doch klar, dass dieses seitliche 
Gleiten die Einsalbung des Gelenkes begünstigen muss, ganz ähnlich, 
wie die Angeln einer Thüre vollkommner eingeölt werden, wenn die 
Thüre während der Drehung gleichzeitig gehoben und gesenkt wird. 
Auch zu der Angabe HeEnke’s?), dass der Radius den Oberarmknochen 
bei der Streekung des Armes nur theilweise berührt, bei der Beugung 
dagegen in festen Contact kommt, möchte ich die Beziehung zur Ein- 
salbung des Gelenkes hervorheben. 

Beim Kniegelenke wird, indem die halbmondförmigen Knorpel 
bei jedem Schritte zwischen den sich beugenden Extremitätenknochen 
nach hinten, zwischen den sich streckenden nach vorwärts gleiten, 
die Synovia in fortwährendem Umtriebe gehalten, dies umsomehr, als 
zugleich das lig. mucosum offenbar eine Art umrührender Bewegung 
entfalten muss. — Aehnliches bei zahlreichen anderen Gelenken. 


70 WELCKER. 


Finden wir in dieser Weise bei allen stärker in Anspruch ge- 
nommenen Gelenken höchst wirksame Vorrichtungen für die Bewegung 
der Synovia, so würde gerade das Hüftgelenk, dessen Flächen, indem 
bei jedem Schritte das Eine Femur die ganze Last des Rumpfes nebst 
der des anderen Beines zu tragen hat, einer sehr starken, die Synovia 
westreibenden Reibung ausgesetzt sind — sofern keine anderen, als 
die oben erwähnten Mittel für die Hin- und Herführung der Synovia 
gegeben wären — in dieser Hinsicht allen übrigen Gelenken nachstehen. 

Kommt an einem Gelenke — gewaltsam oder normal — Sub- 
luxation vor, so ist wohl anzunehmen, dass die Synovia den sich 
hereindrängenden Synovialfalten die Randpartien des Gelenkes über- 
lässt, während sie selbst in um so dickerer Schicht auf einem kleinen 
Umkreise sich zusammenzieht. Würde es sich nachweisen lassen, 
dass bei gewissen, besonders häufig gebrauchten Gelenken in Öfterer 
Wiederholung solche Auseinanderrückung und Gegeneinan- 
derpressung der Gelenkflächen vorkäme, so würde hierin, auch 
wenn jene Distanzänderungen ganz minimale wären, ein äusserst wirk- 
sames Moment für die Bewegungen der Synovia gefunden sein. In 
der That kennen wir beim Unterkiefergelenke eine solche Sub- 
luxation, welche den Kopf des Unterkiefers bei jeder Eröffnung des 
Mundes auf das tuber articulare treibt. Ich vermuthe, dass auch das 
Oberarmbein bei jedem lebhafteren Vorwärtsschwingen des Armes 
in einem überaus geringen Grade subluxirt wird. Indem ich hier 
eine Frage berühre, mit deren experimenteller Prüfung ich bis jetzt 
nicht abschliessen konnte, erlaube ich mir nur wenige vorläufige Be- 
merkungen. 

Im Momente der Rückwärtsbewegung des Armes wird das lie. 
coracohumerale stark gespannt, die Rückwärtsbewegung geht so weit, 
als eben das genannte Band diese Bewegung erlaubt, und der Ge- 
lenkkopf wird durch Hebelwirkung mit grösster Festigkeit gegen 
die Schulterpfanne angedrängt. Wenn aber nun die Extremität nach 
vorwärts schwingt, so wüsste ich nicht, wodurch der Humeruskopf 
gehindert werden sollte, sich in mässigem Grade vom unteren Theile - 
der Pfannenfläche abzuheben. Die Schlaffheit des hinteren Theiles 
der Kapsel dürfte trotz ihrer Verklebung mit den Sehnen der mm. 
teretes es immerhin gestatten, dass eine Falte der Synovialmembran 
sich zwischen den unteren Theil des Pfannenrandes und des Humerus- 
kopfes eindrängte und der Synovia Gelegenheit böte, sich in dickerer 
Schicht zwischen den sich etwas lüftenden Gelenkflächen zusammen- 
zuziehen. 

Was endlich das Hüftgelenk anlangt, so involvirt die von 


Ueber das Hüftgelenk ete. all 


WEBER angenommene Congruenz der Gelenkflächen von Schenkelkopf 
und Pfanne, sowie die Thatsache, dass während der Streckung des 
Schenkels beide Flächen sich in dichter Aneinanderpressung befinden, 
keineswegs die Gewissheit, dass auch während der Beugung das- 
selbe der Fall sei, und es scheint, dass dies letztere, so sehr es 
ganz allgemein als feststehende Thatsache gilt, nur einfach so ange- 
nommen wird. Die Möglichkeit, dass in dem Momente, wo das 
Bein vorwärts schwingt — die Hemmungsbänder sich vom Schenkel- 
halse abwickeln, die Zona vom Pfannenrande wegrückt, das Kapsel- 
band lang und schlaf! wird — die Möglichkeit, dass in diesem 
Momente die Gelenkflächen auch hier in einem geringen Grade sich 
von einander abheben (der untere und hintere Theil des Schenkel- 
kopfes von dem dem os ischii angehörigen Theile der facies lunata), 
wird zunächst nicht abzuleugnen sein, da die Kapsel in der Gegend 
des lig. transversum acetabuli schlaff genug ist, um so viel Raum- 
theile lockeren (der Basis des lig. teres angehörigen) Gewebes in die 
Pfanne einrücken zu lassen, als der Synovialraum durch die von mir 
vorausgesetzte Lüftung der Gelenkllächen sich vergrössert. 

Ich darf nicht fürchten, missverstanden zu werden. Es ist be- 
sreiflich, dass bereits ein ausserordentlich geringer Unterschied in 
dem Grade des Aneinandergepresstseins der Gelenkflächen während 
der Momente des Vorwärtsschwingens und der Streckung des Beines 
binreichen würde, den Umtrieb der Synovia erheblich zu steigern 
und dass darum an auffälligere Abhebungen hier um so weniger ge- 
dacht wird. Die Synovia, welche, sofern in jedem Momente der Geh- 
bewegungen der Grad der Aneinanderpressung der Gelenkflächen 
genau derselbe wäre, sich alsbald insgesammt an wenigen, bestimmten 
Stellen (wesentlich am Schenkelhalse) ansammeln müsste, gerade die 
ihrer bedürftigsten Stellen trocken lassend, würde bei dem von mir 
vorausgesetzten Spiele des Femur durch eine Art Ebbe und Fluth in 
beständigem Umtriebe sein, welcher dann weiterhin durch die Be- 
wegungen des lig. teres wirksam unterstützt würde. 

5. Die Verbreitung des lig. teres in der Klasse der Säuge- 
thiere ist eine sehr alleemeine. Um so unwahrscheinlicher schien mir 
die irgendwo gelesene Notiz, dass dieses Band, welches mir beim 
Hunde, der Katze, hei Rind, Hase, Fledermaus — kurz, bei Thieren 
der verschiedensten Ordnungen — gelegentlich aufgestossen war, 
beim Orang fehle. Gespannt, wie etwa die Descendenztheorie mit 
dieser Thatsache sich abfinde, habe ich in den Schriften von Huxrery 
(Zeugnisse für die Stellung des Menschen), Broca (l’Ordre des pri- 
mates) und Vocr (Vorlesungen) bei Besprechung der Anthropomorphen 


= 


723 WELCKER. 


keine Angabe über das lig. teres aufgefunden, desgleichen nicht bei 
Darwın und HAEcKEL; bei HyrrtL (Anat. 12. Aufl. 357) wird das 
gelegentliche Fehlen des runden Bandes beim Menschen als eine ‚„‚Thier- 
ähnlichkeit“ bezeichnet — mit Hinweis auf den „Elephanten“. 
Inzwischen fand ich bei MEcKEL!) eine Angabe, nach welcher das 
Fehlen des runden Bandes ein allgemeines Vorkommen bei den an- 
thropomorphen Affen zu sein schien: 

„Bei einigen Affen, namentlich dem Pongo, Orang-Utang, 
Chimpanse, wahrscheinlich auch den Gibbons, fehlt (am Schen- 
kelkopfe) die Vertiefung für das runde Band.“ 

Diese Angabe veranlasste mich, nun selbst nachzusehen, und es 
mögen nachfolgende Beobachtungen zur Aufklärung dieser nicht un- 
interessanten Frage beitragen oder, falls bereits anderweitige Beobach- 
tungen vorliegen sollten, diese bestätigen. 

An dem natürlichen Skelet eines jungen Chimpanse (Milch- 
gebiss), an welchem ich die Hüftkapsel öffnete, fand ich ein vollkom- 
men entwickeltes, fast central im Schenkelkopfe eingepflanztes lig. teres, 
in allen Beziehungen mit dem menschlichen übereinstimmend — ein 
Befund, der nun auch die Angabe Meckkr's betrefis des Orang hin- 
fällig zu machen schien. Um so grösser war meine Ueberraschung, 
als die Hüftkapsel des natürlichen Skelets eines jungen Orang (N0.4007 
der anat. Sammlung zu Halle) nicht eine Spur eines lie. teres entdecken 

Bios 


a Schenkelkopf des jungen Chimpanse; d des jungen Orang (No. 4340 und 4007 der anat. Samm- 
lung zu Halle); c Schenkelkopf eines erwachsenen Orang; d des Gorilla?); e des Menschen. 


liess, während dasselbe, wäre es überhaupt jemals vorhanden gewesen, 
innerhalb der bis dahin uneröffnet gebliebenen Gelenkkapsel des vor- 
züglich gut erhaltenen Skelets nicht hätte fehlen können. (Knorpelüberzug 
des Schenkelkopfes überall glatt, ohne jede Andeutung einer Einpflanzungs- 
stelle eines Bandes.) Ich gebe in Fig. 11, a, d, die Abbildung der Köpfe 
der sonst einander zum Verwechseln ähnlichen Schenkelbeine beider Thiere. 


l) System der vergl. Anatomie, II, 2, pag. 443. ; 
2) Nach einer Zeichnung, die Herr Professor Dippel zu Darmstadt nach 
dem dortigen Skelette für mich zu fertigen die Güte hatte, 


Ueber das Hüftgelenk etc. 73 


Uebereinstimmend hiermit fand ich die Schenkelbeine eines alten 
' Orang ohne fovea; ferner zeigen die vollkommen intakten femora 
eines ebenfalls alten, 9, als Simia morio bezeichneten Orang keine Spur 
einer fovea (Fig.11,c), zugleich ist die Abgrenzung des hier bis zum Rande 
unverletzt erhaltenen Knorpelüberzuges an der Peripherie des Kopfes 
derartig, dass auch an eine seitliche Einpflanzung eines lig. teres ab- 
solut nicht zu denken ist. Ich habe hiernach zu constatiren, dass 
dem Orang das lig. teres fehlt, während Chimpanse, Gorill 
und ebenso Hylobates dasselbe besitzen. Zwei einander so nahe 
stehende Thiere, wie Orang und Chimpanse, betreffs eines sonst fast 
durch die ganze Säugethierreihe durchgreifenden Charakters ver- 
schieden zu finden, gehört zu den mir auffälligsten Erscheinungen, 
die mir jemals begegnet sind )). 

Als Säugethiere, welchen das lig.teres fehle, nennt MEck&£t, ferner- 
hin Bradypus, Echidna, Ornithorrhynchus; was mit der Hinzu- 
fügung zu bestätigen ist, dass auch Choloepus des runden Bandes 
ermangelt, während Manis, Dasypus und Orycteropus dasselbe 
besitzen. MECKEL erwähnt ferner, dass bei mehreren Pachydermen, 
„namentlich beim Elephanten, Nashorn und Nilpferd“ das runde 
Band fehle Für die genannten Gattungen, bei welchen der Kopf der 
skeletirten femora ohne fovea ist, wird dies ohne Zweifel gelten; da- 
gegen finde ich bei Tapirus (indieus wie americanus) die fovea in 
einer bemerkenswerthen, und, wie ich vermuthe, auf die Entwicklung 
des lig. teres Licht werfenden Form. Dieselbe ist hier nicht eine 
rinssumschlossene, innerhalb des Knorpelüberzuges liegende Lücke, 
sondern sie ist eine von dem Rande aus in denselben einspringende 
Bucht. Dieselbe findet sich dieht am medialen Rande des Knorpel- 
überzuges, genau da, wo der Schenkelkopf der incisura acetabuli 
anliegt — insgesammt Verhältnisse, welche auf ein sehr kurzes, 
wenig entwickeltes, dem Kapselbande dicht anliegendes 
lig. teres schliessen lassen. Sehr seitlich dürfte die Einpflanzung 
auch bei Phoca sein, ja vielleicht fehlt das Band, worüber ich bei 
dem mir vorliegenden Material nicht sicher entscheiden kann ?). 


1) Erlaubt der vollständige Mangel einer fovea des Schenkelkopfes einen siche- 
ren Schluss auf Fehlen des lig. teres, so liefert umgekehrt die Anwesenheit einer 
fovea in der Hüftpfanne an sich keinen Beweis eines dort eingepflanzt gewesenen 
runden Bandes. Die von mir untersuchten Hüftbeine erwachsener Orangs zeigen 
zwischen beiden Schenkeln der facies lunata eine allerdings kleine, von der ineisura 
acetabuli aus rinnenförmig in die Gelenkpfanne eindringende fovea. (Gefässeintritt.) 

2) Wie weit die oben für den Menschen angegebene Bedeutung des lig. 
teres bei denjenigen Thieren, welche dieses Band besitzen, zutrifft, lasse ich 


74 WELCKER. 


IV. Schultergelenk. 


Insertionsverhältnisse des lig. coracobrachiale. — An das lig. teres der Hüfte 
erinnernde Bildung der Schulterkapsel. — Wahrscheinliche Art der Entwicklung 
des lig. teres. — Analogie des lig. teres acetabuli und der columna anterior des 
lig. coracobrachiale. — 

Nach den Angaben der Lehrbücher entspringt jener derbere Faser- 
strang der Schulterkapsel, welcher die Bewegungen des sich ausren- 
kenden und des zu reponirenden Humeruskopfes vorzugsweise bestimmt 
— das lig. coracobrachiale — vom Rande des Schulterhakens?); die 
Insertionsstelle am Armknochen wird meist nicht näher bezeichnet. — 
Einige nennen das tuberculum majus?) Ich möchte geltend machen, 
dass dieses Band, wie bereits SCHLEMM°) angegeben hatte, mit einer 
Wurzel vom Schulterhaken, und zwar nahezu von dessen Spitze, mit 
einer zweiten Wurzel an der Spitze des Gelenkpfannenrandes entspringt, 
und seine Anheftung an beiden Höckern des Oberarmes findet, und 
dass eben nur vermöge dieser Ursprungs- und Ansatzweise dieses Band 
jenen höheren Grad von Festigkeit gewinnt. 

Das lig. coracobrachiale, welches an der blosgelesten Schulter- 
kapsel als eine selbstständige Bildung weniger deutlich hervortritt und 
über seine Begrenzung Zweifel lassen könnte, ist dennoch in zwei- 
facher Hinsicht eine sehr greifbare Bildung: es ist derjenige ver- 
stärkte Theil der Schulterkapsel, welcher von den durch den processus 
coracoideus getrennten und getrennt zu den Armhöckern ziehenden Mm. 
subscapularis und supraspinatus unbedeckt bleibt; es ist ferner der- 
jenige verstärkte, nach innen leicht rinnenförmig gehöhlte Theil der 
Kapsel, welcher der Länge nach die das Gelenk durchziehende Biceps- 


dahingestellt; die sehr gewöhnliche Erscheinung, dass anatomisch identischen 
Bildungen innerhalb der Thierreiche sehr verschiedene Leistungen zufallen, 
könnte sehr leicht auch hier vorliegen. 

1) —,, Vom lateralen Rande des Schulterhakens, unter dem lig. coracoacro- 
miale‘“ (HentE, Bänderlehre, 70). — „Vom lateralen Rande der Wurzel des 
Schulterhakens‘“ (LuscHkA, Anat. III, 126). — „Vom Aussenrande des proc. 
coracoideus“ (Aeßy, Bau des m. K., 278). — „An der Wurzel des Schulterhakens“ 
(QUAIN-HOFFMANN, Anat. ], 186). 

2) — „An den grossen Höcker des Oberarmes“ (Laute, Anat. I, 106). — 
„Steigt vom proc. coracoid. zum tub. majus herab“ (Krause, I, 304). — „Ein 
breites Band, welches vom Rande des Schulterhakens — — entspringt und in 
die obere und hintere Wand der Kapsel ausstrahlt“ (Hexe, Bänderlehre, 70). 

3) MÜLLER’s Arch. 1853, p. 45. Zwei andere von SCHLEMM unterschiedene 
Verstärkungsbänder (lig. glenoideo-brachiale internum und inferius) dürften 
morphologisch wie physiologisch ein geringeres Interesse besitzen. SHLEMM’s 
Angaben über das lig. coracobrachiale haben, soweit ich weiss, nur in der 
neuesten Ausgabe von Hortstein’s Anatomie (5. Aufl. p.217) Beachtung gefunden. 


Ueber das Hüftgelenk etc. 


sehne deckt. 


75 


Dieses Band, isolirt gedacht ein Strang von etwa 1 bis 


1?/, °® Breite, wird sehr demonstrabel durch folgende Behandlung: 
Fig. 12. 


An einem Schulterstücke, dessen Muskeln 
mit Ausnahme des langen Kopfes des Biceps 
sämmtlich entfernt und dessen Kapselband nebst 
dem lig. coracoacromiale rein präparirt ist, 
wird die Kapsel durch zwei parallele, das lig. 
coracobrachiale zwischen sich einschliessende 
Schnitte (deren hinterer von der oberen Spitze 
der Scapularpfanne zur Mitte des tub. majus 
und deren vorderer von der Spitze des proc. 
coracoldeus zum tub. minus führt) gespalten. 
Der obere Ursprungsrand des gesammtenübrigen 
Theiles der Kapsel wird mit der Scheere dicht 
am labrum cartilagineum abgeschnitten und 
manchettenartig auf den OÖberarmknochen hinab- 
geschlagen. 

An diesem Präparate (Fig. 12) sieht man 
bei 1 die von dem Endtheile des Schulter- 
hakens kommende obere (längere) Wurzel 
des lie. coracobrachiale; daneben die mit der 
Bicepssehne von der Spitze der Pfanne ent- 
springende untere (kürzere) Wurzel. (Zwischen 
beiden Wurzeln eine Lücke der Kapsel, durch 
welche dieselbe mit dem unter der Sehne des 
m. subscapularis liegenden Synovialsacke com- 
municirt.) Das durch den Zusammentritt 
dieser Wurzeln gebildete Band ist zur Auf- 
nahme der Bicepssehne scheidenartig gehöhlt; 
die zu den Armhöckern herabtretenden Rand- 
fasern des Bandes” (ca und cp) springen 
beiderseitig columnenartig in’s Innere des 
Gelenkes vor, während die mittleren Fasern 
den sulcus intertubercularis überbrücken. 
Oberhalb dieses letztern, zwischen den beiden 
columnae, befindet sich der oben (page. 68) er- 
wähnte trichterförmige recessus (r), dessen Be- 
deutung für die Einsalbung des Gelenkes dort 
erörtert wurde. — Für die untenfolgende Be- 
trachtung ist es erheblich, dass (wie auch 
unsere Abbildung zeigt) die Fasern beider 
Wurzeln des lig. coracobrachiale vorzugsweise 
in die vordere Randcolumne (ce a) einfliessen. 


—— 
12. Lig. coracobrachiale 
der rechten Schulter. 


Fig. 


? = obere oder vordere (lange), 
vom Schulterhaken kommende 
Wurzel des lig. coracobrachiale ; 
daneben die mit der Bicepssehne 
vom Pfannenrande kommende hin- 
tere (kurze) Wurzel. 
ca und cp = vordere und hintere 
Randeolumne des Bandes. Zwischen 
beiden das zum suleus intertuber- 
eularis führende receptaculum 
synoviae. 

f = tuberculum majus. 
db Bicepssehne. 

r = receptaculum synoviae. 


76 


WELCKER. 


Diese vordere, zum tub. minus gehende Randcolumne (c a) des 
Bandes erregt noch in einer besonderen Beziehung unser Interesse. Es 
scheint nämlich, dass in ihr, zumal in einzelnen individuellen Abän- 


derungen derselben, 


das Analogon des runden Bandes des 


Schenkelkopfes zu suchen ist. In nicht allzuseltenen Fällen rückt, 
wie ich finde, die Insertionsstelle dieser columna anterior, die normal 
nur dicht an den Rand des Glenoidalüberzuges des Schulterkopfes an- 
rührt, mehr in’s Innere der Knorpelfläche, so dass der Contour der 
letzteren einen mehr oder minder tiefen Einschnitt erhält. Einen 
ziemlich hohen Grad dieses Zustandes zeigt das von mir conservirte 
Präparat, Fig. 13, und es gleicht die in dem Humeruskopfe befindliche 
- Grube nach Gestalt und Lage auffallend der oben erwähnten seitlich 
eingepfianzten Fovea des Schenkelkopfes verschiedener Säugethiere. 
Eine Steigerung dieses Zustandes der Schulterkapsel würde im Gefolge 
haben, dass die nach dem Inneren der Gelenkhöhle hin mehr und 
mehr Relief gewinnende, den Synovialüberzug nach innen vordrängende 
Columna schliesslich die Synovialhaut mesenteriumartig hinter sich 


Fig. 13. 


Fig. 13. Kopf eines rechten Ober- 
armbeines mit weit in's Innere des 
überknorpelten Theiles hereinge- 
rückter Einpflanzung der vorderen 


Columne (ca) des ig. 
brachiale, 
öb = Bicepssehne. 


coraco- 


nachschleppte, um endlich, nach Wegfall dieser 
Verbindungsfalte, genau nach Art des lig. teres 
der Hüfte, die Gelenkhöhle frei zu durch- 
ziehen. 


Ich vermuthe, dass die Entwicklung 
des lig. teres femoris diesen Gang einschlägt, 
was durch Schnitte an hinlänglich gehärteten 
Embryonen sehr früher Entwicklungsstadien 
unschwer zu ermitteln sein würde. Leider 
fehlt es mir zur Zeit an passendem Material, 
um hier ein sicheres Ergebniss zu erzielen. 
Bei einem Embryo der 12. Woche fand ich 
das lig. teres bereits ringsum frei. Bei Eröff- 
nung der Schenkelpfanne eines „Embryo der 
10. Woche“, bei welchem die Stelle der zu- 
künftigen Fovea capitis femoris (entsprechend 
der stark auswärtsrotirten und gebeugten 
Schenkelhaltung der Embryonen) der in- 
cisura acetabuli sehr dicht anlag, schien es 
allerdings, als ob das lig. teres nicht rings- 
um frei, sondern wandständig sei, ähnlich 


der oben beschriebenen columna anterior des lig. coracobrachiale; leider 
waren die Theile dieser Hüftkapsel für Fertigung mikroskopischer 


Ueber das Hüftgelenk etc. MT 


Schnitte allzuwenig gehärtet, und’ ich darf es zunächst nur als eine 
sehr wahrscheinliche Annahme aussprechen: 

„Das lig. teres des Hüftgelenkes ist eine Weiterent- 
wicklung der columna anterior des lig. coracobrachiale der 
Schulterkapsel, welche columna anterior sich am menschlichen 
Arme in einzelnen Fällen thatsächlich zu einer Art wandständigen, 
nicht losgelösten, sondern extra saccum membranae synovialis ver- 


harrenden lig. teres umwandelt.“ 


Fig. 14. 


Die von mir behauptete Analogie tritt durch beistehende, nach 
meinen Präparaten entworfenen Abbildungen, Fig. 14 A und B, sehr 


augenfällig hervor: 


Am Schultergelenke: 
(Fig. 14. A) 
f eolumna anterior des lig. coraco- 
brachiale Ba 
ce lig. coracoacromiale . 


b kurze, der Schulterpfanne sehr 
nahe gerückte Wurzel der columna 
anterior . 


I 


II 


Am Hüftgelenke: 
(Fig. 14. B) 


Ff lig. teres acetabuli. 


ce lig. „ischiopubicum1)‘‘ (lig. trans- 
versum acetabuli). 


b kurze, der Beckenpfanne sehr 


1) Ich fügte obige Bezeichnung bei, um die Analogie beider mit c be- 


zeichneten Bänder anzudeuten. 


18 “ — WELCKER. 


nahe gerückte und am Becken ver- 


harrende Wurzel des lig. teres. 
! lange, von der Pfanne sich ent- 


fernende, zum lig. coracoacromiale tre- 
tende Wurzel der columna anterior = l lange, vom Becken sich loslösende 
und über das lig. transversum sich 


werfende Wurzel des lig. teres}). 
x Verlängerung, welche die lange 
Wurzel der columna auf der Aussen- 
fläche der Schulterkapsel besitzen 
müsste, um en nn. imiteel, derlangen Wurzeledeszlioteres, 
auch hinsichtlich des extracapsulären 
Verlaufes dieser letzteren überein- 
zustimmen. 


Arpr's Angaben über das lig. teres enthalten meiner Meinung 
nach eine sinnreiche Beschreibung dieses Bandes, nicht aber eine 
Würdigung desselben nach seinen morphologischen Beziehungen; sie 
geben keinen Fingerzeig über die mögliche Art der Entwicklung 
dieser sonderbaren Bildung, ja dieselbe erscheint bei jener Auffassung, 
so prägnant jene Beschreibung das Aeussere des Baues darlegt, nach 
der entwicklungsgeschichtlichen Seite noch räthselvoller als zuvor. 
AEBY sagt (a. a. O. 305): | 


„Die Ringform der Gelenkflächen?) bedingt eine ganz eigenthüm- 
liche Anordnung der Gelenkkapsel. Sie wird zu einer doppelten und 
begrenzt die Gelenkhöhle nicht blos, wie gewöhnlich an einer, sondern an 
zwei einander gegenüberliegenden Seiten. In unserem Falle sind die beiden 
Kapseln einander freilich so unähnlich, dass man nur der einen, der äusseren, 
diese Bedeutung zugestanden hat, die andere dagegen unter dem durchaus 
unzutreffenden Namen des runden Bandes (lig. teres) als eine Bildung ganz 
eigner Art glaubte hinstellen zu sollen. Richten wir unsere Aufmerksam- 
keit vor allem auf diese vielfach verkannte innere Kapsel (lig. capsulare 
int.). — — Ihr Umfang entspricht dem Innenrande der beiden Gelenkflächen, 
und sie stellt demnach ein trichterförmiges gegen die Pfanne er- 
weitertes Rohr vor. An dieser umspannt sie den Pfannengrund, indem 
sie nach unten an den frei über dessen Einschnitt hinweggehenden Theil 
des labrum gleroidale sich anheftet; am Kopfe folgt sie dem inneren Knor- 
pelsaume. Ihre obere Wand ist so tief nach unten ausgestülpt, dass sie an 
die untere fast unmittelbar sich anlegt und mit ihr scheinbar ein einfaches, 
glattgedrücktes Band (eben das fälschlich sog. lig. teres) erzeugt, das von 
l) Die Ursprungsstelle derselben wurde in der Zeichnung, während sie am 
Präparate auf der abgewendeten Seite der Kapsel liegt, etwas nach vorn gerückt, 
so dass wir das Band bei X auf der Aussenfläche der Kapsel entspringen sehen. 

2) „Ringförmig“ nennt Azgy die Gelenkfläche des Schenkelkopfes, weil der 
Knorpelüberzug die Fovea nach Art einer Insel ringförmig umkreist; ebenso ist 
die Gelenkfläche der Pfanne ringförmig, wenn man der Facies lunata die Innen- 
fläche des lig. transversum hinzufügt. 


Ueber das Hüftgelenk etc. 79 


der incisura acetabuli steil zur Grube des Gelenkkopfes emporsteigt. Die 
Aussenfläche der inneren Gelenkkapsel wird theils von Fett- 
theils von Sehnenlagen überdeckt, welche das von ihr gebildete Rohr 
vollständig ausfüllen und durch den Pfanneneinschnitt frei nach Aussen her- 
vortreten.“ 


ArBy betont bei dieser Schilderung die Synovialmembran und 
deren Insertionsränder; ich sehe das Treibende bei der Bildung des 
lig. teres in den einrückenden Fasern der äusseren, fibrösen 
Schicht der Kapsel. Und offenbar ist die Ringform der Gelenk- 
flächen, welche nach Arpgy die Anordnung der Gelenkkapsel bedingen 
soll, nicht das Primäre — (die AzprY’sche Doppelkapsel wäre 
eine ganz unerklärliche, einzig dastehende Bildung) — sondern sie 
ist das Secundäre; ‘die Fovea des Schenkelkopfes ist das Erzeugniss 
der Einwanderung der extracapsulären Bandfasern, und es schliesst 
unsere Bildung, so aufgefasst, sich ohne Zwang anderen Bildungs- 
vorgängen an, wie sie aus der Entwicklungsgeschichte wohl bekannt 
sind. Frei durch einen Hohlraum ziehende Stränge kommen im Säu- 
- gethierkörper allerdings nur als seltne Ausnahmen vor: in der Bauch- 
höhle liegen Ureteren, vasa deferentia u.s. w., im Herzbeutel die vena 
cava inf. an die Wandung angeheitet, und wo sich ein Theil stärker 
ins Innere vordrängt, da schleppt er die serosa hinter sich her, die ge- 
wöhnlich erhalten bleibt. Als eine jener Ausnahmen würde das lig. 
teres der Hüftkapsel dastehen; aber diese Ausnahme verliert ihr Auf- 
fälliges, wenn wir dieselbe auf die geschilderte Entwicklung zurück- 
führen dürfen. 


Ueber die Muskeln der menschlichen Zunge 


von Dr. Hesse. 


Assistent am anatomischen Institute in Leipzig. 


Die sorgfältige Untersuchung der Zungenmusculatur macht sehr 
bald andere Hülfsmittel erforderlich, als die der gewöhnlichen Präpa- 
ration. Der Grund hierfür liegt in einer Eigenthümlichkeit des Baues 
der Zungenmuskeln, wodurch sich dieselben von andern völlig unter- 
scheiden. Während wir nämlich z. B. bei den Muskeln der Extremi- 
täten sehen, dass die von ihnen entwickelten Kräfte eine im Verhältniss 
sowohl zum bewegenden, als zum bewegten Theile sehr kleine Angriffs- 
fläche erhalten, vertheilen sich hier ganz entgegengesetzt die einzelnen 
Angrifispunkte auf eine grosse Fläche. Im Zusammenhange mit dieser 
Einrichtung steht es, dass sich die Zungenmuskeln nicht an einen 
starren Hebel ansetzen, sondern dass sie als Zugkräfte nur auf ihren 
Angrifispunkt wirken und diesen die grösste Excursion machen lassen. 
Den Uebergang von denjenigen Muskeln, die sich an Knochen inseriren, 
zu den hier zu besprechenden, finden wir überall da, wo Muskeln sich 
in sehnige Häute festsetzen, wie die breiten Bauchmuskeln und die 
geraden und schiefen des Auges. Indess bei allen diesen bleibt die 
breite Endsehne noch ein mit der Muskelmasse zusammenhängendes 
Ganze, während sich die Zungenmuskeln durch die Divergenz ihrer 
Bündel in sehr zahlreiche räumlich getrennte Sehnen auflösen. Die 
srosse Anzahl dieser Angrifispunkte macht nun die Zunge zu dem so 
überaus viel und leicht beweglichen Organ und es wird nur an Inner- 
vations-Einrichtungen liegen, dass sich die zahlreichen Einzelbewegungen, 
die wir durch isolirte Contraction der einzelnen Bündel erhalten würden, 
zu einer geordneten Totalbewegung addiren. Nicht ohne Bedeutung ist 
es fernerhin jedenfalls für die Mechanik der Zungenmuskeln, dass die 
Mehrzahl derselben nicht geradlinig sondern in Bögen verlaufen. — 

Wir können nun in Rücksicht auf diese Eigenthümlichkeit 3 
Gruppen von Muskeln an der Zunge unterscheiden: 1. solche, die in 


Dr. Hesse. Ueber die Muskeln der menschlichen Zunge. sl 


ihrem ganzen Verlaufe sich nie zu einer compacten Muskelmasse 
sammeln (Transversus, ein Theil der oberen Längsmuskeln, und der 
selbständigen perpendiculären Fasern); 2. solche die an ihrem fixen 
Punkte als compacte Muskeln entspringen, und sich dann in Faser- 
systeme auflösen (alle an knöchernen Theilen entspringenden: Genio- 
glossus, Hyoglossus, Styloglossus und Chondroglossus) und 3. solche, 
die in einzelnen Faserbündeln sowohl beginnen als endigen, sich aber 
in ihrem Verlaufe einmal zu einer grösseren Masse vereinigen (Lingualis). 

Da nun die verschiedenen Muskelsysteme in der Zunge im Allge- 
meinen senkrecht zu einander stehen, müssen sie sich gegenseitig 
kreuzen, und diese Durchkreuzung ist es, welche auch der geübtesten 
Hand für die Darstellung mit dem Messer unüberwindliche Schwierig- 
keiten entgegenstellt, die nicht überwunden werden, auch wenn die 
einzelnen Muskelbündel gross genug blieben um für das blose Auge 
erkennbar zu sein. 

Wir finden daher auch die zuverlässigen Beschreibungen über den 

Gegenstand von denjenigen Forschern gegeben, welche jene Unter- 
suchungsmethode mit der durch’s Mikroskop vertauschten. Dies ge- 
schah zuerst in ausführlicher Weise von KÖLLIKER. Seine mikro- 
skopische Anatomie, eine fast unerschöpfliche Quelle histologischer 
Beobachtungen, liefert uns auch für den fraglichen Gegenstand ganz 
Vorzügliches. 
Dass durch Isoliren der Muskeln auf chemischem Wege (langes 
Kochen ete.) gute Resultate erreicht worden wären, ist mir nicht be- 
kannt, und die Versuche, die ich damit selbst anstellte, fielen mir 
nicht genügend aus, um mich zu weiterer Uebung zu ermuthigen. 

Da ich das aus den anatomischen Lehrbüchern Bekannte voraus- 
setzen darf, so erlaube ich mir, den Leser in den Gang der Unter- 
suchungen einzuführen, den ich eingeschlagen habe, und den ich auch 
im Folgenden beibehalten werde: 

Als ich anfangs das Bild, welches ich durch Lectüre gewonnen 
hatte, mit demjenigen verglich, welches mir ein Schnitt durch die 
Zunge lieferte, fand ich oft gegen meine Vermuthung grosse Schwie- 
rigkeiten in der Deutung der erhaltenen mikroskopischen Bilder. 

Hier lag eine Gruppe von Muskel-Querschnitten, deren Zugehörig- 
keit zu einem der bekannten Muskeln nichts weniger als einleuchtend 
war, dort verliefen parallel ihrer Richtung getroffene Muskelfasern, 
deren Ursprung durch diesen Schnitt sich auf keine Weise ermitteln 
liess. — Ich wurde so allmählich zu der Ueberzeugung gebracht, dass 
es nur einen sichern Weg gebe, zum Ziele zu gelangen, nämlich den: 


die ganze Zunge der Reihe nach in Schnitte zu zerlegen und nun 
Zeitschrift f. Anatomie. Bd. ]. 6 


32 Dr. Hesse. 


einen Schnitt nach dem andern der Betrachtung zu unterziehen. Nach- 
dem ich dies in frontaler Ebene gethan-hatte, erkannte ich bald das 
Werthvolle der Arbeit, doch blieb mir für viele Punkte die Kenntniss 
noch ungenügend. Erst nachdem ieh auch in den beiden andern senk- 
rechten Ebenen des Raumes mir vollständige Serien angelegt hatte, 
gelang es mir, die Zweifel zu beseitigen. 

Bei der Beschreibung der Serien, die ich vorausschicke, werde ich 
selegentlich schon das vollständige Bild des betreffenden Muskels mit 
besprechen. Es werden sich daraus schon hier die plastischen Formen 
und die topographischen Verhältnisse der einzelnen Muskeln gewinnen 
lassen, sodass ich zum Schlusse nur noch kurz hierauf eingehen 
werde. — 

In technischer Beziehung bemerke ich noch, dass ich die kind- 
lichen Zungen, die ich zur mikroskopischen Untersuchung benutzte, 
in Chromsäure (anfangs !/,°/,, dann 1°/,) erhärtete und dann ohne 
weitere Färbung einlegte. Die Färbung, wie sie durch die einfache 
Chromsäure-Behandlung entsteht, ist für die Untersuchung von Muskeln 
eine sehr günstige, und ist schon der Kürze wegen vorzuziehen. Da- 
zu kommt, dass die kindlichen Leichen selten frisch genug sind, um 
noch eine gute Carmin-Tinction zu ermöglichen. Nur empfehle ich 
zur Aufhellung der Schnitte Terpentinöl, nicht Kreosot zu benutzen. 
Letzteres erfordert zwar weniger Sorgfalt in der Entwässerung und in 
der Anfertigung dünner Schnitte, doch bekommt der in Chromsäure 
gehärtete Muskel dadurch leicht eine zu dunkle Farbe. — 

Ich benutzte in der Regel eine 90fache Vergrösserung; für manche 
Dinge genügte schon die Loupe; starke Vergrösserungen brauchte ich 
nur selten (so bei Untersuchung des Septum). 

Die beigefügten Abbildungen _ habe ich zum Theil unter dem 
Zeichnungsprisma, zum Theil sind sie nach photographischen Ab- 
bildungen meiner Präparate gefertigt. 

Herrn Professor Hıs bin ich für die mannichfachen Unterstützungen, 
die er mir bei der Arbeit und bei Herstellung der photographischen 
Abbildungen zu Theil werden liess, zum grössten Dank verpflichtet. 


I. Frontale Schnitte. (Taf. III. Fig. 1. Taf. IV. Fig. 4.) 


Das Bild, welches ein in frontaler Ebene etwa durch die Mitte 
der Zunge geführter Schnitt giebt, ist folgendes: 

In der Mitte des Schnittes steht das Septum, von dem aus die 
Fasern des transversalen Systems nach beiden Seiten hin ausstrahlen. 
Diese Fasern kreuzen sich mit denen des perpendiculären Systems, 


Ueber die Muskeln der menschlichen Zunge. 83 


welche hier ebenfalls parallel ihrem Faser-Verlaufe getroffen sind und 
die von der unteren zur oberen Zungenfläche gehen. Endlich treffen 
wir überall unter der Schleimhaut eine verschieden mächtige Schicht 
von senkrecht durchschnittenen Muskelfasern, welche wir also vor- 
läufig als zu dem longitudinalen System gehörig bezeichnen werden. 

1. Das erste System, das der transversalen Fasern, präsen- 
tirt sich auf diesem Schnitte am klarsten. Vom Septum als ziemlich 
compactes, hohes und schmales Blatt entsprungen, gehen die Fasern 
radienförmig zur Peripherie ihrer Zungenhälfte; während aber am Sep- 
tum ein solches Blatt völlig ununterbrochen erscheint, so treten je 
näher der Peripherie um so grössere, zahlreiche, parallel dem Verlaufe 
der Muskeln gestellte Spalten darin auf, die ihre Entstehung dem 
Umstande verdanken, dass die Transversusfasern eines Blattes sich zu 
einzelnen über einander liegenden Bündeln gruppiren und als solche 
die Peripherie erreichen. — 

Die zunächst unter der Zungenrücken-Schleimhaut liegenden Trans- 
versusbündel laufen mit geringer Concavität nach aufwärts, erst ein 
Stück unter den Bündeln der senkrecht durchschnittenen oberen Längs- 
muskellage hin und treten dann, indem sie nach aufwärts umbiegen, 
etwa an der Grenze des inneren und mittleren Drittels einer Zungen- 
hälfte, in Gemeinschaft mit Bündeln des perpendiculären Systems, 
durch die Bündel der oberen Längslage hindurch um zur Schleimhaut 
der oberen Zungenfläche zu gelangen. Die tieferen setzen sich successive 
immer weiter nach aussen zu fest; auch gesellen sie sich nicht mehr 
den perpendiculären Bündeln bei, sondern kreuzen sich mit ihnen an- 
fangs unter kleinen, dann unter grösseren spitzen Winkeln, und bilden 
mit ihnen Schlingen, in denen die Längsbündel liegen. Die tiefsten 
transversalen Fasern endlich laufen nur schwach nach abwärts. Ihre 
Riehtung ist fast horizontal nach auswärts, sodass also die mensch- 
liche Zunge transversale Fasern, die vom Septum zur untern Zungen- 
fläche gehen, nicht enthält, während wir solche bei vielen Säuge- 
thieren in grosser Anzahl finden. 

2. Die perpendiculären Fasern, die uns der Frontalschnitt 
zeigt, können recht wohl in 2 Partien zerlegt werden, eine innere und 
eine äussere. Die innere liegt dicht neben dem Septum; ihre Fasern 
kommen aus dem in der Mitte des Zungenbodens liegenden, leicht als 
Genioglossus erkennbaren Muskel; sie steigen vertical von unten nach 
oben in die Höhe, treten zwischen zwei benachbarten Transversus- 
blättern hindurch und vereinigen sich an der unteren Fläche der oberen 
Längsmuskellage zu Bündeln, welche durch die der letzteren hindurch- 
gehen, um in der Schleimhaut des Zungenrückens zunächst der 

6* 


84 Dr. Hesse. 


Mittellinie zu endigen. Dabei fällt es auf, dass die Fasern dieser 
inneren Partie des perpendiculären Systems je weiter lateralwärts, um 
so mehr ihre verticale Lage verlieren, die sie in der Nähe des Septums 
haben. Sie divergiren hier vielmehr von unten nach oben, sodass ihr 
oberes Ende einen grösseren Abstand von der Mittellinie hat, als ihr 
unteres. Es kreuzen sich in Folge dessen diese äusseren Bündel eines 
Genioglossusblattes mit den zunächst liegenden perpendiculären Fasern 
der äusseren Partie. — Gewöhnlich sieht man zu beiden Seiten des 
Septums, dass ausser den senkrecht aufsteigenden Genioglossus- und 
den horizontal nach auswärts strebenden Transversusfasern, noch einige 
schief von unten herauftreten, um sich in sehr spitzem Winkel an’s 
Septum zu setzen. Sie sind in den Genioglossus zurückzuverfolgen. 
Unter- und oberhalb des Septum sieht man ferner in dem mittleren, 
und noch etwas häufiger am hinteren Theile der Zunge die innersten 
Genioglossusfasern beider Seiten sich kreuzen und je zur andern Seite 
herübertreten. Zwischen den unter dem Septum sich kreuzenden endlich 
finden sich hinten reichlicher als vorn, einzelne, zerstreute Querdurch- 
schnitte von längsverlaufenden Muskelbündeln. — 

Die äussere Partie eines perpendiculären Blattes ist zwar die un- 
mittelbare Fortsetzung der inneren, insofern als sie im selben Inter- 
stitium zwischen den gleichen Transversusblättern liest, unterscheidet 
sich aber von dem inneren Theile erstens dadurch, dass die Richtung 
ihrer Fasern schief von unten nach oben und innen geht, sodass also 
die entsprechenden Fasern beider Zungenhälften sich in der Verlängerung 
über der Mittellinie des Zungenrückens schneiden würden. Zweitens 
verfolgt man diese Partie nicht mehr in den Genioglossus hinein, son- 
dern zwischen die quer durchschnittenen Muskelbündel, welche sich 
nach aussen an den Genioglossus anschliessen. Ob sie aus diesem 
ihren Ursprung nehmen, lässt sich bei dieser Ansicht nicht bestimmen, 
doch muss es auffallen, dass man in der grossen Masse perpendiculärer 
Fasern, die sich über jenen querdurschschnittenen Längsmuskeln finden, 
verhältnissmässig wenige dieselbe ganz durchsetzen sieht, um zur unteren 
Schleimhaut zu treten. 

Die Grösse der perpendiculären Bündel nimmt nach dem Seiten- 
rande zu allmählich ab, auch verlaufen sie nicht ganz geradlinig, son- 
dern sind schwach concav nach auswärts gebogen. Nach oben durch- 
brechen sie die Bündel der oberen Längslage, um sich am Zungen- 
rücken auswärts von den Genioglossusfasern zu inseriren. Nur die 
innersten setzen sich etwas näher dem Septum fest, als die äussersten 
Genioglossusfasern. 

3. Ueber die Fasern des längsverlaufenden Systems erhalten 


Ueber die Muskeln der menschlichen Zunge. 85 


wir durch den Frontalschnitt den wenigst genügenden Aufschluss. 
Dieselben sind überall scheinbar senkrecht durchschnitten und man 
darf nicht hoffen, etwa aus der Form des Querschnittes noch ein Ur- 
theil zu gewinnen, welche prägnantere Richtung sie an dieser Stelle 
gehabt haben. Indessen fällt sofort in’s Auge, dass an der ganzen 
Peripherie der Zunge, soweit sich Schleimhaut findet, unter derselben 
eine verschieden mächtige Lage von Querschnitten längsverlaufender 
. Muskelbündel liest. Am prägnantesten gilt dies für den Zungenrücken. 
Wir sehen hier die Längslage zu schmalen und hohen, neben einander 
stehenden Bündeln geordnet, die schmale Räume zwischen sich frei 
lassen für den Durchschnitt der oberen Enden der perpendiculären und 
der erwähnten Transversusfasern. Ueber dem Septum erreicht diese 
Lage ihre grösste Höhe, indem sich hier einige Bündel besonders tief 
hinabschieben, und so einen spitzen, einspringenden Winkel bilden. 
Nach dem Seitenrande zu werden die Längsbündel immer kleiner und 
spärlicher, um an der untern Fläche wieder zuzunehmen. Da wo 
keine Schleimhaut mehr ist, erhalten wir an der untern Fläche die 
Querschnitte ziemlich dicker Längsmuskeln, von denen es .leicht ist, 
sich zu überzeugen, dass sie dem Lingualis, Hyoglossus und Stylo- 
glossus angehören; an ihnen ist häufig sehr auffällig, dass namentlich 
ihre obersten Partien nicht quer, sondern schief durchschnitten sind. 
Die unter dem Septum befindlichen, spärlichen und zerstreut liegenden 
Längsbündel-Querschnitte erwähnte ich schon bei Betrachtung der 
inneren, sich kreuzenden Genioglossusfasern. — 

Während diese Beschreibung für den grössten (mittleren) Theil 
der Zunge gilt, erfährt das Bild des Frontalschnittes nach der Spitze 
sowohl als auch nach der Basis hin, nicht unbeträchtliche Verän- 
derungen. 

Je weiter nach der Spitze zu, um so mehr nehmen alle Muskel- 
lagen an Mächtiskeit ab. Die transversalen Fasern steigen vorn etwas 
tiefer nach abwärts als im hintern Theil der Zunge. Der Mantel der 
Längsmuskeln verliert namentlich an der untern Zungenfläche bedeutend 
an Dicke, während dies an der oberen Fläche allmählicher geschieht. 
Im vordersten Theile der Spitze treffen wir endlich nur noch spär- 
liche, senkrecht getroffne Bündel, die sich aber immer noch in eine 
obere, sehr schwache, und eine aus zahlreichen Bündeln bestehende 
untere Gruppe trennen lassen. — Mit der Abnahme der unteren Längs- 
lage geht Hand in Hand eine Zunahme von solchen perpendieulären 
Fasern, die wir durch die unteren loneitudinalen Bündel hindurch bis 
in die Schleimhaut der unteren Zungenfläche verfolgen können. End- 
lich erhalten wir in der Spitze immer reichlichere transversale Fasern, 


s6 Dr. Hesse. 


die von einer Seite zur andern gehen, ohne durch das Septum unter- 
brochen zu werden. 

Am hintern Drittel der Zunge liefert der Frontalschnitt ein be- 
trächtlich anderes Bild. Wenn auch der Grundtypus der Muskelan- 
ordnung derselbe ist, wie im Vordertheile der Zunge, so herrschen 
doch hier die Muskeln, die wir querdurchschnitten erhalten, die also 
an dieser Stelle wenigstens einen sagittalen Verlauf haben müssen, 


stark vor. Es sind dies der Lingualis, Hyoglossus und Styloglossus, . 


die wir als mächtige Muskelmassen am Boden und dem Seitenrande 
der Zunge erblicken. Die obere Längsmuskellage dagegen verliert sehr 
an Regelmässigkeit. Sie besteht nur noch aus zahlreichen Bündeln, 
die sich überall zwischen die dicht bei einander liegenden Drüsen der 
Zungenwurzel einschieben. 

Zu einer Täuschung kann man durch den Frontalschnitt im hintern 
Zungendrittel leicht veranlasst werden in Betrefl der Beurtheilung der 
transversalen Fasern. Man trifft nemlich auf solchen Schnitten den 
Transversus nicht mehr als ein von unten nach oben zusammenhäng- 
endes Blatt, sondern er ist hier immer durch schmale, horizontal ge- 
stellte Streifen von senkrecht durchschnittenen Muskelbündeln unter- 
brochen, welche ebenfalls vom Septum bis zum Seitenrande reichen, 
sodass man statt eines zusammenhängenden etwa 5 bis 6 niedrige, über 
einander stehende Transversusblätter erhält. Man könnte nach diesem 
Bilde leicht meinen, dieselben würden hier von longitudinal verlaufen- 
den Blättern durchbrochen, doch klärt ein Sagittalschnitt den Irrthum 
leicht auf und ich werde bei Beschreibung dieser darauf zurückkommen 
(pag. 88). Vorläufig füge ich nur hinzu, dass man ganz entsprechende 
Bilder wie in.der Mitte auch hier erhält, wenn man den Schnitt nicht 
senkrecht, sondern in schiefer Ebene von hinten nach vorn und unten 
führt. — Uebrigens strahlen die transversalen Fasern hier weniger nach 
aufwärts aus, sondern laufen unter den Drüsen der Zungenwurzel 
horizontal nach aussen. Die Fasern des perpendiculären Systems können 
auch nur bei der eben angegebenen, veränderten Schnittrichtung in 
ihrem Verlaufe gesehen werden. An verticalen Schnitten liefern sie die 
eben erwähnten Streifen querdurchschnittener Muskelbündel. Endlich 
verfolgt man an Frontalschnitten dieser Gegend leicht transversale 
Fasern ohne Unterbrechung in den Musc. Glossopalatinus. — 


II. Sagittalschnitte. (Taf. II. Fig.2.3u.4. Taf. IV. Fig. 1.2.) 


Da die Sagittalschnitte durch die Zunge sehr verschiedene Bilder 
geben, je nachdem sie der Mittellinie näher oder entfernter von ihr 


ee 


Ueber die Muskeln der menschlichen Zunge. 57 


angelegt sind, so wird es auch nothwendig, die Schnitte in diesen 
einzelnen Gegenden besonders zu beschreiben. Ihr wesentlichster Un- 
terschied besteht darin, ob sie im Bereiche des Genioglossus, des 
Lingualis, oder noch weiter nach aussen geführt sind. 

1. Nahe der Mittellinie, also durch den Genioglossus geführt, 
erhalten wir einen Schnitt, der schon für’s blose Auge in drei über 
einander liegende Abtheilungen zerfällt. Wenn man nämlich den Ur- 
sprungspunkt des Genioglossus an der Innenfläche des Unterkiefer- 
körpers als Mittelpunkt betrachtet, von dem aus man drei concentrische 
Kreisbogen gezogen hätte, so ist der äusserste, grösste dieser Bögen 
die Rückenfläche der Zunge, der folgende kleinere wird durch den 
oberen und der innerste durch den untern Rand der transversalen 
Blätter gebildet. Zwischen diesen drei Bogenlinien und ihrem Mittel- 
punkte erhalten wir nun die drei übereinander liegenden Zonen, welche 
von der Spina mentalis nach dem Rücken zu an Dicke (Höhe) ab-, an 
Umfang (Länge) aber zunehmen. In der innersten Zone strahlen die 
Fasern des Genioglossus fächerförmig gegen die Substanz der Zunge 
hin, ohne dass man hier noch einen andern Muskel erblickte. In der 
mittteren Zone werden die Genioglossusstrahlen ganz regelmässig unter- 
brochen von den hohen, schmalen Querschnitten der transversalen 
Blätter und in der äussersten erhalten wir unregelmässig wechselnd 
kleine Strecken von perpendiculären Genioglossusfasern und sagittal 
verlaufende vom Longitudinalis superior. 

Die perpendiculären Fasern gehören in diesen Schnitten 
auschliesslich dem Genioglossus an. Die tiefsten derselben gehen dicht 
über dem, zwischen Innenfläche des Kinns und Zungenbein ausge- 
spannten Musc. Geniohyoideus, von ihm nur durch eine dünne Fascie 
‚getrennt. Einige zarte Sehnen derselben besetzen noch den obersten 
Rand des Zungenbeins (M. geniohyoid. superior). Die nächsten gehen 
hart über dem oberen Rande des Zungenbeins in das feste Gewebe 
über, welches die Vorderfläche der Epiglottis umgiebt und hierauf erst 
treten die Genioglossusbündel in die Substanz der Zunge ein, um erst 
zwischen den transversalen Blättern, dann zwischen den Bündeln der 
obern Längslage sich in der ganzen Ausdehnung des Zungenrückens 
in der Schleimhaut desselben festzusetzen. An der Zungenspitze, die 
der Genioglossus übrigens nicht völlig erreicht, biegen seine vordersten 
Fasern in einen nach vorn convexen Bogen um, und gehen dicht über 
dem Frenulum nach vorn und oben. Doch gewahrt man hier leicht, 
dass es ausserdem hier noch selbständige perpendiculäre Fasern giebt, 
die direct von der obern zur untern Schleimhautfläche verlaufen. Auf 
ihrem Wege durch die transversalen Blätter tauschen je 2 benachbarte 


88 | Dr. Hesse. 


Genioglossusblätter nicht selten kleinere Bündel unter einander aus, 
wie man schon mit schwacher Vergrösserung sieht. Es hat dies auf 
die Blätter des transversalen Systems den Einfluss, dass eine Anzahl 
derselben in 2 bis 3 übereinander stehende Abtheilungen getrennt wird. 

Die Zahl der Blätter des transversalen Systems, die na- 
türlich mit denen des Genioglossus, mit welchen sie ausgenommen im 
vordern Theil der Spitze immer alterniren, fast übereinstimmen muss, 
fand ich nach 3 Zählungen im Mittel 105. Das höchste Blatt in der 
Mitte des Schnittes (beim Neugebornen) maass 6,0 Mm., das letzte, 
über dem Zungenbein liegende 4,0 Mm. — Die Dicke der Transversus- 
wie der Genioglossusblätter ist sehr ungleich. An der Zungenspitze 
sind die ersteren 2 bis 3 Mal so dick als die Genioglossusblätter, 
während in der Mitte beide ziemlich gleiche Dicke haben. Dann 
übertreffen die Genioglossusfasern jene an Dicke, und im hintersten 
Zungenabschnitte überwiegen wieder die transversalen Blätter (bis 
0,5 Mm. dick). Im Vergleiche zu den Sagittalschnitten, die näher am 
Seitenrande geführt sind, erscheinen hier die Querschnitte der 
transversalen Blätter ziemlich compact. Ausser den erwähnten 
Trennungen, welche sie durch die, zwei benachbarte Genioglossusblätter 
verbindenden Fasern erfahren, finden sich nur noch ganz schmale 
Lücken, welche einen solchen Querschnitt in eine Anzahl dicht bei- 
einander liegender Felder unterabtheilen. 

Die Ebenen der transversalen Blätter stehen nun keineswegs fron- 
tal. wie man es sich vorzustellen geneigt ist. Dies gilt nur für die 
Mitte der Zunge. Je weiter nach rückwärts, um so mehr nehmen die 
Blätter eine schiefe Richtung nach hinten und oben ein und das letzte 
transversale Blatt liegt fast horizontal, sodass es sich mit dem ersten 
(in der Zungenspitze) unter Rechtem oder einem noch grösseren Win-. 
kel schneiden würde. Es ist dies ganz selbstverständlich, wenn man 
berücksichtigt, dass jedes transversale zwischen zwei Genioglossusblättern 
liegt, und von diesen ist uns die Divergenz ihrer Ebenen gegen den 
Zungenrücken hin ganz geläufig. — Denkt man sich nun durch einen 
Sagittalschnitt im hintern Theile der Zunge wieder einen Frontal- 
schnitt gelegt, so erklärt sich auf den ersten Blick, dass nur die 
andere Stellung der Ebenen der Blätter es ist, welche veranlasst, dass 
wir hier im frontalen Schnitte die transversalen Blätter von Streifen 
querdurchschnittener Muskeln unterbrochen finden. Wir haben eben 
nicht ein transversales Blatt getroffen, sondern eben so viele, als solcher 
Querstreifen vorhanden sind. Es wird nun verständlich, dass man die 
Schnitt-Richtung in der auf pag. 86 angegebenen Weise verändern muss, 
um ein unversehrtes transversales Blatt zu erhalten. 


Ueber die Muskeln der menschlichen Zunge. 89 


Die Längsmuskellage ist die oberste schwächste von den 3 
Zonen des Sagittalschnittes. Sie bildet eine 3 bis 4 Mm. dicke Lage 
längs der ganzen Ausdehnung des Zungenrückens, dicht unter der 
Schleimhaut. Nur an der Spitze wird sie schmäler. — Sie wird von 
den senkrecht zum Zungenrücken aufsteigenden Genioglossusfasern ge- 
kreuzt; diese sehen wir nämlich in dem Augenblicke, wo sie aus den 
Transversusblättern heraustreten, sich in sagittaler Richtung etwas ver- 
breitern, sodass sie nun die Zwischenräume mit ausfüllen, welche sie 
früher für die Transversusblätter frei lassen mussten. So treten diese 
oberen Enden der Genioglossusblätter wieder zu Blättern zusammen, 
die aber jetzt durch die sagittalen Bündel gtrennt, also auch selbst 
sagittal gestellt sind. — 

Die longitudinalen Fasern laufen nun nicht einfach von vorn nach 
hinten, wie ich es vorläufig angab, vielmehr sehen wir, dass zwei 
Systeme longitudinaler Fasern sich in der ganzen Ausdehnung der 
oberen Längslage fortwährend unter spitzen Winkeln kreuzen. Will 
man einen solchen Zug nach vor- oder rückwärts verfolgen, so wird 
es leicht passiren, dass man sein vorderes oder hinteres Ende, wohl 
auch beide verliert; indessen gelingt dies doch noch häufig genug. 
Alsdann gewahrt man, dass ein solches longitudinales Bündel von 
einem Punkte der Rückenschleimhaut seinen Ursprung nimmt, in einem 
ziemlich langen, nach abwärts schwach convexen Bogen nach vorn 
verläuft, auf diesem Wege wohl auch bis auf den oberen Rand der 
transversalen Blätter zu liegen kommt, um dann in einem weiter vorn 
gelegenen Punkte der Schleimhaut zu endigen. — Denkt man sich 
nun, dass solche Bogen in grosser Anzahl von hinten nach vorn 
immer neu entstehen, so werden sich die vorderen aufsteigenden Enden 
mit den hinteren, absteigenden Enden weiter vorn entspringender 
Bogen immer kreuzen müssen. Und fügt man noch hinzu, was die 
Flachschnitte erst deutlich zeigen, dass diese Bogen nicht immer in 
rein sagittaler Richtung verlaufen, sondern häufig nach rechts oder 
links abweichen, so wird man begreifen, warum diese obere Längs- 
muskellage häufig ein scheinbar unentwirrbares System darstellen kann. 
— An der Zungenwurzel sieht man die Fasern aus dem Gewebe zwischen 
und unter den Drüsen hervorkommen. — Die Concavität der einzelnen 
Bögen wird dadurch wesentlich gemindert, dass der ganze Zungen- 
rücken gerade die entgegengesetzte Krümmung besitzt. Die vordersten 
Bündel des Longitudin. superior biegen dicht unter der Schleimhaut 
der Zungenspitze mit nach vorn gerichteter Convexität zur untern 
Zungenfläche herab, von wo ihnen perpendiculäre Fasern aus der untern 
Längslage in gleicher Krümmung entgegenkommen. Eine Vereinigung 


90 ; Dr. Hessz. 


beider Fasern findet hier nicht statt; ich konnte sie stets zur Schleim- 
haut verfolgen, doch reichen hier die vordersten oberen Längsbündel 
tiefer herab, als die Enden der vordersten unteren. — 

Geht man jetzt in der Betrachtung der Saeittalschnitte weiter 
nach dem Seitenrande zu, so trifft man sehr bald (etwa nach 7—8 
Schnitten) und noch völlig im Gebiete des Genioglossus eine auffällige 
Veränderung im hinteren Theile des Longitudinalis superior. Es tritt 
nemlich zwischen den hintersten transversalen Blättern und den Drüsen 
der Zungenwurzel ein anfangs mässig starker, ‚aber sehr rasch an 
Mächtigkeit zunehmender Faserzug auf, der parallel der Krümmung 
der Zungenwurzel von der Gegend des Zungenbeins her unter dem 
Drüsenlager nach vorn geht. Schon an den 2 oder 3 nächsten Schnitten 
ist dieser Zug als eine circa 2 Mm. dicke Lage für das blose Auge 
erkennbar, und man erhält ihn dann auf einer Anzahl von Schnitten. 
Unter dem Mikroskop sieht man die Fasern dieses Bündels mit Hülfe 
von kurzen Ursprungssehnen an die vordere Fläche des kleinen 
Zungenbeinhorns und den anstossenden Theil des Körpers des Zungen- 
beins treten. Von hier gehen sie in starkem Bogen nach auf- und 
vorwärts, um sich den übrigen Fasern der oberen Längslage beizuge- 
sellen, die ihren Ursprung von der Schleimhaut nehmen. Die tiefsten 
und am weitesten nach vorn reichenden Fasern dieses Muskels!) 
setzen sich dann in der Mitte der Zunge an die Schleimhaut an. An 
‚den Serien, die ich vor mir habe, sehe ich übrigens nicht, dass der 
Ursprung dieses Muskels die Spitze des Cornu minus erreicht. Das- 
selbe scheint zuweilen, wie auch hier, sehr lang und stark nach aussen 
gerichtet zu sein, so dass ich an einer Reihe von Schnitten noch über 
dem Zungenbeine den Durchschnitt des kleinen Horns erhalte, aber 
ohne dass noch Muskeln von ihm entspringen. 

2. Die wesentlichste Veränderung erfahren die Bilder des Sagittal- 
schnittes, je weiter sich derselbe dem Seitenrande der Zunge nähert, 
durch das Auftreten eines neuen, an der unteren Fläche der Zunge, 
aussen vom Genioglossus gelegenen Muskels, das M. lingualis. Die 
übrigen Muskelsysteme verleihen dem Schnitte kein auffällig andres 
Gepräge und die etwaigen Aenderungen sollen dann nachgeholt werden. 
Den Namen „Lingualis“ ziehe ich vor dem ebenfalls gebräuchlichen 
„Longitudinalis inferior“ vor, weil den letztern Namen andre Muskeln 
mit demselben Rechte beanspruchen können. — 

Der erste Ausdruck für das Auftreten eines unteren Längsmus- 
kels fällt schon in die sub 1 besprochene Schnittreihe, doch habe ich 


1) M. Chondroglossus, Kölliker mikr. Anat. p. 17. 


Ueber die Muskeln der menschlichen Zunge. 91 


mir der Uebersicht wegen ihre Beschreibung bis hierher verspart. 
Dicht neben der Mittellinie wird man stets einen oder zwei Schnitte 
erhalten, welche keinen unteren Längsmuskel zeigen, ausser die stark 
vorbiesenden vordersten Genioglossusbündel. Dann aber treten sehr 
bald an der untern Fläche der Spitze Längsbündel auf, die nicht in 
den Genioglossus zurück zu verfolgen sind und die sich zum grössten 
Theile an die Schleimhaut der unteren, freien Fläche der Spitze fest- 
setzen. Von ihrem hinteren Ende sind diese Längsbündel abgeschnit- 
ten, doch verfolgt man sie in jedem neuen Schnitte weiter nach 
rückwärts. Gleichzeitig sieht man in der vorderen Hälfte des Genio- 
‚glossus, bevor derselbe in das Gebiet der transversalen Blätter eintritt, 
dass seine Fasern hin und wieder von zarten Bündeln gekreuzt wer- 
den, welche, von hinten nach vorn gehend, horizontal oder in spitzen 
Winkeln über sie hinlaufen, sich auch gelegentlich in sanfteren Bogen 
erheben und dann stark aufwärts biegen, um mit einem Genioglossus- 
bündel gemeinschaftlich als perpendiculärer Muskel zum Zungenrücken 
empor zu steigen. Wenn auch sehr spärlich, so findet man doch auch 
schon hier zuweilen noch einzelne zarte Bündel, welche umgekehrt aus 
einem perpendiculären Blatte des Genioglossus heraustreten und nach 
vorn umbiegend, sich der unteren Längslage der Spitze beigesellen. 

Ist man aus dem Gebiete des Genioglossus herausgekommen, so 
ändert sich das Bild dadurch, dass wir an der untern Fläche der Zunge 
in der ganzen Ausdehnung, in der wir früher den Genioglossus sahen, 
jetzt den von hinten nach vorn verlaufenden, parallel seiner Faser- 
Richtung getroffenen Lingualis finden. An den perpendiculären Blät- 
tern lässt sich mit Ausnahme der vorher erwähnten, noch eine Aen- 
derung finden, die man sogleich verstehen wird, wenn man sich dessen 
erinnert, was ich bei der Beschreibung der Frontalschnitte über die 
äussere Partie der perpendiculären Fasern sagte. Wir konnten die- 
selben nemlich wohl in die Substanz des zum grössten Theil quer- 
durchschnittenen Lingualis verfolgen, nur spärlich aber noch bis in 
die untere Hälfte desselben und keine darüber hinaus. So be- 
kommt man auch jetzt im Sagittalschnitte den grössten Theil der 
perpendiculären Fasern mit ihrem unteren Ende noch ein Stück 
in den untern Längsmuskel hineinragend und dann durchschnitten. 
Dass sie nicht in grösserer Anzahl in ihrem Zusammenhange 
mit dem untern Längsmuskel erscheinen, liest an der Ebene des 
Schnittes, welche die der perpendiculären Fasern schneidet. Hat man 
das Glück Sagittalschnitte genau in der schiefen Ebene anzulegen, 
welche der Richtung der perpendiculären Fasern entspricht, so wird 
man das Umbiegen der Lingualisfasern in perpendieuläre Blätter häufig 


92 Dr. Hessr. 


sehen. Immerhin ist dies oft noch recht schwer und zwar deshalb, 
weil die Ebenen, in denen diese Lingualisbündel verlaufen, gegen die 
verticale, von hinten nach vorn gerichtete Ebene nicht nur um eine 
sagittale, sondern auch noch um eine verticale Axe gedreht sind, d.h. 
mit andern Worten, weil die Lingualisbündel Schlingen bilden, die 
von hinten, oben und aussen erst schief nach vorn, unten und innen 
ab- und dann noch vorn oben und innen wieder aufsteigen. 

Für den Ursprung des hinteren weitaus beträchtlichsten Theiles 
des Lingualis liefern die Sagittalschnitte die vortrefflichsten Bilder. 
Es treten nemlich ganz in derselben Weise, wie wir weiter einwärts 
von vornher die Genioglossusblätter zur Schleimhaut der Rückenfläche _ 
der Zungenwurzel ausstrahlen sehen, hier ebensolche Bündel auf, die 
nur den umgekehrten Weg machen, wenn man will, und die sich an 
der untern Zungenfläche zum Lingualis sammeln. Die senkrecht durch- 
schnittenen transversalen Blätter liegen genau so zwischen ihnen, wie 
zwischen den tiefsten Genioglossusblättern, so dass diese und die hin- 
tern Lingualis-Enden sich vollständig gleichen. Man verfolgt dieselben 
leicht durch die Drüsenlage der Zungenwurzel hindurch zur Schleim- 
haut, und ich glaube, dass ein Theil der Bündel von hier hinten bis 
zur Spitze, also durch die ganze Länge der Zunge hindurchgeht. Von 
den weiter vorn aus den perpendiculären Blättern neu hinzukommen- 
den Verstärkungsbündeln unterscheiden sich die hinteren besonders - 
dadurch, dass sie in einem Bogen mit viel grösserm Krümmungsradius 
verlaufen; ja die tiefsten treten fast horizontal aus den tiefsten trans- 
versalen Blättern hervor und treten ziemlich gradlinig in die Substanz 
des Lingualis ein. Eine ziemlich mächtige Lage schickt der Lingualis 
nach vorn, die sich namentlich in den seitlichen Theil der unteren 
Fläche der Zungenspitze festsetzt. 

Je weiter nach vorn, um so zahlreicher werden dann auch selb- 
ständige perpendiculäre Fasern, welche die des Lingualis senkrecht 
kreuzen und sich in der Schleimhaut der unteren Fläche festsetzen. 

3. Mit den nun folgenden Schnitten treten wir in das Gebiet 
des Hyoglossus ein, und zwar fallen hier die wesentlichsten Ver- 
änderungen in den hinteren Theil der Zunge. Es treten hier nemlich 
Fasern auf, welche die hinteren Enden des Lingualis kreuzen und 
die sich sehr bald zu dem längsdurchschnittenen Cornu majus des 
Zungenbeins verfolgen lassen. Hier entspringt der Hyoglossus com- 
pact und löst sich nun strahlenförmig in eine Anzahl Bündel auf, 
welche sich als schmale Blätter zwischen die des transversalen Systems 
einschieben, um zur Schleimhaut des Zungenrückens zunächst dem 
Seitenrande zu gelangen. Die hintersten Bündel sind die mächtigsten; 


Ueber die Muskeln der menschlichen Zunge. 95 


sie biegen ziemlich steil unter der Drüsenlage der Zungenwurzel nach 
aufwärts, während die vorderen in viel sanfterer Steigung nach vorn 
gehen, um sich dann nach aufwärts zu erheben. Der Hyoglossus 
bildet somit für diesen Theil der Zunge einen wesentlichen Bestand- 
theil des perpendiculären Systems, an dem aber auch hier noch 
selbständige von der obern zur untern Schleimhaut gehende Fasern 
participiren. Seine vordersten Bündel sehe ich etwa bis zum hintern 
Ende des vorderen Zungendrittels sich erstrecken. 

Auf die Gestalt der hintersten transversalen Blätter hat der Hyo- 
glossus einen sehr auffälligen Einfluss. So lange er sich nemlich noch 
mit Lingualisbündeln kreuzt, ehe diese aus dem Gebiete der transver- 
salen Blätter heraustreten, wird er auch die den Lingualisbündeln 
parallel stehenden transversalen Blätter durchkreuzen müssen, und 
diese verlieren in Folge dessen ganz ihre Eigenschaft als Blätter. Die 
Querschnitte ihrer Muskelbündel füllen die Maschen des Netzes aus, 
welches durch Kreuzung des Lingualis und Hyoglossus entsteht. Mehr 
lateralwärts aber, wo der Lingualis nicht mehr hinreicht, stellen sich 
wieder transversale Blätter zwischen den Hyoglossusbündeln her, aber 
die Ebenen derselben stehen nicht mehr schief mit dem höchsten 
Ende nach oben und hinten, sondern fast rechtwinklig dagegen, mit 
dem höchsten Punkte nach oben und vorn. Auf die transversalen 
Blätter in den drei vorderen Vierteln der Zunge übt der Hyoglossus 
diesen Einfluss nicht, da er hier erst an der unteren Zungenfläche 
hinläuft und von hier in verticale Bündel nach auf- und einwärts 
umbiest. 

Die Schnitte endlich, die noch näher dem Seitenrande geführt 
sind, zeigen den parallel seiner Faserrichtung getrofinen M. Stylo- 
glossus, welcher anfangs noch die hintersten Fasern des Hyoglossus 
kreuzt. Dann fällt letzterer ganz aus dem Schnitte und wir erhalten 
nur Styloglossusfasern, welche dicht unter der Mundhöhlenschleimhaut, 
wo diese in die der Zungenwurzel übergeht, in die Zunge eintreten 
und dann fast parallel dem Seitenrande derselben nach vorn verlaufen. 
Mit schwacher Neigung nach abwärts gesellen sie sich dann zum 
Lingualis, dessen vordern Theil sie wesentlich verstärken. Auch aus 
ihrer Masse erheben sich Bündel nach auf- und einwärts, welche als 
perpendiculäre Fasern zwischen die Enden der transversalen Blätter 
treten. — 

Es erübrigt nun noch zur Vervollständigung einiges über die 
Querschnitte der transversalen Blätter nachzuholen, deren ich bisher 
nur bei Beschreibung der im Gebiete des Genioglossus geführten 
Schnitte und bei Besprechung des Hyoglossus gedacht habe. Dass die 


94 Dr. Hesse. 


transversalen Blätter fächerförmig gegen die Oberfläche der Zunge hin 
ausstrahlen, spricht sich in den Sagittalschnitten dadurch aus, dass die 
Lücken und Spalten zwischen den Querschnitten der Bündel eines 
transversalen Blattes je weiter nach dem Seitenrande zu, um 0 
grösser und zahlreicher werden (Taf. III. Fig.3u.4). — Endlich fällt esauf, 
dass wir den Styloglossus, soweit er sagittal verläuft, von transversalen 
Bündeln nicht mehr, oder doch nur sehr spärlich durchsetzt finden. 
Für seinen vorderen Theil ist das leicht verständlich, da hier der 
grösste Theil zur unteren Fläche biegt, wohin nur spärliche trans- 
versale Fasern gelangen. Für den hinteren Theil aber, wo der Stylo- 
glossus noch ziemlich hoch liest, muss dies um so mehr auffallen, 
als wir hier besonders mächtige Querschnitte transversaler Bündel 
treffen. Man kann schon hierdurch zu der Vermuthung geführt wer- 
den,. die dann die Flachschnitte bestätigen, dass diese hintersten 
transversalen Blätter aus dem Styloglossus selbst kommen. 


III. Flach-Schnitte. (Taf.II. Fig.5. Taf. IV. Fig. 3.) 


Bei der Convexität des Zungenrückens wird die Wahl der Ebene 
für Flachschnitte nicht ganz ohne Willkür sein. Ich benutzte als 
Führungslinie die längste Linie, die ich von der Spitze der Zunge 
nach der Zungenwurzel ziehen konnte und legte die Schnitte parallel 
der Ebene an, welche diese Linie enthält. 

Ich kann mich bei Besprechung dieser Schnitte kürzer fassen, da 
sie nur über den Styloglossus und Longitudinalis superior noch Neues 
zeigen, während sie für die übrigen Muskeln im wesentlichen nur 
bestätigen, was durch die Frontal- und Sagittalschnitte uns schon 
bekannt ist. 

Die Fasern des transversalen Systems werden durch Flachschnitte 
zum grössten Theil parallel ihrem Verlaufe getroffen. Sie erscheinen, 
vom Boden der Zunge angefangen erst im Schnitte, nachdem derselbe 
bis in die Höhe des Septum gekommen ist. In Folge der Convexität 

. der Zunge tritt dies sowohl am vordern als am hintern Ende des 
Schnittes früher ein als in der Mitte. Was früher die. sagittalen Schnitte 
über die wechselnde Mächtigkeit der perpendiculären und der trans- 
versalen Blätter in den verschiedenen Abschnitten der Zunge zeigten, 
bestätigt sich auch hier. Ueber die Richtung der transversalen Blätter 
erhalten wir noch den neuen Aufschluss, dass sie in der vorderen 
Zungenhälfte nicht ganz senkrecht stehen, sondern nach dem Seiten- 
rande zu liegen sie ein wenig nach rückwärts. Es erklärt dies die 
Schwierigkeit, einen Frontalschnitt zu erhalten, in welchem ein ganzes 


Ueber die Muskeln der menschlichen Zunge. 95 


Transversusblatt enthalten sei. — Im hintersten Abschnitte der Zunge 
erhält man auffällig mächtige, breite transversale Bündel. Doch würde 
man einen Fehler begehen, wenn man die Mächtigkeit derselben nur 
nach diesem Schnitte beurtheilen wolltee Man muss sich vielmehr 
erinnern, dass diese Blätter wegen ihrer fast horizontalen Lage eher 
in ihrem grössten Höhendurchmesser getroffen werden, während die 
mittleren in ihrem kürzesten in den Schnitt fallen. Verfolst man 
nun diese hintersten transversalen Blätter nach dem Seitenrande der 
Zungenwurzel, so gelangt man in den Styloglossus, dessen kleinere 
vordere Portion dem Zungenrande parallel nach vorn läuft. 

Die transversalen Bündel des Styloglossus biegen in einem nach 
aus- und vorwärts convexen Bogen um, und treten durch die schief 
durchgeschnittenen Hyoglossus- und die längsverlaufenden Lingualis- 
bündel hindurch zur Mittellinie Hier setzt sich eine sehr grosse 
Anzahl derselben nicht ins Septum fest, sondern wir verfolgen ganz 
starke Bündel ohne alle Unterbrechung über die Mittellinie hinweg 
zur andern Seite. Ganz eben solche, die Mitte überschreitende Bündel 
finden sich übrigens auch noch in der Zungenspitze; endlich treten 
sie in der ganzen Ausdehnung von vorn nach hinten auf, sobald man 
die Schnitte ganz dicht unter der oberen Längslage angelegt hat. 

Für das System der longitudinalen Fasern zeigen die 
Flachschnitte noch den Ursprung der Lingualisbündel in der Zungen- 
wurzel recht schön, sowie die Endigung vorderer Lingualis- und Stylo- 
glossusbündel in der Zungenspitze. Von dem inneren Rande des 
Lingualis sehe ich in der vorderen Zungenhälfte einige Bündel nach 
einwärts umbiegen, und indem sie sich zu einem transversalen Blatte 
gesellen, den Weg zum Septum einschlagen; doch sind sie sehr 
spärlich. 

An den obersten ‘Schnitten erscheint endlich noch der Longi- 
tudinalis superior. Seine Bündel haben im Allgemeinen die Richtung 
von vorn nach hinten, doch geben sie nach rechts und links häufig 
starke Bündel ab, welche zu einem benachbarten Längsbündel treten. 
Es entsteht dadurch ein Netz, dessen schmale langgestreckte Maschen 
annähernd parallel dem Septum stehen. In diesen Maschen finden 
sich die quer durchschnittenen Enden der perpendiculären Blätter. 
Dieselben haben demnach ihre erst frontalen Ebenen jetzt in sagittal 
gestellte umgewandelt. 


96 Dr. Hesse. 


Es wird nun die Aufgabe sein, aus dem Material, welches die 
bisher beschriebenen Schnitte liefern, sich den Verlauf der einzelnen 
Binnen-Muskeln der Zunge darzustellen und daraus die Combination 
derselben zur ganzen Zunge zu gewinnen. Anstatt aber die einzelnen 
Muskeln der Reihe nach zu detailliren, wie es bisher in den anato- 
mischen Lehrbüchern geschehen ist, scheint es mir zweckmässiger, 
die Trennung in der Beschreibung nur bis zu der in die drei Systeme 
vorzunehmen. Die einzelnen Muskeln, welche zur Bildung eines 
Systems beitragen, werden hierbei immerhin genügende Erörterung 
finden, und, wo sie bereits früher ausführlicher behandelt sind, werde 
ich der Kürze wegen auf jene Stellen verweisen. 

Die Muskeln der Zunge sind symmetrisch zu beiden Seiten des 
Septum angeordnet. Durch die Verschiedenheit der Verlaufsrichtung 
ihrer Fasern bilden sie drei Systeme, von denen die Fasern des 
transversalen im allgemeinen eine horizontale Richtung in frontaler 
Ebene, die des perpendiculären einen verticalen Verlauf und die des 
sagittalen eine horizontale Richtung in sagittaler Ebene haben. Be- 
merkenswerth ist, dass einmal keines dieser Systeme von nur einem 
einzigen Muskel gebildet wird und andererseits auch kein einziger 
Muskel nur einem einzigen Systeme angehört. Vielmehr sind es stets 
mehrere Muskeln, welche zur Bildung eines Systems beitragen und 
ebenso gehören die Fasern eines jeden Muskels zu zwei Systemen, 
sei es nun, dass sie sich sogleich in zwei Gruppen theilen, von denen 
die eine sich in dieses, die andere in jenes System füst (Styloglossus), 
oder dass sie erst eine Strecke in dem einen Systeme verlaufen, um 
dann in ein anderes umzubiegen, wie die Mehrzahl von ihnen es thut. 

Durch die Kreuzung der Fasern dieser drei Systeme wird der 
Bau der Zungenmusculatur ein sehr verwickelter, sodass ihn die an 
Untersuchungsmethoden ärmeren, älteren Anatomen geradezu als unent- 
wirrbar hingestellt haben!). Indessen ist doch durch ein einfaches 
Mittel noch eine grosse Regelmässigkeit in die Anordnung gebracht. 
An den meisten Stellen sind es nemlich nicht sowohl die einzelnen 
Fasern, die sich mit einander kreuzen, und wodurch allerdings ein 
unentwirrbares Flechtwerk entstehen würde, sondern es bleiben immer 
noch Gruppen von Fasern zu einem Ganzen vereinigt, indem dieselben 
lange und schmale Blätter bilden. Diese lassen regelmässige Spalten 
zwischen sich frei und durch diese treten nun ebensolche Blätter aus 
einem Systeme, dessen Fasern senkrecht gegen diese gerichtet sind. 
Nur an einigen wenigen Stellen kommt es vor, dass in der That sich 


1) Blandin, Trait€ d’anatomie topographique (Bruxelles 1837) pag. 124. 


Ueber die Muskeln der menschlichen Zunge. 97 


die kleinsten Bündel der drei Systeme direct durchkreuzen. Im 
Uebrigen aber kann im Innern der Zunge von einem Verflechten oder 
Verfilzen der Fasern nicht die Rede sein‘). Ob diese Einrichtung einen 
unmittelbaren Werth für die Mechanik der Zungenmuskeln besitzt, 
oder ob sie es zunächst nur ermöglichen soll, eine Innervation von zu- 
. sammengehörigen Gruppen herzustellen, lasse ich dahingestellt. 


Septum linguae. 


Ich habe bisher den Namen Septum ebenso gebraucht, wie es 
bisher üblich war?), da es mir zunächst nur auf die Beziehungen an- 
kam, in denen die Muskelfasern mit demselben stehen. Doch ist hier 
der Ort, Einiges Genauere darüber zu sagen. 

Ganz abgesehen von den Beschreibungen in älteren anatomischen 
Lehrbüchern, finde ich auch in den neusten dem Septum eine Selb- 
ständigkeit eingeräumt, die ich ihm nicht zuerkennen kann. Es wird 
als eine Faserlamelle beschrieben, die am Zungenbein inserire und den 
Sehnen namentlich des Transversus zum Ursprunge diene. Ich finde, 
dass das Septum der menschlichen Zunge, wovon man sich an Frontal- 
und Flachschnitten leicht überzeugt, ausserordentlich schmal ist. 
Zweitens zeigt es ein Flachschnitt nie als ein geradlinig verlaufendes 
Gebilde, sondern der schmale Saum, den wir hier in der Mitte des 
Schnittes erblicken, bildet von hinten bis vor eine Zickzacklinie mit 
sehr zahlreichen und oft recht grossen Zacken. Drittens sind Binde- 
gewebsfasern mit der Richtung von hinten nach vorn sehr spärlich 
darin, und endlich giebt es überall mehr weniger zahlreiche Muskel- 
bündel, welche ohne Unterbrechung von einer Zungenhälfte zur andern 
gehen. Die Orte, wo sich solche besonders häufig finden, sind schon 
bei den Flachsehnitten mit erwähnt worden. 

Es scheint mir gerechtfertigt, aus diesen Gründen das Septum 
identisch mit dem aufzufassen, was wir bei einem andern Muskel als 
Raphe bezeichnen, und wie wir sie z. B. die beiden Hälften des Mylo- 
hyoideus vereinigen sehen. 

Der Hauptbestandtheil dieser Zungen-Raphe sind zarte Binde- 
gewebsstreifen, welche von dem inneren Ende einer transversalen 
Faser abstammen und dieselbe Richtung beibehalten. Mit starken 
Vergrösserungen sieht man an einem feinen Flachschnitte das innere 
Ende einer transversalen Faser sich zuspitzen; dann hört plötzlich die 


1) Vergl. dagegen Henle, Eingeweidelehre II. Aufl. pag. 109. 
2) Conf. Arnold, Anatomie des Menschen, II. 2. p. 1143 (Freiburg 1851). 


Zeitschrift f. Anatomie. Bd. I. ( 


98 j Dr. He&sse. 


quergestreifte Substanz auf und es tritt an ihre Stelle ein Büschel 
feinster Fasern, in denen der Richtung der Fasern parallel gestellte, 
kleine, längliche Kerne liegen. Ausserdem trifft man zwischen den 
Bindegewebs- und den anstossenden Muskelfasern Fettzellen in ziem- 
licher Menge, sowie spärliche elastische Fasern. Nachdem ich mich 
nun fernerhin noch oft davon überzeugt habe, dass zahlreiche Muskel- 
fasern des transversalen Systems ohne sehnige Unterbrechung durch 
die Raphe hindurch zur andern Seite zu verfolgen sind, halte ich es 
für nieht unwahrscheinlich, dass auch ein grosser Theil derjenigen 
transversalen Fasern, welche in Sehhnen übergehen, sich durch diese 
Sehnen unmittelbar in eine entsprechende Faser der andern Seite 
fortsetzen. Trotzdem ist es mir nicht gelungen, eine einzelne Faser 
in dieser Weise zu isoliren. 


1. Das transversale System. 


Das .transversale System wird aus zahlreichen, hinter einander 
liegenden Blättern gebildet, welche senkrecht zum Zungenrücken 
stehen, und welche, da letzterer stark gekrümmt 

ist, ihre Ebenen entsprechend ändern müssen. Das 


— Ausführliche über Zahl, Grösse und Gestalt dieser 
Blätter s. auf pag. 9. — Die Form eines solchen 


transversalen Blattes kann man sich am besten dar- 


stellen, wenn man von einem Blatte Papier vom 
Rande her spitze Streifen ausschneidet. 
oo Die Muskeln, welche sich an der Bildung des 
transversalen Systems betheiligen, sind: der Trans- 
versus, Palatoglossus, Styloglossus (und Lingualis). 
Die Befestigungs-Punkte des Transversus nehmen die ganze Fläche 
des Zungenrückens ein, mit Ausnahme des mittleren Drittels. Am 
freien Theil der Zunge bleibt die untere Fläche frei davon, während 
der Zungenrand überall mit Fasern von ihm versorgt wird. Die ober- 
sten Transversusfasern biegen, nachdem sie ein Stück horizontal nach 
auswärts liefen, nach aufwärts um, und treten durch die obere Längs- 
lage hindurch. Ein grosser Theil derselben läuft ohne Unterbrechung 
von einer Seite zur andern. Und zwar sind solche Fasern am reich- 
lichsten’ an der Spitze vorhanden, ferner in der ganzen Länge der 
Zunge zunächst unter der oberen Längsmuskellage, und endlich stellen 
die vom Styloglossus abstammenden transversalen Bündel noch ein 
beträchtliches Contingent dazu. 
Die letzteren verlassen den Stolyglossus da, wo er an den Seiten- 


Ueber die Muskeln der menschlichen Zunge. 99 


rand der Zungenwurzel tritt. Während der eine Theil des Stylo- 
glossus nach vorn geht, durchbohren sie den Hyoglossus, kreuzen sich 
mit den hinteren Enden des Lingualis und treten horizontal nach 
einwärts. Der Styloglossus bildet also gerade 
einen grossen Theil der hintersten horizental 
liegenden transversalen Blätter, und wir erhal- 
ten in ihm ununterbrochene, ziemlich breite 
Schlingen, die von einem processus styloideus 
durch die Zungenwurzel hindurch zum Griffel- 
fortsatz der andern Seite treten. Die sämmt- 
lichen transversalen Styloglossusblätter bilden 
demnach eine Art Schleuder, die beistehende schematische Figur ver- 
deutlicht, und es ist leicht sich die Functionen derselben beim Schling- 
acte vorzustellen. 

Aehnliche kleine Schleifen erhalten wir durch die im vorderen 
Gaumenbogen enthaltenen Muskelfasern, welche ebenfalls zum Septum 
treten und in den Mm. glossopharyngei'). 

Von dem Lingualis abstammende transversale Fasern konnte ich 
nur im vorderen Theile der Zunge finden. Sie sind sehr spärlich, 
lösen sich vom innern Rande des Lingualis ab, und treten zum unteren 
Rande einiger vorderer transversaler Blätter. 


2. Das perpendiculäre System. 


Das perpendieuläre System bildet ebenfalls Blätter, und zwar 
gleichen dieselben den transversalen vollständig ihrer Zahl nach und 
in Bezug auf die Richtung ihrer Ebenen. Dagegen ist die Form des 
einzelnen Blattes eine etwas andere, und der Verlauf der Muskelfasern 
schneidet die Richtung der transversalen unter rechtem und spitzem 
Winkel. Ein perpendiculäres Blatt hat im vordern Theile der Zunge 
ganz die Form des Frontalschnittes an dieser Stelle, höchstens fehlt 
daran ein kleiner Saum am Seitenrande. Die näheren Details siehe 
page. 4 u. 5. 

Gehen wir die Muskeln der Reihe nach durch, welche ein solches 
perpendiculäres Blatt zusammensetzen, so ergiebt sich, dass dies am 
nächsten nach dem Septum zu der Genioglossus, theilweise auch einige 
Bündel des Transversus, dann der Lingualis, Hyoglossus, Styloglossus 
und ausserdem selbständige perpendiculäre Fasern thun, welche von 
der obern zur untersten Schleimhautfläche der Zunge verlaufen. Ueber 


1) Luschka, Schlundkopf des Menscher, Tübingen 1868, pag. S6 u. Taf. XI. 
* 


- 
4 


100 Dr. Hesse. 


den Genioglossus ist hier noch zu erwähnen, dass seine Ursprungsstelle 
am Unterkiefer jedenfalls viel zu klein ist, um für die Masse dieses 
mächtigen Muskels zu genügen. Es entspringt daher von der Mitte 
der Spina mentalis interna ein sehniges Blatt, das etwa bis zum Ende 
des vordern Drittels des ganzen Muskels reicht, dessen Ebene parallel 
zwischen den Genioglossusfasern nach rück- und ein wenig aufwärts 
gestellt ist und von dessen oberer und unterer Fläche überall neue 
Genioglossusfasern unter sehr spitzem Winkel entspringen. Es wird 
sonach der Genioglossus zu den doppelt gefiederten Muskeln zu zählen 
sein. Was übrigens sonst über den Ansatz von Genioglossusbündeln 
am Zungenbein!), sowie über Bündel, die zur Vorderfläche der Epi- 
glottis gehen?), gesagt ist, kann ich nur bestätigen. Auch dass ein 
Theil der innersten Genioglossusfasern unterhalb der Raphe zur andern 
Seite tritt, und wieder andre zur Raphe selbst gelangen, habe ich 
früher erwähnt (pag. 5). Ob dieselben hier endigen, oder ob ihre 
Fasern durch die Raphe hindurchtreten, um zur Rückenschleimhaut 
zu gelangen, konnte ich nicht entscheiden, doch ist mir das erstere 
wahrscheinlicher. — Schliesslich erwähne ich nochmals, dass die 
‚äussersten Genioglossusfasern schief nach aussen und oben gehen und 
sich folglich mit den benachbarten perpendiculären Fasern kreuzen. 

Da die äusseren Enden der obersten Transversusfasern nach auf- 
wärts umbiegen, so sind auch sie als Bestandtheile des perpendiculären 
Systems zu erwähnen. — 

Der Lingualis liefert meiner Ueberzeugung nach nächst dem Genio- 
und Hyoglossus die reichlichsten perpendiculären Fasern. Indem ich 
über seine Einzelheiten auf pag. 11 ff. verweise, will ich nur kurz 
recapituliren, dass der Lingualis ein System von Schleifen bildet, 
welche, ähnlich dem Styloglossus, bei ihrem Verlaufe nach vorn in zwei 
Theile zerfallen, einen, der perpendiculäre, den andern, schwächeren, 
der längsverlaufende Fasern liefert. Die Bündel des Lingualis ent- 
springen in weniger regelmässigen Blättern in der Schleimhaut der 
Rückenfläche der Zungenwurzel, nach aussen vom hintern Ende des 
Genioglossus. Sie laufen hier zwischen dem dicken Drüsenpolster, 
dann zwischen den hinteren transversalen Blätten und den inneren 
Hyoglossusbündeln hindurch und sammeln sich an der untern Zungen- 
fläche zu dem zwischen: Genio- und Hyoglossus leicht präparirbaren 
Muskelbauche. 


1) Theile, in Sömmering’s Anatomie, Muskellehre, Leipzig 1841. pag. 86. 

2) Baur in Meckel’s Archiv VII. Bd. (1822) p. 354. — Luschka, Anatomie 
des Kopfes (Tübingen 1867) p. 324 ff. u. a. a. O. — Luschka, der Schlundkopf 
des Menschen (Tübingen 1868) p. 14 u. Tafel 3). 


Ueber die Muskeln der menschlichen Zee 101 


Die grösste Masse des Muskels wird von Fasern gebildet, welche 
in dieser Weise etwa aus dem hintern Viertel der Zunge entspringen, 
doch erhält derselbe auch noch von weiter vorn her Verstärkungs- 
bündel, welche aus perpendiculären Blättern herabtreten. Schon an 
der Grenze des letzten und vorletzten Zungenviertels sieht man seine 
tiefsten hintersten Bündel sich nach aufwärts erheben, um, zwischen 
zwei transversalen Blättern schwach nach oben und innen geneigt zur 
Rückenschleimhaut zu gehen. Dies sieht man dann weiter in der 
Weise bis zur Spitze. Der andere Theil des Lingualis aber unterlässt 
die Biegung nach aufwärts, verläuft geradlinig nach vorn, indem er 
sich auch hier der Mittellinie etwas nähert, und endet an der untern 
Schleimhaut des freien Theils der Zunge. Ganz so verhält sich auch 
dicht am Seitenrande die vordere Portion des Styloglossus, nur dass 
er keine neuen Verstärkungsfasern aus perpendiculären Blättern er- 
hält. Zwischenvbeiden Muskeln liefert der Hyoglossus für die hinteren 
zwei Drittel noch starke perpendiculäre Blätter. Aus seiner auf pag. 
13 f. gegebenen Beschreibung hebe ich hier noch hervor, dass nament- 
lich die hintersten Hyoglossushlätter eine wesentlich andere Richtung 
haben, als die hintersten Genioglossusblätter. Die Ebenen beider 
würden sich unter fast rechtem Winkel schneiden. Weiter nach vorn 
aber, wo die Hyoglossusfasern viel sanfter aus ihrer anfänglichen Längs- 
richtung in die Höhe biegen, liegen beide fast in derselben Ebene und 
es gilt hier vollständig der Ausspruch KÖLLIKER’S!), dass sich der 
Hyoglossus für den Seitentheil so verhalte, wie der Genioglossus in 
der Mitte. Beim Durchtritt durch die obere Längslage ändert sich die 
Stellung der Ebenen der Hyoglossusblätter ebenso wie die der Genio- 
glossusblätter. — 

Den selbständigen perpendieulären Fasern endlich, die direct von 
der obern zur untern Schleimhaut gehen, muss ich ein häufigeres Vor- 
kommen zuerkennen, als es KÖLLIKER?) thut. Ich finde dieselben 
allerdings am reichlichsten am freien Theile der Zunge und hier wie- 
der besonders in der Nähe des Seitenrandes. Aber auch längs des 
Seitenrandes der übrigen Zunge sind sie immer in ziemlicher Anzahl 
vorhanden. 


3. Das longitudinale (sagittale) System. 


Bei Beschreibung. des vorigen Systems ist gezeigt worden, dass 
die meisten perpendiculären Fasern auf einer Strecke ihres Verlaufs 


1) Mikroskopische Anatomie 2 pag. 16. 
2) Ebendaselbst pag. 18. 


102 Dr. Hesse. 


sagittal sind. So galt dies für den grössten Theil der Genioglossus- 
bündel, so für den Lingualis, Stylo- und Hyoglossus. Man wird also 
auch als sagittale Muskeln im weiteren Sinne diese mit bezeichnen 
können. — Sucht man aber nach sagittalen Muskeln, die nicht in ein 
anderes System übergehen, so zeigt sich, dass sie das schwächste 
System von allen bilden. Sie finden sich nemlich nur unter der 
Rückenfläche und in ganz geringer Zahl dicht unter dem Septum }). 

Die übrigen querdurchschnittenen Muskeln, welche wir auf dem Fron- 
talschnitte erhalten, und welche sich unmittelbar an jene anschliessen, so 
dass sie mit ihnen einen peripherischen Mantel um die Zunge bilden, 
der nur die Eintritsstelle des Genioglossus frei lässt, gehören dem Hyo- 
slossus, Styloglossus und Lingualis an. Von diesen drei Muskeln aber 
liefert allerdings der Styloglossus und Lingualis Fasern, welche sagittal 
bleiben. Sie vereinigen sich nemlich beide vor dem Hyoglossus und 
während nun auf ihrem Wege nach vorn immer Fasern perpendiculär 
aufbiegen, werden die Muskeln dadurch doch nicht völlig erschöpft; 
es bleibt vielmehr noch eine nicht unbedeutende Lage von Fasern 
übrig, welche sich in die Schleimhaut der untern Fläche und des 
Seitenrandes des freien Theils festsetzen. Weiter nach rückwärts giebt 
nur der Styloglossus Fasern zum Seitenrande. 

Die oberere Längslage besteht aus einer Summe von Schlingen, 
welche von einem hinteren zu einem weiter vorn gelegenen 
Punkte der Schleimhaut der Rückenfläche verlaufen?). Eine sehr 
beträchtliche Unterstützung erhält dieses System aber durch einen 
Muskel, der vom kleinen Horn des Zungenbeins und dem anstossenden 
Theile des Körpers entspringt (Chondroglossus s. pag. 11). Ueber die 
weiteren Details dieses Systems vergleiche pag. 6 und pag. 10 f£. 14. 

Es würde nun mehr die Aufgabe physiologischer Untersuchungen 
sein, zu erforschen, wie weit wir im Stande sind, die Contraction 
eines einzelnen Muskels der Zunge auszuführen und welche Wirkung 
diese Contraction hervorbringen müsste; oder ob nicht vielmehr immer 
eine bestimmte Gruppe von Muskelbündeln berufen ist, gleichzeitig zu 
arbeiten, wobei vielleicht dasselbe Bündel je nach Bedarf einmal mit 
dieser oder jener Gruppe Hand in Hand geht. 

Hieraus würde es sich dann ableiten lassen, welche Muskeln zu 
irgend einer gegebenen Bewegung der Zunge in Thätigkeit kommen. 
Von der anatomischen Untersuchung der peripherischen Endverbreitung 
der motorischen Nerven der Zunge steht dieser Aufschluss nicht .zu 


1) Vergl. Henle, Eingeweidelehre II. Aufl. pag. 106 Anm. 
2) Theile, Muskellehre, Leipzig 1841, pag. 93. 


Ueber die Muskeln der menschlichen Zunge. 103 


erwarten, da wir alle Zungenmuskeln vom Hypoglossus innervirt 
sehen. 

Ich füge zum Schlusse noch einige Data der Untersuchungen von 
thierischen Zungen bei, deren Vergleich mit der menschlichen nicht 
ohne Interesse sein dürfte Für eine Anzahl Details im Bau der 
menschlichen Zunge erhielt ich ein viel besseres Verständniss, nach- 
dem ich gesehen hatte, dass bei gewissen Thieren diese oder jene 
Muskeln analog, andere in viel stärkerem Grade und noch andere ganz 
abweichend von der unsrigen entwickelt sind. 

Die Katze ist, wie für viele andre Organe, so auch für die 
Zunge mit besondern Vorzügen begabt, die sie zum histologischen 
Untersuchungsobject geeignet machen. Nirgends fand ich eine so 
klare, leicht übersichtliche Anordnung der drei Systeme. 

Die Grösse dieser Zunge, namentlich beim noch nicht ganz aus- 
gewachsenen Thier, ermöglicht auch für den Ungeübten, gute Schnitte 
durch die ganze Zunge zu führen. Man wird dabei, wegen der starken 
Hornpapillen auf dem Rücken der Schleimhaut, gut thun, den Schnitt 
an der unteren Zungenfläche zu beginnen und das Präparat nach der 
Einlagerung in Canada-Balsam ein bis zwei Tage unter das Compres- 
sorium zu bringen. Die Lagerung der transversalen Blätter, sowie die 
Anordnung der sagittalen Muskeln zu einem peripherischen Mantel, 
demonstriren diese Schnitte in überraschend schöner Weise (Tafel I. 
Fig. 4. Tafel III. Figg. 2, 3 u. 4). 

Fast eben so schöne Bilder liefern Schnitte durch die Zunge des 
Hundes. 

Kaninchenzungen sind für gewisse Zwecke gut zu verwenden; 
so für die Demonstration des Genioglossus im Sagittalschnitt. 

Beim Maulwurf (Tafel II. Fig. 5) finden sich als Analogon der 
sagittalen Muskelbündel, die beim Menschen dicht unter der Raphe ver- 
laufen, solche in viel grössrer Anzahl; und zwar sind dieselben in eine 
Art Kapsel von musculöser und bindegewebiger Wand eingeschlossen, 
sodass man das kleine runde Gebilde schon mit blosem Auge leicht 
sieht. Die Kapsel kommt dadurch zu Stande, dass die untersten 
transversalen Fasern nicht schief nach aussen und unten steigen, son- 
dern sie beschreiben einen nach aussen convexen Halbkreis und bilden, 
indem sie sich unten in der Mittellinie wieder vereinigen, eine mus- 
culöse Röhre. Auf diese folgt nach innen zu eine zweite, aus feinen, 
parallel und kreisföormig neben einander gelagerten Bindegewebsfasern, 
und in diese sind, getrennt durch lockeres Bindegewebe und Gefässe, 
die sagittalen Muskelbündel eingelagert. Da sich das ganze Organ 
nur im vordern Theil der Zunge findet, so ist es mir am wahrschein- 


104 Dr. Hzsse. 


lichsten, dass diese sagittalen Bündel dem stark nach vorn umbiegen- 
den Genioglossus angehören. | 

Ganz ähnlich verhalten sich gegenüber den mittelsten Bündeln 
des Longitudinalis superior die obersten transversalen Fasern, nur dass 
sie sich hier nicht zu einer vollständigen Röhre abschliessen, sondern 
es kommt nur zur Bildung einer stark concaven Hohlrinne. 

Ein ganz ähnliches Gebilde findet sich in der Zunge des Igels. 

In den Zungen verschiedner Mäuse zeigen sich zwei und selbst 
drei senkrecht übereinander stehende Transversi, von denen jeder nach 
oben und unten ausstrahlt. Es kreuzen sich folglich in der Nähe des 
Zungenrandes immer die Fasern des untern Randes des höher stehen- 
den mit denen vom obern Rande des tiefern Transversus. Zwischen 
diesen drei Transversi, von denen jeder seine eigne Raphe hat, ziehen 
‚spärliche transversale Fasern horizontal von einer Seite zur andern. 

Der Hamster zeigt einen sehr breiten Mantel von sagittalen 
Bündeln um die ganze Peripherie der Zunge. Derselbe erleidet hier 
auch am Zungenrande keine merkliche Verschmälerung. 


Erklärung der Abbildungen. 


Taf. II. 


Fig. 1. Sagittalschnitt durch die menschliche Zunge in einiger Entfernung 
von der Mittellinie. Vergrösserung 10. 

(Wegen der Grösse des Objectes konnte nur die hintere Hälfte des Schnittes 
auf die Platte gebracht werden.) 

Li Muse. lingualis. 

Z Zungenbein schief getroffen. 


Fig. 2. Sagittalschnitt durch die menschliche Zunge nach der Mittellinie. 
Vergrösserung 12. 

(Auch hier konnte nur die hintere Hälfte abgebildet werden). 

E Epiglottis. 

Gg Musc. Genioglossus. 


Ueber die Muskeln der menschlichen Zunge. 105 


Gh Musc. Geniohyoideus. 

Ls obere Längsmuskellage. 

S das am Unterkiefer entspringende Sehnenblatt des Musc. Genioglossus. 
Z Zungenbein. 


Fig. 3. Flachschnitt durch die menschliche Zunge (hinterer Theil, nur 
eine Hälfte). 

Stg der von hinten her in die Zunge eindringende Muse. Styloglossus. Der- 
selbe theilt sich in zwei Portionen, von denen die eine nach vorwärts geht, die 
andere dagegen nach einwärts zur 

R Raphe, die als heller Saum erscheint. 


Fig. 4. Frontalschnitt durch die Zunge der Katze am Ende des vordern 
Drittels. Vergrösserung 10. 

Gg Musc. Genioglossus. 

ZLs Longitudinalis superior. 

Li Untere Längsmuskellage. 

Im Uebrigen ist das Bild mit Hülfe der Fig. 1 auf Taf. III. leicht zu ver- 
‘stehen. 


Fig. 5. Frontalschnitt durch die Zunge des Maulwurfs, Vergrösserung 15. 


Taf. III. 


Fig. 1. Frontalschnitt am Ende des vordern Drittels der menschlichen 
Zunge (vom Neugebornen). Vergrösserung 7. 

R Raphe. 

Gg Musc. Genioglossus. 

pr. Art. profunda linguae. 

Die Querschnitte der longitudinalen Fasern bilden einen Mantel um die 
Peripherie der Zunge, welcher durchsetzt wird von den Enden der von der 
Raphe entspringenden Transversusfasern und von einem Theile der perpendicu- 
lären. Letztere sind in der untern Längslage nicht in dem Maase bis zur 
Schleimhaut zu verfolgen, wie die transversalen Fasern, sondern sie scheinen 
grossentheils zwischen den querdurchschnittenen unteren Längsfasern zu endigen. 


Fig. 2. Schnitt durch die menschliche Zunge (halbsagittal, in der Richtung 
der perpendiculären Fasern), Vergrösserung 25. 

HG Bündel vom Musc. Hyoglossus, welches nach aufwärts umbiegt und 
sich einem perpendieulären Blatte beigesellt. 


Ls obere, Li untere Längsmuskellage; 7r Querschnitte der transversalen 
Blätter, 


Fig. 3 u. 4. Sagittalschnitte durch die Katzenzunge (freier Theil). Ver- 
grösserung 71). 

Fig. 3 nahe dem Seitenrande, Fig. 4 nahe der Mittellinie. — Zur Demon- 
stration der Ausstrahlung der Transversusbündel. 

Ls obere Längsmuskellage. 


106 Dr. Hzsse. Ueber die Muskeln der menschlichen Zunge. 


Li untere Längsmuskellage. 
Tr Querschnitte der transversalen Blätter, zwischen denselben die perpen- 
dieulären. 


Fig. 5. Flachschnitt durch die Katzenzunge, vorderes Drittel. Vergrösse- 
rung 10. 

Ls obere Längslage. 

Tr transversale Blätter. 

P Querschnitte der perpendiculären Blätter. 

In der oberen Längslage stellen sich die Querschritte der perpendiculären 
Fasern zu sapittalen Blättern hinter einander, übrigens aber zu frontalen 
Blättern neben einander. 


Die oberen und unteren Muskeln der Lippen. 


Von 
W. Henke, Professor in Prag. 
Hierzu Tafel V. 


Die Muskeln des Gesichts, deren bedeutendster Theil sich rings 
um die Mundspalte zusammenschliesst, sind nach ihren Ursprüngen, 
d. h. ihren Anheftungen an Knochen von Alters her ebenso wie die 
des Skeletes charakterisirt und ihre Beschreibung in diesem Sinne ist 
noch neuerlich von HENLE in seinem grossen Handbuche gründlich 
und mit vortrefflichen Abbildungen revidirt. Viel unbestimmter sind 
in der alten und neuen Literatur die Angaben über die Endigung 
dieser Muskulatur an der Haut, welche ihr im Gegensatz zu den 
Skeletmuskeln eigenthümlich ist, und besonders fehlt es noch so gut 
wie ganz an Abbildungen, welche diese ihre Endigungen an- 
schaulich machen. Man verfolgt sie als Einheiten bis dahin, wo 
sie sich nicht mehr einfach von einander trennen lassen, und hier 
gehen sie dann in die unbestimmten Schichten eines Zusammenhanges 
mit der Oberfläche oder zuvor einer Durchflechtung mit einander 
über. Eine Analyse der einzelnen Faserzüge von hier an, wie sie 
ähnlich für die Durchdringung der Muskeln in der Zunge bereits 
vorliegt, wird erst ein vollständiges Bild von ihnen geben und nament- 
lich kann nur eine anschauliche Vorstellung von diesen ihren Endigun- 
gen auch zu einem richtigen Verständniss ihrer Wirkungsweise die 
anatomische Grundlage abgeben. 

LANGER!) hat schon vor einer Reihe von Jahren einmal mit einer 
kleinen dahin zielenden Arbeit mitten in den Zusammenhang des so- 
genannten Orbicularis oris hineingegriffen, von dem es längst bekannt 
ist, dass er keine in sich abgeschlossene Einheit darstellt, da von 
allen Seiten her Fortsetzungen anderer an Knochen entspringender 
Muskeln in ihn eintreten. Er hat nachgewiesen, dass andererseits 

1) Ueber den Musculus orbieularis oris. Medicin. Jahrbücher, Zeitschrift 
der k. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien. 1861. 


108 W. Hosen, 


innerhalb der dadurch zusammengesetzten Masse die Fasern nicht 
ununterbrochen fortlaufen, sondern um die Mitte der Lippen aus der 
zusammenhängenden Masse austreten und an der Haut endigen, so 
dass also der ganze unter dem Namen ÖOrbicularis begriffene Complex 
in zwei Seitenhälften (oder vier Seitenhälften der Ober- und Unterlippe) 
zerfällt, welche nicht eigentlich in einander übergehen und also auch 
unabhängig von einander wirken können, welche dagegen über die 
Grenzen des Complexes hinaus mit andern Muskeln in continuirlicher 
Verbindung sind. Ich habe von den letzteren ausgehend seit längerer 
Zeit wiederholt untersucht, wie sie sich beim Eintritte in die Lippen 
verhalten, namentlich wie die von oben und unten kommenden theils 
direct an die Haut treten, theils erst in den Orbicularis eingehen. 

Ich habe mich dabei gar keines wesentlich neuen Verfahrens 
bedient, sondern nach alter Weise erst die Haut und dann die Muskeln 
selbst schichtenweise abgetragen. Ich habe nur die eine alte Pro- 
sectorenmanier verlassen, nach Entfernung der Haut über alle Theile 
der blosgelegten Muskeloberfläche so mit dem Finger hinzustreichen, 
dass sie einander und einem reinpräparirten Skeletmuskel möglichst 
ähnlich werden, sondern mich im Gegentheil befleissigt, den Unter- 
schied möglichst deutlich darzustellen, im Präparate und dessen Ab- 
bildung zwischen solchen blosgelegten Muskelstücken, die sich in der 
That bei ihrer Bloslegung glatt in sich geschlossen wie ein Skelet- 
muskel darstellen, und solchen, welche dagegen nach Entfernung der 
Haut eine zerrissene Oberfläche mit lauter abgeschnittenen hervortreten- 
den Faserbündeln zeigen; denn dies sind ja die Ansätze an die Haut, also 
das, worauf es in erster Linie ankommt. Das Zweite ist dann die 
Zerlegung der sich durchkreuzenden Faserzüge durch successive Auf- 
deckung. Besonders gut ist mir dies an der Gesichtsmaske eines Ent- 
haupteten, die längere Zeit in Spiritus gelegen hatte, gelungen, woran 
ich es vor drei Jahren auf der Naturforscherversammlung in Rostock 
demonstrirt habe. Indem ich nun die Abbildungen dieser Präparate 
in auf einander folgenden Schichten als ein Paradigma hier vorlege 
und die Ergebnisse der Untersuchung an der Hand derselben berichte, 
glaube ich zugleich ein etwas neues Schema der Hauptmuskeln der 
Lippen, besonders der oberen und unteren aufstellen zu sollen, auf 
welches sich auch eine einfache Definition ihrer Wirkung, sowohl 
einzeln als in ihrern Combinationen gründen lässt.!) 


1) Eine grobe Abbildung dieser Art und eine etwas eigenthümliche Be- 
schreibung dieser Muskeln habe ich bereits in der ersten Auflage meines Atlas 
der topogr. Anatomie 1867, Fig. 1 auf Tafel LXIX u. S. 268 gegeben. 


Die oberen und unteren Muskeln der Lippen. 109 


Die Grundlage der Muskulatur in den Lippen, den grössten, zu- 
sammenhängendsten Theil des sogenannten Orbieularis bildet bekannt- 
lich die Fortsetzung des Buccinator, indem die horizontalfaserige 
glatte starke Ausbreitung desselben, der Schleimhaut anliegend aus 
der Backe in die Lippen ohne viel Veränderung, nur mit einigen 
Durchkreuzungen der Bündel vorher, oberhalb und unterhalb der 
Mundspalte weitergeht. Man hat deshalb auch diese ganze zusammen- 
hängende Muskeldecke der Wand des Vorhofes der Mundhöhle bereits. 
ganz passend als Buccolabialis zusammengefasst. Denn zwischen dem 
gespaltenen Theile in den Lippen und dem zusammenhängenden in 
den Backen ist gar keine bestimmte Grenze zu finden, wenn man sie 
von der Schleimhautseite bloslest. Von aussen aber wird nur dadurch 
das Vorderende des Buccinater scheinbar abgeschlossen, dass er unter 
dem Rande der oberflächlichen Muskeln der Lippen verschwindet. 

Aus diesen nun ist in der hergebrachten Systematik der Antheil, 
welcher in den Lippen selbst, mehr oder weniger die Spalte derselben 
umkreisend verläuft und der Fortsetzung des Buccinator in derselben 
fest aufliegt, noch mit ihr. als Orbicularis zusammengefasst, davon 
aber noch solche Muskeln unterschieden, die mit deutlichen Ursprün- 
gen. von beiden Kiefern herkommen, Anfangs isolirbar wie Skelet- 
muskeln verlaufen und glatt herauspräpärirt werden können, dann 
aber in die Lippen eintreten. Dies sind die oberen und unteren 
Muskeln, deren Endisung wir aufsuchen wollen. 

Wir können dieselben wesentlich in zwei für beide Lippen ana- 
loge Arten, für welche auch thbeils von HENLE, theils von mir bereits 
analoge Bezeichnungen gebraucht worden sind, gruppiren: 1) solche, 
welche die Grenze beider Lippen nicht überschreiten, sondern vom 
Oberkiefer einfach in die Oberlippe, vom Unterkiefer in die Unter- 
lippe übergehen. Sie stellen breite parallelfaserige Platten von Bün- 
deln dar, welche in langer Reihe an schmalen Linien beider Kiefer 
entspringen und sich in beiden Lippen breit an die Haut inseriren, 
daher der Name Quadratus, welcher für den unteren von Alters her in 
Gebrauch, von HENLE auf den oberen übertragen worden ist, um die 
von der alten Systematik getrennten Theile desselben (Levator labii et 
alae nasi, Levator labii proprius und Zygomaticus minor) zusammen- 
zufassen; 2) solche, welche nicht in die ihrem Ursprunge zunächst 
liegende Lippe eintreten, sondern vom Ober- und Unterkiefer zunächst 
gerade nach ab- und aufwärts laufen, um sich in einer Durchflechtung 
mit einander und mit den oberflächlichen Schichten des Orbieularis 
am Mundwinkel zu begegnen. Wenn wir sie nur bis hierher ver- 
folgen, so passt auf beide der Name Triangularis, der ebenfalls für 


110 Ä ee 


den unteren althergebracht, von mir seiner Zeit auch schon auf den 
oberen (Levator anguli oder Caninus) übertragen ist. Denn beide 
stellen kleine dreieckige Platten von Bündeln dar, welche von einem 
ausgebreiteten Ursprunge am Knochen zu dem Eintritte in jene Durch- 
flechtung convergiren. Zwischen diesen beiden Arten der Muskeln 
oben und unten besteht nur der topographische Unterschied, dass der 
obere Quadratus den Triangularis von Anfang an als oberflächliche 
Schicht deckt, bis er in der Lippe endigt und jener dann unter ihm 
zum Vorschein kommt, der untere dagegen umgekehrt von dem 
Triangularis von Anfang an bedeckt wird und erst unmittelbar vor _ 
seiner Insertion an die Lippe unter dem vorderen Rande desselben 
hervortritt, so dass dieser eben dadurch eine so einfach deutliche, so 
vollkommene Abgrenzung gegen die nächsten Parthien des Orbicularis 
und dessen Anhänge (Mentalis und Incisivi) erhält, wie sie zwischen 
dem oberen Triangularis und dem Seitenrande des Orbicularis (nebst 
Ineisivi und Nasalis) erst nach Aufhebung des Quadratus künstlich 
dargestellt werden kann. Endlich schliessen sich allen diesen Muskeln, 
oberen und unteren, von der Seite her die isolirteren länglichen Bün- 
del, oben des Zygomatieus, unten der Ausläufer des Subeutaneus colli 
(Risorius) an. 


Was nun zunächst die Quadrati betrifft, so werden dieselben nach 
Entfernung der Haut mit ihren Insertionen an dieselbe sogleich voll- 
ständig aufgedeckt (Fig. 1.), sind leicht zu Ende zu verfolgen, da sie 
sich mit anderen nicht verflechten und ihre Ansätze sind daher auch 
meist, namentlich von HENLE schon richtig beschrieben. Besonders 
gilt dies von den oberen, weil er, wie schon berührt, in seiner ganzen 
Ausdehnung oberflächlich vorliegt. Es mag trotzdem nicht überflüssig 
scheinen auch ihren Verlauf und Ansatz an der Hand der Abbildung 
hier auch erst noch einmal kurz imZusammenhang darzustellen. 


Der obere kommt mit breiter glatter Vorderfläche von den Ur- 
sprüngen seiner verschiedenen Portionen am Nasenrücken (Levator 
labii et alae nasi) und vom Rande der Orbita unter dem des Orbieu- 
laris palpebrarum hervor (Levator labii proprius) und lässt sich von 
da abwärts sehr leicht und rein abpräpariren. Seine Fasern laufen 
hier meist parallel schräg ab- und vorwärts gegen die Mitte des Mun- 
des; nur die medialsten legen sich über die nächsten etwas über. 
Dann fängt er am hintern Rande des Nasenflügels und in der ganzen 
schrägen Linie, welehe von da nach der Seite und unten etwas, ober- 
halb des Mundwinkels gegen die Backe hin ausläuft, an, sich 
sogleich mit den dicht zusammengedrängten Enden aller seiner ober- 


Die oberen und unteren Muskeln der Lippen. 111 


flächlichen Fasern an die Haut zu inseriren. Weiterhin breiten sich 
dann die übrigen, die darunter noch hervortreten, abwärts in einem 
dreieckigen Gebiete zuletzt ziemlich dünn verlaufend aus, welches 
sich mehr oder weniger dem Lippenrande parallel ziemlich unbestimmt 
abgrenzt, ungefähr aber die Ausdehnung hat, in welcher die Haut in 
der Peripherie der Oberlippe seitwärts vom Nasenflügel herab meist noch 
keinen starken Bartwuchs zeigt. Man kann daher etwa sagen, das 
Hautstück, unter welchem die Imsertion des oberen Quadratus aus- 
gebreitet ist, wird begrenzt durch den Schnurrbart, den Nasen- 
flügel und die Falte, welche von letzterem schräg abwärts verlaufend 
eine Grenze von Backe und Lippe bildet, und in ihrer Ausprägung, 
wie wir sie deutlich beim Lachen sehen, spricht sich die Wirkung 
des Muskels als Angriff auf seine Insertion deutlich aus. Er hebt die 
Oberlippe, wie es die alten Namen seiner Theile schon ausdrücken, 
indem er die auf ihm angewachsene Hautparthie derselben in toto fest 
anfasst und nach oben und der Seite zieht, wobei der Nasenflügel 
zugleich etwas gedreht wird. Dadurch wird dann aber zugleich die 
Haut oberhalb der Insertion, welche an der glatten Vorderfläche des 
Muskels lose aufliest, rein passiv vor ihm, wenn er-sich verkürzt, 
hervorgebaucht, wie die des Ulnarrandes vom Handteller vor dem 
Talmaris brevis. 

Der untere Quadratus hat. bekanntlich überhaupt keine solche 
frei präparirbare glatte Vorderfläche, da der Verlauf seiner Fasern vom 
Ursprung zur Insertion nicht offen unter der Haut liest, sondern vom 
Triangularis bedeckt wird, vor dessen vorderem Rande sie erst hervor- 
treten, um sich dann von da an sogleich zu inseriren. Die Richtung 
und Anordnung des Verlaufs aber und die Insertion sind ganz analog 
wie beim oberen. In parallelen Zügen verlaufen alle Bündel der 
breiten Platte des Muskels auf- und medianwärts gegen die Mitte des 
Mundes hin und vertheilen sich allmälig zu der ausgebreiteten Inser- 
tion an die Haut des Seitentheiles der Unterlippe, wie die des oberen 
an die der Oberlippe, nur in weiterer Ausdehnung vom Rande des 
. Triangularis bis hart an den der Lippenspalte, mit dem Seitenende 
auch näher an den Mundwinkel heran, mit dem medialen Rande die 
Hautprominenz des Kinnes streifend, wie am oberen den Nasenflügel. 
Dazu kommt die äusserliche Aehnlichkeit, dass auch hier die Haut 
über der Stelle weniger Bartwuchs hat als die ringsumgebende. Bei 
der Wirkung des Muskels, der Herabziehung der Unterlippe, wird 
diese Hautparthie ebenfalls in toto und fest zusammengehalten, gegen 
den Ursprung desselben herabgezogen, dagegen markirt sich keine so 
scharfe Seitengrenze dieser Hineinziehung gegen Hervorwölbung der 


112 W. Henke. 


Haut jenseits derselben, weil die letztere hier, wo sich der Triangu- 
laris zwischenschiebt, eben nicht, wie oben, lose vor dem Quadratus 
liest und sich abheben kann. 


Das wesentlich gemeinsam Charakteristische beider Quadrati be- 
steht also in der ausgebreiteten Insertion, ähnlich der der Muskeln in 
der Zunge an die Schleimhaut, auf der Unterfläche von Hautstücken, 
die ihnen fest anhaften. Hier existirt demnach in nicht geringer Aus- 
dehnung so entschieden wie an keiner andern Körperstelle gar kein 
lockeres Unterhautbindegewebe (selbst nicht auf den Nackenmuskeln, 
wo es freilich in weit grösseren Stücken auch sehr kurzfaserig ange- 
löthet ist). Daher erklärt es sich wohl aus diesem rein anatomischen 
- Grunde, dass subcutane Abscesse an diesen Stellen, wie bekanntlich 
namentlich an der Unterlippe so leicht einen karbunkelartigen,; die Haut, 
in vielen Gängen unterminirenden Charakter annehmen (wie ähnlich 
auch am Nacken), weil sie nicht wie sonst im lockeren Gewebe zu 
einer Eiterhöhle zusammenfliessen können. Präpariren wir die Haut 
an diesen Stellen von den Muskeln ab, so sind dieselben eben damit 
von ihrer Insertion abgeschnitten und dies abgeschnittene Ende ihrer 
Fasern erscheint als ein zerrissenes abgebrochenes Endstück ihrer Ober- 
flächen, welches sich durch sein ruppiges Ansehen von den glatt 
präparirten Stücken deutlich unterscheidet, wie es auch hier in den 
Abbildungen (Fig. 1, etwas stärker beschnitten auch noch in Fig. 2 für 
den oberen) angedeutet ist. Es liegt noch an Stelle der Haut, die 
daran befestigt war und deckt einen Theil der Vorderfläche des Orbi- 
cularis in beiden Lippen. Ein Eintreten von Fasern der Qnadrati in 
den Orbicularis, von dem in vielen Büchern noch geredet wird, findet 
durchaus nicht statt. Diese Muskeln sind also zunächst vollständig 
für sich ohne Durchkreuzung mit andern von ihren Ursprüngen an 
beiden Kiefern bis zur Insertion an die Haut der gleichnamigen Lippen 
zu verfolgen und zu übersehen. Ebenso einfach stellt sich auch für 
sich allein ihre Wirkung dar, die übereinstimmend darin besteht, die 
Oberlippe nach oben, die Unterlippe nach unten vor den Zähnen aus- . 
einander zu ziehen. 


Die Triangulares dagegen sind von ihren Ursprüngen am Ober- 
und Unterkiefer an, getrennt nur bis dahin zu verfolgen, und zwar bis 
dahin auch ganz leicht, weil ganz glatt frei präparirbar, wo sieam Mund- 
winkel mit spitzen, durch Convergenz ihrer Bündel formirten Enden 
auf einander stossen und sich zugleich mit den Seitenrändern der ober- 
tlächlichen Schichten des Orbicularis, welche zu derselben Stelle hin 
convergiren, eng zusammenschliessen. Hier ist denn auch für die alte 


Die oberen und unteren Muskeln der Lippen. 113 


Systematik ihr Ende erreicht. Hexte!) lässt sie hier zum Theil 
wirklich endigen, indem er ein Ligament der Lippencommissur beschreibt, 
einen Sehnenstreifen, der sich vom Mundwinkel seitwärts erstreckt 
und eine Art Rendez-vous der verschiedenen Muskeln darstellen würde, 
die hier zusammenstossen. Daran ist etwas Wahres. Es giebt im 
Innern des Wirbels, den die Convergenz der Muskeln hier bildet, An- 
deutungen von Verknüpfung oder Unterbrechung der zu ihr heran- 
tretenden Muskelbündel durch bindegewebige Inscriptionen. Aber über- 
wiegend hat doch diese Vereinigung convergirender Bündel in einer 
festen Commissur der von oben und unten herantretenden, welche 
hier zwischen Haut und Schleimhaut einen starken Fleischstrang 
bilden, den Charakter einer Durchkreuzung, in welcher dieselben ziem- 
lich direet gegenseitig in einander übergehen. Die Analyse dieser 
Durehkreuzung, die Verfolgung der von oben und unten herantreten- 
den Bündel durch dieselbe hindurch zu ihrer jenseitigen Fortsetzung 
war die Hauptaufgabe, die ich bei meiner Präparation verfolgte. 

Hier kann nun zunächst eins ausgeschlossen werden, was in ver- 
schiedenen Beschreibungen angeführt wird, nämlich ein directer 
Uebergang von Bündeln des oberen und unteren Triangularis (Levator 
und Depressor anguli oris) in einander, wodurch sie sich zu einer 
directen Verbindung zwischen Ober- und Unterkiefer, einer Art von 
zartem Kaumuskel vereinigen würden. Es kann allerdings an gewöhn- 
lichen frischen Präparaten leicht so scheinen. Die Seitenwände beider 
Muskeln bilden neben dem Mundwinkel vorbei einen vereinigten star- 
ken Wulst, hinter dem der Buccinator in die Lippen hinein verschwin- 
det und wenn die Bündel, die hier am Rande liegen, sich etwas weich 
in einander hinein schmiegen, kann es wohl so aussehen, als liefen 
sie zusammenhängend an demselben herunter. Bei genauer Bloslegung 
wird es aber doch wohl immer gelingen, nachzuweisen, dass dieser 
Rand gerade da, wo er am stärksten ist, in der Höhe des Mundwinkels 
nicht mit Bündeln abschliesst, die ihm entlang ziehen, sondern ähn- 
lich wie der von der Brust zum Arm überspringende des Pectoralis 
major seine Rundung einer Aufwickelung verdankt, in welcher jedes 
Bündel etwas schräg um ihn herumbiegt, um auf- oder abwärts, nach 
hinten oder vorn über die nächst angrenzenden hinweg weiter zu ver- 
laufen. Auf diese Art gehen alle Fasern beider Triangulares aus 
der steil ab- oder aufwärts vom Ursprunge her kommenden Richtung 
bei der Kreuzung in einen jenseits derselben medianwärts ge- 
richtetenWeiterverlauf über. Der obere tritt in die Unterlippe, der 


1) Muskellehre $. 146, 147. 
Zeitschrift f. Anatomie. Bd. I. RS 


114 W. Henke. 


untere in die Oberlippe ein. Und zwar liegen in der Kreuzung 
zuvorderst unter der Haut der Commissur oberflächliche Bündel des obe- 
ren und ziehen schräg ab- und medianwärts über die des unteren weg, 
welche ebenso schräg auf- und medianwärts hinter ihnen verschwinden 
(Fig. 1). Dringt man tiefer ein, so wechseln Lagen von beiden mit 
einander ab. In ihrer ganzen Dicke ist also die Verbindung beider 
Muskeln ein gekreuzter Verlauf ihrer Bündel zwischen einander durch, 
wodurch sie hier auch mit einander verknüpft sind. 

Daraus geht nun zunächst in den oberflächlichen Lagen (Fig. 1) 
ein nach oben und unten vom Mundwinkel gegen die Lippen hin aus- 
strahlendes Büschel von Faserbündeln hervor, welches die in die Kreu- 
zung eintretenden Theile des Orbicularis deckt und sich ähnlich wie 
die Quadrati in der Richtung gegen die Seitenenden von den Inser- 
tionen der letzteren ebenfalls an die Haut ansetzt. Insbesondere die 
aus dem oberen Triangularis (Levator anguli s. Caninus) stammende 
Ausstrahlung abwärts vom Mundwinkel schliesst sich eng an die 
lateralen Bündel des unteren Quadratus an, wo diese unter dem Rande 
des unteren Triangularis hervortreten, und schiebt sich ihnen sogar 
mit einem schmalen, an diesem Rande herablaufenden Streifen vor. 
Sie bewirkt offenbar die vom Mundwinkel nach unten ausgehende ein- 
gezogene Falte, und diese geht demnach in die Seitengrenze des 
Hautgebietes, welches von der Wirkung des untern Quadratus nach 
unten eingezogen wird, mit directem Zusammenhange über. Nach 
oben dagegen erreichen die direct an die Haut ausstrahlenden Bündel 
des unteren Triangularis keinen so dichten Anschluss an die des 
oberen Quadratus und die Einbiegung der Haut, welche als Ausdruck 
ihres Angreifens auch nach oben vom Mundwinkel ausgeht, hat keinen 
bestimmten und ununterbrochenen Zusammenhang mit jener, welche vom 
hinteren Rande des Nasenflügels als Grenze von Lippen und Backen 
herabzieht, sondern das obere Ende der ersteren und das untere der 
letzteren verlieren sich ziemlich unbestimmt und mit vielen indivi- 
duellen Schwankungen gegen einander hin. Im einzelnen hängt dies 
auch von den zerstreut hinzutretenden Insertionen des Zygomaticus 
ab, auf die ich hernach noch komme. 

Decken wir nun weiter auf, indem wir die oberflächlichen Bündel 
der gekreuzten Enden beider Triangulares mit ihren Insertionen an 
der Haut auf- und abwärts vom Mundwinkel abtragen (Fig. 2 u. 3), 
so finden wir darunter lagenweise über einander andere, welche gleich- 
falls sich in der Art kreuzen, dass die aus dem oberen und unteren 
Triangularis herkommenden an einander vorbei und nach der Kreuzung 
medianwärts weiter laufen. Hier liegen nun ihre Fortsetzungen zunächst 


Die oberen und unteren Muskeln der Lippen. 115 


unter jenen in der Nähe der Mundwinkel an die Haut inserirten 
Büscheln und ebenso im weiteren Verlaufe unter den Hautinsertionen 
beider Quadrati. Hier ziehen sie, nach der Kreuzung wieder diver- 
girend ausgebreitet, zu der Mitte der beiden Lippen. Hier bilden sie 
mit Einem Worte den grössten Theil der oberflächlichen Lagen des 
Orbieularis, welcher sich, wie LANGER schon beschrieben hat, in der 
Mitte beider Lippen an die Haut inserirt, und also in der Oberlippe 
die Fortsetzung des unteren, in der Unterlippe die Fortsetzung des 
oberen Triangularis ist. 

Es ist klar, dass die Kreuzung beider Triangulares in der Com- 
missur der Lippen zunächst für beide eine Verknüpfung ihres Verlaufes 
mit einander ebenso gut bedeutet, als wenn sie sich hier beide an 
einem gemeinsamen Ligament oder sonstigen Vereinigungspunkt inse- 
rirten, dass also ihre Wirkung auf diesen Punkt, bis zu dem sie von 
jeher anatomisch verfolgt waren, ganz die sein muss, wie sie die 
alten Namen Levator und Depressor anguli oris ausdrücken, dass, wenn 
der eine oder andere sich verkürzt, der Mundwinkel herauf- oder herab- 
gezogen werden wird. Diesem Zuge müssten auch schon von selbst 
die an demselben- Knotenpunkte angehefteten Theile der Lippen mit 
ihren Muskeln folgen, die Unterlippe nach oben dem des obern Triangu- 
laris (Levator), die Oberlippe nach unten dem des untern folgend. 
Der entgegengesetzte muss dabei nachgeben und das kann er auch, 
weil sie ja, wie wir gesehen haben, unter einander nicht wirklich als 
Fortsetzungen in einander übergehen. Dagegen ist nun ebenso klar, 
dass die Fortsetzung beider in die jenseitigen Lippen, die wir eben 
verfolgt haben, sich regelmässig zugleich mit ihnen contrahiren und 
also die Oberlippe, wenn sie mit dem Mundwinkel herab-, die Unter- 
lippe, wenn sie mit ihm hinaufgezogen wird, gleichzeitig in ihrer 
sanzen Breite in sich zusammenziehen und nach oben oder unten an- 
ziehen wird. So stellt jeder Triangularis mit dem gegenüberliegenden 
oberflächlichen Theil des Orbicularis zusammen einen als Einheit 
wirkenden zweibäuchigen Muskel und jeder derselben von der linken 
und rechten Seite zusammen eine in der Mitte zusammenhängende 
Schlinge dar, durch welche die Oberlippe gegen den Unterkiefer hinab, 
die Unterlippe gegen den Oberkiefer hinauf gezogen wird, wo die 
Enden der Schlinge befestigt sind. 

Tragen wir nun endlich den ganzen Rest der in der Lippen- 
commissur mit einander durchflochtenen Enden beider Triangulares 
ab, so kommt unter ihnen der Eintritt des Buceinator als Buccolabi- 
alis in die Lippen zum Vorschein (Fig. 4). Diese seine Fortsetzung ist 


von den ihr aufliegenden Theilen des Orbicularis, welche, wie wir 
S* 


116 W. HENKE, 


gesehen haben, die Fortsetzung der von ihnen abgeschnittenen Trian- 
gulares darstellen, nicht ganz bedeckt. Dieselben halten sich nicht 
dicht an den Lippensaum, namentlich in der Oberlippe weniger als 
in der unteren. Hier tritt also Buccolabialis unter ihnen hervor 
oberflächlich zu Tage. Daneben bemerkt man nun jetzt eine kleine 
Spur auch directer Anknüpfung von einem Bündel oberer und unterer 
Orbicularisfasern an einander oder Verknüpfung derselben mit einander 
in dem der Commissur der Lippenränder zunächst anstossenden Theile 
des von HENLE- beschriebenen Ligaments derselben. Ferner abwärts 
vom Mundwinkel ein dünnes Blatt Buecinatorfasern, die nicht als 
Buecolabialis in die Lippen mit übergehen, sondern unter dem media- 
len Rande des unteren Triangularis hervortreten und sich an die Haut 
inseriren; hier sieht man sie in Fig. 3 hervorkommen. Man sollte 
dies. eigentlich ebenso auch schon in Fig. 2 sehen können; aber in 
diesem Stadium der Präparation muss ich es noch nicht bemerkt haben 
und wollte es dann hernach nicht aus dem Kopfe noch in die Zeich- 
nung eintragen. 

Sodann haben wir nun noch der Endigung der Nebenmuskeln 
nachzugehen, welche sich den Seitenrändern der oberen und unteren 
Muskeln, Quadrati und Triangulares, nebenanschliessen, namentlich des 
Zygomaticus. So bestimmt wie er schon für den Anfänger im Prä- 
pariren durch seinen deutlich isolirten Ursprung am Jochbein charakteri- 
sirt ist, so unbestimmt verhält er sich am Ansatz. In unserem Falle 
wenigstens sind fast alle Möglichkeiten, wie er zuletzt auslaufen 
könnte, zu sehen, nur eins wieder nicht, was man ähnlich wie beim 
oberen Triangularis auch bei ihm angegeben findet, nämlich Ueber- 
gang von Fasern aus ihm in den Seitenrand des unteren Triangularis, 
also in letzter Instanz Endigungen am Unterkiefer. Oberflächlich 
schliesst er sich ganz dem oberen Quadratus an und demgemäss inse- 
riren sich auch versprengte oberflächliche Bündel zur Seite des un- 
teren, dünn verlaufenden Endes der Anheftungen des Quadratus da, wo 
jene Grenzlinie der letzteren sich vom Nasenflügel herab gegen die 
Backe verliert (Fig. 1). Dahinter aber tiefere, welche sich hinter die 
Commissur der Triangulares hineinschieben und indem sie sich der 
Kreuzung derselben am Mundwinkel anlegen, theils an derselben be- 
theiligen und wie die des oberen Triangularis im Orbicularis der 
-Unterlippe, theils aber auch noch oberhalb derselben, in flachem Bogen 
nach oben und der Mitte hin umwendend in der Oberlippe auslaufen 
(Fig. 3 u. 4). 

Ueber den Risorius habe ich auf Grund des vorliegenden Materiales 
wenig zu sagen, da er an dem hier durchgearbeiteten Kopfe nur durch 


Die oberen und unteren Muskeln der Lippen. #17 


wenige Bündel vertreten war, welche sich über das obere Ende des 
unteren Triangularis hinwegziehend dem Verlaufe und Ansatze des 
Quadratus in die Unterlippe anschliessen. Dies dürfte indess auch 
wohl ein regelmässig wiederkehrendes Verhalten sein und übrigens 
die Endigung dieses Muskels im Einzelnen ebenso variabel sein, wie 
die des Zygomaticus, da sich ja dieser ganze laterale obere Ausläufer 
oder Anhang des Subcutaneus colli im Gesichte im Ganzen mehr dem 
Quadratus als einer Art Fortsetzung seiner ganzen Anordnung, zugleich 
aber doch fast ebenso nahe auch dem Seitenrande des Triangularis 
anschliesst, wie der Zygomaticus den entsprechenden oberen Muskeln. 

Ueberhaupt liegt auf der Hand, dass wir mit jedem weiteren Ein- 
gehen auf Einzelheiten in das Gebiet des freien Spielraumes indivi- 
dueller Variabilitäten gerathen würden, das gerade an den Gesichts- 
muskeln ofienbar sehr gross ist und nur durch Zergliederung eines 
sehr zahlreichen Materials einigermassen erschöpfend zu behandeln 
wäre. Ich habe dazu bisher keine Zeit und Lust gehabt und auch 
die Analyse der Theile des Orbicularis noch nicht bis zu einer Nach- 
weisung der Wege, welche die kleineren Zuzüge und Anhänge dessel- 
ben, die Ineisivi, Nasalis, Mentalis in ihm einschlagen, durchgeführt; 
ich habe mich aber dadurch nicht abhalten lassen wollen, das mit 
jener Rostocker Präparation gewonnene Resultat, wie es ist, vorzu- 
legen. Und ich glaube es genügt, um in der Hauptsache die Muskeln 
in den Lippen nach ihrer Herkunft und Endigung zu ordnen und 
ein neues Schema für die Beschreibung derselben aufzustellen, 
welches auch für das Verständniss ihrer Wirkungen bequem zu Grunde 
zu legen sein wird. 

Ich unterscheide also ausser dem Buccolabialis, der zusammen- 
hängenden Horizontalfaserschicht, welche als Fortsetzung des Pharynx 
aus der Enge zwischen den Backzähnen und dem Unterkieferaste her- 
vor, der ganzen Schleimhaut des Vestibulum direct aufliegend durch 
Backen und Lippen verläuft, nur zwei Arten von Muskeln, die vom 
Ober- und Unterkiefer her dazu kommen und in den Lippen endigen. 
Die einen treten ohne Kreuzung in die gleichnamigen Lippen und 
inseriren sich in den Seitentheilen derselben ausgebreitet an der Haut, 
die Quadrati der Ober- und Unterlippen; die anderen gehen von 'oben 
und unten her mit Kreuzung in der Lippencommissur an einander 
vorbei in die ungleichnamigen Lippen und inseriren sich an der Mitte. 
Sie stellen zweibäuchige Muskeln dar, gebildet aus je einem Triangularis 
und einem Viertheil der oberflächlichen Schicht des Orbicularis. Wir 
wollen sie Circumflexi nennen; der der Oberlippe kommt vom Unter- 
kiefer, der der Unterlippe vom Oberkiefer. 


118 W. Hkxeer. 


Die Art, wie sie mit ihren Contractionen an ihren Insertionen 
angreifen, ist im Einzelnen oben bei ihrer Beschreibung schon erörtert. 
Wir haben uns also nur noch klar zu machen, wie ihre Wirkungen sich 
bei den gewöhnlichen Arten des Gebrauchs, sowohl des physiologischen 
als des mimischen, combiniren werden. Ein näheres Eingehen auf 
die Feinheiten der Modellirung des Gesichtsausdruckes würde ebenso 
wie eine speciellere Verfolgung des individuell verschiedenen anatomi- 
schen Verhaltens hier zu weit führen und letztere schon voraussetzen. 

Jeder Quadratus hebt offenbar die Lippe, an der er sich inserirt, 
von den Zähnen ab, indem er ihren Seitentheil gegen seinen Ursprung: 
heranzieht. Alle vier zusammen sind die Oefinungsmuskeln des Mun- 
des, dabei wirken ihnen Buccolabialis und Circumflexi in verschiede- 
ner Weise entgegen. Ersterer hält gleichmässig Lippen und Backen 
gegen die Zähne angedrückt. Letztere dagegen drängen, wenn sie zu- 
sammen wirken, die Lippen von allen Seiten um die Spalte zwischen 
ihren Rändern zusammen, indem der eine, Circumflexus labii superio- 
ris (Triangularis menti mit Orbicularis in der Oberlippe) die Oberlippe 
gegen den Unterkiefer herab, der andere, Circumflexus labii inferioris 
(Levator anguli s. Caninus mit Orbicularis in der Unterlippe) die 
Unterlippe gegen den Oberkiefer hinaufzieht, und beide oder vielmehr 
alle vier zusammen die Mundwinkel, wo sie sich kreuzen, nach der 
Mitte hin drängen, da auf diese Weise jeder für sich in eine gerade 
Verkürzungslinie zwischen seinem Ursprung und Ansatz gespannt 
wird. Wirken sie mit dem Buccolabialis zusammen, so bleibt der 
Mund fest geschlossen. Erschlafft aber der Buccolabialis und die 
Quadrati wirken dagegen mit den Circumflexi zusammen, so werden 
die Lippen mit dem freien Rande von den Zähnen abgehoben, mit 
den peripheren Theilen aber, in welchen die Circumflexi nach der 
Kreuzung verlaufen, und mit den Commissuren des Mundwinkels von 
allen Seiten zusammengedrängt. Der Mund wird rüsselförmig vor- 
gestreckt. 

Einfach wie in diesen Hauptacten des physiologischen Gebrauches 
der Lippen das Zusammenwirken der gleichnamigen oberen und unte- 
ren- Muskeln ist die Combination des Angreifens nur der vom Ober- 
kiefer oder Unterkiefer entspringenden bei den beiden bedeutendsten 
mimischen Bewegungen in der Umgebung des Mundes, beim Lachen 
und Weinen. Denn beim ersteren wird offenbar die Oberlippe geho- 
ben (Quadratus labii superioris), zugleich ebenso der Mundwinkel und 
mit ihm aber noch auch die Unterlippe emporgezogen und gespannt 
an die Zähne angehalten (Cireumflexus labii inferioris), beim Weinen 
umgekehrt ziehen die Circumflexi labii superioris die Oberlippe und 


Die oberen und unteren Muskeln der Lippen. 119 


den Mundwinkel herab, während die Unterlippe durch ihren Quadratus 
von den Zähnen abgehoben wird. Man kann sagen: beim Lachen 
wird die Oberlippe geöffnet, die untere wie zum Schliessen angezogen; 
beim Weinen wird die obere fest angehalten, die untere losgelassen, 
dass sie zitternd herabhängt. 

Wie man es sich erklären soll, dass diese Bewegungen gerade den 
heiteren und trüben Gemüthsstimmungen zum Ausdruck dienen, wie 
sie dies factisch thun, ist schwer zu sagen. Wollte man sich daran 
halten, dass die Erhebungen beider Lippen eine erhobene innere Be- 
wegung andeuten und umgekehrt, so wäre dies nur ein Wortspiel. 
Eher könnte man daran denken ihren tieferen Sinn in einer Analogie 
mit ursprünglich physiologischen Acten zu suchen. Eine solche halbe 
Oefinung des Mundes, wie sie die Abhebung der einen Lippe von den 
Zähnen, die Andrückung der anderen an dieselben darstellt, kommt 
auch vor beim Aufnehmen von Nahrung und zwar isolirte Vorstreckung 
der Unterlippe verbunden mit der des Unterkiefers beim Beissen, da- 
gegen die der Oberlippe mit zurückgehaltener unterer beim Schlürfen. 
Daraus ergäbe sich, wenn jenes hernach symbolisch eine gedrückte, 
dieses eine aufgemunterte innere Verfassung des Menschen ausdrückt, 
ein innerer Zusammenhang des Essens mit der niederen Bedürftigkeit, 
des Trinkens mit dem höheren Aufschwunge des Lebens. Denken wir 
also auch an den weisen Spruch: „Das Essen, nicht das Trinken bracht 
uns ums Paradies“, und trinken wir mit lächelndem Munde auf das 
Gedeihen der neuen Zeitschrift für Anatomie und Entwickelungs- 
geschichte! 


Erklärung der Abbildungen. 


% 


Fig. 1. Erste Schicht. nur die Haut abpräparirt. Man sieht die Insertionen 
beider Quadrati an die Lippen und die oberflächlichen Lagen beider Triangu- 
lares nach der Kreuzung oberhalb und unterhalb des Mundwinkels mit freien 
Enden blosgelegt. 

Fig. 2. Zweite Schicht, die Insertionen beider Quadrati, namentlich des 
unteren schon zurückpräparirt, von der Durchkreuzung der Triangulares die 
oberflächlichen Lagen mit ihren Insertionen an die Haut in der Nähe des Mund- 
winkels abgetragen. Man sieht die tieferen Bündel des oberen Triangularis in 
den unteren Orbicularis übergehen. 


120 W. Henke. Die oberen und unteren Muskeln der Lippen. 


Fig. 3. Dritte Schicht, die Quadrati ganz kurz abgeschnitten, der obere 
Triangularis ebenfalls oberhalb der Kreuzung ganz durchschnitten und sein unteres 
Ende von der Kreuzung und der Verbindung mit dem Orbieularis der Unter- 
lippe abgetragen und getrennt. Man sieht nun den unteren Triangularis in den 
Orbieularis der Oberlippe übergehen. 

Fig. 4. Vierte Schicht, die ganze Kreuzung bis auf den Buecinator und 
Orbicularis abgetragen. Man sieht die Fasern des ersteren in die dem Rande 
der Lippen zunächst blos liegenden des letzteren übergehen, indem sie hinter 
den noch darüber liegenden mehr peripheren, von denen die Kreuzung ab- 
getrennt ist, hindurch verlaufen. 


Zur endgültigen Heilung der Brüche am obern Ende 


des Oberschenkelknochens. 


Von 
Dr. L. Rabe, 


Assistent der chirurgischen Klinik zu Halle. 


Für die neuerdings von mehreren Seiten besprochene Frage nach 
dem schliesslichen Heilungsergebniss der Schenkelhalsbrüche scheint 
mir ein Präparat von gewisser Bedeutung zu sein, das unter alten 
Leichentheilen der anatomischen Anstalt zu Leipzig vorgefunden wurde 
und welches Herr Professor BRAUNE mir zur Verfügung zu stellen die 
Güte hatte. Dasselbe gehört der linken Hälfte eines erwachsenen muskel- 
starken männlichen Beckens an, über welches weiteres nicht mehr er- 
mittelt werden kann. An demselben fällt in Bezug auf die äussere 
Form sofort die rechtwinklige Stellung des Halses zum Schaft auf, 
der Höherstand der Spitze des grossen Trochanters über dem höchsten 
Punkt des Kopfes, die Verkürzung des Halses, sowie endlich die Ver- 
diekung der Trochantergegend, besonders auf der vordern Seite, an welcher 
(s. Fig. A. auf umstehender Seite) sich nach Entfernung der dicken auf- und 
zwischen gelagerten Periostschichten eine Reihe unregelmässiger, jedoch 
an den Kanten abgestumpfter, innig mit der Knochenoberfläche zusam- 
menhängender Schollen von der Mitte der Aussenseite des grossen 
Trochanters bis zum untern Rand des kleinen Trochanters zeigt; auf 
der hintern Seite des Schenkels sind diese Ungleichheiten (Fig. A) an 
entsprechender Stelle ebenfalls vorhanden, jedoch bei weitem nicht so 
hervorspringend; der obere Theil des grossen Trochanters und die Grube 
hinter demselben mit ihren Muskelansätzen, sowie Hals und Kopf er-" 
scheinen in ihrer Oberfläche normal, sie sind bei der ehemaligen 
Fractur, welche durch den untern Theil der beiden Trochanteren ging, 
nicht in Theilnahme gezogen worden. Nach der Durchsägung des 


122 RıAgBE. Zur endgültigen Heilung 


Knochens frontal in der Mitte zeigte sich ein höchst auffallendes Bild: 
Die untere Seite der Rindenschicht des oberen Bruchstücks, tief in das 
untere eingedrungen, ist durch compacte Substanz breit mit der Bruch- 
fläche der Rinde des letztern vereinigt; von der Stelle der Einkeilung 
steigt im Kopfe der starke Stützstrahl ziemlich steil zum oberen Theil 
der Gelenkfläche, während die Gegend um den Ansatz des runden 
Bandes herum in weiterem Umfang von grösseren Marklücken durch- 
setzt ist; das Innere des Halses ist in eine grosse unregelmässige 
Markhöhle verwandelt, bis auf den obern Theil, in welchem die Züge der 
Knochenbögen vom Kopfe zum lateralen Theil des untern Bruchstücks 
hinüberziehen: diese Höhle des Halses ist von dem grossen Markraum 
des Schaftes völlig getrennt durch eine Schicht spongiöser Substanz, 
in welcher sich die alte Bruchlinie noch verfolgen lässt; auch im 


Fig. A. Fig. B. 


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grossen Trochanter tritt eine grössere für sich bestehende Markhökle 
hervor. 

Ein mit der Bogensäge frontal aus der Mitte herausgeschnittenes 
und durch kochende Kalilauge gereinigtes Plättchen stellt die Photo- 
lithographie Tafel XVI, Fig. 1 dar, zur Vergleichung als Normale diene 
das aus entsprechender Stelle eines kräftigen männlichen Oberschen- 
kels gewonnene Fournierblatt, welches ähnlich jener Bruchlinie durch- 
schnitten und in seinen Bruchstücken wie in unserm Präparat ge- 
lagert, der Fig. 2 der Tafel zu Grunde liegt, also eine Vorstellung der 
Fractur bei ihrem Entstehen giebt. Die Vergleichung wird ziem- 
lich genau gestattet durch Aufeinanderlegen der von beiden Schnitten 
gewonnenen Pausen und ist so sorgfältig wie möglich durch die Ueber- 


der Brüche am obern Ende des Oberschenkelknochens. 123 


deckung der Originalphotographie des einen mit dem Präparat des 
andern Schnittes ausgeführt worden. Dabei ergiebt sich nun, dass die 
grossen Verschiedenheiten im Haupttheil des obern Bruchstücks nur auf 
Veränderungen quantitativer Natur beruhen, es sind einzelne Bälkchen- 
systeme, welche infolge der Veränderung ihrer Lage mehr in Anspruch 
genommen wurden, verstärkt, andere, welche an Bedeutung verloren, 
atrophirten oder räumten selbst völlig dem Markgewebe den Platz, 
aber nirgends findet sich eine nachweisliche Veränderung in der Richtung 
der Züge. Bei dem ersten Anblick fanden wir die Masse der im Kopf 
aufsteigenden Stützbälkchen sich steiler von der untern Rindenschicht 
ablösen, aber eine genaue Betrachtung zeigt, dass die einzelnen Bälk- 
chen nicht parallel laufen mit der Richtung der ganzen Masse, dass 
sie vielmehr eins nach dem andern auf der medialen Seite derselben 
austreten und atrophiren, nur vereinzelt die dünne, dem Knorpel 
unterliegende Rindenschicht erreichen; dieselben Züge aber, welche 
sich zu dem obern lateralen Theil der Peripherie dichtgedrängt be- 
geben und lateralwärts mit einer sanften S-förmigen Schwingung ab- 
schliessen, finden sich auch am normalen Schenkel, nur nicht so scharf 
hervortretend, verdeckt besonders durch die noch weiter nach aussen 
sich von der untern Wand des Halses ablösenden geraden Strahlen, welche 
aber an dem Fracturpräparat atrophirt sind. Es ist also nur die Ge- 
sammtmasse, welche steiler aufsteigt, nicht die einzelnen Bälkchen; 
allerdings löst sich auch jedes einzelne Bälkchen in einem etwas 
grösseren Winkel von der untern Rindenschicht in Fig. 1 wie in 2, 
aber dieser geringe Unterschied ist ganz bedeutungslos, weil er inner- 
halb der normalen Schwankungen liest und beide Schnitte ja nicht 
derselben Person entstammen. Was die Zugbälkchen betrifit, so müssen 
wir bei der Vergleichung berücksichtigen, dass in unserm Normal- 
schnitt zufällig der Lauf einer von oben eintretenden Arterie etwas 
störend auf einen Theil der Schichtung einwirkt, dann aber finden wir 
nur, dass ihre Masse zum Theil etwas durchsichtiger, die Bälkchen 
etwas schwächer geworden scheinen, wir vermissen aber im Bereich 
des Kopfes und des Halses jede Veränderung ihrer Richtung. Auch 
in dem Bälkchensystem des grossen Trochanter ist trotz bedeutender 
Resorptionsvorgänge keine Richtungsveränderung vorhanden. Wir 
stehen damit nahe der Bruchstelle und würdigen diese vom untern 
Fragment beginnend. An diesem fällt nun vor allem auf, dass die 
mediale Wand, welche den Träger des obern Bruchstücks darstellt, 
sich durch compacte Bildung verdickt und medialwärts ausgebogen 
hat, sowie dass die laterale Wand von ihrer Convexität verloren hat, 
also gleichfalls etwas nach innen abgewichen ist; von dieser sehen wir 


124 Rabe. Zur endgültigen Heilung 


noch die alten Zugblättchen in derselben Richtung sich abblättern und 
unverändert bis zur Bruchlinie ziehen. Die ursprüngliche, durch den 
Bruch entstandene dreieckige Lücke auf der Aussenseite hat sich völlig 
wieder ausgefüllt und zwar grösstentheils mit bogenförmigen Zügen 
welche die Verbindung zwischen den unteren Bruchstücken der Zug- 
bälkehen .und den vorher erwähnten Bogenstücken im Halse herstellen, 
zwar ohne eckiges Aufeinanderstossen, vielmehr durch Abweichen der 
zugewendeten Enden besonders des oberen Fragments im Sinne einer 
vermehrten Concavität, aber doch nicht also, dass eine jede ursprüng- 
liche Bogenlinie zur Wiedervereinigung käme, sondern mehrere Mark- 
lücken, deren eine auf dem Bild erscheint, unterbrechen den Zug, da- 
durch entstehend, dass eine Zahl von Bälkchen sich schräge dem dich- 
tern innern Streifen oder dem schmälern Bogen an der Epiphysen- 
linie des grossen Trochanters anschliessen. Der mittlere Theil des 
Zugbälkchenbogens wird senkrecht durchsetzt von einer Reihe von 
Strahlen, welche von den normalen an dieser Stelle insoweit abweichen, 
als sie sehr bedeutend atrophirt sind; den äussern Theil durch- 
schneiden andere senkrechte Strahlen, welche von dem eingekeilten 
Ende des obern Rindenstücks divergirend zur lateralen Rindenschicht 
des untern Fragments hinüberziehen und sich durch ziemliche Stärke 
auszeichnen. An letzter Stelle mache ich noch auf die Bogen auf- 
merksam, welche mit medialer Concavität den Winkel zwischen der 
eingekeilten Rinde und der ausgewichenen medialen Rinde des untern 
Bruchstückes ausfüllen. 

Vergleichen wir nun unseren Schnitt mit den neuerdings in 
dieser Frage bekannter gewordenen Präparaten von WOLFF (Arch. £. 
kl. Chir. 14. Bd. Tafel V), und Kornıe (D. Ztschr. f. Chir. 2. Bd. 
Tafel V), so finden wir eine geringe Aehnlichkeit mit letzterem, 
aber sehr wenig Verschiedenheit von ersterem. Gleichwohl weiche 
ich in manchen Punkten in Bezug auf die Auffassung meines Prä- 
parates von der Deutung ab, welche WoLrr gegeben hat. Umso- 
mehr bedaure ich, nichts über die Länge der Zeit in Erfahrung bringen 
zu können, welche von dem Entstehen des Bruches bis zum Tode ver- 
floss, sowie über die sonstigen Verhältnisse der Person; den Schluss 
ziehe ich aber aus dem Zustand der Muskulatur und aus der Festig- 
keit der Knochen, dass es sich um einen Mann handelt, welcher in 
ziemlich frühem Alter eine Fractur durch beide Trochanteren erlitt, 
und welcher nach guter Heilung in ausgedehntem Masse das Bein 
lange, vielleicht über ein Jahrzehnt, benutzen konnte. Eine so lange 
Zeit anzunehmen bestimmt mich der abgeglättete Zustand der Rinden- 
splitter, sowie der Umfang der Veränderungen in dem innern Bau; 


der Brüche am obern Ende des Oberschenkelknochens. ‚125 


vor allem beziebe ich mich auf das Abweichen der Rinde des untern 
Bruchstücks nach innen, dann aber auf das steilere Aufsteigen des 
Stützstrahls im Kopfe bezüglich seiner ganzen Masse, dadurch bewirkt, 
dass an die Stelle des Punktes, der bei aufrechtem Stand den Haupt- 
druck der Körperlast zu tragen hat und der durch den normalen Stütz- 
strahl eben unterstüzt wird, bei der durch den Bruch veränderten Lage 
des Kopfes eine andere, weiter lateral gelegene Stelle trat, unter 
deren Belastung die sparsam hierher ziehenden Druckbälkchen zu einer 
Verstärkung genöthigt wurden, während das periphere Ende des ur- 
sprünglichen Stützstrahls der Atrophie anheimfiel. Ebenso atrophirten 
auch die Bälkchen nahe der Oberfläche der untern Kopfhälfte, weil 
sie auch bei starker Adduction nicht mehr in Wirksamkeit traten, und 
wahrscheinlich steht auch der Schwund der Spongiosa des grossen Tro- 
chanters in Zusammenhang damit, dass eine weitere Abduction durch 
den Muskelzug nicht mehr ausgeführt werden konnte. Im Hals und 
Kopf konnten aber überall nur Veränderungen in der Stärke der Bälk- 
chen, nirgens in ihrer Richtung festgestellt werden, soweit nicht die 
Fractur directen Einfluss ausgeübt hatte; die wirklichen Richtungs- 
änderungen erstrecken sich nur auf einen ziemlich beschränkten Strich, 
welcher aber auch vielleicht beim Entstehen des Bruches selbst durch 
die Gewalt mit’ Zertrümmerung betroffen wurde und wo wir es dann 
auch nur mit Bildung neuer Knochensubstanz mit dem Ganzen an- 
gepasster Architeetur an Stelle der breiten Callusmasse zu thun haben 
-würden, da die frische Bruchstelle auf dem Durchschnitte nicht eine 
Linie sondern ein mehrere Cm. breites Band bei solcher Einkeilung 
bildet. Zu diesem Bereich gehören die Stücke der Zugbögen, welche 
sich doch nur ziemlich unvollständig in der dreieckigen Lücke und 
deren Umgebung wieder gebildet haben, zu ihm die Balken, welche 
den Winkel zwischen der eingekeilten Rinde des obern und der medi- 
alen Rinde des untern Bruchstückes ausfüllen, zu ihm auch die starken 
Strahlen, welche von dem eingekeilten Ende zu der lateralen Rinde 
hinüber ziehen, wenn es sich bei diesen letztern zum Theil auch noch 
um eine vermehrte Ausbildung der normal in dieser Richtung ziehen- 
den und mit der eingekeilten Rinde in Verbindung getretenen Druck- 
bögen handelt. Medialwärts von diesen durchschneiden die Zugbögen 
senkrecht eine Reihe sich spitzwinklig von der untern Rinde ab- 
blätternder Bälkchen, von denen WoLFF angiebt, dass sie nach defini- 
tiver Heilung senkrecht auf der eingekeilten Rinde ständen; ich habe 
schon oben bemerkt, dass ich keine Veränderung in dem Verlauf dieser 
Züge gegenüber den normalen Verhältnissen habe finden können und 
hebe dies um so mehr hervor, da ich auch an WoLFF's photographirtem 


126 RABE. Zur endgültigen Heilung 


Schnitt mich nicht von diesem Umstand überzeugen kann, denn die 
entfernteren Theile dieser Bälkchen stehen überhaupt normal schon 
ziemlich senkrecht und die näheren Theile sind an demselben völlig 
geschwunden, an meinem Schnitt zum kleinern Theil wenigstens 
noch so weit erhalten, dass ihre spitzwinklige Stellung zu der einge- 
keilten Rinde noch festgestellt werden kann. Diese Strahlen bilden 
nach Wourr die Fortsetzung der Bögen, welche sich im Winkel 
zwischen der eingekeilten und der medialen Rinde des untern Frag- 
ments befinden (siehe seine Fig. 3 der Tafel VI); diese letzteren ziehen 
jedoch in dem von mir abgebildeten Schnitt in gerade umgekehrter 
Richtung wie die einstigen normalen, sie sind medialwärts concav und 
zwar zeigen sie diese Coneavität nach innen noch schärfer an einigen 
anderen Schnitten wie gerade an dem photographirten; aber auch an 
dem von WoLrr abgebildeten Schnitt verlaufen diese Bogen nicht so 
wie er sie auffasst, nicht medial convex, sondern medial concav, sie 
können also nicht die Fortsetzung der oberen Strahlen sein, davon ganz 
abgesehen, dass doch kein Grund ersichtlich ist, weshalb Bälkchen, 
welche durch ihre Atrophie beweisen, dass sie nicht in Anspruch ge- 
nommen werden, aus physiologischer Ursache eine Riehtungsänderung 
eingehen sollten. Auch der eingekeilten Rinde kann ich nicht die 
untergeordnete Bedeutung beilegen, zu welcher WOLFF geneigt scheint, 
im Gegentheil glaube ich, dass dieselbe noch eine Hauptfunetion in 
der Unterstützung der Körperlast ausübt, dass auf sie und durch sie 
der Hauptdruck auf die mediale Rinde des untern Bruchstücks über- 
tragen wird, welche in Folge des Druckes gleichsam ausgewichen ist 
und sich verdickt hat; auf dieser eingekeilten Rinde baut sich der 
starke Stützstrahl des Kopfes auf, während dieselbe von unten her 
durch die neugebildeten Zugbälkchen noch mehr an die mediale 
Rinde des Schaftes befestigt wird, als es schon durch die breite Ver- 
wachsung geschehen ist; die Bedeutung der von dem eingekeilten Ende 
zur lateralen Rinde ziehenden Strahlen ist freilich nicht klar, aber dem 
Bogen der Zugbälkchen im obern Theil, so gut er sich auch wieder 
hergestellt hat, kann ich keine ausserordentliche functionelle Wichtig- 
keit zuschreiben, denn die Verminderung seiner Stärke gegenüber den 
starken Zügen im normalen Schenkel deutet doch wohl darauf, dass 
er weniger bei den veränderten Verhältnissen in Anspruch genommen 
wird; es könnte freilich die verminderte Convexität der lateralen Rinde 
des untern Bruchstückes als Wirkung eines solchen Zuges angesprochen 
werden, wenn nicht das Bedenken wäre, dass es sich um individuelle 
Verschiedenheiten hier handeln könnte. Auf jeden Fall ist aber auch 
das vorliegende Präparat ein Beweisstück dafür, dass die durch die 


der Brüche am obern Ende des Oberschenkelknochens. ıladrc 


Fractur veränderte Lage der einzelnen tragenden Bestandtheile des 
Knochens unter dem längeren Gebrauch des Gliedes eine tiefgreifende 
quantitative Umänderung in weiterem Bereich und eine wohlmotivirte 
Architeetur an Stelle des zuerst gebildeten rohen Callus hervorruft, es 
zeigt aber überdies, dass eine weitere sorgfältige Beobachtung des 
einschlagenden Materials nothwendig ist, um die Gesetze der endgültigen 
Heilungsvorgänge völlig klarzulegen, und dabei eine Vergleichung der 
obern Hälfte des gesunden Schenkels derselben Person als Normale 
wünschenswerth ist, um von den individuellen Schwankungen unab- 
hängig zu sein. 


Ueber die Entdeckung des Lymphsystems. 
Von 
‘Wilhelm His. 


Die Milchsaftgefässe nebst ihren Drüsen sind von allen Abschnitten 
des Lymphsystems zuerst zur Beobachtung gelangt. Sie sind schon 
im Alterthum von den Begründern der alexandrinischen Schule von 
Hrrormmus und ERASISTRATUS wahrgenommen worden. Beider Ana- 
tomen Schriften sind uns nicht erhalten, und so wissen wir nicht 
genau, wie weit ihre Kenntniss von der Bedeutung ihrer Entdeckung 
sich erstreckt hat. Von ersterem berichtet GALEN!), dass er im Ge- 
kröse ausser den zur Leber tretenden Venen auch solche unterschieden 
hätte, die zu drüsigen Körpern hingehen; über ErAsıstrarus?) dagegen 
lautet der gleichfalls nur kurze Bericht, er gebe an, im Unterleibe 
junger, ncch saugender Böckchen Gefässe (angeblich Arterien) gefunden 
zu haben, welche Milch, zeitweise aber auch Luft führten, (eine Be- 
obachtung die weiterhin von den Anhängern des ErAsISTRATUS mit 
für den allgemeinen Luftgehalt der Arterien verwendet worden ist). 

Des Erasıstrarus Beobachtung hat GALEN so wenig verstanden, 
dass er sie geradezu als grobe Täuschung darzustellen suchte. Wie 
GALEN, so sind natürlicher Weise auch seine Nachfolger und Inter- 
pretatoren nicht zum richtigen Verständniss des wirklichen Verhaltens 
gelangt. 

Die Wiederentdeckung geschah im Jahre 1622 (d. 23. Juli) durch 
CASPAR ASELLI in Cremona. Die Geschichte der Entdeckung erzählt 
Aseırı also: In der Absicht, einigen Freunden die Bewegungen des 
Zwerchfells zu zeigen, eröffnete er einem lebenden, wohl genährten 
und frisch gefütterten Hund die Bauchhöhle und, im Begriffe die Ein- 
geweide zur Seite zu drängen, ward er einer grossen Zahl feiner 


1) De usu part. Buch IV. Editio Charterii IV. pag. 392. 
2) De administr. anatom. Buch VII am Schluss und liber an Sanguis in 
arteriis contineatur editio Charterii III. pag. 159. 


Hıs. Ueber die Entdeckung des Lymphsystems. 129 


weisser Stränge gewahr, die am Darm und im Gekröse sich aus- 
breiteten, und die er erst für Nerven hielt. Bald aber erkannte er 
seinen Irrthum, indem er die Nerven neben jenen Strängen herlaufen 
sah, und als er nun, einen Einstich in diese machend, eine milchige 
Flüssigkeit hervortreten sah, wurde ihm sofort die Bedeutung seines 
Fundes klar, und erfüllte ihn mit der grössten Freude. Nicht lange 
indess genoss er des Schauspieles; der Hund starb unter dem Experi- 
mente, und sofort entleerten sich die weissen Gefässe auf das voll- 
ständigste, so dass kaum Spuren derselben wahrnehmbar blieben. Am 
folgenden Tage sollte ein zweiter Hund zur Wiederholung des Ver- 
suchs dienen, aber wie gross war Aseurrs Enttäuschung, da er hei 
diesem keine Spur jener, früher wahrgenommenen Gefässe auffinden 
konnte. Nach 2 Tagen der Entmuthigung erst kam er auf den glück- 
lichen Gedanken, es möge wohl der Mangel an Nahrung der Grund 
gewesen sein, weshalb der zweite Hund nicht die Erscheinungen des 
ersten zeigte, und in der That vermochte er schon am 4. Tage nach 
seinem ersten Funde die Wahrheit dieser Vermuthung experimentell 
festzustellen, und bei einem kürzlich gefütterten Thiere die Gefässe 
wieder aufzufinden. Nunmehr warf er sich auch mit vollem Eifer auf 
das umfassende Studium der von ihm gemachten Entdeckung und 
legte nach vier Jahren gründlicher Arbeit seine Resultate in einer 
kleinen, von gelehrten Citaten strotzenden und mit vier guten Tafeln 
versehenen Schrift nieder (de lactibus sive lacteis venis, quarto mese- 
raicorum vasorum genere dissertatio, Mediol. 1627). Es wiederholt 
sich in dieser Entdeckungsgeschichte eine Erfahrung, die in kleinen 
und grösseren Dingen gewiss mancher Beobachter mit durcherlebt 
hat, dass nämlich auf die erste freudige Aufregung eines neuen, oft 
durch irgend einen Zufall begünstigten Fundes fast constant ein Sta- 
dium des Nichterfolges und der daherigen Depression folgt, das nur 
durch beharrliches weiteres Nachsinnen sich überwinden lässt. Meistens 
nämlich übersieht man in der ersten Aufregung alle die nebensäch- 
lichen Bedingungen, die mit nöthig waren, um den Erfolg zu erwerben, 
und indem man nur allzurasch die Allgemeinheit des ersten Fundes 
nachweisen zu können glaubt, erfährt man ein Scheitern, das die 
Entmuthigung rascher noch steigert, als der erste Erfolg den Freude- 
taumel. 

ASELLI war nicht mehr im Stande, das Schicksal seiner Publikation 
zu erleben, denn kurz nachdem er seine Schrift geschrieben, starb er, 
(erst 45 J. alt im Jahre 1626) und dieselbe kam erst ein Jahr nach 
seinem Tode heraus. 


Um die Art, wie AserLı seine Entdeckung verwerthete, zu ver- 
Zeitschrift f. Anatomie. Bd.I. S 


130 Hıs. 


stehen, muss man sich klar machen, in welche Zeit dieselbe fiel und 
welches die damals herrschenden Vorstellungen über Säftecirculation 
und Blutbildung überhaupt waren. Noch waren die durch GALEN 
endgültig formulirten Lehren des Alterthums über diese Dinge allgemein 
in Kraft, denn wenn auch schon 1619 Harvey zum ersten Mal in 
England die richtige Lehre vom Blutkreislauf vorgetragen hatte, so 
machte er sie doch erst 9 Jahre später, also erst nach Aseurr's Tode, 
durch den Druck bekannt, und auch da dauerte es noch an zwei Jahr- 
zehnte, ehe sie zu allgemeiner Anerkennung kam. 

GALENS, noch bis in den Anfang des 17. Jahrhunderts hinein 
gültige Vorstellung von der Bildung und Vertheilung des Blutes, war 
aber folgende!): : 

Im Magen und im Darm wird durch die besondern Kräfte dieser 
Organe die aufgenommene Nahrung gröblich gesichtet und das brauch- 
bare in Chymus verwandelt. Von da wird es durch die Mesenterial- 
venen gesammelt und nach der Leber gebracht, in welcher nunmehr, 
unter dem Einfluss der hier vorhandenen Wärme, die eigentliche Blut- 
bereitung, die Concoctio sanguinis erfolgt. Allerdings bereiten schon 
Magen und Darm, sowie ‘die Mesenterialvenen die Hämification vor, 
allein erst in der Substanz der Leber erreicht diese ihre eigentliche 
Entwicklung und als Resultat der innern Arbeit erscheint das rothe 
Blut, das von der hintern Leberfläche an die Hauptader des Körpers, 
die Vena cava abgegeben wird?) Als Abfall- und Reinigungsschlacken 
kommen einestheils die gelbe Galle und anderntheils die schwarze 
Galle (atra bilis sive succus melancholicus) zur Ausscheidung, von 
denen jene gewissermassen den Schaum (leve et flavum superfluum) 
darstellt, und in der Gallenblase sich sammelt, während diese den 
dicken Bodensatz bildet, der durch die Milzvenen nach der Milz ab- 
fliesst, diese ernährt, dann aber durch besondere Venenkanäle wiederum 
in den Magen drinst. Die allzureichlichen wässrigen Bestandtheile 
des frisch gebildeten Blutes aber werden von den benachbarten Nieren 
angezogen und zur Ausscheidung gebracht. Die Porta Hepatis ist 
also, wie dies auch schon das früheste vor-hippokratische Alferthum 


1) Vergl. hauptsächlich: De usu partium Buch IV: ausserdem B. VI und 
B. XVII. Beinahe wörtlich dieselbe Darstellung findet sich wieder bei VEsAL, 
Buch V, Cap. I, nur betreffend den Ursprung der Vena cava aus der Leber, 
weicht er von GALEN ab. 

2) Ipsum autem hepar postquam id nutrimentum accepit a famulis jam prae- 
paratum et veluti rudem quandam delineationem obseuram speciem sanguinis 
referrens, inducit ei postremum ornatum ad sanguinis absoluti generationem. — 
De usu part. IV. 


Ueber die Entdeckung des Lymphsystems, 131 


durch Ertheilung des bezeichnenden Namens ausgedrückt hat, die 
wirkliche Pforte, durch welche alle Säfte und Materien dringen müssen, 
bevor sie im Dienst des Organismus Verwendung finden können. Die 
Vena cava aber erscheint als der Ausgangspunkt, von dem aus allen 
Körpertheilen die nöthige Nahrung zugetheilt wird (das Vehiculum 
nutrimenti). Von der Leber aus geht ein Venenast zur oberen, ein 
anderer zur unteren Körperhälfte und sie ist das Centrum des Venen- 
systems in gleicher Weise, wie das Herz dasjenige des Arteriensystems 
und das Hirn das der Nerven ist. Von diesen 3 Centren aus wird 
überhaupt das gesammte Leben des Körpers regiert. Die obere Hohl- 
ader setzt sich nach GAuen’s Darstellung im Vorbeigehen an das rechte 
Herz an, aus welchem die mächtige, zur Ernährung der Lungen be- 
stimmte Vena arteriosa (unsere Lungenarterie) entspringt. Die Arteria 
venosa dagegen (unsere Lungenvene) nimmt in den Lungen die nöthigen 
spiritus salutares auf, und bringt sie nach dem linken Herzen, von 
wo aus dieselben mit Blut vermengt über sämmtliche Arterien des 
Körpers sich ausbreiten. Die aus den Lungen aufgenommenen Spiritus 
sind indess keineswegs identisch mit der durch die trachea in die 
Lungen gedrungenen Luft, sondern sie sind aus dieser durch die Sub- 
stanz der Lungen erst vermöge einer weiteren Umwandlung bereitet 
worden!), und der Nutzen der Lungen liest zum Theil in der Berei- 
tung jener Spiritus, zum Theil in der Abkühlung des durch Herz und 
Leber erwärmten Körpers. 

Wir haben heutzutage, wo der Gang des Kreislaufs und das 
Wesen der Athmung so klar vor uns liegen, einige Mühe, uns in die 
merkwürdig complicirten Vorstellungen der Alten über diese Dinge 
hineinzuleben, und besonders wird es uns schwer zu verstehen, wie 
die Alten sich das Zustandekommen der vielen, vom Herzen unab- 
hängigen Hin- und Herbewegungen des Blutes dachten; allein dieselben 
waren in der Wahl ihrer Transportmittel durchaus nicht verlegen, 
bald liessen sie den Organen eine treibende, bald eine anziehende 
Kraft inne wohnen, je nach Bedarf, und auch den Gefässen selbst 
wurde vielfach ein activer Antheil an der Flüssigkeitsbewegung zu- 
geschrieben. 

Wenn wir uns den einen Hauptsatz, der noch zu Aseıurs Zeit 
geltenden physiologischen Lehre gegenwärtig halten, dass aller Nahrungs- 
stoff den Weg durch die Leber nehmen muss, so dürfen wir uns nicht 
wundern, dass Aseruı, der Herrschaft einer so mächtigen Lehre folgend, 


!) De usu part. Buch VII. 
9* 


132 Hıs. 


auch seine Milchsaftgefässe zur Leber treten liess; er verfolgte die- 
selben nämlich bis zu dem bei den Fleischfressern an der Wurzel 
des Gekröses liegenden Drüsenpaket, das er wie manche Anatomen 
vor ihm als Pankreas!) bezeichnete und das noch heute nach ihm den 
Namen des Pankreas Aselli führt; in dieses sah er sie mit vielen 
gewundenen Zweigen einmünden; dann aber treten sie, ihm zufolge, 
wieder zu grossen Stämmen zusammen, welche zur Porta Hepatis 
emporsteigen und in die Substanz der Leber sich einsenken. Diese 
Stämme, welche Aseııı für die Fortsetzungen der Chylusgefässe hält, 
sind aber nichts anderes, als die Lymphgefässe der Leber selbst, und 
völlig richtig giebt AseLrı von ihnen an, dass sie eine blasse, oder 
allenfalls blassröthliche Flüssigkeit führen. Zwar kennt AserLı schon 
die Klappen, scheint aber gerade für jene oberen Gefässe deren Stellung 
nicht beachtet zu haben. Seine weiteren physiologischen Vor- 
stellungen waren folgende: die Mesenterialvenen sollten nur zur Er- 
nährung der Gedärme dienen, die Milchsaftgefässe aber die eigentlichen 
Organe der Chymusaufnahme sein, letztere sollten in den Gedärmen 
mit offenen Mündungen, ähnlich Blutegelmünden anfangen und von 
schwammigen Anfangstheilen (a spongiosis capitulis) umgeben sein. 
Die Fortbewegung der Flüssigkeit in ihnen lässt er eine Folge sein, 
theils von der Treibkraft der Därme, theils von der Saug- und Treib- - 
kraft der Milchsaftgefässe selbst und vor Allem von der Zugkraft der 
Leber. In Letzterer liege auch der Grund, weshalb unmittelbar nach 
dem Tode die Gefässe so rasch sich entleeren. In der Porta angelangt, 
dringt der Milchsaft aus den geschlossenen Enden der Gefässe in die 
Lebersubstanz ein und wird nun zur Blutbildung verwendet. 

Die grossen Fortschritte, die durch Aseuurs Entdeckung trotz der 
noch anhaftenden Irrthümer eingeleitet waren, leuchten ein, nichts- 
destoweniger konnten sie nicht ohne Kampf zur Anerkennung gelangen. 
Dieselben Männer, welche am lebhaftesten gegen Harvry’s Neuerung 
auftraten, RıoLan, Prempius und PRIMEROSE, zogen auch gegen AsELLI 
zu Felde. Weit befremdender aber ist es, dass Harvey selbst, anstatt 
seiner grossen Reformatorrolle getreu zu bleiben, und den neuen Fort- 
schritt mit in seine Lehre aufzunehmen, mit seinen eigenen Gegnern 
Hand in Hand ging, um denselben zu verdammen. Er blieb für die 
Verkennung der Milchsaftgefässe so zähe, dass er noch kurz vor seinem 
Tode im Jahre 1655 dieselben als eigenthümliche Organe verwarf, 
wie dies aus den Unterredungen hervorgeht, die der bereits 77 Jahre 


1) Das eigentliche Pankreas bildet er Taf. 11 ab und nennt es pars quaedam 
carnosa, glandulosa, adiposa, canibus peculiaris. 


Ueber die Entdeckung des Lymphsystems. 133 


alte Greis mit M. Bocpan und mit Dan. Horst über den Gegen- 
stand hatte)). 

Trotz dieser Opposition machte die Entdeckung gleichwohl ihren 
Weg. Schon im Jahre 1628 wurde es möglich die Milchsaftgefässe 
auch beim Menschen nachzuweisen, bei dem sie AseuLı noch nicht 
hatte zeigen können. Der Nachweis geschah in Aix auf Veranlassung 
von PEIRESc, einem für die Fortschritte der Wissenschaft warm sich 
interessirenden Rathsherrn. Derselbe hatte nämlich durch GassennI 
von Aserrr’s Entdeckung gehört, er kaufte sofort eine Anzahl von 
Exemplaren der Aseuur'schen Schrift auf und vertheilte sie unter be- 
freundete Aerzte; zugleich sorgte er dafür, dass diesen zum Behuf der 
Auffindung der Milchsaftgefässe ein hingerichteter Verbrecher über- 
geben wurde, welchem 1!/, Stunden vor seinem Tode eine reichliche 
Mahlzeit dargereicht worden war?). 

Die erste Abbildung der menschlichen Chylusgefässe gab VESLING 
heraus in seinem Syntagma anatomicum°). Die Abbildung ist sehr 
hübsch, besonders ist der verschiedenartige Verlauf der Chylusgefässe 
und der Blutgefässe gut dargestellt, dagegen sind jene Gefässe, wie 
übrigens auch in der Aserur'schen Abbildung, ohne die Klappen- 
anschwellungen gezeichnet; sie treten sämmtlich zum ächten Pankreas, 
zu welchem anderseits auch solche von der Leber ausgehend dar- 
gestellt sind. Selbst in der spätern Ausgabe vom Jahre 1647 kannte 
VesLıng den Unterschied des Aserrr'schen Pankreas vom ächten nicht, 
sondern liess dieses nebst seinem mittlerweile entdeckten Gang zur 
Ausscheidung der scharfen Säfte des hindurch tretenden Chylus dienen. 
Uebrigens vermuthet er, dass ein Theil der Chylusgefässe von dem 
Pankreas aus zur Milz trete, weil jenes Organ so dicht an dieses 
angelagert sei. 

Die Angabe des Aszırı über das Verhalten der, aus seinem 
Pankreas hervortretenden Chylusgefässe scheint überhaupt verschiedene 
Anatomen der folgenden 2 Jahrzehnte nicht recht befriedigt zu haben, 
so schreibt auch Jon. Waräus 1640 in seinem berühmten Briefe an 
BArTHoLıy de Motu Chyli et Sanguinis®): Per has venas lacteas chylus 
sursum vergit, quo id modo, res non satis expedita est. Id nobis 


1) Bartholin epistol. II, pag. 604 u. 606. Bartholins Antwort an Horst in 
d. opusc. nov. 1670, p. 384. 

2) Vergl. u. A. Pequet in cap. VI seiner unten citirten Schrift. 

3) Die erste Ausgabe ist laut HALLER vom Jahre 1641; ich kenne indess 
blos eine spätere von 1647, sowie die Ausgaben von GERARD BLas, in welch 
letzterer die Abbildung bedeutend verschlechtert ist. 

4) Abgedruckt in Tr. BarTHoLIn’s Anatome reformata. 


134 Hıs. 


maxime verisimile videtur, quod in magnis macilentisque canibus 
venaticis animadvertimus, venarum lactearum quasdam ab intestinis 
uno et continuato ductu in ramum mesentericum, quasdam in ipsam 
portae venam, in cavam hepatis quasdam, paucissimas quandoque in 
venam cavam prope emulgentes desinere !). 


Ein mächtiger neuer Schritt in der Erkenntniss von der Bedeu- 
tung der Chylusgefässe geschah im Jahre 1647 mit der Entdeckung 
des Milchbrustganges durch JoH. PEcQuEr?) aus Dieppe. Allerdings 
ist PEcQuEr nicht der erste, der jenen Gang gesehn und beschrieben 
hat, denn schon 80 Jahre vor ihm hat der grosse Anatom EusTAcHtus °) 
denselben aufgefunden und von seinem Durchtritte durch das Dia- 
phragma bis zur Einmündung in die Vena subelavia verfolgt, allein 
die Bedeutung des Kanales ist EusracHı völlig unklar geblieben, er 
hielt ihn für eine zur Ernährung der Brusthöhle dienende Vene und 
die späteren haben hiernach EvsrtAcaıs Fund wiederum ganz aus den 
Augen verloren. 

Prcauer, geb. 1622, war zur Zeit seiner Entdeckung Studirender 
der Medicin in Montpellier und wie AseLLı, so ist auch ihm ein 
Zufall günstig geweser zur Erreichung der neuen Spur. Munus est, 
fortunae cum inscio ludentis, sagt er mit grosser Bescheidenheit. 
Nach Eröffnung eines lebenden Hundes und Herausnahme des Herzens 
fiel ihm nämlich der Ausfinss einer weisslichen Flüssigkeit aus der 
Oeffnung der Vena cava auf. Anfangs glaubte er es mit einem ver- 
borgenen Abscess zu thun zu haben, allein bald überzeugte er sich 
von der Abwesenheit eines solchen und als er nun die Hohlvenen 
der Länge nach, vom Diaphragma bis zum Jugulum gespalten, fand 
er, dass die weissliche Flüssigkeit besonders im oberen Theil sich 
finde und dass sie in jeder Hinsicht mit dem Mesenterialchylus die 
grösste Aehnlichkeit darbiete. Bald zeigt sich auch, dass der still- 
stehende Ausfluss der weissen Flüssigkeit durch Druck auf das. 
Mesenterium wieder reichlich sich herstellen lässt und endlich erblickt. 
er die mit Klappen versehenen Einmündungsstellen für jenen Saft, 


1) Pag. 535 der Ausgabe von 1660. — Auf diesen Angaben beruhen wohl 
auch diejenigen RıoLan’s in der Ausgabe des Encheiridion von 1649. 

2) J. Pzcgurrı, Dieppaei experimenta nova anatomica in quibus incogni- 
tum Chyli receptaculum et ab eo per thoracem usque in ramos usque subelavios 
vasa lactea deteguntur. Paris 1651. Abgedruckt in HEMSTERHUYS Messis aurea. 

3) EustacHıı opuscula anatomia. 


Ueber die Entdeckung des Lymphsystems. 135 


Nachdem ihn einmal die erste Untersuchung soweit geführt hat, wird ein 
zweiter Versuch an einem wohlgenährten Hund unternommen, um 
die Bahnen der Chylus in der Brusthöhle zu ermitteln. Nach eröff- 
neter Brusthöhle und zur Seite gezogener rechter Lunge findet PEcquEr 
im obern Theil der Brusthöhle einen weissen, einem Chylusgefäss 
ähnlichen Strang und die anfänglichen Zweifel über dessen nervöse 
Natur werden bald beseitigt durch Anlegung einer Ligatur, auf welche 
hin der untere Theil des Stranges mächtig anschwillt und mit Flüssig- 
keit sich erfüllt. Nach Auflösung der Ligatur sieht PrcauEr die 
Flüssigkeit in die Vena Cava einströmen. Er verfolgt nunmehr den 
neuen Gang nach abwärts, findet die erweiterte Einmündungsstelle, 
das Receptaculum, und führt den Nachweis, dass der Chylus einzig 
und allein nach diesem und nicht nach der Leber abströmt. Mit 
dieser Entdeckung erscheint mit einem Schlage jene mächtige alte 
Lehre von der Blutbereitung durch die Leber gestürzt, welche noch 
Aserrı und seine Nachfolger von der wahren Bahn des Chylus ab- 
gelenkt hatte. PEcQuETSs Schrift über den neuen Gang erschien gleich- 
zeitig mit einer vortrefflichen Arbeit über Blut- und Chylusbewegung 
im Jahre 1651. Nobile opus, nennt sie HALLER, et inter praecipua 
saeculi decora. Uebrigens bietet die Entdeckungsgeschichte des 
PECQUET, wenn auch in anderer Weise als die des Aserrı reiches 
Interesse, sie vermag nämlich deutlich zu zeigen, in welcher Art wir 
uns beim Zustandekommen wichtiger Entdeckungen den oft ange- 
schuldigten Zufall thätig zu denken haben. Es ist ganz richtig, dass 
ohne die erste Beobachtung Prcaurr vielleicht nicht auf seinen Fund 
gekommen wäre, allein eben so sicher ist es, dass wohl hundert 
Andere die Section desselben Hundes hätten machen, ja selbst die- 
selbe weissiiche Flüssigkeit hätten wahrnehmen können, ohne entfernt 
zu demselben Schlussresultate zu gelangen wie Prcover. Dadurch 
erweist er sich gerade als ächter Forscher, dass er die flüchtig zur 
Beobachtung gelangende Erscheinung sofort in ihrer Wichtigkeit er- 
fasst, sie methodisch verfolgt und in dieser Verfolgung nicht eher 
ruht, bis er sie ihrem eigentlichen Wesen nach erkannt hat. 

Die Bahnen des Chylus und die Stellung der Leber zu denselben 
beschäftigen übrigens als eigentliche Tagesfrage fast alle Anatomen 
jener Zeit!) und so dürfen wir uns nicht wundern, wenn zum Theil 


1) Wie sehr die Chylusgefässe in jenen Zeiten die Gedanken beschäftigten, 
ersieht man u. A. auch daraus, dass die Entdecker des Pankreasganges MorITZ 
HOFFMANN und J. G. Wırsung den im Jahre 1641 aufgefundenen Gang für ein 
grosses Chylusgefäss ansahen und in ihm die Flüssigkeit vom Darm gegen das 


136 Hıs. 


unabhängig von PEcquErs Entdeckung und noch bevor diese publicirt 
worden war, die eigentlichen Lymphgefässe aufgefunden und in ihrer 
Beziehung zu den Chylusgefässen erkannt worden sind. Diese Ent- 
deckung wird von drei Anatomen beansprucht, vom Engländer JoLYFrF, 
vom Dänen Tu. BARTHOLINUS und vom Schweden OLAus RUDBECK. 
Die Geschichte hat den Streit zu Gunsten des letzteren entschieden. 
Ausgangspunkt der neuen Entdeckung waren für RupBEck jene Lymph- 
gefässe der Leber, welche Aseurı fälschlich für die Fortsetzung seiner 
Chylusgefässe gehalten hatte, und welche schon verschiedenen Ana- 
tomen der nachfolgenden Zeit zum Stein des Anstosses geworden 
waren. Als 21jähriger Jüngling mit Arbeiten über die soviel dis- 
cutirten Milchsaftgefässe beschäftigt, fand er nämlich wiederholt, dass 
nach Anlegung einer Ligatur an den Gefässstrang der Leberpforte die 
vermeintlichen Chylusgefässe über der Ligatur anschwollen, unterhalb 
derselben einsanken; mit Wegnahme der Ligatur aber entleerten jene 
ihren Inhalt nach abwärts. Diese Beobachtung führte ihn zunächst 
zu Zweifeln an der Aseutr'schen Deutung jener Gefässe, er glaubte 
Anfangs, dieselben dienten zur Ableitung eines überflüssigen Saftes 
nach dem Pankreas, von wo aus derselbe durch den Wirsung’schen 
Gang weggeschafit werde!), und bezeichnete sie daher als ductus 
Hepatiei aquosi. Mittlerweile gelang es ihm im Jahre 1650 unab- 
hängig vom PrcquEr, bei einem Kalb den ductus thoracicus und das 
Receptaculum oder, wie er es nannte, die Vesicula Chyli aufzufinden 
‘ und durch abwechselndes Anlegen und Auflösen von Ligaturen beim 
frisch getödteten Thiere den richtigen Lauf des Chylus nachzuweisen. 
Er gab davon im April 1652 eine öffentliche Demonstration in Gegen- 
wart der Königin Christine, bei welchem Anlass er erst durch deren 
Aerzte von der mittlerweile erschienenen Schrift des PEcqvEr erfuhr. 
— Bei dieser Demonstration liess er zwar die Leberlymphgefässe noch 
im Pankreas enden, bald darauf jedoch gelang es ihm zu zeigen, dass 
ihr Inhalt gleichfalls nach dem Receptaculum Chyli ausgeführt wird 2). 
Von anderweitigen Lymphgefässen, die er Vasa glandularum 
serosa nannte, kannte RUDBECK zu jener Zeit bereits diejenigen des 
Diekdarms und Mastdarms, diejenigen des Plexus spermaticus, die- 


Pankreas strömen liessen, ein Irrthum, der erst durch BArtHoLın berichtigt 
worden ist. 

1) Oraı RupBEeck Nova exercitatio anatomia exhibens ductus hepaticos 
aquosos et vasa glandularum serosa in Hemsterhuys. Mess. aurea — (Die 1. 
Originalpublication erschien 1653 in Arolsen, nachdem R. schon 1652 eine dissert. 
de circul. sanguinis herausgegeben hatte.) 

2); 1. c. p. 266. 


Ueber die Entdeckung des Lymphsystems. 137 


jenigen der Lenden, und die der Brusteingeweide und vordern Brust- 
wand): ihren Ursprung verlegte er mehrentheils in die Lymphdrüsen, 
von denen er sie abgehen sah, obwohl es ihm nicht entging, dass 
auch ein Theil derselben nicht von diesen entspringe. In seiner im 
Jahre 1653 erschienenen Schrift machte er ausserdem bereits den 
Versuch, die neue Entdeckung auch pathologisch, insbesondere zur 
Erklärung des Ascites zu verwerthen. 

RupBEck gerieth wegen seiner neuen Entdeckung bald mit 
Taomas BarTHoLınus in Conflict, der dieselbe Entdeckung für sich in 
Anspruch nahm. Ta. BarrHouım, geboren 1614, somit 14 Jahre älter 
als Runpgeck, war der Sohn des Caspar BARTHOLINUS, eines vielseitig 
gebildeten Mannes, der durch Herausgabe eines Compendiums und 
anderer Schriften sich auch als Anatom einen Namen gemacht hatte. 

Nach gründlichen und vielseitigen Studien, nach reichlichen 
Reisen durch einen grossen Theil von Europa, sowie nach Erlangung 
des Doctorhutes in Basel (1645), war B. 1646 nach seiner Vaterstadt 
Copenhagen zurückgekehrt und hatte hier Anfangs die Professur der 
Mathematik und bald darauf (1648) auch die der Anatomie versehen. 
Seine grosse Gelehrsamkeit und ausserordentliche Arbeitskraft, sowie 
seine zahlreichen durch umfängliche Correspondenz unterhaltenen 
persönlichen Verbindungen, und die bald heranwachsende Schülerzahl 
hatten seinen Namen rasch gehoben und in kurzer Zeit erwarb er 
sich den Ruf des ersten Anatomen seiner Zeit. Es entsprach diesem 
Namen ein nicht geringes Selbstbewusstsein, welchem er, zum Theil 
allerdings der Sitte der Zeit folgend, in seinen zahlreichen Schriften 
und insbesondere in seinen Vorreden auf beinahe komische Weise Luft 
zu machen gewusst hat?).. Nachdem er sein anatomisches Schrift- 


1) Vergl. auch die gute schematisirte Abbildung. 

2) In der Vorrede zur Gesammtausgabe seiner Schriften über das Lymph- 
system Hafn. 1670, heisst es z. B. Nihil vero unguam majori vel invidia vel 
acclamatione in publieum prolatum memini quam Lymphatica nostra, quae 
novitate sua et utilitate orbem in se eruditum converterunt. Universis enim 
facem majoris in re medica et naturali luminis praetulerunt, posteritatis encomio 
non indigna, ni mea me fallit imago. Seculi ea est felieitas, ut insolita inveni- 
antur, nostra, quod inquirendi non fatigamur studio. Cum sole quotidiano nova 
nascuntur, sed omnia lymphis innituntur, quarum fecunda scaturigine irrigati 
euriosi plus perficiunt, quam egerunt veteres. Laudis pars nobis servata qui 
fontem salutarem apperuimus ete. — In der kleinen Schrift: Vasa lymph. nuper 
inventa, gratulirt er seinem Vaterland Dänemark zu den vielen von ihm ge- 
machten Entdeckungen. „Africa quotannis novam procreat feram, veteri Anaxilae 
verbo ferabatur. Jam in Daniam Africa migravit et laudem illi ambiguam cessit. 
— Ab ostentatione semper fui alienissimus, sed sincere dico, quia laureolam in 
hoc mustaceo non quaero, rerum mortalium satur et contemtor, si aliis laudum 


138 Hıs. 


stellerthum damit begonnen hatte, das anatomische Compendium seines 
Vaters (die Institutiones anatomicae) wiederkolt neu aufzulegen, und 
einige Schriften über pathologische Raritäten zu schreiben, gab er im 
Mai 1652 seine erste Schrift über die Chylusgefässe heraus‘). Durch 
seinen Bruder Erasmus war er nämlich mit der‘ neuen Entdeckung 
Prcquers bekannt geworden, und er beschrieb nunmehr nach eigenen 
Untersuchungen einlässlich den ductus thoracicus in seinem ganzen 
Verlauf und mit seiner Einmündung in die linke Subeclavia. In 
letzterer Hinsicht berichtigte er Prcqauers Angabe, welcher eine 
doppelte Einmündung des ductus thoracicus als Regel angesehen und 
abgebildet hatte. BArrHoLm hatte Gelegenheit den neuen Gang auch 
beim Menschen zu beobachten und gab davon eine Abbildung, die 
übrigens hinter der fast gleichzeitig erschienenen des vortrefflichen 
Leydner Anatomen J. v. Horx&£?) an Werth zurücksteht. 

In den gesammten, oben erwähnten Schriften BARTHOLINS ist von 
einer Kenntniss der Lymphgefässe noch keine Spur, zwar sieht er an- 
gebliche Chylusgefässe am Uterus und an den Lenden, allein er kennt 
ihre Bedeutung nicht, und hinsichtlich der Leberlymphgefässe ist er 
noch soweit von einem richtigen Verständniss entfernt, dass er den 
Chylustrom sich spalten lässt in eine nach der Leber, und eine zweite, 
nach dem ductus thoracicus (od. den Vasa lactea thoracis) abfliessende 
Hälfte®). Dem entsprechend lässt er noch die Leber aus dem Chylus 
Blut bereiten und in diese Rolle mit dem Herzen sich theilen, und 
er tritt gegen die allzu radikalen Bemühungen PEcqvErs auf, der ver- 
sucht habe, jene ihres Purpurs völlig zu entkleiden. In der fraglichen 
Schrift wird ferner noch die Frage einlässlich erörtert, ob Chylusge- 
fässe zur weiblichen Brust treten; und da über einen derartigen Ver- 
lauf keine anatomischen Beobachtungen vorliegen, sucht BARTHOLIN 
durch einige wunderbare Krankengeschichten, sowie durch physio- 
logische Raisonnements dessen Nothwendigkeit zu beweisen. 

Schon ein Jahr nach dem Erscheinen der genannten Schrift gab 
BARTHOLIN eine zweite Abhandlung heraus unter dem Titel: Tu. BAR- 
THOLINI vasa Ilymphatica nuper Hafniae in animantibus inventa et 


aucupatoribus haec scribendi oblata fuisset et inveniendi materies, non aliena 
inventa tantopere aut excoluissent, aut pro suis venditassent. 

1) De lacteis thoracis in homine brutisque nuperrime observatis Hafniae 
1652. Ueber die Chylusgefässe des Gekröses findet sich ein Brief von TH. BARTH. 
an Ol. Worms vom Jahre 1638 in Epist. cent. I. p. 4. 

2) Joh. v. Horve Novus ductus Chyliferus nune primo delineatus. Lug- 
dun. Batav. 1652. 

3) De lact. thor. cap. XV. 


Ueber die Entdeckung des Lymphsystems. 139 


hepatis exsequiae; sie ist dem alten RıoLanus gewidmet, dessen Oppo- 
sition der Autor vergeblich durch ein vom 15. Mai 1653 datirtes, vor- 
bauendes Begleitschreiben zu entwaffnen sucht!). In dieser Schrift 
tritt BARTHOLIN als völlig selbständiger Entdecker der Lymphgefässe 
auf, und zwar ist auch er seiner Angabe zufolge von den Leberlymph- 
gefässen zuerst ausgegangen. Nachdem er nämlich schon früher durch- 
sichtige Gefässe an der Leber gesehen aber für Chylusgefässe gehalten, 
giebt er an, mit seinem Freunde MıcHAru Lyser zum ersten Mal den 
28. Febr. 1652 gesehen zu haben, dass bei einem Hunde, dessen Chy- 
lusgefässe mit weissem Inhalt erfüllt waren, die früher für Chylusge- 
fässe gehaltenen Kanäle der Leber wasserklaren Inhalt führten; ähnliche 
Gefässe sieht er auch längs der Vena cava inferior verlaufen, er kann 
sie einerseits zu den Nebennieren, anderseits zum Becken herab ver- 
folgen, ja beim Ablösen der Glieder trifft er auf gleichartige Gefässe 
in der Umgebung der Axillarvenee Nunmehr kommt er auch darauf, 
ein Band um die von der Leber kommenden Gefässe zu legen und 
überzeugt sich dabei von der Anschwellung der Gefässe oberhalb der 
Ligatur. Nachdem dies einmal ermittelt, wiederholte er natürlich seine 
Versuche bei anderen Thieren und kommt zu demselben Resultat. 
Beim Menschen ist ihm der Nachweis der fraglichen Gefässe zur Zeit 
seiner Publication zunächst noch nicht gelungen; von demjenigen der 
sie finden werde, sagt er aber, ei tantum nos debebimus quantum 
nobis Prcqurrus. Hinsichtlich des Namens, der den neuen Gefässen 
zu ertheilen sei, ist er Anfangs noch unsicher. Vasa serosa will er 
sie nicht genannt wissen, weil die von ihnen geführte Flüssigkeit 
kein eigentliches Serum sei, dagegen könnte man sie Vasa Lymphatica 
sive aquosa oder auch Vasa cerystallina‘ heissen. Auch über den Ur- 
sprung der Gefässe ist er unsicher. Exortus est ab extremis partibus 
seu artubus et visceribus, hepati nempe, vesicula fellis etc. Qua parte 
v. ex artubus prodeant an a venarum extremis, vel musculis necdum 
oculus assequi potuit, ob vasorum subtilitatem. Conjecturae si quis 
locus, a partibus nutritis debent emergere ob usum postea aperendum, 
quanquam, nec a venis capillaribus impossibilis sit exortus. Den In- 
halt der Gefässe hält er für das Wasser, welches in den Körperorganen 
durch deren Kochung vom Blute abgespalten und zur Enährung un- 
brauchbar befunden worden sei. Es sind dies für jene Zeit gerecht- 
fertigte Vorstellungen, die BARTHOLIN in späteren Schriften noch mehr 
präeisirt hat. Nachdem sich BarrHoLım über diese Dinge ausgesprochen, 


1) Von diesem kampfsüchtigen alten Herrn sagt HALLER irgendwo: experi- 
menta ratiocinus volebat evertere, ut nostro etiam aevo fieri solet. 


140 Hıs. 


kommt er endlich an die Leber, der er noch das Jahr zuvor die Rolle 
der Blutbereitung gelassen hatte. In einem äusserst drolligen Kapitel, Ex- 
sequiae hepatis überschrieben, wird der Leber der solange geleistete Dienst 
in ehrenvoller Weise verdankt, ihr selbst aber das fernere Leben ab- 
gesprochen, und, um sich nicht der Respectlosigkeit PrcQuers und 
seiner Anhänger schuldig zu machen, welche die Leber ohne Sang und 
Klang um ihre Herrschaft hatten bringen wollen, errichtet ihr B. die 
bekannte Grabschrift!). Siste Viator, Clauditur hoc sub tumulo, qui 
tumalavit plurimos, princeps corporis tui cocus et arbiter, Hepar, 
notum saeculis sed ignotum Naturae, quod nominis majestatem et dig- 
nitatem fama firmavit, opinione conservavit. Tamdiu coxit donee cum 
cruente imperio se ipsum decoxerit. Abi sine jecore viator bilemque 
hepati concede ut sine bile bene tibi coquat, illi preceris. 

Die erste Auflage der eben besprochenen Schrift BARTHOLINS er- 
schien in Copenhagen; im gleichen Jahr erschien noch eine 2. in 
Paris und da BARTHoLm in der Zwischenzeit durch W. Worm (Sohn 
des Olaus) Rupgecr’s Publication kennen gelernt hat?), so schiebt 
er seiner neuen Auflage einige Datumangaben ein, welche der ersten 
Ausgabe gefehlt hatten; er lässt nämlich seine erste Wahrnehmung der 
Leberlymphgefässe in den December 1651 und die der übrigen Lymph- 
gefässe auf den 28. Februar 1652 fallen. Es ist dies allerdings auf- 
fallend, da in seiner im Mai herausgegebenen Schrift der neuen Ge- 
fässe nicht allein keine Erwähnung geschieht, sondern, da er in ihr, 
wie wir oben gesehen, noch die Leberlymphgefässe für wirkliche Chylus- 
sefässe ausgiebt. RUDBECK beschwert sich nun bitterlich über dies 
Verfahren in einem vom 23. December 1653 datirten ‚Brief an 
HEMSTERHUYS, den Herausgeber der Messis aurea, und er versucht 
geradezu nachzuweisen, dass BARTHOLIN diese nachträglich eingescho- 
benen Datumangaben gefälscht haben müsse, um für seine eigene Ent- 
deckung die Priorität zu erhaschen. Hierauf antwortet BARTHOLIN 
nicht selbst, dagegen tritt einer seiner Schüler Marrın BoGDAanus für 
ihn in die Schranken und überschüttet Rupsgzck mit den heftigsten 
Vorwürfen aller Art: Er schreibe schlechtes Latein, wisse Nichts von 
den Alten, und Alles, was er über seine serosen Gefässe behaupte, 
sei nur einzig und allein dem BARTHOLIN°®) abgeschrieben. RuDBECK‘) 


I) SPRENGEL, Gesch. d. Medie. 3. Aufl, IV. 171 setzt irrthümlich diese 
Grabschrift in die defensio laeteorum ete. contra Riolan. 

2) Cf. BartH. Epistol. Cent. II, cap. 34 vom 3. Nov. 1653 aus Leyden 
datirt, wohin mittlerweile auch RUDBECK gekommen war. 

3) Insidiae structae BARTHOLINO vasis ab OLAo RupgeEck. Hafn. 1654. 

4) Insidiae structae aquosis ductibus OLar Ruppeckı a Tu. BARTHoLINo. 


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Ueber die Entdeckung des Lymphsystems. 141 


adressirt seine Antwort auf diese Schmähschrift an BarrHouLın selbst, 
für dessen Werk er sie hält und weist darin die Unrichtigkeit der 
ihm gemachten Vorwürfe nach, allein noch einmal wird er von dem 
BarrtHouiv’schen Klopffechter Bocpanus misshandelt und als Klügerer 
schweigt er endlich, wie es ihm v. Horse schon das erste Mal ge- 
rathen hatte. Lis utrinque inciviliter gesta est, sagt HALLER von dem 
ganzen Handel, eine Bemerkung, welche für manchen seitdem geführten 
Prioritätsstreit ihre Wahrheit behält. 

In dem ganzen Streit hatte BARTHOLIN vor dem erst 22jährigen 
Rupseck den grossen Vorsprung des bereits gemachten Mannes und 
des mächtigen Lehrers. Ohne sich persönlich zu vergeben, konnte er 
seine Schüler für sich ins Gefecht schicken und in der That hörten 
diese nicht auf, des Meisters Lob zu verkünden und noch nach Jahren 
den Gegner in der plumpsten Weise herabzusetzen. So z. B. schrieb 
noch 1658 G. SEGER in einer Schrift de quidditate et materia Lymphae 
Bartholinianae (Hafn. 1658) von RuDBEcK, er sei egregius inventi 
Bartholiniani transseriptor, qui in barbara exereitatione sua nullam 
exactam quidditatis aut materiae mentionem fecisset. Erst wird er 
verhöhnt, dass er auf die 2. Schrift des Bo@pawus nicht gewagt hätte 
zu antworten, und dann droht ihm SEGER, es würden die treuen 
Schüler BarrHouıw’s die Angriffe auf ihren Meister niemals ungerächt 
lassen, id quod ei candide praedicimus, ut modeste experimentalem 
quam crepat, Philosophiam corradat. 

RupgEck hat nach seinen ersten beiden Schriften nicht mehr 
viel über Lymphgefässe geschrieben, ein Brief an BArTHoLIN de vasis 
serosis vom Jahre 1657 wird zwar citirt, dagegen scheint er wenig 
bekannt, da ihn sogar HALLEerR nur aus dem Citate kennt. Dafür er- 
schien 1661 eine unter seinem Präsidium gearbeitete Disputation von 
Or. FrogErivs!), in welcher ausser den bereits bekannten Localitäten, 
an welchen Rupgzck Lymphgefässe schon früher beschrieben hatte 
(der Leber, den Bauchmuskeln, der Umgebung der Schenkelgefässe, 
dem Mediastinum und Pericardium, dem Oesophogus, dem Herzen, 
den Lungen, dem ligam. susp. hepatis, dem Magen, der Milz, den 
Hoden und Eierstöcken, dem Uterus und den Lenden), noch als neue 
Localitäten hinzugefügt werden die Zunge, die Halsdrüsen, das Dia- 


Das wichtigste Actenstück dieser Schrift ist wohl das Schreiben des allgemein 
geachteten Anatomen v. HoRNE, das allerdings ganz zu Gunsten RUDBECcK’s ge- 
halten ist. 

) De sero ejusque vasis. Abgedruckt in HaLLEr’s disputat. anatom. select. 
Bde VII: p. 285. 


142 Hıs. 


phragma und die Intereostalräume). Hierüber werden auch Abbil- 
dungen mitgetheilt und einige Bemerkungen über die physiologische 
Bedeutung der Lymphe, sowie über ihr Verhalten in Krankheiten bei- 
gefügt, diese letzteren sind indess ziemlich unbedeutend. Noch fehlt 
bei RuDBECK wie bei seinen Zeitgenossen überhaupt die auf chemisches 
Verhalten begründete Unterscheidung der verschiedenen wässerigen 
Flüssigkeiten des Körpers. Speichel, Schweiss, Lymphe u. s. w. werden 
als gleichwerthige Flüssigkeiten behandelt. Aeusserst eifrig erweist 
sich BArTHoLIN in Vertheidigung der neu entdeckten Gefässe; ein im 
Jahre 1670 herausgekommenes Bändchen ?) umfasst nicht weniger als 
14 auf den Gegenstand Bezug habende Aufsätze, welche er von 
1652—1670 hatte erscheinen lassen. Trotz ihrer grossen Zahl ent- 
halten sie nur weniges von neuen anatomischen Untersuchungen. Es 
finden sich nämlich einmal in der Schrift de lacteis thoracis Mit- 
theilungen über die Milchgänge und über die Lymphgefässe der Brust- 
drüse und dann in der Schrift vasa lymphatica in homine nuper de- 
tecta (1654 zuerst erschienen), eine mit gewohnter Selbstgefälligkeit 
gegebene Darstellung von der Wahrnehmung der Leberlymphgefässe 
bei einer menschlichen Leiche. Die übrigen von 1654 an erschienenen 
Aufsätze Barruoums über Chylus- und Lymphgefässe sind Streit- 
schriften gegen RıoLan, Harvey, Guisson und Andere und vor allem 
gegen den unglücklichen Freiherrn von Brus, welcher unter dem 
Vorgeben von allerlei schwindelhaften Entdeckungen die Leber wieder 
als blutbildendes Organ hatte restituiren wollen. Diese Streitschriften 
enthalten viele physiologische Bemerkungen, indess kennt auch Bar- 
THOLIN keine Unterscheidung der farblosen Körpersäfte.e Noch im 
Jahre 1660 hält er den von Wuarton entdeckten Speicheldrüsengang 
für ein Lymphgefäss und spricht von der aus ihm auspressbaren 
Lymphe. Von Interesse ist die genauere Präcisirung der Ansicht, die 
sich BArtHoLın von der Bildung der Lymphe macht. Im Spieilegium I 
gegen GLisson spricht er sich nämlich dahin aus: es müsse das 
arterielle Blut die Lymphe bereits präexistent enthalten, unter anderen 
minder gewichtigen Gründen führt er auch den an, dass das durch 
Arteriotomie entleerte Blut beinahe doppelt soviel Serum abscheide, 
als das venöse. Igitur aqua in arteriis praeexistet, licet tam pura 
non sit et limpida, servat tamen aquae conditionem hie et ibi. Purior 


1) Für seine Erweiterung der Lymphgefässkenntnisse wird RUDBECK sogar 
von BArTHoLIn becomplimentirt. Spieileg. II, cap. VI (1660). 

2) Tu. BARTHOLINI opuscula nova anat. de lacteis thoracis et lymphatieis 
vasis. Hafn. 


- 


Ueber die Entdeckung des Lymphsystems. 143 


et defaecatior cernitur in Lymphae ductibus, quia percolata fuit per 
viarum anfractus, per parenchymata, per vasorum anastomoses, sicut 
per arenosam terram et saxa in puteis fluminibusque dulcescit et 
clarior decurrit aqua. 

Zum Schlusse müssen wir noch des 3. Anatomen gedenken, der 
als selbstständiger Entdecker der Lymphgefässe genannt worden ist. 
Es ist dies ein englischer Arzt JoLyrr, der zwar selber nichts ge- 
schrieben hat, von welchem aber seine Landsleute WHARTON, GLISSON 
und CHARLETON behaupten, dass er noch vor RUDBECK und BARTHOLIN 
die Lymphgefässe gekannt hätte. WHrarTon nämlich in seiner 1656 
erschienenen Adenographie !) giebt ganz beiläufig an, sein College 
JOLYFF hätte die Lymphgefässe schon 1650 gefunden, wogegen GLISSON 
in etwas einlässlicherer Weise meldet ?), es hätte ihm im Juni 1652 
JOLYFF die fraglichen Gefässe an der Leber zuerst gezeigt und zugleich 
mitgetheilt, ein mit farbloser Flüssigkeit gefülltes Gefässsystem finde 
sich in den meisten Theilen des Körpers®). Es ist schwer, sich auf 
die etwas unbestimmte Angabe hin ein Urtheil zu bilden, wie weit 
die Kenntnisse JoLYFFs gegangen sind; soviel ist jedenfalls sicher, 
dass er seine Entdeckung nicht weiter zum Nutzen der Wissenschaft 
verwerthet hat und insofern ist diese auch völlig berechtigt, ihn 
RuDBEcK und BARTHOLIN hintanzusetzen. 


1) WaaArton, Adenographia. London, 1656, p. 97 und 98. 

2) F. Glisson Anatomia hepatis ed. Hagae Com. 1681, p. 819. 

3) Addebat porro se in compluribus animalibus eorundem ductum investi- 
gasse, in artubus scil. testiculis, utero, aliisque partibus certoque sibi constare, 
liquorem in iis versus mesenterium tendere, et particulatim ad initium sive ra- 
dicationem ejus. 


Drusk von Metzger & Wittig in Teipzig. 


Zur Mechanik des Brustkastens. 


Von 
A. W. Volkmann. 


Die Mechanik des Brustkastens ist schon oft, und auch von sach- 
kundigen Männern, bearbeitet worden, gleichwohl findet sich in diesem 
Abschnitte der Physiologie noch so viel Unfertiges, dass es nicht über- 
flüssig sein dürfte, auf den Gegenstand zurück zu kommen. Bekannte 
und unbestrittene Verhältnisse sollen nur, wo es der Zusammenhang 
der Darstellung erfordert, kurz berührt werden. 

Die Bewegungen des Brustkastens beruhen zunächst auf einer 
abwechselnden Hebung und Senkung der Rippen. Jedes zusammen- 
gehörige Rippenpaar bildet einen mehr oder weniger vollständigen 
Ring, welcher an der Wirbelsäule beweglich befestigt ist. Genügte 
es, von der Lage und Bewegung der Rippen eine ungefähre Schilde- 
rung zu geben, so könnte man sagen, jeder Rippenring liegt in einer 
nach vorn und unten geneigten Ebene und dreht sich um eine durch 
die Köpfchen beider Rippen geleste Querachse derartig, dass die Ebene, 
in welcher er liegt, sich beim Einathmen mehr einer wagerechten, 
beim Ausathmen mehr einer senkrechten Ebene nähert. 

Schon diese oberflächliche Darstellung macht begreiflich, dass 
sich der Hohlraum, welchen die Rippenringe einschliessen, beim Ein- 
athmen erweitere und beim Ausathmen verengere. 

Untersucht man die Einlenkung der Rippen genauer, so findet 
sich, dass man bei der Annahme einer einfachen Drehachse für einen 
Rippenring nicht stehen bleiben könne, vielmehr besitzt jede der beiden 
zusammengehörigen Rippen eine besondere Achse, deren Richtung von 
hinten und aussen, nach vorn und innen geht. 

Hieraus ergiebt sich ohne Weiteres, dass, wenn der Rippenring 
ein starres Ganze bildete, überhaupt jede Athembewegung unmöglich 


sein würde, indem gerade die Bewegung, welche die eine Achse forderte, 
Zeitschrift f. Anatomie. Bd. 1. 10 


146 VOLKMANN. 


die der anderen Körperseite verhindern müsste. Indess besteht der 
Rippenring nicht aus einem starren Ganzen, sondern aus verschiedenen, 
beweglich verbundenen, und, was die Knorpel- anlanst, biegsamen 
Theilen.. Aus dem Allen erhellt, wie HELMHOLTZ zeigte, dass die 
Bewegung des Brustkastens sich nicht auf ein einfaches Heben und 
Senken der Rippenringe beschränke, sondern wesentlich auf Gestalt- 
veränderungen derselben beruhe. 

Sollen die Vorgänge der Athembewegung auf mechanische Prin- 
cipien zurückgeführt werden, so müssen die Drehachsen des Rippen- 
ringes gegeben sein, doch bestehen über die Lage derselben noch 
Meinungsverschiedenheiten. Die Mehrzahl der Anatomen nimmt an, 
dass die Richtung der Achse nahezu der Richtung des Rippenhalses 
entspreche. Als anatomische Grundlage dieser Annahme hat man die 
doppelte Gelenkfläche der Rippe, an deren Köpfchen und Höcker, 
betrachtet. Diese Flächen sind offenbar nur kleine Bruchstücke der 
Rotationsfläche, um deren Achse die Rippe sich dreht, und würde also 
der anatomische Nachweis der Achsenlage davon abhängen, dass aus 
den gegebenen Bruchstücken der Gelenkfläche der fehlende Rest er- 
mittelt würde. 

Unzweifelhaft bildet der in Rede stehende Rotationskörper einen 
Kegel, dessen Spitze im Scheitel des Rippenköpfchens und dessen Basis 
im Querschnitt des Höckers liegt. Fraglich ist nur die Grösse seiner 
Basis, für deren Bemessung keine festen Anhaltspunkte vorliegen. 
MEISSNER hält dieselbe für sehr klein, H. MEyER für sehr gross. Nach 
Ersterem könnte die Achse des Kegels, mit der des Rippenhalses zu- 
sammenfallen, nach Leizterem liest sie vor dem Halse, und bildet mit 
diesem einen ansehnlichen Winkel. 

Ich habe den misslichen Versuch, die Lage der Achse aus anato- 
mischen Untersuchungen abzuleiten, ebenfalls gemacht, und möchte, 
in Folge derselben, mich der üblichen Vorstellung anschliessen, dass 
die Richtung derselben sich von der des Rippenhalses nicht erheblich 
entferne. Die Versuche sind in folgender Weise angestellt worden. 

Ich befestige einen Wirbel in der Lage, welche ihm bei aufrechter 
Stellung des Körpers zukommt, auf einem Tische, und spanne über 
demselben zwei feine Fäden in der Weise aus, dass jeder Faden den 
Mittelpunkt der fovea costalis am Wirbelkörper, und das scheinbare 
Centrum der Basis des kegelförmigen Rotationskörpers schneidet. Diese 
Fäden kreuzen sich über dem Wirbelkörper, bald mehr im hinteren, 
bald mehr im vorderen Theile desselben, und bilden einen leicht mess- 
baren Winkel. Halbirt man diesen, so erhält man den Winkel, unter 
welchem die Drehachse die Medianebene schneidet. Eine Versuchs- 


Zur Mechanik des Brustkastens. 147 


reihe, welche nach dieser Methode ausgeführt wurde, ergab folgende 
Resultate: 


Winkel 
\ unter welchem beide unter welchem die Drehachse 
Rippe. Achsen sich kreuzen. die Medianebene kreuzt. 
1 162° & 81° 
2 128° 64° 
b) 1252 G2730% 
4 111° 590.304 
5 108° 54° 
6 109° 94930% 
7 109° 54° 30° 
8 88 44° 
9 3 46° 
10 88° 44° 


Die grosse Unsicherheit solcher Messungen liest auf der Hand, 
doch will ich bemerken, dass in allen meinen Versuchen die Grösse 
der Kreuzungswinkel von der 1. Rippe gegen die 10. auffallend ab- 
nahm, ungefähr um das Doppelte. Eine solche Abnahme der Winkel 
von oben nach unten beobachtete auch MEISSNER!), welcher, wie ich 
glaube, mit vollem Rechte die Veränderung in der Lage der Drehachse 
von der veränderten Richtung der Querfortsätze, und also auch der 
Rippenhälse ableitet. 


In Uebereinstimmung mit diesen Ergebnissen sind die wichtigen 
Versuche von HENKE?), welche ich bestätigen kann. Wenn man in 
die Rippe eines frisch präparirten Brustkastens, transversal durch die- 
selbe, einen Stift steckt, so beschreibt derselbe bei künstlicher Respi- 
ration, eine bogenförmige Bewegung, den einzigen Fall ausgenommen, 
wenn man ihn im tuberculum costae in der Richtung des Rippenhalses 
einführt. Gelinst es dem Stifte diese Richtung zu geben, so steht 
er bei der Athembewegung fast vollständig still, ein Beweis, dass er 
ganz nahe der Drehachse, und diese selbst im Halse der Rippe liege. 

Unter diesen Umständen kann ich mich der Meinung H. Meyer’s 
nicht anschliessen, dass man, vorläufig ohne bemerkenswerthen Fehler, 
die Achse zweier auf gleicher Höhe liegenden Rippen, als ein con- 


1) Zeitschrift für ration. Mediz. 1857. Jahresbericht über die Fortschritte 
der Physiolog. im Jahre 1856 $. 486. 
?) Handbuch der Anatomie und Mechanik der Gelenke. Leipzig und 
Heidelberg 1863 S. 78, 
10* 


148 VOLKMANN. 


tinuum ansehen könne, welches gradlinig und in frontaler Richtung 
durch die Köpfchen derselben hindurchsetze'). 

Meines Erachtens sind Versuche, wie die von HENKE angestellten, 
allein schon ausreichend zu beweisen, dass die Drehachsen der Rippen 
unter spitzen Winkeln die Medianebene schneiden, und dass die 
Kreuzungswinkel von oben nach ‚unten, entsprechend der veränderten 
Lage der Querfortsätze und Rippenhälse, immer spitzer werden. Es 
bleibt nur noch übrig, die Grösse dieser Winkel genauer, als die bis- 
herigen Versuchsmethoden erlaubten, zu bestimmen. 

Um diesen Zweck zu erreichen, habe ich Versuche angestellt, zu 
deren Verständniss einige Vorbemerkungen nöthig scheinen. 

Man denke sich das Object der Beobachtung sei ein menschlicher 
Körper in aufrechter Stellung. Eine Rippe sei frei gelegt, und auf 
derselben ein Punkt bezeichnet, dessen Bewegung während des Athmens 
beobachtet werden soll. Da dieser Punkt um die Drehachse rotirt, so 
wird das Auge des Beobachters, wenn es sich in der Fortsetzung der 
Rotationsebene befindet, nicht eine bogenförmige, sondern eine grad- 
linige Bewegung wahrnehmen. Fügen wir hinzu, dass die gradlinige 
Bewegung eine senkrechte sein müsste, wenn die bezügliche Drehachse 
in einer wagerechten Ebene läge. 

Gesetzt nun, es gelänge die Versuchsbedingungen in der eben 
angegebenen Weise zu gestalten, so würde sich die Lage der Drehachse 
in dem beobachteten Individuum auf folgende Weise bestimmen lassen. 
Der Beobachter verzeichnet auf der Tafel eines vor ihm stehenden 
Tisches seine Visirlinie, und zieht durch diese rechtwinklig eine zweite 
Linie, welche offenbar der Richtung der gesuchten Drehachse entspricht. 
Denn da die Visirlinie in der Fortsetzung der Rotationsebene liegt, 
welche ihrerseits rechtwinklig von der Drehachse geschnitten wird, so 
muss eine Linie, welche rechtwinklig die Visirlinie schneidet, der 
Drehachse parallel sein. Ist der Versuch so weit eingeleitet, so braucht 
man der Zeichnung nur noch eine dritte Linie hinzu zu fügen, welche 
der Medianebene parallel läuft und die eben erwähnte zweite Linie 
schneidet. Man erhält dann den Winkel, welchen die Drehachse mit 
der Medianebene einschliesst, einen Winkel, den ich kurz den Kreu- 
zungswinkel der Drehachse nennen und im Folgenden mit ww bezeich- 
nen werde. 

Dies die Grundidee meiner Versuche, die nun ausführlich beschrie- 
‚ben werden sollen. 


I) Die Statik und Mechanik des menschl. Knochengerüstes 1873 8. 258. 


Zur Mechanik des Brustkastens. 149 


Die Beobachtungen wurden an der Leiche eines kräftigen Mannes, 
selbstverständlich nach dem Verschwinden der Todtenstarre, angestellt. 
Durch Entfernung der Haut und der oberflächlichen Muskeln waren 
(die echten Rippen frei gelegt. Den Kopf hatte ich, unter dem zweiten 
Halswirbel, abgeschnitten. Die Leiche wurde auf einem Stuhle mit 
hoher, senkrechter Lehne in aufrechter Richtung zum Sitzen gebracht, 
und mittels Stricken, welche um die Oberschenkel des Cadavers und 
(den Sitz des Stuhles gewunden waren, unverrückbar befestigt. In die 
Halswirbel war ein hölzerner Stab mit Gewalt eingezwengt, welcher 
zur weiteren Befestigung der Leiche, und namentlich zur Sicherung 
der graden Richtung des Rumpfes dienen sollte. Die senkrechte Lehne 
des Stuhles, welche dem Rücken des Körpers zur Stütze diente, war 
nämlich galgenartig gestaltet, so dass ein horizontaler Arm derselben 
einige Zolle über dem durchschnittenen Halse zu liegen kam. Dieser 
horizontale Arm war nach vorn hin gäbelförmig gespalten, und der in 
die Halswirbel eingezwengte Stab liess sich in die Oeffnung der Gabel 
einklemmen. Durch diese Vorkehrungen war die Stellung der Leiche 
eine so feste, dass sie durch Verrücken des Stuhles, und durch Stösse 
an denselben, nicht im mindesten verändert wurde. 

In einer Entfernung von ungefähr acht Fuss von der Leiche, halb 
vor ihr, halb neben ihr, sass der Beobachter, einen Tisch vor sich. 
Auf der mit weissem Papiere beklebtem Tischplatte war eine Visir- 
linie verzeichnet, in welcher ein Diopter und ein Bleiloth angebracht 
waren. Die Stärke des Lothfadens betrug 0,18”", seine Entfer- 
nung vom Auge reichlich 1 Fuss. Auf die Rippe, deren Achse 
bestimmt werden sollte, klebte ich eine weisse Marke, von der Grösse 
eines Groschens, in deren Mitte ein runder schwarzer Punkt, von 
3” Durchmesser, angebracht war. Die auf dem Stuhle sitzende 
Leiche wurde nun so gestellt, dass diese Marke in die Visirlinie zu 
liegen kam. 

Um Athembewegungen hervorzubringen, war in die trachea eine 
Röhre eingebunden, welche mit Hülfe eines Hahnes beliebig geöffnet 
und geschlossen werden konnte. Die Inspirationsbewegungen wurden 
dadurch hergestellt, dass ein Assistent die Lunge des Cadavers kräftig 
aufblies, und, nachdem dies geschehen, den Hahn der Röhre schloss. 
Die mit dem Verschlusse entstehende Ruhe begünstigte die Genauigkeit 
der Beobachtungen, welche constatiren sollten, ob das Centrum des 
schwarzen Punktes, auch nach dessen Aufsteigen, genau vom Pendel- 
faden geschnitten werde. Nachdem dies ermittelt worden, wurde der 
Hahn geöffnet, und hiermit Gelegenheit gewonnen, den Versuch bei 
absteigender Rippenbewegung zu wiederholen und zu controfliren. 


150 VOLKMANN. 


Die Herstellung einer solchen Richtung der Leiche, dass der auf 
der Rippe angebrachte schwarze Punkt genau in der Visirlinie liest, 
hat keine Schwierigkeit. Da nämlich jeder Punkt der knöchernen 
Rippe um die Drehachse rotirt, so kann man, wenn die der Rippe 
angeheftete Marke nicht genau in die Visirlinie fallen sollte, die Marke 
so verschieben, dass das Centrum des schwarzen Punktes genau vom 
Lothfaden geschnitten wird. Dagegen ist es ungemein schwierig, der 
Leiche die Stellung zu gehen, in welcher der fixirte schwarze Punkt 
beim Auf- und .Absteigen der Rippe die Richtung des Lothes genau 
einhält. Es sind mir Fälle vorgekommen, wo der fixirte Punkt fast 
um 1 ““ nach links oder rechts vom Lothe abwich, und können 
100 und mehr Correcturen, in der Stellung der Leiche, erforderlich 
sein, ehe man die rechte Lage trifft. Die letzten und feinsten Correc- 
turen liessen sich nur dadurch herstellen, dass mit einem Hammer 
mässige Schläge an das eine oder andere Stuhlbein gegeben wurden, 
um auf diese Weise minimale Drehungen der Leiche hervorzubringen. 

In allen Fällen gelang es schliesslich eine Stellung zu beschaffen, 
bei welcher der fixirte schwarze Punkt in grösster Genauigkeit der 
Richtung des Lothes folgte. Dies beweist aber, dass die Drehachse in 
allen von mir untersuchten Fällen, nämlich in der 1., 3., 5. und 7. 
Rippe eine horizontale Lage hatte. 

Dies Resultat ist sehr überraschend. Da die Wirbelsäule im Brust- 
kasten sich nach vorn concav gestaltet, so neigen die Körper der obern 
Wirbel nach unten, während die der unteren eine Richtung nach oben 
haben. Dies hat zur Folge, dass die Querfortsätze der oberen Brust- 
wirbel etwas aufwärts, die der unteren etwas abwärts gerichtet sind, 
und sollte man meinen, dass die Rippenhälse und mit ihnen die Dreh- 
achsen, sich dieser Richtung der Querfortsätze anschliessen müssten). 

Die vorerwähnten Versuche widersetzen sich dieser Annahme, und 
ist es, bei der Wichtigkeit des in Frage stehenden Gegenstandes, noth- 
wendig, die Zuverlässigkeit meiner Beobachtungen genau zu prüfen. 

In meinen Versuchen verlange ich nicht nur, dass der fixirte 
Punkt der Rippe der Richtung des Lothes folge, sondern ich verlange 
auch, dass der feine Faden des letzteren das Centrum dieses Punktes 
schneide. Mit anderen Worten, ich verlange, dass von dem schwarzen 
Punkte, während der ganzen Dauer seines Aufsteigens, der zur Linken 


l) MEIssneR hat angenommen, dass die Drehachsen von hinten und oben 
nach vorn und unten neigen, und dass diese Neigung von den oberen Rippen 
gegen die unteren zunehme. Conf. Jahresberichte für die Fortschr. der Physiolog. 
im Jahre #856 S. 487. Für diese Annahme wüsste ich keinen Grund zu finden. 


Zur Mechanik des Brustkastens. 151 


” 


des Fadens liegende Theil, mir eben so gross erscheine, als der zur 
Rechten liegende. Ich will nun zeigen, in wie weit solche subjective 
Gleichschätzung zweier gegebenen Grössen, im vorliegenden Falle, zu 
einem falschen Schlusse führen könne. 

Da die Entfernung des fixirten schwarzen Punktes acht Mal grösser 
ist, als die des Lothfadens in der Visirlinie, so müsste der Punkt, 
wenn er vollständig vom Faden gedeckt werden sollte, acht Mal grösser 
im Durchmesser sein, als letzterer. Er müsste einen Durchmesser von 
8x0,18%0 — 1,44”” haben; er hat aber einen Durchmesser von 
zum, Hieraus ergiebt sich, dass, wenn der Faden das Centrum des 
schwarzen Punktes schneidet, zu jeder Seite desselben 0,78" des 
Punktes unbedeckt bleiben. Gesetzt also, der Punkt wiche, bei schein- 
bar senkrechten Aufsteigen !/,”"® vom Lothe ab, so würde auf der 
einen Seite des Fadens ein schwarzes Object von 0,28”, auf der 
andern ein solches von 1,28”® Durchmesser gelesen haben. Nach 
meinen früheren Versuchen, über die Unterscheidbarkeit von Grössen- 
differenzen, ist es ganz unmöglich, zwei so verschiedene Grössen für 
gleich zu schätzen. Aber selbst wenn man annehmen wollte, dass ein 
Abweichen des fixirten Punktes um !/,””" vom Lothe mir hätte 
entgehen können, würden die aus meinen Beobachtungen abgeleiteten 
Schlüsse wesentlich dieselben bleiben. In meinen Versuchen erhob 
sich nämlich der fixirte Punkt um 10—20"®%,. Nehmen wir den 
für mich ungünstigsten Fall, er habe sich um 10"® erhoben, so 
würde, wenn wir den Winkel, welchen die von mir für senkrecht 
gehaltene Linie mit dem Lothe einschliesst, mit x bezeichnen, 


- 


0.5 3 5 
jo m = tang x, und x nur — 2° 51‘ sein. 


Die horizontale Lage der Drehachsen muss ich hiernach für erwiesen 
halten, obschon ein so gründlicher Sachkenner wie FREUND ein anderes 
Lagenverhältniss speciell beschrieben hat!). 

Zu bemerken ist noch, dass die oben erwähnte Richtung der 
Querfortsätze, welche in den drei oberen Rückenwirbeln eine aufstei- 
gende, in dem sechsten bis neunten eine absteigende ist, nicht über 
die Richtung des Rippenhalses, und noch weniger über die der Dreh- 
achse entscheide. Da nämlich die beiden kleinen Gelenkflächen der 
Rippe zu einem konischen Rotationskörper gehören, und da die Basis 
des conus im Querschnitte des Rippenhöckers liegt, so muss die Lage 


!) Dr. W. A. FREUND in seiner sehr beachtenswerthen Schrift: Der Zu- 
sammenhang gewisser Lungenkrankheiten mit primären Rippenknorpelanomalien. 
Erlangen 1859. 


152 VOLKMANN. 


je 


der Drehachse, als zusammenfallend mit der Kegelachse, davon abhängen, 
ob der Rippenhöcker mehr am unteren oder am oberen Rande des 
Querfortsatzes schleift. Im ersten Falle würde die Achse tiefer, im 
zweiten höher liegen müssen, als der Querfortsatz, und durch solche 
Differenzen in der Lage der schleifenden Stelle, mag der horizontale 
Parallelismus der Drehachsen trotz der Divergenz der Querfortsätze 
erhalten werden. In der That verändert die am Querfortsatze befind- 
liche ineisura tubercularis in auffälliger Weise ihre Lage. Die Con- 
cavität derselben ist in den obersten Rückenwirbeln nach vorn und 
unten, im sechsten bis neunten Rückenwirbel auffällig nach oben ge- 
richtet, morphologische Unterschiede, welche zur Herstellung horizon- 
taler Drehachsen sehr gut passen. 

Ich kehre nun zur Beschreibung meines Versuches zurück. Vor 
dem Cadaver ist ein grosser Tisch aufgestellt, genau so hoch wie der 
Tisch, hinter welchem der Beobachter sitzt, und an denselben anstossend. 
Auf diesem Tische liegt ein Parallellineal von zwei Meter Länge, mit 
beweglichen Verbindungsstücken von ein Meter Länge. Das grosse 
Instrument wird so gerichtet, dass das eine Lineal in die Fortsetzung 
der Medianebene des Cadavers zu liegen kommt, worauf seine Lage 
durch aufgesetzte Gewichte gesichert wird. Ist dies geschehen, so 
wird das andere, also bewegliche Lineal, auf den vor dem Beobachter 
befindlichen Tisch hinübergeschoben, um mit Hülfe desselben eine der 
Medianebene Parallele zu ziehen, welche die auf der weissen Tafel 
verzeichnete Visirlinie schneidet. Da nun, wie oben erörtert, eine 
Linie, welche rechtwinklig zur Visirlinie verläuft, der Lage der Dreh- 
achse entspricht, so braucht man schliesslich nur eine solche Linie zu 
ziehen, und bis zu der eben besprochenen Parallele der Medianebene 
zu verlängern, womit man den Winkel erhält, welchen die 
Drehachse der Rippe mit der Medianebene des Körpers 
einschliesst. 

Das Resultat meiner Beobachtungen war folgendes: 


Grösse des Kreuzungswinkels der Dreh- 
achse mit der Medianebene = 


Rippe. 
beobachtet. im Mittel. 
1 Oo ıı 73°, 30° 
3 65°, 64° 64°, 30° 
5 63°, 580, 581,0 599, 50° 


N 45°, 50°, 52°, 53° 50° 


Diese Werthe entfernen sich von denen, welche ich aus der Ge- 
stalt und Lage der Gelenkflächen abgeleitet habe (S. 147) kaum mehr, 


Zur Mechanik des Brustkastens. 153 


als dies in Folge individueller Verschiedenheiten erwartet werden 
durfte. 

Ich will noch bemerken, dass die in der vorstehenden Tabelle 
verzeichneten einzelnen Beobachtungen überall auf einer neuen Fest- 
stellung des Cadavers, gegenüber dem Beobachter und seiner Visirlinie, 
beruhen. Nur in solchen umgestalteten Versuchen schwanken die 
gefundenen Winkelwerthe. Schien die richtige Stellung der Leiche 
gefunden, so wurden wieder verschiedene Beobachtungen gemacht, nicht 
nur bei Inspiration und Exspiration, sondern auch von verschiedenen 
Beobachtern, nämlich von mir und meinem sehr scharf sehenden 
Assistenten. In diesen Beobachtungen kamen Differenzen überhaupt 
nicht vor. 

Im Allgemeinen hat sich also ergeben: 

1. Die Drehachsen der Rippen liegen höchst angenähert in 

Horizontalebenen. 

2. Die Drehachsen verlaufen von hinten und aussen nach vorn 
und innen, so dass sie sich von der Frontalebene bedeutend 
entfernen. 

3. Der Kreuzungswinkel der Drehachsen mit der Medianebene, 
wird von oben nach unten auffallend kleiner. 

In Bezug auf diese drei Punkte findet zwischen den Resultaten 
der anatomischen Untersuchung und des physiologischen Experimentes 
eine sehr befriedigende Uebereinstimmung statt. In wie weit die von 
mir gefundenen Mittelwerthe der Kreuzungswinkel als normale gelten 
können, werden wiederholte Versuche zu entscheiden haben. Die 
Differenzen der von mir selbst beobachteten Werthe beruhen wahr- 
scheinlich auf zwei Fehlerquellen, deren vollständige Umgehung kaum 
möglich sein dürfte. Nämlich einmal ist die Erhebung der Rippen 
zu gering, um die Richtung ihrer Bewegung mit absoluter Genauigkeit 
zu beurtheilen, und andrerseits beruht die Einstellung des Parallellineales 
in die Medianebene auf einer zu unsicheren Schätzung. 

Ist die Richtung der Drehachsen der Rippen einmal festgestellt, 
so ergeben sich gewisse Schlussfolgerungen auf die Mechanik des 
Brustkastens ganz von selbst. 

1. Da die Drehachsen der Rippen weder eine frontale noch 
sagittale Lage haben, so können auch die Rotationsebenen ihrer 
Sternalenden weder eine sagittale noch frontale Richtung, sondern nur 
eine zwischen diesen liegende schiefe haben. Hieraus ergiebt sich 
sofort, dass mit der Hebung der nach unten hängenden knöchernen 
Rippen, gleichzeitig eine Entfernung ihrer Sternalenden von der hin- 
teren Rückenwand, und eine Entfernung von der Medianebene des 


154 VOLKMANN. 


Körpers verbunden sein müsse, also Vertiefung und Verbreiterung des 
Brustkastens. 

2. Da die Richtung der Drehachsen in den oberen Rippen relativ 
mehr frontal, in den unteren relativ mehr sagittal ist, so müssen die 
Sternalenden der oberen Rippen sich relativ mehr nach vorn, die der 
unteren Rippen relativ mehr seitwärts bewegen. Mit anderen Worten 
die oberen Rippen werden vorwiegend die Vertiefung, die unteren 
vorwiegend die Verbreiterung des Brustkorbes vermitteln. 

3. Da die knöckernen Rippen durch die ungleiche Lage der 
Drehachsen zu verschiedenen, und durch ihre Verbindungen mit dem 
Brustbeine zu gleichzeitigen und gleichartigen Bewegungen genöthist 
werden, so müssen in den nachgiebigen Knorpeln Torsionen entstehen, 
Spannungen, die, obschon von vorn herein verschieden nach Art und 
Grösse, doch zu einer elastischen Ausgleichung gelangen müssen, so 
dass eine bestimmte Widerstandsgrösse entsteht, welche die Bewegungen 
des Brustkastens im Ganzen behindert. 

4. Da jeder Punkt einer Rippe, so weit die Bewegung dieser 
von ihrem Charnier abhängt, sich im Kreise um deren Drehachse 
bewegt, so kann die Grösse und Geschwindigkeit der Bewegung an 
verschiedenen Punkten der Rippen nicht dieselbe sein, vielmehr müssen 
beide sich verhalten wie die radii vectores der betreffenden Punkte, 
d. h. wie deren senkrechte Abstände von der Drehachse. In Betracht, 
dass die Rippe einen Bogen, ihre Drehachse dagegen eine Gerade 
darstellt, müssen die radii vectores, vom Rippenhalse an bis zum Brust- 
beine, eine Zeit lang wachsen und nachmals wieder abnehmen. Dieses 
für die Mechanik des Brustkastens fundamentale Gesetz musste so 
lange verkannt werden, als man den Drehachsen der Rippen eine fron- 
tale Richtung zuschrieb, und demgemäss ein stetiges Wachsen jener 
Radien mit einem Maximum im Brustbeine anzunehmen genöthigt war. 

5. Die Bewegungen des Brustkastens können nicht einfache 
Consequenzen der Achsendrehung der Rippen sein. Denn da die Dreh- 
achsen sich kreuzen, indem sie von der rechten Körperhälfte zur linken, 
und umgekehrt von der linken zur rechten sich fortsetzen, so ist ein- 
leuchtend, dass, wenn es sich einfach um Achsendrehung handelte, 
mehr als der halbe Rippenring um eine Achse rotiren müsste. Um 
die Achse der rechten Rippe, beispielsweise, müsste auch das Brustbein 
und die Knorpel der linken Körperhälfte, und um die Achse einer 
linken Rippe gleichermassen das Brustbein und die Knorpel der rechten 
Körperhälfte rotiren, also dieselben Körpertheile in entgegengesetztem 
Sinne. Auf die Frage, was aus diesen sich widersprechenden Bewe- 
gungen resultire, werde ich später zurückkommen. 


Zur Mechanık des Brustkastens. 155 


6. Die mit der Rotation verbundene Bewegung der Rippen nach 
aussen, also wegwärts von der Medianebene, bedingt eine Verlängerung 
der Knorpel, welche sie an das Brustbein heften. Diese Verlängerung 
kann nur in sehr geringem Masse von einer Dehnung derselben in 
die Länge abhängen, beruht vielmehr darauf, dass in den bogenförmig 
gestalteten Knorpeln, durch Abilachung des Bogens, die Sehne desselben 
vergrössert wird. Erst mit der dritten oder vierten Rippe beginnt 
diese bogenförmige Gestaltung, und sind daher die oberen Rippen, 
besonders aber die erste, viel weniger zu einer Auswärtsbewegung 
geeignet, als die unteren, was in Uebereinstimmung mit der Lage der 
bezüglichen Drehachsen ist, welche in ‘den oberen Rippen eine viel 
geringere Bewegung nach aussen bedingen, als in den unteren. 

Schon der Bau des Brustkastens führt also zu dem Schlusse, dass 
die oberen Rippen mehr der Vertiefung, die unteren mehr der Ver- 
breiterung desselben dienen, ich glaube indess beweissen zu können, 
dass die Richtigkeit dieses Schlusses sich auch mathematisch begrün- 
den lasse. 

Zur Ausführung der erforderlichen Rechnungen müssen folgende 
Masse gegeben sein: 

1. Die Grösse des Kreuzungswinkels der Drehachse mit der 

Medianebene = w. 

2. Die Grösse des Winkels, welchen die nach unten hängende 
.Rippe, mit einer durch ihre Drehachse gelegten senkrechten 
Ebene einschliesst. Ich werde diesen Winkel den Neigungs- 
winkel der Rippe nennen und mit ® bezeichnen. 

3. Alle diejenigen Masse, welche erforderlich sind, um den Ort 
eines Punktes der Rippe zu bestimmen, nach dessen Bewegung 
geiragt wird. 

Ich habe gefunden, dass das Sternalende der knöchernen Rippe, 
als der von der Drehachse entfernteste Punkt, die ausgiebigsten Rota- 
tionen macht, und wird es mir im Nachstehenden nur darauf ankom- 
men, den Ort dieses Punktes zu bestimmen. 

Um möglichst genaue Masse zu bekommen, habe ich folgendes 
Verfahren eingeschlagen. Ich durchbohre den Wirbel des in Betracht 
zu ziehenden Rippenringes, in der Richtung der Drehachse, und führe 
durch das Bohrloch einen geraden, relativ starken Stahldraht, welcher 
also eine solide Verlängerung der Achse abgiebt. Um das Rippen- 
gelenk zu schonen, wurde die Durchbohrung des Wirbels oberhalb des 
Rippenhalses vorgenommen und lag nun die künstliche Achse um etwa 
10 ®® zu hoch, eine Ungenauiskeit, die nachmals bei den Massbe- 
Stimmungen in Rechnung gebracht wurde. 


156 VOLEMANN. 


Von der stählernen Achse geht unter rechten Winkeln ein schmaler, 
in Millimeter getheilter Papierstreifen ab, welcher, obschon an die 
Achse befestigt, doch in der Längenrichtung derselben bequem ver- 
schiebbar ist. Wird dieser papierene Massstab an seinem unteren 
Ende mit einem Gewichte verbunden, so dient er als Bleiloth, und 
giebt die Richtung einer durch die Drehachse gelegten senkrechten 
Ebene an. 

Hiernach hatte es keine Schwierigkeit, den Abstand des Sternal- 
endes der Rippe von der eben erwähnten senkrechten Ebene zu 
bestimmen, und eben so wenig seine Entfernung von einer durch die 
Drehachse gelegten Horizontälebene zu messen. Weiter aber konnte 
der biegsame Massstab auch in schiefer Richtung durch die Brusthöhle 
gezogen werden, in der Weise, dass der geradlinige Abstand des 
Sternalendes von der Drehachse selbst, also dessen radius vector ge- 
messen wurde. 

Bei den mancherlei Schwierigkeiten, welche die von mir unter- 
nommenen Messungen darbieten, ist eine Controlle der letzteren sehr 
wünschenswerth. Wenn man die vorerwähnten drei Abstände in 
Linien darstellt, so erhält man rechtwinklige Dreiecke, für welche die 
Formel gilt: a@ +5? =c? wo a und d die Katheten und c die Hypote- 
nuse bedeuten. Ich habe mich überzeugt, dass die von mir gemessenen 
Grössen dem pythagoräischen Lehrsatze recht wohl entsprechen. So 
befriedigend dies auch ist, so wäre doch noch wichtiger ‚gewesen, 
beweisen zu können, dass die von mir gewählte us: der künstlichen 
Drehachse die rechte sei. 


Tabelle der gefundenen Masse. 


1. Der Abstand des Sternalendes der knöchernen Rippe von einer 
durch die Drehachse der Rippe gelegten senkrechten Ebene. 
In der 1. Rippe 45 
ER U ERRNTE, NZ 7% 
a ee 0 


2. Der Abstand des Sternalendes der knöchernen Rippe von 
einer. durch die tubercula costarum des bezüglichen Rippenringes 
gelegten senkrechten Ebene. 

In der 1. Rippe 54 "” 
ln 
Ne Non 

3. Der Abstand zweier horizontalen Ebenen, deren eine durch 

das Sternalende, die andere durch das Köpfchen der Rippe gelegt ist. 


Zur Mechanik des Brustkastens. 157 


In der 1. Rippe 55 
A RIO ;; 
ee ne loan, 
4. Der Abstand des Sternalendes der Rippe von der Medianebene 
des Körpers. 
In der 1. Rippe 50 "" 
Mei 260, 
ee NE a 
5. Die Länge einer Linie, welche vom Sternalende der Rippe 
normal auf die Drehachse gefällt ist, also radius vector des Sternalendes. 
Inader 1. Rippe 70T 
dal 2199, 
” „ T. „ 207 ” 


„ 


Bestimmung des Neigungswinkels der Rippen. 
Vergl. S. 155 Nr. 2. 


In beistehender Figur 1 bedeutet DD’ den 
Durchschnitt der durch die Drehachse gelegten Fig. 1. 
senkrechten Ebene; A das Sternalende der Rippe 
und Ac den radius vector desselben. Hiernach 
ist x der gesuchte Neigungswinkel. 
T 


4a c die drei Seiten, es entspricht nämlich 
Aa dem in der Tabelle unter Nr. 1 bemerkten , 
Abstande; ac repräsentirt die unter Nr. 3 ge- v 
messene Höhe, und Aec ist gegeben durch die - „a 

unter Nr. 5 gemessene Länge. ” 


Gegeben sind in dem rechtwinkligen Dreieck R 


; | 
en = sin x, und ergiebt sich x A 2 | 
für die 1. Rippe = 40° » 
46016 | 
nee kn on) 


Nun ist a 


C 
r 


!) Die im Obigen ausgeführte Berechnung des Neigungswinkels ist ratio- 
neller als die von H. Mrver (a. a. O. 259) angestellte, welcher den Winkel, den 
die Rippe mit einer durch die capitula costarum gelegten senkrechten Ebene 
einschliesst, als den Neigungswinkel betrachtet. Soll der Neigungswinkel zur 
Berechnung der Rippenbewegungen dienen, ‘welche im Kreisbogen um die Dreh- 
achsen erfolgen, so ist einleuchtend, dass nur der Winkel, welchen der radius 
veetor des rotirenden Punktes mit einer durch die Drehachsen gelegten senk- 
rechten Ebene bildet, verwerthbar sei. 


158 VOLKMANN. 


Fussend auf den in der Tabelle verzeichneten Massen und den so 
eben gefundenen Neigungswinkeln, habe ich die Grösse der Athembe- 
wegungen, welche sich durch Erhebung, Vertiefung und Verbreiterung 
des Brustkastens kennzeichnen, unter Voraussetzung einer Achsen- 
drehung von 10°, trigonometrisch berechnet. 

Diese Voraussetzung ist zwar willkürlich, da es sich aber nicht 
um Gewinnung absoluter Werthe, sondern nur um Ermittelung des 
gegenseitigen Verhältnisses jener drei Bewegungsrichtungen handelt, 
so ist ein Fehler in der Voraussetzung ohne Bedeutung. Die Zahlen- 
werthe, auf welche meine Berechnung führt, scheinen mir etwas zu 
gross, da ich für die Verbreiterung des Brustkastens im ersten Rippen- 
ringe 5,6 ”® erhalte (siehe unten) und nach der Dicke, Kürze und 
Festigkeit des ersten Rippenknorpels, selbst diese geringe Verbreiterung 
noch für zu gross erachte. Hiernach wäre möglich, dass ich die bei 
der Inspiration erfolgende Vergrösserung des Reizungswinkels mit 10° 
etwas überschätzt hätte. Indess liesse sich auch annehmen, dass die 
Winkelbewegung der ersten Rippe etwas geringer sei, als die der tiefer 
liegenden, eine Annahme, welche durch die stärkere Befestigung der- 
selben begünstigt wird. Die oben mitgetheilten Versuche mit künst- 
licher Respiration ergaben für die erste Rippe ungefähr 10 "®, für 
die siebente Rippe ungefähr 20 "® Erhebung. Hieraus berechnet 
sich die Vergrösserung des Reizungswinkels für die erste Rippe zu 
9° 25° für die siebente auf 8° 17‘. 

Es sei gestattet, zunächst eine allgemeine Darstellung des Rechnungs- 
Verfahrens zu geben. 


Berechnung der senkrechten Erhebung der Sternalenden 
der Rippen beim Einathmen. 


In Fig. 2 bezeichnet DD‘ den Durchschnitt einer durch die 
Drehachse gelegten senkrechten Ebene. 

4 das Sternalende der Rippe während der Exspiration. 

A‘ dasselbe während der Inspiration. 

c Durehschnittspunkt der zur bezüglichen Rippe gehörigen 
Drehachse. 

4c = A4'‘c der radius vector der Rippe. 

x der Neigungswinkel der Rippe, während der Exspiration. 

y der Winkel, um welchen sich die Rippe während der Inspira- 
tion erhebt. 

Aa und A'D zwei Linien, welche von den Sternalenden 4 und 4° 
normal auf die Ebene DD’ gefällt sind. 


Zur Mechanik des Brustkastens. 159 


Ad normal auf A'2, und also = ab, die durch die Inspiration 
bewirkte senkrechte Erhebung des Sternalendes 4. 
4'd der durch die Inspiration vergrösserte Abstand des Sternalendes 
der Rippe von der durch die Drehachse gelegten senkrechten Ebene DD‘. 
Gegeben sind ausser den Winkeln 
x und y, die Seiten da, nach Tabelle Fig. 2. h 
Nr. 1; ac nach Tabelle Nr. 3; A4e 
— 4’e nach Tabelle Nr. 5. | 
Nun ist berechenbar 
be= cosin («e+y). Ace 
also ab = ac— be 
und folelich auch Ad = ace—be. 
womit die senkrechte Erhebung gege- 
ben ist. 
Ferner ist berechenbar 
Adb=sin (ea +y). 4e 
und 4’d= A'b — Aa 
womit also die Raumgrösse bemessen 
ist um welche sich das Sternalende 
der Rippe während der Inspiration 2 
von der durch die Drehachse gelegten h 
senkrechten Ebene entiernt hat. 


Berechnung der Vertiefung und der Verbreiterung des 
Brustkastens während des Einathmens. 


Unter Tiefe des Brustkastens soll hier verstanden werden: der 
Abstand des Sternalendes der Rippe von einer durch die tubercula 
costarum gelegten senkrechten Ebene, so dass die in Frage gestellte 
Vertiefung die von der Inspiration abhängige Vergrösserung dieses 
Abstandes bedeutet. 

Anlangend die durch das Einathmen verursachte Verbreiterung 
des Brustkastens, so ist sie dadurch bedingt, dass sich bei der Rotation 
der Rippe das Sternalende derselben von der Medianebene des Körpers 
entfernt. Diese Entfernung verdoppelt ist also das Mass der Verbrei- 
terung des Brustkastens im Ganzen. 

Zur Berechnung der Vertiefung und Verbreiterung des Brustkastens 
im angegebenen Sinne dient Fig. 3, welche, wie die Darstellung des 
Wirbels schon andeutet, auf einen Querschnitt des Brustkastens zu 
beziehen ist. 

Es bedeutet in Fig. 3 


160 VOLKMANN. 


wu 
a 


AN J 


ie | P 


m’ M 

DD‘ die durch die Drehachse geleste senkrechte Ebene. 

EE*' die durch die Rippenhöcker geleste senkrechte Ebene. 

MM' Durchschnitt der Medianebene. 

A Sternalende der Rippe, bei Exspiration. 

4' Sternalende der Rippe, bei Inspiration. 

Aa Entfernung des Sternalendes A von der Ebene DD; in Fig. 2 
durch Aa dargestellt. 

4A‘a Entfernung des Sternalendes 4’ von der Ebene DD’ in Fig. 2 
durch 4’b gegeben. 

4'4= A'a— Aa, die in Folge der Inspiration vergrösserte Ent- 
fernung des Sternalendes von der Ebene DD‘, in Fig. 2 dargestellt 
durch A’d, und also bekannt. 

4o Entfernung des Sternalendes 4 von der Medianebene. 

A'p Entfernung des Sternalendes 4° von der Medianebene. 

A'n= A'p— 4Ao die in Folge der Inspiration vergrösserte Ent- 
fernung des Sternalendes von der Medianebene. 

»n' Durchschnitt einer senkrechten Ebene, welche in der bekann- 
ten Entfernung A4o der Medianebene MM‘ parallel läuft. 

ı Kreuzungswinkel der Drehachse = w‘. 

yw= yw!' bekannt als Complement des ya zu 90°. 


Zur Mechanik des Brustkastens. 161 


Offenbar entspricht in dem rechtwinkligen Dreieck A’An die 
anliegende Kathete A» der Vertiefung und die gegenüberliegende 
Kathete A'n der einseitigen Verbreiterung des Thorax. 

Nun ist An = cosin w’.4’A 
und Aa sin 09, AIR. 

Nach dieser ausführlichen Darstellung meines Rechnungs-Verfah- 
rens wird es genügen, die von mir gefundenen Werthe ohne Weiteres 


anzugeben. 
Es fand sich: 
Bewegungsrichtung. Rippe 1. Rippe 4. Rippe %. 
Peshlebungsze #:5.10,03:22 20. mE Dale 
2. Vertiefung . 946 „ a9) <- IKCHSal De 


3. Verbreiterung 5,60 „ I98% 31.24, 
wobei zu bemerken, dass diese Verbreiterung sich auf den ganzen 
thorax bezieht, also = 2 4'n ist. 

Streng fest zu halten ist, dass sich die vorstehenden Werthe nur 
auf die Sternalenden der Rippen beziehen, die ich wegen ihrer leichten 
Bestimmbarkeit und ihrer grossen Bewegungen, vor anderen Rippen- 
punkten glaubte bevorzugen zu müssen. 

Wenn nun schon aus der sichtlich verschiedenen Lage der Dreh- 
achsen entnommen werden konnte, dass die oberen Rippen vorwiegend 
der Erhebung und Vertiefung, die unteren dagegen vorwiegend der 
Verbreiterung des Brustkastens dienen müssten, so entscheidet die 
Rechnung hierüber mit Zahlen. 

Berechnet man die Verhältnisse der drei in Frage gestellten 
Bewegungsrichtungen und setzt die Hebung = 1, so erhält man: 

als relativen Werth. Rippe 1. Rippe 4. Rippe 7. 
der Vertiefung . . 095 0,71 0,68 
der Verbreiterung . 0,56 0,75 1,15 


Setzt man dagegen die Verbreiterung = 1 so erhält man 
als relativen Werth. Rippe 1. Rippe 4. Rippe 7. 
dersHebung 2... 1,18 1,32 0,36 
der Vertiefung . . 1,69 0,94 0,59 


Nur die Bewegungen der knöchernen, also starren Theile der 
Rippe, gestatten Berechnungen, wie die eben vorgelegten. Die mit 
Gestaltveränderungen verbundenen Bewegungen der Knorpel beruhen 
auf so complieirten Bedingungen, dass eine mathematische Begründung 
derselben kaum möglich sein dürfte. 

Schon oben wurde in der Kürze angegeben, dass die Bewegung 


eines Rippenringes um zwei verschieden gelagerte Achsen, gewisse 
Zeitschrift f. Anatomie. Bd. I. 11 


162 VOLKMANN. 


Gestaltveränderungen desselben voraussetze; es wird nun näher zu 
zeigen sein, was jede dieser Achsen zur Gesammtbewegung beitrage, 
und wie der zwischen ihnen bestehende Widerspruch sich auflöse. 

Die Drehachsen verlaufen von hinten nach vorn in der Weise, 
dass sie eine Rippe der entgegengesetzten Körperseite schneiden, aber 
nicht die Rippe desjenigen Brustringes, zu welchem die Achse zunächst 
gehört, sondern eine höher liegende. So streift die Drehachse der 
sechsten rechten Rippe, den unteren Rand der dritten linken Rippe, 
und liest in senkrechter Richtung- 14 ® über der sechsten Rippe der 
linken Körperseite. Der Punkt der linken sechsten Rippe, welcher 
von einer, durch die rechte Drehachse gelegten senkrechten Ebene ge- 
schnitten wird, lag nah am Sternalende, kaum 1 °® rückwärts vom 
Knorpel. 


Fig. 4. 
M 


ill : Ü 
gt 
a 


In wie fern nun von den Drehachsen und ihrer Lage, die Bewe- 
gungen aller der Theile des Brustkastens abhängen, welche in Folge 
ihres solidarischen Zusammenhanges mit der Achse um diese rotiren 
müssen, insofern muss jede der beiden Drehachsen, die Bewegung von 
nahezu ?/, eines Rippenringes bedingen, und muss folglich nahezu die 


Zur Mechanik des Brustkastens. 163 


Hälfte des Brustkastens, nämlich die zwischen den vorderen Durch- 
schnittspunkten der- Achsen (?P und @ in Fig. 4) gelesene, doppelt 
bedingt sein, sowohl von der rechten als von der linken Drehachse. 


Zur näheren Verständigung hierüber diene Fig. 4, in welcher man 
den Wirbel, die Rippen, die Knorpel und das Brustbein, auch ohne 
Buchstaben - Bezeichnung leicht erkennen wird. MJ7' bezeichnet den 
Durchschnitt der Medianebene, Dr die rechte Drehachse, mit ihrem 
vorderen Durchschnittspunkte bei /, und D/ die linke Drehachse, mit 
ihrem vorderen Durchschnittspunkte bei @. Um anschaulich zu 
machen, welche Theile des Rippenringes unter der Herrschaft der 
einen oder der anderen Drehachse stehen, habe ich Normale von der 
Peripherie zu den Achsen gezogen, welche die zu densölben gehörigen 
radii vectores darstellen. 


Anlangend die rechte Achse Dr, so entspricht die Linie «5 dem 
radius vector für den Punkt d, ebenso cd dem radius vector für d, 
eQ für Q, fg für 9, hi für z, %2 für 2. In entsprechender Weise sind 
die radii vectores für die linke Drehachse angegeben, nämlich a’d’ für 
bc. fur -d‘ u. Ss. w. 

Die Figur zeigt, dass die Bewegungen aller Theile des Brust- 
kastens, welche zwischen den vorderen Durchschnittspunkten der Achsen 
(zwischen ? und @) liegen, nicht minder von der linken, als von der 
rechten Drechachse abhängen. 


Man denke sich nun, die linke Rippe würde am Durchschnitts- 
punkte der rechten Drehachse, bei ? durchsägt, so würde nicht nur 
die knöcherne Rippe und der Knorpel der rechten Körperseite, sondern 
auch das Brustbein, der linke Rippenknorpel und das Sternalende der 
linken knöchernen Rippe, in ihrer Rotationsbewegung von der rechten 
Achse abhängen. Analoger Weise aber würde das Brustbein, der rechte 
hippenknorpel und das Sternalende der rechten Rippe, unter dem 
Einflusse der linken Drehachse stehen, wobei sich sofort die Bemerkung 
aufdrängt, dass die, für dieselben Rippenpunkte von zwei verschiedenen 
Achsen geforderten Bewegungen, sich widersprechen. 


Gesetzt nämlich, die Durchsägung der linken Rippe bei P wäre 
ausgeführt, und das Auge eines Beobachters, welcher den Thorax von 
vorn beschaute, befände sich in der Fortsetzung der rechten Drehachse, 
so würde beim Heben der Rippe eine Rotationsbewegung in der Rich- 
tung eines Uhrweisers eintreten. Würde dagegen die rechte Rippe 
bei Q durchsägt, und man experimentirte nach demselben Principe, 
so würde eine Rotationsbewegung von genau entgegengesetzter Richtung, . 
wie beim Rückwärtsstellen eines Uhrweisers eintreten. 

1 


164 VOLKMANN. 


Es fragt sich nun, was aus diesem Widerspruche der Bewegungen 
resultire, oder vielmehr, es fragt sich, ob das, was wir aus einem 
Widerstreite der Bedingungen hervorgehen sehen, auf mechanische 
Gesetze zurückführbar sei. Ich will diese Frage zunächst mit Bezug- 
nahme auf Figur 4 zu beantworten suchen. 

Da die Rotationen der Rippe Bewegungen in der Richtung der 
Höhe, Tiefe und Breite des Brustkastens zu Componenten haben, so 
ist zunächst zu bemerken, dass ein Widerspruch zwischen den Rotations- 
bewegungen um die rechte und linke Drehachse nur in so fern besteht, 
als es sich um Bewegungen in der Richtung der Breite handelt. Die 
rechte Drehachse bedinst eine Lateralbewegung des Rippenringes nach 
rechts, die linke eine solche nach links, dies ist der einzige Wider- 
spruch, auf dessen Lösung es ankommt. 

Wenn zwei Bewegungen sich widersprechen, so ist die Resultante 
derselben die algebraische Summe der Oomponenten. 

Hiernach würden wir für jeden Rippenpunkt, die von der einen 
und von der anderen Drehachse bedingte Lateralbewegung zu consta- 
tiren, und aus der Differenz beider die Resultirende zu berechnen 
haben. Da aber nicht nur die Grösse der von der Rippe vollzogenen 
Rotationsbewegung im Ganzen, sondern auch die Grösse der vorer- 
wähnten drei Componenten im Einzelnen, der Grösse des bezüglichen 
radius vector proportional ist, so ist es einfacher mit den Grössen 
dieser zu rechnen, wenn man das Gesetz der resultirenden Bewegungen 
zu ermitteln beabsichtigt. 

Fig. 4 lehrt nun erstens, dass jeder Rippenpunkt zwischen ? und 
Q zwei radii vectores besitzt, und zweitens, dass von P nach Q hin 
die radii veetores der rechten Drehachse wachsen, und umgekehrt, die 
der linken abnehmen. Im Punkte z, in der Mittellinie des Brustbeins, 
sind die Radien beider Achsen 47 und 4‘: von gleicher Grösse, folg- 
lich sind die von beiden Achsen bedingten und sich widersprechenden 
Lateralbewegungen auch gleich gross, heben sich gegenseitig auf, und 
belassen das Brustbein in der Medianebene, in welcher es seine Bewe- 
gungen nach oben und vorn ausführt. ! 

Im Durchschnittspunkte © der linken Drehachse ist dagegen der 
radius vector eben dieser Achse gleich Null, während der radius veetor 
der rechten Drehachse annäherungsweise seinen höchsten Werth erreicht, 
woraus sich ergiebt, dass die von der rechten Drehachse geforderte 
Lateralbewegung nach rechts hier in vollem Masse wirksam ist. In 
dem Punkte y-.der rechten Körperseite ist der radius vector der rechten 
Achse ‚fg viel grösser, als 49 der linken, und prävalirt also die La- 
teralbewegung nach rechts, währerd in dem correspondirenden Punkte 


Zur Mechanik des Brustkastens. 165 


/, der linken Körperseite, der Radius #2 der rechten Achse viel kleiner 
ist, als der Radius // der linken Achse, aus welchem Grunde an diesem 
Punkte die Lateralbewegung nach links das Uebergewicht haben muss. 

Freilich ist die Figur, auf welche die vorstehende Betrachtung 
sich stützt, nur eine schematische, und gestattet keine mathematische 
Beweisführung, da die radii vectores keine bestimmten Werthe haben. 
Um Solche zu beschaffen, habe ich eine Reihe von Beobachtungen 
angestellt, welche im Nachstehenden vorgelegt werden soll. 

Der bis auf die Bänder rein präparirte sechste Rippenring, wurde 
auf einem Holzklotze so angenagelt, dass Wirbel und Rippen sich 
anscheinend in der natürlichen Lage eines aufrecht stehenden Men- 
schen befanden. Auf der oberen Fläche des Wirbelkörpers war eine 
in Centimeter getheilte, schmale und dünne Leiste so befestigt, dass 
ihre Lage der Drehachse entsprach. Die Leiste lag nämlich in einer 
Horizontalebene, und ihre vordere, scharfe Kante in der Richtung 
des Rippenhalses. Der Nullpunkt des Massstabes war da angebracht, 
wo in Fig. 4, an der rechten Achse, der Buchstabe a steht, das will 
sagen so, dass eine von dem Nullpunkte rechtwinklig abgehende Linie, 
den äusseren Rand der Rippe streifte (bei 4 in Fig. 4). Die eben 
erwähnte Leiste diente nun als Abscissenachse für die als Ordinaten 
auf derselben aufzuführenden radii vectores. Es wurde von Öentimeter 
zu Centimeter an dieser Abseissenachse rechtwinklig. ein Massstab 
angelegt, welcher den Abstand des oberen scharfen Randes der Rippe 
von der Drehachse und somit die Grösse der radii vectores bestimmte. 
Am Brustbeine wurde auf dessen Innenfläche, von dem Insertionspunkte 
des einen Rippenknorpels bis zum anderen eine Bleistiftlinie gezogen, 
und dadurch ein Anhalt für die Messung der radii vectores hergestellt. 
Die Resultate der Messung sind in der nachstehenden Tabelle ange- 
geben. 


Tabelle 


über die Längen der radii vectores, welche zu den ver- 
schiedenen Punkten des sechsten Rippenringes gehören. 


Angabe Länge 
der rechten der als Ordinaten behandelten Lage 
Drehachse aufgetra- 2 BER: des Rippenpunktes. 
genen Abscissen. absolute Grösse relative Grösse. 
or Ole 1 angulus costae. 
1, 13,4 „, 3,62 naha. Scheitel d.Rippe. 
2 15,0% 4,05 


3 Rh} 16,2 „ 4,38 


166 VOLKMANN. 


Länge 
der als Ordinaten behandelten Lage 
radıı vectores 


Angabe 
der auf der rechten 
Drehachse aufgetra- us) des Rippenpunktes. 
genen Abscissen. absolute Grösse relative Grösse. 


A Hal ANn 4,70 

RD: Lee 5,05 

DR LOSE 5,35 

Tee 2039, 5,49 

SUN 240; 5,67 

ges ZUR De., 5,81 

IOERRE, 22.0, 5,94 
el = 2202,, 5,94 Sternalende der 6. Rippe rechts. 
KOySE DD 6,00 

on, 220, 5,94 
1414 20 5,67 Rippenknorpel 
157; 20,0 „ 5,41 der rechten Seite. 
16205; Lsro® 5,05 

Me Bu) 2ER 4,70 

en Ri ; . Brustbein. 
20.6, IS DNS 
ale 14,3 „ 3,36 
22; 14,6 „ 3,94 Rippenknorpel 
Dar; 15.08 4,05 der linken Seite. 
DAR; DD. 4,19 
2 E:, [4:50 4,03 
25,5 „ 1407, 3,178 nah am Sternalende 


der 6. Rippe links, 


Dass im letzten Falle der radius vector- von. 14°® Länge eine 
senkrechte Lage haben muss, ergiebt sich schon ‘aus dem Zusammen- 
hange des Vorhergehenden, ist indess S. 162 ausdrücklich bemerkt 
worden. 


Unter der vollkommen zulässigen Voraussetzung, dass in einem 
normal gebauten Körper die sich correspondirenden radii veetores der 
rechten und linken Körperseite von gleicher Grösse sind, kann man 
aus vorstehender Tabelle die radii vectores entnehmen, welche, obschon 
von der rechten und von der linken Drehachse ausgehend, sich doch 
zu einem und demselben Punkte des Rippenringes begeben. Ich be- 
zeichne die Rippenpunkte, für welche die Grösse der beiden entgegen- 
gesetzten Radien bestimmt werden soll, mit den Zahlen 1, 2, 3 u. Ss. w., 


“ 


Zur Mechanik des Brustkastens. 167 


womit gemeint ist, dass eine Normale, welche von einem dieser Punkte 
auf die rechte Drehachse geführt wird, die Ordinate zu einer nu- 
merisch entsprechenden Abscisse, nämlich zu 1, 2, 3 ete. abgiebt. 


Tabelle. 


Grössenbestimmung der radii vectores, durch welche 
sewisse Punkte des sechsten Rippenringes, einerseits mit 
der rechten, andererseits mit der linken Drehachse in 
Verbindung stehen. 


Grösse der radıı vectores 


Angabe 


5 Differenz. 

des Rippenpunktes. zurrechten Drehachse zur linken Drehachse. 

11 (Sternalende rechts) 22,0 14,0” 80 
12 DD 14,9 „ 1.925 
15 22.0 15:55, 6:9, 
14 21,05 150% 6,0 „ 
15 20,0.,, 14,6 ,; Hd, 
16 NS. 148.,; 4,4 „ 
17 17.2 INaktern 34, 
18 14,5 „ ia IR27% 
18,5 (interpolirter Fall) 19.9, 18:92, 007, 

Mitte des Brustbeins. - 

19° 19,92% 4.9 — 12, 
20 13,8, Nr — 9,4 ,„ 
21 143, 18:7 ,; le 
22 14,6 „, 20,0 , — 5,4 „ 
23 130% 21:02, — 6,0 „ 
24 15,5 „ 320, ae 
25 N 14:97, DE — 13. 
25,9 (Sternalende links) 14,0 „ 22,0 „ —80,.- 


Die Columne der Differenzen stellt das Gesetz dar, nach welchem 
aus dem Widerstreite entgegengesetzter Rotationen, die Lateralbe- 
wegungen der kippen resultiren. Der Einfluss einer Drehachse, auf 
die nach ihrer Seite gerichtete Lateralbewegung, nimmt nämlich 
nach der Medianebene hinwärts, durch die Gegenwirkung der anderen 
Drehachse, stetig ab, gleicht sich in der Medianebene selbst mit dieser 
Gegenwirkung derartig aus, dass im Brustbeine jede Lateralbewegung 
aufhört, und geht jenseits der Medianebene in negative Werthe über, 
die abwärts von hieraus stetig wachsen. Dieses Anwachsen der nega- 


168 VOLKMANN. 


tiven Werthe, entspricht dem überwiegenden und zunehmenden Einflusse 
der gegenseitigen Achse, welche eine Lateralbewegung von entgegen- 
gesetzter Richtung fordert und nach Massgabe ihrer Präponderanz zu 
Stande bringt. 


Die vorstehenden Untersuchungen über die Kreuzung und Länge 
der radii vectores, werden, wie ich hoffe, einen brauchbaren Beitrag 
zum Verständniss der Lateralbewegungen des Thorax liefern, aber frei- 
lich ist die Lateralbewegung nur die eine Componente der Athembe- 
wegungen, und bleibt also noch die Frage übrig, wie resultiren aus 
den entgegengesetzten Achsendrehungen, die Bewegungen in der Rich- 
tung der Höhe und Tiefe. 


Zur Beantwortung dieser Frage scheint es angemessen, sich zu- 
nächst an das Brustbein zu halten, welches, weil es an den Lateral- 
bewegungen nicht Theil nimmt, die Vorgänge, um deren Erklärung 
es sich noch handelt, ganz rein darstellt. 


Fig. 5. 


M’ 


Dass zwischen den Bewegungen des Brustbeines und der Sternal- 
enden der knöchernen Rippen ein Causalnexus bestehe, kann nicht 


Zur Mechanik des Brustkastens. 169 


bezweifelt werden. Mag immerhin eine von den Intercostalmuskeln 
bewirkte Bewegung des Brustbeines von den Rippen unabhängig sein, 
so muss doch die Bewegung dieser, auf die ihnen anhaftenden Knorpel 
und im weiteren Fortgange, auf das Brustbein übertragen werden. Nun 
handelt es sich aber gerade um diese übertragene Bewegung. Die 
Sternalenden der Rippen rotiren nämlich in entgegengesetztem Sinne, 
und die Frage, die gegenwärtig vorliegt, ist eben die, was aus diesen 
entgegengesetzten Bewegungen, und wie es resultire. 


Ich glaube nachweisen zu können, dass die Beantwortung dieser 
Frage sich aus den Prineipien einer einfachen Geradführung ergebe. 


Es sei in Fig. 5 MM' die Senkrechte, in welche die Bewegung 
zweier Räder übertragen wird, welche in der Figur durch die beiden 
Kreise dargestellt sind. Beide Räder drehen sich mit gleicher Ge- 
schwindigkeit, aber in entgegengesetzter Richtung, wie dies die neben 
den Rädern verzeichneten Pfeile andeuten. 


An jedem Rade ist, mittels eines Kurbelzapfens, eine nach oben 
gerichtete Stange a2 und c/ angebracht. Sie sind Beide von gleicher 
Länge, convergiren gegen einander, und sind bei /, im Verlaufe der 
Senkrechten, durch ein Charnier verbunden. Diese Stangen haben die 
Bedeutungen von Leitstangen, welche einen bei / befindlichen Gegen- 
stand, in der Richtung der Senkrechten, abwechselnd heben und senken 
sollen. 


Wenn sich die beiden Räder in entgegengesetzter Richtung um 
90° drehen, so kommt der Punkt a des linken Rades nach e, der 
Punkt ce des rechten Rades nach ‚f zu liegen, und nehmen die beiden 
Leitstangen die Lage em und fm an. Dabei erhebt sich der Punkt 
} in senkrechter Richtung auf », während die Radpunkte z und e, 
welche diese Hebung verursachen, sich in senkrechter Richtung um 
gr, also viel mehr erheben‘). 


Würden sich dagegen die Räder um 180° drehen, so würden die 
Leitstangen die Lage 42 und d» annehmen. Der Punkt Z müsste 
sich dann auf z erheben, und /» wäre =gs, d. h. der zu bewegende 
Punkt Z, erhöbe sich in senkrechter Richtung um ebensoviel, als die 
Punkte a und c, von welchen die Bewegung ausgeht. 


l) Zur Bestimmung der senkrechten Erhebung, sowohl des Punktes /, als 
des Radpunktes, an welchem die Leitstange befestigt ist, lässt sich am bequem- 
sten. die Senkrechte MM’ selbst benutzen. Man braucht nur von den Rad- 
punkten aus Normale auf Letztere zu ziehn, wie ag, er, so hat man in gr die 
Grösse der Erhebung, welche mit der von Zm sofort vergleichbar ist. 


170 VOLKMANN. 


Der Grund, warum sich bei einer Bewegung von 90° oder weniger, 
das obere Ende der Leitstange (2) in geringerem Masse erhebt, als das 
mit dem Rade verbundene untere Ende (a und ce) liest offenbar darin, 
dass letzteres nicht blos gehoben, sondern auch seitlich, von der Senk- 
rechten wegwärts, geführt wird, und dass die Bewegung in senkrechter 
Richtung durch die Seitenbewegung einen Abbruch erleidet. Zur 
mechanischen Vermittelung dieser Abhängigkeit der Höhenbewegung 
von der Seitenbewegung, dient aber die Leitstange mit ihrer unver- 
änderlichen Grösse. 

Wenn, in Folge der Raddrehung, der Punkt a nach e rückt, so 
verwandelt sich das rechtwinklige A a/y, in das rechtwinklige emr, 
in welchen beiden die sich selbst gleiche Leitstange, a! = em, die 
Hypothenuse bildet. Betrachten wir die Abstände des Fusspunktes 
der Leitstange von der Senkrechten, also ag und er, als die anliegen- 
den Katheten, dagegen die Höhen g/ und vr» als die gegenüber liegen- 
den, so ist klar, dass die durch Lateralbewegung bewirkte Vergrösse- 
rung der anliegenden eine Verkleinerung der gegenüber liegenden 
bedinge.e Nun ist aber die grössere Höhe gl=rl-+gr, und die 
kleinere Höhe rm = rl + !m, folglich ist qr >, d. h. die Erhebung 
im Fusspunkte der Führungsstange grösser, als die Erhebung an 
deren oberem Ende. 

Hier haben wir nun den Umsatz zweier entgegengesetzten, bogen- 
förmigen Bewegungen in eine gerade und senkrechte, also eben das, 
was wir zum Verständniss der resultirenden Bewegung des Brustbeines 
brauchen. Die Analogie zwischen unserer mechanischen Geradführung 
und den Verhältnissen des Brustkastens, in seinem vorderen Abschnitte, 
ist unverkennbar. 

Die Sternalenden der Rippen, welche um die Drehachse rotiren, 
entsprechen den Punkten z und e der Räder, die Rippenknorpel ent- 
sprechen den Leitstangen, der Durchschnitt der Medianebene entspricht 
der Senkrechten MM‘, und das Brustbein dem Punkte Z}). | 


!) Die Angabe, dass die Sternalenden der Rippen den Punkten a und e 
der Räder entsprechen, sollte nur zur ersten Orientirung dienen, und ist nicht 
buchstäblich zu nehmen. Man theile den Kreis, in welchem die Rippe um ihre 
Achse rotirt, in vier Quadranten, und bezeichne den abseits der Medianebene 
und unter der horizontalen Drehachse gelegenen Quadranten als den ersten 
(in Fig. 5 die Quadranten A und 4°), so muss das Sternalende der Rippe, da 
der Neigungswinkel derselben ungefähr 450 beträgt, während der Exspiration 
im ersten Quadranten liegen, und muss, da die Drehung der Rippe sich auf 
ungefähr 100 beschränkt, auch während der Inspiration in demselben verbleiben. 
Man übersehe nicht, dass bei Verwerthung der in Fig. 5 dargestellten Mechanik, 
zur Erklärung der Athembewegungen, dies von wesentlichem Belang ist. 


Zur Mechanik des Brustkastens. ikral 


Um jeden Zweifel zu beseitigen, dass die senkrechte Erhebung 
des Brustbeines nach dem Principe der Geradführung erfolge, habe ich 
an die Ausführung eines entscheidenden Versuches gedacht, Nach der 
früheren Ansicht, welche die Bewegung der kippenringe aus frontal 
liegenden Drehachsen ableitete, müsste das Brustbein unter allen 
Theilen des Thorax die grössten Rotationsbewegungen machen, weil 
weder die Sternalenden der knöchernen Rippen, noch auch die Rippen- 
-knorpel so grosse radii vectores haben würden, als das am weitesten 
nach vorn gelegene Brustbein. Dagegen verlangt die in Fig. 5 dar- 
gestellte Mechanik, dass die senkrechte Erhebung des Brustbeines 
merklich kleiner sei, als die der Sternalenden der knöchernen Rippen. 

Wir haben nämlich den Punkt / in Fig 5 mit dem Brustbeine, 
die Punkte « und ce aber mit den Sternalenden der Rippen verglichen, 
und haben erwiesen, dass bei einer Rotation von weniger als 90° der 
Punkt /, welcher gehoben wird, nicht so hoch steigen kann, als die 
rotirenden Punkte « und c, welche die Hebung veranlassen. Ob nun 
den Ansprüchen der Mechanik genügt werde, hat der Versuch zu 
entscheiden. 

Zur Anstellung eines solchen benutzte ich wieder eine Leiche, 
welche in derselben Weise präparirt und aufgestellt war, wie die in 
dem oben beschrieben Versuche (S. 149) zur Ermittelung der Lage der 
Drehachsen. Auch die künstliche Respiration wurde in derselben 
Weise ausgeführt, wie a. a. OÖ. angegeben. Ausdrücklich mag bemerkt 
werden, dass das Einblasen von Luft in die Lungen, welches die Er- 
weiterung und Hebung des Brustkastens bewirkte, immer mit der 
grösst möglichen Kraft ausgeführt wurde. 

Am Sternalende der siebenten Rippe und am untern Ende des 
Brustbeinkörpers, war eine horizontale schwarze Linie eingerissen, 
welche bei Beobachtung des Aufsteigens als Merkmal diente. Zum 
Messen der Hubhöhe diente folgendes Instrument. An einer senkrecht 
stehenden Latte war mittels eines Schiebers ein horizontaler Arm 
angebracht, welcher in eine feine Metallspitze auslief, und also in senk- 
rechter Richtung beliebig verschoben werden konnte. Die aufrecht 
stehende Latte war mit einem Massstabe versehen, und liess sich daher 
die. Grösse der Verschiebung bis auf 0,5 Mm. ablesen. Nun wurde 
die Grösse der Verschiebung gemessen, welche sich ergab, wenn die 
Metallspitze einmal während der Exspiration, und das zweite Mal bei 
der Inspiration, auf den als Merkmal dienenden, horizontalen Strich 
einspielte. Das Resultat der Versuche war folgendes: 


17% VOoLKMANNn. Zur Mechanik des Brustkastens.- 


Mass der Hebungen. 


Versuch. m Differenz. 
7. Rippe. Brustbein. > 
1 20 mm 15 mm 2,0 mm 
2 20,5 „ ID 4 DD 5% 
3 2108 a TROEN 
4 220% 16 6,0 „, 
5 30 16 DO 
6 20,0 „ Ta 6.0 
7 U 5 14 „, A 
Summa 142 mm 107 mm 3,5 um 
Mittel 20 „ 15 5 


Die Hebung des Brustbeines ist also in Uebereinstimmung mit 
der Theorie kleiner, als die der Rippen. Dass der Unterschied ziem- 
lich gering ausfällt, kann bei der Art, wie die Geradführung im Brust- 
kasten ausgeführt ist, nicht befremden, und erklärt sich zum Theil 
schon daraus, dass die gekrümmten Rippenknorpel, welche die Leit- 
stangen vertreten, bei der Inspiration sich strecken und etwas ver- 
längern. 

Versuche, die ich allerdings nur an einem Modelle ausgeführt 
habe, zeigen, dass auch die Bewegung des Brustkastens nach vorn, 
beträchtlich hinter dem Vorstoss der Sternalenden zurückbleibt, und 
es würde sich beweisen lassen, dass auch dieser Unterschied der Be- 
wegung aus dem Principe der Geradführung begreiflich ist. Ich ver- 
zichte indess auf diesen Beweis näher einzugehen, da ich fürchte, dass 
die umfänglichen Erörterungen, die er beansprucht, den Leser mehr 
ermüden als fördern würden. 


Beiträge zur Myologte. 


(Conjugatio musculorum. — Ueber Muskelvarietäten. — M. tibialis anti- 
cus, M. extensor carpı rad. longus, Mm. interossei manus et pedis. — 
Platysma myoides.) 


Von 


Hermann Welcker in Halle. 


I. Conjugatio musculorum. 


Begriff. — I. Muskelvarietäten, auf conjugatio beruhend. — II. Conjugatio 
musculorum im Kreise der normalen Bildung. 


Läuft neben einem Muskel, der zwischen den Punkten « und 5 des 
Skeletes ausgespannt ist, ein zweiter, dem vorigen nach Lage und Wir- 
kung verwandter Muskel cd (vel. Fig. 1), so ist es 
eine in manniefacher Weise sich wiederholende An- Fie. 
ordnung, dass von dem Bauche des erstgenannten Mus- 
kels eine Anzahl Fasern sich loslöst, um sich oder ihre 
Sehne der Sehne des zweiten Muskels zuzugesellen. Der 
hierdurch entstandene Zwischenmuskel ad, welcher 
seinen Ursprung mit dem ersterwähnten, seine In- 
sertion mit dem zweiten Muskel gemeinsam hat, wird 
in der gebräuchlichen Terminologie bald als ein be- 
sonderer Muskel aufgeführt, bald als ein zweiter Kopf 
zu dem einen oder dem anderen der erstgenannten 
Muskeln geschlagen. Es ist klar, dass der Zwischen- 
muskel, als socius des einen wie des andern, die Wir- a2 una ca, zwei Mus- 
kung beider verstärkt und stetiger macht und, falls *eln, verbunden dureh 

einen Zwischenmuskel 
der eine derselben ohne den andern thätie ist, dessen ad. 
Wirkung in bestimmter Weise modificirt. 

Auf diesem Structurverhältniss, welches ich als „conjugatio muscu- 

lorum“ bezeichnen möchte, beruhen zahlreiche z. Th. complieirte Bil- 


174 WELCKER. 


dungen im Gebiete der Myologie, und dieselben werden sofort verständ- 
‚lich und übersichtlich, wenn man sie unter diesem Gesichtspunkte auf- 
fasst. Zugleich beruht eine grosse Zahl der Muskelvarietäten — ein 
Gebiet welches, rein casuistisch behandelt, dem wissenschaftlichen Inte- 
resse sich grösstentheils entzieht — einfach auf conjugatio musculorum, 
und wir kennen somit für eine grössere Zahl von Einzelfällen das 
gemeinsame Bildungsprinzip eines sonst regellos erscheinenden Natur- 
spiels. !) 

Die Gestalt der-durch conjugatio entstehenden Muskeleomplexe gleicht 
sehr gewöhnlich einem N oder einer ähnlichen Figur: A: da jedoch 


die verbundenen Muskeln keineswegs immer parallel laufen, ihre Ver- 
wandtschaft auch nicht immer die allernächste ist und auch ausserdem 
mancherlei complieirende Verhältnisse sich geltend machen, so ist das 
äussere Bild der Mm. conjugati bei an sich gleichem Wesen ein immer- 
hin wechselnde. Der Umstand aber, dass conjugatio im Gebiete der 
Muskelvarietäten so ausserordentlich häufig ist, sodass einzelne auf con- 
Jugatio beruhende Formen nahezu als normale Bildungen erscheinen, be- 
rechtigt uns, diejenigen normalen Muskelverknüpfungen, welche ihrem 
Habitus nach jenen Varietäten gleich sind, als auf eben demselben Bil- 
dungsprinzip beruhend aufzufassen. Nach allem diesem darf ich hoffen, 
dass die hier versuchte Zusammenfassung äusserlich ziemlich verschiedener 
Gestaltungen innerhalb der normalen und teratologischen Entwicklung 
unter Einen morphologischen Begriff, zumal für die vergleichend-anato- 
mische Discussion nicht ganz ohne Nutzen sein werde. ?) 


!) Auch bei den Bändern begeenen uns Fälle, in welchen, ähnlich wie in 
der Technik, neben der Länge nach angebrachten Schnüren gleichzeitig diago- 
nale oder kreuzende Richtungen gewählt werden und somit das Prinzip der Con- 
jugation zu Tage tritt. So liegt das lig. ileofemorale anterius schräg zwischen 
lig. ileofem. superius und pubofemorale, in seinen beiden Insertionen mit je einem 
der beiden letzteren Bänder verschmolzen (s. in dieser Zeitschrift 8. 44, Fig. 1). 

?) Eine verwandte Betrachtung findet sich bei FE. Scuurze in einer der 
vergl. Anatom. der Fusszehenbeuger gewidmeten Abhandlung (Zeitschr. f. wissen- 
schaftl. Zool. Bd. XVII, 1. 1866). „Wo im Wirbelthierkörper“, so heisst es dort, 
„vielgliedrige Systeme von zueinander beweglichen festen Theilen wie ein Gan- 
zes oder in gleichem Sinne bewegt werden sollen, findet sich als einfaches Mittel 
häufig eine Verbindung der zu diesen einzelnen Theilen hinführenden Muskeln, 
sei es in ihren Bäuchen, wie bei den Mm. serrati, den langen Rückenstreckern 
ete., sei es in ihren Sehnen, benutzt.“ Dass hier indess die Sache anders ge- 
fasst, und der Begriff der „conjugatio“ nicht gegeben, vielmehr von Muskelver- 
knüpfungen in weiterem Sinne die Rede ist, zeigt die Anführung der Mm. ser- 
rati, deren ihrer ganzen Länge nach miteinander verknüpfte Zacken dem 
Begriffe der conjugatio nicht unterfallen. 


Beiträge zur Myologie, 175 


I. Betrachten wir, indem ich mich auf eine kleine Auswahl aus der 
Reihe der von mir beobachteten und im Präparate conservirten Fälle be- 
schränke, zunächst einige Muskelvarietäten, die unserer Form zu- 
gehören. 

Ein typischer Fall der conjugatio ist die Verdopplung der Sehnen der 
Mm. extensor carpi radialis longus und brevis. Bald ist es der 
brevis, von dessen Bauche sich ein Muskelbündel loslöst, um eine Sehne, 
meist erheblich schwächer als die normale, zur Sehne des longus zu sen- 


Fig. 2. 


M. carpi radialis longus (2) und brevis (b), in verschiedenen Formen der Conjugatio, 


den (Fig. 2, A), bald geschieht der Austausch umgekehrt vom longus zum 
brevis hin (Fig. 2, 5). Die Verschmelzung der Doppelsehnen ist bald 
sehr nahe am Metacarpus, bald weiter oben. 


Diese so häufig vorkommende Varietät !) ist, näher betrachtet, nicht ohne 
interessante Besonderheiten, welche möglicherweise Licht werfen auf gewisse 
allgemeine Verhältnisse der ersten Entwieklung der Muskulatur. Fast durch- 


I) Beide Arten derselben erwähnt Hexte (Muskellehre 1. Aufl., 201 und 203). 


176 WELCKER, 


gehends beobachtete ich, dass das conjungirende Bündel von der abgewendeten 
Seite her (also auf einem Umwege — vgl. Fig. 2 A und B) zu dem Nebenmuskel 
hintritt. Das vom brevis sich loslösende Bündel schiebt seine Sehne wie es 
scheint constant über der Hauptsehne dieses Muskels hinweg zum longus (Fig. A); 
umgekehrt lässt das vom longus wegtretende Bündel seine Sehne unter der 
Hauptsehne durchschlüpfen (2, Fig. 2). Mehrmals beobachtete ich wechselseitigen 
Umtausch (Fig. 2, ©) — also den Fall A und B an einem und demselben Arme 
— ein Bau, welcher frappant an die Anordnung der Zügel eines Pferdegespannes 
erinnert !). Es tritt diese Varietät in mehrfachen Modificationen auf; immer 
aber fand ich beide zum Mittelfinger gehende Sehnen gedeckt von den zum 
index gehenden Selmen, so dass alle dem Zeigefinger angehörigen 
Fleisch- und Sehnenfasern (wie die’in der Fig. eingezeichneten Nadeln 
zeigen) eine hohe Lage, allezum Mittelfingertretenden Fasern eine 
tiefe Lage haben. In einem Falle sah ich die conjungirenden Sehnen wie- 
derum unter sich durch Fasern zweiten Ranges verbunden. 


Ausserordentlich häufig findet 
sich unsere Verknüpfung zwischen 
m. brachialis internus und dem 
medialen Rande des biceps brachii 
— sie ist die häufieste Veran- 
lassung des „dreiköpfigen biceps“. 
Das fragliche Zwischenbündel löst 
sich von erstgenanntem Muskel oft 
so unmerklich ab und mischt sich 
dem Endtheile des biceps so innig 
zu, dass dasselbe vom brachialis aus 
sich ein gutes Stück weit wie zu 
diesem gehörig, vom biceps auf- 
wärts wie zu letzterem gehörig, prä- 
pariren lässt. 2). 

Als eine gleichfalls sehr gewöhnliche Varietät spaltet sich vom teres 
major ein zur Latissimus-Sehne gehendes Bündel ab, so dass der breite 
Rückenmuskel seinen lateralen, von den Rippen kommenden Zuschüssen 
einen von der scapula kommenden hinzugesellt (Fig. 3). Die physiologische 
Verwandtschaft beider Muskeln wird durch diese Variation bekräftigt. 


Latissimus dorsi und teres major, durch ein 
Zwischenbündel verknüpft. 


1) Es ist wohl derselbe Fall, den HEntE (a. a. ©. 203) mittheilt: „An einem 
Arme, in welchem der M. extensor rad. longus dem 2. und 3. Mittelhandknochen 
Sehnen gab, sah Brramann (handschr. Notiz) auch den rad. ext. brevis in zwei 
Sehnen enden, ebenfalls zum 2. und 3. Mittelhandknochen“. 

2) Unhaltbar scheint mir die Annahme Mrcxers (Handb. d. Anat. II, 503), 
nach welcher dieser dritte Bicepskopf „eine Wiederholung des am Öber- 
schenkel normalen kleinen Kopfes des zweiköpfigen Beugers ist,“ 
durch dessen zuweilen vorkommenden „Zusammenfluss“ mit dem coracobrachialis 
die Zahl der langen Beuger des Vorderarmes der Zahl derselben Muskeln des 


Beiträge zur Myolosgie. 177 


Eine sehr zierliche Form von Conjugatio (vgl. Fig. 4) beobachtete ich 
an dem Hinterhaupte eines Mannes, dessen Mm. recti capitis poste- 
riores sich gegenseitig austauschten. Auf der rechten Seite verhielten 
sich beide Muskeln normal, während linkerseits der rectus major ein con- 
jungirendes (mediales) Bündel (etwa ?/, seiner Muskelfasern) auf die Schä- 
delinsertion des minor wirft und um- 
gekehrt der minor ein laterales Bün- 
del unter die Insertion des major 
schiebt. 

In einem anderen Falle löste sich 
der obere Rand des M. obliquus 
cap. inferior ab und ging, unter dem 
obl. superior durchtretend, als con- 
jungirendes Bündel an den Hinterrand 
des rectus cap. lateralis, mit diesem 
gemeinsam am processus jugularis 
inserirend. 

Ausserordentlich häufig sind ver- 
schiedene Formen der conjugatio bei 
den Rückenmuskeln, sowie ganz 
besonders bei den vielköpfisen Muskeln des Vorderarmes und des 
Untersehenkels. Hervorzuheben ist eine Verknüpfung zwischen der 
Sehne des flexor pollicis long. und der Zeigefingersehne des flexor 
dig. comm. profundus, die an der oberen Extremität denselben 
Zustand in Form einer Muskelvarietät erzeugt, der an der Unter- 
extremität (sehnige Verbindung zwischen flexor hallueis long. und dig. 
comm. pedis long.) die Regel ist.!) Sehr gewöhnlich tritt von der Anhef- 
tungsstelle der Sehne des peroneus tertius ein conjungirender Sehnenstreifen 
zur 4. Sehne des extensor dig. comm. longus; sehr gewöhnlich lässt der 
peroneus longus einen Theil seiner Sehnenfasern in den langen Kopf des 
adductor hallueis einfliessen. Der „M. extensor die. comm. manus ano- 
malus mit 5 Sehnen“ zu allen Fingern und des M. extensor dig. long. pedis 
anomalus mit 5 Sehnen, die GRUBER beschreibt (REICHERT’s Arch. 1875, 


Gegenseitige Conjugation des recetus capitis 
postiecus major und minor. 


Unterschenkels gleichgesetzt werde. Dagegen zeigen nachfolgende Schilderungen 
späterer Forscher, dass gerade bei dieser Muskelvarietät die Idee der conjugatio 
auch anderen Autoren sich aufgedrängt hat: „Am gewöhnlichsten kommt (beim 
biceps) ein supernumerärer Kopf vor, welcher sich als abgelöste, gleichsam dem 
biceps assimilirte Portion des brachialis internus darstellt“ — (Luschka, Anat. 
d.M. III, 1. 164); ferner: „der überzählige Kopf ist ein vom brachialis internus 
losgerissenes und dem biceps attachirtes Muskelbündel“ (Hyrrr, topogr. An. II, 353). 

1) Erwähnt von F. E. Schuzze a. a. ©. p. 20 und abgebildet ebenda, 
Taf. 1, Fig. 5. 

Zeitschrift f. Anatomie. Bd. I. 12 


178 


WELCKER. 


p- 204), beruhen auf conjungirenden Zwischensehnen zwischen dem gemein- 
samen Strecker und dem extensor pollicis (resp. hallueis) longus. 
Aber auch zwischen weniger geleichartigen und zwischen einander 


weniger nahe verwandten Muskeln findet sich conju- 
eatio nicht allzuselten, und es gewinnt in diesem 
Falle das conjungirende Bündel oftmals das. Ansehen 
einer verirrten oder verworfenen Portion des einen der 
beiden Muskeln. Drei Fälle seien erwähnt: 


Zwischen dem vorderen Bauche des digastri- 


cus und dem mylohyoideus findet man conju- 


gatio nicht selten in der Art, dass von ersterem 
M. digastrieus und mylohyoi- eine Anzahl Muskelfasern sich medianwärts zur 
da mi versenden Zwi- raphe schlägt (Fig. 3). 


sehenbündel. 


In mehreren Fällen fand cn und zwar auf 


beiden Seiten des Thorax, einen rundlichen Muskel, welcher, vom Rippen- 
ursprunge des subclavius sich ablösend, nach dem Scapularende des 


Zwischennmiuskel zwischen sub- 
clavius und peetoralis minor. 


Zwischenmuskel zwischen 
flexor pollieis brevis und 
lumbriealis I. 


pectoralis minor hinübertrat und mit die- 
sem verschmelzend am proc. coracoideus inse- 
rirte (Fig 6). Der Muskel, welcher bei Be- 
sinn der Präparation den Eindruck eines am 
proc. coracoideus inserirenden subelavius 
machte, hatte die halbe Dicke eines subclavius und 
lag mit diesem innerhalb der fascia coracoidea, 
welche indess nach dem pectoralis hin so dünn war, 
dass sie dem Ende des Zwischenmuskels kein Hin- 
derniss bot, sich mit der Sehne des pectoralis 
zu vereinigen )). 

Eine eigenthümliche Form der conjugatio 
beobachtete ich bei einer weiblichen Leiche, bei 
welcher zugleich an beiden Armen der brachialis 
internus mit dem biceps, der extensor carpi ra- 
dialis longus mit dem brevis durch conjugatio ver- 
bunden ist. Es findet sich hier, an beiden Hän- 
den, ein von der Insertionspartie des äusseren 
Kopfes des flexor pollieis brevis sich abzwei- 
gendes, zur Sehne des lumbricalis I übertretendes 
und mit ihr verschmelzendes Muskelbündel 
(Fig. 7), welches 4 Millim. dick ist, den habitus 
eines lumbricalis zeigt und bogenförmig inner- 


!) Variationen des subelavius, nach Angaben von HALLER, BOEHMER und 
ROoSENMÜLLER, die sich alle mehr oder weniger auf diese durch Conjugation be- 


Beiträge zur Myologie. 179 


halb der zwischen Daumen und Zeigefinger ausgespannten Hautfalte 
verläuft. 

I. Verfolgen wir nun innerhalb des normalen Vorkommens 
diejenigen Muskeln, welche nach dem Prineip der conjugatio gebildet 
sind. Es begegnen uns hier zunächst die zweiköpfigen Beuger beider 
Extremitäten, deren nähere Betrachtung nieht uninteressante Ergebnisse 
bietet. 

Am ÖOberarme sind der glenoradialis (Fig. Sa) und der coraco- 
brachialis (d) durch den Zwischenmuskel z (coracoradialis s. caput breve 
bieipitis) verbunden. Am Öberschen- 
kel findet sich zwischen dem caput 
breve bieipitis (@)) und dem semi- 
tendinosus (3) der Zwischenmuskel z’ 
— hier caput longum bieipitis ge- 
nannt. Dass die einzelnen Abschnitte 
dieser Muskelcomplexe beider Extre- 
mitäten in dieser Weise einander 
homolog sind — also: (db, 2) 
coracobrachialis=semitendinosus; (a, 
a) cap. longum bieip. brachi = 
cap. breve bieip. femoris; homolog 
ferner die beiden conjungirenden 
Stränge: cap. breve des oberen und 
lonsum des unteren biceps (z 2’ der 
Fig. 8), — dies werde ich an einer 
andern Stelle näher zu begründen 
suchen; was ich hier nachweisen 
möchte, ist zunächst dies, dass bei 
beiden Beugern die in Fig. 8 als 
zz bezeichneten Abschnitte (cap. M. ee an und ENDE 
- is der rechten Seite von vorm; 
breve bieip. brachii und longum fe- vieeps femoris und semitendinosus 
moris) „gonjungirende Bündel“, ee tan 
resp. secundäre Bildungen sind. 

. Der kurze Kopf des oberen biceps dürfte als eim wesentlich dem 
coracobrachialis zugehöriger und von ihm aus sich entwickelnder 
Theil zu betrachten sein; dass auch der m. „biceps“ des Beines keine 
rechte anatomische Einheit ist, indem m. E. das cap. longum dem semi- 
tendinosus viel mehr, als dem cap. breve angehört, darauf deutet schon 


dinste Form beziehen dürften, erwähnt Hrxte (Muskellehre 88). Der Abbildung 
in dem Handatlas von Bock, woselbst der subelavius am proe. eoracoideus inse- 
rirt, scheint diese Abnormität vorgelegen zu haben. 

12* 


En 


150 WELCKER. 


die Innervation unserer Muskelgruppe hin, indem semitendinosus und cap. 
longum, wie ich in einer grossen Zahl von Fällen gleichmässig fand, von der 
pars tibialis n. ischiadici, das cap. breve von der pars peronea innervirt sind. 
Aber man könnte geneigt sein, den Bau der in Rede stehenden 
Muskelgruppen, statt auf conjugatio beruhend, auch folgendermassen zu 
interpretiren. Von einem günstig gelegenen Skeletpunkte (proc. cora- 
coideus und tuber ischii) gehen, nach zwei Punkten divergirend, Muskel- 
fasern ab (am Arme 5 und z, coracobrachialis und coracoradialis, 
am Beine d’ und z’, semitendinosus und cap. longum bicipitis). Zur Ver- 
stärkung je des letztgenannten Schenkels und um seine Zugwirkung zu 
eorrigiren, tritt zu ihm, von je einem anderen Skeletpunkte (Schulter- 
pfannenrand und Schenkelbeinmitte) ein dem Strange 5 parallellaufender 
Strang (a, a’): glenoradialis und cap. breve bicipitis, so dass also diese 
letzteren die accessorischen Theile wären. Indess scheint die ver- 
gleichende Anatomie für die oben mitgetheilte Auffassung zu sprechen. 
Die bekannt gewordenen Fälle der Variation des menschlichen 
biceps geben hier keinen Aufschluss. Allerdings beobachtete MEcKEL !) 
einen Fall, wo auf der einen Körperseite der kurze Kopf des biceps 
„ohne irgend eine Spur seiner Anwesenheit‘‘ fehlte, und Mecker’s Dar- 
stellung lässt keinen Zweifel, dass neben dem langen Kopfe des biceps brachü 
der coracobrachialis in sonst normaler Weise vorhanden war, die Ab- 
normität mithin einfach in dem Fehlen unseres Zwischenmuskels z be- 
stand. Doch kenne ich für den Menschen nur diesen einen Fall von 
Mangel des caput breve, während ich das cap. longum in drei Fällen 
vermisst finde). Bei den Säugethieren dagegen, wo der „lange 
Beuger“ des Armes meist kein biceps, sondern durch Mangel des cap. 
breve einköpfig ist, (m. glenoradialis), während daneben in der Regel 
ein gleichfalls einfacher coracobrachialis vorkommt, dürften sich die An- 
fänge eines biceps per conjugationem mit Bestimmtheit nach- 
weisen lassen, und das Ebengesagte schliesst bereits die für unsere An- 
sicht schwerwiegende Thatsache in sich ein, dass — wenigstens an der 
oberen Extremität — die Muskeln « und 2, d.i. glenoradialis und coraco- 
brachialis, nicht aber der Zwischenmuskel z, als die primären Glieder 
unseres Muskeleomplexes anzusehen sind. Es entsprechen dieselben den 


I) Mecke£r’s Archiv, VIII, 587. 

2) Der lange Kopf „fehlte durchaus“ am linken Arme (Orro, Seltene Beob. 
II, 40). Er fehlte an dem einen Arme (Lavru, Handb. d. Anat. I, 204). „Mangel 
des ganzen langen Kopfes des biceps“ am linken Arme eines Mannes beobach- 
tete GRUBER (REICHERT’s Arch. 1863, p. 401); „der allein vorhandene kurze Kopf 
war spindelförmig, nur so gross, wie derselbe Kopf des Muskels der anderen 
Seite.“ 


Beiträge zur Myologie. 181 


„nebeneinander herlaufenden“ Muskeln « 5 und ce d (Fig. 1), von 
welchen unsere Betrachtung ausging. 

Unter den Fleischfressern ist nach MEckeL!) der glenoradialis 
bei Hyäne, Hund, Katze, Coati, Dachs, Waschbär, Seehund, Marder „ganz 
einfach“ (d. i. ungetheilt); ein gleichfalls einfacher coracobrachialis 
kommt nach demselben Forscher u. a. vor bei Cetaceen, Faulthier, Hase, 
Maulwurf, Hund, Katze, Nasua, Dachs. Dagegen geht beim Bären 
„von dem sich spaltenden Haken- 
armmuskel ein Zipfel“ (ohne Zweifel 
unser Zwischenbündel z) „an den gewöhn- 
liehen einfachen Kopf“ (den glenoradialis); 
also biceps, wie beim Menschen ?). 

Diese Angabe schien mir interessant 
genug, um sie näher zu prüfen. Ich hatte 
Gelegenheit, die Oberarmmuskeln eines 
nahezu geburtsreifen Embryo des Eisbären 
zu präpariren, und was ich hier sah, zu- 
sammen mit weiteren Angaben MEcKEr’s 
(s. folg. S. Note 1), berechtigt zu der An- 
nahme, dass der den menschlichen biceps 
nachahmende Muskel des Bären wirklich 
auf eonjugatio beruht, die N-förmige Mus- 
kelgruppe wirklich nur die. weitere Ent- 
wicklung unserer ursprünglich einfachen 
und getrennt verlaufenden Elemente « und 
b ist. Besonders instructiv ist es, dass wir 
bei dem Bären (bei welchem der „biceps“ 
möglicherweise nur die Bedeutung einer 
häufigeren Muskelvariation besitzt) unseren 
Muskelecomplex in verschiedenen Phasen 
der Entwicklung antreffen, und gerade die- Rechte Oberextremitit eines Em- 
ses häufige Varüren scheint anzudeuten, dass Rryom OB U aim. 

S € ! 5 a M. glenoradialis. 
Seichhrer um die Herausbildung :‘, der vom nermus perforana dureh. 
eines neuen, der Mehrzahl der Säu- bohrie &oracobrachialis. 
gethiere fremden Bautypushandelt. N rg 

Bei dem von mir präparirten Bärenfötus fand sich ein an den radius 
inserirender, einfacher glenoradialis (Fig. 9a), daneben ein vom Schulter- 

I) System der vergl. Anatomie, III, 522, 

2) Gleichfalls mehr oder weniger in zwei Bäuche getheilt, die jedoch beide 
am Humerus verharren, wäre der coracobrachialis nach MEckEL beim Pferde, Schna- 
belthier, Murmelthier, Marder, Igel, Simia inuus u. A. 


182 WELCKER. 


haken kommender, -n zwei Bäuche gespaltener coracobrachialis. Der 
längere dieser beiden Bäuche, 5, welcher in der Nähe des cond. internus 
humeri an den Knochen inserirt, giebt sich — vom nervus musculo- 
cutaneus durchbohrt, der von da aus in den glenoradialis eintritt — als 
M. coracobrachialis des. Menschen zu erkennen; der obere, in unserem 
Falle nicht zum glenoradialis übergehende (dies an beiden Extremitäten), 
sondern hoch oben am humerus inserirende Bauch 2 ist als Rudiment 
des coracoradialis anzusehen, das Ganze als ein Fall von incompleter con- 
jugatio musculorum, die, wie nach den Angaben MEckEr’s angenommen 
werden darf, bei anderen Exemplaren des ‚Bären allerdings zu Stande 
kommt }). 


Fig. 10. 


F = flexor dig. quinti, als Zwischenmuskel zwischen opponens 
(0) und abductor dig. quinti (4) 

a in situ, d nach Exartieulation der 1. Phalanx und Ablösung 
des gemeinsamen Ursprungs des flexor und Abductor vom 
hamulus. 


Ein zweiter für unsere Auffassung wichtiger Muskel ist der M. fle- 
xor brevis dieiti quinti manus (Fig. 10), der durch sein häufiges 


1) Bereits MEckEL fand es „merkwürdig“ dass „gerade dieser Muskel hier 
mehreres Unbeständige“ zeige. Zu seiner Angabe, dass bei dem Bären von dem 
sich spaltenden Hakenarmmuskel ein Zipfel an den gewöhnlich einfachen Spei- 
chenbeuger zu gehen pflege, fügt MEckEL (a. a. O.p. 522) hinzu: „Ich fand ein- 
mal bei einem braunen Bären auf der linken Seite blos den gewöhnlichen, ein- 
fachen Kopf, ohne diesen Zipfel, auf der rechten dagegen ein oben sehniges, 
ganz oben vom Hakenarmmuskel zu dem Hauptmuskel gehendes Bündel. Bei 
einem weissen Bären spaltete sich dagegen auf der linken Seite der Hakenarm- 
muskel auf die beschriebene Weise; auf der rechten war ausser dem gewöhn- 
lichen, sehr starken langen Kopfe ein eigner kleiner kurzer vorhanden, der neben 
dem Hakenarmmuskel entsprang, erst in der Mitte des Oberarmes einen Zipfel 
an den langen Kopf schiekte, und sich dann am unteren Ende des Oberarmes 
mit diesem völlig verband.‘ — Einige der von MEckEL verzeichneten vergleichend- 


Beiträge zur Myolosie. 183 


Fehlen oder durch rudimentäres, gleichsam versuchsweises Auftreten sich 
wohl unzweifelhaft als auf conjugatio beruhend erweist. Nach meiner 
Ansicht ist derselbe ein conjungirendes Bün- 

del, welches von der vom hamulus o. hamati Fig. 11. 
kommenden Ursprungspartie des M. oppo- 
nens sich loslöst, um sich mit der zur 1. 
Phalanx des 5. Fingers gehenden Sehne des 
M. abductor die. V. zu vereinigen. 

Was man an der Hand als „Sehne 
des M. extensor digitorum communis 
für den fünften Finger“ beschreibt, ist 
meist nichts anderes, als ein von der Sehne 
des vierten Fingers aus nach der Sehne 
des extensor die. V. proprius übertretendes 
Bündel. Eigentliche „Sehnen“ besitzt der 
extensor die. comm. manus (dem die Be- 
schreibungen kurzerhand vier Sehnen zu- 
theilen), in der Regel nur für drei Finger 
— für den zweiten, dritten und vierten. 

‘Was endlich die Muskeln des Rückens 
anlangt, so wird der longissimus dorsi 
(und Aehnliches gilt von mehreren anderen 
Muskeln dieser Gruppe), der wegen seiner 
„Verwachsungen“ mit dem m. spinalis und 
semispinalis dorsi einige Schwierigkeit macht, 
sofort verständlich, seine Präparation sehr 
leicht, wenn man den spinalis als con- 
jungirenden Zwischenmuskel zwischen 
loneissimus und semispinalis auffasst. Es 
wird hierdurch ein bestimmtes Bild der Form Schema der medialen Befestigungen 
und der Verlaufsriehtungen gewonnen, wäh- "tun „asssinus 12), spinalis 


(Sp) und semispinalis (,8s). 
rend die überaus schwankende Zahl der Ibis VI Dornfortsätze der Hals- 

o e 6 wirbel, 1 bis 12 der Brust-, und I 
Ursprungszipfel und die Wirbelnummern en 
wenig Anhalt geben. Die fraglichen Muskeln 


dürften hinsichtlich jener Verknüpfungen so aufzufassen sein: 


Io 


anatomischen Data scheinen Andeutungen zu enthalten, dass bei einzelnen 
Thieren die Conjugation vom glenoradialis aus beginne. Es kann sich 
indess hier nicht darum handeln, diese älteren Angaben im Einzelnen nach 
unserer Auffassung zu interpretiren, sondern es würde die letztere durch eine 
erneute Umschau am anatomischen Material zu prüfen und durchzuführen sein. 


184 WELCKER, 


Aus der Ecke zwischen Darmbeinschaufel und Lendenwirbel- 
säule schiebt sich eine Muskelmasse nach aufwärts, mit derben Sehnen- 
strähnen von der erista ilei, dem Heiligenbein und den Dornen der Lenden- 
wirbelund der 2 bis 3 unteren Brustwirbel entspringend (4 im Fig. 11). Die 
‚anfangs völlig gleichartigen und ihre Zugehörigkeit zu zwei verschiedenen 
Muskeln nicht verrathenden Bündel schlagen nach oben verschiedene 
Wege ein; der untere, laterale Theil (alles das, was nach aufwärts bis 
zum 2. Lendenwirbel, öfters auch bis zum 1. Lenden- oder 12. Brust- 
wirbel entspringt) wirft sich als longissimus (Z) auf Rippen- und Wirbel- 
querfortsätze; der obere, mediale Theil, 5» (vom 2. oder 1. Lendenwirbel 
und den 2 bis 3 unteren Brustwirbeln entspringend), schwenkt als m. 
spinalis medianwärts, um sehnig an den Dornfortsätzen des 8. (7.) bis 
3. (2.) Brustwirbels zu inseriren. Präparirt man nun aber von oben, 
so steigt schräg abwärts von den Dornfortsätzen der 6 unteren Hals- 
wirbel und der 6 bis 8 oberen Brustwirbel eine bündelige Muskelmasse 
(5). Der obere Theil derselben — alles das, was etwa bis zum 2. Brust- 
wirbel herab seinen Ursprung nimmt — wendet sich seitlich, zu Quer- 
fortsätzen: „semispinalis“ (Ss); der untere Theil von 3 aber schwenkt 
medianwärts: es ist dies der obere Theil desselben Muskels, den wir vor- 
her in ganz ähnlicher Weise vom longissimus sich loslösen und aufwärts 
steigen sahen — „spinalis“. 

Der spinalis dorsi ist hiernach nichts anderes, als eine vom longis- 
simus abschwenkende und dem medialen Rande des semispinalis sich an- 
schliessende Sehnen- und Fleischmasse. 

Bei der Präparation des sacrospinalis ist es gerade dieser Zwischen- 
muskel, welcher ein Hinderniss zu bieten pflegt. Derselbe liegt mit 
seinem lateralen Rande auf dem medialen des longissimus, innig ver- 
klebt, und er muss durch sorgfältige Scheidung medianwärts umge- 
klappt werden. Gleich Anfangs bei der Freilesung und Seitwärtsschie- 
bung des medialen Randes des longissimus und der Präparation seiner 
inneren Zacken stören gewisse dünne, abgeplattete Fleischbündel — gleich- 
falls conjungirende Fasern zwischen semispinalis und longissimus — welche 
vom 4. oder 5. bis 8. oder 9. Brustwirbeldorne aus schräg absteigen 
und sich auf die dorsale Sehnenfläche des longissimus aufheften. Sie 
sind einfach zu durchschneiden. 

Ich füge hier betreffs des Baues des longissimus dorsi eine berich- 
tigende Bemerkung bei. Oftmals ist es nicht der Dornfortsatz eines und 
desselben Wirbels, an welchem longissimus und spinalis sich trennen, 
sondern siegreifen sich gegenseitig in ihr Gebiet (Fig. 11), indem der spinalis 
einige Wirbel weiter herabreicht (z. B. bis zum 2. lumbaris), als der 
Ursprung des longissimus heraufreicht, den ich häufig bis inclusive. dor- 


Beiträge zur Myologie. 185 


salis 12 entspringen sehe. Spaltung beider Muskeln bis auf die Dorn- 
fortsätze stellt dies leicht, ohne Faserverletzung, in’s Klare. 

Da mehrere Autoren dem longissimus an den Lendenwirbeln nur 
Ursprünge „von den 3 unteren“ oder den „2 bis 3 untersten“ zusprechen 
(in welchem Falle ein Zusammenhang mit dem spinalis eine Unmöglich- 
keit sein würde), so bemerke ich, dass ich fast ausnahmslos die Dorn- 
fortsätze aller Lendenwirbel — immer aber mindestens die vier unter- 
sten. — von Ursprüngen des longissimus besetzt gefunden habe. 

Auch bei dem longus colli beruht das Complieirte des Baues 
grossentheils auf conjugatio. 

Nicht überall freilich liegt das geschilderte Bildungsprineip so augen- 
fällig zu Tage, wie etwa bei den levatores costarum, deren „longi“ 
sich sofort als conjungirende Bündel, eingeschoben in die Reihe der breves, 
zu erkennen geben. 


II. Ueber Muskelvarietäten. 
Hauptarten der Muskelvarietäten. — Seltene Varietät des M. biceps brachii. — 


M. extensor digitorum comm. brevis manus. 

Die in Vorstehendem betrachtete Form der Muskelvarietäten, welche 
uns mehrere in ihrer normalen, fertigen Gestalt einfach als fait accompli 
dastehende Bildungen in ihrer Entwicklung zeigt und dadurch ver- 
ständlich macht, besitzt, wie es scheint, noch ein weiteres Interesse. Fasst 
man das gesammte Gebiet der Muskelvarietäten näher in’s Auge, so zeigt 
es sich, dass weitaus der grösste Theil aller Einzelfälle auf diese Haupt- 
form der Variation, auf conjugatio, zurückzuführen ist. Sieht man von 
denjenigen Bildungen ab, welche 

1) auf Abnormitäten der Grösse, auf Verdopplung und Vermehrung 
(die vielfach selbst nichts anderes ist, als conjugatio), oder auf Ausfall 
und Defeet beruhen; oder welche 

2) in mancherlei Gestaltveränderungen bestehen: — Verschie- 
bung des Ursprungs oder des Ansatzes, Umtausch der Stellen von Sehne 
und Muskelbauch u. del.; sieht man 

3) ab von mancherlei ziemlich regellos auftretenden „besonderen“ 
Muskeln, die meist dadurch entstehen, dass Muskelfasern an Orten sich 
einmischen, wo sonst nur Bindegewebe, Fascien sind; oder 

4) von gewissen Muskeln, welche auf einer Art von Versetzung 
oder Wiederholung beruhen, indem sie, normal bei anderen Thier- 
gattungen oder an einer anderen Körperstelle heimisch, nun an fremdem 
Orte erscheinen — 

so unterfällt mit wenigen Ausnahmen Alles, was im Gebiete der 


156 


WELCKER. 


Muskelvariationen vorkommt, der in voriger Abhandlung beschriebenen 
conjugatio. Zahlreiche „supernumeräre“, mit langen Namen-geschmückte 
Muskeln gehören einfach unter diesen Gesichtspunkt: der „Musculus bra- 
chialis internus minor lateralis“ ist wohl nichts anderes, als ein con- 
Jungirendes Bündel zwischen triceps und brachialis internus; der „musculus 
cubito-radius“ ein eonjungirendes Bündel zwischen pronator quadratus 
und Muskeln des Daumenballens; der „musculus radio-cubito-carpeus 
biceps“ dasselbe in etwas anderer Form — und ähnlich zahlreiche andere. 

Es ist nicht meine Absicht, die Casuistik der Muskelvarietäten durch 
ausführlichere Beiträge zu vermehren, und ich beschränke mich auf Mit- 


Fig. 12, 


Z = caput longum bicipitis, 
ohne Zusammenhang mit 
der scapula, am humerus 
entspringend. 

B = das normale caput breve. 


theilung nur zweier Formen, beide der oberen 
Extremität und der 2. und 4. der oben erwähnten 
Gruppen angehörig. 


I. Biceps brachii. 


Mehrere Variationen, die ich an diesem 
Muskel beobachtete und deren eine mit einem 
Defecte, die andere mit einem Ueberschusse der 
Bildung einhergeht, haben das Interessante, dass 
beide sich als zusammengehörige Erscheinungen, 
als verschiedene Phasen eines und desselben Bil- 
dungsprocesses, erkennen lassen. 


1) Caput longum ohne Zusammenhang mit 

der scapula, vom humerus entspringend. 
Eine auffällige Varietät des biceps be- 
obachtete ich vor Jahren in dem Secirsaale zu 
Giessen. An dem einen Arme einer sonst normal 
entwickelten Leiche fand ich den langen Kopf 
des biceps (Fig. 12, L) ohne jeglichen Zusammen- 
hang mit der scapula. Statt aus der Gelenk- 
kapsel hervorzutreten, entsprang die Sehne mit 
dünnen, sich allmählich zu einem platten Strange 
sammelnden Fasern an beiden Rändern des sehr 
flachen sulcus intertubereularis humeri (vorzugs- 
weise von der spina tub. majoris), sowie von 
dem unteren Rande des Kapselbandes. Der 


Muskelbauch dieses abnormen cap. „longum“ war kräftig und in der ge- 
wöhnlichen Weise entwickelt. 
Diese Versetzung eines Sehnenursprungs auf einen anderen Knochen 


Beiträge zur Myologie. 187 


schien mir, zumal bei der Beziehung, welche die Bicepssehne unter nor- 
malen Verhältnissen zum Schultergelenke hat, so befremdlich, dass ich 
zunächst an das ‚Erzeugniss irgend eines pathologischen Vorganges dachte. 
In der That ist eine heihe von Fällen bekannt geworden, in welchen 
durch chronische Entzündung des Schultergelenkes der intracapsuläre 
Theil der Sehne verloren ging, während das freigewordene Ende, einen 
Sehnenursprung nachahmend, mit dem tuberculum majus verwuchs. 
Einen Fall dieser Art hat GRUBER !) mitgetheilt; die Aehnlichkeit, welche 
der biceps in der von ihm gegebenen Abbildung (a. a. O. Taf. X, Fig. 3) 
mit dem von mir beobachteten zeigt, ist auf den ersten Anblick eine 
sehr grosse. 


Unter diesen Umständen, und da ein primäres Entspringen des 
langen Kopfes am Oberarme m. W. bis jetzt nicht verzeichnet wurde, 
dürfte zunächst auch der Leser Bedenken tragen, ob der von mir be- 
obachtete abnorme Ursprung wirklich ein primärer gewesen. Ich glaube 
dieses bestimmt bejahen zu dürfen. Innerhalb des Gelenkes fand sich 
an dem unter jenen Zweifeln untersuchten Präparate keine Spur einer 
Sehne, die betreffende Stelle des labrum cartilagineum war glatt und 
ohne Defeet und Anhang, der suleus intertubereularis ausserordentlich 
seicht ?), so dass, wenn man überhaupt an ein Abreissen einer ursprüng- 
lich interartieulären Sehne denken wollte, man letzteres mindestens in 
das fötale Leben zurückverlegen müsste. Aber ich glaube (s. p. 189) ein 
Argument beibringen zu können, nach welchem auch diese Vermuthung 
hinfällig wird. 

Würde somit diese Abnormität sich als em „biceps mit ursprüng- 
lich vom humerus entspringendem cap. longum“ erweisen, so 


1) REicHErT’s Archiv, 1863, p. 380 und 398. — Ein Fall, in welchem nach 
veralteter Continuitätstrennung das untere Ende der Sehne ohne Verwachsung 
mit dem Knochen in der Scheide verharrte, während das intracapsuläre Stück 
faserig zerfranste, ist abgebildet in: „Usur der Sehne — — des biceps“, diss. 
auct. Rapp, praes. LuscHkAa, Tübingen 1866. 


2) Eine seichte Furche findet sich auch bei noterisch von Haus aus fehlen- 
dem biceps, wie folgende Beobachtungen lehren: „Bei einer Frau fehlte am linken 
Arme der lange Kopf des biceps durchaus; sein kurzer Kopf schien dafür nicht 
stärker zu sein; am Oberarmknochen war der semicanalis Albini kaum an- 
sedeutet, nieht überknorpelt und die Kapselmembran hatte keine Oeffnung“ 
(Otto, selt. Beobachtungen, II, 40). Laurn (Handb. d. Anat. I, 204) sah den 
biceps „nur mit Einem, vom Hakenfortsatz kommenden, aber die gewöhnliche 
Dicke um das Doppelte übertreffenden Kopfe —. Die Rinne, worin sonst der 
lange Kopf liegt, war sichtbar, aber seichter, als gewöhnlich. Auf 
dem anderen Arme war der Muskel normal.“ 


188 


WELCKER. 


dürfte dieselbe eine ebenso interessante als seltene und, wie es scheint, 
bis jetzt unbekannt gebliebene Varietät darstellen )). 

Die Beobachtung, welche auf die eben beschriebene Form des m. 
biceps Licht. wirft, betrifft eine zweite, gleichfalls nieht uninteressante, 
aber nicht allzu seltene Varietät. Ich selbst habe sie oftmals beobachtet 
und beschreibe sie nach zweien von mir conservirten Präparaten: 


2) Biceps dreiköpfig, durch Spaltung des cap. longum und 
Ursprung des überzähligen Kopfes am humerus. 


Am rechten Arme einer männlichen Leiche hat sich von der me- 
dialen Seite des langen Kopfes ein ansehnliches Muskelbündel (Z a, Fig. 15) 


Fig. 13. 


Biceps dreiköpfig. 
La der vom cap. longum 
abgespaltene , 
halb der Kapsel ent- 
springende dritte Kopf. 


ausSSer- 


Biceps vierköpfig. 

B= caput breve. 

La der vom cap. longum 
abgespaltene, accesso- 
rische Kopf. 

L= Rest des cap. longum. 

C = vierter Kopf, vom 
brachialis internus zu- 
tretend. 


abgespalten und sendet eine 
besondere, abgeplattete, 2 Li- 
nien breite Sehne nach auf- 
wärts, welche, weiter oben 
die normale Sehne des cap. 
longum deckend, theils seit- 
lich an der spina tub. majo- 
ris inserirt, theils in die Kapsel- 
membran des Schulterkopfes 
übergeht. Ein Zug an dieser 
Sehne bewirkt eine schwache 
Herabschiebung des unteren, 
vorderen Theiles des Kapsel- 
bandes; auf das Schulterblatt 
wirkt derselbe nicht. Etwa 
°/, der Muskelfasern dieses 
biceps gehören dem cap. breve 
an, °/, dem normalen Ab- 
schnitte des cap. longum, !/, 
dem accessorischen Kopfe. 
In einem zweiten Falle 
fand sich bei einer sehr mus- 
kelschwachen (??) Leiche am 
linken biceps (den ich im 
Fig. 14 rechtseitig umzeichne) 
dieselbe Varietät, mit der Hin- 
zufügung eines durch conju- 
gatio vom brachialis internus 


!) Bei HEnLE, der in s. Muskellehre (177 und 178) eine sehr reiche Zu- 
sammenstellung der beobachteten Varietäten giebt, werden der „Rand des sulcus 


Beiträge zur Myologie. 189 


kommenden vierten Kopfes (C), sowie der weiteren kleinen Abände- 
rung, dass die Spaltung innerhalb des langen Kopfes so weit nach 
_ abwärts läuft, dass der accessorische Kopf (Za) hierdurch auf das cap. 
breve übertragen wird. Auch in diesem Falle deckte der vom hume- 
rus kommende Theil des langen Kopfes die durch die Kapsel tre- 
tende Sehne, und diese obere Lage des accessorischen Kopfes ist bedingt 
durch die Art seines Ursprungs, welcher von den beiden spinae aus auf 
den Unterrand -des zum Durchtritt der langen Sehne dienenden Aus- 
schnittes der Kapsel läuft. 

In einem dritten Falle schien der biceps auf den ersten Anblick 
zweiköpfig und völlig normal. Bei genauerer Prüfung sah man, dass 
eine sehr kleine Anzahl oberflächlicher Muskelfasern des langen Kopfes, 
statt mit der Bicepssehne in den sulcus einzuschlüpfen, sich loslöste und 
mit einer ganz dünnen, sehnenartigen Fascie sich an die spina tub. ma- 
joris anheftete. 

Offenbar ist diese durch Fig. 13 und 14 erläuterte Varietät des 
biceps eine typische Form; genau in derselben Weise sah sie bereits 
Moser !) und wie ich vermuthen darf, SOEMMERRING ?). 

Bei dieser unter 2 beschriebenen Varietät des biceps verhält sich 
nun die Ansatzweise des überzähligen, von den spinae tuberculorum 
und dem Kapselbande kommenden Kopfes nach Localität des Ansatzes, 
Art des Zusammentrittes der Ursprungsfasern, Form der Sehne — kurz 
nach allen Beziehungen, genau ebenso, wie bei dem unter 1 beschrie- 
benen zweiköpfigen biceps die Ansatzweise des „cap. longum“ sich ver- 
hält, und es ist gar nicht anzunehmen, dass, was in dem zweiten Falle 
offenbar als eine Form der Muskelvariation sich entwickelte, in dem ersten 
Falle als ein pathologisches Erzeugniss sich genau ebenso gebildet habe. 
Die beiden Muskeln unterscheiden sich eben nur dadurch, dass in dem 
ersten Falle die ganze Summe der. das cap. longum repräsentirenden 


intertubereularis“, sowie die „äussere Fläche der Kapsel des Schultergelenkes,“ 
als Ursprungsstellen überzähliger Köpfe genannt, als Ursprungsstelle des 
gesammten langen Kopfes nirgends. 

l) (Mecker’s Arch. VII, 227): Bei einem dreiköpfigen biceps (bei welchem 
die Spaltung des langen Kopfes übrigens weit tiefer nach abwärts zu gehen 
schien) verlief der untere der durch diese Spaltung entstandenen Muskelbäuche 
„regelmässig als langer Kopf mit seiner oberen Sehne durch das Kapselband zur 
Gelenkfläche des Schulterblattes, der über ihm liegende aber heftete sich an das 
Kapselband des Oberarmknochens, und zwar an der Stelle, wo dieses die Sehne 
des langen Kopfes hindurchlässt.“ 

2) „Bisweilen kommt eine kleine Portion von der Oberarmröhre zum langen 
Kopfe“ (Vom Baue d. m. K. II, 221), Auf den vom brach. int. kommenden Zu- 
schuss, der ja auf der Seite des cap. breve zutritt, passt dies nicht, 


190 WELCKER. 


Fasern einen abnormen Ursprung wählte, während in dem zweiten Falle 
nur ein Theil der Fasern sich auf den humerus übertrug, ein anderer 
die normale Ursprungsweise bewahrte. Den allerersten Anlauf zu der 
in Fig. 13 abgebildeten Variation zeigt jener letzterwähnte Fall, in wel- 
chem die Zahl der an die spina tretenden Fasern des langen Kopfes so 
gering ist, dass der Muskel auf dem ersten Anblick normal erschien. 

Es wäre von Interesse, einen zweiten Fall der unter 1 geschilderten 
Form des biceps nachzuweisen und die Richtigkeit unserer Auffassung an 
ihm zu prüfen. Eine Notiz, die ich zunächst bei Laura!) finde: „In 
einer anderen Leiche, wo der lange Kopf ebenfalls fehlte, fand ich statt 
seiner einen vom oberen Viertheile des Oberarmknochens kom- 
menden Kopf“ — giebt kaum Sicherheit, wie weit die Aehnlichkeit beider 

- Fälle etwa gegangen. Verwandt mit dem meinigen dürfte ein solcher 
sein, dessen Hykru?), gleichfalls in allzu kurzer Mittheilung, gedenkt: 
„Ich sah den langen Kopf gänzlich fehlen und zweimal durch eine 
Sehnenschnur, die von der Kapsel des Schultergelenkes entsprang, 
ersetzt werden.“ Aber sollte bereits Moser an derselben Stelle, wo er 
diejenige Varietät beschreibt, die meines Erachtens den Schlüssel für die 
Erklärung der unter 1 mitgetheilten, auffälligen Form enthält, eben 
dieselbe (allerdings mit zwei unwesentlichen Modificationen verknüpft) 
vor sich gehabt und (a. a. O. Taf. III, Fig. 7) abgebildet haben? Die von 
M. gegebene Beschreibung dürfte dies kaum erwarten lassen, aber die 
Abbildung spricht dafür. Es heisst (a. a. ©. p. 227): 

An einem linken Oberarme bestand der zweiköpfige Beuger aus vier ge- 
trennten Köpfen, „den beiden normalen“ (sie!) — (1 und 2 der Fig., beide 
am proc. coracoldeus entspringend), „einem dritten“ (dem Texte nach der vom 
brachialis int. per conjugationem zugetretene; 3 der Fig.) „und einem vierten, 
eigenthümlich gebildeten starken Muskelbauch“ (offenbar das von M. verkannte 
und als „überzähligen Muskelbauch“ bezeichnete caput longum). „Die 
beiden ersteren,“ so heisst es weiter, „der lange und der kurze Kopf des 
Muskels, unterschieden sich jedoch nicht in Hinsicht ihrer Länge und Befesti- 
gungsweise, da der, welcher der lange sein sollte (P), sich mit seiner Sehne 
ebenfalls an den Hakenfortsatz des Schulterblattes heftete. Auf diese Weise 
fehlte die Befestigung des Vorderarmbeugers an die Gelenkfläche des Schulter- 
blattes ganz; doch ward sie z. Th. dadurch hergestellt, dass vom oberen Rande 
der genannten Gelenkfläche an starke Faserbündel des Kapselbandes des Ober- 
armgelenkes zusammentraten, so eine mit ihm verwachsene Sehne bildeten, welche 
über das Kapselband, jedoch mit ihm verwachsen hinweggehend, zwischen den 
vorderen und hinteren Winkel des Oberarmbeines an denselben herabstieg, bei- 
nahe bis zu dessen Mitte an den Knochen ebenfalls angewachsen, und hier An- 
heftepunkt für die beiden überzähligen Muskelbäuche wurde,. besonders für 


I) Handb. d. Anat. I, 204. 
2) Lehrb. d. Anat. XII. Aufl. 451. 


Beiträge zur Myologie. 191 


den vierten“ — — „an Dicke des Muskelfleisches den drei beschriebenen zu- 
sammengenommen gleich. Nach oben .entsprang er sehnigt von der vom Kapsel- 
bande herabkommenden Sehne, welche ihm ganz auzugehören schien, und auf 
diese Weise ward der eigentliche lange Kopf des Beugers ersetzt, nur mit dem 
Unterschiede, dass der Muskelbauch um die Hälfte kürzer, dieker und dass seine 
Sehne nicht frei, sondern angeheftet an sie spina tub. majoris neben dem An- 
heftpunkte des grossen Brustmuskels nach oben das Kapselband erreichte, und 
nun nicht unter demselben, sondern über dasselbe sich wegwerfend und mit ihm 
verwachsen den oberen Rand der Gelenkfläche des Schulterblattes erreichte.“ 

Ich finde hier, nach Herausschälung des wirklichen Sachverhaltes — 
abgesehen von der Verdopplung des cap. breve (1 u. 2 der Fie.) und dem 
angeblichen Zusammenhang des vom brachialis int. stammenden Kopfes mit 
der rudimentären Sehne des „vierten“ Kopfes — meinem Falle gegen- 
über wesentlich nur den Unterschied, dass der extracapsuläre Ursprung 
des cap. longum sich hier nicht auf die spina tub. majoris und den un- 
teren Rand der Schulterkapsel beschränkte, sondern äusserlich auf die- 
selbe hinaufgriff — ein Verhalten, welches den primär extracapsulären 
Ursprung noch entschiedener nachweisen würde, als die Ursprungsweise 
der Sehne in meinem Falle. 


U. M. extensor digitorum comm. brevis manus. 


Bei Versuchen, die Muskulatur der oberen Extremität auf die der 
unteren zurückzuführen, haben Manche den extensor dieitorum commo- 
nis brevis des Fusses in den extensoribus digitor. propriis der Hand- 
finger wiederzufinden geglaubt). Dass diese Muskeln keine geschlossene 
Reihe bilden, dass sie auf das antibrachium zurückgreifen, während der 
fragliche Muskel des Fusses nur vom tarsus kommt, würde kein Hinder- 
niss sein; kommen ja bei der so verschiedenen Entwicklung, welche die 
einander entsprechenden Gelenke beider Extremitäten einschlagen, ähn- 
liche Verschiedenheiten auch bei anderen, mit voller Sicherheit homologen 
Muskeln vor. Aber die Frage löst sich mit Bestimmtheit von einer an- 
deren Seite her. 

In nicht allzu seltenen Fällen tritt auf dem Handrücken ein über- 
zähliger Muskel auf, der — obwohl in der Regel nur aus einem ein- 
zigen Kopfe bestehend, dessen Sehne bald an den Mittelfinger, bald an 
den index geht — ganz augenfällig eine Wiederholung des extensor 
dieitorum communis brevis des Fusses ist und welcher als „M. ex- 
tensor dig. communis brevis“ der Hand bezeichnet werden muss. 


1) So Mecke£L, welcher in dieser Beziehung den indicator und seine Ver- 
_ dopplungen mit derjenigen Neubildung, die wirklich die Wiederholung der am 
Fusse normalen Bildung darstellt, zusammenwirft (Handb. d. Anat., II, 520 
und 521). 


er; 


192 WELCKER. 


Die neueren Lehrbücher haben’ diesen --bereits von ALsınus und 
SOEMMERRING richtig gewürdigten Muskel )), welchen ich in Fig. 15 nach 
der Abbildung Augm’s und in Fig. 16 nach’ einer von mir beobachteten 
vollkommneren Entwicklung vorführe — wenig beachtet, und nur bei 
Hrxue ?) finden sich (nach Beobachtungen von Moser und OrrTo, sowie 
einer neueren von Dursy und HENLE) einige Angaben. Doch erscheint 
der Muskel hier nicht in seinem rechten Lichte, indem derselbe, einer 
Angabe Moser’s zufolge (welcher den Muskel als eine „Hemmungs- 
bildung“ des in seiner normalen Form fehlenden (?) M. indieator 
zu deuten suchte) als Stellvertreter des indicator genannt wird. Auch in 


M. extensor digitorum manus brevis nach M. extensor dig, comm. brevis manus 


Albin, l. c. Fig. II. (Präparat der anat. Sammlung zu Halle. 
No. 3837). 


> 


einer zweiten Erwähnung (a. a. 0. 216), in welcher HrstE sehr richtig 
hinzufügt, dass ein solcher Muskel „an den m. extensor dig. comm. bre- 
vis des Fusses erinnere“, wird derselbe als eine „Varietät des m. ext. 


1) Arsınus (Annotat. academ. IV, Cap. 6, p. 28). „De extensore brevi di- 
sitorum manus“ — — „quo natura pedem imitata est.“ 

SOEMMERRING (V. Baue des m. K. II, 239) führt neben dem M. indieator 
als einen „seltenen“ aber selbständigen Muskel, den „Extensor brevis digiti in- 
dieis vel medii“ auf, „der dem auf dem Rücken des Fusses für die Zehen alle- 
mal vorhandenen ähnlich ist.“ 

2) Muskellehre, 213. 


N 


Beiträge zur Myologie. 193 


indieis proprius“ bezeichnet. In ähnlicher Weise hatte bereits MEckEL 
(a. a. 0. 520) unseren Muskel missdeutet, indem er ihn innerhalb der Reihe 
der Variationen des m. indicator aufführt und in ihm nicht ein zu 
den typischen Muskeln der Oberextremität hinzugetretenes Novum, son- 
dern nur „eine weitere Entwicklung des Ursprungs des m. indicator mit 
zwei Köpfen“ sieht. 


Die mir bekannt gewordenen Beobachtungen unseres Muskels beziehen sich, ° 


den einzigen Fall von HENLE ausgenommen, sämmtlich auf ein Vorkommen des 
Muskels an nur einem Finger, bald dem zweiten, bald (der häufigere Fall) dem 
dritten. Der meist am Boden derjenigen Rinne des lig. carpi dorsale, durch 
welchen die Sehnen des langen gemeinsamen Streckers treten, sehnig entspringende 
Muskel (als dessen Ursprungsstellen auch das Köpfchen der ulna, der radius, 
das os capitatum und hamatum — in einem Falle auch das os metacarpi IV. ge- 
nannt werden), schiebt seinen abgeplatteten, auf den Mm. interossei liegenden 
Muskelbauch vorwärts, während die Insertionssehne mit der betreffenden Sehne 
des langen Streckers oder des indicator, sowie dem das Metacarpophalangeal- 
gelenk deckenden Bandapparate, verschmilzt. Was den Ort der Insertion näher 
anlangt, so sah 

Aırsın den Muskel einmal an den index („in utraque manu“), einmal an den 
Mittelfinger gehen; 

SANDIFORT !) zweimal an den Mittelfinger; 

MAYER?) einmal, an den index; 

Orro 3) sah zweimal den „indicator annomalus brevis,‘“ zweimal den „exten- 
sor annomalus brevis des Mittelfingers;‘“ 

Der von Moser beobachtete Muskel ging zum index, 

und in einem der von mir beobachteten Fälle ging der Muskel ausschliess- 
lich zum Mittelfinger. 

Hatte AuLsın das Richtige getroffen, wenn er die nur getrennt ge- 
sehenen Fragmente als Musculus extensor „digitorum“ brevis bezeichnet, 
so war den vorhandenen Beobachtungen gegenüber allerdings auch 
SOEMMERRING im Rechte, wenn er den Muskel als „extensor brevis dig. 
indieis vel. medi“ aufführt. In dem einen der von mir beobachteten 
Fälle nun (Fig. 16), fand ich (an der rechten Hand eines Weibes) den 
Muskel zweiköpfig; der in seinem fleischigen Theile hier schon weit 
breitere und abgeplattete und auch hierin ganz an den analogen des Fusses 
erinnernde Muskel inserirt mit der Sehne seines inneren Kopfes an den 
ulnaren Rand der Sehne des indicator proprius, mit der äusseren an den 
ulnaren Rand der langen Sehne des Mittelfingers. 


i) Exereitationes academicae p. 94. (Der von SANDIFORT und von SOEM- 
MERRING bei dem extensor brevis indicis vel medii eitirte Fall von PETSCHE, der 
einen ächten, mit einer zweiten Sehne versehenen indicator betrifft, gehört nicht 
hierher.) 

2) Beschreibung des m. Körpers, III, 553. 

3) Seltene Beobachtungen. p. 91. 

Zeitschrift f. Anatomie. Bd I]. j 13 


194 WELCKER. 


„Noch grösser war die Analogie‘ (wie HEnLE gegenüber den Fällen 


von Orro und Mos£r bemerkt) in dem von ihm und Dursy beobachteten 


Falle, in welchem ‚‚mit längeren und kürzeren Sehnen vier Muskelbäuche“ 
an den Köpfchen des radius und der ulna entsprangen; doch waren auch 
hier nur zwei Finger von Sehnen besendet, indem „drei zusammenfliessend 
an die Strecksehne des Mittelfingers, einer an die Sehne des Zeigefingers“ 
"sich ansetzten !). 

Nach diesen beiden Beobachtungen von HrxLEe und mir (zu welchen 
dann, mit mehr oder weniger Recht noch die in Note 1 berührten kom- 
men dürften) muss. der Muskel auch in seiner gewöhnlichen, einfachen 
Form nicht als ein extensor brevis indieis vel medii, sondern als ext. 
dieitorum communis — der allerdings in der Regel nur als einfachstes 
Rudiment auftritt — betrachtet werden. 

Da der extensor - brevis pedis an die Kleinzehenseite der langen 
Sehnen inserirt, so muss die Analogie beider Muskeln um so vollständiger 
erscheinen, je häufiger unser Muskel seine Sehne an die Ulnarseite der 
betreffenden langen Sehne sendet. Und wirklich scheint dies das gewöhn- 
liche Verhalten zu sein: die Insertion betraf die Ulnarseite der langen 
Sehnen in 3 Fällen Orro’s?), in 2 Fällen von SANDIFORT und HEnLE, 
sowie in beiden meinen neueren Fällen, während Insertion an die Ra- 
dialseite nur dreimal angegeben wird (je ein Fall von AuBInus, OTTO 
und Moser) °?), und es fällt wohl besonders ins Gewicht, dass in den bei- 
den Fällen, wo der Muskel sich in vollkommnerer Entwicklung zeigte, 


1) Aus früherer Zeit erinnere ich mich, leider ohne das Präparat aufbe- 
wahrt oder eine Zeichnung gefertigt zu haben, drei Sehnen gefunden zu haben, 


welche an den 2., 3. und 4. Finger inserirten (wie dies in Fig. 17 dargestellt ist).- 


Einen zweiköpfigen, zu index und dig. med. gehenden Muskel, neben dem 
normalen indicator, eitirt — auch dies als Variation des letztgenannten — MECKEL 
nach BRUGNONE (opusc. anat. select.?) p. 168 — eine Stelle, die ich nicht nach- 
sehen konnte. 


Mecxer giebt ferner an, von dem von ihm mehrmals gesehenen „Mittel- 
fingerstrecker“ „eine kleine Sehne zur Wurzel des ersten Gliedes des Ring- 
fingers“ gehend gesehen zu haben (wobei mir unklar blieb, ob dieser „Mit- 
telfingerstrecker“ der ‚„extensor brev. dig. medii‘“ SOEMMERRING’s, oder nur die 
von MEcker oben erwähnte Verdoppelung des indicator ist, in welch letzterem 
Falle die Form nicht hierhergehören würde. 

2) Wenn O. als Insertionsstelle die Ulnarseite der ‚1. Phalanx“ nennt, so 
betraf der genauere Ansatz wohl auch hier die Sehne und deren membranartige 
Ausbreitung auf dem Zehengelenke. 


3) In drei anderen Fällen von AugIn, SANnDIFORT und MAYER wird über die 
Seite der Insertion nichts bemerkt, 


Beiträge zur Myologie. 195 


jede der beiden Sehnen an die Ulnarseite (des indieator und der langen 
Sehne des Mittelfingers) inserirte. 


An keiner der beiden von mir präparirten Hände, die unter 
Nr. 3887 der anat. Sammlung zu Halle conseryirt werden, vermisse ich 
den regelmässigen M. extensor indieis proprius; HEnLE bemerkt für seinen 
Fall ausdrücklich, dass derselbe nicht gefehlt habe, und da Aupmus, 
SANDIFORT u. A. einen - derartigen Defeet nicht anmerken, so darf 
man wohl annehmen, dass er nicht statt fand. Der von Moser 
für seinen Fall angegebene Defect erscheint hiernach als ein Accidens, 
das an der Sache nichts ändert und den Muskel keinesfalls als einen „Ver- 
treter“ des indieator, oder als die durch Hemmungsbildung abgeänderte 
Form dieses Muskels, stempeln kann. Ebensowenig beruht derselbe auf con- 
-jugatio (etwa zwischen einem interosseus und einer langen Strecksehne) 
oder auf einer Muskelzerspaltung, sondern er ist ein „supernumerärer 
Muskel“, der letzten der oben erwähnten Gruppen angehörig — eine 
Wiederholung eines an einer andern Körperstelle heimischen Muskels. » 


III. M. tibialis anticus und M. extensor carpi rad. longus; 
Mm. interossei manus et pedis. 


Nach stillschweigender und ausgesprochener Annahme sind die Mm. 
tibialis anticus und extensor carpi rad. longus, ingleichen tibialis posticus 
und flexor carpi radialis, homologe Muskeln. 

Dass die genannten Muskeln des Armes zum humerus hinaufragen, 
während diejenigen des Beines sich auf das crus beschränken, würde auch 
hier, Angesichts der tiefgehenden Verschiedenheiten des Knie- und Ellen- 
bogengelenkes, kein Hinderniss bedingen. Aber die Sehnen der zur Ho- 
mologie herangezogenen Muskeln heften sich an verschiedene Finger, 
die Mm. tibiales an den 1., die radiales an den 2. Dies dürfte eme 
Schwierigkeit sein, über welche nicht ohne Weiteres hinweszukommen ist. 

Wir begesnen ähnlichen Differenzen bei anderen Muskeln, deren 
Homolosie trotzdem, und gewiss mit Recht, angenommen wird, so bei 
den Mm. interossei beider Extremitäten. Zunächst von diesen. 

Mit ALBIN, SOEMMERRRING und HEnteE im Wesentlichen, mit KRAUSE, 
LuschkA, Quam-Horrmann vollständig übereinstimmend, nehme ich für 
Hand wie für Fuss vier Mm. interossei externi s. bicipites, sowie drei 
interni s. simplices an, deren erstere an die Grundphalangen der drei 

13* 


196 WELCKER. 


inneren Finger inseriren, dies aber mit dem Unterschiede, dass an 
der Hand der dritte Finger, am Fusse der zweite zwei bicipites trägt. 
Es besitzt mithin an der Hand der Zeigefinger den 1. biceps und den 
1. volaris, der Mittelfinger die beiden folgenden biecipites; während an 
dem Fusse der 2. Zehe zwei bieipites zufallen, die Mittelzehe aber den 
1. plantaris und den 3. biceps erhält. Zum Theil „um diese Ungleich- 
heit zu beseitigen“, wie mir scheint aber ohne ein anderes Ergebniss zu 
erreichen, als die Präparanten zu verwirren, hat man an diesem Schema 
vielfach gekünstelt. 


Die Abweichungen der Schilderung beziehen sich wesentlich auf folgende 
Punkte: 

Arsın (Tab. museulorum XX und XXV) unterscheidet an der Hand 4 ‚„in- 
terni“ und nur 3 „bicipites“, indem er unseren interosseus dorsalis primus, dessen 
Bäuche in Folge der freien Stellung des Daumens vollständiger getrennt sind, 
in einen „abduetor indieis“ und „internus primus‘“ zerlegt — offenbar kein Ge- 
winn, da in diesem ‚„internus primus“, der doch ohne Zweifel abdueirt, ein Ab- 
ductor den Namen eines internus tragen würde, während die übrigen interni 
Adductoren sind. 


HENLE bezeichnet ein sonst dem flexor pollieis brevis zugerechnetes, zur 
Grundphalanx des Daumens gehendes Bündel als „interesseus volaris primus“, 
sodass die Zwischenmuskeln der Hand auf 8 kommen. Im Uebrigen ist sein 
Schema das unsrige. 


Wesentlichere Differenzen der Auffassung betreffen den auf der Grosszehen- 
seite gelegenen Zwischenmuskel der 2. Fusszehe, unseren interosseus dor- 
salis s. biceps pedis Il, der von SOEMMERRING (vom Baue d. m. K. II, 321) 
als eiriköpfiger dorsalis, von Anderen (THEıLE, HyeıL, HErıtzmans) als inter- 
nus s. plantaris aufgefasst wird. — Dass dieser Muskel (wie die bicipites pedis 
überhaupt) eine mehr plantare, als dorsale Lage besitzt, ist ohne Weiteres zu- 
zugeben. Aber festzuhalten ist, dass derselbe, wie die übrigen ‚dorsales“, ein 
gefiederter, zweiköpfiger, vom zweiten und ersten Metacarpus entspringender 


Muskel ist. 


Müsste dieser Muskel wirklich aus der Reihe der bieipites gestrichen und 
als plantaris primus bezeichnet werden, so ergäbe sich zugleich das Ungeschickte, 
dass ein plantaris primus mit den bicipites die Abduction besorgte, während 
die übrigen plantares Adductores sind — eine Inconvenienz, die dadurch nicht 
sehoben wird, dass Hrıtzmann (Anatomie, I, 208) setzt: „vier Museuli inter- 
ossei interni — „Adductores.“ Denn die Achse für die seitliche An- und 
Abziehung der Fusszehen liegt wirklich in der zweiten Zehe. 


Wo dem interosseus biceps I. pedis der vom hallux kommende Ursprungs- 
schenkel fehlt, was meiner Erinnerung nach durchaus kein häufiges Vorkommen 
ist, da ist dieser Mangel als Varietät aufzufassen. Nach HextE (Muskellehre, 
1. Aufl., 302), unterscheidet sich unser Muskel von den übrigen bicipites durch 
einen mehr rückwärts (auf die Basis des metatarsus I. und das 1. Keilbein) 
verlegten Ursprung des medialen Kopfes, „doch besitzt er einen medialen Kopf“; 
LuscHkA (Anat., III, 435) sagt von den vier bieipites pedis: „alle bestehen aus 
je zwei Köpfen.“ 


Beiträge zur Myologie. 197 


Eine grössere Annäherung der Vertheilung der Zwischenmuskeln des Fusses 
zu denen der Hand, als bei dem von uns adoptirten Schema, kommt bei allen 
‚jenen Deutungen und Annahmen, die überdies theils gezwungen, theils gerade- 
zu unwahr sind, nicht zu Stande. 

Die bei den Mm. tibiales und ihren oberen Vertretern, wie die 
bei den Mm. interosseis hervorgehobenen Schwierigkeiten verschwinden, 
wie mir scheint, wenn man sich überzeugt, dass es eine ganze Reihe 


Bie. 17. 


Homologe Muskeln an Hand und Fuss. Halbschematische Zeichnung. 
1! und 1=M. tibialis antiecus und extensor carpi radialis longus. 
2! und 2= Insertion der am meisten medialen Sehne des ext. dig. comm. 
brev. pedis et manus. 
31 und 3 = Finger, welcher die Adductionsachse des Extremitätenendgliedes, 
sowie z wei interossei bieipites trägt. 


von Muskeln ist, welche sich zum 2. Finger der Hand genau 
so verhalten, wie ihre Homologa zum 1. Finger des Fusses. 
Dies aber wohl darum, weil den das Vorderende der Extremitäten be- 
wegenden Muskeln nicht der bewegliche Daumen, sondern der feste Zei- 
sefinserrand des Handskelets ähnliche Bedingungen bietet, wie ihren 
Analogis der Grosszehenrand des Fusses. Alle die hier in Frage 
kommenden Muskeln der Oberextremität liegen zur Linie rr (Fig. 17) 


198 WELCKER. 


genau so, wie die entsprechenden des Fusses zur Linie r'r‘. Die Ver- 
lesung des dem M. tibialis homologen Muskels auf den 2. Finger beruht 
nach meiner Annahme auf einer Anpassung behufs des Gebrauches. 
Würde der flexor und der extensor carpi rad. longus den Metacarpal- 
knochen des Daumens ergreifen, so würden diese Muskeln nicht den car- 
pus, sondern zunächst den Daumen bewegen. An dem Fusse dagegen, 
wo der hallux in festerem Schlusse- den übrigen Zehen anliegt, wenden 
sich die den Fuss seitlich ablenkenden Muskeln wirksamer an die in- 
nerste Zehe }). 


Fanden wir die Insertion der Mm. tibiales an der Randzehe des 
Fusses, die Insertion ihrer Analoga aber einen Finger weiter in’s 
Innere der Hand gerückt (1’, 1, Fig. 17), so finden wir genau das Ent- 
sprechende betreffis der Lage der Ab- und Adductionsachse der Zehen und 
der Finger (3°, 3): sie liegt bei'm Fusse bekanntlich im 2. Finger, bei 
der Oberextremität einen Finger weiter im Inneren der Hand, also im 
3. Finger. Dort ist es die 2. Zehe, hier der Mittelfinger, welcher zwei 
m. interossei bieipites trägt, und wir finden nun durchaus keinen Grund, 
der 2.. Zehe das Recht, zwei bicipites zu tragen, zu bestreiten, um so 
weniger, als sie dieselben thatsächlich besitzt. 


Blicken wir zum Schlusse auf den M. extensor dig. comm. 
brevis pedis und den in der vorigen Abhandlung betrachteten oberen 
Vertreter desselben (2’, 2), so zeigt es sich, dass ersterer seine am meisten 
medial gelegene Sehne an die erste Zehe schiebt, während die innerste 
Sehne des ext. dig. brevis manus einen Finger weiter im Innern 
der Hand zurückbleibt: am Zeigefinger. Dort wurde dieselbe in einer 
verhältnissmässig grossen Zahl von Fällen beobachtet, am Daumen 
niemals. 


IV. Platysma myoides. 


Zu einer Musterung des in den Handbüchern über diesen Muskel 
Gesagten veranlasste mich die von Schülern immer und immer wieder 


1) Ich lege auf diese etwas teleologisch klingende Argumentation umso- 
weniger den Hauptaccent, als ich die Verhältnisse nicht bei den mit frei beweg- 
lichem hallux versehenen Säugern verfolgen konnte und berufe mich vorzüglich 
darauf, dass es mehrere oflenbar einander homologe Muskeln sind, welche von 


Beiträge zur Myologie. 199 


vorgebrachte Angabe, dass das Platysma „von der Fascie des grossen 
Brustmuskels“, oder dass es „von der clavicula“, oder „von den 
Rippen“ entspringe. 

In der That enthalten die Bücher über den Ursprung des platysma 
fast durchweg theils unbestimmte, theils unrichtige Angaben, nach welchen 
der „in der Gegend der clavieula oder den oberen Rippen entstehende“ 
Muskel leicht als „von der clavicula oder den Rippen entspringen de“ 
verstanden wird, während mehrere, zumal die neueren Lehrbücher (Hykrz, 
Hrnte, Luschxa, QuAam-Horrmann), den Muskel ausdrücklich „von 
der Fascie des grossen Brustmuskels“ entspringen lassen '). 


Hand zu. Fuss gegen die Ordnung der Fingernummern in völlig gleichmässiger 
Weise verstossen. 

Den Angaben Mecker’s (Syst. d. vgl. Anat. III, 536) und theilweise eigener 
Anschauung entnehme ich, dass der M. extensor carpi rad. long. bei zahlreichen 
Säugern, wie beim Menschen, den 2. Finger besetzt, bei anderen aber den 
ersten, hier also völlig mit dem tibialis anticus übereinstimmt. An den 2. 
Mittelhandknochen geht der. ext. carp. rad. long. beim Schweine; bei dem 
Murmelthier, Biber, der Ratte und bei vielen anderen Nagern sind beide exten- 
sores carpi radiales vorhanden und sie inseriren am 2. und 3. Metacarpus. Eben- 
so bei Didelphis. Insertion am 1. Metacarpus dagegen findet sich bei 
folgenden Thieren: beim Daman, wo beide extensores radiales vorhanden sind, 
gehen dieselben an die BISE ersten Mittelhandknochen; bei Ai, Ameisenfresser 
und Tatu geht der rad. long. mit zwei Sehnen an die beiden ersten Mittelhand- 
knochen;, bei den nen geht der anfangs einfache Muskel mittelst drei 
Sehnen an die drei ersten Mittelhandknochen; ähnlich bei den Fledermäusen. 


1) Die erste jener zu Missverständnissen Veranlassung gebenden Angaben 
findet sich bei Arsınus: „Principium (m. latissimi colli) e tenuibus magnamque 
partem sparsis fasciculis constans, quo in pectore infra claviculam et in 
humero ineipit“ (Tabulae museulorum, XI, Fig. XVI, a) „— besteht aus dünnen, 
langen, in der Fetthaut liegenden Muskelfassern.‘‘“ (SOEMMERRING, Muskellehre, 
pag. 93). „— liegt unmittelbar unter der Fetthaut, an die er genau angeheftet 
ist; entsteht in der Brust- und Schultergegend mit einzelnen Bündeln etwas un- 
terhalb dem Schlüsselbeine —“ (Mecker, Hndb. d. Anat. II, 470). „— ein sehr 
dünner Muskel, — — welcher schräg vom Schlüsselbein bis in das Gesicht hinauf- 
steigt —. Er entsteht mit zerstreuten Bündeln unterhalb des Schlüsselbeines —“ 
(Krause, Hndb. d. Anat. I, 374). „Ursprung: die Brust- und vordere Schulter- 
gegend, vor dem M. pectoralis maj. und der 2. und 3. Rippe“ (Bock, anat. 
Taschenbuch 1851, p. 154). „Die Fasern übergehen unten in das subeutane 
Bindegewebe —“ (Langer, Lehrb. d. Anat. 194). „— Lage von Muskelbündeln, 
welche — — über das Schlüsselbein und auf die Brust treten“ (Meyer, Lehrb. 
d. Anat., 248). 


Von den Angaben, welche das Platysma ausdrücklich von der Muskel- 
fascie entspringen lassen, führe ich nur an: „— liegt dicht unter der Haut und 
entspringt — — an der vorderen Fläche der Brust in dem Zellgewebe vor dem 


200 WELCKER. 


[4 


Ich habe mich bemüht, ein Präparationsverfahren ausfindig zu machen, 
welches hier unzweideutigen Aufschluss giebt. Das Platysma entspringt 
vom Unterrande des Unterkiefers '); sein unteres Ende heftet sich, wie 
ich den vorstehenden Angaben gegenüber berichtigen möchte, nicht etwa 
an das Unterhautzellgewebe, noch weniger an die Muskelfascie, sondern 
es inserirt dasselbe im eigentlichsten Sinne des Wortes an. die Haut 
der Infraclavieular- und Schultergegend. Die Sehnenfasern der 
einzelnen Bündel und Strähne, in welche das Platysma an der Insertions- 
grenze sich zerspaltet, fliessen in die Bindegewebsbündel des corium ein, 
mit ihnen sich innig vermischend. Hierbei ist zu bemerken, dass der 
Muskel, indem seine obere (vordere) Fläche mit der sie bedeckenden Haut 
innig und unverschieblich verwachsen ist, nicht einfach vom Ursprunge 
nach der Ansatzstelle hin wirkt, sondern es wirkt derselbe auf die ge- 
sammte, dazwischenliegende Haut, dieselbe runzelnd und verschiebend ?). 


Dass dem so ist, zeigt sich bei folgendem Präparationsver- 


grossen Brustmuskel“ (HILDEBRAND-WEBER, II, 370). „— entspringt vom subeu- 
tanen Bindegewebe der Brust und von der Fascie des grossen Brustmuskels in 
der Gegend der 2. Rippe —“ (Hyrrr, Lehrb. d. Anat. 11. Aufl., 400). „— ent- 
springt aus den Bindegewebsfaseien des pectoralis und deltoides“ (Hyarı, Zer- 
gliederungskunst, 210). „Die Hauptmasse der Fasern entspringt aus der Fascie 
des M. pect. major und des M. deltoideus —“. „Die vom pectoralis entspringen- 
den Bündel liegen dicht zusammen, die vom deltoideus entspringenden mehr 
zerstreut —“ (HENLE, Muskellehre, 105). „Die meisten seiner Bündel hängen 
mit der Binde zusammen, welche den M. pectoralis major und den vorderen Ab- 
schnitt des deltoideus überzieht“ (LuscHrA, Anat. des Halses, 161). „— ent- 
springt am oberen Theil der Brust von der Fascie der Mm. pect. major und del- 
toideus“ — (HoLLstein, Lehrb. d. Anat., 5. Aufl. 286). 

Nur in Einer Angabe scheint der Muskel in der von mir gegebenen Weise 
aufgefasst zu werden, dies in einem älteren Werke, bei LautH (Handb. d. pract. 
Anat, I, 1835, p. 154): die breiten. Halsmuskeln „verlieren sich endlich in der 
Haut, welche den oberen Theil des grossen Brustmuskels und des Deltamuskels 
bedeckt.“ Ich zweifle nicht, dass hier der jene Muskeln deckende Theil der 
äusseren Haut, und nicht etwa die Fascie gemeintist. Alle übrigen Autoren 
welche von einer „Anheftung“ des Platysma an die Haut sprechen (Krause, 
HEntE, LuscHkA) meinen damit nur die bekannte dichte Verklebung der vorde- 
ren Fläche des Muskels mit der Haut, und derselbe ist ihnen nur durch diese 
Beziehung ein „Hautmuskel“; sie lassen die weit kräftigere Anheftung der 
Endfasern (die eigentliche Insertion) nicht an die Haut, sondern an die Muskel- 
fascie treten. 

l) Gut dargestellt bei Hrrrzmann, Anat. I, Fig. 39. 

2) Eine gute Abbildung des thätigen (die Halshaut vom Kinne bis zum Iu- 
gulum in Querrunzeln ziehenden) Platysma giebt, nach einer Photographie 
DucHENNE’s, DarwIn (Ausdruck der Gemüthsbewegungen, deutsch von V. Carus, 312). 


Beiträge zur Myologie. 201 


fahren: Man durchschneide die Haut längs des Unterkieferrandes, das 
Platysma selbst nicht verletzend, und führe zwei weitere Hautschnitte 
längs des medialen und lateralen Randes des Muskels. Präparirt man 
nun den durch diese drei Schnitte umgrenzten Hautlappen nach abwärts 
sorgfältig vom Platysma los, so kommt man unterhalb der clavicula an 
eine nicht ganz geradlinige Grenze, längs welcher die Haut sich 
nicht weiter lüften lässt, falls nicht die Insertion des Mus- 


4. Schematisches Profil des oben beschriebenen Präparates. abc Kinn-, 
Hals- und obere Brusthaut, an welcher das Platysma bei d (Infraclaviculargegend) inse- 
rirt. Der obere Pfeil deutet die Richtung des ersten, sich möglichst auf dem Platysma 
haltenden Präparationsganges an; der untere Pfeil die Richtung des zweiten ‚Ganges, 
welcher, die Fascie möglichst unberührt lassend, hinter das Platysma führt. 


B. Platysma myoides der rechten Seite nebst der Haut des Halses; Ansicht auf 
die hintere Fläche. 


C. Insertionsende des Platysma, p, durch den panniculus adiposus der Brust hin- 
durch zur Haut tretend. 


kels, dessen Uebertritt zur Haut bei diesem Verfahren nicht 
zu verkennen ist, durchschnitten würde. Verlängert man nun 
die beiden Längsschnitte der Haut über das Gebiet des Platysma hinab, 
— den lateralen bis auf die Schulter, den medialen bis zur 4. Rippe —, 
die Enden beider Schnitte durch einen Querschnitt verbindend, und prä- 
parirt .diesen Hautlappen nach aufwärts, das subceutane Bindegewebe 
möglichst vollständig auf der Muskelfascie sitzen lassend, so geräth 
man, sobald die Grenze erreicht ist, bis zu welcher bei der 


202 WELCKER. 


ersten Präparation die Haut von oben her gelöst wurde, unter 
oder hinter das Platysma, und das nun losgelöste Präparat (vgl. 
Fig. 18) gabelt nach oben in eine vordere Lamelle: Haut, und eine 
hintere Lamelle: Platysma. Ein vorzügliches Schulpräparat erhält man, 
wenn nun noch das obere Ende des Muskels bis zum. Unterkiefer auf 
beiden Flächen sorgfältig gereinist und die am Platysma hangende Kiefer- 
hälfte vom Schädel gelöst wird (Fig. 18, B). 


Dass das untere Ende des Platysma nicht etwa künstlich von der 
Muskelfascie weg- und auf die Haut hinüberpräparirt wurde, erkennt 
man an diesem Präparate, sofern noch ein Zweifel bestehen sollte, aus 
der scharfen Einbiegung, welche der Muskel längs seiner Insertionsgrenze 
an der Haut erzeugt, wenn man ihn von dem straff gespannten Haut- 
lappen rechtwinklig abzieht (man halte die Haut horizontal ausgespannt, 
bei frei herabhängendem Muskel und Unterkiefer); kleine Grübchen, in 
welche die Haut sich einzieht, demonstriren sehr deutlich die genauen 
Insertionsenden der einzelnen straff gespannten Sehnenbündel. 


Die Insertion des Platysma an die Haut ist eine so feste, dass ein 
ansehnliches Gewicht an die Haut angehängt werden kann, ohne dass das 
auf semen beiden Flächen bis zu den feinsehnigen Insertionsenden 
der Bündel vollkommen rein präparirte Platysma abreisst. Bei 
den von mir angestellten Versuchen trug das einer kräftigen Mannes- 
leiche entnommene Platysma nach einander 6, 8, 10, schliesslich 20 Pfunde, 
ohne dass die Sehnenenden von der die Gewichte tragenden Haut ab- 
rissen. Da weitere Gewichte nicht zur Hand waren, schüttelte ich wieder- 
holt das mit 10 Kilo belastete Präparat, bis endlich durch den erzeugten 
Ruck das in der Hand gehaltene Oberende des Muskels Noth litt, wäh- 
rend die Insertion unverletzt blieb. Man sieht hieraus, dass der von mir 
behauptete Uebertritt an die Haut eine Insertion im eigentlichsten 
Sinne des Wortes ist }). 


Aber auch ohne jede Präparation lässt sich unter günstigen Verhält- 
nissen erkennen, dass das Platysma nicht an die Faseie inserirt. Setzt 
man bei einer mageren Leiche mit recht verschieblicher Haut die Finger- 


1) In der 2. Auflage seines Lehrb. d. Anat., p. 272, sagt Meyer von den Haut- 
muskeln (zunächst der Thhiere), dass sie „zum Theil einen freien Anfang und ein 
freies Ende haben, zum Theil auch von Knochenpunkten entspringen und nach 
längerem Verlaufe frei enden“; für das Platysma des Menschen, welches als 
eine flache Lage von Muskelbündeln unter der Haut liege, giebt M. keinen be- 
sonderen Ursprung, resp. Insertion, an. — Dass das Platysma des Menschen nicht 
etwa „frei endet“, beweist obiger Versuch. 


Beiträge zur Myologie. 203 


spitzen in der Infaclavieulargegend auf die Ansatzgrenze des Platysma 
und rückt die Haut hin und her, so folgt das Platysma der letzeren, 
ohne dass die Muskelfascie sich irgend mit bewegt oder ein Hinderniss 
für die Hautverschiebung abgiebt. Auch sieht man nicht ab, wie das 
Platysma überhaupt nennenswerthe Bewegungen machen könnte, wenn 
dasselbe gleichzeitig (wie z. B. Krause es schildert, a. a. 0. 374) „an 
seiner inneren Fläche mit dem oberflächlichen Blatte der Fascia cervi- 
calis, an semer äusseren Fläche mit der Fascia superficialis und dem 
pannieulus adiposus genau verbunden“ wäre. 


Untersucht man bei fettreichen Personen, so findet sich das 
Platysma, welches sonst der Haut unmittelbar anliegt, nun durch die 
grössere Mächtiekeit der subeutanen Schicht von der Haut weggerückt; 
das Platysma liest unterhalb des Fettpolsters des Halses (wie ja auch 
bei den Thieren die Hautmuskeln unterhalb des pannieulus liegen). Aber 
keineswegs behält das Sehnenende des Platysma diese hintere Lage 
bei, etwa zur Fascia pectoralis tretend, sondern die Sehnenbündel durch- 
brechen das Fettpolster, nach vorm, zur Haut tretend. Das Fett- 
polster des Halses geht hiernach, soweit das Unterende des Platysma 
concurrirt, mittelst einer theilweisen Unterbrechung in das Fettpolster 

der Brust über, und es schiebt sich, wie €, Fie. 18 zeigt, der panniculus 
_ des Halses, nach unten zu immer dünner werdend (und zwischen den 
Sehnenbündeln des Platysma nach rückwärts durchgreifend), in den In- 
sertionswinkel des Platysma hinab, während der pannieulus der Brust, 
ebenfalls dünner werdend, in gleicher Erstreckung hinter die an die Haut 
tretende Sehne hinaufsteigt. 


Was die Wirkung des Platysma anlangt, so wird dasselbe von 
verschiedenen Anatomen als „Herabzieher des Unterkiefers“ auf- 
geführt, und die allgemein gebräuchliche Bezeichnung der unteren Partie 
des Muskels als „Ursprung“ scheint den Unterkiefer als punctum mo- 
bile vorauszusetzen. Man sieht indess bei der Eröffnung des Mundes 
durchaus nichts von der jede Zusammenziehung des Platysma beglei- 
tenden Runzelung und Emporhebung der Haut, und der aufgeleste Finger 
findet das Platysma vollkommen ruhig. Anders bei lebhafter Einathmung 
oder beim Oeffnen des durch äussere Gewalt zusammengehaltenen Mundes, 
wo das Platysma in Mitbewegung eintritt. Die normale Wirkung des 
Muskels, bei welcher der Unterkiefer als punctum fixum dient, 
bezieht sich, wie dies Hrxte (Muskellehre 108), nach der Angabe von 
Forız in Erinnerung bringt, auf die Emporhebung der Haut des 
Halses und ihrer Unterlagen, resp. auf die Spannung der Hals- 


204 : WELCKER. 


venen — mithin auf die Regulation der Blutbewegung unter besonderen 
Verhältnissen (bei'm Singen, Echauffement, lebhaftem Athmen). !) 

Zu berichtigen ist eine Angabe Darwım’s?), nach welcher das Pla- 
tysma myoides (im Gegensatz zu anderen, „in einem noch wirksamen 
Zustande“ vorhandenen Resten des Hautmuskels der Thiere) „nicht will- 
kürlich in Thätigkeit gebracht werden“ könne. Bei mir und mehreren 
Personen, die ich darauf prüfte, bewirkt die willkürlich sehr leicht erfol- 
gende Zusammenziehung des Platysma eine deutliche Runzelung und 
Emporhebung der Halshaut. Die freie Beweglichkeit des Platysma scheint 
jedenfalls viel häufiger zu sein, als etwa die der Ohren oder der Kopfhaut. 


1) Vgl. m. Angabe über die Wirkung des M. sartorius (REICHERT’s und D 
Boı1s’ Archiv, 1875, p. 38). - 
2) Die Abstammung des Menschen, deutsch von V. Carus, I. 16. 


Halle, im August 1875. 


Die Bursae phrenico-hepatiea anterior und posterior. 


Von 
Dr. A. von Brunn, 
Prosector in Göttingen. 


(Hierzu Tafel VII.) 


In einer vorläufigen Mittheilung (Göttinger Nachriehten 1874, 
No. 19) beschrieb ich eine an der unteren Fläche des Zwerchfelles 
linkerseits gelegene Tasche, die ich für völlig abnorm hielt. Die 
Untersuchung von vierzig auf hiesiger Anatomie vorgekommenen 
Leichen und von vierundzwanzig bezüglichen Präparaten, die mir Herr 
Prof. WALDEYER aus Strassburg zuzusenden die Güte hatte, hat mich 
indessen belehrt, dass diese Tasche ziemlich häufig vorkommt und ihre 
Entstehung der bis jetzt nicht genügend beschriebenen Form des 
Ligamentum triangulare hepatis sinristrum verdankt. Ich werde dem- 
nach zunächst diese Bauchfellfalte näher beschreiben und dann auf die 
Entstehung und Verhältnisse jener Tasche übergehen. 

Das Lig. triangulare sinistrum wird in den Handbüchern aus- 
nahmslos als eine directe Fortsetzung des Lig. coronarium beschrieben, 
welche dadurch, dass der hintere Rand des linken Leberlappens sich 
nach links hin vom Zwerchfell mehr und mehr entferne, die Form 
einer dreieckigen Falte erhalte. Der obere Rand derselben wäre dem- 
nach an das Zwerchfell, der untere, unter spitzem Winkel mit dem 
oberen zusammenstossend, an der Oberfläche der Leber in der Nähe 
des hinteren Randes befestigt; — der linke Rand sei scharf und 
schliesse den von den vorigen beiden gebildeten Winkel zum Dreieck; 
er verlaufe vertical von der äussersten linken Ecke der Leber nach 
oben. Diese Beschreibung trifft nun aber nur für den Fötus zu: be- 
merkenswerth für das Folgende ist besonders, dass sich der untere 


206 A. von BRURNN. 


Rand des Bandes beim Fötus nicht an den hinteren Rand, sondern 
an die obere convexe Fläche der Leber ansetzt, so dass der vordere 
sowie der hintere Leberrand frei in die Bauchhöhle hineinragen. 

In den Leichen erwachsener Individuen ist dagegen die Form mit 
seltenen Ausnahmen eine ganz andere. Der linke Rand des Bandes 
geht nämlich von der linken Ecke der Leber aus nicht senkrecht in 
die Höhe, so dass nur der dreieckige Raum zwischen Leber, Zwerch- 
fell und Lig. coronarium von ihm durchzogen würde, sondern zieht 
sich nach links am Zwerchfell hin und hat oft eine Länge von 
10—12 cm., so dass er erst über der Milz endet. Die Höhe des 
Bandes, vom Ansatz am Zwerchfell gemessen, nimmt vom Leberrande 
nach links hin allmälig ab. Der beim Fötus linke Rand desselben, 
der dort mit dem unteren in einem dem rechten sich nähernden 
spitzen Winkel zusammenstiess, kommt daher jetzt gegen den unteren 
in einen sehr stumpfen Winkel zu stehen und liest mehr nach unten 
als nach links hin. Dieser Rand also, den man als unteren des links 
von der Leber gelegenen Theils des Lig. triangulare sin. bezeichnen 
darf, ist nicht scharf, sondern breit, er stellt in Fällen, wo die später 
zu beschreibenden Taschen nicht da sind, eine 0,5—3 cm. breite 
Platte dar, auf deren oberer Fläche das eigentliche vertical stehende 
Lig. triangulare befestigt ist und deren vorderer und hinterer Rand 
als direste Fortsetzungen der entsprechenden Ränder der Leber zu 
betrachten sind (Fig. 2). Die vor der Verwachsungslinie mit dem 
eigentlichen Lig. triangulare gelegene Partie ist, entsprechend dem 
Ansatze des Bandes an die Leber, die grössere. Der Querschnitt des 
linken Theiles des Bandes hat demnach die Form eines umgekehrten 
T (1), dessen senkrechtem Schenkel das eigentliche Lig. triangulare, 
dessen querem die genannte Platte entspricht. Nicht in allen Fällen. 
reicht diese letztere von der Leber bis an das linke Ende des Lig. 
triangulare, — oft nur bis zu dessen Mitte, oft noch weniger weit. ' 
Ist sie in ihrer vollsten Entwickelung vorhanden, wie in Fig. 2, so 
verbreitert sie sich am Ansatz an das Zwerchfell ein wenig; ist also 
im Ganzen einen langen Rechteck ähnlich, dessen beide lange Seiten 
frei und ein wenig concav, dessen kurze an der Leber und dem 
Zwerchfell befestigt sind. Reicht die Platte dagegen nicht bis an das 
Zwerchfell, dann convergiren die beiden freien Ränder nach links unter 
einem spitzen Winkel und sie stellt ein gleichschenkliges Dreieck 
mit an der Leber angewachsener Basis dar. 

Wie hat man sich nun das Zustandekommen dieser verschiedenen 
Formen zu erklären? Wir müssen, um darüber Aufschluss zu erhal- 
ten, die Entwicklung der Leber berücksichtigen. 


Die Bursae phrenico-hepatiea anterior und posterior. 207 


Schon während des Fötallebens und noch lange Zeit nach der 
Geburt verkleinert sich bekanntlich der linke Leberlappen sehr be- 
deutend nicht nur relativ, sondern absolut — nach HILDEBRAND ist 
der Schwund desselben so bedeutend, dass derselbe beim Neugeborenen 
doppelt so schwer ist als beim einjährigen Kinde, — und zieht sich, 
so zu sagen, aus seinem Bauchfellüberzuge nach rechts zurück. Dieser 
selbst resp. der linke obere Winkel des Lig. triangulare ist nun beim 
3— 4monatlichen Embryo etwa in der Höhe der 10. bis 11. Rippe 
am Zwerchfell angewachsen und es muss also ceteris paribus das Lig. 
triangulare stets von da aus zur Leber gehen und um so länger wer- 
den, je mehr der linke Lappen sich verkleinert und je mehr das 
Zwerchfell selbst an Grösse zunimmt. — 

Diese Verkleinerung erfolgt nun nicht gleichmässig an allen 
Theilen der Leber: an ihr direct betheiligt ist nur die Masse der 
Leberzellen, — die Gefässe dagegen, Blut- sowohl wie Gallengefässe, 
bleiben zurück und stellen die Vasa aberrantia des Lig. triangulare 
dar. Auch geht in manchen Fällen der Schwund der Lebersubstanz 
nicht gleichmässig am linken Rande hin, sondern erfolgt so, dass 
grössere oder kleinere Partieen zunächst vom Ganzen sich ablösen, 
also vorerst isolirt zwischen den beiden Platten des sonst leeren Peri- 
tonealüberzuges liegen bleiben und dann erst allmälig der Resorption 
anheimfallen. Solche isolirte Leberkrümchen finden sich nicht selten 
zwischen den beiden Lamellen der horizontalen Platte des Lig. trian- 
gulare sowohl bei Embryonen aus den letzten Monaten, wie bei Er- 
wachsenen. Besonders instructiv ist in der Hinsicht Fig. 1 von einem 
Smonatlichen Fötus, bei dem ein 2 mm. im horizontalen Durchmesser 
haltendes plattes Leberstück auf der Kante des Lig. triangulare auf- 
sitzt, mit seinen Flächen horizontal gestellt. 

Die Form, welche der leere Bauchfellüberzug des linken Leber- 
lappens nach dem Schwunde der Lebersubstanz hat, müsste, wenn der- 
selbe starr wäre und seine frühere Form beibehielte, die einer leeren 
Tasche sein, deren Höhlung sich zwischen die beiden Blätter des Lig. 
triangulare hinein erstreckte. Er ist nun aber weich und zart: daher 
lesen sich zunächst die beiden Blätter aneinander und bilden so eine 
senkrecht auf dem eigentlichen Lig. triangulare aufstehende Platte. 
Die Weichheit und Zartheit des Bauchfells ist aber beim Fötus zu 
gross, um auch nur diese Platte fortbestehen zu lassen; dieselbe wird 
vielmehr völlig eingezogen, das Lig. triangulare nimmt sie vollständig 
in sich auf. Es bleibt nur das ursprüngliche Ligament mit linearem 
Querschnitt übrig. So ist der Vorgang beim Fötus, dessen Bauch- 
fell sich im Ganzen durch seine Zartheit auszeichnet: es findet sich 


208 A. von Brunn. 


trotz der Verkleinerung des linken Leberlappens bei ihm immer nur 
jenes einfache, eingangs beschriebene Lig. triangulare, nur wird in den 
späteren Monaten die Verlängerung desselben nach links hin wahr- 
nehmbar. — Ebenso verhält sich diese Falte bei Thieren während 
des ganzen Lebens, da ihr Peritoneum immer in seinem ursprüng- 
lichen zarten Zustande verbleibt: auch hier ist die Beschaffenheit 
stets die früher geschilderte. 

Nach der Geburt erhält sich nun aber beim Menschen jene zarte 
slashelle Beschaffenheit der Bauchfellüberzüge überhaupt und speciell 
der stellenweise frei durch Theile der Bauchhöhle ziehenden Falten 
mit Ausnahme weniger Fälle nicht mehr lange; dieselben werden 
weisslich trübe, dicker, härter, weniger nachgiebig, starrer. Daher 
findet sich in den Leichen Erwachsener das Lig. triangulare von 
der vorhin geschilderten Form: auf dem linken resp. vordern 
Rande desselben liest eine horizontale Platte auf, deren 
Ränder in die des linken Leberlappens übergehen. 

Die Platte nun wird, entsprechend der Form dieses Lappens, 
dreieckig sein müssen: der besprochene Modus der Entwickelung reicht 
also nur zur Erklärung der einen Art der Platte hin. Die Ausbil- 
dung der viereckigen Form hat als Ursache eine etwas andere ur- 
sprüngliche Anheftung des Lig. triangulare.e Man sieht nämlich ab 
und zu schon beim Fötus, dass der untere Rand dieser Falte sich nicht 
nur an der oberen Fläche der Leber ansetzt, sondern dass seine Insertion 
sich am vorderen oder hinteren Rande der Leber, und dem entspre- 
chend auch der Ansatz des hinteren Randes am Zwerchfell nach vorn 
oder hinten eine kleine Strecke weit hinzieht. Der betreffende Theil 
des Bandes stellt dann eine schmale, horizontal liegende, mit dem 
einen langen Rande an das senkrecht stehende Lig. triangulare an- 
gewachsene, mit dem anderen freien Rande nach vorn resp. hinten 
schauende Platte dar, deren Vergrösserung beim Zurückweichen der 
Leber jene zweite Form (Fig. 2) liefert. 

Diese beiden Arten des Lig. triangulare bilden bei Weitem die 
Regel. Ich habe unter 43 Präparaten die vierseitige Form der Platte 
1Smal mehr oder minder deutlich, die dreiseitige 21mal, ausgebildet 
vorgefunden, — nur in 4 Fällen konnte ich keine von beiden nach- 
weisen, — in diesen zeigte das Ligament die Form, die gewöhnlich 
als seine regelmässige angesehen wird. 

Besonders bei vierseitiger, in geringem Grade auch bei dreiseitiger 
Gestalt der horizontal stehenden Platte, wird vor wie hinter dem senk- 
rechten Theil des Lig. triangulare je eine Furche gebildet (f und f£, 
in Fig. 2), die vordere wesentlich tiefer als die hintere: sie sind nach 


Die Bursae phrenico-hepatica anterior und posterior. 209 


vorn resp. hinten offen, ihre untere Wand gebildet von der horizon- 
talen Platte des Lig. triangulare, dessen senkrechte Platte zugleich 
als Scheidewand auftritt (in Fig. 2 punktirt), — die obere vom Zwerch- 
fell. Die Tiefe der beiden Furchen richtet sich nach der Breitenaus- 
dehnung der horizontalen Platte, ihre Länge nach der Längenausdeh- 
nung derselben, — in jeder Hinsicht am grössten sind sie also bei der 
vierseitisen Form der Platte. Nach rechts hin setzen sich ‘die Hohl- 
räume beider in den Raum zwischen Leber und Zwerchfell einerseits 
und den zwischen Leber und kleinem Netz andererseits fort. 

Durch Verklebung der freien Ränder der horizontalen Platte mit 
dem Bauchfellüberzuge des Zwerchfells können nun aus diesen beiden 
Furchen Taschen entstehen, welche ich als Bursa phrenico-hepa- 
tica anterior und posterior bezeichne. Es ist bei der verschie- 
denen Form des Lig. triangulare natürlich, dass die Taschen in Grösse 
und Gestalt sehr variiren, dass sie desto grösser sind, je ausgebildeter 
jene Furchen waren, je weiter sich also die dreieckige Platte nach links 
erstreckt, und dass sie am grössten sein werden, wenn jene Platte 
viereckig war. Was die Häufigkeit der beiden Taschen betrifit, so 
kam bei den von mir untersuchten Leichen die vordere etwa in der 
Hälfte aller Fälle vor — unter 64 Leichen 31mal, — die hintere da- 
gegen nur 2mal, eine Differenz in der Häufigkeit, die jedenfalls ihren 
Grund darin hat, dass entsprechend dem Ansatze des Lig. triangulare 
in der Nähe des hinteren Randes der Leber der vorn über die senk- 
rechte Platte des Bandes überstehende Theil der horizontalen durch- 
sängig der bei Weitem grössere ist. — Es scheint mir indessen fast, 
als ob ich mit den mir vorgelesenen Fällen viel Glück gehabt habe 
und die Procentzahl für die vordere Tasche im Ganzen eine weit 
kleinere sei. Herr Dr. C. LAUENSTEIN, Assistenzarzt am städtischen 
Krankenhause in Hamburg, hat die Freundlichkeit gehabt, bei den 
dortigen Sectionen auf die betreffende Gegend speciell zu achten und 
hat unter 100 Fällen nur 10mal die vordere Tasche gefunden und 
zwar immer nur von ganz mässiger Grösse, — nie von annähernd so 
grossen Dimensionen, wie die von mir beobachteten, sogleich zu be» 
schreibenden 5 grossen. 

Eines der 5 grössten Exemplare, die mir vorgekommen sind, ist 
das in Fig. 3 a und b abgebildete, dasselbe, das ich in meiner oben 
erwähnten vorläufigen Mittheilung beschrieb. Die Tasche erstreckt 
sich vom linken Rande der Leber 13 em. weit nach links und hinten, 
wie das Lig. triangulare selbst, hat ein cylindrisches Lumen von 
3,5 cm. Durchmesser und fasst 60 ccm. Flüssigkeit; — die Weite ist 
nicht überall genau dieselbe; zwei geringe Einschnürungen verengern 

Zeitschriit f. Anatomie. Bd. 1. 14 


210 A. von Brunn. 


sie in einiger Entfernung von einander. — In einem anderen Falle 
fand sich eine noch grössere Tasche. Dieselbe fasste 100 cem. Wasser 
und hatte eine Länge von. 17 cm. Ihre Form war der vorigen auf 
Fig. 3 a. b abgebildeten ähnlich, nur lief sie am linken Ende kegel- 
förmig aus und erstreckte sich dadurch, dass der vordere Rand des 
linken Leberlappens in einer Strecke von 3 cm. an das Zwerchfell 
fest angelöthet war, bis auf die obere Fläche des ersteren. 

Von ähnlich bedeutenden Dimensionen, — 6, 10, 16 cm. Länge 
und 3 cm. Durchmesser fanden sich ausserdem noch 3 Exemplare. 
In allen diesen lagen zwischen den Platten der unteren Wand Leber- 
krümchen in grosser Menge und ausserordentlich zahlreiche lang- 
gestreckte Blut- und Gallengefässe, — wie dies in Fig. 3 a dargestellt 
ist. — Diese 5 am deutlichsten ausgesprochenen Fälle sind offenbar, 
wie dies aus dem Durchmesser der Taschen, namentlich an ihrem 
Grunde, hervorgeht, durch Vermittlung der vierseitigen Form der ho- 
rizontalen Platte des Lig. triangulare entstanden. 

Sämmtliche übrigen 26 Fälle zeigten sehr viel kleinere, nament- 
lich sehr viel engere Taschen, mit einem Durchmesser von 1,0—0,5 em. 
Durchmesser und darunter, mitunter waren sie so eng, dass sie 
nur eben eine feine Sonde passiren liessen. Auch die Länge variirte 
ganz ausserordentlich: sowohl solche von S cm. Länge kamen vor, 
wie andere, die eben nur einen Stecknadelknopf aufzunehmen im Stande 
waren. — Offenbar können es drei Momente sein, welche die Weite 
und Länge der Tasche auf so geringe Maasse reduciren; einmal die 
geringe Breiten- resp. Längenausdehnung der horizontalen Platte des 
Lig. triangulare, und zweitens, — falls jenes erste Moment fehlt, — 
die Anheftung nicht nur des freien Randes, sondern auch der oberen 
Fläche jener Platte an das Zwerchfell in geringerer oder grösserer 
Ausdehnung, — oder drittens die Anlöthung des freien Randes nur 
in geringer Ausdehnung vom linken Ende an. Man findet Fälle, die 
alle drei Entstehungsarten, der eine die, der andere jene, beweisen. 
Bei den Fällen der ersten Art liegt die Einganssöffnung über dem 
linken Rande des linken Leberlappens, die Wände sind genau diesel- 
ben, wie bei den ausgebildeten Exemplaren, aber alle Dimensionen 
sehr viel kleiner. Bei der zweiten Art kann die horizontale Platte 
mächtig entwickelt sein, sie liegt aber, wie aufgeleimt, fest auf dem 
Zwerchfell und der Eingang in die Tasche befindet sich in einiger 
Entfernung vom freien Rande, welchem letzteren parallel, aber mehrere 
Millimeter von ihm entfernt, die enge Tasche sich in bald grösserer, 
bald geringerer Ausdehnung erstreckt. Endlich ist im dritten Falle 
der vordere Rand der Platte bis auf eine kleine Strecke am linken 


Die Bursae phrenico-hepatica anterior und posterior. 211 


Ende frei, so dass also der Tascheneingang mehrere, — bis 10 cm. 
weit vom Leberrande entfernt liegen kann. 


Die hintere Tasche scheint, wie gesagt, nur sehr selten zu finden 
zu sein, auch die beiden von mir beobachteten Fälle zeigten sie nur 
sehr unbedeutend entwickelt. Der eine fand sich an dem Präparate, 
welches zugleich die grösste vordere enthielt, der andere an einem, 
bei dem jene nur schwach war. 


Die Verklebung des freien Randes der oftgenannten horizontalen 
Platte des Lig. triangulare mit dem Bauchfellüberzuge des Zwerch- 
felles muss wohl durch Vermittlung eines entzündungsähnlichen Pro- 
zesses vor sich gehen, der aber nicht Theil einer weiter verbreiteten 
Peritonitis zu sein braucht: denn die Tasche existirt in 4 von meinen 
5 bestentwickelten Fällen ohne alle sonstigen abnormen Adhäsionen 
der Peritonealüberzüge. Der Vorgang mag etwa derselbe sein, wie 
derjenige, welcher die Verlöthung der Platten des grossen Netzes so 
oft herbeiführt. — In vielen Fällen ist die Löthungslinie als verdick- 
ter weisslicher linearer Streifen zu sehen. Ab und zu finden sich 
Fälle, in denen die Verlöthung an einer oder einigen Stellen unter- 
brochen ist, so dass das Wasser, welches man in die regelmässige 
Oeffnung eingiesst, theilweise wieder ausläuft, — doch scheint ein 
solehes Vorkommen selten; — ich habe es nur zweimal beobachtet. 


In welchem Lebensalter die Bildung der Bursae phrenico-hepaticae 
erfolst, ist mir bei meinem geringen Material an Leichen jugend- 
licher Individuen zu entscheiden nicht möglich gewesen: ich hatte 
nur zwei Präparate von einem 3jährigen und einem 2jährigen Kinde 
zur Untersuchung; im ersteren fand sich eine Tasche von 3 em. Länge 
und 0,5 em. Durchmesser. Denkbar ist, dass die Entstehung, ebenso 
wie es bei der Verkleinerung des linken Lappens der Fall ist, in die 
ersten Jahre nach der Geburt fällt. Bestimmte Angaben könnte na- 
türlich nur Jemand machen, der Kinderleichen in grosser Zahl zu 
untersuchen Gelegenheit hat. 


Klinisches Interesse werden die besprochenen Bildungen jedenfalls 
weniger, als die übrigen Bauchfelltaschen und -gruben beanspruchen 
dürfen. Zur Entstehung retroperitonealer Hernien werden sie, da der 
Eingang, namentlich in die häufigere vordere Tasche, durch die Leber 
verdeckt ist, kaum Veranlassung geben können; und wenn sie es thun 
sollten, — absolut unmöglich ist es ja nicht, da nach den Angaben 
von EnGEen (Wiener medicinische Wochenschrift 1861, No. 36) sich 
Darmschlingen zwischen Leber und Zwerchfell mitunter einschieben, 


— wird es aus Mangel an contractilen Elementen und irgend welchen 
14* 


312 A. von Brunn. Die Bursae ‚phrenieo-hepatica anterior und posterior. 


einer Verkürzung fähigen soliden Strängen an der Eingangsöffnung 
zu einer Incarceration keinesfalls kommen können. 


Erklärung der Abbildungen. 


Taf. VII. 


Dieselben stellen sämmtlich die Spitze des linken Leberlappens Z/, sammt 
einem Stück der linken Zwerchfellshälfte, d, dar. 

Fig. 1. von einem achtmonatlichen Fötus, — doppelte natürliche Grösse. 
v vorderer, % hinterer Rand des linken Leberlappens; — Zr. Lig. triang. sin. 
Li* abgetrenntes Stück des linken Leberlappens, horizontal auf dem freien Rande 
des Lig. triang. aufsitzend. 

Fig. 2. Zr. p. senkrechte, Zr. h. horizontale Platte” des Lig. triang. (vier- 
seitige Form); v und % vorderer und hinterer Rand der letzteren. Zr. p. h. An- 
satzlinie der senkrechten an die horizontale Platte. f und fi — vor und hinter 
der ersteren gelegene Furche, bei f am linken unteren Ende eine kleine Tasche, 

Fig. 3a und b. B.p. h. a. — Bursa phrenico-hepatica ant. g Gefässe. 
zwischen den Platten der unteren Wand gelegen; Z/* Leberkrümchen, eben- 
daselbst. % hintere Abtheilung der horizontalen Platte des Lig. triang. ir. p. A. 
wie in Fig. 2. — f. v. c. foramen venae cavae. A. oe — hiatus oesophageus. 


Beobachtungen über die Befruchtung und Entwicklung 
des Kaninchens und Meerschweinchens 


von 
Dr. V. Hensen in Kiel. 


(Hierzu Tafel VIII bis XII.) 


Die aphoristische Form der folgenden Mittheilungen und der 
Umstand, dass mehr Fragen aufgeworfen als abschliessende Beobach- 
tungen gegeben werden, erfordert eine kurze Erklärung. Diese Unter- 
suchungen sind vor eilf Jahren begonnen und haben seit vier Jahren 
vollständig geruht, auch bezogen sie sich zuletzt nur auf die Befruch- 
tung. Der Grund, weshalb sie abgebrochen wurden, lag theils in der 
Nöthigung, andere Dinge zu studiren, theils in dem steten Misslingen 
des Versuchs, die Eier des Meerschweinchens vom 8. Tage nach der 
Befruchtung aufzufinden, ein Versuch, an den ich mich jetzt zum 
letzten Male wage. Der Anstoss zu der hier unternommenen Ver- 
öffentlichung ward dadurch gegeben, dass mein verehrter Freund und 
Lehrer v. KOELLIKER einige Zeichnungen für seine demnächst erschei- 
nende Entwicklungsgeschichte glaubte benutzen zu können und daher 
vor Kurzem meine Zeichnungen zu näherer Durchsicht erhielt. Später 
hat er dann selber die Säugethiere untersucht und kann eigene Ab- 
bildungen geben. Bei dieser Sachlage musste es uns erwünscht sein, 
den Embryologen die anliegenden Tafeln vorzuführen, da, abgesehen 
von persönlichen Motiven, auf diese Weise sogleich eine breite Basis 
für eine eingehendere Ausarbeitung der Keimblattlehre der Säugethiere 
gewonnen wird. Man wird nämlich erkennen, trotzdem eine Verglei- 
chung mit der Entwicklung anderer Wirbelthiere den Erwägungen 
der so rüstigen Mitarbeiter auf diesem Gebiet vorbehalten ist, dass 
die Säuger erheblicher, als man vor wenig Jahren erwarten konnte, 


214 V. Hrnsen. Beobachtungen über die Befruchtung 


von den Beschreibungen der Entwicklung der anderen Wirbelthier- 
klassen abweichen. 

Hätte ich mit meiner Arbeit so hervortreten können, wie ursprüng- 
lich meine Absicht war, so würde, mit Ausnahme einiger Mittheilungen 
über die Befruchtung nichts gegeben worden sein, als was noch ein- 
mal eine Bestätigung erhalten hätte. Diese Durcharbeitung musste 
jetzt definitiv aufgegeben werden und so ist diese Arbeit in erster 
Linie als eine Anregung zur Verfolgung der mitgetheilten Thatsachen 
zu betrachten. Dabei wird allerdings gebeten, alles was die Zeich- 
nungen bieten als eine möglichst treue Wiedergabe meiner derzeitigen 
Präparate betrachten zu wollen. 

Von diesem Gesichtspunkte aus glaubte ich mir erlauben zu 
dürfen dem Leser meine Studien, den Herausgebern meine alt gewor- 
denen Zeichnungen anzubieten. 


I. Die Befruchtung. 


Es dürfte im Allgemeinen die Ansicht herrschen, dass die Lehre 
von der Befruchtung, als Theil der Zeugung in ziemlich befriedigen- 
der Weise abgeschlossen sei. Mit Ausnahme eines Punktes, nämlich 
des definitiven Verbleibs der Samenfäden und was sich daran knüpft, 
scheint mir diese Ansicht begründet, jedoch daneben bleiben eine 
Anzahl kleinerer Räthsel zu lösen, deren Beantwortung, obgleich mit 
der Species, ja zuweilen schon mit dem Individuum sich ändernd, 
doch für die Lehre von der Befruchtung wichtig ist. Ich habe viele 
Thiere, Meerschweinchen und Kaninchen, zur Bearbeitung dieser 
Dinge, die hauptsächlich in die ersten 20 Stunden nach der Copula- 
tion fallen, verwendet, die Zahl, über 70 'Thiere, scheint etwas gross, 
aber trotz der grossen Fruchtbarkeit der Arten fällt doch so häufig 
eine Unregelmässigkeit vor, dass die Versuche füglich gerne hätten 
vermehrt werden können. 

Folgende Fragen habe ich zu lösen versucht: 

A. weiblicher Theil. 
Lässt sich mit Sicherheit der Eintritt der Ovulation voraussehen ? 
Wie sind Follikel und Ei unmittelbar vor dem Bersten des 
Graaf’schen Bläschens beschaffen ? 
Finden sich besondere Verhältnisse beim Eiaustritt? 
Wann tritt das Ei aus? 
Wie gelangt es in die Eileiter? 
Welches ist das Schicksal des unbefruchteten Eies? 


und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 215 


B. männlicher Theil. 
Welche Momente führen zur Copulation ? 
Wie gelangt das Sperma in den Uterus? 
Wie gelangt es in den Eileiter? 
Ist ein Weg für den Samen vorgebildet? 
Wie dringt der Same ins Ei?!) 
Was sind seine weiteren Schicksale? 


Was ist die Wirkung der Befruchtung? 

Ehe vorstehende Fragen zur Erörterung kommen, muss über das 
Verfahren berichtet werden. 

Die Thiere wurden stets zum Zweck der Untersuchung durch 
den Nackenstich getödtet, doch wäre eine Variation dieses Verfahrens 
oder Vivisection für gewisse Einzelheiten vielleicht lehrreich und 
räthlich. Die betreffenden Thiere wurden stets in besonderen 
Behältern gehalten und von mir täglich controllirt. Die Zeitangaben 
für die Kaninchen sind genau, weil die Copulation beobachtet wurde. 
Bei den Meerschweinchen erfolgt letztere in der Regel 0 bis 3 Stun- 
den nach dem Gebären und die Ovulation richtet sich nach letzterem. 
Die Copulation der Kaninchen, von Th. BIsCHOFF?) beschrieben, ver- 
läuft so charakteristisch, dass die Beobachtung derselben als Anhalts- 
punkt für die Zeitbestimmung bequem ist. Bei Meerschweinchen kann 
dagegen die Geburt als solcher dienen, doch wurde sehr häufig die 
Copulation auch dieser Thiere beobachtet und für die Altersbestim- 
mung benutzt. Beobachter war ich oder der als zuverlässig erkannte 
Diener des Instituts. 

BiscHOFF°) bediente sich beim Meerschweinchen der mikrosko- 
pischen Untersuchung des Scheideninhalts, um die Vollbringung der 
Copulation zu constatiren. Anfänglich folste ich diesem Verfahren, 
jedoch um sicher zu gehen, muss man sehr gründlich die Scheide ent- 
leeren und macht den Thieren viel Schmerz. Wo es auf die Zeit der 
Copulation genau ankam, ward daher diese beobachtet, im übrigen 


l) Das Eindringen des Sperma ins Ei bezeichne ich mit dem lateinischen 
Ausdruck: Impraegnatio. Das Wort wird gleichlautend im Englischen und Fran- 
zösischen gebraucht und scheint mir zweckmässig, um den Vorgang des Ein- 
dringens von demjenigen der. Befruchtung so zu trennen, wie die Erfahrung dies 
fordert. 

2) Entwicklungsgeschichte des Kaninchen-Eies. Braunschweig 1842 (a) 
Seite 41. 

3) Entwicklungsgeschiehte des Meerschweinchens. Giessen 1852 (b) Seite 12. 


216 V. Hessen. Beobachtungen über die Befruchtung 


von der Geburt an gerechnet und die Fälle, wo eine Copulation nicht 
erfolgt war, wurden zum unvermeidlichen Verlust geschrieben. 


Eintritt der Ovulation. 


Das Aussehen der Vulva der Kaninchen belehrt, wie schon BIsCHOFF 
bemerkt, obgleich in der Brunst eine Injection der Theile stattfindet, 
doch nicht genügend über den Zustand des Thieres. 

Wenn man die Weibchen den Winter durch vom Bock getrennt 
hält, kann man, wie ich bei 9 Thieren fand, darauf rechnen, dass sie 
vom April bis Juli (für Kiel) zum qualificirten Bock gesetzt, sogleich 
copuliren. Wenigstens, geschieht dies unter 9 von 7 und von den 
beiden anderen am folgenden Tage. Auch hier werden Ausnahmen 
vorkommen. Alle diese Thiere ovuliren dann auch. Gleich nach dem 
Gebären nehmen die Thiere (gewöhnliche Race) zwar auch den Bock 
an,!) wenigstens bis zum August, aber dann erfolgt die Ovulation nicht 
sicher und zwar je später im Jahre, oder vielleicht je mehr Geburten 
vorangingen, desto unsicherer. In dieser Weise habe ich 7mal eine 
unfruchtbare Copulation constatirt, 4mal durch Autopsie der Thiere 
(keine Eier, keine Corp. lutea 2 bis 7 Tage später), 3mal dadurch, 
dass keine Trächtigkeit erfolete.e Zwei Kaninchen, welche 30 Tage 
getragen hatten, wurden gleich nach der Geburt erfolglos belegt, blie- 
ben in der Nähe des Bocks, wurden dann nach 35 und 37 Tagen 
wieder belegt und entwickelten Embryonen. 

Auch bei den Meerschweinchen ist der Eintritt der Ovulation 
nicht völlig sicher. 

„Ein Thier 1. Sept. 1868 hatte in der Nacht vor 61/, Morgens ge- 
boren, ward 5 Uhr Nachmittags getödtet, also gewiss über 11 Stunden 
nach dem Gebären. In keinem Eierstock ein Corp. luteum oder ein 
Follikel dieht vor der Berstung, im Uterus kein Sperma, aber die 
Rückenhaare voll davon. In Bezug auf letzteren Befund habe ich 
mehrere derartige Fälle mit Ovulation beobachtet, zuweilen ist die 
Scheide nach der Geburt schmerzhaft und geschwollen. 

„15. Mai 1868. Das Thier hatte am 3. Mai mit zwei Jungen ab- 
ortirt, damals fand sich Sperma in der Scheide, ward am 15. getödtet, 
im rechten Horn fand sich ein nahezu reifes lebendes Junges, linkes 
Horn leer, kein frisches Corp. luteum links, rechter Eierstock leider 
nicht untersucht.“ 

Wenn nach der Geburt die Ovulation resp. Embryobildung nicht 
erfolete, fand die nächste Ovulation (mit Befruchtung) statt nach 


l) Dies hat auch Weit: Beiträge zur Kenntniss d. Befruchtung u. Entwickl. 
d. Kanincheneies, med. Jahrbücher 1873 (bb) gefunden. Von 1] Thieren ovulirten 9. 


und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 917 


17, 18, 35 und 37 Tagen. BıscHorr!) giebt 38, 43 und 44 Tage. Bei 
meinen Zahlen ist die Trächtigkeitsdauer, welche zwischen 9 Wochen, 
5!/, und 9 Wochen 2 Tagen schwankt, zu 66 Tagen gerechnet. Es 
scheint also die Brunstzeit der Meerschweinchen nicht scharf periodisch 
zu sein. Nehmen wir 15 Tage an, so stimmt damit der 36. Tag. Die 
3. Periode würde dann rascher folgen. Die Brunst der Weibchen ist 
übrigens wenig energisch, mehrjährige isolirt aufgewachsene Thiere 
wurden nicht belegt. 

Ich kann im Allgemeinen sagen, dass man bei Kaninchen bei 
Vermeidung der Zeit nach der Geburt sehr sicher auf die Befruchtung 
rechnen kann, bei Meerschweinchen wird man kaum 10°/, Verlust 
zu erwarten haben. 

Ich bestätige die Erfahrung, dass die Ausstossung der Eier nicht 
in einem sehr directen Zusammenhang mit der Brunst d. h. der 
Turgescenz der äusseren Genitalien und der leichten Erregbarkeit 
- resp. fortdauernden Erregung ihres Nervenapparates steht. Aehnliches 
lässt sich für das Pferd aus Haussmann’s?) Mittheilungen ent- 
nehmen. 


Der Follikel vor der Berstung. 


Ueber die Lage des Eies vor dem Bersten des Follikels und 
über das Verhalten des Discus proligerus zu dieser Zeit bleiben 
nach dem Studium der Autoren noch Zweifel bestehen. Das Verhal- 
ten des übrigen Follikelinhalts sowie des Dotters in dieser Pe- 
riode erfordert gleichfalls eine Besprechung. 

Am häufigsten hat wohl MArTın BARRY?) die Follikel dicht vor 
dem Austritt des Eies verfolet, weil er in diesen Zeitraum die Im- 
prägnation verlegte. Er®) giebt an, dass das Ei mit Hülfe der Reti- 
nacula seinen Ort verändere. Zunächst ist zu erörtern, welche Merkmale 
den Follikel, welcher bestimmt ist demnächst zu platzen, charakteri- 
siren. Die Grösse des Follikels allein ist nicht maasgebend, man findet 
in den betreffenden Stunden bei den Meerschweinchen, die ich in 
dieser Angelegenheit vorwiegend untersucht habe, theils mehr grosse 
Follikel, als nach sonstiger Erfahrung platzen werden, theils sind 


Dieb: S. 12. 

2) Ueber die Zeugung und Entstehung des wahren weiblichen Eies. Hanno- 
ver 1840 (c) 8. 52 u. f. 

3) Researches in Embryology. First a. Second Serie Philosophical Trans- 
actions ss u. 39 (d) (e). 

andeS 325. 


218 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung 


Follikel, welche das Ei liefern sollen, nicht so vorragend und gross 
wie in anderen Fällen. Die Leichtigkeit des Berstens dagegen gab 
ein brauchbares Criterium, das ich rathen würde für fernere Unter- 
suchungen durch exacte Apparate auszunutzen. Ich habe mich aller- 
dings nur einer Präparirnadel (Nähnadel im Stiel) bedient; wenn 
durch den Druck mit der Fläche derselben der Follikel sich öffnete, 
war er jedenfalls nahe vor dem Bersten, denn andernfalls brach die 
Nadel ab ohne ihn zu sprengen, zuweilen genügte ein geringer Druck, 
häufiger war ein stärkerer erforderlich. Für die auf solche Weise als 
reif erkannten Follikel (notirt habe ich als besonders leicht zu spren- 
gen, Fälle aus der 2!/,, 7!/, und 9. Stunde nach dem Belegen) habe 
ich protokollirt, dass die Follikel trübe erschienen seien. Diese Trü- 
bung rührte, wie fernere Untersuchung ergab, von einer starken Quel- 
lung und Lösung des Follikelinhalts her, der Liquor follieuli bleibt 
dabei jedoch klar. Das Zeichen scheint jedoch nicht unbedingt sicher 
zu sein, denn ich habe einen Fall erlebt, wo ein entschieden reifer 
Follikel nicht trübe erschien, trotzdem das Ei Zeichen der völligen 
Reife darbot. Die Ursache der Verschiedenheit wird davon abhängen, 
ob der Cumulus proligerus dicht an der Oberfläche liegt oder nicht. 
Oft liegen neben den reiferen Follikeln grössere klare Bläschen. Diese 
platzen. nicht, denn man findet sie häufig neben den frischen Corpora 
lutea. Barry, BiscHörr und SCHROEN!) haben schon die Atrophie 
solcher Follikel constatirt. 

Ueber die Lage der Eier im gefüllten Follikel finden sich die 
Angaben, dass das Ei an dem freien Pol des Follikels, BAER, Barry, 
CostE?), an dem inneren Pol, PoucHET, HENLE?), SCHROEN, ohne 
constante Lage, WALDEYER®), sich finde. Der zum Bersten reife 
Follikel ist unbequem zu erhärten, doch wünschte ich gerade in ihm 
Lage und Zustand der Eier zu erforschen. "/, Stunde nach der Ge- 
burt fand sich bei einem Meerschweinchen ein Eierstock mit noch 
ungeplatztem aber etwas trübem Follikel. Ich liess ihn auf einer 
Platinschaale frieren, schnitt mit kaltem Messer und brachte ihn noch 
völlig hart auf den Objectträger. Eins der Präparate liegt mir in 
ausgeführter Zeichnung vor, das Ei in breit gestieltem Cumulus pro- 
ligerus sitzend, liest fast genau am freien Pol, dagegen in einem an- 
deren nicht so sicher reifen Follikel seitlich. In einem anderen Falle 


!) Beiträge zur Kenntniss d. Anatomie u. Physiologie des Eierstocks. 
Zeitschrift f. wiss. Zoologie Bd. XII. S. 409 (f). 

2) Histoire du Developpement des corps organises Paris. 47. p. 165 (g). 

3) Anatomie Bd. II. S. 487 (h). 

#) STRICKER, Gewebelehre Cap. XXV. 8. 551 (). 


und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 219 


9 Stunden nach der Geburt mit 3 reifen Follikeln hatte ich in Os- 
miumsäuredampf, der den Liquor follieuli zur Gerinnung bringt, er- 
härtet. Dabei wird doch die Flüssigkeit nicht so fest, um kleine Ab- 
lösungen beim Schneiden zu verhindern, zwei Eier lagen seitlich, eins 
am vordern Pol. Meiner Ansicht nach trifit also WALDEYER’s Be- 
schreibung der Lagerung des Eies das Richtige. 

Die Entdeckung BArrY’s, die Retinacula, welche CostE fürs 
Kaninchen bestätigt, sind von BISCHoFr!) bestritten worden. Die 
graphische Darstellung Barry’s?) und mehr noch diejenige (oste's?) 
geben das wieder, was ich gesehen habe. Es wurden ausserdem Durch- 
schnitte des erhärteten reifen Follikels gemacht, das Ei sass mit den 
Retinaculis nahe am vorderen Pol. Es macht den Eindruck, als wenn 
durch Auflockerung und Quellung der Granulosazellen, welche unter 
dem Discus und an dessen Seite liegen, sich Lücken bilden und beim 
Fortschreiten des Processes die Retinacula als Verbindungsbrücken 
zurückbleiben. Eine erhebliche Bedeutung dürfte diesen Bildungen 
nicht zukommen. 

Auch vom Meerschweinchen zeichnet Barry schwach entwickelte 
Retinacula. Ich habe dort solche nicht gefunden. Das Ei liegt in 
einem 0,3 mm. dicken Cumulus proligerus, der ungestielt ist, so dass 
man ihn kaum glatt entfernen könnte, ohne das Ei selbst zu streifen. 
Durch einen schwachen Contour war der Discus in den Eiern 9 Stun- 
den nach dem Gebären von der Membrana granulosa geschieden. 

BiscHoFrr hat es als Regel aufgestellt, dass an reifen Eiern die 
Zellen des Discus sich spindelförmig gestalten. C. B. REICHERT‘) 
hat das Faktum bestritten und das spindelförmige Aussehen für ein 
Trugbild erklärt. Ich hatte mich davon überzeugt, dass spindelförmig 
ausgezogene Zellen schon im Follikel am Ei sich finden, denn an 
Durchschnitten erhärteter Follikel des Meerschweinchens habe ich, 
wie mir vorliegende Skizzen ergeben, an zu diesem Zweck frei ge- 
machten Eiern, die langgestielten, erhärteten Zellen mehrfach unter- 
sucht. Eine Darstellung dieser Zellen ist Fig. 4 vom Kaninchen, 
14'/, Stunde nach der Copulation gegeben. Das Ei war in der Be- 
fruchtung, zeigte aber ausnahmsweise (gewöhnlich haben sich die Dis- 
euszellen um diese Zeit abgelöst und abgerundet) einzelne langgestielte 
Zellen. Obgleich es häufig so aussieht (und nicht in Abrede gestellt 


) 2.8.38. 

2) e, Fig. 93 u. 96. 

3) g. Lapin Pl. I. 

4) Beiträge zur Entwicklungsgeschichte des Meerschweinchens. Abhandl. 
der k. Akademie d, Wissenschaften Berlin. 1861 (k) $. 105, 


220 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung 


sein soll) als gingen die Stiele dieser Zellen durch die Eihaut und ich 
eben deshalb solchen Eiern die Aufmerksamkeit zuwandte, zeigte die 
genauere Untersuchung, dass die vorliegenden Streifen Reste und Fal- 
ten der Membranschicht der Zellen sind, welche sich zwischen Ei und 
Zelle zu einem Stiel deshalb ausziehen, weil ursprünglich die Zelle 
mit breiter Basis aufsass und durch Schleimbildung zwischen den 
Zellen von der Eifläche abgedrängt ward, ohne sich doch gleich von 
derselben zu lösen. 

Fig. 1 zeigt einen Discus, welcher einem Follikel des Meer- 
schweinchens, welcher dicht vor dem Bersten war, entnommen ist. 
Die Zellen sind auch spindelförmig und ich habe dazu bemerkt, sie 
seien es vielleicht durch den Druck beim Herausnehmen geworden. 
Das Ei in dem Durchschnitt des halbstündigen gefrorenen Follikels 
s. O. zeigt runde Discuszellen. Meine Ansicht ist, dass die Discus- 
zellen sich allerdings so umwandeln, wie BiscHorr dies beschreibt, 
dass aber: die Spindelform der Zellen auch zuweilen nach dem Eiaus- 
tritt eintreten kann. Findet sich also im Follikel ein Ei mit Spindel- 
zellen, so würde ich glauben, dass man es als völlig zur Befruchtung 
vorbereitet ansehen kann. VERNEUIL (Canstatt Jahresber. 52 S. 209) 
bestätigt für die Kuh das strahlenförmige Aussehen des Discus. 

Es ist schliesslich noch ein Punkt zur Besprechung zu bringen. 
Die Folgen der Befruchtung schildert LruckArT!) mit folgenden 
Worten: „Die erste Veränderung, die der Dotter nach der Befruchtung 
erleidet, ist eine Verkleinerung seines Volumens. Zwischen ihm und 
der Dotterhaut entsteht ein Zwischenraum mit einer farblosen Flüssig- 
keit, die sonder Zweifel (da sich der Durchmesser des Eies im Ganzen 
nicht verändert) aus dem Inneren der Dotterkugel hervorgetrieben ist. 

Wenn diese erste Furchungskugel sich zur Theilung- anschickt, 
dann dringt sehr allgemein aus ihrer Oberfläche.... ein kleiner rund- 
licher Körper hervor, dem mitunter noch ein zweiter und dritter nach- 
folgt.“ Diese Darstellung findet man ähnlich in KoELLIKER’s Ent- 
wicklungsgeschichte?). Für die hier in Rede stehenden Thiere ist 
die Auffassung dieses Processes als Folge der Befruchtung nicht 
zulässig, weil die genannten Processe vor der Imprägnation ablaufen. 
Als Beleg für diese Behauptung sind folgende Fälle anzuführen. Ein 
Meerschweinchen ward 19. Mai 1869 zwei Stunden nach dem Gebären 
(8 Uhr Morgens war das zweite Junge noch feucht, 9'/, getödtet) 
untersucht. In einem Eierstock zwei trübe vorragende Follikel, im 


l) Wesner’s Handwörterbuch der Physiologie. Artikel Zeugung (l) S. 927. 
2)E(m)SE ara. 288 


und Entwieklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 291 


anderen einer. Ersterer ward durch leisen Druck geöffnet, mit einer 
Nadel der Follikelinhalt vom Eierstock abgenommen und ohne Deck- 
glas und Zusatz von Flüssigkeit untersucht. Das Ei ward gleich ge- 
funden. Es schien auf den ersten Augenblick in Schleim eingebettet 
zu sein, jedoch bestand seine Hülle aus sehr klaren und wie wohl 
ungenau protokollirt war „verflüssigten“ Zellen des Discus. Die 
Dottermasse war etwas contrahirt, neben ihr lag ein helles 
Richtungskörperchen und an der Stelle, wo dasselbe anlag, sah | 
der Dotter aus, als ob ein zweites eben in der Entstehung begriffen 
sei. Ausserdem fanden sich an der Oberfläche des Dotters eingezogene 
Stellen, die sich jedoch später ausglichen. Sowohl Dotter wie Rich- 
tungsbläschen zeigten langsame, als Contraction zu deutende, Form- 
veränderungen. Die Discuszellen, welche spindelförmig waren, 
traten später deutlich hervor, sie schienen durch eine schwache 
Schleimschicht vom Ei getrennt. Das Ei ward gezeichnet Fig. 1. 
Das zweite Ei zeigte wesentlich dasselbe Verhalten, das dritte hatte 
auch den Richtungskörper, war aber verletzt. Derselbe Eierstock 
zeigte noch einen ebenso grossen aber wasserhellen Follikel. Das 
Ei aus demselben zeigte keine Retraction, kein Richtungsbläschen, 
auch waren die Discuszellen nicht spindelförmig. 

In einigen anderen derartigen Fällen war der Dotter noch nicht 
zurückgezogen, ich habe jedoch die Beobachtungen nicht häufen wollen, 
weil mir das Aussehen einer Reihe spontan entleerter, aber noch 
nicht befruchteter Eier mindestens ebenso beweiskräftig schien.!) Für 
nicht befruchtet halte ich Eier der Fimbrien oder des Anfangs der 
Eileiter, an deren Dotter oder Eihaut keine Samenfäden sich finden 
und bei denen die Eihaut nach Entleerung des Dotters auch keine 
Spur von Sperma entdecken lässt. Ich halte diese Art, die Abwesen- 
heit von Samen zu constatiren, für zuverlässig, nur muss die Zona 
pellucida gereinigt der Untersuchung vorliegen. 

In diesen Fällen habe ich stets den Dotter zusammengezogen 
gesehen und‘ ein oder häufig zwei Richtungsbläschen vorgefunden. 
Bei einem Meerschweinchen vom 5. Juli 1869 20 Stunden nach dem 
Gebären fand ich es so, während in beiden Uterushörnern Reste alter 
Eier sich befanden und das Lumen völlig versperrten. Ebenso 10. April 
1868, 9 Stunden nach dem Gebären (Meerschweinchen). Links lagen 
3 Eier auf den Fimbrien, 2 dicht neben einander. Jedes hatte an 
einer Stelle ein plattes Protoplasmakügelchen 


1) Uebrigens giebt auch CostE g. die Zeichnung eines dem Eierstock ent- 
nommenen Eies vom Kaninchen mit Richtungskörper. 


2993 V. Hessen. Beobachtungen über die Befruchtung 


Eins der Eier ist Fig. 2 gezeichnet. Ebenso 19. Mai 1869. Meerschwein 
6!/, St. n. d.C. Ein Ei contrahirt mit Richtungskörper, frei von 
Samenkörpern, die auch in der Tuba nicht zu finden waren. Im 
Uterus bewegungsloses Sperma, wahrscheinlich in Folge eines Experi- 
ments getödtet. Noch einige andere derartige Beobachtungen sind 
notirt, doch können, glaube ich, die vorstehenden genügen. 

Es sind also die Ausscheidung von Flüssigkeit, die Ausstossung 
eines Richtungskörpers, die Contraction des Dotters nicht Folgen 
der Befruchtung. Die Contraction des Dotters habe ich häufig ge- 
sehen, auch das Richtungskörperchen, welches in der ersten Zeit aus 
einer gleichmässigen, wie Protoplasma sich verhaltenden Masse besteht, 
contrahirt sich, so dass ich an einem Ei dreimal hinter einander das- 
selbe rings vielfach gekerbt und dann wieder mit glatter Oberfläche 
gesehen habe. Später werden die Körper mehr wasserklar, etwas 
kleiner und verschwinden meiner Nachforschung, wenn etwa 16 Fur- 
ehungskugeln gebildet sind. 


Die Verhältnisse beim Eiaustritt. 


Da ich keine Vivisectionen gemacht habe, konnte es mir nicht 
gelingen, die Eier im Austritt zu beobachten. Es führt jedoch die 
künstliche Entleerung durch Druck mit schwacher Nadel zu einer 
erwähnenswerthen Beobachtung. Es spritzt dabei zunächst ein Tropfen 
einige Millimeter weit fort, dann quillt der Follikelinhalt hervor. In 
dem Tropfen finden sich einzelne Zellen, das Ei dagegen liegt in der 
Ziellenmasse, welche dem Eierstock anklebt. Da ich dies Verhalten in 
mehreren Fällen, 2 Kaninchen, 4 Meerschweinchen, so beobachtet habe, 
glaube ich, dass es stets so sein wird und auf diese Weise den Bauch- 
schwangerschaften z. Th. vorgebeugt ist. 

Nur einmal beobachtete ich an einem Meerschweinchen, bei wel- 
chem zwei Eier auf den Fimbrien lagen, in dem Eierstock derselben 
Seite einen Follikel, welcher trübe war und sich sehr leicht entleerte, 
so dass ich ihn als zu derselben Ovulationsperiode gehörig betrachten 
musste. Man findet im Eileiter, in dem man beim Meerschweinchen 
die Eier liegen sehen kann, dieselben meistens nur 1 mm. oder we- 
niser von einander getrennt. Dies scheint dafür zu sprechen, dass sie 
ziemlich gleichzeitig ausgestossen werden, jedoch der Weg, welcher 
vom Ovarium in den Eileiter führt, gestattet so starke Vorschiebun- 
sen in der Reihenfolge der Eier, dass der obige Schluss sehr un- 
sicher ist. BıscHorr!) hält dafür, dass alle Follikel nahezu gleich- 


1) a. 8. 35. 


und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 223 


zeitig platzen. BarryY!), dem in dieser Sache die reichste Erfahrung 
zu Gebote stand, fand einmal 2 Eier entleert, zwei noch im Ovarium, 
aber ohne allen Zweifel auf dem Punkt sich zu entleeren. Cosre?) 
hat einen solchen Fall ausführlich besprochen, er fand ein Ei auf dem 
Ovarium „au moment ou la vesicule, qui le renfermait, venait de se 
rompre“, eins auf den Fimbrien, eins mit dem Richtungskörper endlich 
in einem noch uneröffneten Follikel, aber mit einer kleinen Blutextra- 
vasation unter dem Peritonaeum in ihm. Möglicherweise, wenn gleich 
nicht währscheinlich, war es also abnorm.’) 

Nach diesen Beobachtungen wird man schliessen müssen, dass 
die Eier zwar nahe, aber nicht absolut, gleichzeitig entleert werden. 
Damit verlieren meines Erachtens die Ansichten, welche auf an sich 
richtige Beobachtungen gestützt, die Dehiscenz der Follikel durch 
äussere directe Einwirkung erklären wollen, an Wahrscheinlichkeit. 
Hıs®): Contraction, ROUGET?): Schwellkörper. Denn wenn ein Folli- 
kel separat entleert worden ist, hat ein Mechanismus, welcher auf die 
Spannung des ganzen Ovariums basirt ist, zunächst seinen Einfluss 
verloren; werden nicht alle Eier zugleich entleert, so können sie 
schwerlich rasch nach einander durch Schwellung oder Contraction 
des Parenchyms entleert werden, weil der Eierstock zunächst nach- 
siebig geworden ist. Ich komme also auf die alte Ansicht zurück, 
dass Vermehrung des Follikelinhalts die Berstung herbeiführe. Es 
wäre gewiss lohnend, den Gegenstand einmal mit Hülfe von Vivi- 
sectionen zu verfolgen. Anhaltspunkte dhfür gewähren folgende 


Zeitbestimmungen der Ovulation. 


Meerschweinchen hatten nach der Copulation (circa 1 St. nach 
dem Gebären) noch nicht ovulirt 6'/,, 7!/,, 9 und 9!/, Stunden, Eier 
auf den Fimbrien sind zweimal nach 9 Stunden gefunden, 2 mm. im 
Eileiter waren sie nach 6!/, St., 4, 7, 10 und 15 mm. in der 12. bis 
15. Stunde, ohne genaue Angabe des Orts traf ich sie dort nach 8 
und 11!/, Stunde, 1 Zoll in der Tuba nach 20 Stunden. (Die Eileiter 


I) e._S. 311. 
2) g. Explication des Planches, nn IRig. 1. 
3) era s Bemerkung b. S. 17 gleich nach dem Austritt zeige der Folli- 
 kel eine von einem zarten Gefässkranz umgebene Oeffnung, fand ich stets » 
bestätigt. 
4) Bau des Säugethiereierstocks (n). Archiv f. mikr. Anatomie Bd. I S. 172. 
5) Recherches sur les organes &rectiles de la femme. Journal de la Physio- 
logie 1858 (0). 


294 V. Hessen. Beobachtungen über die Befruchtung 


messen nach BISCHOFF 60 mm.) Nach diesen Beobachtungen erfolet 
also die Ausstossung zwischen der 6. und 10. Stunde nach der Co- 
pulation. BiscHorr!) spricht von einem Ei, das nach 2 Stunden im 
ersten Drittel der Tuba gelegen habe, wahrscheinlich soll das nach 
21 Stunden heissen. REICHERT?) nimmt die 12. bis 14. Stunde als 
Zeit des Austritts, hat aber keine Beobachtung darüber beigebracht. 

Für das Kaninchen bedarf es kaum weiterer Angaben, die meinen 
treffen den Zeitpunkt nicht genau. Angemerkt finde ich hier, dass 
die Eier nach 8!/, und 11?/, St. nicht entleert waren, dagegen 6mal 
nach 12 resp. 12!/, Stunden schon 2 und 4 cm. in den Tuben vor- 
gerückt waren, einmal nach 14 St. schon abnormer Weise im Ende 
der Tuben.und Anfang des Uterus sich fanden. Von diesen 9 Fätlen 
sind zwei abnorm. BaArrY°) findet in zahlreichen Fällen als Austritts- 
zeit 9 bis 10 Stunden post coitum. CostE giebt die 10. Stunde an. 
REICHERT*®) fand nach Versuchen an 10 Kaninchen, dass die Zeit 
des Austritts zwischen der 9. und 10. Stunde liege. 

Die Regelmässigkeit, mit welcher der Eiaustritt beim Kanin- 
chen nach Verlauf einer gewissen Zeit auf die Copulation folgt, hat 
Anlass zu einer Streitfrage zwischen REICHERT und BISCHOFF gegeben. 
REICHERT schreibt’), es gehe daraus hervor, „dass die Begattung mit 
ihren aufregenden Wirkungen auf das Mutterthier, insbesondere auf 
den Zudrang des Blutes zu den Geschlechtstheilen, einen sehr wesent- 
lichen Antheil an dem Bersten des Graaf’schen Follikels.... haben 
kann und haben muss“ und weiter, „sonst müsste man annehmen 
wollen, dass die Kaninchen jedesmal mit einem gewissen Vorgefühl 
von der Zeit des Platzens der Graaf’schen Follikel zu dem Begattungs- 
act getrieben würden.“ BiscHoFF®) betont dagegen (wie er dies nach 
seinen Untersuchungen: Beweis der von der Begattung unabhängigen 
periodischen Reifung u. s. w. zu thun so sehr berechtigt ist), dass die 
Copulation keine nothwendige Bedingung zur Ovulation sei. Bei dem 
Menschen lehre tausendjährige Erfahrung, dass die Begattung keinen 
Einfluss auf die Menstruationsperiode habe. Es seiihm, sagt er ferner, ganz 
unerklärlich, wie C. B. REICHERT erkennen wolle, dass die Begattung 
einen Einfluss auf den Aufbruch des Follikels habe. Die REICHERT’sche 


17. 
113. 
Belle 
AyrkES ll 
Sk Se 
6) Neue Beobachtungen zur Entwicklungsgeschichte des Meerschweinchens. 
Abhandlungen d. k. bayr. Akademie II. Cl. X. Bd. (p) S. 121 (7). 


ER 


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nn 


und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 235 


- Versuchsmethode sei vollkommen unzuverlässig. Aus der darüber 
gegebenen Deduction würde ich jedoch zu einer anderen Schluss- 
folgserung kommen, wie diejenige BiscHorr's ist. Er sagt nämlich ), 
„der Bock wird alle Tage eine Stunde zu dem Weibchen gesetzt und 
während dessen beohachtet. Es liegen also 23 Stunden dazwischen. 
Dieses ist eine sehr lange Zeit für den bei verschiedenen Thieren zu 
verschiedenen Zeiten möglicher Weise beginnenden Reifungs - Process 
der Eier und Follikel. Bei dem einen Weibchen kann möglicher 
Weise dieser Process schon in der nächsten Stunde nach der Tren- 
nung so weit vorgeschritten sein, dass das Weibchen jetzt die Begat- 
tung zulassen würde. Bei dem anderen dagegen ist möglicher Weise 
erst unmittelbar vor der nächsten Vereinigung von Weibchen und 
Männchen dieser Höhepunkt des Reifungs-Processes eingetreten. Die 
Eier beider Weibchen sind 23 Stunden in ihrem Reifungszustand von 
einander verschieden, und demgemäss wird auch ihr Austritt aus dem 
_ Graaf’schen Follikel zu einer verschiedenen Zeit stattfinden. Denn 
hierüber entscheidet eben der Reifungszustand und’ nicht die Begat- 
tung. Der Versuch kann also in solcher Weise gar nicht angestellt 
werden.“ 

Hiergegen ist offenbar öiniuwerdeh, dass trotzdem der Versuch 
von REICHERT beschrieben wird und glückte. Dies führt denn doch 
zu dem Schluss, dass der Einfluss der Copulation auf die Ovulation 
proportional der Häufigkeit des Befundes wahrscheinlich wird. Hier- 
her gehört dann noch die von mir oben gemachte Angabe, dass isolirt 
gehaltene Weibchen stets zur Copulation und damit zur Ovulation zu 
bringen sind. Coste?) erzählt, dass bei einer isolirten Katze die Brunst 
sich auf 40 Tage verlängert und sie ganz heruntergebracht habe, so 
dass er, um sie zu retten, ihr eine Nacht den Kater zusetzte. Sie hatte 
am folgenden Morgen die Brünstigkeit verloren „et, plus tard, &leva 
sespetits“. Besonders deutlich spricht Weır's?) Erfahrung, dem es 
glückte, durch gewaltsam erzwungene Copulation die Ovulation hervor- 
zurufen. 

Es wird also doch bei einzelnen Species die Ovulationsperiode 
und zwar in doppelter Weise von dem äusseren Genitalapparat aus 
modifieirt. Die starke Brunst verzögert den Austritt der Eier, die 
Copulation hebt, vielleicht durch erschlaffende Wirkung, jene 
Hemmnisse auf. 


1) p. 8. 12 (126). 
? g. 8. 229. 
bb. 8. 4. d 
Das f. Anatomie. Bl. 1. Dal) 


926 V. Hansen. Beobachtungen über die Befruchtung 


Die Aufnahme der Eier in den Eileiter. 


Es scheint nothwendig zu sein, dass die Fimbrien, in Folge ihrer 
Bekleidung mit Flimmerzellen, deren Härchen nach dem Ostium tubae 
hinschlagen, stets, so oft sie auch vom Eierstock herabgeschoben wer- 
den mögen, wieder sich über denselben hinziehen. Meine Beobach- 
tungen entsprachen dieser Forderung nicht unbedingt; obgleich ich 
in einer grossen Anzahl von Fällen die Fimbrien auf den Ovarien 
fand, habe ich doch auch häufig den Fall verzeichnet, dass die Fim- 
brien neben den Ovarien lagen und bei längerem Warten nicht die- 
selben überzogen. Nun kann allerdinss beim Tödten und Oefinen 
des Thieres, selbst wenn- letzteres mit grosser Vorsicht geschieht, eine 
Verschiebung der Fimbrien eintreten, und es lähmt die Kälte der Luft 
dann sehr bald die Kraft der ihrem Einfluss ausgesetzten Flimmer- 
epithelien, ich bin jedoch zur Zeit nicht im Stande, nach dem was ich 
gesehen habe, ein festes Urtheil auszusprechen. 

Die Aufnahme des Eies erfolet, so weit ich beobachten konnte, 
zunächst auf Grund einer anderen Mechanik. RougEr!) hat auf 
anatomischem Wege Muskeln im Lig. latum nachgewiesen, welche 
die Fimbrien bewegen können. KEHRER?) sagt: „Wenn man die Be- 
wegungen des Trichters und seines Gekröses bei einem frisch getödte- 
ten Thiere untersucht, so sieht man allerdings Bewegungen derselben 
zu Stande kommen, man überzeugt sich, dass der Trichter, nament- 
lich auf angebrachte Reize, sich langsam über die Oberfläche 
des Ovariums herschiebt. Diese Ortsbewegungen sind doppelter Art: 
1) führen sie zu einer vollkommenen Bedeckung des Eierstocks, einer 
Entfaltung des Pavillons über die Ovarialfläche; 2) bestehen sie in 
einer Retraction des Pavillons von dem Gipfel des Ovariums gegen 
dessen Basis. Ich habe bei Kaninchen, Rindern und Schafen oft ge- 
nug den Trichter vorsichtig gegen den Eierstocksrand verschoben. 
Bald blieb er nun hier ruhig liegen, bald breitete er sich nachträglich 
wieder über die Oberfläche des Eierstocks aus. Wenn man also auch 
zugeben muss, dass Muskelkräfte den Trichter auszubreiten vermögen, 
ja selbst durch Verschiebung der Fimbrien erratische Ovula secundär 
wieder aufgefangen werden können, so muss man doch festhalten, dass 
in einer Reihe von Fällen sich eine für die Zwecke des Auffangens 
der Eiervortheilhafte Locomotion des Pavillons nicht demonstriren lässt.“ 

K. E. v. Baer, Entwieklungsgeschichte Prs. II S. 182 findet, dass 


Do. 

2) Ueber den Pank’schen tubo-ovarialen Bandapparat und den Mechanis- 
mus der Einwanderung des Ovulum in den Fransentrichter. Zeitschrift für ratio- 
nelle Mediecin, dritte Reihe, XX. Bd. (q) 8. 37. 


und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 997 


der Eileiter längere Zeit den Eierstock umfasse und sich an denselben 
wirklich ansauge. Da ich die von ihm beobachteten Thiere (Schaf 
und Schwein) nicht untersucht habe, ist mir sein Beweis für das An- 
saugen unverständlich geblieben. 

Bei einem Meerschweinchen, dessen Eier auf den Fimbrien ange- 
troffen wurden, beobachtete ich, dass dieser Apparat in der lebhaf- 
testen Bewegung‘ war. Unaufhörlich glitten die Fimbrien auf der 
Oberfläche des Eierstockes hin und her, jede Bewegung in einer Se- 
kunde vollführend, und wenn man sie abzog, schlüpften sie doch gleich 
wieder hinauf. Diese Bewegungen waren so kräftig, dass der Einfluss der 
Flimmerung dagegen vollständig gleichgültig sein wird. Die, mit 
schleimig-metamorphosirten Zellen. aus dem Follikel umgebenen Eier 
waren von dem Eierstock abgestreift und wurden auf den Fimbrien 
gefunden, denen sie also fester sich anheften, als dem glatten Eier- 
stock. Diese Beobachtung machte grossen Eindruck auf mich. Aehn- 
liches habe ich nur noch einmal einige Stunden nach dem Gebären 
bei noch uneröfinetem Follikel gesehen, sonst sind die Fimbrien zwar 
nicht in völliger Ruhe, aber nur in sehr schwacher Bewegung, etwa 
so wie es KEHRER beschreibt oder schwächer. Ich halte den beob- 
achteten Vorgang für den normalen Mechanismus bei der Ovulation, 
aber er scheint nur beschränkte Zeit einzutreten und bedarf der Be- 
stätigung durch Vivisectionen. 

Dass die Eier, wie KussmAuL (Monatsschrift f. Geburtskunde 
Bd. 20 S. 301) will, durch Flimmerung weiter befördert werden, habe 
ich in Folge von Thuıery’s Entdeckungen beim Frosch als selbstver- 
ständlich angesehen und daher auf diesen Punkt nicht geachtet. 


Schicksal der unbefruchteten Eier. 


Unbefruchtete Eier nehmen im Ende des Eileiters ein dunkles 
krümliches Aussehen an und werden, wie ich mehrfach gesehen, bei 
Kaninchen nicht so stark mit der accessorischen Schaalenmasse bedeckt, 
wie die befruchteten Eier. 

In einem Falle fand sich beim Kaninchen die Tuba vom Uterus 
getrennt, an diesem Ende verwachsen und mit gegen 100 unbefruch- 
teten Eiern gefüllt. Ich habe über diesen Fall bereits anderweit ziem- 
lich ausführlich berichtet!). Die Eier schienen fortzuleben, nahmen 
an Volumen zu und wuchsen in Fäden aus, die an das Keimen von 
Alsensporen erinnerten. Fig. S zeigt den Anfang dieses Processes. 


1) Medieinisches Centralblatt 1869 S. 403: Ueber eine Züchtung unbefruch- 
teter Eier (r). 
152 


2938 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung 


Bemerkenswerth ist die Hülle des Kies, man unterscheidet die Grenze 
zwischen Zona pellueida und der vom Eileiter herrührenden Auflage- 
rung, letztere scheint von dem Keimfaden durchbrochen zu werden. 
Diese Eier veranlassen eine innere und äussere Membran oder ver- 
dichtete Schicht an der Zona pellucida anzunehmen; die Einschnürun- 
gen, welche an den Eiern entstehen, lassen sich durch Ansammlung 
der Substanz der Zone an ringförmigen Stellen unter Vorbuchtung der 
inneren Schicht der Zona erklären. E. van BENEDEN!) hat beim 
Säugethierei eine Membrane vitelline beschrieben, die vielleicht iden- 
tisch mit dieser Schicht der Zona sein kann. Ich bedaure seine An- 
gabe erst kennen gelernt zu haben, nachdem meine betreffenden Un- 
tersuchungen sistirt waren, so dass ich im Uebrigen eine Ansicht 
über BENEDEN’S Befund nicht aussprechen kann. 

Durch OÖELLACHER?) ist in sehr hübscher Weise nachgewiesen, 
dass unbefruchtete Hühnereier eine Reihe von Furchungsstadien durch- 
laufen. Meine Beobachtungen sind jenen insofern nicht ähnlich, als 
es nicht unbedingt sicher erschien, ob der Dotter abgesehen von einer 
Quellung selbstständig in formative Thätigkeit kam. Allerdings tra- 
ten durch Karmin kernartige Gebilde im Dotter auf, aber in solchen 
Fällen, wo man über die physiologische Dignität der Masse in Zwei- 
fel sein kann, genügt die mikroskopische Untersuchung nicht, um von 
Kernen zu sprechen. Darin möchte ich GoETTE®) beistimmen. 


Männlicher Antheil. 
Die Copulation. 


Zu BıscHorr's Beschreibung der Copulation des Kaninchens‘) 
darf ich noch hinzufügen, dass am Ende beide Thiere auf die Seite 
zu fallen pflegen, den Sprung des Männchens nach rückwärts, von 
welchem er spricht, erinnere ich mich nicht beobachtet zu haben. 
Nach Weır's Beschreibung (bb) ist der Copulationsmodus der wiener 
Kaninchen wiederum anders. Beim Meerschweinchen geht die Co- 
pulation weniger activ vor sich und zeigt keine Besonderheiten. 

Aus den betreffenden Beobachtungen beim Kaninchen hat sich 
mir eine, in gewissen Grenzen befriedigende, Erklärung desjenigen 


l) Recherches sur la composition et la signification de Poeuf. M&moire cou- 
ronne par l’Academie royale de Belgique 1870 p. 184 (s). 

2) Veränderungen des unbefruchteten Keims des Hühnereies im Eileiter, 
Zeitschrift f. wiss. Zoologie Bd. XXII Heft 5 (t). 

3) Entwicklungsgeschichte der Unke. Leipzig 1875 8. 77 (u). 

4) a.8. 41. 


und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 2939 


Instinkts ergeben, welcher den Mechanismus der Copulation sichert, und 
da ich über diesen Punkt bisher keine Aufklärung finden konnte, 
theile ich, auf die Gefahr hin, schon Bekanntes oder Selbstverständ- 
liches zu geben, meinen Gedankengang mit. Ich kann mir nämlich 
nicht denken, dass das Zustandekommen der Copulation lediglich auf 
zufällige Erfahrungen und Beobachtungen, resp. Mittheilungen basirt 
sei. Man beobachtet an brünstigen Weibchen, dass dieselben, sobald 
ein anderes Kaninchen zu ihnen gesetzt wird, die Genitalien an irgend 
einem Theil z. B. dem Kopf des Neulings zu reiben beginnen, voraus- 
gesetzt, dass sich nicht gleich Feindschaft entspinnt. Dieser Trieb, 
die Genitalien zu reiben, der sich aus der Turgescenz der Geschlechtstheile 
und dem erresten Zustand des zugehörigen Nervensystems herleitet, 
wohnt sowohl dem Weibchen wie dem Bock inne. Er wird beiden 
Betheiligten aber nur dann gleichzeitig befriedigt werden kön- 
nen, wenn die Genitalien sich berühren. 

Dies sehr einfache Verhältniss dürfte für die höheren Wirbel- 
thiere die Copulation in letzter Instanz sichern; es reicht jedoch 
keineswegs für die niederen Thiere aus. Wir haben zwar, namentlich 
durch DArwın, mancherlei Anlockungsmittel für die verschiedenen 
Geschlechter kennen gelernt, aber es bleibt der angeregte Gegenstand 
doch noch recht sehr im Dunkeln. Um ein derartiges Beispiel anzu- 
führen: wie kommt es, dass die Drohne (vor kurzem ausgeschlüpft 
und sicher ohne jede Erfahrung) die vor wenig Tagen ausgeschlüpfte 
Königin in der Luft trifit, um in Copulation mit ihr den Tod zu 
finden ? 

Diese Räthsel scheinen mir übrigens kein Hinderniss gegen die 
Richtigkeit obiger Erklärung für Säugethiere zu sein. 


Eindringen des Spermas in die Genitalien. 


Betreffend das Eindringen des Spermas in die Genitalien habe 
ich vorzugsweise am Meerschweinchen Untersuchungen gemacht. 

REICHERT!) bestreitet die von LEUCKART?) und von BISCHOFF?) 
gemachten Beobachtungen, dass nach der Copulation die Scheide mit 
einem Pfropf von Samenblasensecret angefüllt sei. Jedoch die Sache 
ist, wie schon BiscHoFrrF erwidert hat, zweifellos. Ich finde die Masse 
hart, in concentrirter Schwefelsäure und in Natron schwer löslich, in 


. DK S. 118. 
2) Anatomisch-physiologische Uebersicht des Thierreichs S. 567. Ich habe 
das Buch nicht einsehen können. 
DIEDMSEL2. 


230 V. Hrnsen. Beobachtungen über die Befruchtung 


Kochsalzlösung von 10 °/, quellend. Sie enthält in Lücken ihrer 
Substanz Sperma, erstreckt sich aber nicht, als hart gewordene Masse 
in den Uterus. Der Pfropf wird bald ausgestossen, 9, 9'/, und 41), 
Stunden nach.dem Belegen fehlte er schon. Da ich über seine Bil- 
dung nicht ins Reine gekommen bin, dürfen hier folgende Protokolle 
wohl Aufnahme finden. 

12. April 1868. Eine Stunde nach dem Belegen füllte festweiches 
Sperma die Scheide halb aus und ragt ein wenig in den Uterushals 
vor, hier im Zerfall begrifien. 

30. Mai 1868. 1'/, Stunde nach dem Belegen. Die Scheide mit 
einem Pfropf gefüllt, der noch im Erstarren begriffen scheint. Im 
Centrum ist er schon ziemlich hart, an der Peripherie und auf der 
Scheidenschleimhaut findet sich klare Flüssigkeit, in der flockige Aus- 
scheidungen sich zu bilden scheinen. 

14. Mai 1869. Junges läufiges Thier. Um 12!/, Uhr zwei Pra- 
vatz’sche Spritzen voll feuchten Russ in die Scheide ziemlich hart 
eingepresst, ward dann gleich belest und um 7 Uhr getödtet. Der 
Pfropf ragt nach Vulva und Uterus hin vor, sein Kern ist rein weiss, 
seine Rinde aber führt eine dicke Lage kohlenhaltiger Pflasterepithe- 
lien. Der Kern besteht aus poröser homogener Masse, in den grösse- 
ren Poren finden sich Spermatozoiden dicht angehäuft, die Grund- 
substanz enthält deren keine. 

Häufig habe ich, entgegen den Angaben der Autoren, die Scheide 
ansserhalb der Brunst unverlöthet gefunden. 


Eindringen des Spermas in den Uterus. 


Beim Meerschweinchen wird das Sperma bekanntlich als fast feste 
Masse ejaculirt, ein Theil desselben liegt unmittelbar nach der Copu- 
lation im Cervix uteri. Hier verflüssigt es sich und bröckelt los. Ich 
habe in mehreren Fällen (3 finde ich notirt) bei vorsichtigstem Ver- 
fahren im Tubarande des Uterus Cubikmillimeter grosse Stücke Sper- 
mas gefunden, von denen, wie sich bei mikroskopischer Untersuchung 
zeigte, nach allen Richtungen hin die Schwänze der Samenfäden her- 
vorragten. Daneben fanden sich viele kleine Klümpchen, aus Sperma- 
tozoen mit noch verklebten Köpfen bestehend. Durch eigene 
Bewegung konnten diese Dinge also nicht den ca. 7 cm. langen Ute-' 
rus durchlaufen. (Es ist mir missglückt todte Theile z. B. Russ zu- 
gleich mit dem Sperma in den Uterus zu bringen) Man könnte 
glauben, dass im Uterus eine Flüssigkeitscireulation sich bemerk- 
lich mache, mächtig genug, um das Sperma zu befördern. Es findet 
sich stets ein Flüssigkeitsfaden in demselben; da die Flimmerhärchen 


und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 231 


[4 


die Flüssigkeit nach aussen treiben, wird der Effeet bei verstopftem 
Muttermund entweder eine Anhäufung der Flüssigkeit vor demselben 
mit Leere des übrigen Theils sein müssen, letztere findet sich jedoch 
nicht, oder eine beständige Flüssigkeitscireulation. Es finden sich je- 
doch stets kleine Uteruscontractionen und der Effect derselben muss 
denjenigen der Flimmerbewegung so sehr überwiegen, dass ich mit 
BiscHoOFF und LEUCKART annehmen muss, dass es die Uteruscon- 
tractionen seien, welche die Spermastücke so rasch vorwärts treiben. 

CosrE!) macht in Betreff des Kaninchens sehr präzise Angaben 
darüber, dass das Sperma zunächst nicht in den Muttermund gelange. 
Da in dieser Sache eine Bestätigung nöch von Werth sein dürfte, 
theile ich folgende Fälle mit. 

30. Juli 1868. Ein Kaninchen wurde in 10 Minuten dreimal be- 
lest und 5 Minuten darauf getödte. Tuben in leichter Bewegung, 
links 5, rechts 1 reifer Follikel. Im Uterus kein Sperma, nur auf 
dem Os uteri und im Anfang des Cervix einzelne Spermatozoren. Die 
Scheide voll Flüssiekeit mit Sperma. 

24. Mai 1868. Kaninchen seit 2°/, Stunden belegt. Linke Tube 
ein wenig in Bewegung, auf beiden Eierstöcken Sperma, in der Scheide 
braune Flüssigkeit mit todtem Sperma. Aus dem eingeschnittenen 
Uterus quellen einige Tropfen klarer Flüssigkeit hervor. In ihnen be- 
wegen sich die Samenfäden lebhaft, sie sind aber zum Theil noch mit 
den Köpfen verklebt. Einige Eifollikel stark geschwollen mit weissem 
Punkt, Ei, nahe der Oberfläche u. s. w. 

Dieser Befund scheint darauf hinzudeuten, dass noch nachträglich 
vom Uterus Sperma aufgesogen oder von der Scheide in ihn eingepresst 
wird, es käme darauf an, dies experimentell festzustellen. 

Auch beim Hunde dringt nach BiscHorr?) das Sperma rasch in 
den Uterus; er fand es im Uterus einer Hündin, der er unmittelbar 
nach der Copulation das eine Uterushorn exstirpirte, ich denke also 
nach !/, Stunde. 


Das Vordringen des Spermas in die Tuben. 


LEUCKART und BiscHoFr°) haben beobachtet, dass der Samen des 
Meerschweinchens schon !/, Stunde nach der Copulation „bis gegen 
die Mitte“ des Eileiters vorgedrungen war, ich habe nach 1 bis 2 


I) g. Tom II. S. 59. 

2) Entwicklungsgeschichte des Hundeeies 1845. 8. 14. (v.) Dort findet man 
die Angaben aus der älteren Literatur über diesen Gegenstand. 

SEES 319: 


232 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung 


Stunden Samenfäden mehrfach im ersten Drittel der Tuben angetroffen. 
Ich erinnere mich nicht, verklebte Spermatozoiden hier angetroffen zu 
haben, höchstens einmal zwei Köpfe aneinander (Meerschw.). 

Den 27. Febr. 69 machte ich 4!/, Stunde nach der Copulation 
Messungen über die Schnelligkeit der Spermatozoiden (d. Meerschweins) 
in Uterusflüssigkeit auf erwärmtem Objectglas. Das erste machte in 
23 Sekunden 0,45mm. Das zweite in 22 Sekunden 0,35 mm. Da ich 
nicht sogleich weitere Fäden mit freier Bahn finden konnte, fielen 
die folgenden Messungen schon erheblich geringer aus. Die Uterus- 
flüssigkeit ist von ziemlich beträchtlicher Zähigkeit, es werden dadurch 
wohl die Bewegungen verlangsamt, aber es ist gerade von Interesse zu 
wissen, wie rasch in dieser die Bewegungen sind. Nach Messungen 
Hente’s!) bewegten sich menschliche Samenfäden 2,7 mm. pr. Minute, 
nach KRAMER nur 2,2mm. in maximo. Nach meinen obigen Bestim- 
mungen 1,2 mm. pr. Minute. Da die Tuben nach BiscHorr zu 60 mm. 
gerechnet werden können, würden die Samenfäden sie in 50 Minuten 
durchlaufen können und würden demnach in 15 Minuten wohl „bis 
gegen die Mitte“ des Eileiters gelangen können, wenn sie sogleich 
nach der Copulation schon am Ende des Uterus waren. Ich neige 
mich in der That der Ansicht zu, dass die Samenfäden durch eigene 
Kraft in den Tuben vordringen. Die Bahn ist eine enge, nicht zu 
verfehlende und die Bewegung der Flimmereilien hindert schwerlich 
ihr Vorrücken. Die Gestalt der Samenfädchen ist einer mechanischen 
Vorwärtsbewegung durch die Contractionen des Eileiters nicht günstig, 
und da die Körper sich gegen den Strom zu richten pflegen, würde 
dem einzelnen Samenkörperchen gegenüber auch eine Flüssigkeits- 
strömung von zweifelhaftem Nutzen sein. Fände etwas derartiges statt, 
so müssten viele Spermatozoiden auf den Eierstock kommen, bei meinen 
Versuchsthieren war dieser Befund jedoch selten, beim Hunde scheint 
allerdings, nach BıscHorrF?), die Bedeckung des Eierstocks mit Sperma 
zuweilen sehr reichlich zu geschehen. 


Die Imprägnation. 


Die Frage, ob die Spermatozoiden in das Ei eindringen, ist seit 
ziemlich geraumer Zeit gelöst, aber über den Process des Eindringens 
sind die Beobachtungen noch recht sparsam. Die Priorität der Be- 
obachtung von Spermatozoiden in der Eihöhle gebührt bekanntlich 


1) 1. 8. 823. 
A NG S6 1108 


und Entwicklung des Kaninchens und Meerschw£inchens. 233 


M. Barry), der sie im Ei des Kaninchens von 24 Stunden und etwas 
früher nach der Copulation sah. Nach ihm ist dann dieser Befund an 
etwas reiferen Eiern von MEISSNER?), -. BISCHOFF?) und E. vAn BEnt- 
DEN®) gemacht worden. WEIL (bb) hat eine Reihe sehr hübscher Beob- 
achtungen über das Verhalten der Spermatozoiden im Ei gemacht, und 
die Bewegung derselben dort 4 Stunden lang gesehen. Auf seine, so 
wie BAMBEKE’'S und NEwPorT'’s Beobachtungen komme ich zurück. 

Ich habe zwei Serien von Untersuchungen gemacht, die erste am 
Meerschweinchen, einem leider wenig günstigen Objeet, die zweite am 
Kaninchen. 

Mein Verfahren war zunächst darauf gerichtet, das Ei, welches 
sich in dieser Periode im äusseren Drittel der Tuben befindet, mög- 
liehst rasch zu erhalten. Es ist nothwendig, die Tuben rein zu ent- 
wickeln, was jedoch mit Hülfe der Scheere in einer Minute geschehen 
kann. Wenn dann die Tuben sogleich auf einen warmen Objectträger 
sebracht werden, kann man in ihnen mit guter Loupe die Eier liegen 
sehen. Ich schneide in deren Nähe die Tube durch und drücke dann 
etwas jenseits der Eier beginnend, mit starker Nadel oder dem Messer- 
rücken über sie hinstreichend, den Inhalt aus. Die Eier treten mit 
etwas Flüssigkeit und allem Tubenepithel heraus und werden zunächst 
ohne Flüssigkeitszusatz oder Bedeckung untersucht. Es sind mir auf 
diese Weise einige Meerschweincheneier verloren gegangen, aber stets 


1) Philosophical. Transactions 1843. p. 33 (w). 

2) Beobachtungen über das Eindringen der Samenelemente in den Dotter 
No. 1. S. 246. Zeitschr. f. wissen. Zoologie Bd. VI (x). 

3) Bestätigung des von Dr. NewProrT bei den Batrachiern u. Dr. Barry bei 
den Kaninchen behaupteten Eindringens der Spermatozoiden in das Ei. Giessen 
1854 (y). Ich konnte dies Buch nicht einsehen, der Jahresbericht enthielt nicht, 
was ich wissen musste, und erst FunkE giebt in seiner Physiologie genauere 
Angaben. Ich möchte mir die Bemerkung erlauben, dass eine polyhistorische 
und kritische ausführliche Physiologie, wie die von WAGNER-FUuxkt, der sich immer 
rascher anhäufenden Literatur gegenüber sehr hülfreich ist. Wenn ein solches 
Werk eines Verfassers etwa alle 7 Jahre erneuert würde, mit Nachweis des aus 
früheren Auflagen Fortgelassenen, würde man, da der Standpunkt des Verfassers 
in seiner Kritik klar vorliegen würde, sich immer vor schweren literarischen 
Auslassungen hüten können und würde zugleich verhältwissmässig mühelos in 
die Lage der derzeitigen wissenschaftlichen Ansichten und ihre Begründung ein- 
geführt. Die Jahresberichte können offenbar ein solches Werk nicht ersetzen 
und die Lehrbücher müssen sehr Vieles fortlassen oder kurz berühren, was FunkE 
aufgenommen hat. Ich möchte glauben, dass ein Partikelchen von den jährlich zu 
Preisaufgaben u s. w. ausgeworfenen Summen gut angewandt wäre, wenn damit die 
Herstellung eines derartigen eyklisch erscheinenden Werks gesichert würde. 

4) s. 8. 183. Beobachtung der Fledermaus. 


234 V. Hessen. Beobachtungen über die Befruchtung 


durch meine Schuld, d. h. durch Unfälle, die ich hätte vermeiden 
können und sollen. Die Methode von BiscHorr, den Eileiter aufzu- 
schneiden, ist viel zeitraubender und mir weniger bequem und sicher, 

Nachdem die Eier beobachtet worden sind, werden sie je nach 
‘ Bedarf freier gelegt, in Kali bichromicum oder besser Osmiumsäure- 
dampf gehärtet oder okne Weiteres mit scharf geschliffener Nadel, vor 
oder nach Färbung mit Karmin, präparirt. Also von dem Discus, wenn 
nöthig, befreit, gedreht und gewendet, die Dotterhaut angestochen und 
der Dotter entwickelt. Letzteres geht selbst bei unerhärteten Eiern 
ohne Verletzung, d. h. Ausfliessen des Dotters, jedoch hier ist es ein 
Kunststück, meistens wird die Zone irgendwo auf den Dotter drücken 
und ihn dadurch zum Ausfliessen bringen. Bei erhärteten Eiern glückt 
es in der Mehrzahl der Fälle, die Zona von dem Dotter abzuziehen, 
ohne ihn zu quetschen, 


Mikropylefrage. 


Ich habe mich selbstverständlich sehr bemüht, eine Mikropyle zu 
finden. PFLUEGER’S!) Befunde an jungen Eiern zeigen ja, dass zu einer 
gewissen Zeit eine Oeffnung in der Zona ist. ‘Der ältere Befund von 
MEISSNER?), der neuere von VAN BENEDEN?) sprechen in demselben 
Sinne. 

Wenn eine Mikropyle vorhanden ist, müsste sie jedenfalls am sicher- 
sten dicht vor oder während der Imprägnation zu finden sein. Ein 
Hervorquellen des Dotters bei Druck macht sich nach einigen Ver- 
suchen nicht in der Art, dass man auf das Vorhandensein einer Mi- 
kropyle schliessen könnte, die Zona bekommt einen glatten grossen 
Riss und der Dotter schiesst hervor. Ueberhaupt habe ich nur einmal 
eine, MEISSNER’sS Beschreibung conforme, Mikropyle gesehen. Meer- 
schwein 10. August 1870 belest 9!/, Uhr, untersucht 4 Uhr (61/, St.). 
Tuben in Ruhe, kein Ei entleert. Ein Follikel trübe, entleerte sich 
auf leichten Druck. Durch verstärkten Druck wurden noch mehr Fol- 
likel entleert. Eins der so entleerten Eier zeigte einen zapfenför- 
migen Fortsatz des Dotters in die Zona pellucida hinein, ein 
gleichzeitig entleertes war zerrissen, es dürfte daher die Gestaltung des 
anderen Eies durch mechanische Einwirkungen erzeugt sein. 


1!) Ueber die Eierstöcke der Säugethiere und des Menschen. Leipzig 1863 
(z). 8. 84. 

2) x. 8. 248. 

3) 5. 8. 147, 


und Entwicklung des Kaninchens und: Meerschweinchens. 235 


Ich wollte dies Protokoll nicht unterdrücken, obgleich ich kein 
Gewicht darauf legen kann, denn eine grosse Menge von Riern aus 
dem Anfang des Eileiters sind nicht nur in verschiedenen Lagen auf 
eine Mikropyle angesehen, sondern es ward die Zone auseinander gelegt, 
und isolirt auf derartige Oeffnungen untersucht. Wäre eine trichter- 
förmige Oefinung vorhanden, wie es BENEDEN will, oder eine merk- 
liche Schwächung der Hülle in irgend nennenswerther Ausbreitung, 
so, meine ich, hätte ich sie wahrnehmen müssen. 

Gegen eine Mikropyle sprechen aber auch positive Thatsachen. Die 
Spermatozoen dringen von allen Seiten in die Zona ein und bewegen 
sich darin mit einiger Leichtigkeit. Dies ergiebt sich ganz abgesehen 
von meinen directen Beobachtungen schon aus den verschiedenen La- 
gerungen, welche sie nach den Zeichnungen BISCHOFF’s und Anderer 
in der Zona einnehmen. Sie können doch nur an diese Orte kommen, 
weil sie in die Zona hineinzudringen vermögen. Fraglich könnte meines 


_ Erachtens nur sein, ob die Samenfädchen durch die innerste Grenz- 


schicht der Zona dringen können. Ein feines Loch dort könnte der 
Beobachtung entgehen. Dagegen spricht jedoch die Massenhaftigkeit der 
Spermatozoen des Kaninchens in der Eihöhle, die schon von ver- 
schiedenen Beobachtern angegeben worden ist. An einer mir vor- 
liegenden Zeichnung eines Eies des Maulbeerstadiums (73 Zellen), dem 
die Zona abgezogen ward, zähle ich im optischen Querschnitt 22 Sperma- 
tozoen und da der Eikugel überall die Körperchen anklebten, muss 
ihre Zahl doch gegen 50 betragen! welche hineingekommen sein müssen, 
ehe die Eiweissumlagerung begann. Die Fälle von Meissner und 
BENEDEN erfordern also wohl eine andere Erklärung und PFLuEGER’S 
Beobachtungen hängen wohl nicht (was er selbst auch nicht sicher 
behauptet hat) mit einer Mikropyle zusammen. 


Das Eindringen in die Eihöhle. 


Mit Hülfe systematischer Studien hat sich die Zeit des Eindrin- 
gens der Spermatozoiden beim Kaninchen auf die dreizehnte Stunde 
nach der Copulation festsetzen lassen. Natürlich finden davon Aus- 
nahmen statt. Es ist der Fall vorgekommen, dass um 11°/, Stunde 
die Eier noch nicht entleert waren, dass nach 12 Stunden das Sperma 
noch nicht zu den 2 cm. in die Tuben vorgedrungenen Eiern gelangt 
war, dass ebenfalls nach 12 Stunden 3 Eier 4 cm. in die Tuben vor- 
gedrungen waren, davon 2 abortiv mit deformirtem Dotter, eins mit 
S Furchungskugeln, alle Eier mit Sperma versehen; aber ob auch nur 
das letzte wirklich befruchtet war, konnte ich nicht ganz sicher wissen. 


236 V. Hrnsen. Beobachtungen über die Befruchtung 


(Das Thier war zunächst nicht willig, ward dann später dreimal belegt.) 14 
und 14!/, Stunde nach der Conjugation ist die Imprägnationsperiode vorüber 
gewesen, jedoch waren einmal nach 14'/, Stunden die Spermatozoiden 
noch in lebhafter Bewegung, wenigstens in einem von drei Eiern. Vier 
Fälle, zwei von 12, zwei von 12!/, Stunden, zeigten den Process in 
vollem Gang. Es wird daher sieher richtig sein, die genannte Zeit 
vielleicht !/, Stunde früher als Ausgangspunkt der Beobachtungen zu 
wählen. Die Versuche fielen in den April (1870), die Thiere mussten 
am Abend zwischen 6 u. 7 Uhr copuliren und wurden am folgenden 
Morgen untersucht. WeıL, der Kaninchen nach dem Gebären copu- 
liren liess, beobachtete die Bewegung der Spermatozoiden in der 14. 
bis 17. Stunde. 

- In Ermanglung eines heissen Objecttisches wurden Mikroskop und 
Objeetträger mit einem Wasserbad auf Körpertemperatur gebracht. Bei 
einem Kaninchen von 12!/), Stunde n. d. B. wurden 6 Eier rasch aus 
den Tuben herausgebracht. Ueberall war der Dotter zurückgezogen 
und in dem so entstandenen Raum fanden sich Spermatozoiden in leb- 
hafter, - aalartiger Bewegung (eigentlich etwas lebhaftere Bewegungen, 
wie die des Aals. In dem gezeichneten Ei Figur 5!) zählte ich 
20 Samenfäden, welche noch 1/, Stunde lang in Bewegung blieben. Ich 
beobachtete eine Weile eins, welches auf den Dotter gerichtet stand, 
aber nicht hineinkam, die anderen umkreisten den Dotter, an welchen 
sie häufig anstiessen. Zeitweise rotirte der Dotter in Folge dessen. 
Die Zellen des Discus waren rundlich, zwischen ihnen fanden sich 
Samenfäden, deren Bewegung rasch erlosch. Ebenso fanden sich deren 
überall in der Zona, hier bewegen sie sich weniger frei, mehr krie- 
chend; diejenigen, welche senkrecht zum Centrum des Eies stehen, 


1) Ernst HAEcKEL, Anthropogonie 1874. S. 142 u. 143 giebt eine Figur über 
Imprägnation und Befruchtung des Säugethiereies. Die Ueberschrift der Seiten 
lautet: 

Der Mensch im Moneren-Stadium. Die befruchtete Eieytode oder Monerula. 

Die Erklärung besagt: Fig. 14. Die befruchtete Eizelle des Säugethieres 
(Monerula). Rings um die. Eizelle sind viele Spermazellen zu bemerken, einige 
derselben sind durch die Porenkanäle der Hülle in das Innere eingedrungen und 
haben sich in dem Dotter aufgelöst. Der Keim oder das Keimbläschen ist in Folge 
dieses Befruchtungsactes verschwunden. Der kernlose Dotter (nunmehr eine Cy- 
tode) hat sich verdichtet und zusammengezogen, wodurch zwischen ihm und der 
Eihülle ein (mit heller Flüssigkeit erfüllter) Zwischenraum entstanden ist. „Die 
Figur stimmt zwar mit dieser Erklärung weniger überein, wie nothwendig, immer- 
hin versinnbildlicht sie den Ansturm der Spermatozoen deutlich. Diese Darstellung 
reiht sich den von Hıs (Unsere Körperform 8. 169) gerügten Fällen an, die er als 
leichtfertiges Spiel mit Thatsachen bezeichnet. Die Rüge mildert sich m. E. 
nicht, wenn nachträglich das in der Phantasie Gesehene sich theilweise bewahrheitet. 


und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 337 


scheinen durchzudringen, wenigstens meine ich, einige mit dem Kopf 
in der Flüssigkeit, dem Schweif noch in der Zona gesehen zu haben, 
Während man sonst die Spermatozoiden in der Zona stets nahe pa- 
rallel der Oberfläche gelagert fiüdet, blieben hier viele definitiv 
in radialer Stellung (in Folge der Abkühlung). In den anderen Eiern 
fanden sich weniger Samenfäden in Bewegung, je 2 und 3, aber ich 
habe nicht alle genau untersucht, da natürlich die Aufmerksamkeit 
rasch auf eines concentrirt werden müsste. 

Ein zweites Kaninchen von 12 Stunden n.d.B. hatte 5 Eier, die 
nicht ganz rasch herauskamen. In allen fanden sich einige Samen- 
fäden in nicht sehr lebhafter Bewegung, auch war die Zone nicht sehr 
voll davon. Ich glaube, findet sich notirt,. das lebendigste Stadium 
ist schon vorüber. Von einem folgenden Kaninchen von 12!/, St. n. 
d. B. ist in dieser Beziehung nur angemerkt: Eier gut heraus, fast 
genau wie bei dem vorigen Thier. Das vierte Kaninchen (12!/, St.) 
hatte Eier mit einigen Spermatozoiden im Inneren, die meisten dem 
Dotter scheinbar anklebend, bewegten sich noch mit den Schwänzen 
ziemlich lebhaft. 

Der erste Fall, den ich beobachtete und der mir die Zeitbestim- 
mung sehr erschwerte (Kaninchen 141/, St. April 1869) war folgender. 
Die Eier, eins davon Fig. 6, fanden sich 4 cm. tief in den Tuben. In 
der Eiflüssigkeit waren viele Samenfäden, davon manche ruhend, an- 
dere beweglich und „wie ein Fisch“ das Ei umkreisend. Der Dotter 
war in leichten Schwankungen begriffen. In der Zona fanden sich 
viele Spermatozoiden in den verschiedensten Richtungen. Die Discus- 
zellen sitzen z. Thl. noch fest, sie sind dann gestielt, aber nur noch 
locker befestigt, Fig. 4. Die anderen Eier, welche 5 und 15 Minuten 
später entleert wurden, enthielten unbewegliches Sperma. 

Bei diesen Untersuchungen hätte die Durchdringung der Zona de- 
taillirter beobachtet werden können, aber mir lagen andere Dinge am 
Herzen. 3 

Beim Meerschweinchen fanden sich regelmässig viel weniger 
Spermatozoiden in den Tuben, wie beim Kaninchen, auch waren die- 
selben hier auffallend häufig unbeweglich und schienen empfindlicher 
gegen Abkühlung zu sein. Ich habe in der Regel nur wenige ins 
Ei eingedrungene Körperchen gefunden. Was die Zeit der Impräg- 
nation und die Durchdringung der Zona betrifit, kann ich nur Fol- 
gendes angeben. Ein Thier von 16 Stunden nach der Geburt hatte 
ein Ei mit 3 Richtungskugeln (eine kernhaltig), Sperma fand sich in 
der Zona, im Ei dagegen nicht. Ein zweites (27. Aug. 1870), von 12 


bis 15 Stunden hatte 3 Eier 4 mm. vom Tubenanfang, in allen dreien 


238 V. Hessen. Beobachtungen über die Befruchtung 


war ein unbewegliches Spermatozoid, wie sich bei nachträglicher Heraus- 
nahme des erhärteten Dotters bestätigte. Ein Meerschwein von 15 Stunden 
n. d. G. hatte rechts drei Eier. In der Zone des einen fand sich ein 
Spermatozoid im Einbohren, die anderen Eier zeigten nichts. Ein 
Thier von 15!/, Stunden enthielt in einem Ei in oder an dem Dotter 
ein Spermatozoid, das erst nach der Herausnahme des Dotters sich 
vorfand. Noch in einem Fall von 16 und einem von 15 Stunden n. d. 
G. habe ich 1 und 2 Spermatozoiden an dem Dotter gesehen, doch 
ward die Bewegung derselben nicht ausreichend sicher wahrgenommen. 
Hierzu kommen noch einige der weiter unten referirten Fälle, im 
Ganzen war die Ausbeute nicht befriedigend. 


Die Spermatozoiden im Dotter. 


Die sehr schönen Beobachtungen von NEwPORT!) mit horizon- 
tal gestelltem Mikroskop haben bewiesen, dass einige Samenfäden in 
den Dotter des Froscheies dringen. Auch BAMBERE’S?) trous vitel- 
lins scheinen sehr deutlich auf denselben Vorgang hinzuweisen. Die 
grosse Anzahl von Samenfäden im Kaninchenei kleben zwar dem Dotter 
an, bleiben aber Tage lang unverändert und lassen sich ablösen. Wenn 
nachgewiesen werden kann, dass andere Spermatozoiden in den Dotter 
eindringen und sich dort rasch erheblich verändern, so bleibt es zwar 
möglich, dass auch erstere bei Befruchtung oder Vererbung eine Rolle 
spielen (MEISSNER°) geht von diesem Gesichtspunkt aus), aber man 
wird nicht anstehen können, die eingedrungenen Samenfäden als 
die bei weitem wichtigeren zu betrachten. 

Der wirkliche Nachweis des Eindringens der Samenfäden in den 
Dotter hat mich bei den betrefienden Untersuchungen hanptsächlich 
beschäftigt. Es war im Grunde wohl eine undankbare Aufgabe, denn 
die allgemeine Ansicht war schon vorausgeeilt. Ich bin zu dieser 
Untersuchung theils durch die so vortrefflichen und präzisen Arbeiten 
PRINGSHEIM’S über die Befruchtung der Algen, theils durch die von 
Hıs*) bezüglich der Lagerung und Anzahl der Samenfäden verfolgten 
Ideen angeregt worden. WEIL, dessen Untersuchungen später gemacht 
wurden, wie die meinen, hat unzweifelhaft Sperma im Dotter nachgewiesen, 
Leider habe ich niemals ein Samenfädchen in den Dotter hinein kriechen 


1) Researches Third Series. Philosophical Transactions 1854. p. 232. (a. 1.) 

2) Sur les trous vitellins, que presentent les oeufs fecondes des Amphibiens. 
Bulletins de ’Academie roy. de Belgique tom. XXX. No. 7. 1870. (b. 1.) 

3) x. 8. 255. 

4) Ueber die erste Anlage des Wirbelthierleibes. Fortsetzung $. 20. Mit- 
getheilt der naturf. Gesellschaft in Basel. 1867. (ec. 1.) 


und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 239 


sehen, habe dagegen häufig bemerkt, dass diese Körperchen, sei es 
ganz, sei es nur mit dem Kopf, in dem Dotter sassen. Die einfache 
Beobachtung konnte indess nicht genügen, sondern weitere Zergliede- 
rungen haben die Beobachtungen bestätigt. 

An 2 frischen Eiern vom Meerschweinchen habe ich constatirt, 
dass ein, resp. zwei Spermatozoiden nach dem Anstechen des Eies mit 
dem Dotter herausflossen, sie lagen darauf so in der Dottersubstanz, 
dass Dotterkugeln über und unter ihnen lagen. Der Kopf war etwas 
ausgedehnt und an der Peripherie etwas körnig. Beim Versuch, einen 
Körper zu isoliren, löste sich der Kopf ab. 

Bei dem anderen, in Kali bichromicum erhärteten. Ei constatirte 
ich, dass die Schwänze der beiden Samenfäden, deren Köpfe im Dotter 
sassen, sich durch kein Umherwälzen des nackten Dotters oder durch 
sonstige Manipulationen aus demselben herausziehen liessen. Die Be- 
funde bei dem Thier vom 27. Aug. waren folgende: In jedem der 
3 Eier war ein Samenfaden, in dem einen sah der Schwanz aus dem 
Dotter, etwa !/, Kreisbogen von den Richtungskugeln entfernt, der 
Kopf war nicht deutlich erkennbar; im zweiten ging der Schwanz 
neben resp. über der Richtungskugel in den Dotter; beim dritten 
sass er der Richtungskugel fast gegenüber, bis über die Mitte des 
Mittelstücks im Dotter. In diesem Ei war das Keimbläschen sichtbar, 
aber nichts von den Spermatozoen darin oder daran. Nach dem Er- 
härten ward der Dotter aus allen drei Eiern unverletzt entwickelt. Das 
eine Ei ward nach einigem Rollen, wobei der Schwanz ungelöst blieb, 
als weniger günstig, nicht weiter untersucht. Das zweite Ei liess den 
Kopf ziemlich tief im Dotter und zwar schräg eingebohrt, erkennen, 
jedoch man sah ihn nicht recht klar und er war nicht heraus zu be- 
kommen. Das dritte (erste) Ei war an der Stelle, wo der Schwanz 
sass, ein wenig hervorgebuckelt. Man sah daran den Kopf, aber der- 
selbe war vergrössert und enthielt eine kuglige, körnige Masse, die 
sich von der Wand (Contour des Kopfes) zurückgezogen hatte. Das 
Ei ward zerstückelt und es ward versucht, aus der betreffenden Partie 
den Kopf zu isoliren, er sass sehr fest und ging schliesslich bei den 
Versuchen zu Grunde. 

Dies sind die besten Beobachtungen beim Meerschweinchen, das 
Ei Fig. 3 ist einem anderen Thier von 16 Stunden entnommen. 

Folgende Beobachtung glaube ich ihrer Eigenthümlichkeit wegen 
nicht unterdrücken zu dürfen. Meerschweinchen 17 St.n.d.G@. Es 
ward ein Ei gleich in der Tube gesehen und rasch entleert. Es fanden 
sich 10 Samenfädchen in der Zone, noch in verschiedensten Richtungen 
gelagert. An der körnigen dunkleren Seite des Eies fanden sich zwei 


240 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung 


Richtungskugeln, an der einen ein ruhender Schwanz, dessen Kopf in 
dem Bläschen zu stecken schien, doch war er nicht zu erkennen. Das 
vielfach gedrehte Ei liess nichts weiter erkennen, auch nicht, nachdem 
der Dotter auf Zusatz der Mwerrer’schen Lösung sich noch mehr 
zusammenzog. Später entleerte sich der Dotter gut, wobei sich jedoch 
die Richtungsbläschen von ihm trennten. Das eine hatte den Schwanz 
behalten, über dessen Basis sich eine dicke körnige Umhüllung aus- 
geschieden hatte. Bei stärkster Vergrösserung‘ erkannte ich in dem 
trüben Inhalt nichts vom Kopf, beim Zerdrücken trat jedoch eine 
bläschenförmige Bildung, ähnlich der so eben als Metamorphose des 
Samenfädchenkopfes geschilderten, auf, doch war sie nicht so deutlich! 
Was soll man dazu sagen? 

Das Kaninchen vom 7. April 1871 mit 6 Eiern. Eines davon 
Fig. 5. Alle Eier zeigten sich -durch feinkörnige, etwas bräunliche 
Häufchen stark gefleckt. Diese Flecken scheinen von zersetztem Sperma 
herzurühren, häufig glaube ich eine Hülle und Schweif daran wahrzu- 
nehmen. An anderen Stellen sieht man Spermatozoidenköpfe gebläht 
mit körniger Masse im Centrum, Fig. 7, wie das oben vom Meer- 
schweinchen beschriebene. Andere sind nicht vergrössert, sondern nur 
körnig getrübt. 

Das Kanichen vom 9ten 12 St. nach der Copulation, gab wesentlich 
denselben Befund, eines von 121/, Stunden, gleich darauf untersucht 
ergab, als die frische Dottermasse aus zwei Eiern entleert wurde, dass 
der Dotter auffallend stark zusammenhielt. Sie enthielt, namentlich 
in dem einen Fall sehr deutlich, mehrere Spermatozoiden, welche mit 
körnigem Kopf versehen, aber noch nicht gequollen waren. 

Darauf fand ich bei einem Kaninchen von 11?/, St. n. d. B. die 
Eier noch im Eierstock. Dieser entleerte nach dem Erhärten in Osmium- 
säuredampf durch körnige Massen gefleckte Eier. BiscHorr hat 
auch solchen Falls erwähnt. 

Die Eier eines anderen T'hieres von 12 St. n. d. B. wurden, nach- 
dem sie frisch denselben Befund ergeben hatten, wie die beiden erst- 
erwähnten, über Osmiumsäure erhärtet, von der Zona befreit und sorg- 
fältig geprüft. Die Dotter waren innerhalb der kugligen Zona platt, 
ein Fall, der mindestens nicht selten vorkommt. Es scheint mir, habe 
ich notirt, dass denn doch nicht alle Flecke mütterlichen Ursprungs 
sein können, denn ich finde deutlich in einigen Spermatozoenköpfen 
im Dotter Körnchen entwickelt und diese Bilder zeigen Uebergänge zu 
den Flecken. 

Bei einem darauf untersuchten Kaninchen von 14 Stunden mit 
6 Eiern, zeigte sich der Dotter in eine dunklere äussere und hellere 


und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 241 


innere Masse veschieden. Das Keimbläschen schien in einzelnen 
Eiern vorhanden zu sein, doch war es nach Erhärtung und Färbung 
mit Karmin resp. Rosanilin, trotzdem die herausgenommenen Dotter 
schliesslich zerdrückt wurden, nicht zu finden. Die Eier waren nach 
der Erhärtung abgeplattet, diesmal lag die Zona dabei den Flächen 
auch an, war also auch abgeplattet. In dem Dotter fanden sich viele 
Bläschen mit kernartigem Körper, zu denen in der Regel ein Schwanz 
hinführte und die den oben beschriebenen Bildungen sehr glichen. Die 
Fig. 7a ist einem dieser Eier entnommen. Weitere Reactionen sind 
nicht gemacht worden, da die hübschen Untersuchungen MiEscHer’s !) 
noch nieht bekannt waren. 


Die Verhältnisse liegen hier so schwierig, dass ich mir nach einer 
einzelnen Untersuchung kein Urtheil erlauben würde. Wenn ich aber 
alle Untersuchungen überblicke, so glaube ich mit Wahrscheinlichkeit 
den Sachverhalt dahin präcisiren zu können, dass bei den untersuch- 
ten Säugethieren mehr wie ein Samenfaden in den Dotter eindringen 
kann), dass er dort unter bestimmten formellen Veränderungen des 
Kopfes sich auflöst und auf diese Weise der Zustand der Befruch- 
tung im Ei herbeigeführt wird. Es würde mich freuen, wenn meine 
Versuche zu neuen Beobachtungen anregen sollten. 


In Bezug auf das Keimbläschen war mein Verfahren im Anfang 
nicht tadellos, erst später erkannte ich, dass man färben und dann 
den Dotter entleeren muss, um der Sache sicher zu sein. Ich habe 
daher meine Befunde nur ausnahmsweise mitgetheilt, doch will ich 
hier noch eine Beobachtung niederlegen. 


Ein Kaninchen hatte 25 Stunden nach dem Belegen links 5 Eier, 
alle mit 2 Furchungskugeln, rechts 4, davon eins mit 2 Furchungs- 
kugeln, 3 noch ungetheilt. Von letzteren hatte, wie sich nachträglich 
durch leichte Erhärtung und Färbung mit Karmin bestätigte, eins 
einen Kern, die beiden anderen keinen. In allen Eiern fanden sich 
ruhende Samenfäden. 


1) Die Spermatozoen einiger Wirbelthiere. Verhandl. der naturf. Gesellschaft 
ın Basel. VI. Heft. 1874 (di). 


2) Ich würde mich weniger vorsichtig aussprechen, wenn ich die veränder- 
ten Samenkörper hätte isoliren können. Uebrigens weist PrivesuEm: Ueber 
die Befruchtung der Algen. Bericht der preuss. Akademie. 1854. S. 145 und 
Fig. 23 (el) für Fucus das Eindringen mehrerer Samenkörper unzweifel- 
haft nach. Auch nach Wert (bb), der noch in Furchungskugeln Spermatozoiden 


sah, würde der gleiche Schluss zu ziehen sein. 
Zeitschrift f. Anatomie. Bd.-I. 16 


242 V. Hessen. Beobachtungen über die Befruchtung 


Die Befruchtung. 


Es drängt mich, in Folgendem meine Ansicht über die von der 
Zeugung zu separirende Befruchtung niederzulegen, sowie ich 
dieselbe, wenn auch weniger präcise, seit einer Reihe von Jahren vor- 
getragen und verfolgt habe. Obgleich sich auf diesem Gebiet absolut 
Neues kaum sagen lässt, bin ich bis jetzt doch nicht auf einen ähn- 
lichen Gang der Betrachtungen gestossen. 


Der Ausgangspunkt, von welchem die verschiedenen Beobachter 
sich ihren Gedankengang entwickeln, ist häufig so gründlich verschie- 
den, dass ich zunächst den meinen in einigen Worten andeuten muss. 


Die Möglichkeit einer Reihe von Lebensvorgängen ist in klarer 
Weise abhängig von den terrestrischen Verhältnissen. Wir finden 
empirisch, dass alle Organismen stark wasserhaltig sind, genauer ge- 
sagt zum grösseren Theile aus salzem Wasser bestehen. Demnach 
kann ein Stoffwechsel bei solchen Wesen nur unter den Bedingungen 
stattfinden, unter welchen solche Lösungen flüssig sind. Diese Bedin- 
sungen liegen für die Erdoberfläche klar vor; wir Biologen sind mit 
dieser Erkenntniss, die das Leben von physikalisch-chemischen Gesetzen 
abhängig macht, zufrieden, denn wir sind damit an die Grenze unseres 
Gebietes angelangt und unser Bestreben kann nur dahin gehen, unsere 
Erfahrungen auf die Gesetze der Physik und Chemie zu basiren. In 
ähnlicher Weise kann man auch in Bezug auf die lebengebende Ver- 
brennung der Organismen räsonniren, sie hängt von der Zusammen- 
setzung der Körper aus oxydirbarem Material und von dem Vorkom- 
men des Sauerstofigases auf der Erde ab. 


Es giebt aber andere Dinge, die auch im freiesten Gedanken- 
sprunge nicht auf physikalisch-chemische Gesetze direct zurückzuführen 
sind, ich nenne die Vermehrung der Organismen. Diese aus dem 
Wachsthum abzuleiten und das Wachsthum auf die Crystallisation zu 
redueiren, ist zum Mindesten sehr gewagt, und man wird sich nicht 
dadurch befriedigt fühlen. Wenigstens liegt die Sache noch zu unklar, 
um sich darauf zu stützen. 


Dennoch gewährt der empirische Satz: alle Organismen!) vermeh- 
ren sich, Befriedigung, und zwar nicht nur als empirisch gesicherte 
Thatsache, sondern als logische und nothwendige Schlussfolgerung aus 
den natürlichen Verhältnissen. Aus diesem Grunde gewährt es mir 


1) Dass auch die Männchen sich, jedoch indirect, vermehren, braucht wohl 
nicht erst gesagt zu werden. 


und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 9243 


also auch Befriedigung, wenn ich die Befruchtung aus diesem Satz 
aufbauen kann. 

Fragen wir, weshalb müssen die Organismen sich vermehren, so 
lautet die Antwort, weil dieselben sonst in Folge von Todes- 
ursachen in kürzester Frist aussterben müssten. Erörten wir weiter, 
weshalb Todesursachen da sein müssen, so kommen wir wohl schliess- 
lich auch hier auf das physikalisch-chemische Gebiet. E 

Ich schlage jedoch einen anderen, empirischen Weg ein und ver- 
suche, indem ich auf alle Fälle die für die Befruchtung wichtigen 
Thatsachen zusammenstelle, meinen Schluss zu ziehen. 

Sind wirklich für alle Organismen Todesursachen vorhanden? 

Man kann ein weites, hier nicht genauer zu verfolgendes Gebiet 
der zufälligen Todesursachen abtrennen, von durch meteorologische 
Verhältnisse und von durch innere Gründe, d. h. Organisationsfehler, 
bedingten Todesursachen. Wo erstere sich nicht eingefunden haben, 
treten die beiden letzteren in Wirksamkeit. Der Organisationsfehler 
z. B. des Menschen wird in der Altersschwäche, d. h. wol in der In- 
crustirung seiner Gewebe, kund. Diese sichere Todesursache kennen 
wir empirisch auch für viele Thiere und es ist nicht anzunehmen, 
dass irgend ein Thier der Altersschwäche nicht solle anheimfallen 
können, es sei denn, dass es sich durch Theilung fortwährend er- 
neuere. 

In diesem Falle und bei vielen Pflanzen (bei letzteren aus we- 
sentlich demselben Grunde) wird die Altersschwäche vermieden. 
Allerdings geht selbst der zäheste Baum schliesslich dadurch zu 
Grunde, dass die in ihm liegenden abgestorbenen, verholzten Theile 
nicht genügend geschützt werden können, vermodern und Todesursache 
werden. Der Keim kann aber, und dies ist ein wichtiges Fac- 
tum, durch Wurzelsprossen, also durch ungeschlechtliche Zeugung, 
fortleben. Unsere Erfahrungen weisen entschieden darauf hin, dass 
auf diese Weise die Species oder eigentlich das Individuum (künstlich) 
in infinitum fortleben kann, dass also von einer Erschöpfung der 
Lebenskraft in diesem Fall nicht die Rede sein kann. Dennoch 
ist in der Wildniss der Bestand eines solchen Individuums und da- 
mit auch der Species nicht ausreichend gesichert. Denn da die Ver- 
breitung durch Sprossen ohne Hülfe des Menschen nur eine be- 
sehränkte Ausdehnung des Standes bewirken kann, so wird, sei es 
z. B. durch Insekten, sei es durch meteorologische oder tellurische, 
im Laufe der Jahrtausende einmal eintretende Ereignisse, kurz im 
Kampfe ums Dasein, der Bestand endlich unterliegen. Während also 


das Individuum überhaupt nicht zu schützen ist, kann die Erhaltung 
16* 


244 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung 


der Species allerdings durch weite Verbreitung gesichert werden, 
und diese Verbreitung erfolgt durch die geschlechtliche Zeugung, 
also die Befruchtung, wie in vielen Fällen stark markirt hervortritt.') 

Das bei den höheren Pflanzen etwas schwierige Verhältniss zwi- 
schen geschlechtlicher und ungeschlechtlicher om nie musste im Vor- 
aus besprochen werden. 

Man kann im Allgemeinen sagen, die Bund sei ein so weit 
verbreiteter Process, es werde für ihre Erreichung in der Natur ein 
so grosses Opfer gebracht, eine so grosse Zahl künstlicher Mechanismen 
in Bewegung gesetzt, dass dem entsprechend die Function eine funda- 
mentale sein, durchgehends wenigstens etwas Allgemeines, allen be- 
treffenden Wesen Nothwendiges, dadurch erreicht werden müsse. Dies 
Durchstehende zu finden ist also die Aufgabe! Bei den zahlreichen 
Variationen des Processes, bei der Menge von Gleichungen also, die 
gegeben sind, darf immer wieder versucht werden, diese Function zu 
finden. 

Ob die Befruchtung bei allen Organismen sich finde oder nicht, 
ist dabei kaum von grosser Bedeutung. Uebrigens kann ich nicht 
zugeben, dass sie bei den niedersten Formen aufhöre. Die neueste 
Zeit hat noch wieder gelehrt, wie lange die geschlechtliche Zeugung 
bei höchst zugänglichen Pflanzen, den Hutpilzen, verborgen bleiben 
konnte, wie viel weniger dürfen wir erwarten von den Moneren schon 
Alles zu wissen! Uebrigens hat ja HAECcKEL?) Verschmelzungen von 
Moneren (Protomyxa) beobachtet und die Deutung dieses Vorganges 
als Conjugation ist zum mindesten durch seine Beobachtung nicht 
verboten. 

Die Befruchtung kann von der geschlechtlichen Zeugung, d. h. 
von der Neubildung der Individuen aus dem Ei, getrennt betrachtet 
werden. Der Beweis für die Nothwendigkeit dieser Trennung wird 
durch die Erfahrungen über die Parthenogenesis®) geliefert. 


1) Ich will gerne zugeben, dass in einzelnen Fällen dieser Art die ge- 
schlechtliche Zeugung geradezu unnütz sein mag, hier wird gewiss gesagt 
werden können, solcher Fall erkläre sich durch den Typus, d. h. die erbliche 
Verwandtschaft. Wird aber dieser Grund allgemein vorgeschoben, dann würde 
ich, aus späterhin hervortretenden Gründen, lieber gar keine Erklärung haben, 
als diese. 

2) Biologische Studien. Heft I. 1870. 8. 27 (fl). 

3) Ich kann hier nicht alle die Schriften a welche die Parthönosenasie: 
lehre gefördert haben, sondern beschränke mich möglichst. In Broxs, Classen 
und Ordnungen des Thierreichs, Bd. V. S. 164, findet man eine historische Be- 
sprechung (81). 


und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens, 245 


Unser vortrefflicher und liebenswürdiger C. Th. v. SıssoLn hat 
unter dem Namen Thelytokie, die hauptsächlich hier in Betracht kom- 
menden Thatsachen sehr sicher begründet. Er!) hat nachgewiesen, 
dass Psyche helix unabhängig von der Befruchtung durch lange Zeit 
hindurch unbefruchtete Bier legt, welche sich zu Weibchen entwickeln, 
die fort und fort ohne Hülfe von Sperma fruchtbare Generationen von 
Weibchen zu zeugen vermögen. Dasselbe Verfahren hat er, wenn mög- 
lich noch schlagender, für die Krebsthiere Apus cancriformis?) und 
Artemia salina®) nachgewiesen. Ferner steht fest, dass die Bombyeiden 
fruchtbare, unbefruchtete Eier legen können, aus denen dann Männ- 
chen und Weibchen „ganz regellos‘“ hervorgehen. Dies gilt insbeson- 
dere für den Seidenspinner, über den sich GERSTAECKER®) eingehender 
äussert als SIEBOLD, ferner von Liparis dispar?). 

Kür diese, namentlich die letzteren Fälle, lautet der bündige 
Schluss dahin, dass die Befruchtung mit der Zeugung direct 
gar nichts zu thun habe. Man wird also in Bezug auf die Fun- 
damentalfunction der Befruchtung so lange von der Zeugung absehen 
müssen, bis entweder zwingende Gründe dafür beigebracht werden, 
dass hier ein Ausnahmefall vorliege, dann fällt aber die Ansicht, dass 
die Befruchtung eine fundamentale Function sei, fort, oder bis sich 
eine versteckte Täuschung in jenen Beobachtungen nachweisen lässt. 
Dass in anderen Fällen die Befruchtung evident mit der Zeugung zu- 
sammenhänst, ist kein Grund gegen die gewonnene Anschauung, denn 
diese Erfahrung beweist nur, dass sich unter Umständen noch weitere 
Wirkungen an die Befruchtung knüpfen, das wird aber keineswegs 
durch obige Schlussfolgerung ausgeschlossen. 

Ich geselle mich zu denen, welche den Fundamentalvorgang 
der Befruchtung für eine Mischung von Stoffen halten. Die Form 
des Sperma kann schon deshalb nicht von fundamentaler Bedeutung 
sein, weil bei den Phanerogamen das Sperma als ungeformte, flüssige 
Masse in das Ei eintritt. Ferner giebt der Vorgang der Conjugation, 
wie wir denselben von den Conjugaten, den Diatomeen und Desmi- 
diaceen, den Pandorinen und (wenigstens kenne ich keinen Grund da- 
gegen) in dem Plasmodium der Myxomyzeten sehen, keinen Anlass, 


!) Wahre Parthenogenesis bei Schmetterlingen und Bienen. 1856. $. 36 (h1). 

2) Beiträge zur Parthenogenesis der Arthropoden. 1871 (i1). 

3) Sitzungsberichte der bayr. Akademie d. Wissenschaften, math.-phys. Classe. 
7. Juni 1873 (k1). 

4) @1. 8. 165. 

5) H. WEIENBERGH jr-, Quelques observations de Parthenogenise chez les 
Lepidopteres. Arch Neerland des Sciences mat. et nat. V. No. 3. $, 258. 


946 V. Hessen. Beobachtungen über die Befruchtung 


eine besondere Formung des Spermas anzunehmen, da es schwierig 
oder unmöglich ist, hier Geschlechter zu unterscheiden. Mir scheint 
im Gegentheil die grosse Gleichwerthigkeit der betheilisten In- 
dividuen ein weiterer wichtiger Hinweis auf den Fundamentalvorgang 
der Befruchtung zu sein. 

Die Function der Samenmasse kann nicht in einer reinen Öon- 
tactwirkung bestehen, weil sein Stoff sich dem Ei: bei- 
mischt. Im übrigen steht nach dem bis jetzt vorliegenden Material 
nur fest, dass eine Mischung, und sobald es sich um geformte Ele- 
mente handelt, eine alsbaldige Lösung in .der Eimasse stattfindet. 
Die Beantwortung der Frage, ob weiterhin oder nebenher eine dyna- 
mische Wirkung!) irgend welcher Art stattfinde, muss noch offen bleiben. 

Die Bedingungen der Befruchtung werden noch etwas erläutert 
durch die Erfahrungen über Bastardirung, bei welcher vorzugsweise 
das Fortpflanzungsvermögen geschlagen wird. 

Es wird dadurch einerseits illustrirt, dass nur innerhalb sehr 
zarter Differenzen die Befruchtungskörper variiren dürfen, um einen 
vollkommenen Effect zu erzielen, andererseits tritt eine Einrichtung her- 
vor, welche sehr kräftig für die Erhaltung der Constanz der Species 
wirkt. Beide Schlüsse lassen sich wiederholen in Bezug auf den un- 
günstigen Erfolg der Inzucht und die der Parthenogenese so nahe- 
stehende, zuweilen direct giftige, Selbstbefruchtung. LEUCKART?) macht 
als Hinweis auf die hohe Bedeutung der geschlechtlichen Fortpilan- 
zung darauf aufmerksam, dass eine Fortpflanzung unter Verhältnissen, 
bei denen sich die körperlichen Schwächen und Gebrechen der Eltern 
allmälig summiren, schliesslich bis zur vollkommenen Entartung hin- 
führt. Es ist jedoch Factum, dass die Inzucht viel rascher zerstört 
als es solcher, oft kaum merkbaren Anhäufung der Fehler entspricht, 
dies habe auch ich bei Meerschweinchen zu beobachten Gelegenheit 
gehabt. Dann aber könnte es sehr wohl sein, dass die abweichenden 
Eigenschaften der Eltern einmal Vervollkommnungen seien. Die 
sicher richtigen Ausführungen Darwıy’s, dass das Unvollkommene 
im Kampfe um das Dasein vernichtet werde, würde die Inzucht viel- 
leicht an Leben kostbar, aber doch nicht für die dem Anschein nach 
gesetzliche Fortentwicklung der Organismen, unbrauchbar erscheinen 
lassen. Es tritt dagegen klar hervor,’) dass auch diese Einrichtung die 


1) „Steigerung der Lebenskraft“ vergl.: JAEGER, Ueber Urzeugung und Be- 
fruchtung. Zeitschr. f. wiss. Zoologie. XIX, S. 503 (m1). 

2) 1. S. 962. 

3) L. Acassız weist (Der Schöpfungsplan, übersetzt von GIEBEL) bereits auf 
dies Verhältniss hin, 


und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 247 


Erhaltung der Species durch Ausgleich der elterlichen Abänderungen 
sichert, wogegen man über den Grad, bis zu welchem diese Sicherung 
geht, verschiedener Meinung!) sein kann. 

Bemerkenswerth für die Würdigung der Befruchtung scheinen 
noch die Erfahrungen über den Austausch zwischen Edelreis und 
Unterlage zu sein. P. Magnus?) hat darüber neuerer Zeit Unter- 
suchungen angestellt, aus denen z. B. sich ergiebt, dass mit verschie- 
denen Kartoffelsorten Pfropfversuche gemacht und dadurch Mischlings- 
kartoffeln erzielt wurden. Jedoch im Allgemeinen ergiebt sich eine 
so ausserordentliche Schwierigkeit, abgesehen von Panachirungen, 
Umänderungen der Organisation der Theile nachzuweisen, dass 
‘sich als grosse Regel die Nichtbeeinflussung ergiebt. Wenn 
aber zwischen zwei benachbarten Zellen der respectiven Theile ein 
annähernder Austausch der in ihnen enthaltenen differenten Sub- 
stanzen einträte, müssten Mischbildungen auftreten, aus dem Man- 
gel derselben folgt, dass unter diesen, scheinbar den innigsten Aus- 
tausch erheischenden Bedingungen, derselbe nicht eintritt. Bei 
der Imprägnation wird eine Mischung der lebenden Bestandtheile 
differenter Zellen gleichsam erzwungen und zwar unter Anwendung 
eines im Ganzen gewaltigen Apparates.. Man sollte denken, dass die 
weissen Blutkörperchen zu solchen Imprägnationen sehr bequem sein 
müssten, dennoch finden wir dieselben nirgends zu diesem Zwecke 
verwendet. n 

In das Resultat der Mischung und Lösung der Geschlechts- 
produete gewähren folgende Thatsachen einigen Einblick. 

In einer Reihe von Fällen tritt als erste augenfällige Folge der 
Befruchtung eine Membranbildung um das Ei auf. So geschieht es 
namentlich, wie u. a. PRINGSHEIM’S zahlreiche Untersuchungen lehren, 
bei vielen niederen Pflanzen, so auch, nach den übereinstimmenden 
Befunden von ÜLAPAREDE?), MUNK‘) und SCHNEIDER®), bei den Ne- 
matoden. In diese Kategorie scheinen auch die Wintereier der Räder- 


1) Die Bezeichnung „Species“ wünsche ich nicht so aufgefasst zu sehen, als 
wenn ich Darwın’s (Entstehung der Arten, Cap. VIII.) (n1) Bestimmungen über 
die Ausdehnung der Fruchtbarkeit bei Bastarden nicht zustimmte. Der Ausdruck 
Species dürfte jedoch immerhin noch am vollständigsten die Grenze bezeichnen, 
bis zu welcher fruchtbare Kreuzungen sich zu erstrecken pflegen. 

2) Sitzungs-Ber. d. Gesellsch. naturforschender Freunde zu Berlin. 1870. 
S. 33..1871. 8. 82 und Botanische Zeitung, 1870. 8. 581. 1871. S. 114 (ol). 

3) Zeitschrift f. wiss. Zoologie. Bd. IX. S. 106 (pl). 

4) Ibid. 8. 365 (q1). 

5) Monographie der Nematoden. Berlin 1866 (r1). 


248 V. Hessen. Beobachtungen über die Befruchtung 


thiere zu gehören, aber da v. SıeBOLD für Artemia salina den Nach- 
weis geliefert hat, dass sowohl Sommer- wie Wintereier partheno- 
genetisch erzeugt werden, wird für diese Art Schalenbildung die Ab- 
hängigkeit von der Befruchtung unsicher. Die durch die Befruchtung 
gebildete Eihülle gewährt einen verlässlichen Schutz gegen meteoro- 
logische und manche andere Todesursachen!), dient also zur Erhaltung 
des Eies und alles dessen, was sich daran knüpft. 

Nach den Beobachtungen von PRINGSHEIM?) bildet sich so rasch 
nach dem Eindringen des Spermatozoids eine Hülle, dass den Nach- 
folgern bald der Zugang in den Dotter verschlossen wird. Man könnte 
demnach glauben, dass auch bei den Eiern von Säugethieren etwas 
Aehnliches sich finde. Davon habe ich mich jedoch nicht mit Be- 
stimmtheit überzeugen können. Leider aber habe ich im Eifer, 
eine falsche Ansicht über die ersten Folgen der Befruchtung zu zer- 
stören, mich nicht genügend damit beschäftigt, die wirklichen nächsten 
Folgen der Befruchtung aufzufinden. Da Wein unveränderte Sperma- 
tozoiden in Furchungskugeln sah, kann ein Abschluss gegen Sperma 
nicht erste Folge der Befruchtung sein. 

Für diesen Fall und die so sehr zahlreichen ähnlichen Fälle an 
Pflanzen und Thieren lässt sich wohl nur aussagen, dass die Befruch- 
tung die Erhaltung der Species bewirke, indem sie den Todesursachen, 
welche dem Ei und einigen Entwicklungsstufen desselben drohen, 
entgegenwirkt. 

Dass sie dies für das Ei thue, ist für die meisten hierher gehö- 
rigen Fälle sofort klar. Wenn Oben von Kanincheneiern berichtet 
wurde, die dem Anschein nach unbefruchtet fortlebten, so erklärt 
sich dieser Fall daraus, dass eine Todesursache (die Entleerung in 
den Uterus und weiter) hier durch die besondere Abnormität fort- 
genommen war, dass die Eichen in dem geschlossenen Ende der 
lebenden Tuba Schutz fanden. Es soll ja nicht behauptet sein, dass 
nur die Befruchtung den Todesursachen entgegenwirken könne, son- 
dern dass auch sie dies, und zwar, wie ich glaube, in besonders 
ausgezeichneter Weise zu thun vermöge. 

Dass die Befruchtung einer Entwicklungsstufe des Eies Schutz 
gewährt, lässt sich nur indireet nachweisen. Die Thatsache, dass manche 
Körner ausdauernder ihre Keimfähiskeit bewahren, wenn sie durch 


1) HELLER macht auf die grosse Widerstandsfähigkeit der Eier von Taenia sagi- 
nata in fauligen Substanzen neuerdings aufmerksam, Zıemssen, Handbuch. Bd. VII. 

2) (el) und Jahrbücher der Botanik, Bd. I. u. II., vergl. auch Bd. IX. 
Juranyı, Beitrag zur Morphologie der Oedugracen, und Bd. VII. STRASSBURGER, 
Die Befruchtung bei den Farrenkräutern, 


und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 249 


Fremdbefruchtung, als wenn sie durch Inzucht erzeugt wurden, weist 
nach, dass die Vollkommenheit der Befruchtung für diese Entwicklungs- 
stufe von Bedeutung ist. Daraus darf wohl der Schluss gezogen werden, 
dass überhaupt die Befruchtung jenen Todesursachen, welche dem pflanz- 
lichen Embryo in dem genannten Stadium drohen, entgegenwirkt. 

Der Generationswechsel hängt in den gesicherten Fällen, so viel 
mir bekannt, von der geschlechtlichen Zeugung ab.!) In vielen Fällen 
wird durch die geschlechtlich erzeugte Larve die Todesursache besei- 
tigt, welche den Geschlechtsthieren droht. Die Akalaphen und deren 
Sprossen (z. B. Sarsia) würden den meteorologischen Einflüssen und 
dem damit verknüpften Nahrungsmangel unterliegen, aber die Polypen 
vermögen dem auszuweichen. Bei den Trematoden und Radiaten 
kommt eine ungeschlechtliche Zeugung des Mutterthiers, so viel mir 
bekannt, nicht vor. (Ich umfasse nicht die Thatsachen zur Genüge, 
aber die wissenschaftliche Arbeit ist eine gemeinsame und wenn meine 
 Darlegungen Gegner erwecken sollte, werden sich auch hoffentlich 
Freunde derselben finden, welche die nöthigen Correcturen anzubringen 
vermögen.) In solchen Fällen ist der Generationswechsel nicht we- 
sentlich verschieden von anderen Arten der geschlechtlichen Zeugung. 
Es wird die weite Verbreitung des Keims bewirkt und zugleich ver- 
mieden, dass derselbe, sei es in der Keimungszeit zu Grunde gehe, 
oder auf ungünstigen Boden falle. 

Eine besonders werthvolle Auskunft über die Befruchtung scheinen 
die Vorgänge der Parthenogenesis liefern zu müssen, weil hier das Schick- 
sal des befruchteten und unbefruchteten Eies deshalb vorzüglich vergleich- 
bar ist, weil das unbefruchtete Ei den Entwicklungscyelus durchläuft. 

Wenn man Fälle der exceptionellen Parthenogenesis (GERSTAECKER) 
ins Auge fasst, sollte man glauben, dass die Wirkung der Befruchtung 
sich einfach verfolgen lasse. Der Sachverhalt war z. B. bei Liparis 
dispar nach WEIJENBERGH?) folgender. Die Befruchtung ward im 
Herbst 1868 beobachtet, aus den Eiern krochen im April 1867 die 
Raupen aus, im August 1867 legten die Schmetterlinge, von denen 
bereits die Männchen im Puppenstand, hier wie später, separirt worden 
waren, parthenogenetische Eier I. April 1868 krochen die Raupen 
aus, im August wurden wieder die unbefruchteten Eier II. gelegt. 
Diese gaben Raupen im April 1869 und Schmetterlinge im August. 


1) Hazckzr’s Alloeo genesis ist durch Fr. E. Schutze: Ueber die Cuninen- 
Knospenähren. Mittheilungen des naturwissenschaftl. Vereins zu Graz. 1875. wi- 
derlegt. 

2) 11. 


950 V. Hessen. Beobachtungen über die Befruchtung 


Die von letzteren gelegten Eier III. waren im Frühling 1870 ohne 
Ausnahme vertrocknet, was früher nur vereinzelter zur Beobachtung 
kam. Die Zahl der Männchen gegenüber den Weibchen änderte sich 
in diesen Beobachtungen nicht merklich. Dagegen ward eine Beob- 
achtung von M. Tarpy von demselben Thier (egger moth) erwähnt, der 
in der dritten Generation, die also bei WEIJENBERGH ausblieb, lauter 
Männchen erhielt. Die gleiche Beobachtung machte CARLIER (h. S. 131.) 

Man würde nach Obigem geneigt sein von einer Erschöpfung der 
Lebenskräfte der Individuen oder von deren Eierstöcken zu sprechen, 
aber abgesehen davon, dass, wie eingangs ausgeführt, eine solche .Vor- 
stellung für gewisse Pflanzen nicht erlaubt ist, muss auch die sehr 
bemerkenswerthe Beobachtung von TArpy (selbst wenn sie nicht das- 
selbe Thier träfe) Bedenken erregen, denn, wo nur Männchen ent- 
stehen, kann sich die Erschöpfung der Lebenskraft höchstens durch 
Unfruchtbarkeit des Samens äussern. Diese ist aber mindestens nicht 
erwiesen und es ist sehr möglich, dass gerade solcher Same sehr frucht- 
bar ist. Wenn übrigens der Tarpy’sche Fall, der sich vielleicht an 
die Verhältnisse bei den Aphiden anlehnt, richtig ist, dann scheint 
eine regelmässige Stufenfolge in der Parthenogenesis vorhanden zu 
sein. Es giebt Thiere, welche fast unbeschränkte Generationen hin- 
durch Weibchen erzeugen, Apus, Artemia, Psyche helia, Solenobia tri- 
quetrella u. s. w., andere welche gemischt oder in einer gewissen 
Folge Weibchen und Männchen, dann Männchen erzeugen, Liparis dis- 
par, die Blattläuse, endlich solche, welche parthenogenetisch nur noch 
Männchen erzeugen, Bienen und Wespen. Die Richtigkeit dieser 
Stufenfolge!) wird bestätigt durch.die Erfahrung, dass bei den erst- 
genannten Thieren an gewissen Orten Männchen untermischt vorkom- 
men, ja dass sogar ganze Triquetellen-Säcke gewisser Gegenden?) nur 
Männchen enthalten... Dazu kommt, dass O. HARTMANN?) nach einer 
Begattung, nach der leider die Eier nicht auf Sperma untersucht wor- 
den sind, von S. triquetrella nur Weibchen ausschlüpfen sah, von 
einem Thier, das fast absolut sicher auch ohne Begattung nur Weib- 
chen geliefert hätte. v. SIEBOLD glaubt zwar diesen Fall so deuten 
zu müssen, dass die Copulation zu einer Befruchtung nicht geführt 
habe, aber wie man aus dem ausführlich gegebenen Citat?) ersehen 

1) Nach PrinGsHEIMm, Weitere Nachträge zur Morphologie und Systematik 
der Saproleguceen. Jahrbücher der Botanik Bd. IX. (s1), ist die Folge der Par- 
thenogenese bei Zwitterpflanzen die, dass die Pflanzen rein weiblich werden, 
dies würde also die erste Stufe obiger Reihe sein. 

2) i1. 8. 149. 


3) Ich füge hinzu, schreibt SteBorv, il. S. 224, dass da, wo etwa eine Aus- 
nahme dieser Gesetzmässigkeit störend in den Weg getreten ist, sich ein Grund 


und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 351 


wird, kommt er zu diesem Schluss lediglich aus theoretischen und 
nicht voll ausgearbeiteten Gründen. Er wird mir daher um so mehr 
Recht geben, wenn ich hier der, wenngleich unvollkommenen, Beob- 
achtung mehr Glauben beimesse als der Theorie, weil die letztere 
weiter verfolgt zu schwer annehmbaren Schlüssen führen würde. 
Wenn nämlich die Befruchtung zur Bildung von Männchen führen 
würde, so wäre dadurch die grösste Gefahr für das Fortbestehen der 
Species gesetzt und das kann nicht angenommen werden.') 

Nimmt man zu diesen empirischen Thatsachen die naheliegende 
Hypothese, dass das notorische Auftreten von Männchen in der 
Thelytokie ebenso mit den Folgen mangelnder geschlechtlicher Mi- 
schung zusammenhänge, wie dies bei der Arrenotokie stets der Fall 
ist, so kommt man zu einem Schluss, der demjenigen ähnlich ist, 
welchen A. PAGENSTECHER?) gelegentlich der Kritik von Tmury's 
Gesetz aus der Parthenogenese gezogen hat. Bei den meisten Thieren 
sind die unbefruchteten Eier so sehr dem Verderben ausgesetzt, dass 
sie sich nicht entwickeln können, bei den thelytokischen ist dies zwar 
durchaus nicht der Fall, aber theils nach vielen ungeschlechtlichen 
Generationen (Hypothese!), theils durch die Stufenfolge der Bombyces 
und Bienen hindurch geht diese vollkommene Entwicklungsfähigkeit 
in jene Unfähigkeit der Entwicklung über, welche sich bei den meisten 
findet. Der Untergang geht also durch ein Stadium hindurch, wo die 
Unfähigkeit sich parthenogenetisch zu erhalten kund wird durch die 
ausschliessliche Erzeugung von Männchen durch die unbefruchteten 
Eier. Dieser Fall stellt sich also als Vorstufe gänzlicher Entwick- 
lungsunfähigkeit dar. Da das Ei der Säugethiere nach einer gewissen 


für das Fehlschlagen des erwarteten Geschlechts herausfinden lässt. So hätte in 
dem oben erwähnten, von Hırrmann beobachteten, Fall, jenes Weibchen der So- 
lenobia triquetrella, welches mit einem Männchen eine Begattung eingegangen 
war, nur männliche Nachkommenschaft liefern sollen, und doch waren aus den 
von diesem Weibchen abgesetzten Eiern gegen alles Erwarten nur Weibchen 
zum Vorschein gekommen. Diese Anomalie dürfte indessen nur eine scheinbare 
gewesen sein, wenn man sich daran erinnert, dass das im erwähnten Fall be- 
theiligte Weibchen nach dem Absetzen der Eier keiner genaueren Untersuchung 
unterworfen worden ist, bei welcher es sich wahrscheinlich herausgestellt haben 
würde, dass die vorausgegangene Begattung nicht vollständig vollzogen worden 
ist und mithin keine Befruchtung zur Folge haben konnte. LEuckArT, Zur 
Kenntniss des Generationswechsels, scheint (S. 109) SızBorv’s Ansicht zu theilen. 

I) Dass bei einer arrenotokischen Solenebia nach der Befruchtung gar keine 
‘ Männchen auftreten dürfen, ist damit nicht gesagt, der Same hat vielleicht 
Bar Eiern gegenüber nicht mehr Kraft genug, um daraus Weibchen zu 
ilden. 


2) Zeitschr. f. wiss. Zoologie, Bd. XIII. S. 269 (t1). 


252 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung 


Zeit das Vermögen durch die Befruchtung entwicklungsfähig zu wer- 
den verliert, so sieht man, wie allerdings in der Parthenogenese der 
Trury’sche!) Satz leise anklingt. Es können übrigens Umstände ge- - 
nug vorhanden sein, welche es verhindern, dass diese Regel überall 
hervortrete. 

Noch eine zweite Folge der Befruchtung lässt sich aus den Er- 
fahrungen über die Parthenogenesis ableiten. Die unbefruchteten Eier 
von Bombyx mori lassen sich nicht gut durchwintern, entwickeln sich 
aber, wenn sie sogleich nach dem Legen bebrütet werden. Da eine 
Abänderung der Eischale seitens der Mutter bei der Legung des un- 
befruchteten Eies nicht beobachtet und auch unwahrscheinlich ist, 
findet sich, dass in Folge der Beimischung des Sperma das Ei resi- 
stenter gemacht wird. Da die Erfahrung lehrt, dass die Befruch- 
tung in dieser ersten Generation keinen Einfluss auf das Geschlecht 
hat, so kann auch nicht die grössere Resistenz mit der Geschlechtlich- 
keit des Eies in directen Zusammenhang gebracht werden und wir 
sind daher berechtigt hier eine andere Art der Wirksamkeit der 
Befruchtung zu erkennen, welche nur indirect mit der Wirkung auf 
das Geschlecht zusammenhänst. 

Fragen wir endlich, welche fundamentale Function die Befruch- 
tung nach den vorliegenden Thatsachen habe, so lautet die Antwort 
noch wieder anders, wenn gleich nicht besonders befriedigend. 

Durchstehende Regel ist es, dass die Befruchtung der 
Erhaltung der Species dient: und dass sie dafür nothwen- 
dig ist. Indem sie für das Individuum die Mittel zur Fortpflanzung 
abgiebt, bewirkt sie häufig noch ein Weiteres wie nur die Erhaltung 
der Species, namentlich dient sie zur Erhaltung der betreffenden In- 
dividuen selbst, aber nicht in einer abgezweigten, sondern in neu- 
gemischter, neuerschaffener Form.?) 


l) M. Tuvury, Ueber das Gesetz der Erzeugung der Geschlechter. Leipzig. 
1863 (ul). 

2) Für diese Auffassung bereitet die Selbstbefruchtung nicht unerhebliche 
Schwierigkeit. Ich betrachte dieselbe als ein Mittel, den Zeitpunkt, wo die 
Fremdbefruchtung zur Lebensbedingung wird, möglichst zu verzögern, rechne 
sie also in diesem Sinne der Parthenogenesis zu. Nach einer entgegenstehenden 
Ansicht würde dagegen dadurch die ungeschlechtliche Zeugung in die geschlecht- 
liche übergeführt. Es sei z. B. nach PriwGsHEM nicht einzusehen wie die band- 
förmig wachsenden Diatomeen (Melosiren ete.) mit fremden Individuen in Copu- 
lation treten könnten. Von der Unmöglichkeit solehen Vorganges vermag ich 
mich jedoch nicht zu überzeugen, aber ich gebe zu, dass die Thatsachen mehr 
für letztere Ansicht sprechen, falls man überhaupt die Angelegenheit schon ent- 
scheiden will. Ich erkenne bei der letzten Ansicht nicht recht die ratio der ge- 


und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 253 


Die Art, durch welche mit Hülfe der Befruchtung die Species 
(um Mutter, Vater und Sprösslinge allein kann es sich wegen der 
Unfruchtbarkeit der Inzucht nicht handeln) erhalten wird, scheint 
verschiedenartig zu sein. Im Allgemeinen kann nur gesagt werden, 
dass die Todesursachen durch die Befruchtung vermieden oder hinaus- 
geschoben werden. Bei den Einen werden die Keime befähigt zu 
durchwintern oder in den fauligsten Massen sich lange zu erhalten, 
bei den Andern wird durch die Befruchtung bewirkt, dass der normale 
Entwicklungsgang, z. B. die Furchung und ihre Folgen, sich vollenden 
kann. Bei Dritten wird die Form des Zeugungsproducts so abgeän- 
dert, dass es selbst wieder zeugungsfähig wird, bei Vierten wird nur 
die Gefahr, welche nach einer Reihe von Generationen durch Erzeu- 
sung von lauter Männchen droht, weiter hinausgeschoben, bei Fünften 
endlich wird theils in manniefaltiger Art der Embryo mit der Fähig- 
keit sich den drohenden Gefahren zu entziehen und sich neue Gebiete 
- zu erobern, begabt, theils unmittelbar der Keim vor dem Absterben 
bewahrt.!) 

Das Wenige hier Gegebene gewinnt, wie ich hoffe, etwas mehr 
positiven Inhalt, wenn es einigen neueren HErörterungen der Zeugung 
gegenübergestellt wird. 

Am wenigsten weicht meine Auffassung von der JAEGER’S?) ab. 
Dieser Autor geht jedoch von einer durchaus hypothetischen, elektro- 
dynamischen Erklärung der Lebenskraft aus und bespricht zunächst 
die Urzeugung, während ich mich auf rein empirische Basis stütze. 
Für gewisse, übrigens naheliegende Schlüsse, wie die über Inzucht und 
Bastardzeugung, gebührt JAEGER vor mir die Priorität. Wenn JAEGER 
als Wirkung der Befruchtung die Steigerung der Lebenskraft nennt, 
ich die Entfernung der Todesursache, so ist der Unterschied in man- 
chen Fällen ein rein formaler; in anderen jedoch nicht, wie ich über- 
haupt glauben möchte, dass der von mir gewählte Ausdruck für die wis- 
senschaftliche Behandlung des Themas geeigneter ist. 


schlechtlichen Zeugung, denn das Prineip der Arbeitstheilung scheint mir zu 
niederer Art zu sein, um daraus die Zweigeschlechtiskeit zu erklären, 

1) Es können die Gesetze der Befruchtung, speciell die der Inzucht zum 
Aussterben der Species führen, wie es z. B. wohl bei Alka impenis, bei der die 
Species freilich gewaltsam auf eine Familie reducirt worden war, der Fall gewe- 
sen ist. Es sind überhaupt trotz Befruchtung ungezählte Species ausgestorben. 
Darin liegt ebenso wenig ein Einwand gegen obige Ansichten, als etwa gegen 
die Zweckdienlichkeit des Blutkreislaufs fürs Leben eingewandt werden könnte, 
dass aus ihm zuweilen Gefahr für das Leben erwächst. 

2) ml. 


954 V. Hessen. Beobachtungen über die Befruchtung 


GOETTE!) fordert von der Befruchtung nur eine Verdichtung der 
Dotterrinde und entwickelt aus dieser die Furchungskugeln und ihre 
Folgen mit Hülfe endosmotischer Strömungen. Dieselben würden 
zunächst eine Verflüssigung im Centrum der Eikugel hervorrufen. Schon 
diese Annahme scheint mir nicht statthaft, weil die Lösung im Ei 
unter der festgewordenen Rinde eintreten müsste. Ueberhaupt darf 
man, wie ich noch weiter unten darlegen werde, die Entwicklung 
wohl nicht so unmittelbar auf die Befruchtung beziehen und daher 
glaube ich mich hier damit begnügen zu dürfen auf SEMPER’S?) ein- 
gehende Besprechung von GoETTE’S bezüglichen Ansichten zu ver- 
weisen. 

E. van BENEDEN®) hebt hervor, dass das Sperma im Ectoderm, 
das Ei im Entoderm entstehe, und legt Gewicht darauf, dass bei der 
Befruchtung beide einen Augenblick verschmelzen, um sich dann bei 
der Furchung alsbald wieder zu trennen. Es ist jedoch nicht abzusehen, 
wie dieser Fingerzeig als allgemein gültig sich bewähren könnte, 
denn weder bei der Parthenogenese noch bei den Pflanzen scheint diese 
Anschauung eine Base für unser Verständniss abgeben zu können. 

Hıs hat in mehreren Mittheilungen *) und zuletzt in seinen em- 
bryologischen Briefen?) eine scharf formulirte Ansicht über die Zeugung 
ausgesprochen. Die Sätze‘ lauten: 

1) Der mütterliche Keim oder das Ei im engeren Sinne des Worts 
ist eine zum Wachsthum erregbare Substanz. 

2) Unter bestimmten, vorerst nicht allgemein feststellbaren Be- 
dingungen kann, wie die Parthenogenesis zeigt, das Ei seine Wachs- 
thumserregung aus inneren Ursachen bekommen und demgemäss sich 
entwickeln ohne vorangegangene Befruchtung. 

3) Wo keine Parthenogenesis besteht, da bedarf das Ei, damit es 
zu wachsen beginnt, des Contactes mit männlichem Samen. 

Hıs betrachtet also die Zeugung als eine Wachsthumserregung, 
welche, abgesehen von speciellen Fällen, durch die Befruchtung gesetzt 
werde. . Es ist jedoch meines Erachtens nicht nachweisbar, dass die 
Wachsthumserregung die eigentliche und unmittelbare Folge der Be- 


DRUrS19: 

2) Ueber die GorrTE’sche Discontinuitätslehre des organischen Lebens. 
Arbeiten aus dem zool.-zootom. Institut in Würzburg. 1875 (v1). 

3) De la distinetion originelle du testicule et de l’ovaire. Essai d’une theorie 
de la Fecondation. Bruxelles 1874 (w1). 

#) Die Theorien der geschlechtlichen Zeugung. Archiv f. Anthropologie. 
Br NG 6 (2 (ei) 

5) Unsere Körperform. Leipzig 1875 (y1) S. 152. 


und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 955 


fruchtung sei. Die Belege dafür sind aus der Vergleichung des be- 
fruchteten und unbefruchteten Eies zu entnehmen. Dass die Drohnen 
längere Zeit zur Entwicklung gebrauchen wie die weiblichen Bienen, 
kann nicht massgebend sein, denn es ist die Nahrung beider Ge- 
schlechter verschieden, und alle Eier schlüpfen am dritten Tage aus. 
Dagegen wissen wir, dass die befruchteten Eier der Blattläuse und 
Seidenspinner überwintern, sich also nicht sogleich entwickeln, die 
unbefruchteten dagegen entweder sogleich die Entwicklung beginnen 
müssen oder nicht ausdauern. In den geschlechtlich erzeugten Algen- 
sporen ruht in vielen Fällen die Entwicklung geraume Zeit, und 
PRINGSHEIM!!) sagt von den Saprolegnien ausdrücklich, „es ist sicher, 
dass die parthenogenetischen Oosporen früher keimen, als die befruch- 
teten.“ 

Andererseits steht fest, dass in gewissen Fällen die Furchung auch 
ohne Befruchtung beginnt, dafür giebt LEUCKART?) eine sehr präcise 
Darstellung von Froscheiern, und den gleichen Befund hat wie schon 
erwähnt ÖELLACHER®) vom Hühnchen beschrieben. Nun würde mit 
einigem Recht gesagt werden können, die Furchung sei kein Wachs- 
thum, aber da die Wirkung der Befruchtung schon in der Furchung 
selbst deutlich zu Tage tritt, weil letztere ohne Befruchtung in den 
Anfängen stehen bleibt, so würde die Anschauung von Hıs durch 
solche Begrenzung nur noch schwieriger. Dass die Verschmelzung 
der männlichen und weiblichen Geschlechtsproducte die Wachsthums- 
fähigkeit des Eies beeinflusst und meistens nachweisbar erhöht, ist un- 
zweifelhaft, aber einen so directen Zusammenhang, wie es sich aus 
dem Satze von Hıs ergiebt, dürfen wir, glaube ich, nicht annehmen. 

Hıs fährt fort: 

4) Das Wachsthum als ein nach Raum und Zeit normirter Vor- 
sang setzt voraus, dass auch die Wachsthumserregung eine Function 
von Raum und Zeit ist. 

ö) Soll eine erbliche Uebertragung durch Vermittlung. des Samens 
möglich sein, so muss die Wirkung, die der Same auf das Ei ausübt, 
eine En von Raum und Zeit sein. 

) Ist für die einzelnen Samenfäden das Gesetz gegeben, nach 
E. ihre anregende Wirkung zeitlich und räumlich sich ausbreitet, 
ist ferner Ort und Zeit ihres Eintritts in das Ei gegeben, und für das 
Ei das Gesetz, nach welchem seine Erregbarkeit räumlich sich ver- 


1) s1. S. 200 und vor ihm BiscHorr von Säugethiereiern. 
2) 1. 8. 958. 
Et: 


256 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung 


theilt, so bestimmt die Combination dieser Bedingungen das Wachs- 
thumsgesetz des Keimes, und damit dessen gesammte nachfolgende 
Entwicklung. 

Weil vorstehende Sätze nicht mehr unbedingt sicher basirt sind, 
da die Prämissen Zweifel gestatten, muss man die Thatsachen, welche 
auf dieselben Anwendung finden können, aufsuchen. Es scheint an 
sich sehr wahrscheinlich, dass Ort und Zeit des Eindringens der Samen- 
fäden im Verein mit nicht völlig gleicher Beschaffenheit des Eies einen 
Effect haben werden, aber die Thatsachen sprechen nicht dafür. 

Es ist keine sehr häufige, aber doch relativ nicht seltene Erfah- 
rung, dass menschliche Zwillinge einander von der Geburt an bis zu 
einem Alter von 15 Jahren und darüber so vollständig ähnlich sind, 
dass nicht nur Fernestehende sie sicher verwechseln, sondern dass selbst 
bei intimerem Verkehr eine sichere Unterscheidung nicht gelingt.) 

Kann diese Aehnlichkeit durch Raum und Zeit bei der Befruch- 
tung erklärt werden? Angenommen es stammten in solchem Fall 
beide Eier aus demselben Follikel, seien sich also möglichst ähnlich, 
so würde doch die weitere Forderung hinzutreten müssen, dass die 
Spermatozoiden nach Zahl, Zeit und Lagerung im Ei sich nahezu 
gleich zu verhalten hätten. Sind meine Befunde über Eindringen und 
Anzahl der Spermatozoiden ins Ei richtig, so ist die Wahrscheinlich- 
keit, dass dieselben sich in beiden Eiern nahe gleich verhalten eine 
weit geringere, als dies der Häufigkeit jener Aehnlichkeit der Zwillinge 
entspricht. 

Nehmen wir dagegen an, die Befruchtung geschähe durch einen 
Samenfaden, der nur durch eine Mikropyle eindringen könne. Dabei 
wäre, weil der Dotter contractil ist, wenig für eine constante Lage- 
rung im Ei gewonnen. Ausserdem lehrt die Erfahrung, dass die Eigen- 
schaften eines Mannes in seinen Kindern in sehr grosser Mannigfal- 
tigkeit hervortreten können, demnach denn doch das Spermatozoid sehr 
muss nach Ort und Zeit variiren können. Es ist also auch für diese 
Hypothese schwierig die Identität der Formen abzuleiten. 

Leichter verständlich scheint es mir, wenn man in der chemischen 
Mischung die Erklärung der vererbten Eigenschaften der Form sucht. 
Sind die betreffenden Samenfäden gleich alt, etwa demselben Samen- 
kanälchen oder gar, was bei den mechanischen Verhältnissen der Ent- 
leerung des Samens wohl annehmbar ist, aus derselben Zelle enstan- 
den, so würde auch ihre stoffliche Zusammensetzung so sehr identisch 
sein, dass die Identität der Form sich daraus sehr wohl erklärte und 


1) Kommen solche Fälle auch bei Drillingen vor? 


und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 257 


so weit ich zu erkennen vermag, ist die Wahrscheinlichkeit, dass diese 
Identität des Spermas stattfinde, nicht geringer, als die, dass ge Zwil- 
linge einander vollständig gleichen. 

Bisher ist von der Vererbung durch die Befruchtung nicht die 
Rede gewesen. 

Nachdem uns Hıs, dem ich dafür sehr dankbar bin, durch seine 
mechanische Auffassung der Entwicklungsgeschichte von der Nothwen- 
digkeit befreit hat, jeden einzelnen Entwicklungsvorgang als nur durch 
die Erblichkeit erklärbar anzusehen, seitdem man glauben kann, dass 
‘ein dem befruchteten wie dem unbefruchteten Ei, sowie anderen proto- 
plasmatischen Gebilden zukommender, in verschiedener Richtung ver- 
schieden starker Wachsthumstrieb die Embryonenformen abzuleiten 
gestatte, drängt sich die mysteriöse Erblichkeit viel weniger störend 
auf. Es kann ja gerne zugegeben werden, dass in jedem einzelnen 
Falle die Deductionen von Hıs nur unvollkommen wahr sind, denn 
solche Untersuchungen können nicht von einem Einzelnen zu befrie- 
digender Sicherheit gelöst werden, sie bedürfen durchaus eines ein- 
gehenden und läuternden Kampfes. Ich muss aber sagen, dass einige 
Punkte, beispielsweise die Magenbildung und die Gliederung des Ver- 
dauungsrohres, so hübsch ausgearbeitet sind, es so deutlich zeigen, 
wie zarte und minimale Biesungen und Faltungen unmerklich aber 
unvermeidlich und mit eiserner Consequenz zu den wichtigsten Umbil- 
dungen führen, dass ich glauben muss, es sei hier der wirkliche Natur- 
vorgang sehr glücklich erfasst worden. Sollte dies aber eine Täuschung 
sein, so ist es mir doch undenkbar, dass eine Nachuntersuchung eine 
andere Correctur anbringen werde als eine solche, welche die Dar- 
lesung von Hıs nur feiner ausbaut. 

HAECKEL!) citirt die Ansicht von Hıs, dass die Gliedmassen aus 
der Kreuzung der vier die Embryonalscheibe abtheilenden Falten resul- 
tire, als das Beispiel einer rohen und oberflächlichen Auffassung, die 
in der morphologischen Literatur ohne gleichen sei. Ich sehe nicht 
ein, weshalb diese mechanische Auffassung, welche wahrscheinlich 
richtig ist, so getadelt wird, denn wenn bei den Cephalopoden die 
Extremitäten auch aus radiären Falten resultiren werden, bei den Ar- 
tikulaten aus Querfaltungen in Folge eines überwiegend raschen Längen- 
wachsthums, so ist die daraus entnommene Homologie doch schwerlich 
roher, wie die bisherigen Entwicklungen des Begriffs der Extremitäten. 
HAECKEL hat in letzter Zeit das Dossier, welches die Wissenschaft von 


l) Die Gastreatheorie. Jenaer Zeitschr. f. Naturwiss.. 1874. Bd. IX. 
819, (a2). 
Zeitschrift f. Anatomie. Bd. 1. Rd 


258 V. Hessen. Beobachtungen über die Befruchtung 


den Organismen in der Erblichkeit zu tragen hat, immer nur vermehrt, 
ich darf seinen Büchern gegenüber um so mehr das Verdienst auch 
der kürzesten Mittheilung, die uns vor der Herrschaft der Erklärungen 
durch die Erblichkeit zu retten versucht, hervorheben, als ich selbst in 
den nachfolgenden Untersuchungen diese Frage kaum berühre. 


Wenn man nur jene kleinen Eigenthümlichkeiten, welche sich in 
einer sehr vorgeschrittenen Embryonalperiode oder noch später zu er- 
kennen geben, und welche auf gleiche Eigenthümlichkeiten der Erzeuger 
oder früherer Vorfahren zurückdeuten, betrachtet, so handelt es sich 
dabei um ganz accessorische Dinge, die freilich schon im befruchteten 
Ei oder früher virtuell vorhanden sein müssen. 


Ich möchte sie in ganz geringen Nüancirungen der chemischen 
Massenverhältnisse resp. in minimalen Beimischungen sehen. Aus 
einer solchen kann ich mir nicht weniger die Entstehung z. B. des 
Pulls des Huhns erklären, als aus einer im Anfang vorhandenen 
Formveränderung. Die letztere müsste doch so äusserst klein gedacht 
werden, dass die Moleküle, welche das Mehr oder Minder bewirken, 
an Grösse wenig differiren könnten von den chemischen Atomen oder 
Atomeomplexen. Ich bin daher geneigt zu glauben, dass man in 
Bezug auf diese Erblichkeit kaum zu discutiren braucht, ob formelle 
oder chemische Abänderungen der Zeugungsstoffe als die Ursache an- 
zusehen sind. 


Schliesslich habe ich noch auf die sehr lesenswerthen „physiolo- 
gischen Bemerkungen“ von MiESCHER (d1. S. 54) einzugehen. Zu- 
nächst wendet er sich gegen den Gedanken, dass besondere Ferment- 
stoffe im Sperma eine Rolle spielen könnten denn abgesehen davon, 
dass er nichts dergleichen gefunden habe, sei im Ei nicht für die 
Verbreitung des Ferments genügend gesorgt. (Dieser Einwand würde 
sich wohl durch die Beobachtungen der Dottereontractionen wider- 
legen.) Es enthalte das Ei die gleichen Stoffe wie das Sperma, wie 
könne also das Hinzutreten von einem Minimum einer Substanz, die in 
reichlicher Menge bereits vorhanden sei, so entscheidend in den gan- 
zen Haushalt des Eies eingreifen ? 


Nicht in einer bestimmten Substanz könne das Räthsel der Be- 
fruchtung verbergen liegen, nicht ein Theil, sondern das Zusammen- 
wirken aller Theile sei das Wirksame. Dies ergebe sich auch aus 
dem verhältnissmässig grossen Antheil, den der Vater, trotz der klei- 
nen Masse, welche er zum Ei gebe, an der Vererbung habe. (Wie 
gross die Masse ist, welche in der Form von Sperma in den Dotter 
dringen kann, ist, wie ich einer mündlichen Mittheilung von KUPFFER 


und Entwicklung «des Kaninchens und Meerschweinchens. 259 


über die Befruchtung der Heringseier entnehme, ‚gar nicht so sicher 
abzugrenzen.) 

Specifische Befruchtungsstoffe gebe es nicht. Die chemischen 
- Thatsachen hätten secundäre Bedeutung, es handle sich, bildlich ge- 
sprochen, um einen Apparat, der eine Bewegung irgend einer Art er- 
zeugt oder umsetzt. Die Auffassung der Befruchtung als eines phy- 
sikalischen Bewegungsvorganges ist die einzige, welche nicht mit fest- 
stehenden Thatsachen sich in Widerspruch befindet. Molekulare Vor- 
sänge der Art, wie die bei der Nervenerregung, werden als Paradig- 
men der Befruchtungsvorgänge hingestellt, ausserdem aber könne die 
Bewegung des Spermatozoids auch noch von Einfluss sein. 

Ich halte die Basis, von welcher MIESCHER ausgeht, die Gleich- 
heit der chemischen Zusammensetzung von Ei und Sperma, die von 
ihm durch exacte Untersuchungen festgestellt wurde, für völlig richtig. 
In seinen Schlussfolgerungen geht er jedoch nicht so weit, wie dies 
erforderlich zu sein scheint. .Er stellt nämlich einen reizenden Stoff 
einem reizbaren gegenüber, von zwei völlig gleichen Substanzen kann 
aber nicht wohl die eine die Eigenschaft haben die andere zu reizen 
resp. durch die andere gereizt zu werden. 

Die Thatsache, dass es sich um völlig gleiche Stoffe bei der Be- 
fruchtung handeln könne, konnten wir schon lange mit aller wünsch- 
baren Schärfe erschliessen, seitdem wir nämlich die Vorgänge der 
Conjugation kennen gelernt haben. Die conjugirenden Individuen 
können so gleich sein, wie nur möglich ist und fruchtbar con- 
jugiren, so weit wir wissen. Hier werden .also in gewaltsamer Weise 
die Massen, die chemischen Körper, vermehrt und durch Flüssigkeits- 
ausscheidung etwas verdichtet, Reizungs- oder Fermentations- Vorgänge 
anzunehmen, haben wir keinen objectiven Grund. Dass auch für an- 
dere Fälle der Befruchtung dieser Process stattfinde, das, scheint mir, 
ist die sichere Folgerung aus den Untersuchungen von MIESCHER. 

Dagegen scheint mir nach dem Gesagten die Möglichkeit nicht 
vorhanden, als Fundamentalvorgang eine „Reizung“ anzunehmen. 

Allerdings zwingen uns die Erfahrungen über Inzucht etc. weiter 
zu suchen, aber dabei handelt es sich um Dinge, die vorläufig der 
chemischen Analyse nicht erreichbar erscheinen und da MIESCHER in 
diesem Sinne nicht weiter gegangen ist, glaube auch ich mich eines 
Eingehens auf dieselben enthalten zu dürfen. 

Eine Zusammenfassung der dargelegten Verhältnisse führt etwa 
zu folgenden Sätzen: 

1) Die Befruchtung des Eies ist ein Vorgang für sich, der nicht 
unmittelbar mit der Weiterentwicklung desselben zusammenhängt. 

ri 


260 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung 


2) Der Grundvorgang ist die Verschmelzung zweier bis dahin ge- 
trennter Complexe organischer Substanzen. Sind diese Substanzen aus 
sehr vollkommen ähnlichen oder auch aus sehr verschiedenen Säften 
entstanden, so hat der Vorgang nur unvollkommen oder gar nicht den 
beabsichtigten Erfolg. 

Der allgemeine Erfolg ist die Erhaltung der Species, welche durch 
die geschlechtlich erzeugten Individuen, sowohl vor zu beträchtlichen 
Variationen, als auch, in sehr verschiedener Art, vor Todesursachen ge- 
schützt wird. 

Der specielle Erfolg ist die Fernhaltung der Todesursachen vom 
Keim und dessen Producten. Dieser Erfolg manifestirt sich in den 
einzelnen Fällen in verschiedener Weise. 


11. Entwicklung des Kaninchens. 


Die Eier. 


Die Furchungsstadien wurden mit Bezug auf die Frage untersucht, 
ob sich etwa Andeutungen eines Einstülpungsprocesses wahrnehmen 
liessen, es fand sich jedoch nichts Derartiges. 

Der Dotter nimmt in den Tuben an Volumen nicht zu. Die ge- 
ringfügige Vergrösserung, welche der Durchmesser der ungefurchten 
Dotterkugel gegen den gefurchten Dotter zeigt, ist wohl lediglich 
auf Flüssigkeitsansammlungen zwischen den Furchungskugeln zu be- 
ziehen. Obgleich alle Stadien der Furchung durchmustert worden 
sind, wurde die nach BiscHhorr in einem bestimmten Stadium auf- 
tretende Verschmelzung der Furchungskugeln nicht beobachtet. Dies 
beweist natürlich nicht viel, soll die Angelegenheit sicher entschieden 
werden, wird man versuchen müssen Reheier frisch in der Mitte des 
December zu bekommen. Da ich selbst schwerlich die Gelegenheit 
zu einer solchen Untersuchung finden werde, erlaube ich mir darauf 
aufmerksam zu machen, dass eine erneute Untersuchung jenes Thieres 
ein Desiderat ist. 

Im Uterushorn angelangt bleiben die Eier einige Stunden in der 
Spitze desselben liegen und es beginnt, indem sich die Keimblase ent- 
wickelt, das Stadium rascher Vergrösserung des Eies. Der Dotter ist 
im Anfang dieser Periode noch recht undurchsichtig, so dass es schwie- 
rig wird die erste Spur der Keimhöhle zu erkennen. Sie beginnt 
peripher zwischen einer einfachen äusseren Zelllage und dem Rest der 
Dottermasse, als im Querschnitt halbmondförmiger Raum. Dies Stadium 


und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 261 


ist von BARRY!) abgebildet worden, die weitere Entwicklung ward 
durch die Abbildungen E. van BENEDEN’S?), dann von Cosrte?), Bı- 
SCHOFF*) und MEISSNER?) dargestellt. 

Nachdem die Keimhöhle entstanden ist und dadurch die Eier ein 
wenig gewachsen sind, beginnen sie zu wandern und zwar dicht an 
einander liegend. In einem Falle, den ich für normal halte, fand ich sie 
alle dicht am Cervix uteri, es scheint, dass sie einmal hier angelangt, 
sich zu vertheilen beginnen, denn vorher liegen sıe stets dicht bei einan- 
der. Der Eintritt in den Uterus erfolgt etwa in der 70. Stunde (3 Tage). 
Das Festsetzen in der 142. bis 148. Stunde (5 Tage 2—8 St.). 8 Eier 
von 96 Stunden massen 0,134 bis 0,2 mm. inneren Durchmessers, 
5 Eier von 111 Stunden 0,997, 1,26, 1,29, 1,30, 1,33 mm.; 7 Eier von 
106 Stunden 0,865 bis 1,13 mm.; 5 Eier von 123 Stunden 2,26 bis 
2,19 mm.; von 128 Stunden 3,75; von 142 Stunden 4,26 mm. Nach 
BiscHoFF, dessen Zeitangaben nicht so eingehend sind, messen die 
Eier von 0,18 bis 4,75 mm. im freien Zustand. Uebrigens sind die 
Eier, namentlich im letzten Theil dieser Periode und darüber hinaus 
an Grösse so verschieden, dass man präcisere Angaben nicht leicht ge- 
winnen wird. Das Festsetzen der Eier scheint mit deren Grösse zu- 
sammenzuhängen, die Zeitangabe, welche ich darüber gemacht habe, ist 
daher nicht verlässlich. In den folgenden Stunden setzen sich die 
Eier fest, so dass es immer schwieriger wird, sie intakt zu erhalten. 
BISCHOFF ist darin geschickter gewesen, wie ich, er hat sie von 
5,4 mm. bis zu 10mm. Grösse noch gelöst, während ich nur bis 8 mm. 
gekommen bin. 

Man kann alle diese Eier vortrefllich conserviren. Zunächst: legt 
man sie mit etwas Serum in sehr geringe Mengen MUELLER’scher 
Flüssigkeit und vermehrt die letztere nach Verlauf einiger Stunden. 
Es gelingt meistens, ein Zusammenfallen der Keimblase zu verhüten. 
Man lässt dann das Ei einige Monate in der Lösung und bringt es 
endlich in Spiritus. Lässt man es in der Lösung, so zerbricht das 
Ei in 5 bis 6 Jahren, legt man es gleich in Spiritus, so gerinnt die 
Flüssigkeit in der Keimblase vollständig. 

Die Eihaut (Zona pellueida und Eiweiss), die wohl füglich als Pro- 
chorion bezeichnet werden könnte, bekommt nach BiscHorrF vorüber- 


!) M. Barry Researches Third Series. Philosoph. Transactions 1840. Fig. 234 
(b 2.). 
SSSPL XII. Eis. 10. 
2) 8. 
4) a. 
5) x. 


262 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung 


gehende Zotten. LIEBERKUEHN!) findet dieselben nicht an den Eiern 
des Maulwurfs. Die Bildungen auf dem Kaninchenei bestehen, wie 
auch mir scheint, aus Auflagerungen homogener Masse. 

Von einem Auswachsen aus der Eihaut habe ich mich nicht über- 
zeugen können. Das Prochorion wird nicht resorbirt, sondern man 
kann es, als freilich sehr feines Häutchen, noch am 20. Tage nach 
der Befruchtung nachweisen. 


Die Bildung der Keimscheibe. 


BiscHorr?) drückt sich zweifelnd über die Abstammung der Keim- 
scheibe (Fruchthof) aus, es könne sein, dass sie von dem Dotterrest 
abzuleiten sei, den er beim Entstehen der Keimblase im Ei sah. Nach 
Coste’s Abbildungen verhält sich die Sache unzweifelhaft in dieser 
Weise. Ueber Barrr’s Angaben muss ich im Allgemeinen BiscHorr’s 
Ansicht theilen, ich -kann dieselben für die Entwicklung nur aus- 
nahmsweise zur grösseren Sicherstellung der Thatsachen verwerthen. 

In Fig. 9 ist ein Ei gezeichnet, welches neben der Keimscheibe 
einen Dotterrest enthält. Die daneben gefundenen 4 Eier waren sämmt- 
lich etwas grösser und hatten nichts Derartiges. Ich habe auch nicht 
wieder, obgleich dieselben Stadien später noch einmal erhalten wurden, 
solche Bildungen gesehen. Ich nehme an, dass in diesem Fall eine 
kleine Abweichung vom gewöhnlichen Gange stattgefunden habe. Durch 
irgend einen Zufall mag es vorkommen, dass einzelne Furchungs- 
kugeln ihre Dotterkörner nicht ganz auflösen und dann nicht in die 
Keimhautbildung eingehen. Nach allem, was sonst vorlag, halte auch 
ich es für sicher, dass die centralen Furchungskugeln nicht in die 
Keimhaut aufgehen, sondern als innere Schicht an einer Seite des 
Eies liegen bleiben und hier die von Anfang an zweischichtige Keim- 
scheibe entstehe. 

Die durch eine wohlabgerundete Umgrenzung, dicke und gerin- 
gere Durchsichtigkeit charakterisirte Keimscheibe entwickelt sich lang- 
sam aus Vorstadien, die mit dem ins Innere des Eies vorspringenden 
„Dotterrest“ beginnen und etwa durch den Namen Keimhügel von der 
vollendeten Keimscheibe unterschieden werden können. Wenn das 
Ei die Grösse eines halben Millimeters und darüber erreicht hat (Fig. 9 
und 10), zeigt es sich in einem Quadranten innen von einer Lage 


I) Ueber die Keimblase der Säugethiere. Sitzungsberichte der Gesellschaft 
für Beförderung der gesammten Naturwissenschaften zu Marburg. No. 5 und 6 
1875. 8. 66 (e2). 

2) 82.92. 


und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 263 


etwas undurchsichtiger Zellen ausgekleidet, welehe so vertheilt liegen, 
dass sie im Centrum dicht und z. Thl. mehrschichtig lagern, nach der 
Peripherie zu dagegen mehr und mehr verstreut auftreten. So weit 
die einzelnen Stadien, welche ich gesehen habe, ein Urtheil erlauben, 
ist das Centrum dieses Keimhügels der Ort der zukünftigen Keimscheibe. 

Das Aussehen dieses Centrums zeigt an einer Falte des zusammen- 
gefallenen und von dem Prochorion befreiten Eies die Fig. 11 A. Die innere 
Lage lässt sich von der bis jetzt einschichtigen Keimhaut als ein 
Stratum abziehen, ob ohne jede Zerreissung, vermag ich nicht zu 
sagen. An den isolirter liegenden Zellen erkennt man, dass sie durch 
ein anastomosirendes Netz von Ausläufern mit einander zusammenhängen. 
Fig. 11 B. 

In späteren Stadien häufen sich diese Zellen mehr im Centrum 
an; es findet also, wie auch Coste’s Figuren ergeben können, zu- 
nächst eine diffuse Verbreitung des Keimhügels statt, dann, unter be- 
trächtlicher Vergrösserung des Eies, ein Zusammenziehen derselben. 
Theilweise mag dies die Folge des Wachsthums sein, doch verstehe 
ich die Ursache der vorübergehenden Vertheilung nicht ganz, da das 
Einfachere zu sein scheint; dass die Masse der Furchungskugeln zu- 
sammenhalte. 

Wenn die innere Zellenmasse sich zusammenzieht, geschieht dies 
zunächst in einer etwas unregelmässigen Form, so dass man das Bild 
Fig. 13 u. 16C. erhält. Dies Ei lag neben anderen, z. B. dem Ei Fig. 14 
im Uterus. In allen übrigen Eiern war die Keimscheibe völlig gerundet, 
so dass dies gelappte Stadium als ein sehr rasch vorhergehendes an- 
zusehen ist. Während der Ausbildung der Keimscheibe werden die 
inneren Zellen rasch durchsichtig, so dass sie jetzt weit weniger in 
die Augen springen als vorher. Leider habe ich den Keimhügel 
Fig. 16C. nicht weiter präpariren können, jedoch von den Eiern dieser 
Stadien glaube ich angeben zu können, dass das, was ich an ihnen 
suchte, nämlich Einstülpungen, oder Vorgänge, die sich irgendwie an 
die Entwicklungsvorgänge beim Amphioxus hätten anschliessen lassen, 
nicht auffindbar schienen. 

Als ziemlich allgemeines Verhalten finden wir wohl nur, dass die 
Zellen des unteren Keimblattes sichunmittelbarer aus den Furchungs- 
kugeln entwickeln, wie diejenigen des äusseren. 


Verhalten der Keimscheibe. 


Eine sehr nahe folgende Stufe, Ei Fig. 14, wurde genauer 
zergliedert. Die Scheibe erscheint kreisrund und dunkler und 


264 V. Hessen. Beobachtungen über die Befruchtung 


dicker wie die anderen Theile der Keimhaut. Dieses rührt jedoch 
nicht davon her, dass sich unter dem äusseren Keimblatt noch das 
innere befindet, denn letzteres kann über die Keimscheibe hinausgreifen; 
ohne dass dieser Habitus beeinträchtigt wird, sondern daher, dass die 
Zellen des äusseren Keimblatts begonnen haben, cylindrisch und 
(daher?) trüber zu werden. An einem dieser 124 St. alten Eier. habe 
ich versucht, die beiden Blätter in der Keimscheibe zu trennen. Fig. 16 
Au.B. Ich hatte mich zunächst an einem nicht gezeichneten Querschnitt 
von der angegebenen Beschaffenheit der Zellen überzeugt. Die Tren- 
nung ging mit Hülfe von Nadel!) und Pinsel leieht vor sich, nur in 
der Mitte hielten die beiden Scheiben fest zusammen und obgleich es 
schliesslich, nachdem sie rings getrennt waren, gelang, sie von ein- 
ander abzuziehen, so liess sich nicht nur aus ihrem mechanischen 
Verhalten die Ueberzeugung gewinnen, dass sie hier verwachsen seien, 
sondern auch das Präparat wies nach, dass ein Punkt, welcher in der 
Mitte des inneren Blattes, Fig. 16 B., sich zeigte, nichts anderes war, als 
ein, dem äusseren Blatte angehörendes Zellstück. 

Ich habe hier einzuschalten, dass die Vergrösserung klein genom- 
men worden ist, weil es nicht anging, von allen diesen Verhältnissen 
grosse und namentlich für die Drucklegung kostbare Zeichnungen zu 
machen. Dies war häufiger eine Verlegenheit für mich. Die Zellcon- 
touren waren bei stärkerer Vergrösserung deutlich an dem Präparat 
zu erkennen, dagegen entsteht bei dieser Vergrösserung des gefärbten 
Präparats der Eindruck, als seien keine Zellen vorhanden. Ich be- 
merke daher hier ein für alle Mal, dass ich die Zellcontouren  nir- 
gsends in dafür geeigneten Präparaten vermisste, treten sie nicht ge- 
nügend hervor, so liegt der Grund theils in der Vergrösserung, theils 
darin, dass es die Zeichnungen unglaublich erschwert, wenn an solchen 
embryologischen Präparaten für jeden Kern die zugehörende Zellcon- 
tour ermittelt werden soll. Es sind nur einige Zeichnungen letzterer 
Art mitgetheilt worden. 

Ein etwas weiter entwickeltes Ei desselben Uterus zeigt (Fig. 14) 
die Umwachsung des Eies durch das innere Keimblatt. BıscHorr’s 
Darstellung dieses Verhaltens kann ich nur bestätigen; dass die Ab- 
lösung der Keimhaut von der structurlosen Eihaut, welche er zeichnet, 
ein Kunstprodukt ist, versteht sich von selbst, wenn er es auch kaum 
ausdrücklich angab, — die Keimhaut liegt immer dicht an der Zona. 


!) Für angehende Mikroskopiker bemerke ich, dass man sich dafür nicht der 
Nadeln, Messer und Pincette, welche z.B. noch heute Hartnack und PrAzMowskI 
ihren guten Mikroskopen beigeben, bedienen darf. Ich lobe den Anfang, welcher 
damit beginnt, diese Dinge ins Meer zu versenken, wo es am tiefsten ist. 


und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens, 265 


Die Umwachsung geschieht mit Hülfe von ramificirten Zellen, 
Fig. 15. Die Zellen sind platt und das Bild der Ausläufer ist in na- 
tura ein sehr hübsches. Diese innere Keimhaut lässt sich an der Peri- 
pherie überall ohne Zerreissungen abheben und löst sich zuweilen 
spontan. Während also in der Keimscheibe, nach den derzeitigen 
Vorstellungen, denen auch ich anhänge, die weitere Ausdehnung da- 
durch hervorgebracht wird, dass die Zellen an Dicke zunehmen, sich 
theilen und wiederum an Dicke zunehmen, auf solche Weise die pe- 
ripher gelegenen Zellen der Scheibe immer weiter von dem Centrum 
abdrängend, waltet bei der Umwachsung des Eies ein anderer Vor- 
sane. Die Zellen senden Ausläufer ab, welche centrifugal (Keim- 
scheibe als Centrum genommen) innen auf dem äusseren Keimblatt 
vordringen. In den verschmelzenden Ausläufermassen entsteht alsdann 
ein neues Zellencentrum, in welcher Art, habe ich nicht studirt. Jeden- 
falls liegt zunächst ein Zellennetzwerk vor, das sich dann mit der 
Zeit so verdichtet und zusammendrückt, dass daraus das Bild eines 
Zellenstratums entsteht. 


Umwandlung der Keimscheibe in den Embryo. 


a. Aeussere Form. 


In Bezug auf die Entstehung des Embryo komme ich zu erheb- 
lieh anderen Resultaten wie BıscHorr. Ich finde nämlich, dass der 
Embryo nicht in der Keimscheibe angelegt wird, sondern mit ihr 
identisch ist, also die ganze Keimscheibe zum Embryo wird. Sobald 
die Keimscheibe vollendet ist, haben wir also im Ei eine Zweitheilung 
in 1) Embryo = Keimscheibentheil des äusseren (animalen) Blattes 
und ganzes innere (vegetatives) Blatt und 2) accessorischer Eitheil, d.h. 
die nur aus dem äusseren Keimblatt gebildete, einschichtige Keim- 
blase!). Alle späteren accessorischen Theile, also mittleres Keimblatt 
in Amnios und Chorion, der ganze Dottersack und die Allantois sind 
vom Embryo gebildete Theile. 

Der Unterschied in der Darstellung von BıscHoFF und mir ist 
auffallend, namentlich wenn man die betreffenden Figuren vergleicht. 
Eine Area pellucida, welche den Abbildungen BıscHorr'’s ein charak- 
teristisches Gepräge verleiht, konnte ich nicht finden, die Area opaca 


1) Ich bemerke schon hier, dass die Gefässbildung nicht bis zu den ersten 
Anfängen verfolgt worden ist. Aus diesem Grunde ist die obige Abgrenzung 
aicht ganz sicher, denn wenn ich auch nichts weiter wie die genannten Theile 
sesehen habe, so kann Sicherheit erst dann gewonnen werden, wenn man alle 
späteren Bildungen von der ersten Spur an kennt. 


\ 


266 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung 


ergiebt sich als eine Umwachsung des Eies durch das mittlere, Keim- 
blatt mit Verdickungen in der Nähe der Keimscheibe, nicht aber als 
Theil der letzteren. 

Unsere Figuren kommen eigentlich erst wieder bei Fig. 53 Bı- 
SCHOFF’S zusammen, wo dessen Area pellucida verschwunden ist. Seine 
Entwicklung des Hundeembryo widerspricht weniger meiner Darstel- 
lung, nur seine Fig. 43c. steht nicht damit im Einklang. 

Ich kann die Unterschiede nicht ganz erklären, jedoch dürften sie 
theilweise in der Schwierigkeit der Untersuchung ihre Begründung 
finden. Wenn man BıscHhorr’s Beschreibung!) liest und seine Me- 
thode anwendet, ergiebt sich, dass die Darstellung der betreffenden 
Stadien nicht ohne den Verlust eines erheblichen Materiales gelingt. Dieser 
Verlust trifft namentlich die Stadien Fig. 22 bis 29, welche in der 
That in Bıscnorr’s Tafeln fast ganz fehlen. Bekommt man eine 
Keimscheibe frisch heraus, so pflegt sie doch so sehr gelitten zu haben, 
dass man nicht überzeugt sein kann, ein richtiges Bild der Verhält- 
nisse bekommen zu haben, es musste daher das Verfahren geändert 
werden. Ich fixire den Uterus unter MuELLer’scher Flüssigkeit, 
schneide die Eier von der freien Seite des Uterus aus ausgiebig auf, 
und hindere durch das Einstechen von Nadeln die Wände des Uterus 
daran, sich zu contrahiren. Nach ca. 24 Stunden lässt sich dann die 
Keimscheibe mit einiger Vorsicht loslösen und man findet sie in der 
Regel glatt und wohlerhalten. 

Die Umformung der Keimscheibe in den Embryo ist ein so ein- 
facher Process, dass sich derselbe, wie ich meine, schon aus der Reihen- 
folge meiner Abbildungen ablesen lässt. K. E. v. Baer?) hat das 
Verhalten völlig richtig angegeben, obgleich seine Untersuchungen wohl 
nicht ausgereicht haben dürften, um die eingehenderen Angaben Br- 
SCHOFF’S zu widerlegen. Der Embryo zeige sich zuerst in Form 
eines verdickten Schildes: „Dieses ist anfangs rundlich, wird dann 
länglich, zeigt einen Primitivstreifen, der mir, beim Schwein wenig- 
stens, das eine Ende des Schildes fast zu erreichen schien. Diese 
Stelle ist das hintere Ende des Thieres. Dagegen erreicht das vor- 
dere Ende des Primitivstreifens lange nicht den vorderen Rand des 
Schildes. Die Spaltung in ein animalisches und ein vegetatives Blatt 
tritt hier noch früher auf, als sich die Rückenwülste erheben, und 
wirkt so kräftig, dass die Seitenränder des Schildes sich nach oben 
krümmen. Nur am Primitivstreif bleibt die Anheftung. 

a8. 101 f£. 


2) Ueber Entwicklungsgeschichte der Thiere. Königsberg 1837, Prs. 1. 
S. 184 u. 208 (d 2). Das Citat auf letzterer Seite. 


und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 267 


Prevost und Dumas!) betrachten nicht die Keimscheibe als den 
eigentlichen Embryo, sondern die Medullarplatte. Sie geben für den 
Hundeembryo eine Area pellucida an, wahrscheinlich werden Quellun- 
sen daran Schuld sein. 

Dass BAER von dem Schilde in einem hellen Fruchthof 
spricht, wie BIscHoFF (a. S. 109) angiebt, finde ich nicht, und kann 
nur sagen, dass ich überhaupt keinen hellen Fruchthof sehe, von dem 
auch LIEBERKUEHN (c. 2) nicht spricht. Nach BıscHorr würde die 
Area pellueida in späteren Stadien rings um den Embryo verschwinden 
und nur am Kopfe allein sich erhalten. In diesem Stadium findet 
man sie auch auf meinen Abbildungen. Hier sieht man eine starke 
Aufhellung, welche mit einer Abplattung der betreffenden Zellen zu- 
sammentrifft. Dieser Theil wird zur Kopfkappe, welche sich also ihrer 
Structur nach schon ausbildet, ehe die entsprechenden Falten sich ent- 
wickeln. An dieser Stelle muss sich die Wandung des Dottersacks 
zuerst abspalten. 

Die Keimscheibe geht in der Zeit bis zur Bildung der Urwirbel- 
platten verhältnissmässig wenige Aenderungen ein, sie bleibt flächen- 
haft, wächst jedoch rasch. Die ursprünglich nur wenige tausendstel 
Millimeter ‘messende runde Keimscheibe wächst bis 0,89 mm. Dann 
wird sie oval und erreicht bis zur Urwirbelbildung (in 24 Stunden) 
die Länge von 4,9 mm. 

Im Ganzen sind die Flächenansichten der verschiedenen Stadien 
nicht sehr präcise. Es handelt sich, abgesehen von der primitiven 
Medullarrinne und der Umgrenzung der Scheibe um so feine Schat- 
tirungen, dass das Auge leicht irre geht. Auch gelingt es nicht 
immer, die Scheibe vor jeder Faltenbildung zu bewahren, wie sich 
denn eine solche in Fig. 21 eingefunden hat und sobald Derartiges » 
entstanden ist, hört die Zuverlässigkeit der Beobachtung auf. 

Sobald die Keimscheibe beginnt eiförmig zu werden (Fig. 17 A 
und B), ist das hintere Ende in der Mittellinie etwas dunkler und 
springt dort, namentlich von der Mitte bis zum letzten Viertel, etwas 
vor. Dieser dunkle Streif persistirt fortan, er rückt jedoch fortdau- 
ernd etwas nach hinten und setzt sich seitlich nicht scharf ab, son- 
dern reicht dünner und durchsichtiger werdend bis nahe an den Rand. 
Er ist der Primitivstreif und entspricht in manchen Stücken der 
Schilderung, welche Dursy?) fürs Hühnchen von ihm gegeben hat. 


1) De la generation dans les Mammiferes. Annales des seiences naturelles 
Tom. III (e 2). 
2) Der Primitivstreif des Hühnchens 1866. (f 2) 


268 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung 


Nach Vorne bildet sich ein scheibenförmiges Ende an ihm aus, wel- 
ches ich als Knoten bezeichnen werde. Fig. 25 C, Fig. 22, 23 u. 26. 
Letztere Bildung entwickelt sich gleichzeitig mit einer Rinne, welche 
von ihm äus bis in die Nähe des Vorderrandes verläuft. Dieselbe 
entsteht zuerst als helle Grube dicht vor dem Primitivstreif, geht dann 
aber rasch bis zum Vorderende hin. Sie bildet einen Theil dessen, 
was die Autoren als Primitivrinne beschrieben haben, jedoch man hat 
hierzu auch, sei es den Primitivstreifen selbst, sei es eine kleine Längs- 
rinne in diesem, die jedoch nur ganz im Anfang auftritt und nicht so 
hell, überhaupt wenig markirt ist (Fig. 20 B), gezogen. Ich schlage 
daher vor, die Rinne bis zum Primitivstreif als primäre Medullarrinne 
zu bezeichnen. In der That findet man sie noch in später Zeit als seichte 
Einbuchtung an Querschnitten des vorderen Theils der Medulla wieder. 

In dem vordersten Theil der Keimscheibe findet sieh die Rinne 
nicht mehr, im Gegentheil ist das ganze vordere Ende rings etwas 
verdickt, da sich dort das Herz anlegt, Fig. 23Hz. Um die Keim- 
scheibe, am wenigsten vorne, am weitesten hinaus hinten, entwickelt 
sich die Area opaca als Folge des Auswachsens der Lagen des mitt- 
leren, und Trübung des äusseren Keimblatts. 

Bei jüngeren Keimscheiben genügt die Beobachtung von oben 
nicht, um die Gestalt der Oberfläche zu erkennen. Von einer Keim- 
scheibe, welche der Fig. 21 genau glich und demselben Thier ent- 
nommen war, 178 Stunden alt, 1,408 mm. lang, 1,163 mm. breit war, 
habe ich daher eine Reihe von Querschnitten gemacht und auf der 
vorher gezeichneten Keimscheibe den Ort bemerkt, woher diejenigen 
der 8 Schnitte genommen sind, welche gezeichnet wurden. Dieselben 
liegen mir vor, doch habe ich geglaubt, ihre Veröffentlichung unter- 
lassen zu dürfen. Aus ihnen ergiebt sich, dass in diesem Sta- 
dium dicht am Vorderende eine schwache Längsrinne sich in beiden 
Blättern findet, im breitesten Theil findet sich keine Rinne oder Ver- 
dünnung, eher eine schwache Verdickung, in der Mitte zeigt sich 
eine flache, rinnenförmige abgerundete Verdünnung des äusseren Blat-_ 
tes, dann zwischen zweitem und drittem Drittel ein flacher, aber deut- 
lich ausgesprochener Höcker, ?/,, der Breite der Keimscheibe an dieser 
Stelle, nämlich die Strecke von 0,027 mm. einnehmend. Dahinter 
folgt dann eine nicht tiefe, aber ziemlich scharf eingeschnittene Rinne 
auf dem Primitivstreif, welche sich noch weiter hinten rasch abflacht. 
Dabei wird die ganze Scheibe dieker und stärker eonvex. Am Schnitt 
durch die Endspitze der Keimscheibe, ragt diese als knotige Ver- 
diekung aus der dünnen Keimhaut heraus. In späterer Zeit schwindet 
die Rinne im Primitivstreif vollständig. 


und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 269 


Hier muss ich auf eine Lücke meiner Beobachtungen aufmerksam 
machen. Es frast sich, ob die an der ganz jungen Keimscheibe oben 
besprochene Yernachsume zwischen innerem und äusserem Blatt con- 
tinuirlich in die Bildung des Primitivstreifs eingreift oder nicht? 
Wäre ersteres der Fall, so müsste sich diese ursprünglich im Centrum 
der Scheibe liegende Stelle rasch nach hinten verschieben. Ich glaube 
zwar, dass dies so sein wird, aber ich bekam jenes Präparat erst spät 
und bin daher nicht dazu gekommen, die Stadien der ovalen Keim- 
scheibe so genau zu durchsuchen, wie dies erforderlich ist. BISCHOFF 
zeichnet die Blätter der runden Keimscheibe getrennt, aber auch bei 
der eiförmigen Keimscheibe zeichnet er die Blätter im Primitivstreif 
getrennt. Letzteres lässt sich aber nicht ohne Zerreissungen machen, 
so dass ich glauben muss, die unerhärtete Keimscheibe eigne sich 
nicht für den Nachweis von Verwachsungen. 

Es ist noch die Bemerkung nachzutragen, dass die Keimscheibe 
dem Prochorion besonders fest anliegt. Meine Angabe weicht hier von 
derjenigen BiscHorr’s ab, jedoch ich habe Fälle gehabt, so z. B. das 
Ei Fig. 17, wo sich die Keimhaut nach einigem Manipuliren überall 
ablöste, aber die Keimscheibe alle Drehungen des Eies ertrug, ohne 
sich abzulösen und erst nach energischeren Versuchen sich glatt von 
der Zona trennte. 


b. Innere Struetur. 


Wir können nunmehr die inneren. Umwandlungen in dem gege- 
benen Zeitabschnitt verfolgen. 

Der Schnitt Fig. 18 geht durch ein Ei mit runder Keimscheibe, 
und zwar durch das Ei Fig. 14, in welchem die Umwachsung des 
inneren Keimblattes schon begonnen hat. Der Schnitt ist nicht über- 
all gleich fein, so dass theilweise die Keimhautfläche vorliegt. Die 
innere Keimhaut geht nur über das obere Drittheil des Kies; wenn an 
anderen Stellen die Keimhaut zweischichtig erscheint, so möge man 
dies aus der Drehung beim Uebergang von der Flächen- in die Kanten- 
ansicht erklären. Die Keimscheibe ist, so weit ich gesehen habe, nur 
zweischichtig, es ist jedoch möglich, dass ein Zusammenhang der 
Blätter ausserhalb des Schnitts sich gefunden habe. Drei Blätter 
treten deutlich in dem Ei (Fig. 17) auf, ein Längsschnitt durch die 
Keimscheibe desselben liegt Fig. 19 vor. Hier sieht man deutlich am 
hinteren Ende des Schnitts ein mittleres Keimblatt auftreten. Die 
Länge der Keimscheibe betrug schon 0,894 mm. Ich konnte nicht 
finden, dass das mittlere Keimblatt sich viel weiter nach vorn er- 
streckte, als dieser Schnitt angiebt. An diesen Längsschnitt schliessen 


270 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung 


sich einige Querschnitte (Fig. 20) eines wenig grösseren Eie. Die 
Keimscheibe war 1,14mm. lang, der Primitivstreif 0,4mm. An diesen 
Präparaten sieht man, dass die Zellen des äusseren Keimblatts sich 
etwas cylindrisch gestalten, die Zellen des inneren sind im Ganzen 
sehr flach; nach hinten zu werden sie ein wenig dicker und bilden 
hier nach der Keimhöhle zu keine glatte Grenze, sondern jede Zelle 
ragt als kleines Höckerchen in die Eihöhle vor. Die Entstehung des 
mittleren Keimblattes geht nach meinen Beobachtungen, die natürlich 
zunächst nur für das Kaninchen gelten, wie folgt vor sich. In dem 
vorderen Theil der Keimscheibe (Fig. 20 A) fehlt es völlig. Seitlich 
in der Nähe des Primitivstreifs verlängern sich die Zellen des äus- 
seren Keimblattes und bekommen, wie ich an einer Zeichnung, die ich 
leider zurückbehalten habe, sehe, zwei Kerne übereinander. Es ge- 
winnt daher das Ansehen, als wenn das Blatt mehrschichtig werden 
wollte. In der Mittellinie zeigt sich dagegen der Contour des oberen 
Blattes so verwischt (Fig. 20B,C), dass selbst der feinste Schnitt 
nichts davon erkennen lässt, sondern ein Uebergang in die ramifi- 
cirten, ein wenig intensiver Karmin absorbirenden Zellen so vor sich 
geht, dass eine sichere allseitige Begrenzung der hier liegenden 
Zellen nicht zu gewinnen ist. Dagegen findet sich zwischen ihnen ein 
inniger, wahrscheinlich durch dicke Ausläufer vermittelter, Uebergang. 
Aber auch das innere Keimblatt geht in den Verwachsungsprocess mit 
ein, nur ist dies schwieriger nachzuweisen. Die Zellen werden bald sehr 
platt und man glaubt, wenn gleich stets unsicher, eine Grenze gegen das 
mittlere Blatt ziehen zu können. Versucht man jedoch das Blatt ab- 
zutrennen, so bemerkt man, dass es in der Mitte des Querschnitts sehr 
fest anhaftet und bei gewaltsamer Trennung entweder zerreisst, oder 
Zellen des mittleren Blattes ausreisst, wie dies in Figur 35 geschah. 

Bei älteren Keimscheiben ist die Verwachsung dieses Blattes nur 
ganz lokal, nämlich auf den Knoten beschränkt. 

(Fortsetzung folgt im nächsten Heft.) 


V.89 


und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 974 


Erklärung der Abbildungen. 


Taf, VIII. 


Fig. 1. A Ei des Meerschweinchens, einem trübe aussehenden Follikel 
2 bis 3 Stunden nach der Geburt entnommen. a spindelförmige Zellen des Dis- 
eus. 300fache Vergr. B isolirte Zellen des Discus. 300fache Vergr. 

Fig. 2. Ausgetretenes Ei des Meerschweinchens, den Fimbrien entnommen. 
Der Dotter stark eontrahirt, aber unbefruchtet. Bei @ noch birnförmige Zellen 
des Discus, jedoch finden sich an den übrigen Zellen des Eies in dieser Lage 
keine Stiele. 300fache Vergr. 

Fig. 3. Ei in der Befruchtung aus der Tuba. Meerschweinchen. «a ein 
Spermatozoid, unbeweglich am Dotter haftend, b wahrscheinlich ein zweites Sper- 
matozoid in der Einbohrung, den Kopf desselben konnte ich jedoch nicht finden. 
800 fach vergr. 

Fig. 4. Ein Theil der Zona pellueida von einem befruchteten Kaninchenei 
aus dem Anfang der Tuba. Man sieht die gestielten Zellen mit ramificirter 
Basis der Zona anhängend. 500mal vergr. 

Fig. 5. Ei eines Kaninchens, 12 Stunden nach der Conjugation, in der Tuba 
sefunden. Die Spermatozoiden waren in voller Bewegung. Die Discuszellen 
rings rundlich. Der Dotter ist gefleckt und enthält ausserdem an zwei Stellen 
ein Bläschen mit einer körnigen Kugel im Innern, welche ein metamorphosirtes 
Spermatozoid zu sein scheint. Vergr. 250. 

Fig. 6. Ei des Kaninchens aus der Tuba 141/, Stunden nach dem Belegen. 
Die Spermatozoiden sind im Eindringen, doch scheint der Process erst im Beginn 
zu sein. 8300fach vergr. 

Fig. 7. A Eiinhalt von einem andern Ei 14 Stunden nach der Conjugation 
sewonnen und: 24 Stunden in verdünnter Müller’scher Lösung macerirt. Derselbe 
enthält’ theils unzersetzte Spermatozoiden a, theils metamorphosirte b. 350 fach 
vergr. 

B ein Stück desselben Dotters zerzupft. 400fach vergr. 

C zwei Stadien der Metamorphose der Spermatozoiden, aus A herausgezeich- 
net. 600 fach vergr. 

Fig. S. Ein altes unbefruchtetes Ei, der geschlossenen Tuba eines Kanin- 
ehens entnommen. a Zona pellueida, b Eiweissumhüllung.!) 

Fig. 9. Ei von etwa 100 Stunden nach der Conjugation. Der Keimfleck 
besinnt sich zu bilden. Bei « findet sich ein Dotterrest. Die Zona entfernt 
öder nicht mitgezeichnet (ich erinnere mich dessen nicht mehr). Vergr. 50fach. 

Fig. 10. Ein etwas grösseres Ei aus demselben Uterus. Der Keimfleck ist 
etwas grösser und gleichmässiger. 50fache Vergr. 

Fig. 11 A. Keimfleck von einem Ei aus demselben Uterus. Die Zona ist 
entfernt, das Ei angestochen. Die dunkeln Zellen gehören dem innern Keim- 
blatt an. Vergr. 200. 


1) Alle folgenden Figuren sind dem Kaninchen entnommen, 


272 V. HEnsEn. Beobachtungen über die Befruchtung 


B. Zellen von dem inneren Keimblatt desselben Eies, isolirt und 400 mal 
vergr. Als die Zellen isolirt waren, machten sie bei weitem nicht mehr den 
dunklen Eindruck, wie zuvor, der Unterschied ist kein Fehler der Zeichnung. 

Fig. 12 A. B. ©. D. Eier von 5 Tagen 4 Stunden (124 St.) von der Grösse 
1, 1,9, 2,1, 3,5 mm. E ein Ei von 175 Stunden (7 T. 7 St.) stark in der Ent- 
wicklung retardirt, 4,5 mm. im Durchmesser. 

Fig. 13. Ei Fig. 12 A. Bei auffallendem Licht, 20mal vergr. Der Keim- 
fleck von etwas unregelmässiger Gestalt. 

Fig. 14. Ei Fig. 12 D. Smal vergrössert, bei auffallendem Licht gesehen. 
Die Keimhaut ist von der Zona ein wenig zurückgezogen. Die Keimscheibe tritt 
als kreisrunder heller Fleck nur schwach hervor. Die innere Keimhaut ist dar- 
über hinaus schon eine Strecke weit am Ei hingewachsen. 

Fig. 15. Die Peripherie an der Keimscheibe des Ries Fig. 14 bei 200facher 
Vergr. von innen gesehen. Man sieht die Verzweigung der Zellen des inneren 
Keimblattes. & Rand der Keimscheibe, 5 äusseres, ce inneres Keimblatt. 

Fig. 16 A u. B. Keimscheibe des Eies Fig. 12 B. Die innere Keimhaut 
war nur wenig über die Keimscheibe hinausgewachsen. A halbe äussere Keim- 
scheibe von der inneren B abgehoben. In B sieht man im Centrum die Ver- 
wachsungsstelle mit der äusseren Keimscheibe. a äussere, 5. innere Keimhaut. 
90fach vergr. 

Fig. 16 C. Keimfleck von dem Ei Fig. 13. 150mal vergr. Das innere 
Blatt ist noch ganz unregelmässig und gelappt. 

Fig. 17 A. Das Ei Fig. 12 E Smal vergr. Die Keimscheibe ist birn- 
förmig, aber noch ohne Hof. 

B. Die Keimscheibe von der Seite gesehen, 12mal vergr. Die Zona pellu- 
cida ist fortgelassen. Grösse der Keimscheibe 0,894 mm. 

Fig. 18. Durchschnitt durch das Ei Fig. 12, entweder C’oder D, ich habe 
dies nicht genau genug notirt. 300mal vergr. Die Zona entfernt. «@ inneres, 
b äusseres Blatt der Keimscheibe, e inneres Blatt der Keimhaut, 


TafrzıIX. 


Fig. 19. Längsdurchschnitt durch die Keimscheibe des Eies Fig, 12 E. 
Vergr. 400. «K äusseres, iK inneres, m_K mittleres Keimblatt, letzteres im 
Entstehen begriffen. Nach vorne werden die Zellen des inneren Keimblattes 
zahlreicher und mehr quadratisch. mpr vielleicht die erste Anlage der Membrana 
prima. 

Fig. 20. Querdurchschnitt durch eine 7 Tage alte Keimscheibe, fast iden- 
tisch mit Fig. 21, nämlich 1,41 mm. lang, 1,16 mm. breit. 

A Durchschnitt dnreh die breiteste Stelle, 3 etwas hinter der Mitte, 
C am Hinterende. Bezeichnungen wie in der vorigen Figur. Vergr. 400. 

Fig. 21 bis 34 sind Keimscheiben und Embryonen von der Fläche gesehen. 
Die Reihenfolge der Zahlen entspricht dem verschiedenen Alter, jedoch können 
in Bezug darauf Zweifel entstehen. Fig. 21, 26 und 29 wurden gleichzeitig dem- 
selben Uterus entnommen. Fig. 29 war nicht sehr günstig erhärtet, so dass 
mir vielleicht die Urwirbel entgangen sein könnten, obgleich ich dies nur durch 
Alteration ihrer Form erklären könnte; dann würde die Figur älter zu setzen 
sein. Auch Fig. 22 bis 25 wurden einem Uterus entnommen. Wohin Fig. 24 
seinem Alter nach gehört, ist mir zweifelhaft, ob vor oder nach Fig. 23. Ebenso 


! 
und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 273 


geht es bei dem Embryo Fig. 31, er war kleiner wie 30, aber in seiner Ent- 
wieklung doch wohl weiter voraus. 

Fig. 21. Keimscheibe eines 192 Stunden (8 Tage) alten, sehr klein ge- 
bliebenen Eies. 1,14 mm. lang. 10mal vergr. Der Fleck in der Mitte ist ein 
durch die Erhärtung entstandener Fehler. Ar. op. Area opaca. KH Keimhaut. 

Fig. 22. Keimscheibe mit Area opaca, 189 Stunden (7 Tage 21 St.) alt. 
Länge 2,23 mm. in Müller’scher Flüssigkeit, aber fast frisch. 7mal vergr. 

Fig. 23. Keimscheibe desselben Alters. Länge 2,755 mm. 4 fast frisch. 
B nach 24stündiger Erhärtung in Müller’scher Lösung. X» Knoten. Pr Pri- 
mitivstreif. Vergr. Tmal. 

Fig. 24. Eine ganz ähnliche Keimscheibe von mehr ovaler Form mit stär- 
kerer Andeutung der Medullarrinnen. Länge 2,75 mm. Vergr. Tmal. 

Fig. 25. Keimscheibe derselben Länge, ein wenig weiter entwickelt. A fast 
frisch. B erhärtet. MR Medullarrinne. Pr Primitivstreif. Tmal vergr. C der 
Knoten bei 25facher Vergr. 

Fig. 26. Keimscheibe S Tage nach der Copulation. Länge 3,36 mm. 

Fig. 27. Keimscheibe eines gleich lange belegten Thieres, etwas weiter ent- 
wickelt. Länge 4,9, Medullarrinne 2,45, Primitivstreif 1,71 mm. 7Tmal vergr. 

7 mal vergr. 

Fig. 25. Embryo aus demselben Thier mit 2 Urwirbeln und der hufeisen- 
förmigen Anlage des Herzens. 7mal vergr. 42 Herz. KH Keimhaut. 

Fig. 29. Keimscheibe von 4,13 mm. Länge. Gleichaltrig mit Fig. 21. 
Hz Herz. Ar. pl. Erste Andeutung der Area pellucida, resp. der Amniosbildung. 
Vergr. Tmal. 

Es scheint, dass die absoluten Grössen relativ zu der inneren Entwicklung 
in diesen Stadien variiren können. 

Fig. 30 u. 31. Embryo aus demselben Uterus wie Fig. 17. Tmal vergr. 

Fig. 32. Embryo von 200 Stunden (8 Tage 8 Stunden) mit 8 Urwirbeln 
vom Bauch gesehen. Ar. pl. Area pellucida. -Zz Herzschläuche. Das Gehirn 
bereitet die Entwicklung der Augenblasen vor. Die Kopfkappe überzieht den 
Kopf, die Schwanzkappe beginnt sich zu bilden. Tmal vergr. 

Fig. 33. Embryo von 204 Stunden mit 9 Urwirbeln, vom Rücken aus ge- 
sehen. Die Kopfkappe As ist in der Entwicklung bedeutend fortgeschritten, die 
Augenblasen sind gebildet, das Herz Hz ist dabei weiter nach abwärts gerückt 
und tritt in Form zweier, durch den Körper durchscheinender Schläuche auf. 
Die Zeichnung dieses Verhaltens ist nicht völlig geglückt, die Schläuche schei- 
nen zu deutlich durch. 

Fig. 34. Embryo von fast 11 Tagen mit zwei Kiemenspalten. Der Herz- 
beutel liegt noch frei vor. Die in der Area opaca gebildeten Gefässe sind nicht 
eingezeichnet. AZ Allantois. Am Amnios: Ar. pl. Rest der Area pellueida. 
Derselbe zieht sich bis zur Stelle, wo der Amniossack sich schliesst, er bezeich- 
net die ursprüngliche Lage des Kopfes. Tmal vergr. 

Fig. 35. Durchschnitt durch den Primitivstreif von einer zwischen Fig. 21 
u. 22 stehenden Keimscheibe. Das innere Keimblatt @X ist künstlich getrennt 
worden und es blieben dabei Zellen des mittleren Keimblattes m K an ihm sitzen. 
Vergr. 400. 


Zeitschrift f. Anatomie. Bd. I. 18 


Der Keimwall des Hühnereies und die Entstehung 
der parablastischen Zellen 


von 


Wilhelm His. 


(Hierzu Tafel XIII.) 


Nach der Darstellung, welche ich in meinen Untersuchungen über 
die Entwicklung des Hühnchens gegeben habe, betheiligt sich weisser 
Dotter an der Bildung des Embryo und der embryonalen Häute. Er 
liefert nämlich die Anlagen der endothelialen Gefässröhren und des 
Blutes, mittelbar diejenigen sämmtlicher Bindesubstanzen. Das Herein- 
wachsen dieser Anlagen von der Peripherie her in den Embryo und 
das allmälise Vordringen derselben in dessen verschiedene Spalt- 
räume ist eine Sache so einfacher Beobachtung, dass ich verzichte 
darauf zurückzukommen. Die Ueberzeugung, dass jene Anlagen einen 
durchaus selbstständigen Theil des sog. mittleren Keimblattes und 
überhaupt des Keimes bilden, wird sich ihre Bahn brechen, denn es 
wird schliesslich unmöglich sein, die Eigenthümlichkeiten zu verkennen, 
die dieselben hinsichtlich des Ortes ihres ersten Auftretens und hin- 
sichtlich der Art ihrer Ausbreitung darbieten. Die Frage aber, ob jene 
Anlagen aus den Elementen des weissen Dotters abzuleiten sind, ist 
von derjenigen ihrer örtlich gesonderten Entstehung wohl zu unter- 
scheiden. Die von mir darüber gegebene Darstellung hat eine nahezu 
einstimmige Verurtheilung erfahren.) Konnte ich mich anfangs da- 


1) Es gilt dies wenigstens für das Vogelei. Für das Ei der Knochenfische 
stimmen meine Beobachtungen in Betreff der Bildung von Zellen ausserhalb des 
gefurchten Keims überein mit denen von LEREBOULLET, KUPFFER, v. BAMBECKE 
‘und OwsJanıkow, meine Angaben über Eintritt derselben mit denen von OEL- 
LACHER, und die über ihre Verwendung zur Blut- und Gefässbildung mit denen 
von RomIti (s. WALDEYER, Jahrbr. f. 1874 p. 149). Auch auf die Erfahrungen 
von Ray LANKESTER am Üephalopodenei kann hier hingewiesen werden (Annals 
and Magaz. Nat. hist. 1873 und Philos. Transact, 1875 part. I.) 


W. Hıs. Der Keimwall des Hühnereies und die Entstehung ete. 275 


mit trösten, dass die verwerfenden Urtheile mehr auf dogmatische 
Gründe, denn auf eingehende Nachuntersuchungen sich stützen, so hat 
sich die Sachlage geändert, nachdem auch ein Beobachter wie 
KOELLIKER!) gegen mich aufgetreten ist. Eine Revision meiner 
Beobachtungen ist mir zur Nothwendigkeit geworden, und je nach deren 
Ergebniss muss sich entweder die von mir eingenommene Position 
verstärken, oder ich habe aus derselben den Rückzug anzutreten. 

Nach meinen früheren Darlegungen liest der Rand?) der Keim- 
scheibe nach Ablauf der Furchung auf einer Schicht weissen Dotters, 
dem von mir so genannten Keimwall auf. Während der ersten Zeit 
der Bebrütung entsendet die untere Schicht jenes Randtheiles Fort- 
sätze zwischen die Elemente des Keimwalles, so dass diese grossentheils 
in ein Gerüst archiblastischen Protoplasmas eingeschlossen werden. °) 
Was vom weissen Dotter ausserhalb des Durchwachsungsgebietes ver- 
bleibt, fällt binnen kurzem dem Zerfall anheim. In den Dotterkugeln 
dagesen, welche in den Keim sind aufgenommen worden, entstehen 
Zellen, theils einzeln, theils in Haufen. Sie treten zu gefässbildenden 
Netzen zusammen, und aus grösseren Haufen derselben entwickeln sich 
die, schon älteren Beobachtern bekannten Blutinseln. 

Ohne in die Kritik der abweichenden Darstellungen neuerer Be- 
obachter einzutreten, beschränke ich mich im vorliegenden Aufsatz 
auf die erneute Feststellung der folgenden beiden Punkte: 


1) Verhandl. der Würzburger phys.-med. Ges. N. F. VIII. Zur Entwicklung 
der Keimblätter im Ei. 

2) GOETTE hat den von ÖELLACHER und von ihm selbst nachgewiesenen Ver- 
diekungsrand der Keimscheibe als Randwulst bezeichnet. KOELLIKER, einen 
neuen Namen vorziehend, nennt ihn Keimwulst und substituirt dies Wort auch 
der von mir gegebenen Bezeichnung des Keimwalls. Keimwall und Rand- 
(Keim-)wulst sind nieht identische Bildungen; wenigstens für den Anfang sind 
sind sie scharf auseinander zu halten. Unter dem Keimwall verstehe ich (Unters. 
pag. 1 u. pag. 7) am unbebrüteten Ei die weisse Substanzschicht, auf welcher der 
Keimscheibenrand, d. h. also der Randwulst aufliegt. Ist meine Darstellung von 
der Hereinnahme weissen Dotters in den Keimrand richtig, dann kann das com- 
binirte Gewebe den Namen des organisirten Keimwalls (l. e. 76) beibehalten, hat 
dagesen KOELLIKER recht mit der Angabe, dass eine Aufnahme weissen Dotters 
in den Keim nicht erfolge, dann erlischt für mich die Berechtigung, den verdick- 
ten, an das Darmdrüsenblatt peripherisch sich anschliessenden Wulst als Keim- 
wall zu bezeichnen. 

3) Während des Druckes von obigem Aufsatz wird die No. 7 der dies- 
jährigen Verhandl. der naturf. Ges. in Leipzig ausgegeben. Darin bestätigt 
A. RauBEr (ohne Namenserwähnung) meine Angaben über die Aufnahme weisser 
Dotterkugeln in die untere Schicht des Keimes und die Bildung eines dieselben 
einschliessenden Protoplasmanetzes. Ueber das weitere Schicksal der in den 
Keim aufgenommenen Dotterkugeln spricht er sich nicht aus. 

18* 


276 W. Hıs. Der Keimwall des Hühnereies 


1) die Aufnahme weisser Dötterelemente in den Randtheil der 
Keimscheibe, 


2) die Bildung von Zellen innerhalb der also-aufgenommenen 
Elemente. 


Es sind dies die Punkte, deren Nachuntersuchung von keinem 
der Späteren genügend vorgenommen worden ist, in denen gleichwohl 
der Angelpunkt der gesammten Entscheidung liegt.!). 


1) Ein Hauptargument, das gegen mich gebraucht wird, liest in der abwei- 
chenden Deutung der weissen Dotterelemente. Diese sollen keine Zellen sein und 
daher auch bei der Neubildung; von Zellen keine Rolle spielen können. Nachdem 
ich die angebliche Fettnatur ihrer Inhaltskörper widerlegt und gezeigt habe, dass 
diese letzteren wie gewöhnliche Zellenkerne durch Karmin sich färben, dass sie 
wie gewöhnliche Zellenkerne Körner (Kernkörper) in ihrem Innern führen, dass 
ihre dunkeln Contouren, durch Aether behandelt in blasse überführbar sind, nach- 
dem ich darauf hingewiesen, dass mit den weissen Dotterelementen identische Bil- 
dungen ausserhalb des Eies zwischen den Zellen der Membr. granulosa auftreten, 
hat MiEscHER den entscheidenden Nachweis geliefert, dass die Inhaltskugeln gleich 
den Kernen farbloser Blutzellen aus einer phosphorreichen Nucleinsubstanz be- 
stehen. Zum ersten Male erfahren wir durch die MırscHer’schen Untersuchungen, 
welches die Anforderungen sind, die an einen Kern gestellt werden müssen, denn 
darüber wird man billigerweise nicht streiten können, dass die Feststellung der 
chemischen Grundlage eines solchen Gebildes bei seiner Charakteristik die erste 
Stelle behauptet. KORrLLIKER, der sich mit der Zellennatur der weissen Dotter- 
elemente immer noch nicht auszusöhnen vermag, legt auch neuerdings wieder 
das Hauptgewicht auf den Nachweis, dass deren Inhaltskörper von den Kernen 
der Keimzellen differiren. ,‚.toto coelo“ nennt er sie von einander verschieden 
und betont dabei insbesondere der ersteren Färbbarkeit durch Ueberosmiumsäure. 
So vielen Anlass wir aber haben, uns in der histologischen Technik der Farbereactio- 
nen, denen wir so bedeutende Förderung verdanken, zu erfreuen, so sind diesel- 
ben doch zu Entscheidungen tiefereifender Art nur sehr behutsam verwendbar. 
Die Osmiumfärbung, ähnlich anderen Metallreaetionen, weist auf die Existenz leicht 
oxydirbarer Substanzen hin. Welcher Art diese und in welcher Menge sie vor- 
handen seien, erfahren wir nicht, und eine nebensächliche Beimengung kann zum 
Auftreten der Farbereaction genügen. Um ein Beispiel anzuführen, so sind ja 
auch die Spermatozoenköpfe stark lichtbrechend und färben sich durch Ueber- 
osmiumsäure braun, und doch wird Niemand deren Abstammung aus Zellenkernen 
in Abrede stellen. 

Die Anwesenheit von Kernkörpern in den weissen Dotterkernen zu läugnen, 
wie dies Hans VırcHow thut (Ueber das Epithel des Dottersackes im Hühnerei 
In. diss. 1875 8. 16), ist nicht erlaubt, denn kernkörperähnliche Flecke sind in 
deren Innern stets vorhanden. Wollte man sagen, dass dies keine echten typi- 
schen Kernkörper seien, müsste zuerst die Natur von solchen eruirt und ein 
Nichtübereinstimmen jener bewiesen werden. Auch die „nie fehlende absolute 
Kugelgestalt“ muss als Gegenargument ausser Spiel gelassen werden, einmal, weil 
man den Kernen das Recht kuglig zu sein, nicht absprechen darf, und dann, weil 
unter den weissen Dotterkernen auch andere als Kugelformen zu beobachten sind. 


und die Entstehung der parablastischen Zellen. ORT, 


Was meine diesmalige Untersuchungsmethode betrifft, so habe ich, 
wo nicht ausdrücklich das Gegentheil bemerkt wird, mit frischem 
Material und 0,7 °/, Kochsalzlösung gearbeitet. Vom anhaftenden 
weissen, oder gelben Dotter sind die isolirten Keimscheiben jedesmal 
durch Abspülen mit Kochsalzlösung und eventuell durch Schütteln in 
solcher” sorgfältig gereinigt worden. Um bei der weiteren Unter- 
suchung vom Deckglasdrucke unabhängig zu sein, bediente ich mich 
der aus dem Genfer Atelier stammenden Ross’schen Büchsen, einer 
Vorrichtung, bei welcher das Deckglas vermittelst einer Messinghülse 
fixirt ist und beliebig vom Objectglas entfernt, oder ihm bis zur Be- 
rührung entgegengerückt werden kann. 

Wir nehmen im Hochsommer eine Keimscheibe von 18—24stün- 
diser Bebrütung: der Durchmesser beträgt 8—12 mm., der Embryo 
ist im 3. oder 4. Entwicklungsstadium, die Area pellucida scharf um- 
srenzt und von langgestreckter Form. In der Area opaca scheiden 
sich bereits deutlich zwei Zonen, deren innere nach der üblichen Ter- 
minologie als Gefässhof, deren äussere als Dotterhof zu bezeichnen ist. 
Die Färbung beider sticht ins gelbliche, aber viel ausgeprägter beim 
Gefäss- denn beim Dotterhof. 

Von der unteren Fläche her betrachtet zeigt sich der Keimwall 
gleich einem schlechten Strassenpflaster aus kugligen Körpern unregel- 
zusammengefügt (Fig. 1). Wir bezeiehnen diese Körper vorläufig als 
Keimwallkugeln, ein Name, dessen Berechtigung aus dem Nach- 
folgenden sich ergeben wird. 

Die Keimwallkugeln sind glänzend, grossentheils durchsichtig, 
ihr Durchmesser beträgt von 0,02 bis 0,08 mm., die mittleren messen 
zwischen 0,025 und 0,03 mm. Zwischen ihnen findet sich jedoch eine 
trübe, von feineren und gröberen Körnern reich durchsetzte Masse, die 
die interglobuläre heissen mag. Bei auffallendem Lichte erscheinen 
die Keimwallkugeln dunkel innerhalb des helleren Netzes, und die 
im Gefässhof so ausgesprochene gelbe Färbung kommt dem letzte- 
ren zu. 

An solehen Umschlagsfalten der Keimhaut, bei welchen der freie 
Rand von der Unterfläche gebildet wird, treten die Keimwallkugeln 
als ebenso viele einzelne Buckel vor, allein nicht frei, sondern über- 
zogen von einer dünnen Schicht, welche als Endausbreitung der inter- 
slobulären Masse sich erweist (Fig. 2). » 

Keimwallkugeln und interglobuläre Substanz lassen sich mecha- 
nisch von einander sch®iden. Zu dem Behuf wird ein Stück des 
Gefässhofes über Nacht in Salzlösung gelegt und dann in einem 
Reagenzglase leicht geschüttelt. Die Keimwallkugeln zerfallen, und es 


\ 


278 W. Hıs. Der Keimwall des Hühnereies 


verbleibt ein körnerreiches Gerüst übrig, dessen Maschen die Orte 
zeigen, wo die Kugeln gelegen haben (Fig. 3). Wird das Gewebe 
nach kürzer andauernder Maceration geschüttelt, so isoliren sich Stücke 
des Interglobularnetzes, deren Maschen theilweise frei, theilweise noch 
mit inneliegenden Keimwallkugeln besetzt sind (Fig. 4). 

Obige Erfahrungen bestätigen das aus Schnittbildern früherhin 
schon gewonnene Ergebniss, dass innerhalb der Area opaca helle Ku- 
geln einem zusammenhängenden und gegen den Dotter sich ab- 
schliessenden Netzwerke eingefüst sind. Man vergl. die Fig. 8 Taf. VI 
meiner Untersuchungen, bei welcher das interglobuläre Netz, wohl in 
Folge zusammenschrumpfender Reagenzwirkung, als fadenförmiges sich 
darstellt. 

Auch Färbemittel lassen sich zur Demonstration der beiden 
Keimwallbestandtheile herbeiziehen. Hämatoxylin z. B. färbt das 
interglobuläre Netz rasch und intensiv, während die Färbung der 
Keimwallkugeln langsam und in geringem Maasse erfolgt. Nur deren 
Kerne und inneliesende körnige Massen erfahren lebhafte Färbung. 
Besonders guten Erfolg hat mir die nachfolgende Methode gegeben: 
Die in gewohnter Weise isolirte Keimscheibe wird mit Salzlösung zu- 
sammengebracht, welcher einige Tropfen einer Lösung von Diamant- 
fuchsin zugesetzt sind. Das Präparat nimmt bald eine rothe Färbung 
an. Wird nun der Keimwall untersucht, so zeigt sich in ihm das 
interglobulare Netz roth gefärbt, die Keimwallkugeln dagegen nicht. 
Die ungleichmässige Vertheilung der interglobulären Substanz tritt 
dabei sehr deutlich hervor. Stellenweise nur schmale Brücken zwischen 
den Kugeln bildend, häuft sie sich anderwärts in etwas dickeren 
Klumpen an, hier und da tritt sie auch in Form kugliger Vor- 
sprünge gegen die Unterfläche vor. 

Die interglobuläre Masse ist ein weiches, leicht verschiebbares 
Protoplasma. Vorbeifliessende Flüssigkeitsströme genügen, um es in 
Fäden von mehrfacher Gesichtsfeldlänge auszuziehen. Aus der Länge 
und Feinheit der letzteren erschliesst sich die grosse Dehnbarkeit des 
interglobulären Protoplasma. In grösseren Klumpen angehäuft zeigt 
es den Gegensatz hyaliner Rand- und trüber Innenmasse. Schon ohne 
Anwendung von Wärmevorrichtungen vermag man in der warmen 
Jahreszeit die lebhaftesten Bewegungen jener Masse zu veriolgen, wie 
denn auch isolirte Keimzellen Formveränderungen in rascher Reihen- 
folge erfahren. | 

Kerne ovaler Gestalt lassen sich in blassen Stücken des inter- 
globulären Protoplasma wahrnehmen (Fig. 5), in körnerreichen sind 
sie aus ihrer Umgebung heraus nicht zu erkennen. 


und die Entstehung der parablastischen Zellen. 279 


‘Die trübenden Körnermassen des interglobulären Protoplasma 
sind zum Theil Kerne und Körner aus zerfallenen weissen Dotter- 
kugeln, als solche an ihrer Lichtbrechung und an ihren Inhaltsflecken 
leicht erkennbar, zum Theile sind es Fetttröpfchen aus dem gelben Dotter 
stammend. Letztere verleihen dem interglobulären Protoplasma seine 
dottergelbe Färbung. Werden Stücke der Area vasculosa in einem 
engen Cylinder mit viel Flüssigkeit geschüttelt und wird alsdann das 
Gemenge stehen gelassen, so tritt eine Scheidung ein zwischen Bestand- 
theilen, welche zur Oberfläche emporsteigen und solchen, welche zu 
Boden sinken. 

Auf den Boden sinken die Keimwallkugeln, oder deren durch 
Zertrümmerung frei gewordene Kerne Auch fettarme Protoplasma- 
stücke, sei es einzeln, sei es in Verbindung mit Keimwallkugeln, sen- 
ken sich. Dagegen schwimmen an der Oberfläche Protoplasmafetzen 
mit eingelagerten kleineren oder. grösseren Fetttropfen. In früheren 
Stadien fehlen die fettreichen Protoplasmastücke und es bildet sich beim 
Aufschwemmen keine Oberflächenschicht. Dasselbe gilt zum Theil 
in späteren Stadien auch vom Dotterhofe. 

Die Keimwallsubstanz im Dotterhofe ist lockerer als im Gefäss- 
hofe verbunden. Isolirte Fetzen bestehen jedoch auch hier aus Keim- 
wallkugeln und aus Interglobularsubstanz und das Verhalten der Com- 
plexe bei Druck und bei Zerrung zeigt wiederum, dass die letztere 
Substanz dehnbar und elastisch ist. An der Peripherie des Dotter- 
hofes ist der Zusammenhang der Keimwallmasse so gering, dass sie 
beim Abspülen leicht sich entfernt und man findet daher in der Re- 
sel am abgespülten Keim einen 1—1!/, mm. breiten durchsichtigen 
keimwalllosen Saum. Ebenso fehlt die Bindung der Keimwallkugeln 
im frisch gelegten Ei und während der ersten Bebrütungsstunde. Es 
selingt daher zu der Zeit leicht den Keimwall durch Abspülen von 
der Keimscheibe zu trennen (S. 7 meiner Unters.) 

- Keimwallkugeln. Wir isoliren einen Keim von etwa Sstün- 
diser Bebrütung, reinigen ihn sorgfältig. so lange bis keine Reste von 
äusserlich anhaftendem Dotter mehr von ihm sich entfernen lassen 
und breiten ihn flach aus. Die glänzenden Kugeln, welche im Be- 
reiche der Area opaca die Hauptmasse der unteren Schicht bilden, 
zeigen, mag man sie in ihrer natürlichen Lage, oder isolirt betrachten, 
die bekannten Eigenschaften weisser Dotterkugeln, d. h. sie enthalten 
einen oder mehrere kuglige Inhaltskörper und einen klaren, durch 
Wasser sofort sich trübenden flüssigen Inhalt. Die Inhaltskörper be- 
sitzen die bekannten kernkörperartigen Flecken im Innern. An den 
grösseren Keimwallkugeln dieser Zeit eonstatirt man mit Leichtigkeit 


280 W. Hıs. Der Keimwall des Hühnereies 


die Eigenschaften von mit Flüssigkeit gefüllten Säcken. Druck bringt 
sie augenblicklich zum Platzen und ihren Inhalt zu freier Vertheilung. 
Schwimmen sie aneinander vorüber, so ändern sie fortwährend ihre 
Gestalt, indem sie nach den Engpässen sich modeln, durch die sie 
durchgetrieben werden. Dabei fliessen die Körner und Kugeln in 
ihrem Innern von einer Seite zur andern und wiederum zurück, gerade 
so wie ich dies früher für grössere weisse Dotterkugeln im Allgemeinen 
beschrieben habe (Unters. S. 6).") 


1) Es ist mir nicht verständlich, aus welehem Grunde KoELLIKER die Auf- 
nahme weisser Dotterbestandtheile in den Randtheil des Kernes leugret. Der 
Nachweis derselben ist, wie man aus obigem sieht, leicht zu führen. KOELLIKER 
glaubt die ihm entgegenstehenden Angaben dadurch erklären zu können, dass 
Dotterkugel- und Dotterkernähnliche Gebilde im Innern der Keimwulstzellen 
auftreten. Sie sollen hier als „Product der energischen Stoflaufnahme dieser 
Zellen“ entstehen und von den eigentlichen Dotterkugeln durch ihr Verhalten 
gegen Essigsäure sich unterscheiden. In Bezug auf letzten Punkt decken sich 
meine Erfahrungen nicht mit denen von KoELLIKER. Wenn ich KoELLIKER recht 
verstehe, betrachtet er die Keimwallkugeln überhaupt für die Zellen seines 
Keimwulstes, oder nach meiner Terminologie für archiblastische Zellen, das in- 
terglobuläre Protoplasma hat er nicht beachtet. 

BALFOUR, welcher im Gegensatz zu KOELLIKER das Vorhandensein von 
weissem Dotter im Keimwulst oder Keimwall richtig erkannt hat, hat sich durch 
Silberbilder verleiten lassen, den Uebergang der weissen Dotterkugeln in Hypo- 
blastzellen anzunehmen (Journal of microscop. Science, Juli 1873). Auch er hat 
dabei das interglobuläre Protoplasma übersehen. 

Eine eigenthümliche Geschichte des Keimwalls giebt GoETTE. Der Keim 
ruht nach ihm nicht auf weissem Dotter, sondern auf einer körnigen Substanz 
auf. Eine theils körnige, theils homogene Substanz liegt auch am Boden der 
Keimhöhle und erfüllt den Dotterkanal. Durch eine Art von secundärer Furchung 
entstehen sodann aus ihr die „Dotterzellen“. Später klärt sich der Keimwall 
durch Lösung seiner Körner auf und zerklüftet sich in zellenartige Körper, dann 
aber treten die untersten seiner Bestandtheile aus dem Gefüge der übrigen her- 
aus und lösen sich auf. Es entstehen buchtige Höhlen, in dieselben werden die 
auf dem Boden der Keimhöhle entstandenen Dotterzellen durch eine von der 
Keimhöhle gegen den Keimwall hin stetig stattfindende, durch die aufsaugende 
Thätigkeit des letzteren bedingte Strömung hinein geschwemmt. Einmal in den- 
Maschen des Keimwalls angelangt, zerklüften sie sich und bilden die bekannten 
Blutinseln. Die von der Einschmelzung verschonten Keimwallmassen verbleiben 
als „interstitielles Bildungsgewebe.“ Dass man über so leicht constatirbare Dinge, 
wie über das Vorhandensein weisser Dotterkugeln unter dem Keim,. am Boden 
der Keimhöhle und im sog. Dotterkanal streiten kann, Dinge, deren Feststel- 
lung zum Theil schon auf PuURKINJE und von BazR, d. h. auf nahezu ein halbes 
Jahrhundert zurück reicht, erscheint wunderbar. Es erklärt sich indess aus 
GoETTE’s einseitiger Präparationsweise. Bei Untersuchung frischer Eier hätte 
GOoETTE die Zusammensetzung der fraglichen Localitäten aus weissen Dotter- 


und die Entstehung der parablastischen Zellen. 281 


Die Charaktere weisser Dotterkugeln tragen auch die Keimwall- 
kugeln, welche während späterer Entwicklungsstadien im äusseren 
Dotterhofgebiete dem Keim verbunden sind. Dies gilt bis zur Ver- 
wachsung des Dotters. 

Im Gefässhof dagegen und in den nächst daran stossenden 
Dotterhofzonen erfahren die Keimwallkugeln Umwandlungen, die 
einer besonderen Beschreibung bedürfen. Bevor wir darauf eingehen, 
ist es nothwendig noch einmal genau die Charaktere kennen zu lernen, 
wodurch Keimwallkugeln unter allen Umständen von echten, d.h. von 
archiblastischen Keimzellen können unterschieden werden. Das Vor- 
handensein oder Nichtvorhandensein von Kernen und Körnern weisser 
Dotterkugeln kann nicht als Unterscheidungsmerkmal dienen, weil 
diese auch von archiblastischem Protoplasma bez. von archiblastischen 
Zellen können aufgenommen werden. 

Keimwallkuseln sind .stets von einer starken (selbst doppelten) 


kugeln nicht entgehen können. Derselbe scheint jedoch unter Verschmähung 
anderer Controllen seine Ueberzeugung ausschliesslich nach Schnittpräparaten 
gebildet zu haben, wobei er Werth darauf lest, dass die ganzen Dotter gehärtet 
werden. Seine Härtungsmethode giebt er nicht an, indess wird man kaum irre 
sehen, wenn man annimmt, dass er, wie allgemein üblich, Chromsäure oder 
chromsaure Salze benutzt hat. An Chromsäurepräparaten habe ich ähnliche Suc- 
eessionen von hellen und körnigen Schichten am Boden der Keimhöhle gesehen, 
wie sie GoETTE abbilde. Bringt man unter dem Mikroskop weissen 
Dotter mit einer schwachen Chromsäurelösung, Y3 — Ya %, zusam- 
men, so sieht man sofort dichte feinkörnige Gerinsel entstehen 
und ein grosser Theil der Kugeln, vorweg die grossen körner- 
reichen Formen, lösen sich unter den Augen des Beobachters auf 
und ergiessen ihre Kern- und Körnermassen in die Umgebung. 
Ein ähnliches Resultat ergeben Lösungen von chromsaurem Kali: Bringt man 
Tropfen von Müller’scher Lösung zu weissen Dotterkugeln, so gerinnt deren In- 
halt sofort zu einer undurchsichtigen gelben Masse. Die Hülle hebt sich anfangs 
selbstständig ab, dann aber schmilzt sie gleichfalls ein und nach einiger Zeit 
hat die geronnene Kugel an ihrer Oberfläche zahlreiche ungefärbte, stark licht- 
brechende Tropfen (wahrscheinlich aus der Zersetzung des Lecithins stammendes 
Fett) ausgepresst. Nach alledem sind Härtungen mit Chromsäure 
oder mit chromsaurem Kali schlechterdings unbrauchbar zur Be- 
urtheilung der Verhältnisse des weissen Dotters. 

Hätte GortTs erkannt, dass der Keimhöhlenboden seiner Präparate Nichts 
anderes als einen Trümmerhaufen darstellt, würde er auch nicht versucht haben, 
diesem einen besonderen „secundären“ Furchungsmodus zuzuschreiben. 

Die Folgen der Chromsäurehärtung finden sich übrigens auch in anderen 
Beschreibungen und Abbildungen wieder, so zeichnet Hans VIRCHoW in seiner 
Fig. 1 den Keimwall als trübes körniges Gemenge. Ich erinnere ferner daran, 
dass auch WALDEYER in seinem Eierstockswerke (8. 59), entgegen allen früheren 
Angaben, den Inhalt des Dotterkanales als körnige Masse beschrieben hatte. 


2892 W. Hıs. Der Keimwall des Hühnereies 


dunkeln Contour umfasst, welche im auffallenden Licht glänzt. Der 
hyaline Saum dagegen, welcher kuglig abgesränzte Massen archiblasti- 
schen Protoplasmas umgiebt, ist weit blasser und in auffallendem 
Licht kaum ausgeprägt. Liegt eine Keimzelle vor mit reichem 
körnigen Inhalt, so glänzt im auffallenden Licht dieser letztere, wäh- 
rend der Saum verschwindet. In archiblastischen Zellen verschieden- 
ster Grösse sind nach dem Erlöschen der spontanen Bewegungen die 
Körner in andauernder Molecularbewegung begriffen, deren Charakter 
abweichend ist von der Molecularbewegung freier oder in weissen 
Dotterkugeln eingeschlossener Körner.!) 

Die oben erwähnte Färbung mit Fuchsin giebt gleichfalls ein 
Mittel, rasch die Keimwallkugeln von Keimzellen zu unterscheiden. 
Fuchsin färbt, wie wir sahen, das archiblastische Protoplasma, nicht 
aber die Keimwallkugeln. Dafür werden letztere rasch und durch 
ihre ganze Dicke von auch nur schwachen Jodlösungen tingirt. 

Besonders belehrend für die Diagnose sind solche Isolations- 
Präparate, bei welchen eine vollständige, mit ihren Inhaltskörpern ver- 
sehene Keimwallkugel von archiblastischem Protoplasma umschlossen 
ist. In Fig. 6, 7 und S sind solche Präparate dargestellt, bei Fig. 6 
und 7 vollständig, bei Fig. 8 theilweise umschlossene Kugeln. Bei 
letzterer machte ich den Färbversuch: es färbte sich die archiblastische 
Hälfte des Gebildes, während die andere ungefärbt blieb, und beide 
setzten sich durch scharfen Saum von einander ab. Wird bei solchen 
Präparaten der Spiegel abgeblendet, so glänzt die Contour der inneren, 
d. h. der Keimwallkugel, und die äussere bleibt im Schatten. 

Entstehung der parablastischen Zellen. Von der 2. Hälfte 
des 1. Bebrütungstages ab zeigen die Kugeln des inneren Keimwalls 
eine Reihe von Eigenthümlichkeiten, wovon zur Zeit ihrer Ein- 
schliessung nichts vorhanden war, und welche an freien Kugeln des 
weissen Dotters überhaupt nicht beobachtet werden. Es treten näm- 
lich in deren Innerem abgegrenzte Haufen einer feinkörnigen, schwach 
gelbroth gefärbten Substanz auf, in welcher weiterhin helle Flecke 
und schärfer abgegrenzte Kerne wahrnehmbar werden. Wir haben 
mit anderen Worten eine Zellenneubildung innerhalb der Dotterkugeln. 


!) Es ist schwer. diesen Character genau zu definiren, doch ist er offenbar 
durch die Natur des Mediums bedinst, in dem die Theilchen schwingen. Ausser 
den Partialbewegungen der einzelnen Theilchen sind schwankende oder zuekende 
Bewegungen ganzer Complexe vorhanden, die, sei es auf Reste vitaler Contrac- 
tionen, sei es auf Erschütterungen eines gallertartigen Mediums hinweisen. In den 
grösseren Randzellen jüngerer Keime zeigen sich die Körner des Saumes in ra- 
diäre Reihen gestellt. 


und die Entstehung der parablastischen Zellen. 9835 


Die also gebildeten Zellen sind die Anlagen für das Blut und für die 
endothelialen Gefässröhren. 

Wie ich dies schon in meinen Unters. S. 96 hervorgehoben habe, 
so begegnet man unter den zellenbildenden Keimwallkugeln Formen von 
verschiedener Entwicklung. Es finden sich solche, bei welchen das 
Innere der Kugeln völlig erfüllt ist von körnigem Protoplasma (Fig. 9). 
In anderen ist der Raum wenigstens überwiegend von Protoplasma ein- 
genommen (Fig. 10 und 11); letzteres ist in manchen Kugeln in 
mehrere Ballen zertheilt, die sich gegenseitig aneinander abplatten 
(Fig. 12). Eine grosse Zahl der Kugeln enthält einen oder zwei 
kleinere Protoplasmakörper (Fig. 13 u. 14) und ihr übriger Raum ist von 
klarer Flüssigkeit erfüllt und kann einzelne grössere Dotterkerne oder 
Körner mit enthalten. Gelingt es Formen der letzteren Art in fliessende 
Strömungen zu bringen (z. B. durch Ansaugen der Flüssigkeit vom 
Rande her mittelst Filtrirpapier), so überzeugt man sich, dass der Pro- 
toplasmaballen im Innern der Keimwallkugel seinen Zusammenhang, 
nicht aber seine Form und seine Stellung bewahrt, und dass er, ebenso 
wie die Dotterkerne und Dotterkörner im Binnenraum der Kugel sich 
frei hin und her bewegt. Die gegenseitigen Verschiebungen, der 
vorhandenen Theile finden so statt, als ob in einem Flüssigkeit 
führenden Sacke feste Kugeln (die Dotterkerne) und eine weiche ela- 
stische Masse (das Protoplasma) hin und her geschüttelt würden. Die 
beiden Arten von Bestandtheilen verschieben sich gegen einander, der 
feste drückt sich gelegentlich in den weichen ein, und die Form des 
letzteren ändert sich entsprechend dem Raum, der ihm eben zu Gebote 
steht. Dies Verhalten hebt den letzten Zweifel, als ob die mit Pro- 
toplasmaballen ausgerüsteten Keimwallkugeln etwas anderes wären, denn 
in innerer Umwandlung begriffene weisse Dotterkugeln. 

Die Grösse der intraglobulären Protoplasmaklumpen wechselt von 
10 bis 40 u. Kleinere Formen, zu mehreren in einer Keimwallkugel 
liegend, finden sich in den höheren Schichten des Keimwalles und 
besonders in der Zone, welche unmittelbar nach Aussen vom Gefäss- 
hof liest (Fig. 15 u. 16). Die Nester von kleinen intraglobulären 
Zellen, welche man an Schnitten jenseits des Sinus terminalis findet, 
sind diejenigen, welche zunächst frei werden, um sich an der para- 
blastischen Gewebsbildung zu betheiligen. Darf man nach Durchschnitts- 
und nach Flächenbildern erhärteter Präparate schliessen, so entsenden 
die frei gewordenen Zellen sehr bald Ausläufer. Das Gefässblatt zeigt 
sich gleich bei seinem ersten Auftreten, d. h. noch vor dem Auftreten 
hohler Gefässe, aus eckigen Zellen gebildet (s. S. 97 u. 98 meiner Unters.). 

Wie entstehen nun die neuen Zellen im Innern der Dotterkugeln? 


284 W. Hıs. Der Keimwall des Hühnereies 


Schlägt sich das körnige Protoplasma um einen der vorhandenen 
Dotterkerne herum nieder, oder gehen diese nicht in den Kern des 
neuen Gebildes über ? 

Zur Beantwortung dieser Fragen giebt die Beobachtung folgendes 
Material an die Hand: Schon ziemlich frühzeitig trifft man Keimwall- 
kugeln, in. welchen, sei es neben gewöhnlichen Dotterkernen, sei es 
ohne solche, in sich zusammenhängende Haufen grober Dotterkörner 
sich vorfinden. Als weiteres Bild trifft man festverbundene Haufen 
einer feinkörnigen, noch unscharf abgegrenzten Substanz, oder solche in 
denen feinere und gröbere Körner untermengt sind. Darf man diese 
Bilder (Fig, 17—20) zu einer Reihe combiniren, dann ergiebt sich 
folgende Wahrscheinlichkeit: Durch Zerfall grösserer Dotterkerne 
bilden sich innerhalb der Keimwallkugeln Haufen von Dotter- 
körnern, und aus deren weiterer Umbildung entsteht das neue, aus 
Kern und körnigem Protoplasma bestehende Gebilde. Die Dotter- 
kerne würden sonach mit ihrem chemischen Material an der Bildung 
des neuen Kernes und der neuen Zelle theilnehmen, nicht aber in 
morphologischer Continuität mit den neuen Kernen stehen. 

Ich eriunere hier daran, dass es mir auch am Lachsei nicht ge- 
lungen ist!) eine morphologische Herleitung der im Keimwall auf- 
tretenden parablastischen Zellen aus Zellen der Dotterrinde und ihrer 
Kerne aus Dotterkernen zu erreichen, dass aber auch dort mit Auf- 
lösung der Dotterkerne ein Material entsteht, innerhalb dessen neue 
Zellen mit neuen Kernen entstehen. 

Die Möglichkeit, dass Kerne als Ausscheidungen eines zuvor 
gelösten Materials entstehen, gewinnt bekanntlich durch neuere 
Arbeiten mehr und mehr an Boden. Dem alten, mit unseren Schul- 
vorstellungen so lange unvereinbaren Beispiele vom Schwinden des 
Keimbläschens und von der Neubildung der ersten Furchungskerne 
haben sich nieht nur die sehr bestimmt lautenden Erfahrungen der 
Botaniker beigesellt, sondern auch die’enigen von Forschern auf dem 
Gebiete thierischer Morphologie. Die Erfahrungen von FLEMMING, 
von AUERBACH und von Fon?) gestatten sicherlich noch durch- 

I) D. Zeitschrift I. 34. 

2) FLEmming, Die ersten Entwicklungserscheinungen am Ei der Teichmuschel. 
M. Schultze, Archiv X. 286 u. f. und Studien zur Entwicklung der Najaden. 
Sitzungsber. d. Wiener Ak. Bd. LXXI. Febr. 

AUERBACH, Organolog. Studien, 2. Heft. 

For, Jena’sche Zeitschrift, VII. 475. 

Ueber die botan. Erfahrungen: 


HOoFMEISTER, Lehre von der Pflanzenzelle, 1867, S. 81 u. £. 
STRASSBURGER, Zelibildung und Zelltheilung, Jena 1875. 


und die Entstehung der parablastischen Zellen. 255 


aus keine abschliessende Vorstellungen über die Neubildung von 
Kernen, so viel zeigen sie indess zur Genüge, dass wir mit dem her- 
gebrachten Theilungsschema nicht mehr ausreichen, und dass wir den 
Kreis der ins Auge zu fassenden Möglichkeiten bedeutend zu erwei- 
tern haben. 

Keimwallkugeln mit inneliegenden Zellen von der Art der oben 
beschriebenen sind dem Vogelei nicht eigenthümlich. Bei beiläufie 
angestellten Beobachtungen bin ich ihnen auch im Säugethierei (Gefäss- 
hof von Katzenembryonen) und in demjenigen von Reptilien (Natter) 
begegnet. Ihre besondere Geschichte an diesen Orten bleibt weiteren 
Untersuchungen vorbehalten. 

Bei anderen Beobachtern haben die in Rede stehenden Bildungen 
des Hühnereies kaum Beachtung gefunden. Indess zeichnet Hans 
VIrRCcHOw in Fig. 2 seiner Dissertation Keimwulstzellen mit „dunkel- 
körnigen Inhaltsballen“, über deren Natur er sich nicht weiter aus- 
lässt. Andeutungen derselben finden sich auch in Fig. 3. Von den 
in M. Schultze’s Archiv X. publieirten GorrTE’schen Figuren möchte 
Fig. 44 zu nennen sein, wo « und «, hierher zu ziehende Zellen- 
conglomerate darstellen, die auch GOETTE für Blutinselanlagen hält. 

Es bleibt übrig einige Worte über die Endschicksale des inter- 
-slobulären Protoplasma zu sagen: Frühzeitig bildet, wie wir gesehen 
haben, das interglobuläre Protoplasma eine, den Keimwall nach ab- 
wärts abschliessende Schicht. Diese Schicht gewinnt an Mächtigkeit, 
gliedert sich in einzelne Zellenterritorien, und, in eben dem Maasse, 
als die Keimwallkugeln anderweitige Verwendung finden, tritt sie in 
den Vordergrund. Als Endresultat der beiderseitigen Umbildungen 
verbleibt, einmal die Schicht der Gefässe und ein ihr von unten 
her anliegendes einschichtiges Epithel ), dessen grosse Zellen 
stets mit Tropfen von gelbem Dotterfett reichlich durchsetzt sind. 
Eine Verwechselung dieser Zellen mit den früher vorhandenen Keimwall- 
kugeln kann nur dem Unerfahrenen begegnen. Sollte sich Jemand 
mit den übrigen Unterscheidungsmerkmalen nieht begnügen, so mag 
er die Zellen des Dottersackepithels mit Wasser aufschwemmen und er 
wird finden, dass sie im Gegensatz zu den schweren Keimwallkugeln 
zur Oberfläche emporsteigen. 

Mit Hans VırcHmow stimme ich darin überein, dass man von 
der Zeit ab, da ein einschichtiges Epithel sich gebildet hat, von einem 
„Keimwulst“ nicht mehr reden darf, ebenso wenig darf man noch 


I!) Diese Entwicklungsstufe hat Hans VırcHow in seiner Fig. 4 dar- 
gestellt. 


286 W. Hıs. Der Keimwall des Hühnereies 


von einem Keimwall sprechen und die Bezeichnung „Dottersack- 
epithel“ für die entstandene Zellenlage erscheint als eine geeignete. 
Wie das Bild der Vasa lutea durch die den Gefässvorsprüngen ent- 
sprechenden Falten dieses Epithels entsteht, das bedarf nach dem, 
was ich an anderm Orte darüber mitgetheilt, keiner erneuten Be- 
sprechung.!) 


Als Anhang füge ich eine Notiz bei über Zellen im Innern 
des Protozoenleibes. Ich habe zunächst zu motiviren, wie ich zu 
diesem entlegenen Gegenstande komme: Als ich vor Jahren den tiel- 
sreifenden genetischen Gegensatz zwischen archiblastischen und para- 
blastischen Geweben kennen lernte, als mich dann speciell auch die 
Beziehung farbloser Zellen zu Dotterelementen und die Bedeutung der 
Dotterkerne und Dotterkörner für die Zellenernährung beschäftigten, 
dachte ich daran auf breiterer Basis den Gegenstand zu bearbeiten. 

Die Fragen, die ich mir damals gestellt hatte, waren: 

1) ob die Anlagen des Blutes und der Bindesubstanzen allgemein 
aus einem am Furchungsvorgange nicht theilnehmenden Nebenbestand- 
theile des Eies hervorgehen und 

2) ob im Organismus niedrigerer Thiere lecithoide Bestandtheile 
vorkommen, deren Entstehung auf parablastische Zellen sich zurück- 
führt. 

Es ist in einer beiläufigen Notiz, wie der gegenwärtigen nicht der 
Ort, die Berechtigung dieser Fragen für damals, oder jetzt zu discutiren. 
Die Literatur stellte für die eine, wie für die andere keine ungünsti- 
sen Aussichten, der Versuch einer Inangriffinahme aber zeigte mir auch 
bald, dass ich ohne jahrelanges Versenken in mir fernestehende Dinge 
nur Dilettantenarbeit zu liefern im Stande sein würde. Als eine 
Dilettantennotiz mag denn auch die nachfolgende hingenommen wer- 
den, die ich nur publieire, weil sie auch jetzt nach 7 Jahren noch 
neu und zugleich für die Frage von der Einzelligkeit der Infusorien 
bedeutsam ist. 

Der Körper von Nassula, Bursaria u. A. enthält eine wechselnde 
Zahl von kugligen Gebilden granulirter Beschaffenheit. Es sind dies 
wohl Theile, die von EHRENBERG für Magen, von späteren für 
Speiseballen, oder theilweise auch für Keimkugeln gehalten worden 
sind. Ihr Durchmesser beträgt um 12 u oder etwas darüber. Hat man 


DalzenS2188: 


und die Entstehung der parablastischen Zellen. 287 


die Thiere mit einem körnigen Farbstoff gefüttert, so findet sich der 
Farbstoff schon nach wenigen Minuten in jenen Kugeln vor, und nur 
ein verhältnissmässig geringer Antheil desselben liest frei im Innen- 
parenchym. 

Beim Zerquetschen werden die fraglichen Gebilde frei; nach ihrem 
Austritt in das Wasser umgehen sie sich sofort mit einem breiten 
hellen Hof, dieser zerplatzt weiterhin und die zurückbleibende trübe 
Kugel enthält die Ansammlung des Farbstoffes nebst den sonstigen 
körnigen Bestandtheilen. Wird zu derselben Essigsäure zugesetzt, so 
ändert sich ihr Charakter: die äussere Körnermasse hellt sich auf, 
es tritt die scharf umschriebene Contour eines Zellenkernes 
hervor und die aufgenommenen Farbstoffkörner erweisen 
sich als diesem äusserlich nur anhaftend, d. h. sie liegen in 
der durch die Essigsäure aufgehellten Substanz. 

Ich setzte zu lebenden Thieren ein kleines Quantum der Thiersch- 
schen Lösung von oxalsaurem Carmin. Die Infusorienkörper hellten 
sich auf, und ihr Nucleus färbte sich; ebenso färbten sich aber die 
Kerne der im Körper eingeschlossenen Inhaltskugeln und traten scharf 
hervor. 

In ammoniakalischer Carminlösung macht sich der Hergang etwas 
anders: Das Thier stirbt nicht augenblicklich ab. Als heller Körper 
hebt es sich von der rothen Flüssigkeit ab; sowie man es zerquetscht, 
so färben sich die Kerne der austretenden Kugeln roth. 

Die angegebenen Erfahrungen lassen sich sonach folgendermassen 
zusammenfassen: Der Körper der genannten Infusorien ent- 
hält innerhalb seiner Substanz kernhaltige Zellen von der 
Grösse und dem Aussehen farbloser Blutzellen, welche auch 
darin übereinstimmend mit Leucocyten sich verhalten, dass 
sie körnige Bestandtheile von Aussen in sich aufzunehmen 
vermögen. 

Sehr beträchtlich ist die Zahl der im Körper enthaltenen Zellen 
bei Stentor. Der Körper dieser Thiere ist durch reichliche Chloro- 
phylleinlagerungen mehr oder weniger undurchsichtig und die Abgren- 
zung separater Zellen ist daher von Aussen nicht wahrnehmbar. Beim 
Zerdrücken dagegen treten diese isolirt hervor, und man begegnet 
Formen von sehr verschiedener Grösse, solchen welche einen und sol- 
chen welche 2 und 3 Kerne enthalten. In ihrem Innern liegen Chloro- 
phylikörner in wechselnden Mengen. Einzelne Zellen sind gedrängt 
voll davon, andere enthalten deren nur eines oder wenige. 


288 W. Hıs. Der Keimwall des Hühnereies 


Erklärung der Abbildungen. 


Taf. XIII. 


Mit Ausnahme von Fig. 15 und Fig.16 sind alle Zeichnungen nach frischen 
Präparaten mit dem Prisma entworfen. 

Fig. 1. Keimwall der Area vasculosa (innerer Keimwall) nach 24stündiger 
Bebrütung von unten her gesehen. System VIII (b). 

K Keimwallkugeln. 

P interglobuläres Protoplasma mit Dotterkörnern und Fetttröpfehen. 

Fig. 2. Umschlagsfalte desselben Präparates. Syst. VIII (b). 

Fig. 3. Interglobuläres Protoplasmanetz desselben nach 1tägiger Mace- 
ceration in Kochsalzlösung 0,7%, isolirt. Syst. X. 

Fig. 4. Stück Protoplasmanetz eines ebensolchen Keimes durch Schütteln 
isolirt mit theilweise umschlossener weisser Dotterkugel. Syst. X. 

Fig. 5. Stück des Protoplasmanetzes nach 19stündiger Bebrütung mit 
sichtbarem Kern. 

Fig. 6. Weisse Dotterkugel, von archiblastischem Protoplasma -umhüllt, 
frisches Isolationspräparat nach 39stündiger Bebrütung. Syst. X. 

Fig. 7. Gleiches Object, am Rande einer Umschlagsfalte gesehen. Syst. X. 

Fig. S. Weisse Dotterkugel zur Hälfte von einem archiblastischen Proto- 
plasmakörper umhüllt. . Isolationspräparat nach 38 stündiger Bebrütung. Mit 
Fuchsin färbte sich die obere blasse Hälfte des Gebildes, die untere dagegen 
blieb ungefärbt. Syst. X. ; 

Fig. 9—14 u. 17— 20. Frisch isolirte Keimwallkugeln mit intraglobulärem 
Protoplasma verschieden nach Menge und Phase der Ausbildung. S. Text. 
Syst. X. -—-.9, 13 u. 14 nach 24stündiger, 17, 18 u. 20 nach 40stündiger, 10, 
11, 12 u. 19 nach 52stündiger Bebrütung.!) 

Fig. 14. Keimwall, auf dem Durchschnitt. Osmiumpräparat. Syst. VIII. 
21stündige Bebrütung. Die Bildung der Blutgefässe leitet sich eben ein. Der 
Schnitt fällt auf die Grenze von Area vasculosa und Area vitellina oder von 
innerem und äusserem Keimwall. Die gefässbildenden Zellen @ liegen in Masse 
unter dem Epiblast und zum Theil zwischen den tieferen Kugeln des Keimwalles. 
K Keimwallkugeln; die bezeichnete zeigt eine Anzahl von Protoplasmakörpern 
neben einem unveränderten Kern. P das interglobuläre Protoplasma in der 
unteren Grenzschicht zusammenfliessend. 

Fig. 15. Schnitt durch dieselbe Stelle in einem etwas vorgerückten Sta- 
dium. 30stündige Bebrütung. Es haben sich schon Gefässe (G) angelegt, die 


1) Aus Versehen hat die Fig. 20 (unter Fig. 8 stehend) die Ziffer 10 erhalten. 


und die Entstehung der parablastischen Zellen. 289 


dem inneren Keimwall unmittelbar aufliegen, der überliesende Raum ist nicht 
unmittelbar vom Epiblasten überdeckt, sondern er trägt eine parablastische 
(endotheliale) Bekleidung. Bei @ sieht man parablastische Zellen ausserhalb. 
des Gefässhofes, bei X) Klumpen von Zellen, noch von gemeinsamer Hülle um- 
seben (zu vergl. Taf. X. Fig. 4 meiner Untersuchungen), bei X, einen grösseren 
bereits von Gefässzellen umgebenen Zellenklumpen, eine Blutinsel. X Keimwall- 
kugeln. P Interglobuläres Protoplasma. 

Fig. 21. Bursaria. Mit inneliegenden kernhaltigen Zellen. 

Fig. 22. Zelle aus deren Körper mit Essigsäure behandelt. 

Fig. 23. Zellen durch Druck aus dem Körper eines Stentor isolirt, theils 
ein- theils mehrkernig und meist chlorophylihaltig. 


Zeitschrift f. Anatomie. Bd. I, 19 


Ein Beitrag zur Kenntniss der Structur der Sehnen. 


Von 
Dr. W. Herzog. 


(Hierzu Tafel XIV.) 


In den folgenden Zeilen theile ich die Resultate einiger Unter- 
suchungen mit, die ich im Sommer 1873 in der histologischen Ab- 
theilung des Leipziger physiologischen Laboratoriums auf Anregung 
und unter Leitung des Herrn Professor SCHWALBE über den Bau der 
Sehnen anstellte. . 

Es handelte sich dabei zunächst um eine genauere Deutung der 
Quersehnittbilder, namentlich um die Erklärung derjenigen Linien, 
welche in den Feldern zwischen den sternförmigen Lücken des Sehnen- 
quersehnitts, den sog. Bindegewebskörperchen, zur Beobachtung kommen. 
Um Missverständnisse zu vermeiden, betone ich, dass ich diese Felder 
hinfort als primäre Bündel und einen von lockerem Bindegewebe um- 
rahmten Complex dieser letzteren als ein secundäres Sehnenbündel be- 
zeichnen werde. An diese Untersuchung musste sich nothwendig eine 
weitere anschliessen, welche es sich zur Aufgabe machte, die Frage 
nach der Anordnung der primären Bündel innerhalb eines secundären 
zu beantworten. Ueber die platten, den primären Bündeln anliegen- 
den zelligen Elemente der Sehnen habe ich keine neuen Untersuchungen 
angestellt, dagegen mich bemüht, auf dem Wege der Injeetion die 
Lückennatur der sternförmigen Figuren des Querschnitts entwickelter 
Sehnen nachzuweisen. Eine Aufzählung der einschläglichen Literatur 
habe ich für unnöthig erachtet, da dieselbe genugsam aus den zahl- 
reichen Arbeiten der letzten Jahre bekannt ist; auf einige derselben 
werde ich an geeigneter Stelle näher eingehen. 


W. Herzog. Ein Beitrag zur Kenntniss der Struetur der Sehnen. 291 


Um eine dem Leben möglichst entsprechende Ansicht des Sehnen- 
quersehnittes zu erhalten, wurden frische Achillessehnen vom Kalbe 
in einer künstlichen Kältemischung zum Gefrieren gebracht und feinste 
Querschnitte von denselben angefertist. Diese wurden alsdann in 
halbprocentiger Kochsalzlösung oder auch in destillirtem Wasser unter- 
sucht. 

In Fig. 1 ist ein Theil eines solchen Querschnitts dargestellt. 
Auf demselben treten die bekannten schwarzen sternförmigen Gebilde 
und als Verbindungslinien zwischen ihnen schwarze Linien zu 
Tage. In den von den sternförmigen Gebilden und den Linien ab- 
gegrenzten Räumen liegen die primären Fibrillenbündel, deren Quer- 
schnitt eine eigenthümliche Zeichnung von Feldern, die durch helle 
anastomosirende Linien getrennt werden, darbietet. In diesen Feldern 
selbst erscheinen die Durchschnitte der einzelnen Fibrillen, die sich als 
schwarze Punkte darstellen. Diese einzelnen Querschnitte einer jeden 
Fibrille sind vor einer homogenen, mässig transparenten hellen Sub- 
stanz in ziemlich regelmässiger Weise umgeben. Zwischen einer grös- 
seren Menge in dieser Weise gruppirter Querschnitte finden sich 
längere und zugleich breitere Streifen dieser helleren Substanz, 
so dass dadurch das Aussehen einer Eintheilung des einzelnen Fibrillen- 
bündels in eine grosse Menge grösserer und kleinerer Felder entsteht. 
Die einzelnen Felder sind aber nicht von gleicher Grösse Es ist 
daher eine sehr mannigfaltige Anordnung dieser Substanz gegeben, 
allein durch die Regelmässigkeit ihres Vorkommens charakteristisch. 
Man sieht zahlreiche Figuren von grösserer oder geringerer Regel- 
mässigkeit, welche durch die sich theilenden und wieder anastomo- 
-sirenden Linien hervorgebracht werden. Einige von diesen verlieren 
sich so zu sagen in der Substanz des Bündels, indem die einzelnen 
Fibrillenquersehnitte bis zur Berührung an einander rücken, andere 
dieser Linien laufen theils zu den sternförmigen Gebilden, theils zu 
den schwarzen Verbindungslinien hin, und hören nahe an der Grenze 
derselben auf. Ausser diesen erwähnten hellen Linien sind keine 
anderen Gebilde in der Substanz des primären Bündels bemerkbar. 
Besonders unterliegt es keinerlei Schwierigkeit, zu constatiren, dass 
von den schwarzen Verbinduneslinien niemals Ausläufer, die in ihrem 
Verhalten mit denselben übereinstimmen, in das Innere der Fibrillen- 
substanz eintreten, oder sich in irgend welcher Weise in derselben 
verästeln. | 

Die beschriebenen hellen Linien dürften sich am leichtesten da- 
durch erklären lassen, dass es sich um eine grössere Ansammlung von 
Kittsubstanz handelt, die in der eigenthümlichen, oben beschriebenen 


19* 


292 W. HERzoe. 


Weise eruppirt ist. Diese Linien treten besonders deutlich auf Zu- 
satz von Wasser hervor, so dass man eine besondere Einwirkung 
desselben auf die Kittsubstanz schliessen darf, die darin besteht, dass 
die Kittsubstanz quillt und auf diese Weise besser und deutlicher zur 
Anschauung gelangt. 

Nachdem ich mir auf diese Weise über die Anordnung der Fi- 
brillen innerhalb der primären Bündel eine klare Anschauung ver- 
schafft hatte, suchte ich weiterhin festzustellen, in welcher Art und 
Weise die primären Bündel selbst sich aneinander legen. Zum Zwecke 
dieser Untersuchung ‘wurden von getrockneten Achillessehnen des 
Kalbes etwas dickere Schnitte angefertigt, und in die von MAx SCHULTZE 
empfohlene mehr concentrirte wässerige Auflösung des essigsauren 
Kali gebracht. Das Gewebe der Sehne wird dadurch in einen Grad 
von Schwellung versetzt, der wohl dem vor der Trocknung bestehenden 
gleichkommen dürfte. Die Structur selbst erfährt dadurch durchaus 
keine Veränderung und es fällt besonders der Vergleich mit Präparaten, 
die in Glycerin aufbewahrt worden sind, sehr vortheilhaft zu Gunsten 
des essigsauren Kali aus, weil letzteres Reagens die Theile nicht so 
stark erblassen macht. 

Wenn man nun successive durch wechselnde Einstellung auf 
verschiedene Ebenen des Querschnittes tiefere Lagen des Präparates in 
den Focus bringt, und sich dadurch über die Art und Weise orien- 
tirt, wie die sternförmigen Gebilde in der Substanz des secundären 
Sehnenbündels vertheilt sind, so ergiebt sich, dass nicht sämmt- 
liche Sterne durch die ganze Dicke des Schnittes hindurchgehen. 
Man sieht nämlich zuweilen in der Mitte des Schnittes oder auf 
der unteren Ebene desselben neue Sterne erscheinen, die auf der ober- 
sten Ebene, wenn das Präparat eben deutlich eingestellt ist, nicht zur 
Anschauung kommen. Umgekehrt können Sterne, die auf der ober- 
sten Ebene des Schnittes sichtbar sind, verschwinden, wenn man die 
tieferen Lagen durch Aenderung der Einstellung zur Anschauung 
bringt. Die meisten Sterne kann man aber durch die ganze Dicke 
des Schnittes verfolgen, und dieselben sind stets als schwarze Punkte 
sichtbar. Manchmal weichen sie allerdings von der geraden Richt- 
ung nach einer oder der anderen Seite hin etwas ab, so dass sie 
dann als Linie zur Anschauung kommen, in der untersten Ebene aber 
wieder als Sterne erscheinen. Besonders deutlich und fast eonstant 
kommt dieses zuletzt erwähnte Verhältniss in der Nähe der Scheide- 
wände des" mehr lockeren Bindegewebes, das die secundären Bündel 
gegen einander abgrenzt, zur Anschauung. Durch dasselbe Verfahren 
kann man sich auch über das Verhalten der schwarzen Linien und 


Ein Beitrag zur Kenntniss der Structur der Sehnen. 293 


ihre Beziehungen zu den Sternen orientiren. Man sieht auf dem 
(erschnitt ein System von Verbindungslinien zwischen den Sternen, 
die sämmtlich von Sternen ausgehen und in der Mehrzahl der Fälle 
auch wieder zu Sternen hinlaufen. Oefters bemerkt man jedoch, wie 
auf der obersten Ebene Linien von Sternen abgehen, die nicht ihr 
Ende an einem Sterne erreichen, sondern in das primäre Bündel hinein- 
dringen und nun scheinbar in der Substanz desselben enden. Wenn 
man aber durch Verschiebung derartige Linien in die tieferen Lagen 
des Schnittes verfolgt, so wird man finden, dass diese Linien dort zu 
einem Sterne hinzutreten, oder durch Zusammentritt mit einigen an- 
deren ähnlichen Linien einen neuen Stern constituiren. 

Dieses Verhalten findet seine Erklärung darin, dass die primären 
Bündel unter sehr spitzen Winkeln mit einander anastomosiren. 
Wenn nämlich zwei Bündel unter einem spitzen Winkel zusammen- 
treten und sich zu einem vereinigen, so hört natürlich die Scheide- 
wand, die sie bis daher von einander getrennt hatte, auf. Es muss 
daher auch optisch diese Scheidewand ausfallen, und da der op- 
tische Ausdruck derselben ein Stern oder eine von ihm ausgehende 
schwarze Linie ist, so verschwinden unter diesen Umständen diese Ge- 
bilde an dem Orte, wo die beiden Bündel sich zu einem vereinigt 
haben, aus dem Gesichtsfell. Umgekehrt muss, wenn ein bis dahin 
einfaches Bündel in zwei sich theilt, hier nun, da jedes Bündel eine 
eigene Scheide besitzt, der optische Ausdruck derselben zur Anschau- 
ung kommen; in diesem Falle muss also ein Stern oder eine dazu ge- 
hörige Linie im Gesichtsfeld auftauchen. Zu gleicher Zeit muss man 
aber annehmen, dass die Vereinigung oder Theilung der Bündel nicht 
immer in einer der Fläche des Querschnitts entsprechenden Ebene 
stattfindet, sondern manchmal in einer dieselbe unter einem mehr oder 
weniger grossen Winkel schneidenden Ebene. Man muss desshalb, da 
man bei einer bestimmten Einstellung immer nur einen geringen 
Theil des Schnittes im Gesichtsfell hat, den Schnitt ganz durch- 
mustern und die schwarzen Linien in ihrem Verlaufe verfolgen, um 
zu einer vollständigen Anschauung von der Theilung oder Trennung 
der Bündel zu gelangen. Aus diesen Beobachtungen dürfte ferner 
hervorgehen, dass die primären Bindegewebsbündel von einer überall 
deutlich hervortretenden Scheide umgeben sind, die dieselben ganz um- 
scheidet und gegen die anliegenden abgrenzt. 

Von weiterem Interesse erschien es nun, zu untersuchen, ob sich 
nicht ein Zusammenhang der auf dem Querschnitt sichtbaren stern- 
förmigen Lücken zwischen den Fibrillenbündeln mit Lymphräumen 
nachweisen lasse. MICHEL gelang es bei seinen Untersuchungen über 


294 W. Herzoc. 


die Sklera!) und Dura mater cerebralis?) die sogenannten Binde- 
sewebskörperchen durch Einstich zu injieiren und sie als Spalträume 
und Lücken zwischen den Fibrillenbündeln nachzuweisen, in der Weise, 
dass jede einzelne Spaltlücke von einer Zellplatte ausgekleidet ist. 
Bei den Sehnen nun ebenfalls Injectionen anzustellen, erschien um so 
mehr gerechtfertigt, als ja in ihrem Gewebe schon zusammenhängende 
Zellenreihen nachgewiesen sind, die Endothelien auffallend gleichen. 
Sie liegen hier den Bindegewebsbündeln auf und umscheiden sie 
wenigstens theilweise. Es liegen schon einige Versuche der Injection 
vor. So versuchte HEnLE°) vergeblich die zwischen den Bündeln ver- 
laufenden Gefässe zu injiciren. BorL*), kam ebenfalls zu keinem ge- 
nügenden Resultate. Krause) will zwar durch Einstichinjeetion die 
sogenannten anastomosirenden Bindegewebszellen des Sehnenquerschnitts 
dargestellt haben, hat aber nicht ihre Bedeutung und Beziehung zu 
den Lymphgefässen erkannt. Die Frage gewann an Bedeutung, als 
LupwiG und SCHWEIGGER-SEIDEL®) sowohl auf der Oberfläche der 
Sehnen, als auch im Innern derselben, nämlich im interstitiellen Binde- 
sewebe zwischen den secundären Bündeln, zahlreiche Lymphgefässe 
nachwiesen. 

Zum Zwecke der Untersuchung wurden frische Achilles - Sehnen 
vom Kalbe durch Einstich mit der feinsten Kanüle von !/,—!/, mm. 
Durchmesser einer PrAvAz’schen Spritze injieirt. Die Spitze der Ka- 
nüle wurde bis gegen die Mitte der Sehne eingeführt und unter ganz 
geringem Drucke eine Zeitlang die Injection ausgeführt. Als Injections- 
Masse diente Berliner-Blau. Wurden Injectionen unter etwas stärkerem 
Diuck ausgeführt, als der für die eben erwähnten angewendet wurde, 
so wurden sehr bald einzelne Lymphgefässe auf der Oberfläche gefüllt 
und bei der weiteren Fortsetzung der Injection erhielt man schliesslich 
die Netze von Lymphgefässen, wie sie in ausführlicher Weise von 
LupwıG und SCHWEIGGER- SEIDEL schon dargestellt sind”. In 


!) Beiträge zur Kenntniss der hinteren Lymphbahnen des Auges. GRAEFE’s 
Archiv für Ophthalmologie. 18. Band. I. 8. 143. 

?) Zur näheren Kenntniss der Blut- und Lymphbahnen der Dura mater cere- 
bralis. Aus den Berichten der mathem.-phys. Klasse der königl. sächs. Gesell- 
schaft der Wissenschaften. 1872. (vom 12. Dezember) S. 331. 

3) Canstarr’s Jahresbericht für 1851. I. Band. S. 24. 

#) Untersuchungen über den Bau und die Entwicklung der Gewebe. Scuuntze’s 
Archiv. VII. Band. 1871. S. 289. 

5) Göttinger gelehrte Anzeigen. 1864. II. Band. S. 1097. 

6) Die Lymphgefässe der Fascien und Sehnen. Leipzig. 1872. 

7) a. 3. 0.2 Taf... Rig 22undRie 3, 


Ein Beitrag zur Kenntniss der Structur der Sehnen. 295 


gleicher Weise angestellte Versuche an der Sehne des quadriceps beim 
Hunde hatten im wesentlichen das gleiche Resultat. Auch hier traten 
die von LUDwIG und SCHWEIGGER - SEIDEL beschriebenen Netze so- 
wohl auf der Sehne, als auch auf der Fascie neben der Sehne mit der 
grössten Deutlichkeit und Constanz zu Tage). 

Die betreffenden auf solche Weise unter stärkerem und schwä- 
cherem Drucke injieirten Sehnen wurden getrocknet und von diesen 
getrockneten Präparaten Quer- und Längsschnitte angefertigt. Diese 
Schnitte wurden ebenfalls in eine Lösung von essigsaurem Kali ge- 
bracht; doch hatte hier diese Methode den einzigen Nachtheil, dass 
die charakteristischen Injectionsfiguren allmählich in ihrer Färbung 
schwächer wurden und desshalb die Präparate nicht für längere Zeit 
haltbar waren; die Structurbeschaffenheit dagegen der Sehne selbst blieb, 
wie oben erwähnt vollkommen erhalten. 

In Fig. 2 habe ich einen auf solche Weise gewonnenen Quer- 
schnitt abgebildet. Man sieht auf demselben zarte blaue Linien, die 
unterbrochen werden von blauen Knotenpunkten, von denen wiederum 
andere, manchmal mehrere blaue Linien zu ähnlichen Sternen hin- 
laufen. Das secundäre Bündel erscheint auf diese Weise durchzogen 
von einem Netze feinster blauer Linien. Es gelang sogar an einigen 
Stellen ein vollständiges blaues Netz zur Anschauung zu bringen. Auf 
dem Theil des Querschnittes, in den die Injestionsmasse nicht einge- 
drungen ist, bemerkt man die bekannte Structur der Sehne mit ihren 
schwarzen Sternen und Verbindungslinien. Die Art und Weise der 
Vertheilung der Injeetionsmasse correspondirt genau mit dem Ver- 
laufe dieser schwarzen Linien und Sterne. Man sieht öfters schwarze 
Linien zu einem blauen Sterne hinlaufen, oder eine blaue Linie bis 
zu einem scharzen Sterne sich fortsetzen, von dem dann mehrere 
schwarze Linien abgehen. Man wird desshalb wohl mit Recht an- 
nehmen dürfen, dass die Injectionsmasse dem Verlaufe der schwarzen 
Linien gefolgt und in ihnen fortgeschritten ist. 

Mit der Injection dieser blauen Linien trat zu gleicher Zeit eine 
reichliche Füllung derjenigen Lymphgefässe ein, welche in dem Binde- 
gewebe der Scheidewände verlaufen und die ebenfalls von Lupwie und 
SCHWEIGGER-SEIDEL abgebildet worden sind.2) Zwischen diesen und 
len oben erwähnten blauen Linien besteht nun in sofern ein Zu- 
sammenhang, indem letztere meistens bis an die gefüllten Lymph- 
sefässe heranreichen; und zwar gehen diese Linien entweder einzeln 


Dyara.so. Tak.,1’ Eis. 
2)ra.0a. O0. Taf. II. Rio. 


296 W. Hrxrzoc. 


direkt in die Lymphgefässe über oder es steht ein über einen grös- 
seren Bezirk ausgebreitetes System von vielfach verzweigten blauen 
Linien dnrch einen oder zwei längere derselben mit den Lymph- 
gefässen in Verbindung. Bemerkenswerth ist noch der Umstand, dass 
öfters die blauen Linien im Zusammenhang stehen mit den eigen- 
thümichen Gebilden, die im Innern der Sehnenbündel gelegen sind, 
die auch LupwiG und SCHWEIGGER-SEIDEL !) abbilden und von 
denen es dort unentschieden gelassen wird, ob man es mit einem 
Gefäss zu thun habe.?) 

Entsprechend der Vertheilung der Injeetionsmasse auf den Quer- 
schnitten findet sich dieselbe auf Längsschnitten flächenhaft vertheilt 
und an einzelnen Stellen ist eine stärkere Anhäufung derselben vor- 
handen, wo denn dieselbe als stärker markirter Streifen auftritt. Diese 
Streifen verlaufen mehr oder weniger parallel der Längsachse der 
Sehne. Bei Vergleichung der Quer- und Längsschnittbilder dürfte man 
wohl zu dem Schlusse berechtigt sein, dass hier die Injeetionsflüssig- 
keit die primären Bindegewebsbündel umgiebt. Denn die blauen Linien 
umgeben auf dem Querschnitt die Durchschnitte der Bündel, während 
auf dem Längsschnitte die Injectionsmasse Nlächenhaft ausgebreitet ist, 
indem sie die mehr oder weniger eylindrischen Bündel umspült. Da 
ferner die Injectionsmasse genau den schwarzen Linien entsprechend, 
die wir als den Ausdruck der Scheide zwischen den einzelnen Bündeln 
kennen gelernt haben, fortgeschritten ist, so kann man wohl annehmen, 
dass zwischen den Bündeln präexistirende Spalträume bestehen, in 
welche die Injectionsmasse eingedrungen ist, und in denen sie die 
Bündel umspült. Wo nun zwei oder drei Bündel aneinander stossen» 
entsteht ein grösserer Spaltraum,sder sich theils als Stern, theils als 
markirterer Streifen darstellt. Aus dem Umstande, dass diese inji- 
cirten Spalträume an die Lymphgefässe direkt heranreichen, dürfte 
ferner gefolgert werden, dass dieselben in direkter Communication mit 
den letzteren stehen und ihren Abfluss in dieselben haben. 

Es ist schon oben angegeben worden, dass Sehnen theils unter 
stärkerem, theils unter schwächerem Drucke injicirt wurden und dass 
bei dem Verfahren mit stärkerem Drucke die oberflächlichen Lymph- 
gefässe gefüllt wurden, wogegen dieses Resultat bei Anwendung von 
schwächerem Drucke nicht constatirt werden konnte. Dem entspre- 
chend waren auch die mikroskopischen Verhältnisse. Wenn nämlich 
die Lymphgefässe auf der Oberfläche injicirt waren, konnte man bei 


Ira, a. 0, Tar. II. Fir 2: 
Ara a. Omen 


Ein Beitrag zur Kenntniss der Structur der Sehnen. 297 


mikroskopischer Untersuchung keine so vollständige Füllung der Spalt- 
räume constatiren. Es waren in reichlicher Ausdehnung die Lymph- 
gefässe in dem interstitiellen Bindegewebe gefüllt, dagegen war die 
Injeetionsmasse gewöhnlich nicht weiter als ein oder zwei Sterne weit 
in das Bündel eingedrungen. Befriedigender dagegen war das Resultat 
für die mikroskopische Betrachtung bei dem anderen Verfahren, wenn 
nämlich blos kurze Zeit und unter geringem Drucke die Injection 
ausgeführt worden war. Man bekam dann die in Fig. 2 abgebildeten 
Verhältnisse. 

Man sieht daraus, dass bei der Reichlichkeit der Wege, die der 
Iniectionsmasse zu (Gebote stehen, dieselbe, wenn stärkerer Druck an- 
sewendet wird, den grösseren Wegen folgt und somit möglichst schnell 
die grösseren Abflusswege erreicht. Wenn dagegen die Injectionsmasse 
unter schwächerem Drucke eingetrieben wird, so vertheilt sich die- 
selbe langsamer und füllt zugleich die schwerer zugänglichen Bahnen 
_ an. Vielleicht kommt hier auch noch das Moment in Betracht, dass 
bei Injection unter stärkerem Drucke schnell die grösseren Gefässe 
angefüllt werden und diese dadurch die Sehne in einen solchen Grad 
von Spannung versetzen, dass die Substanz der Sehne comprimirt wird. 
Es werden daher bei diesem Verfahren die Spalträume in dem secun- 
dären Bündel, die ohnehin bei dem Eintritt der Injeetionsflüssigkeit 
erst ausgedehnt werden müssen, von derselben nicht betreten werden. 

Würzburg, Juli 1875. 


Erklärung der Abbildungen. 


Taf. XIV. 


Fig. 1. Querschnitt durch eine frische Achillessehne vom Kalbe, die in 
einer künstlichen Kältemischung zum Gefrieren gebracht wurde. 
Harrtnack. Ocular 3. Öbjectiv 8. 


Fig. 2. Einstichinjeetion mit Berliner-Blau. Querschnitt durch die getrock- 
nete Achilles-Sehne vom Kalbe. Harrnack. Ocular 3. Objectiv 4. 
a) Lymphgefäss im interstitiellen Bindegewebe zwischen den secundären 
Bündeln. 
b) Gefüllte Spalträume zwischen den primären Bündeln. 
c) Im Innern des Bündels gelegene Injectionsmasse. 


Besprechungen. 


Die Entwieklungsgeschichte der Unke, als Grundlage einer verglei- 
chenden Morphologie der Wirbelthiere, von Dr. Alexander Goette. 
61 Bogen Text in 8° und Atlas von 24 Tafeln in Fol. 


Referirt und besprochen von W. His. 
- 


Eine Monographie, wie die angezeigte, von nahezu 1000 Seiten und von 
24 Foliotafeln, die überdies mit einem Preise von 150 Mark behaftet ist, 
gehört so wenig zu den Alltäglichkeiten literarischer Production, dass ihr 
Erscheinen selbst in den Buchhändlerkreisen des viel verlegenden Leipzig leb- 
haftes Aufsehen erregt hat. Den inneren Werth einer Schrift nach ihrem Um- 
fang, ihrer Ausstattung oder gar nach ihrem Preise zu bemessen, wird zwar 
Niemandem einfallen, ein Jeder, dem das Leben der Wissenschaft am Herzen 
liegt, nimmt indess mit Freuden ein Werk in die Hand, das schon durch 
sein Aeusseres bezeugt, dass dem Verfasser mit seiner Aufgabe Ernst ge- 
wesen ist, und dass er sich’s eine Reihe von Lebensjahren hat kosten lassen, 
derselben nach Kräften gerecht zu werden.. 

Gorrtte’s Werk enthält denn auch eine reiche Fülle von Material und 
auf lange hinaus werden zukünftige Forscher mit demselben zu rechnen haben, 
mögen sie sich im Uebrigen noch so oppositionell dazu stellen. Solche um- 
fassende Arbeiten gewinnen schon durch den Umfang des durchforschten Ma- 
terials ein Uebergewicht über Partialarbeiten, und sind dadurch vor dem abso- 
luten Veralten geschützt. Neben den die Tagesforschung bewegenden, wer- 
den sie stets eine Reihe von ferneren Fragen anregen, die von jener unbeachtet 


Besprechungen. 299 


ruhen, bis auch an sie die Reihe kommt, Gegenstand allgemeineren Interesses 
zu werden. 

Eine an derselben Speeies mit so grosser Ausdauer durchgeführte ent- 
wicklungsgeschichtliche Untersuchung wie die Gorerre’sche muss selbstver- 
ständlich dazu beitragen, der individuellen Entwicklungsgeschichte im Kreise 
der biologischen Disciplinen ihren selbstständigen Platz zu wahren, und die eng- 
herzige Bevormundung zurückzuweisen, welche ihr die dogmatische Descen- 
denzschule aufzuerlegen bemüht ist. Verfasser nimmt wiederholten Anlass, 
in der Hinsicht Farbe zu bekennen, und manche seiner Auslassungen sind 
prineipiell mit denen des Referenten sehr nahe übereinstimmend. Ich brauche 
hier nur an den Schlusssatz zu erinnern, „dieindividuelle Entwicklungs- 
geschichte der Organismen begründet und erklärt allein die ge- 
sammte Morphologie derselben.“ Gorrrse bemüht sich, gleichwie 
Ref., den physiologischen, oder wie er sich mit Vorliebe ausdrückt, den cau- 
salen Zusammenhang zwischen den sich folgenden Phasen der Entwicklung 
nachzuweisen, und die mit Nothwendigkeit zu gebende Ableitung der späteren 
Entwicklungsphasen aus den in vorangegangenen Stufen gegebenen Bedingun- 
gen aufzufinden. 

Die Aufgaben, welche sich Goertz gestellt hat, übersteigen jedenfalls die 
Kräfte eines Einzelnen, und aus, dem Umstande, dass das @. selbst nicht klar 
geworden ist, erklären sich die hauptsächlichen Schwächen seiner Schrift. 
GoErrE hat nicht nur die ganze, von ihm verfolgte Entwicklungsreihe durch- 
beobachten, er hat sie auch durcherklären wollen, und in Verkennung der 
gegebenen physiologischen Grundlagen ist er dabei vielfach zu Willkürlich- 
keiten hingerissen worden, die nicht nur seinem Buche, sondern die überhaupt 
der Würdigung der ganzen Richtung Schaden thun müssen. 

Die einseitige Energie von Gorrır’s Streben macht sich auch in anderer 
Weise bemerkbar, so vor Allem in seiner Polemik. Geduldige, in die Materie 
eintretende Auseinandersetzung mit anders denkenden Forschern ist seine Sache 
nicht, sein Urtheil über Andere ist durchweg ausnehmend schroff und ab- 
sprechend. Den Referenten trifft das persönliche Missgeschick, mit der Un- 
gnade des russischen Morphologen in besonders reichlichem Maasse bedacht 
zu werden, andere Forscher werden indess in nicht minder absolutistischer 
Weise behandelt, und es hat den Anschein, als ob es für GoETTE Grundsatz 
sei, bei seiner Leistung ab ovo das von Anderen Geleistete von vornherein, als 
nicht zu Recht bestehend, zu verwerten. 

So lange eine Polemik auf genauem Studium dessen beruht, was bekämpft 
wird, muss man sich dieselbe, selbst in herber Form, gefallen lassen, denn 
die im eivilen Verkehr üblichen Rücksichten hat man nun einmal im wissen- 
schaftlichen nicht zu beanspruchen. Indess zeigt gerade GoerıE für correete 
Auffassung fremder Darstellungen wenig Sinn. Schon von einer anderen Seite 


300 Besprechungen. 


her!) sind ihm in der Hinsicht Oberflächliehkeit und Unterstellungen vor- 
geworfen worden, Ref. hat seinerseits gleiche Vorwürfe zu erheben. Der mit 
des Referenten Namen bekleidete Gegner z. B., dessen naturphilosophische 
Vorurtheile von Gorrrs so erbarmungslos vernichtet werden, ist ein Phantom, 
welches mit dem Referenten selbst durchaus Nichts gemein hat. 

Principielle Auseinandersetzungen geschehen bei Goxrrr im Allgemeinen 
mit grosser Breite, ohne deshalb immer den Eindruck klaren Durchdachtseins 
zu hinterlassen. Ueber die zur Präparation angewendeten Methoden vermisst 
man, abgesehen von sehr sporadischen Bemerkungen, in dem umfangreichen 
Werke jegliche nähere Mittheilung. Auch die von GorrrE in M. Schuutze’s 
Archiv publieirten Aufsätze entbehren derselben, und es ist dies um so mehr 
zu bedauern, als Goerre nicht durchweg die nöthige Vorsicht zum Schutze 
vor Trugbildern angewandt zu haben scheint.?) 

Die 383 Abbildungen sind alle mit hoher künstlerischer Vollendung ge- 
zeichnet, mit Geschmack angeordnet und vortrefflich lithographirt. Der Um- 
stand, dass man an den Durchschnitten Zelle neben Zelle mit scharfen Con- 
touren und ohne irgend welche Ueberlagerung liegen sieht, zeigt, dass die 
Zeichnungen den Charakter von halbschematischen haben. Ueber die Vor- 
züge dieser vor anderen Darstellungsweisen ist man bekanntlich noch nicht 
zur Einigung gelangt. Im Allgemeinen hält Referent darauf, dass entwick- 
lungsgeschichtliche Zeichnungen das grösstmöglichste Maass von Naturtreue 
besitzen, und dass in ihnen Nichts scharf ausgezeichnet sein sollte, was im 
Präparate nicht ebenso erscheint. Nur dann scheinen ihm die Zeichnungen 
einen Rückschluss auf die scharfe Richtigkeit der Beobachtung zu gestatten. 
Auch bedauert Ref., dass der grosse Atlas nicht durch Beigabe exacter Ver- 
srösserungsmaassstäbe zu Messungen verwendbar gemacht worden ist. 

Das Werk GoerreE’s zerfällt, ungerechnet die Schlussbemerkung, in 
12 Abschnitte, deren erste 5 die Entwicklung des Eierstockseies, die Dotter- 
theilung, die Keimblattbildung und die Sonderung der Organanlagen behandeln, 
die übrigen 8 die Entwicklung einzelner Organsysteme und Regionen. Jeder 
Abschnitt zerfällt in einen historischen, beschreibenden und vergleichenden Theil. 

Im 1. Abschnitt über Eibildung verfolgt G. die Sexualdrüsen bis zu 
ihrem ersten Sichtbarwerden bei Larven mit eben hervortretenden Hinterbein- 
stummeln. Die feinen fadenförmigen Drüsenanlagen enthalten Zellhaufen, in 
denen Rand- und Mittelzellen sich von einander unterscheiden. Letztere, 
durch helleres Aussehen und bedeutendere Grösse hervortretend, sind die 
erste Andeutung eines Follikelinhalts. Mit gleichartiger Anlage beginnt nach 
@&. auch die erste Bildung der Hodenknäuel. 


1) GEGENBAUR, Morpholog. Jahrbuch I. 326. 
) 8. S. 281 dieser Zeitschrift. 


Besprechungen. 301 


‚Jedes Ei soll durch Verschmelzung mehrerer Zellen, das Keimbläschen 
durch Vereinigung mehrerer Kerne entstehen und GorrrE glaubt Uebergangs- 
bilder dieses Vorganges gesehen zu haben. Die mehrfachen Keimflecke 
deutet G. als die vergrösserten Kernkörperchen der verschmolzenen Kerne. 
Erst spät tritt der bindegewebige Antheil des Ovariums auf, indem vom 
Ovarial-Gekröse aus Scheidewände zwischen die Follikel hineinwachsen. Letz- 
tere zeigen sich, nachdem sie einmal kenntlich geworden sind, von stark ab- 
seplatteten Zellen ausgekleidet. Nachdem die Hülle des Ovariums sich ge- 
bildet hat, fehlt ein oberflächliches Epithel, von welchem aus Schlauchproli- 
ferationen abzuleiten wären; es fehlt auch ein Bindegewebsstroma, in welches 
Schläuche hineinzuwachsen vermöchten. G. stellt daher WALDEYEr’s bezüg- 
liche Angaben für die Amphibien ebenso in Abrede, als Ref. es für die 
Knochenfische gethan hat. 

Das fernere Wachsthum des Dotters leitet sich ein durch das Auftreten 
von Häufchen gelber, stark lichtbrechender Körmer an der Eiperipherie. 
- Schichtenweise sich anlagernd vermehren sie die Dottermasse und machen 
‚dieselbe undurchsichtig. .GorTTE fasst diese Schichten als Sekret der Fol- 
likelwand auf, und er vergleicht die Dotterbildung der Sekretbildung in an- 
derweitigen Drüsen. An Eiern von ca. !/, mm. tritt die Dotterhaut auf als 
accessorische, anfangs halbflüssige Substanz, und noch später erscheint das 
Pigment. Referent vermisst hier Angaben über die Zeiten der Beobachtung. 
Da nach seinen eigenen Erfahrungen über die Entwicklung des Hühnereies 
und des Knochenfischeies der Process der Dotteranhäufung nur in ganz be- 
stimmten Perioden und im Allgemeinen sehr rasch erfolgt, hält er jene Dar- 
stellungen, welche beliebige Eier verschiedener Grösse zu Reihen combini- 
ren, ohne genauere Bestimmung der jeweiligen Entwicklungsphasen für nicht 
entscheidend in der Frage der Dotterbildung. Was das Froschovarium betrifft, 
so haben ihm die, unter seinen Augen angestellten Beobachtungen des Herrn 
SeRSSEL gezeigt, dass zur Brunstzeit die Follikel von zahlreichen beweglichen 
Leukocyten umgeben sind, von welchen in anderen Zeiten Nichts wahr- 
genommen wird. 

An Eiern von 1!/, mm. tritt eine Schrumpfung des Keimbläschens ein 
(die Beobachtung bezieht sich wohl auf Erhärtungspräparate), Flüssigkeit und 
feste Bestandtheile scheiden sich, die Flüssigkeit durchbricht den Dotter und 
dringt an’ dessen Oberfläche vor; körnige Masse des Dotters durchsetzt den 
zurückbleibenden Theil des Keimbläschens, an dem mittlerweile Membran 
und Keimflecke sich gelöst haben. Als Endergebniss der Metamorphose be- 
trachtet Goertz die Bildung eines Keims, welcher aus einer gleich- 
artigen und in keinem Theile organisirten Masse besteht. Das 
befruchtete Ei ist ihm weder im Ganzen noch zum Theil, weder nach 
der Entstehung noch nach der fertigen Erscheinung 'eine Zelle. Keim- 


302 Besprechungen. 


bläschen und Dotter hatten in seinem Auge schon vor ihrer Mengung die- 
selbe Zusammensetzung und die allfälligen Differenzen derselben mussten durch 
Endosmose ausgeglichen werden. 

Ec sind dies Aussprüche, welche trotz des principiellen Werthes, den 
GoerTE darauf legt, doch sehr grundlos erscheinen, denn homogen darf man 
ein Gemenge so verschiedenartiger chemischer Bestandtheile, von denen die 
einen gelöst, die anderen ungelöst sind, doch sicherlich nicht nennen, und 
was die Bezeichnung ‚„unorganisirt‘“ betrifft, so dürfte diese doch nur unter 
der Restrietion angewendet werden, dass sie sich auf eine morphologisch 
nachweisbare Structur bezieht. 

Seine Grundanschauung auf andere Wirbelthiereier übertragend nimmt 
G. an, dass durchweg der Follikelinhalt zu einer homogenen Masse werde, 
und dass demnach auch die Unterscheidung von Haupt- und Nebendotter, wie 
sie, im Anschluss an den Ref, WALDEYER angenommen hatte, zu verwerfen 
sei. In Uebereinstimmung damit glaubt er sodann jene, angeblich nach- 
trägliche Durchfurchung der ausser dem Keim liegenden Bestandtheile des 
Vogeleies bringen zu können, deren fehlerhafte Begründung Ref. in einem 
anderen Aufsatze dieses Heftes dargethan hat. Der Satz, dass die ursprüng- 
liche Dottersubstanz eine formlose, nicht lebensfähige Masse, eine blosse An- 
häufung von Follikelsekret sei, bildet auch die Grundlage der nachfolgen- 
den Betrachtungen über Dottertheilung, und es ist nicht leicht zu sagen, 
ob bei GorTTE dieser einschneidende Satz die Folge, oder ob er ein zuvor 
vorhandener Hintergrund der dargestellten Beobachtungen ist. 

Die Schilderung GoErrE’s von den ersten Furchungsvorgängen enthält 
ein interessantes und vielfach neues Detail und es ist gerade hier zu be- 
dauern, dass die Methoden der Präparation und die Controlen zur Sicherung 
gegen Präparationsergebnisse nicht, oder doch nur höchst fragmentarisch mit- 
getheilt sind. Nachdem das Keimbläschen als selbstständige Bildung zer- 
fallen ist, und noch zur Zeit, da die Reste desselben sichtbar sind, gränzt 
sich im Innern des Dotters ein neues Gebilde, der Dotterkern ab, der, an- 
fänglich mehr centra) liegend, der oberen Eifläche allmälig nahe rückt. Auch 
der Dotterkern ist mdess nur ein vergängliches Gebilde; in seinem Innern 
entsteht ein heller, von feinkörniger Masse umgebener Fleck, den GorrTE 
den „ersten Lebenskeim“ nennt und mit dessen Erscheinen die Abgränzung 
des Dotterkernes schwindet. Während derselbe erscheint, verschiebt sich die 
peripherische Pigmentlage im der Richtung gegen den oberen Eipol und das- 
selbe geschieht mit einer aus kleinen Körnergruppen bestehenden Lage, 
welche unter der Pigmentschicht und von ihr durch eine hellere Dotterrinde 
geschieden ist. 

Der „Lebenskeim“ ist ein Vorgebilde neuer Kerne, geht indess nach 
GorrTE nicht als solcher m jene über. Er besteht aus einer weichen, durch- 


Besprechungen. 303 


scheinenden Masse von etwa 30 u Dm., welche sich ohne scharfe Gränzen an 
einen körnigen Hof anschliesst. Bald tritt eine quere Theilung der Masse ein, 
wobei diese nach Art eines sich theilenden zähen Tropfens in 2 Abtheilungen 
zerfällt. Diese hängen, während sie auseinander rücken, in der Mitte noch 
durch einen biconischen Verbindungsfaden zusammen, und erst nach dessen 
Zerreissung runden sie sich wiederum ab. Der Lebenskeimscheidung geht die 
Streckung und Einfurchung ihres körnigen Hofes voraus. Im Innern der 
Dottermasse tritt alsdann die erste Spaltung auf: die gröberen Dotterelemente 
weichen auseinander, lassen eine dünne Lage hyaliner Substanz zurück und 
in dieser erscheint eine zarte dunkle Trennungslinie. Dass bei der Scheidung 
der Dotterkörner eine eigenthümliche Richtung nach gebogenen, gegen die 
beiden Centren convergirenden Linien stattfindet, zeigt Fig. 16 der Tafel 1, 
welche sich den ähnlichen von AUERBACH, STRASSBURGER U. A. gegebenen 
Darstellungen anschliesst. Ueber der entstandenen Trennungslinie sinkt die 
Oberfläche ein, und es ist somit die äussere Furchenbildung nicht der pri- 
märe sondern der secundäre Vorgang. Im Innern des „Lebenskeims“ treten 
einzelne kleinere Kugeln auf, die „Kernkeime“, von etwa 3 uw Dm. Sie 
vermehren sich, brauchen die Lebenskeimmasse auf, verschmelzen dann mit- 
einander und bilden nunmehr die definitiven lebensfähisen Kerne, welche in 
der Folge durch Sprossung (resp. Theilung) sich vervielfältigen. — Spätere 
Untersuchungen werden zu entscheiden haben, ob nicht einzelne der beschrie- 
benen Verhältnisse auf Reagenzwirkung sich zurückführen lassen, im Gan- 
zen und Grossen darf man wohl den Vorgang einer Kernneubildung als ge- 
sichert ansehen, und es schliessen sich Gorrre’s Erfahrungen denen von 
FLEMMING, AUERBACH, STRASSBURGER u. A. in befriedigender Weise an. 
Wenn ferner für den Vorgang der Dottertheilung Anziehungskräfte bean- 
sprucht werden, welche von den Kernen oder ihren Vorläufern ausgehen, so 
seht eine solche Annahme aus den Erscheinungen selbst und besonders aus der 
eisenthümlichen Körnerrichtung in ungezwungener Weise hervor, und die aus 
dieser Annahme abgeleitete Erklärung einer Anzahl von Einzelvorgängen 
(S. 80) erscheint bis auf Weiteres befriedigend. 

Die weitergehenden Vermuthungen Gorrre’s über das Wesen des Dotter- 
umwandlungsprocesses muss Referent als verfehlt ansehen. @. nennt das ur- 
sprüngliche Eiprotoplasma gemäss seiner oben erörterten Grundvorstellung 
unreif und lebensunfähig (S. 103), er spricht ihm, sowie den aus ihm zu- 
nächst entstehenden Dotterstücken einen Stoffwechsel ab (S. 78). Im dieser 
ursprünglich unthätigen Masse sollen nun die verschiedenen Ausscheidungen 
und Spaltungen als Folge endosmotischer Processe sich ergeben. Radiär 
gerichtete Diffusionsströme des in das Ei eindringenden Wassers, Lösung 
der Dotterkörner durch das letztere u. a. m. werden herbeigezogen, um 
eine Theorie der Lebenskeimbildung, der Kermbildung u. s. w. zu schaffen. 


304 Besprechungen. 


Die Schwächen dieses theoretischen Versuches liegen zu sehr auf der Hand, 
als dass ein Eintreten in Einzelheiten erforderlich wäre. Bei der im Wesent- 
lichen sicherlich vorhandenen Uebereinstimmung in den ersten Vorgängen 
der Dotterumbildung kann keinesfalls ein so specielles Moment wie das ein- 
dringende Wasser eine Hauptrolle spielen. Machen doch nicht einmal alle 
Amphibieneier ihre Entwicklung in diesem Medium durch, und müsste bei 
Richtigkeit der Gorrre’schen Theorie die Entwicklung des Landsalamanders 
principieil von derjenigen der Unke oder des Triton unterschieden werden. 
Dotterkörner und Dotterplättchen sind in Wasser überhaupt unlöslich. Ueber 
das Eindringen von Wasser in das Eiprotoplasma wissen wir auch bei Ba- 
trachiern thatsächlich zu wenig, um irgendwie tiefer greifende Schlüsse dar- 
auf begründen zu können und, da die Eier von Alytes ihre erste Entwicke- 
lung ausserhalb des Wassers” dnrchmachen, erscheint ein Wassereintritt in 
das Batrachierei, wenn nicht unwahrscheinlich, so doch zum Mindesten 
unwesentlich. — GoErrE überschätzt hier wie auch in manchen seiner 
späteren theoretischen Versuche das, was er, oder richtiger vielleicht was 
die heutige Wissenschaft zu leisten vermag. Das Wesen der im sich 
entwickelnden Eiprotoplasma ablaufenden Processe zu entwirren, reichen unsere 
morphologischen Hilfsmittel und reichen auch ein paar elementare Vorstellun- 
sen über Diffusion krystalloider Substanzen lange nicht aus. 

Weit entfernt eine homogene Masse zu sein, ist der Eileib, denn so 
dürfen wir ihn im Gegensatz zu Goertz allerdings nennen, ein complicirtes 
chemisches Bauwerk, in welchem ausser den eiweissartigen Substanzen noclı 
eine Reihe von integrirenden Bestandtheilen hohen Moleculargewichtes vor- 
handen sind: Lecithinstoffe, Nucleinstoffe, Cerebrin, Fett u. s. w. und man darf 
sich billig fragen, ob in diesem Bauwerk eine Moleculargruppirung mit stabi- 
lem Gleiehgewicht überhaupt denkbar sei. Möglich, dass mit der Zeit die 
Histochemie uns den Schlüssel zum Verständniss der Dotterumbildung gewäh- 
ren wird, vorerst stehen wir noch vor der Thür des Laboratoriums, und be- 
kommen durch die der morphologischen Forschung geöffneten Ritzen nur einen 
schwachen Einblick von dem, was im Innern vorgeht. 

Die Bildung der Keimblätter. Das bekannte Verhältniss, wonach 
bei Ablauf der Furchung die Furchungshöhle oder Keimhöhle von einer 
dünnen Decke kleinerer, ihr Boden von einem dieken Kiumpen grösserer 
Zellen gebildet wird, wird auch von GorrrE mit guten Durschschnittsbildern 
belegt. Die Zellen der einen und der anderen Art unterscheidet er als 
Embryonal- und als Dotterzellen. Jene sind pigmentirt und in zwei- 
bis dreifachen Lagen angeordnet. Die Gesammtheit derselben fasst er in 
dieser früheren Zeit zusammen als primäre Keimschicht. Der Rand der 
primären Keimschicht greift über die Masse der Dotterzellen etwas über und 
er besteht aus Zellen, welche durch ihre Grösse und geringere Pigmentirung den 


Besprechungen. 151075) 


Uebergang zu Dotterzellen bilden. Durch „Anpassung der Uebergangsformen“ 
dehnt sich die Keimschicht nach abwärts aus, gränzt sich scharf ab, und 
zeigt nunmehr eine verdünnte Mitte und einen verdiekten Randwulst. Eine 
Furche tritt unter der Gränze des letzteren auf, welche sich bald vertieft, 
und sie scheidet die Innenfläche des Wulstes von der Dottermässe. Eine 
Eiseite eilt dabei der anderen voraus. Durch Vorrücken des Randwulstes 
schliesst sich die Keimschieht mehr und mehr zur Kugel, und die die Dotter- 
masse umgebende Oeffnung, die Rusconrt’sche Oeffnung, verengt sich, schnürt 
den Dotterpropfen ab, und drängt ihn schliesslich ins Innere. 

GOETTE versucht nun die Ursachen dieser Hergänge aufzufinden. Er 
erklärt die Bildung und allmälise Abwärtsschiebung des Randwulstes 
bedingt durch eine „centrifugale Wanderung der Embryonalzellen“ Nach 
diesem Ausdruck möchte man glauben, dass GorrrE an active Loco- 
motionen der Zellen denkt, allein wenn ihn Ref. anders recht versteht, so 
sind damit die Verschiebungen gemeint, welche als Folgen der Zellönvermeh- 
rung eintreten. G. geht (S. 139 u. f.) davon aus, dass mit der Theilung 
einer kugligen Zelle in zwei gleichfalls kuglige Zellen, der von letzteren ein- 
genommene Flächenraum wächst, vorausgesetzt, dass die Kugeln neben einan- 
der liegen bleiben.!) Dass dies Princip zur Erklärung der Flächenausdehnung 
der Keimschichten und zugleich zu derjenigen ihrer centralen Verdünnung 
verwerthbar ist, scheint Ref. kaum zu bezweifeln. Es kann ferner die Um- 
lesung der Ränder der Keimschicht aus der durch den Zusammenhang mit 
der Dottermasse gesetzten Ausdehnungshemmung abgeleitet werden. Man er- 
wartet nun, dass die untere oder secundäre Keimschicht aus dem eingeschla- 
genen Randtheile der sich ausdehnenden primären Schicht hervorgeht, und 
die von GorrrE auf Taf. II. mitgetheilten Figuren lassen sich wohl damit 
in Uebereinstimmung bringen. GorrTE verwahrt sich indess unter Berufung 
auf das Aussenbleiben des Pigments gegen diese Auffassung (S. 127) und 
er statuirt dafür eine „Rückwärtsbewegung der an der Innenseite des Rand- 
wulstes im Ueberfluss angehäuften Zellen“. Die Verschiebung beider Schichten 
von einander ist die Ursache ihrer Scheidung (man vergl. des Ref. für letz- 
ten Punkt conforme Bemerkungen über den Fischkeim S. 15 dieser Zeit- 
schrift). 

Die Darstellung GoErre’s ist schwer verständlich besonders dadurch, 
dass er gewisse Worte, wie z. B. das Wort „Wanderung“, in anderem als 
dem üblichen Sinne gebraucht. Ref. glaubt im Obigen GoETTE richtig wie- 
dergegeben zu haben, indess hat er sich durch mannigfache Widersprüche 
des Wortlautes hindurcharbeiten müssen, und auch so stösst er noch auf 


1) Die Summe der Durchmesser zweier gleich grosser Kugeln ist in runder 
Zahl 1,6 mal so gross als der Durchmesser einer einzigen Kugel von deren ver- 


einigstem Volum. 
Zeitschrift f. Anatomie. Bd. I. 20 


306 Besprechungen. 


Stellen, welche mit der obigen Wiedergabe kaum zu vereinen sind. 8. 154 
z. B. spricht Gorrrs von der „Ueberwanderung der Elemente aus der pri- 
mären in die secundäre Keimschicht“, während Ref. nur von einer Scheidung 
beider Schichten zu hören erwartete; noch schwerer zu verstehen ist es, wenn 
p. 155 von einer Zellenanhäufung im Rückentheile die Rede ist, welche 
„ganz offenbar von der Bauchseite herkommt“. Weit klarer und überzeugen- 
der wäre GorrrE’s Darstellung ausgefallen, wenn dieser Forscher sich ent- 
schlossen hätte, durch eine passende Reihe von Messungen und Zählungen 
seine Ansichten zu erhärten. 

Zwischen dem Dotterklumpen und der secundären Keimschicht bildet 
sich mit zunehmender Ausbildung der letzteren eine Uebergangsfalte aus, 
welche sich in der Folge nach oben vorschiebt und mehr und mehr die 
Keimhöhle verschliesst. Nunmehr sind (Taf. II. 35) im der hinteren Hälfte 
der Kugel drei sich überlagernde flache Schichten vorhanden, welche den 
Schenkelh eines zusammengepressten & vergleichbar, je unter einander ver- 
bunden sind. Es sind dies: 

1) die primäre Keimschicht, 
2) die secundäre - Keimschicht, 
3) das Uebergangsstück. 

1 liegt unmittelbar auf 2 und biegt in letztere am Rand der husconr’schen 
Oeffnung um. Zwischen 2 und 3 liegt die spaltförmige Anlage des Primitiv- 
darmes, vor deren erweitertem Ende der Uebergang beider Schichten in 
einander stattfindet. 

Von der primären Schicht, der Anlage des oberen Keimblattes, scheidet 
sich frühzeitig die pigmentreiche oberflächlichste Lage als Deckschicht, 
den zurückbleibenden Theil nennt Goertz Grundschicht; von der secun- 
dären Schicht hebt sich die tiefste Zellenlage als Darmblatt (Darmdrüsen- 
blatt, Remax) ab, der Rest der letzteren wird zum mittleren Keimblatt. 
Der Deckschicht (Reıckerr’s Umhüllungshaut, Srricker’s Hornblatt) vindieirt 
(@. nicht die Stellung eines besonderen Keimblattes, indem er mit Recht darauf 
aufınerksam macht, dass ihr nicht einmal die Bildung der Epidermisdecke als 
selbstständige Leistung zukommt. Auch macht er die interessante Mitthei- 
lung, dass die Sonderung jener Schicht beim Landsalamander fehlt. Danach 
scheint die Schicht ein Attribut jener Keime zu sein, welche sich im Wasser 
entwickeln und sie ist vielleicht einfach als Folge der Wassereinwirkung 
auf die oberflächlichst liegenden Zellen zu verstehen. 


(Fortsetzung folgt im nächsten Heft.) 


Ueber die Ernährungskanäle der Knochen und das 
Knochenwachsthum. 


Von 
Professor G. Schwalbe. 


(Hierzu Tafel XV u. XVI.) 


Bei der Erörterung der Frage nach dem Modus des Knochenwachs- 
thums, an deren Beantwortung bereits so viele Forscher mit grossem 
Scharfsinn gearbeitet haben, ist bisher vor Allem ein Moment so gut 
wie ganz ausser Rechnung gelassen, nämlich der innise Zusammenhang 
zwischen Längen- und Dickenwachsthum, die Abhängigkeit, in welcher 
letzteres sich ersterem gegenüber befindet, eine Abhängiskeit, die, wie 
ich unten zeigen werde, die deutlichsten Spuren in dem Aufbau der 
compacten Substanz hinterlässt, die Anordnung der Havrrs’schen 
Kanälchen und die Richtung der Ernährungskanäle innerhalb der 
Diaphysenrinde beherrscht. Gerade die letzten Kanäle waren es, 
welche mir diese Erkenntniss verschafiten; die Untersuchung der Ur- 
sachen ihrer Neigung und Richtung, welche mein Interesse seit län- 
serer Zeit in Anspruch genommen hatten, war nicht möglich, ohne 
der Frage nach der Art und Weise des Knochenwachsthums im All- 
gemeinen näher zu treten, sie versprach auch für die Lösung dieser 
schwierigen Aufgabe neue Gesichtspunkte So unternahm ich denn 
zunächst die Erforschung der Ursachen, welche Richtung und Neigung 
der canales nutritii zu Grunde liegen. Ich glaube diese Aufgabe, an 
der sich bereits HuMmPHrY versucht hat, in der befriedigendsten Weise 
gelöst zu haben und werde in der ersten Hälfte dieser Abhandlung 


in Kürze meine Theorie der Ernährungskanäle entwickeln und in 
Zeitschrift f. Anatomie. Bd. I. 21 


308 G. SCHWALBE. 


ihren Consequenzen erläutern. Man wird dabei bald zur Erkenntniss 
kommen, dass eine alle Erscheinungen vereinigende Erklärung nur von 
Seiten der Appositions- und Resorptionstheorie möglich ist, dass ein 
interstitielles Wachsthum, welches den Gesammtaufbau des Knochens 
beherrsche, wie dies WOLFF!) statuirt, oder ein solches, welches neben 
Apposition vom Periost und den Diaphysenenden wichtige morpho- 
logische Veränderungen am Knochen hervorrufe, wie dies mit der 
Bildung der Markhöhle der Röhrenknochen nach STRELZOFF?) der 
Fall ist, nicht stattfinden kann, weil es eine wesentlich andere An- 
ordnung der compacten Substanz, einen anderen Verlauf der in der- 
selben eingeschlossenen Kanäle und Kanälchen bedingen würde, als 
es thatsächlich der Fall ist. Gegen diese beiden Anschauungen von 
WOLFF und STRELZOFF werden sich deshalb vorzugsweise meine in 
der zweiten Hälfte dieser Abhandlung niedergelesten Bemerkungen 
über das Knochenwachsthum wenden. Die Frage, ob locale inter- 
stitielle Processe, sei es am Verknöcherungsrande, sei es an anderen 
Localitäten des wachsenden Knochens neben dem formgestaltenden 
appositionellen Wachsthum vorkommen, habe ich einstweilen nicht in 
den Kreis meiner Untersuchungen gezogen und kann mich daher we- 
der dafür noch dagegen aussprechen, betone aber nochmals, dass, wenn 
sie vorkommen, sie nichts mit den Erscheinungen zu thun haben, 
welche WOLFF und STRELZOFF aus einem interstitiellen Wachsthum 
erklären. Alle diese Erscheinungen lassen sich vielmehr einfach auf 
die Beeinflussung des Dickenwachsthums durch das Längenwachsthum 
zurückführen. Die Geschichte der Ernährungskanäle zeigt uns klar 
den Weg zur Erkenntniss dieser Thatsache. Mit ihrer Darstellung 
beginne ich daher meine Mittheilung, die man als den Vorläufer einer 
grösseren Arbeit über das Knochenwachsthum betrachten möge, mit 
der ich zur Zeit, beschäftigt bin. 


Schon vor längerer Zeit machte BERARD?) darauf aufmerksam, 
dass in den langen Röhrenknochen der Extremitäten immer dasjenige 
Epiphysen-Ende, gegen welches der Ernährungskanal gerichtet ist, sich 
zuerst mit der Diaphyse vereinigt und schloss auf einen causalen Zu- 


l) Siehe dessen Arbeiten in VırcHow’s Archiv Bd. 50 S. 389, Bd. 61 S. 417 
und in der Berliner klinischen Wochenschrift 1875 No. 6. 


2) Ueber die Histogenese der Knochen. Untersuehungen aus d. pathol. In- 
stitut zu Zürich, herausgegeben von EBERTH, 1873 S. 1—94 und: Genetische und 
topographische Studien des Knochenwachsthums. Ebenda, 2. Heft, 1874. S.59— 184. 


3) Archives generales de medeeine. Vol. VII. 


Ueber die Ernährungskanäle der Knochen und das Knochenwachsthum. 309 


sammenhang beider Befunde HumpHry!) bestätigte diesen Satz, for- 
mulirte ihn schärfer und baute auf ihm eine Theorie der Ernährungs- 
kanäle auf, welche, von KOELLIKER?) acceptirt, von ÖLLIER?) ver- 
worfen, bis jetzt als der einzige Versuch zu betrachten ist, die Rich- 
tung der Ernährungskanäle einer exacten Erforschung ihrer Ursachen 
zugänglich zu machen. HumpHry’s Theorie ist mittelst des Schema 
Fig. 1 (Taf. XV) sofort zu verstehen. Die Pfeile deuten die Richtung 
der Ernährungskanäle an; diejenigen Kanäle, deren äussere Oefinung 
dem proximalen Knochenende näher liegt, werde ich hinfort als ab- 
steigend, diejenigen, bei denen die äussere Oefinung die distale ist, 
als aufsteigend bezeichnen. Wenn nun, wie dies nach der Appo- 
sitionstheorie der Fall ist, die langen Knochen sowohl an den Epiphy- 
sengrenzen der Diaphyse, wie an der dem Periost zugewandten Ober- 
fläche, immer neues Material ansetzen und auf diese Weise in die 
Länge und Dicke wachsen, wenn ferner das Längenwachsthum an 
beiden Enden der Diaphyse eine verschiedene Intensität besitzt, das 
Periost aber (wie dies OLLIER*) nachgewiesen hat) interstitiell sich 
vergrössert, so muss nothwendiger Weise von Seiten des schneller 
wachsenden Diaphysenendes (in unserer Figur durch einen rothen 
Kreis besonders hervorgehoben) auf das Periost ein Zug ausgeübt 
werden, der natürlich die dasselbe durchsetzende Ernährungsarterie mit 
betrifft und sie fest an jenes Diaphysenende heranzieht; auf diese 
Weise muss, da die Umgebung der Arterie nach und nach ossificirt, 
der dieselbe bergende Kanal ebenfalls eine schiefe Richtung erhalten 
und seine äussere Mündung muss dann immer näher dem schneller 
wachsenden Ende der Diaphyse liegen. Da nun nach ÖOLLIER'S und 
HumpHrry’s Experimenten Humerus, Tibia und Fibula am oberen Ende, 
Radius und Ulna, sowie das Femur am unteren Ende rascher wachsen, 
so wird’in jenen der Kanal eine absteigende, in den letzten 3 Knochen 
dagegen eine aufsteigende Richtung besitzen, wie dies in der That 
bei erwachsenen Knochen sich gewöhnlich findet. 

So einfach und bestechend auch dieser Erklärungsversuch erscheint, 
er trägt dennoch nicht allen Thatsachen Rechnung und ist durch 


!) Observations on the growth of the long bones and ofstumps. Medico- 
‘chirurgical transactions. Vol. 44. 1861. p. 117 ff. 

2) Die normale: Resorption des Knochengewebes und ihre Bedeutung für 
die Entstehung der typischen Knochenformen. Leipzig 1873. 8. 70. 

3) Traite experimental et clinique de la regeneration des os. T. 1. 
p. 370, 3711. 

%) Recherches experimentales sur le mode d’accroissement des os. Archives 
de physiol. V. 1873. p. 33—35. 

2 


310 G. SCHWALBE. 


einen besseren zu ersetzen. Schon OLLIER!) theilte mit, dass im Fe- 
mur des Kaninchens die Richtung des Ernährungskanales eine ab- 
steigende sei, obwohl man das Umgekehrte nach der Humpary’schen 
Theorie erwarten sollte, da gerade für dies Thier ein rascheres Wachs- 
thum des Femur an seinem distalen Ende zweifellos experimentell 
nachgewiesen ist. Im Femur des Ochsen, des Pferdes ist ferner die 
Richtung des Ernährungskanals bald aufsteigend, bald absteigend. 
Ich selbst kann diese Beispiele noch vermehren, begnüge mich aber 
an diesem Orte damit, darauf hinzuweisen, dass auch beim Menschen 
mehrfach Abweichungen von der typischen Richtung der Ernährungs- 
kanäle beobachtet werden; so fand ich in der Fibula den Kanal ziem- 
lich häufig aufsteigend, in der Tibia neben dem absteigenden zuweilen 
noch einen unteren aufsteigenden Kanal. 

Man sieht aus Allem, die Humpnry’sche Theorie genügt nicht 
zu einer allseitig befriedigenden Erklärung. Der Grund dieses Uebel- 
standes ist nun einfach darin zu suchen, dass für die Richtung des 
Ernährungskanals nicht nur das schneller wachsende Diaphysenende 
von Bedeutung ist; auch das langsamer wachsende wird unter Um- 
ständen, wie ich gleich zeigen werde, die äussere Oefinung des Kana- 
les zu sich heranziehen, falls diese nur nahe genug liegt. Ausser den 
beiden von HumPpHary für die Erklärung jener Richtung herangezogenen 
Thatsachen: 1) dem ungleichen Längenwachsthum beider Diaphysen- 
enden und 2) dem interstitiellen Wachsthum des Periosts kommt also 
noch in Betracht: 3) die ursprüngliche Lage der äusseren Oefinung 
des Ernährungskanals und, wie ich gleich hinzufügen will, für die 
Erklärung der verschiedenen Neigung, auch noch 4) das Verhältniss 
des Dickenwachsthums zum Längenwachsthum. 

Ich werde unten ‘diese 4 Factoren, die Voraussetzungen meiner 
Theorie noch kurz behandeln und ihre Existenz vollkommen sicher , 
stellen, soweit dies nicht schon durch die schönen experimentellen 
Untersuchungen von ÖLLIER geschehen ist. Hier will ich gleich auf 
den Kern der Sache eingehen und gestützt auf jene thatsächlichen 
Verhältnisse, theoretisch beweisen, wie sich bei jeder der beiden sich 
befehdenden Knochenwachsthumstheorien das Schicksal der Ernährungs- 
kanäle gestalten muss. Ich beginne die Auseinandersetzung an einem 
Entwicklungsstadium, welches etwa dem Ende des dritten embryonalen 
Monats entsprechen mag. In diesem ist die Knochenrinde der Dia- 
physe der Röhrenknochen ein dünner Cylindermantel, an einer Stelle 
von einer makroskopisch sichtbaren Oefinung durchbohrt, die nahezu 


I) Traite experimental T. I. p. 366. 


Ueber die Ernährungskanäle der Knochen und das Knochenwachsthum. 311 


senkrecht zur Längsaxe die Knochenrinde durchsetzt, und zwar so, 
dass sie eher aufsteigend, wie absteigend ist (s. unten). Es ist dem- 
nach in diesem Stadium die äussere Oeffnung des Ernährungskanals 
nahezu in derselben Höhe, wie die innere gelegen. 

Es findet nun, wie durch OLLIER und andere bewiesen ist, an 
den Röhrenknochen der Extremitäten ein Längenwachsthum der Art 
statt, dass beide Diaphysenenden sich in ungleichem Maasse verlängern. 
Diese Verlängerung kann — wenn wir uns einstweilen auf einen un- 
befangenen neutralen Standpunkt stellen — interstitiell oder apposi- 
tionell geschehen; im ersteren Falle allerdings nur ungleichmässig in 
der Art, dass das eine Ende rascher interstitiell zunimmt, wie das 
andere. In beiden Fällen muss, wie dies aus folgenden Thatsachen 
hervorgeht, ein Zug auf das die Diaphyse bekleidende Periost ausgeübt 
werden. Man kann sich leicht von der Thatsache überzeugen, dass 
das Periost an den Epiphysenenden des wachsenden Knochens seine 
stärkste Befestigung besitzt, auf der Diaphyse zwar organisch mit der 
Knochensubstanz verbunden, aber doch im geringen Grade verschieb- 
bar ist. Es besitzt überdies hier einen beträchtlichen Grad elastischer 
Spannung; dern wenn man einen tangentialen Längsschnitt der ent- 
kalkten Diaphyse mit seinem Periostüberzuge sich selbst überlässt, so 
schnurrt letzterer zusammen und rollt die Knochenlamelle nach aussen 
um. Es lässt sich auch das embryonale Periost ziemlich leicht vom 
grössten Theile der Diaphyse abziehen; nur an den Knochenkanten, 
z. B. an einigen Stellen der Linea aspera femoris haftet es fester und 
ist hier von dem jungen Knochen kaum ohne Verletzung des letzteren 
zu trennen. An älteren Knochen ist die Ablösbarkeit des Periosts 
eine grössere. Es finden sich hier vollständig freie Spalten zwi- 
schen Periost und Knochenoberfläche. Mit dem Epiphysenknorpel 
dagegen verschmilzt die Knochenhaut continuirlich und ist hier 
ohne Zerreissung des Knorpels nicht abzulösen. Ihre Intercellular- 
substanz und ihre Zellen gehen unter allmäliger Umwandlung in 
die Grundsubstanz und Zellen der Knorpels über. Es entspricht diese 
Stelle der neuerdings von RANVIER!) als encoche d’ossification be- 
schriebenen mehr oder weniger starken periostalen Einschnürung des 
Epiphysenknorpels. Da ich in einer ausführlichen Arbeit auf diese 
Verhältnisse genauer zurückkomme, so sei hier nur bemerkt, dass 
die Zone der Knorpelzellensäulen sich zwischen dieser Einschnürung 
und dem Ossificationsrande der Diaphyse befindet, dass die Bilder, 


I) Quelques faits relatifs au developpement du tissu osseux. Comptes ren- 
gas D. 77. p. 11054. 


312 G. SCHWALBE. 


welche die Verbindungsstelle zwischen Periost und Knorpel darbieten, 
kaum eine andere Deutung gestatten, als die, welche BrucH !) ihnen 
schon vor Jahren gab, nämlich dass von hier aus der embryonale 
Knorpel appositionell wächst, indem an ihn sich immer neues Zellen- 
material anlegt, das durch interstitielle Vermehrung der Grundsubstanz 
allmälig zerstreut wird. Die durch Combination beider Vorgänge be- 
wirkte Volumzunahme des Epiphysenknorpels betrifft, wie meine Mes- 
sungen ergeben haben, mehr eine Ausdehnung des Knorpels in seinen 
Querdurchmessern, als in der Richtung der Längsaxe des Knochens. 
Zwar wird der Verlust, welchen der Epiphysenknorpel durch Verbrauch 
bei der endochondralen Ossification erleidet, übercompensirt durch eine 
absolute Zunahme seiner Höhe; diese ist aber doch nicht so bedeutend, 
dass das Verhältniss zwischen Länge der Epiphyse und Diaphyse beim 
weiteren Wachsthum dasselbe bliebe; es findet vielmehr, wie bereits 
LANGER?) gezeigt hat und ich bestätigen kann, trotz fortdauernden 
Wachsthums der Epiphysen, eine relative Abnahme ihrer Höhe in 
Vergleich mit der Länge der Diaphyse statt, die um so bemerkbarer 
wird, je älter der untersuchte Knochen ist. 

Wir ersehen also aus diesem Exceurse, dass das elastische, an 
seinen Enden fixirte, auf der Diaphyse dagegen verschiebbare Periost 
durch die gegen die Epiphysenknorpel andringenden wachsenden Dia- 
physenenden gedehnt werden muss. Wie wirkt diese Dehnung auf die 
einzelnen Theilchen des Periosts? Denken wir uns dasselbe zunächst als 
ein frei, ohne Reibung bewegliches elastisches Band, an dessen beiden 
Enden ein Zug in entgegengesetzter Richtung ausgeübt wird, so wer- 
den die einzelnen Theilchen nach vollendeter Spannung, sofern diese die 
Rlastieitätsgrenze nicht überschritt, einen vergrösserten, aber gleichen 
Abstand von einander zeigen. Dies im Auge behalten, ergibt sich 
von selbst durch eine einfache Construction, wie sich die Lage der 
einzelnen Theilchen des Periosts eines Entwicklungsstadiums auf der 
_ Oberfläche eines weiter entwickelten Knochens gestalten wird, voraus- 
gesetzt wieder, dass keine Hemmung durch Reibung stattfindet. Neh- 
men wir zunächst den einfachen Fall, wie er in Fig. 2 (Taf. XV) dar- 
gestellt ist, in welcher das Periost ab des jüngeren Knochens bis zur 
Erreichung des älteren Stadiums cd an jedem Ende um ein gleiches 
Stück ec, resp. fd = 40 mm. verlängert ist, ein Fall, der bei glei- 


1) Beiträge zur Entwickelungsgeschichte des Knochensystems. Denkschriften 
der allgem. schweiz. naturf. Gesellsch. XII. Bd. 1852. S. 36. 

2) Wachsthum des menschlichen Skelets mit Bezug auf den Riesen. Denk- 
schriften der Wiener Akademie. Bd. 21. 1871. 8. 58—72. 


Ueber die Ernährungskanäle der Knochen und das Knochenwachsthum. 313 


chem Wachsthum beider Diaphysen-Enden eintreten muss. Man theile 
ab (= 40 mm.) in 8 Theile, deren jeder 5 mm. misst, ebenso cd 
(= 120 mm.) in 8 Theile, deren jeder 15 mm. lang ist. ae, resp. 
bf bedeuten die Dicke des Knochens. Die Punkte O bis 8 in ab sind 
dann in cd mehr oder weniger beträchtlich verschoben; sie liegen 
in 0’ bis VIII. Man sieht, nur der mittelste Punkt 4 hat keine 
Verschiebung erlitten; ich will ein für alle Mal diesen Punkt des 
Periosts, welcher beim Wachsthum keine Verschiebung erleidet, als 
den neutralen oder indifferenten Punkt bezeichnen. In unserem 
Falle verschieben sich die einzelnen Theilchen, immer in gleichem 
Abstande von einander, von diesem neutralen Punkte aus nach beiden 
Knochenenden, also in entgegengesetzter Richtung, und zwar um so be- 
deutender, je näher sie dem dehnenden Diaphysenende liegen. 3 ver- 
schiebt sich um 10 mm., 2 um 20, 1 um 30 und 0 um 40 mm. Die 
Verschiebungen nehmen also in arithmetischer Progression nach bei- 
den Enden hin zu. Das Gesammtbild der Verschiebungen lässt sich 
dann durch folgende Reihe veranschaulichen: 


40 
30 
20 
10 
= 0 
= — 10 
20 
= — 
— —_- 40 


1 OP VmNm m oO 
I I | 
| ++4+ 


(00) 


Die Wege, welche die einzelnen Punkte vom Stadium ad bis 
zum Stadium cd durchlaufen, erhält man natürlich, wenn man je die 
gleichnamigen Punkte in ab und cd durch gerade Linien verbindet. 

Von dem bisher angenommenen einfachen Falle mit gleichem 
Wachsthum beider Diaphysenenden unterscheidet sich nun der andere 
Fall, in welchem eines der beiden Enden in stärkerem Masse an Länge 
zunimmt, wie das andere, nur durch die andere Art der Verschiebun- 
gen. In Fig. 3 seien wieder a5 = 40 mm., cd = 120 mm., aber 
ab wachse in a um ec = 60 und in 5 nur um fd = 20 mm. Man 
theile wieder beide Linien «ad und cd in je 8 unter einander gleiche 
Theile, deren Werth für ad 5, für cd 15 mm. betragen muss. Man 
sieht sofort, dass der neutrale Punkt nun eine andere Lage besitzt; 
er liegt jetzt in2 = !/, ad, weil der Zuwachs der Diaphysenlänge 
ind = 20 mm. auch nur !/, von der Gesammtverlängerung um 


314 &. SCHWALBE: 


80 mm. ausmacht, in a dagegen °?/, = 60. Da nun von diesem neu- 
tralen Punkte aus die Verschiebungen der Periosttheilchen sich nach 
beiden entgegengesetzten Richtungen vertheilen, so kann man das eben 
erhaltene Resultat auch durch folgenden Satz ausdrücken: „Beide 
Diaphysenenden bedingen in Folge ihrer Längenzunahme eine Verschie- 
bung der um gleiche Distanzen unter einander sich entfernenden Pe- 
riosttheilchen auf der Oberfläche des Knochens im entgegengesetzten 
Sinne. Diese Verschiebungen sind auf beiden Seiten gleich, wenn die 
Zunahme der Diaphysenlänge an beiden Enden gleich ist; ist dagegen 
das eine Ende dem anderen im Wachsthum voraus, so beherrscht es 
eine um so grössere Strecke des Periosts, je mehr sein Wachsthums- 
zuwachs den des entgegengesetzten Endes übertrifft und zwar verhal- 
ten sich die von den Diaphysenenden beherrschten Perioststrecken ge- 
nau so, wie ihre Wachsthumszuwüchse. Ist das Verhältniss der letz- 
teren zu einander, wie in unserem Falle = 1: 3, so ist auch das 
Verhältniss der entsprechenden Strecken auf der Oberfläche des Kno- 
chens cd = 1:3 (!/, : ?/,)- Es ergiebt sich daraus ohne Weiteres, 
wie man bei gegebenem Längenwachsthume der Diaphysen den von 
mir sogenannten neutralen Punkt finden kann. In unserer Eigur ist 
er durch die Zahl 2 bezeichnet; er allein erleidet keine Verschiebung, 
dagegen die anderen Punkte eine nach beiden Enden rasch’ zunehmende. 
Es ergeben sich für unseren Fall folgende Zahlen: 

0 — + 20 

ie —ee 0) 

— 0 

— _ 10 

20 

—ı — 80 

— — 40 

= — 5 

8 = — 

Man sieht, die Verschiebungen erfolgen wieder in sehr einfach 
übersichtlicher Weise nach dem Modus einer arithmetischen Pro- 
gTession. 

Ich habe bisher die Verschiebungen des Periosts der Anschaulich- 
keit wegen aus einer Dehnung der elastischen gespannten Membran 
abgeleitet, die selbstverständlich in dem Masse interstitiell zunehmen 
muss, als sie durch den Wachsthumszug gedehnt wird. Ganz dieselben 
Ergebnisse, wie die bisher entwickelten, erhält man natürlich auch, 
wenn man von vornherein ein gleichmässiges interstitielles Wachs- 
thum als Ursache der Entfernung der einzelnen Periosttheilchen in 


aumwmm 
I 
| 


Ueber die Ernährungskanäle der Knochen und das Knochenwachsthum. 315 


die Betrachtung einführt. Das gleichmässig interstitiell wachsende 
Periost wird, ohne dass an den Enden ein besonderer Zug eingeführt 
zu sein braucht, in beiden von mir besonders erläuterten Fällen, in 
allen Punkten dieselbe Lage einnehmen.!) Uns genügt zunächst das 
gemeinschaftliche Endresultat. 

Sehen wir nun zu, wie sich in der Zeit, wo sich das Periost in 
der geschilderten Weise vergrösserte und in seinen Theilchen verschob, 
der Knochen nach beiden Wachsthumstheorien verhält. 

Es ist klar, dass, mag die Diaphyse gleichmässig oder nach ihren 
Enden beschleunigt interstitiell wachsen, der dieselbe durchsetzende Er- 
nährungskanal in seiner Richtung und Neigung nicht verändert werden 
wird; denn beide Flächen des compacten Hohlcylinders, sowohl die der 
Markhöhle zugekehrte, als auch die äussere werden vom interstitiellen 
Wachsthum gleichmässig betroffen werden: aus dem dünnen Cylinder- 
mantel des jüngeren Stadiums wird ein dickerer Cylindermantel, in 
welchem die Punkte der inneren und äusseren Fläche, welche im 
jüngeren Knochen in derselben Höhe liegen, einander auch im erwach- 
senen correspondiren. Es wird also das im embryonalen Zustande 
nahezu senkrecht die Knochenrinde durchbohrende Ernährungsloch in 
genau derselben Weise ohne Veränderung seiner Neigung oder Rich- 
tung als Ernährungskanal die entwickelte Diaphyse durchsetzen müssen 
und nur gegen seine frühere Lage durch Einschieben neuer Theilchen 
verschoben werden können, falls diese Einlagerung auf der einen Seite 
des Kanals rascher geschieht, als auf der anderen. Damit stehen nun 
aber die Thatsachen durchaus nicht im Einklang. Denn in Wirklich- 
keit verändern die Ernährungskanäle während des Wachsthums 
ihre Neigung gegen die Längsachse des Knochens, sie bilden mit 
zunehmendem Wachsthum im Allgemeinen immer spitzere Winkel mit 
der Diaphysenlängsaxe, ja, wie ich unten noch besonders hervorheben 
werde, sie biegen an einigen Stellen später in eine ganz entgegen- 
gesetzte Richtung um. Ich glaube, dass diese Thatsachen wohl selbst 
den eifrigsten Anhänger des interstitiellen Knochenwachsthums in Ver- 
lesenheit bringen werden, um so mehr, als alle Verhältnisse, welche 
die Ernährungskanäle nicht nur, sondern sämmtliche die Compacta 
durchsetzenden Havers’schen Kanälchen betreffen, aus der Appositions- 
theorie in der einfachsten Weise ihre befriedigendste Erklärung 
finden. 


1) Der Einfachheit wegen ist bei diesen Betrachtungen noch von den Ver- 
zögerungen, welche die Periosttheilchen bei ihrer Verschiebung durch Reibungs- 
widerstände erfahren, abgesehen; das Näliere hierüber folgt weiter unten. 


316 G. SCHWALBE. 


Nach der Appositionstheorie gestalten sich die Verhältnisse in 
folgender Weise. Da eine Expansion der periostalen Knochenkruste 
fehlt, so kann eine Verlängerung derselben nur dadurch erfolgen, dass 
die Enden des Periosts beim fortschreitenden Wachsthum fortwährend 
über die beiden Enden der ursprünglichen periostalen Rinde hinaus- 
geschoben werden und während dieser continuirlichen Verschiebung 
continuirlich Knochensubstanz bilden. Es wird dadurch nicht allein 
die Längenausdehnung des periostalen Knochens fortwährend ver- 
grössert, derselbe nimmt selbstverständlich der Dicke nach zu, da das 
Periost in seiner ganzen Ausdehnung dasselbe leistet. So beherrscht 
das Längenwachsthrum an den Epiphysengrenzen des endochondralen 
Knochens der Diaphyse das Dickenwachsthum des Periosts, es be- 
herrscht, wie wir gleich sehen werden, die Gestalt der periostalen 
Rinde, die Anordnung ihrer Knochenbälkchen. Sehen wir uns dann 
nach dem Endresultate der periostalen Verknöcherung um, so bemer- 
ken wir eine Compacta, die nach beiden Enden der Diaphyse sich 
zuschärft; diese Zuschärfung ist allmählicher auf der Seite des schneller 
wachsenden Endes, wie auf der Seite des langsamer wachsenden 
(Taf. XV. Fig. 3), sie ist gleich auf beiden Seiten bei gleichem Wachs- 
thum der Diaphysenenden (Taf. XV. Fig. 2). Ich brauche nicht daran 
zu erinnern, dass diese Zuschärfung der periostalen Rinde überall 
beobachtet wird; sie versteht sich aus der Appositionstheorie von selbst, 
während die Theorie des interstitiellen Wachsthums Mühe haben 
wird, eine gekünstelte Erklärung dafür zu liefern. Es folgt aber 
ferner aus unserer Theorie, aus den Constructionen in Fig. 2 und 3 
(Tafel XV), dass der Weg, welchen die Periosttheilchen während des 
Wachsthums vom jüngeren zum älteren Entwicklungsstadium zurück- 
lesen, falls das Wachsthum an den Enden in demselben Verhältniss 
bleibt, durch eine gerade Linie bezeichnet wird, die von jedem Punkte 
des jungen zu dem nach unserer Construction sofort zu findenden 
Punkte des älteren Periosts gezogen wird. Hieraus folgt wiederum, 
dass die Periosttheilchen, welche in Fig. 2 u. 3 (Taf. XV) mit 0° bis 
VIII. bezeichnet sind, nicht die in derselben Höhe nach innen von 
ihnen gelegenen Knochentheilchen gebildet haben, sondern die, welche 
in den Verbindungslinien zwischen ihnen und den correspondirenden 
Punkten des jüngeren Stadiums (O—8) liegen; nur für den neutralen 
Punkt trifft jene Voraussetzung der älteren periostalen Wachsthums- 
theorie zu, da hier die Verbindungslinie beider correspondirender 
Punkte die Diaphyse senkrecht zur Längsaxe durchschneidet. 

Ich komme weiter unten auf die Consequenzen dieser theoretischen 
Betrachtungen für den Aufbau der compacten Substanz zurück. Meine 


Ueber die Ernährungskanäle der Knochen und das Knochenwachsthum. 317 


nächste Aufgabe ist es nunmehr zu zeigen, wie die Neigung und 
Richtung der Ernährungskanäle ihre natürlichste Erklärung finden in 
der eben entwickelten Theorie des periostalen Knochenwachsthums. 
Betrachten wir die in Fig. 2 und 3 (Tafel XV) dargestellten Con- 
structionen, in welchen durch ad die Oberfläche des jüngeren, durch 
cd die des älteren Stadiums bezeichnet ist. Ein Gefäss, welches an 
irgend einer Stelle aus dem Periost in die Knochenrinde übertritt, 
muss selbstverständlieh mit dieser Eintrittsstelle beim weiteren Wachs- 
thum in der Weise verschoben werden, wie ich es nunmehr genugsam 
auseinander gesetzt habe. Nehmen wir an, die Eintrittsstelle der Vasa 
nutritia liege in dem in Fig.2 (Tafel XV) dargestellten Falle des gleichen 
Längenwachsthums der Diaphysenenden in Punkt 5, so wird sie bei Er- 
reichung des Stadiums cd nach V. verschoben sein, 6 nach VI. und so 
weiter. Da nun aber der während dieser Verschiebung zurückgelegte 
Weg durch continuirliche Bildung von Knochensubstanz so zu sagen 
ummauert wird, so resultiren daraus Kanäle, die schief von 5 nach V., 
von 6 nach VI. u. s. w. verlaufen und um so schräger gerichtet sind, 
je näher der ursprüngliche Ort der äusseren Oefinung dem ursprüng- 
lichen Ende der periostalen Rinde liest; nach dem neutralen Punkte 
zu nimmt dagegen der Neigungswinkel zu und in.ihm wird der 
Kanal senkrecht die Knochenrinde durchsetzen, während auf der an- 
deren Seite in 3, 2, 1 und O sich die Verhältnisse umkehren. Man 
erkennt aus dieser Betrachtung 1) dass eine schiefe Richtung des Er- 
nährungskanals auch an Knochen stattfinden kann, die an beiden En- 
den gleich stark wachsen, falls nur die äussere Oefinung des Kanals 
im jüngeren Stadium nicht in der Mitte der Diaphyse liegt, 2) dass 
Richtung und Neigung vor allen Dingen von der Lage der äusseren 
Oefinung zu beiden Diaphysenenden abhängig sind. In 4 bis 8 sind 
die Kanäle absteigend, in 4 selbst direct, in 4 bis O0 aufsteigend. 
Ganz dasselbe gilt nun natürlich für den anderen Fall, dass eines- der 
Enden stärker zunimmt, als das andere, wie dies in Fig. 3 (Tafel XV) 
dargestellt ist. Es wird dann das stärker wachsende Ende eine grössere 
Strecke des Periosts nach sich hinziehen, also oft weit über die Mitte 
hinaus die Richtung der Ernährungskanäle beeinflussen. Liegt z. B. 
der neutrale Punkt wegen der grossen Differenz des Längenwachsthums. 
beider Enden, wie im Radius und in der Ulna, nahe dem proximalen 
Ende, so wird trotz der grossen Entfernung der äusseren Oefinung von 
dem schneller wachsenden unteren Ende dieses dennoch eine auf- 
steigende Richtung der Ernährungskanäle bewirken, weil jene Oefinung 
diesseits des neutralen Punktes liegt. In unserer Fig. 3 (Tafel XV) 
sind sämmtliche innerhalb der Strecke 2 bis 8 beginnende Kanäle 


318 G. SCHWALBE. 


‚absteigend, die, welche innerhalb des Raumes 0 bis 2 beginnen, da- 
gegen aufsteigend. 

Ich glaube, dass ein Blick auf die Figuren 2 und 3 (Tafel XV) 
nunmehr genügen wird, um auf Grundlage der bekannten Ermittelun- 
gen ÖLLIER’S über die Verschiedenheiten des Längenwachsthums an bei- 
den Enden der Diaphysen der Röhrenknochen die Richtung, welche 
die Ernährungskanäle in den entwickelten Knochen des Menschen 
zeigen, vollkommen zu erklären. Stets wird die Lage der äusseren 
Oefinung entscheidend sein: liegt sie innerhalb der vom oberen Dia- 
physenende beherrschten Zone, so ist der Kanal absteigend (Humerus, 
Tibia, Fibula), befindet sie sich dagegen unter der Herrschaft des un- 
teren Diaphysenendes, so ist der Kanal aufsteigend (Radius, Ulna, Femur). 

Berücksichtigt man nun, dass die ursprüngliche Durchbohrungs- 
stelle der ersten periostalen Diaphysenrinde, die ja mit der äusseren 
Oeffnung noch so gut wie identisch ist, innerhalb gewisser Grenzen 
variirt (ich habe dies durch eine grössere Reihe von Messungen nach- 
gewiesen), so wird zwar in den meisten Fällen, da jene Schwankungen 
der Lage anfangs nicht gross sind, keine andere Richtung des an 
Länge zunehmenden Kanals daraus resultiren. Sobald aber, wie es 
vielfach vorkommt, jene Durchbohrungsstelle in der Gegend des neu- 
tralen Punktes sich befindet, die einzelnen Fälle sich um denselben 
herum nach beiden Seiten hin gruppiren, müssen Verschiedenheiten 
“ entstehen, der Art, dass bald ein absteigender, bald ein directer, bald 
ein aufsteigender Kanal das Resultat des periostalen Wachsthums ist. 
Dies erklärt die von OÖLLIER gegen HuMPHRY vorgebrachten Angaben 
über die verschiedene Richtung der Ernährungskanäle in ein und dem- 
selben Knochen (s. oben) auf das Befriedigendste; es erklärt die von 
mir erwähnten Befunde in der Fibula und die Richtung des acces- 
sorischen unteren Kanals der Tibia. Es hängt hier Alles von der 
ursprünglichen Lage der äusseren Oeffnung ab; je nach dieser ge- 
staltet sich der Kanal auf- oder absteigend. Kennt man die Art des 
Längenwachsthums, so kann man, da ja die Lage des neutralen Punk- 
tes sich leicht nach meinen Auseinandersetzungen bestimmen lässt, 
aus der Lage der äusseren Oefinung des Ernährungskanals stets mit 
Sicherheit auf die Richtung desselben schliessen. Ich habe dies prak- 
tisch vielfach ausgeführt und nie eine Abweichung von der Regel 
gefunden. 

Schon oben wurde bei der Besprechung des Einflusses, welchen 
die Lage der ursprünglichen äusseren Oeffnung auf die spätere 
Richtung des Kanals hat, darauf hingewiesen, dass eine verschiedene 
Lage innerhalb der von ein- und demselben Epiphysenende der 


Ueber die Ernährungskanäle der Knochen und das Knochenwachsthum. 31% 


Diaphyse beherrschten Zone auch eine verschiedene Neigung des 
Kanals zur Folge haben muss. Je näher die ursprüngliche Oefinung 
dem dominirenden Epiphysenende, desto schräger die Richtung des 
Kanals, d. h. desto kleiner ist der von Kanal und Knochenlängsaxe 
gebildete spitze Winkel; je näher dagegen dem neutralen Punkte, 
desto steiler die Richtung des Kanals, desto mehr nähert sich der von 
ihm und der Knochenlängsaxe eingeschlossene Winkel einem rechten; 
im neutralen Punkte wird dieser Winkel einem rechten gleich. 

Eine verschiedene Neigung des Kanals kann aber noch auf eine 
andere Weise zu Stande kommen. Offenbar wird ein und derselbe 
Ernährungskanal dieselbe Neigung gegen die Längsachse des Knochens 
behalten, wenn das Verhältniss des Längenwachsthums beider Diaphy- 
senenden sich constant erhält und wenn zugleich während dieses 
Längenwachsthums das Dickenwachsthum stets zu dem ersteren in 
demselben Verhältniss bleibt. Betrachten wir Fig. 4 (Tafel XV), in 
welcher die Dicke der Compacta eines bestimmten Entwicklungs- 
stadiums abed durch ef, die Länge durch a5 ausgedrückt ist, ae das 
obere, de das untere Diaphysenende bedeutet, so wird, wenn das 
Längen- und Diekenwachsthum an beiden Enden in denselben Ver- 
hältnissen erfolgt, wie bisher, die Richtung des Kanals g% dieselbe 
und geradlinig bleiben, seine äussere Mündung später in k zu suchen 
sein. Sowie aber das Dickenwachsthum hinter dem Längenwachsthum 
zurückbleibt, muss der Kanal bedeutend schiefer verlaufen und kann 
nun nicht mehr durch die Linie Ak ausgedrückt werden, sondern wird 
der Linie AZ entsprechen. Ist also anfangs das Diekenwachsthum dem 
Längenwachsthum gegenüber günstiger situirt, wie später, so muss der 
in ersterer Zeit nahezu directe Kanal mit dem Ueberwiegen des Längen- 
wachsthums eine immer schiefere Richtung erhalten, immer spitzwink- 
liger gegen die Knochenlängsaxe verlaufen. Diese aus meiner Theorie 
abgeleitete Folgerung ist nun wirklich mit den Thatsachen in Ueber- 
einstimmung. Die embryonalen Knochen haben viel weniger geneigte, 
oft sogar nahezu senkrecht die Knochenkruste durchbohrende Ernäh- 
rungskanäle und damit steht im Einklang, dass 1) die Differenz im 
Längenwachsthum beider Diaphysenenden eine geringere ist wie spä- 
ter!), 2) das Dickenwachsthum zu dieser Zeit relativ viel bedeutender, 
wie später und 3) die ursprüngliche Lage der Ernährungsöfinungen 
bei embryonalen Knochen im Allgemeinen mehr der Mitte der Dia- 
physe entspricht. 


1) Ueber die speciellen Fälle und Abweichungen von dieser Regel werde ich 
in meiner ausführlichen Arbeit berichten. 


320 G. SCHWALBE. 


Ich begnüge mich hier diese Thatsachen, die ich in meiner aus- 
führlichen Abhandlung durch eine grosse Zahl von Messungen bewei- 
sen werde, einfach zu registriren. Nur in Betreff des zweiten Punktes, 
(des Verhältnisses vom Längenwachsthum zum Dickenwachsthum, mögen 
einige wenige Zahlen, die Tibia betreffend, folgen. 

Berücksichtigt man nur das Verhältniss der Dicke der Compacta 
in der Gegend der inneren ÖOefinung des Ernährungskanals zur Länge 
der Diaphyse, ohne die Reduction der Dicke in Folge einer Resorption 
von Seiten der Markhöhle mit in Rechnung zu ziehen, so erhält man 
folgende Zahlen (in Millimetern): 


Verhältniss 
Länge der Dicke der Dieke zur 

-  Diaphyse der Compacta Länge 

(= 100) 
1. Tibia von 86 mm. Länge 72 2 2,77 : 100 
Ze, BONN 0 al 3 3.29: 100 
San, „SLOT “ 145 2 1,39 : 100 
En: ao 328 4 1,22 : 100 
5 > SSH 5 398 71,5 2,09 : 100 


Es nimmt hiernach das während der embryonalen Periode mäch- 
tigste Dickenwachsthum nach der Geburt rasch ab im Verhältniss 
zum Längenwachsthum, um erst nahe vor Abschluss des Wachsthums 
wieder eine Zunahme zu erfahren. 

Auffallend ist dabei, dass die einem 4jährigen Individuum an- 
gehörige Tibia No. 3 eine geringere Dicke der Compacta besitzt, wie 
die eines 21 Wochen alten Kindes (No. 2), eine Thatsache, die man 
mit einem interstitiellen Wachsthum nicht gut vereinbaren kann, da 
dieser Ausfall nicht etwa in demselben Masse durch ein gesteigertes 
Längenwachsthum ersetzt wird. Er steht vielmehr im Zusammen- 
hange mit der Ausweitung der Markhöhle und dieser Vorgang macht 
es nothwendig, einige Correetionen mit unseren Zahlen vorzunehmen, 
um das wirkliche Verhältniss von Dieken- und Längenwachsthum zu 
erhalten.!) Da ich über meine Messungen der Compacta und der Mark- 
höhle ausführlicher bei einer späteren Gelegenheit zu berichten beab- 
sichtige, so seien hier nur die Resultate jener Berichtigung, wie sie 
sich unter Berücksichtigung einer Resorption von Seiten der Mark- 
höhle herausstellen, für die oben erwähnten 5 Tibiae mitgetheilt: 


1) Diese Correctionen wurden der Art ausgeführt, dass in Nr. 1 der Radius 
‚der Markhöhle, für jeden folgenden Fall die halbe Differenz der Durchmesser der 
Markhöhlen in dem betreffenden und vorhergehenden Stadium zu der Dicke der 
Compacta hinzuaddirt wurden. 


Ueber die Ernährungskanäle der Knochen und das Knochenwachsthum. 321 


Länge der Corrigirte Verhältniss der Dicke 
Diaphyse Dicke. zur Länge (= 100) 
1. 12 3,9 4,86 : 100 
2. 91 3,89 4,25 : 100 
3. 145 2,851) 2:0072 100 
4. 928 6,75 2,05 : 100 
5. 398 ) 2,06 : 100 


Es ist jetzt klar ersichtlich, dass während des embryonalen Le- 
bens relativ mehr periostaler Knochen angebildet wird, wie nach der 
Geburt, wo das Verhältniss während aller Zeiten der Entwicklung im 
Wesentlichen sich gleich bleibt und nur kurz vor Vollendung des 
Wachsthums sich in geringem Grade zu Gunsten der Dicke ändert. 
— Die eine Voraussetzung zur Erklärung der mehr directen Richtung 
der Ernährungskanäle während des embryonalen Lebens, der Zunahme 
ihrer Neigung nach der Geburt, ist also durch diese Messungen, die 
ich mit dem gleichen Resultate auf Humerus und Femur ausgedehnt 
habe, vollkommen sicher gestellt. 


Bisher habe ich vorzugsweise die Verhältnisse, welche die Er- 
nährungskanäle beim erwachsenen Menschen (und Thieren) zeigen, be- 
rücksichtigt und erklärt und nur gelegentlich einmal einen Streifzug 
in das embryonale Gebiet unternommen. Untersuchen wir das Ver- 
halten der Ernährungskanäle bei 3 bis Smonatlichen Embryonen, so 
ergiebt sich, abgesehen von der vorhin schon erwähnten anderen Nei- 
gung, in einigen Knochen auch eine andere Richtung dieser Kanäle. 
Wie das Schema Fig. 5 (Tafel XV) zeigt, verhalten sich Humerus, 
Tibia und Fibula in dieser Beziehung wie beim Erwachsenen; im 
Radius und in der Ulna dagegen sind die Kanäle absteigend und im 
Femur findet sich, wenigstens in den meisten Fällen, nur ein und 
zwar absteigender Kanal, dem sich gegen den 5. bis 6. Monat des in- 
trauterinen Lebens noch ein zweiter aufsteigender, dem unteren Ende 
näher gelegener hinzugesellt. Radius und Ulna zeigen schon im 
6. Monat eine Umkehr der Richtung und von nun an Verhältnisse, 
welche den Befunden beim Erwachsenen entsprechen. Der obere zu- 
erst auftretende und deshalb typische Ernährungskanal des Femur da- 
gegen behält seine absteigende Richtung bis lange nach der Geburt 
bei; noch bei einem 290 mm. langen Oberschenkelbein fand ich die- 
sen Kanal absteigend, während der Kanal beim Erwachsenen constant 


1) Dieser geringere absolute Werth erklärt sich aus einer individuellen Ver- 
schiedenheit. 


329 G. SCHWALBE. 


aufsteigend gefunden wird, gerade wie der untere. Die beschriebene 
Umkehr der Richtung der Ernährungskanäle erklärt sich ebenfalls 
einfach und ungezwungen aus den von mir entwickelten Prineipien 
und den von mir gefundenen Thatsachen über das Längen- und 
Dickenwachsthum der Röhrenknochen. Die Unterschiede im Wachs- 
thum beider Diaphysenenden des Femur sind während des embryonalen 
Lebens nicht so bedeutend wie bald nach der Geburt (vom 1. Lebens- 
jahre an). Es beherrscht deshalb der Wachsthumszug des oberen 
Femur-Endes eine etwas grössere Strecke der Diaphysenoberfläche, wie 
später. Innerhalb dieser liegt aber und zwar nahe an der unteren 
Grenze dieses Gebiets die ursprüngliche einfache Ernährungsöffnung, 
während die zweite aufsteigende von Anfang an dem unteren Diaphy- 
senende angehört. Da der obere absteigende Kanal nahe an der un- 
teren Grenze des vom Wachsthum des oberen Diaphysenendes beein- 
flussten Gebietes liest, so folgt daraus einmal, dass seine Neigung 
gegen die Längsaxe des Knochens keine sehr bedeutende ist, dass 
ferner schon eine relative Zunahme des Wachsthums am unteren Ende 
genügt, um den Neigungswinkel zu einem rechten zu machen, und 
eine noch etwas grössere Zunahme eine Umkehr des Kanals hervor- 
rufen muss, wie dies durch die Constructionen Fig. 6 (Tafel XV) ver- 
deutlicht wird. In derselben sind 3 Wachsthumsstadien neben einan- 
der gezeichnet als nicht durch Uebergänge vermittelt, sondern plötzlich 
sich ablösend. Es muss in diesem Falle der Ernährungskanal einen 
durch 3 gerade Linien, die unter bestimmten Winkeln aneinander 
gefügt sind, gebildeten Verlauf zeigen. In Wirklichkeit gehen natür- 
lich diese einzelnen Wachsthumsstrecken continuirlich in einander über 
und dem entsprechend sehen wir anstatt der doppelt eingeknickten 
Linie den oberen Ernährungskanal eine Curve beschreiben, welche mit 
ihrem Anfangs- und Endpunkte nahezu dieselbe Höhe am Femur ein- 
nimmt, ihren Gipfel dem proximalen Ende dieses Knochens zuwendet. 
Den Oberschenkelbeinen bis circa 290 mm. Länge kommt nur der 
innere Theil dieser Curve zu (Fig. 7 Tafel XV); ihre oberen Ernäh- 
rungskanäle sind demnach absteigend; beim weiteren Wachsthum, 
wenn das untere Ende immer höher nach oben gelegene Strecken der 
Diaphyse beherrscht, werden neue Schichten aufgelagert, innerhalb 
deren nun der Kanal nothwendig einen immer deutlicheren aufsteigen- 
den‘ Verlauf zeigen muss, wie er für erwachsene Knochen charakteri- 
stisch ist (Fig. 8 Tafel XV). Bemerkenswerth für die Lehre vom 
Knochenwachsthum ist hierbei noch eine Thatsache, welche ich her- 
vorheben will. Im erwachsenen Knochen fehlt der innerste der Mark- 
höhle benachbarte Theil der Curve, ist nur durch eine kleine horizontal 


Ueber die Ernährungskanäle der Knochen und das Knochenwachsthum. 323 


gestellte Erweiterung der inneren Kanalmündung repräsentirt (Fig. 8 
Tafel XV). Legt man aber die entsprechenden, beide Ernährungs- 
kanäle enthaltenden Diaphysenstücke der beiden Femora mit ihren 
correspondirenden Punkten aufeinander, so erkennt man, dass die 
Curve des älteren Knochens die directe Fortsetzung der Curve des 
jüngeren Knochens bildet und an ihrem inneren Ende sich mit dem 
äusseren Ende der des jüngeren Stadiums deckt (Fig. 9 Tafel XV). 
Es ist wohl das Schwinden des inneren Curvenstücks ad kaum anders 
als durch Annahme einer Resorption zu erklären; wenigstens möchte 
es selbst den eifrigsten Vertretern eines ausschliesslich interstitiellen 
Wachsthums oder eines appositionellen Wachsthums ohne Resorption 
schwer werden, diese Thatsachen aus einer Expansion abzuleiten. In 
ähnlicher Weise wie beim Femur kommt die Umkehr des Ernährungs- 
"kanals am Radius und an der Ulna zu Stande trotz der relativ hohen 
Lage der ursprünglichen äusseren ÖOefinung, weil hier bekanntlich 
das Wachsthum am oberen Diaphysenende nur gering ist gegenüber 
der sehr ausgiebigen Längenzunahme am unteren Ende der genannten 
Knochen. 

Die vorstehenden Bemerkungen werden genügen zur Erläuterung 
meiner Theorie der Ernährungskanäle; es fügen sich alle über diese 
bekannten Thatsachen in überraschender Weise. Ist die Theorie rich- 
tig, so muss ferner aber auch die äussere Oefinung der Ernährungs- 
kanäle im Grossen und Ganzen während aller Zeiten der Entwicklung 
dieselbe relative Lage auf der Oberfläche des Röhrenknochens einneh- 
men. Dies ist nun nach meinen zahlreichen Messungen, die sich auf 
sämmtliche lange Röhrenknochen des Menschen beziehen, mit einer 
geringen Abweichung, auf die ich bald zu sprechen komme, wirklich 
der Fall. Natürlich genügt hier nicht die Vergleichung weniger 
Fälle, da zahlreiche Variationen in der absoluten Lage der ursprüng- 
lichen äusseren Ernährungsöffnung vorkommen können; vergleicht man 
dagegen ein grosses Material, so wird man für fötale, kindliche und 
erwachsene Knochen dieselben Schwankungen in den relativen Entfer- 
nungen der äusseren Oefinungen vom oberen und unteren Ende der 
Diaphyse finden. Dies widerspricht der Angabe von KÖLLIKER, ent- 
nommen einigen Messungen am Humerus dreier Altersstadien vom 
Rind, denen zu Folge die äussere Oeffnung ihre relative Lage verän- 
dern, die innere dagegen beibehalten soll.!) Ich habe auch bei Messun- 
gen am Rinder-Humerus. stets meine für den Menschen gefundenen 
Angaben bestätigt gefunden und kann die KöLLıker’schen Zahlen nur 


I) 1. ce. S. 69 und 70. 
Zeitschrift f. Anatomie. Bd. |. 


[8] 
ID 


324 G. SCHWALBE. 


durch die Annahme, dass dieser genaue Forscher es mit extrem va- 
riirenden Fällen zu thun hatte, erklären. Jedenfalls ist das Material, 
auf welches KÖLLIKER seine Behauptung stützt, aus den oben ange- 
deuteten Gründen ein viel zu kleines. Umgekehrt wie KÖLLIKER fand 
ich ferner in allen Fällen, beim Rinde sowohl, wie beim Menschen, dass 
die innere Oefinung der Ernährungskanäle ihre relative Lage ver- 
ändert; sie entfernt sich mehr und mehr vom definitiv schneller wach- 
senden Ende des Knochens, so im Humerus, in der Tibia und Fibula 
vom oberen, in Radius, Femur und der Ulna vom unteren Ende des 
Knochens. Es ist ja dies eine ganz nothwendige Consequenz des un- 
gleichen appositionellen Wachsthums der Röhrenknochen an den bei- 
den Enden der Diaphyse, eines Wachsthums, das durch ÖLLIER und 
HumrHry experimentell für die einzelnen Extremitätenknochen fest- 
gestellt ist. Man kann daher offenbar auch durch Messung der Ab- 
stände der inneren Oefinung der Ernährungskanäle von beiden Dia- 
physenenden sofort constatiren, welches Knochenende am meisten 
Knochensubstanz angebildet hat. Wenn man eine grössere Zahl von 
Messungen dieser Abstände, an verschiedenen Entwicklungsstadien 
ausgeführt, nach dem Alter in eine Reihe ordnet, so werden die 
Differenzen zwischen je 2 aufeinanderfolgenden Abständen der inne- 
ren Oefinung von den oberen resp. unteren Enden der Diaphyse 
in absoluten Zahlen den Wachsthumszuwachs jedes Endes inner- 
halb der Zeit ausdrücken, um welche beide verglichenen Knochen 
auseinander liegen. Das Verhältniss beider Differenzen zu einander 
siht dann das Verhältniss der Wachsthumsenergien in dem bestimm- 
ten Zeitabschnitte an. Ich will hier nur ein Beispiel anführen. Die 
Länge der Diaphyse des Humerus fand ich bei einem Smonatlichen 
Fötus = 20 mm., den Abstand der inneren Oefinung des Ernährungs- 
kanals vom oberen Ende der Diaphyse = 11,25, vom unteren = 8,75; 
‘die entsprechenden Abstände betrugen für die 29,25 mm. lange Dia- 
physe eines 16 Wochen alten Fötus: 16,5 resp. 12,75 mm. Es hat 
also die Diaphyse während dieser 4 Wochen embryonalen Lebens 5,25 
(16,5 — 11,25) am oberen, 4 mm. (12,75 — 8,75) am unteren Ende 
zugenommen und beide Wachsthumszuwüchse verhalten sich wie 1,31:1. 
In ähnlicher Weise lässt sich dies Verhältniss stets leicht für jede 
Periode der Entwicklung bestimmen. 

Mittelst dieser Methode habe ich nun die Wachsthumsverhältnisse 
der einzelnen menschlichen Röhrenknochen zu bestimmen gesucht und 
habe für die Zeit vom 1. Lebensjahre!) an die experimentell an Thieren 


1) Ich kann nur ungefähr diesen Termin als den Wendepunkt in den Wachs- 


Ueber die Ernährungskanäle der Knochen und das Knochenwachsthum. 325 


festgestellten Thatsachen für den Menschen bestätigt gefunden. Wäh- 
rend des embryonalen Lebens herrschen aber zum Theil sehr abwei- 
chende Verhältnisse. Das Wachsthum des Humerus, Radius und der 
Ulna, sowie des Femur weicht allerdings nur in quantitativen Ver- 
hältnissen von dem späteren ab: es sind die Unterschiede des Wachs- 
thums beider Enden meist nicht so gross wie in späteren Epochen. 
Tibia und Fibula dagegen besitzen bis geraume Zeit nach der Geburt 
ein etwas stärkeres Wachsthum am unteren Ende, das aber nie um 
ein Bedeutendes das des oberen übertrifft, und erst vom 1. Lebens- 
jahre an kehrt sich dasselbe um; es wird nun, wie bekannt, das obere 
Ende das dominirende. Dass hierbei keine Umkehr in der Richtung 
der Ernährungskauäle stattfindet, erklärt sich einfach daraus, dass 
diese stets in dem vom oberen Ende beeinflussten Gebiete liegen. 

Die eben berührten Ermittelungen über das Wachsthum der Tibia 
und Fibula erklären die Widersprüche, welche in dieser Beziehung 
zwischen den Angaben der Experimentatoren (ÖLLIER und HUMPHRY) 
und anderer Forscher, wie BROCA und WEGNER existiren. 

BrocA?) hatte gefunden, dass die Schicht der pallisadenförmig 
gestellten Knorpelzellenreihen am Ossificationsrande der Diaphysen- 
enden in ihrer Dicke ungefähr der an dieser Stelle herrschenden 
Wachsthumsenergie entspricht, und Messungen der Dicke dieser Schicht, 
von ihm „couche chondroide“ genannt, benutzt, um die Verschieden- 
heiten des Wachsthums an beiden Enden der Diaphyse für jeden 
höhrenknochen zu ermitteln. Er fand nun dabei, dass Tibia und Fi- 
bula bei Neugeborenen eine dickere Proliferationsschicht an ihrem 
unteren Ende besitzen, also hier rascher wachsen, wie am oberen, ein 
Befund, der von WEGNER?), scheinbar ohne BrocA’s Angaben zu ken- 
nen, bestätigt wurde. Dies hat nach meinen Untersuchungen seine 
volle Richtigkeit; es stimmen hier die Resultate meiner Messungs- 
methode und die aus der Bestimmung der Dicke der Proliferations- 
zone erhaltenen vollkommen überein. Es widerspricht dies aber durchaus 
nicht den experimentellen Erfahrungen OLLIER’S; diese betreffen viel- 
mehr einfach eine spätere Zeit, welche beim Menschen ungefähr mit 
dem 1. Lebensjahre zu beginnen scheint. Hier wachsen die oberen 


thumsverhältnissen der Tibia und Fibula bezeichnen, da mir ein grösseres Ma- 
terial gerade aus diesem Zeitraum der Entwicklung nicht zu Gebote stand. 

I) Sur quelques points de l’anatomie pathologique du rachitisme. Bulletins 
de la societE anatomique de Paris, 27. annde. 1852. p. 542 ff. 

2) Ueber hereditäre Knochensyphilis bei jungen Kindern. Virchow’s Archiv. 
Bde 50. 1870. 8. 321. i 


99% 


326 G. SCHWALBE. 


Enden von Tibia und Fibula in der That rascher. Es liegt nahe, 
diese Umkehr des Wachsthums zu den beginnenden Gehbewegungen 
in Beziehung zu bringen. 

Der Methode, welcher ich mich zur Messung des ungleichen 
Wachsthums der Diaphysenenden bediente, ist vom Standpunkte der Re- 
sorptionstheorie aus ein Vorwurf zu machen. Bei ausgesprochen schrä- 
ser Richtung des Kanals wird offenbar mit der Ausweitung der Mark- 
höhle eine Verschiebung der inneren Oefinung verbunden sein müssen 
und zwar eine um so grössere, je schiefer der Kanal. Ist in Fig. 4 
(Tafel XV) gh der Ernährungskanal, so wird die innere Oefinung, wenn 
das der Markhöhle benachbarte Stück adcd resorbirt ist, nicht mehr 
in g, sondern weiter oben in A zu liegen kommen. Es wird also das 
obere Diaphysenende bei Messung von der inneren Oefinung aus zu 
klein, das untere zu gross ausfallen. Geringer sind die Unterschiede 
in der Lage der inneren Oefinung, wenn dieselbe näher dem neutralen 
Punkte von ad liegt und .= 0 in diesem neutralen Punkte (e) selbst 
(vgl. Linie efm). Der durch diese Verhältnisse bedingte Fehler wird 
nun aber in den meisten Fällen thatsächlich minimal dadurch, dass 
die Foramina nutritia im embryonalen Leben mehr oder weniger 
vertikal die Dicke der Diaphysenrinde durchsetzen, weil sie erstens zu 
dieser Zeit mehr der Mitte der Diaphyse benachbart oder in dieser 
selbst liegen und zweitens, weil zugleich das Dickenwachsthum so 
stark ist gegenüber-dem Längenwachsthum, wie zu keiner anderen 
Zeit der Entwicklung. Es wird deshalb die Markhöhle um ein Be- 
deutendes ausgeweitet werden können, ohne dass eine wesentliche Ver- 
schiebung der inneren Oeffnung eintritt und somit bleibt die innere 
Oeffnung der Ernährungskanäle eine sichere Marke zur Bestimmung 
des Längenwachsthums beider Diaphysenenden, um so mehr als wir 
im Falle einer stärkeren Verschiebung durch einfache Construction 
jedesmal leicht ihre ursprüngliche Lage bestimmen können. 

Ich erwähnte oben, dass die relative Lage der äusseren Oefinung 
der Ernährungskanäle zu allen Zeiten der Entwicklung nahezu die 
nämliche ist. Dieser Satz würde meiner Theorie zu Folge vollständig 
zutrefien müssen, wenn das Periost zu allen Zeiten auch in gleicher 
Weise verschiebbar auf der Oberfläche der Knochen wäre. Nun habe 
ich aber oben schon hervorgehoben, dass das embryonale Periost stär- 
ker an der Oberfläche der Diaphyse fixirt ist, wie das des erwachsenen 
Knochens, welches vielfach freie Spalträume zwischen sich und der 
Knochenoberfläche entwickelt. Jene stärkere Fixirung des embryona- 
len Periosts wird durch die innerhalb einer gleich grossen Fläche in 
grösserer Zabl in den Knochen eindringenden Blutgefässe und durch 


Ueber die Ernährungskanäle der Knochen und das Knochenwachsthum. 327 


den Zusammenhang mit der fortwährend sich anbildenden Knochen- 
substanz bedingt. Unser einfacher Fall eines an beiden Enden ver- 
schieden stark gespannten elastischen Bandes wird also vor allen Dingen 
dadurch complieirt, dass jenes elastische Band nicht frei beweglich, 
sondern auf einer rauhen Unterlage mehr oder weniger fixirt ist. Da- 
durch erfahren die Verschiebungen der Theilchen nothwendiger Weise 
Hemmungen, die wir einem Reibungswiderstande vergleichen können. 
Uebertragen wir dies auf das Periost, so ist dem vorhin Gesagten 
entsprechend der Reibungswiderstand stärker während des embryonalen 
Lebens, geringer in der späteren Zeit der Entwicklung und wir finden 
demnach an erwachsenen Knochen eine geringe Verschiebung der 
relativen Lage der äusseren Oefinung in der Richtung nach dem domi- 
nirenden Diaphysenende. Setzen wir die Länge des Knochens = 100, 
so beträgt der Abstand der äusseren Oeffinung des Ernährungskanals 
vom oberen Ende des Knochens für den Humerus von Embryonen und 
Kindern im Mittel von 10 Fällen: 58,39, für den Humerus von Er- 
wachsenen (Mittel aus 21 Fällen) 57,3. Die entsprechenden Zahlen 
betragen für das Femur (untern Kanal) 56,04, resp. 58,5 (also Annähe- 
rung an das beherrschende untere Ende), für die Tibia 38,6 resp. 34,2. 
Nur Radius und Ulna machen eine Ausnahme, indem eine relative 
Entfernung vom stärker wachsenden unteren Ende zur Beobachtung 
kommt, die allerdings nur 1 auf 100 beträgt. Eine genaue Unter- 
suchung der Fixirung des Periosts dieser Knochen in den einzelnen 
Entwicklungsstadien wird, ich zweifle nicht daran, auch eine be- 
friedigende Erklärung dieses Falles ergeben. 

Von den Voraussetzungen meiner Theorie der Ernährungskanäle 
habe ich das ungleiche Längenwachsthum, die Beziehungen des Dicken- 
wachsthums zum Längenwachsthume, sowie die Lage der Ernährungs- 
öffnungen soweit erörtert, wie dies ohne einen Aufwand von Tabellen 
mit zahlreichen Messungen möglich ist. Die Veröffentlichung dieser 
letzteren wird in einer ausführlichen Arbeit erfolgen. Nur der vierten 
Voraussetzung, des interstitiellen Wachsthums vom Periost muss ich 
hier noch kurz gedenken. Ich habe oben auseinandergesetzt, wie von 
Seiten der wachsenden Diaphysenenden ein Zug auf. das Periost aus- 
geübt werden muss, der diese elastische Membran, sofern nicht Reibungs- 
widerstände dies verhindern, gleichmässig dehnt, die Theilchen der- 
selben um gleiche Abstände auseinanderzieht. Mit dieser Annahme 
konnten wir alle die Ernährungskanäle betreffenden Verhältnisse er- 
klären, erfuhren wir, dass die Verschiebungen der Periosttheilchen um 
so grösser sind, je näher sie den ursprünglichen Enden der periostalen 
Rinde liegen. Denkt man sich nun ein Periost von der Länge ab in 


328 G. SCHWALBE. 


Fig. 2 und 3 (Taf. XV) ausgedehnt bis zur Länge cd und die aus dieser 
ganz langsam fortschreitenden Dehnung resultirenden grösseren Abstände 
der Theilchen durch ebenso allmähliche und in demselben Maasse er- 
folgende Einlagerung neuer Theilchen in die Membran fixirt, so haben 
wir ein interstitielles Wachsthum der Membran und zwar ein gleich- 
mässiges, das nur in geringer Weise durch die Reibungswiderstände 
modifieirt wird. Man kann aber auch umgekehrt von einer gleich- 
mässigen Einlagerung neuer Massentheilchen zwischen die vorhandenen 
des wachsenden Periosts ausgehen, dies als treibende Ursache ansehen, 
die Verschiebungen der Theilchen müssen in ganz derselben Weise 
erfolgen, wie bei der ersteren Annahme. Es fragt sich nun, ist ein 
interstitielles Wachsthum des Periosts bewiesen? und ferner, weni 
dies der Fall ist, wächst das Periost gleichmässig oder ungleichmässig. 
interstitielle. Ich glaube, an einem interstitiellen Wachsthum des 
Periosts überhaupt, kann Niemand mehr zweifeln, der die Erschei- 
nungen, welche die Entwicklung der Ernährungskanäle darbieten, auf- 
merksam verfolgt hat. Ich habe so zu sagen in dieser Abhandlung 
den indirecten Beweis dafür !geliefert, indem ich gezeigt habe, dass 
bestimmte natürliche Punkte des Periosts, die Eintrittsstellen der Er- 
nährungsgefässe derartige Verschiebungen beim Längenwachsthum der 
Knochen eingehen, dass ihr Abstand vom oberen und unteren Ende 
der Membran relativ immer derselbe bleibt, was bei appositionellem:. 
Wachsthum an den Enden selbstverständlich nicht der Fall sein kann; 
denn dann müsste, wie wir dies thatsächlich bei der inneren Oeffnung- 
der Ernährungskanäle sehen, sich der Abstand vom beherrschenden 
Knochenende nicht nur absolut, sondern auch relativ vergrössern. Den 
direeten Beweis für ein interstitielles Wachsthum des Periosts haben: 
ÖLLIER’S!) Experimente geliefert, die auf’s Deutlichste während des 
Wachsthums erfolgende Verschiebungen des Periosts darthun. Ich werde 
unten noch mehrfach Gelegenheit nehmen, Thatsachen anzuführen, die 
sich nur aus Verschiebungen des Periosts in Folge interstitiellen 
Wachsthums erklären lassen, und hier nur noch das Verhalten der 
mit dem Periost innig verbundenen Muskelansätze erwähnen, an denen 
von LIEBERKÜHN?) Verschiebungen beobachtet sind, die in demselben 
Sinne wie die absoluten Verschiebungen der Foramina nutritia externa 
erfolgen. In zwei Experimenten an Hunden sah dieser Forscher an 


1) Archives de physiologie T. V. 1873. p. 34. 

2) Ueber die Einwirkung von Alizarin auf die Gewebe des lebenden Kör- 
pers. Sitzungsberichte d. Gesellsch. z. Beförderung d. ges. Naturwissensch. 
Nr. 3. März 1874. Anmerkung $. 37. _ 


Ueber die Ernährungskanäle der Knochen und das Knochenwachsthum. 329 


der Ansatzstelle des Sartorius resp. des Quadriceps femoris in die Tibia 
eingeschlagene Stifte um 27, resp. 21 mm. von .der Muskelinsertions- 
stelle sich entfernen. In analoger Weise beschreibt Escm!) nach einem 
LIEBERKÜHN’schen Experimente eine Entfernung des Deltoides von 
einem an seiner Ansatzstelle eingeschlagenen Stifte um 7 mm. Ich 
kann bestätigend diesem hinzufügen, dass das Foramen nutritium ex- 
ternum und die Insertion des Deltoides allmählich beim Wachsthum 
auseinanderrücken, und zwar beide zum oberen Diaphysenende hin, 
wie dies nach meiner Theorie zu erwarten war und wie dies meine 
Messungen gegenüber denen KÖLLIKER’S?), die sich auf ein zu geringes 
Material von nur 5 Fällen beziehen, ergeben haben. 

Nach Allem kann man wohl nicht umhin, ein interstitielles 
Wachsthum des Periosts als sicher gestellt anzunehmen. Meine Ab- 
leitung der Neigung und Richtung der Ernährungskanäle ging aber 
von einem gleichmässigen interstitiellen Wachsthume des Periosts aus. 
Ich habe diese Annahme der Einfachheit wegen gemacht, da sich 
unter ihr- alle die Ernährungskanäle betreffenden Erscheinungen am 
leichtesten verstehen lassen; ich verhehle aber nicht, dass auch eine 
andere Art des interstitiellen Wachsthums, z. B. eine solche, bei der 
dasselbe nach den Epiphysen hin zunimmt, ebenfalls sämmtlichen 
Thatsachen Rechnung tragen würde. Es würden dann nur andere 
Verschiebungen der Periosttheilchen eintreten, die für jede Art des 
interstitiellen Wachsthums leicht durch eine den von mir mitgetheilten 
ähnliche Construction gefunden werden können. Die Erklärung aber 
der Richtung, Neigung und Umkehr der Ernährungskanäle bleibt selbst- 
verständlich in allen diesen Fällen dieselbe; es genügt dazu die That- 
sache des interstitiellen Wachsthums überhaupt. Ich könnte mich 
hiermit begnügen und die Untersuchung des Modus, nach welchem 
das interstitielle Wachsthum des Periosts erfolgt, der Zukunft über- 
Jassen. Mir scheint indessen schon die folgende Erwägung einiges 
Licht über diese Frage zu verbreiten. Wir können uns, wie ich dies 
mehrfach in dieser Abhandlung gethan, das interstitielle Wachsthum 
des Periosts als durch den Wachsthumszug von den Epiphysen her 
bedingt vorstellen. Ohne Fixirung an der Unterlage, ohne Reibung 
müsste dann das Periost sich gleichmässig ausdehnen. Dieser Fall 
existirt aber, wie wir gesehen haben, in Wirklichkeit nicht; es findet 
ein namentlich im embryonalen Leben merklicher Reibungswiderstand 
Statt, und dieser muss überhaupt auf die Verschiebungen verzögernd 


1) Ueber appositionelles Knochenwachsthum. Dissert. Marburg 1874. S. 16. 
?2) Resorption des Knochengewebes S. 69. 


330 G. SCHWALBE. 


einwirken; es muss jeder Punkt des Periosts, der ferner vom Epi- 
physenende liegt, einen grösseren Widerstand bei seiner Verschiebung 
erfahren, als die näher liegenden und deshalb etwas hinter dem früher 
berechneten Punkte zurückbleiben. Eine weitere Ueberlegung zeigt, 
dass dies, da die Hemmung der Bewegung eines Periosttheilchens 
wieder verzögernd auf die der folgenden wirkt, zu einer Anordnung 
der Periostpunkte führt, die nur durch ein ungleichmässiges und zwar 
nach den Epiphysenenden zunehmendes interstitielles Wachsthum fixirt 
werden kann. Die eigenthümliche oben erwähnte relative Entfernung 
der äusseren Foramina nutritia von Radius und Ulna spricht für die 
Richtigkeit dieser Betrachtung. — Soviel an dieser Stelle über jene 
schwierige Frage, mit deren genauerer Beantwortung ich zur Zeit noch 
beschäftigt bin. 

Ist nur die von mir gegebene Erklärung der Richtung und Nei- 
gung der Ernährungskanäle richtig, so müssen nothwendiger Weise 
die Momente, welche in so eigenthümlicher Weise auf die grossen 
Ernährungsgefässe des Knochens einwirken, auch einen analogen Ein- 
fluss auf sämmtliche kleineren aus dem Periost in die Knochenrinde 
eintretenden Gefässe ausüben, es müssen die sie einschliessenden 
Havers’schen Kanälchen in ähnlicher Weise wie die Ernährungskanäle 
durch dieselben Verhältnisse in ihrer Richtung und Neigung beein- 
flusst werden. Dies ist nun in der That der Fall. Wenn man von 
entkalkten embryonalen Extremitätenknochen in radiärer Richtung 
durch die ganze Länge der Diaphysenrinde einen Schnitt anfertigt 
und denselben bei schwacher Vergrösserung untersucht, so ergiebt sich 
ein überraschendes, ausserordentlich zierliches Bilde Man sieht von 
der Stelle aus, welche etwa der inneren Oefinung des Ernährungskanals 
oder dem neutralen Punkte entspricht, in welchem sich der periostale 
Zug beider Diaphysenenden das Gleichgewicht hält, man sieht von 
dieser Stelle aus die Havers’schen Kanäle, welche in der Gegend der 
neutralen Zone senkrecht die Knochenrinde durchsetzen und durch 
zahlreiche anastomosirende Kanäle innerhalb der einzelnen periostalen 
Schichten verbunden werden, unter immer spitzeren Winkeln die 
Grenze zwischen Knochen und Periost berühren, je näher man den 
Enden der periostalen Knochenrinde kommt. Man erhält so auf jeder 
Seite des ursprünglichen Diaphysenmittelpunkts (ersten Ossifications- 
punkts) ein System schräger Linien, welches mit den Linien, die man 
als verbindende Linien je zweier correspondirender Punkte der Oberfläche 
zweier im Alter verschiedener Diaphysen - Längsschnitte construiren 
würde, vollkommen übereinstimmen. Fig. 10 (Taf. XV) zeigt diese nach 
meinen Messungen und meiner Theorie in den Diaphysendurchschnitt 


Ueber die Ernährungskanäle der Knochen und das Knochenwachsthum. 331 


eines Humerus hineingezeichneten Linien, Fig. 11a und 11b (Taf. XVI) 
dagegen die getreuen, mittelst der Camera lucida aufgenommenen Ab- 
bildungen des oberen Endes (11a) und mittleren Abschnittes (11b) eines 
solchen Durehschnittes selbst (von der Tibia). Man erkennt die auf- 
fallende Uebereinstimmung der die Knochenoberfläche berührenden 
Linien der Fig. 10 (Taf. XV) mit den vom Periost aus in den Knochen 
vordringenden Gefässkanälen in Fig. 1la und 11b; natürlich werden 
letztere überall durch kurze Querkanälchen verbunden, da ja die vom 
Periost in den Knochen eindringenden Gefässe innerhalb des ersteren 
ebenfalls zu Netzen verbunden waren, die nun mit in den sich bil- 
denden Knochen hineingezogen werden.') 

Aus unserer die Verhältnisse der ‘Humerusdiaphyse erläuternden 
Figur ergibt sich ferner, dass nach dem unteren, langsamer wachsenden 
Knochenende hin die Zunahme der schiefe Richtung der Kanälchen gegen 
die periostale Oberfläche weniger bedeutend ist, wie in der Richtung 
nach dem oberen, rascher wachsenden Ende, und dies steht ebenfalls 
in vollem Einklang mit den oben von mir entwickelten Prineipien. 


l) Die so eben beschriebene eigenthümliche Anordnung der Havzrs’schen 
Kanäle in jugendlichen Knochen ist zwar mehrfach gesehen, aber nicht genügend 
beachtet, geschweige denn in ihren Ursachen gewürdigt worden. So bildet 
STRELZOFF diese Structur in seinen genetischen und topographischen Studien des 
Knochenwachsthums in Fig. 5 der Tafel VII aus dem oberen Ende der Tibia 
einer jungen Taube ab, ohne im Texte etwas davon zu erwähnen. Aehnliches 
zeigen die Figuren 7 und S auf Tafel XXI der Abhandlung von STEUDENER: 
„Beiträge zur Lehre von der Knochenentwieklung und dem Knochenwachsthume“ 
vom Brustbein- und Wirbelende der Rippen, ferner Fig. 3 Tafel XX der neuesten 
Arbeit von Renaut: ‚„Recherches anatomiques sur le tissu &elastique des os“ 
(Archives de physiol. 1875). Auf die Ursachen dieser eigenthümlichen Anord- 
nung der Havzrs’schen Kanälchen und periostalen Bälkchen gehen nur BRucH 
und in allerneuester Zeit SchuLin näher ein, ohne jedoch das von mir mitge- 
theilte einfache Erklärungsprineip zu finden. Bruch sagt auf $. 100 seiner 
wichtigen Arbeit: „Beiträge zur Entwicklungsgeschichte des Knochensystems“: 
„Die einzelnen Lamellen (des periostalen Knochens) deeken sich jedoch nicht 
so vollständig, dass dadurch lauter senkrecht auf die Achse des Knochens 
stehende Kanäle entstehen, sondern sie decken sich in der Weise, dass jede 
folgende Lamelle etwas über die vorhergehende hinausragt, gewissermaassen 
weiter vorgeschoben ist. Der Kanal erhält dadurch eine schiefe Richtung und 
wird nach oben durch jede folgende Lamelle etwas weiter überwölbt.‘“ SCHULIN 
(Ueber das Wachsthum der Röhrenknochen. Sitzungsber. d. Gesellsch. z. Beförd. 
d. ges. Naturwiss. z. Marburg 1875. Nr. 3) beschreibt ebenfalls diese Anordnung 
auf dem Längsschnitt der Diaphyse embryonaler Knochen, leitet sie aber von 
dem Wachsthum der Periost-Capillaren ab, die nach ihm in einer spitzwinklig 
zur Längsaxe des Knochens geneigten Richtung gegen diesen vordringen, in 
derselben Weise wie beim Längenwachsthum die Capillaren auf den Knorpel 
zuwachsen. 


332 @&. SCHWALBE. 


Wenn, wie beim Humerus und andererseits beim Radius und in der 
Ulna, die Verschiedenheiten im Wachsthum beider Diaphysenenden 
sehr bedeutend sind, so wird der Winkel, welchen die meisten Linien 
(resp. Havers’sche Kanälchen) mit der Knochenoberlläche bilden, ein 
ausserordentlich spitzer werden (Fig. 10), ihr Verlauf wird sich dem 
longitudinalen nähern. Bei Untersuchung dieses Stückes allein zeigen 
also die Gefässkanälchen im Allgemeinen einen longitudinalen Verlauf. 
Selbstverständlich ist auch dieser wieder um so ausgesprochener, je 
geringer das Dickenwachsthum im Verhältniss zum Längenwachsthume 
ausfällt. Ich brauche in dieser Beziehung nur auf die oben wieder- 
gegebene Construction Fig. 10 zu verweisen, aus der auch noch ein 
Weiteres hervorgeht. Je länger der Knochen wird, desto mehr muss 
der longitudinale Verlauf der Gefässkanälchen in der Diaphyse aus- 
gesprochen erscheinen. Für die Enden ist dies selbstverständlich; im 
Mittelstücke aber, in der Gegend des neutralen Punktes kommt noch 
ein anderes Moment in Betracht, welches auch hier zur Ausprägung 
eines vorherrschend longitudinalen Verlaufes der Havers’schen Kanäl- 
chen führt. Die die Rinde durchbohrenden, mehr oder weniger schief 
verlaufenden Kanälchen sind ja in den verschiedenen Lagen des 
periostalen Knochens durch Querkanälchen verbunden. Sie entstammen 
dem flächenhaft ausgebreiteten Gefässnetze des Periosts, welches die 
einzelnen eindringenden Aeste unter einander verbindet. Diese Ver- 
bindungsäste werden selbstverständlich eingeschlossen in die sich ab- 

lagernde Knochenmasse und in ihrem Verlaufe stets annähernd parallel 
der Knochenoberfläche bleiben. An den Enden der Diaphyse, wo die 
perforirenden Aestchen einen nahezu parallelen Verlauf annehmen, 
müssen sie nur dazu beitragen, den. Gesammteindruck dieses Paralle- 
lismus zu steigern, da sie unter sehr spitzen Winkeln die einzelnen 
Richtungskanälchen, wie ich der Kürze halber die ursprünglich 
perforirenden nennen will, verbinden. In der Gegend des neutralen 
Punktes werden sie natürlich mehr senkrecht zu den direct oder 
wenig geneigten durch die Compacta vordringenden Richtungskanäl- 
chen verlaufen; sie bilden zusammen mit letzteren ein Gitterwerk, 
dessen Maschen nach der Oberfläche des Knochens zu allmählich 
grösser werden und in welchem die Richtungskanälchen anfangs durch 
ihre Weite und fortwährende Neuproduction von Seiten des Periosts 
dominiren (s. Fig. 11b). Bald aber, im postembryonalen Leben werden 
keine oder nur noch wenig perforirende Kanäle gebildet, die Abstände 
der Richtungskanälchen rücken, in der Weise, wie dies ja schon meine 
Construction in Fig. 10 angibt, weiter auseinander. Es werden nun 
die longitudinal verlaufenden, der Oberfläche parallelen Verbindungs- 


Ueber die Ernährungskanäle der Knochen und das Knochenwachsthum. 333 


kanälchen mehr und mehr die Physiognomie des Bildes beherrschen, 
die ganze Diaphyse somit zur Zeit der Vollendung des Wachsthums 
mehr und mehr sich von vorzugsweise longitudinal verlaufenden 
Havers’schen Kanälchen durchsetzt zeigen. Dass diese Momente in 
der That die Ursache der äusserlich so verschiedenen Architectur der 
Compacta im jugendlichen und erwachsenen Zustande sind, lehrt eine 
einfache Vergleichung von Flächenschnitten der Oberfläche aus der 
neutralen Gegend embryonaler und erwachsener Diaphysen: in ersterem 
Falle sieht man ein dichtes, mehr gleichmässiges Gefässnetz, in letz- 
terem Falle zeigt dasselbe sehr grosse longitudinal gestreckte Maschen- 
räume und wenig Durchschnitte perforirender Gefässe. 

Das Bild der Compacta älterer Knochen zeichnet sich noch durch 
einen anderen Umstand vor dem embryonaler aus, nämlich durch das 
Auftreten der KÖLLIKER’schen Resorptionsflächen. Es wird dadurch 
an diesen Stellen eine Knochenrinde geschaffen, die aus endochondralem 
Knochen gebildet ist.) Man erkennt dieselbe sofort an der anderen 
Anordnung der Knochenbälkchen, die sich stets scharf von den in der 
beschriebenen Weise schief nach aussen auf- oder absteigenden peri- 
chondralen Bälkchen in ihrer Richtung unterscheiden lassen. Die 
Richtung der endochondralen Knochenbälkchen wird vor Allem durch 
den im Inneren des Markes wirkenden Wachsthumszug und durch die 
Stellung der Knorpelzellensäulen am Diaphysenende bewirkt, die Rich- 
tung der perichondralen Bälkchen durch die Art der Verschiebungen 
des Periosts. Es ist deshalb vom morphologischen Standpunkte durch- 
aus unstatthaft, die Spongiosa als aufgelöste Compacta zu bezeichnen 
(J. Worrr). Ein Blick auf meine Figur 11a genügt, zu zeigen, wie 
wenig dies begründet ist. Dem physiologischen Zusammenwirken bei-. 
der Substanzen thut natürlich meine Berichtigung keinen Abbruch. 

Wenden wir uns nach diesem Seitenblicke auf den Bau der Dia- 
physe weit entwickelter Röhrenknochen und auf die äusseren Resorp- 
tionsflächen wieder zurück zu den vorhin beschriebenen Bildern 
embryonaler Knochen, so wäre noch ergänzend hinzuzufügen, dass da, 
wo beide Diaphysenenden weniger in ihrem Wachsthum verschieden 
sind, wie bei den vorhin gewählten Beispielen, vom neutralen Punkte 
aus auch die Havers’schen Kanälchen ziemlich gleichmässig nach 
beiden Seiten fächerförmig ausstrahlen (Tibia). 

Der eigenthümliche Verlauf der Havers’schen Kanäle innerhalb 
der embryonalen Knochen erklärt ferner in sehr einfacher Weise die 
verschiedenen Querschnittsbilder der compacten Diaphysenrinde. Selbst- 


1) Vergl. KÖLLIKER, Die normale Resorption des Knochengewebes S. 39, 40. 


334 G. SCHWALBE. 


verständlich kann es nicht gleichgültig sein, von welcher Stelle der Dia- 
physe man diese Querschnitte entnimmt. Schneidet man quer durch die 
von mir sogenannte neutrale Gegend, so erhält man (Fig. 15 Taf. XVI) 
nicht die bekannten Querschnitte der Gefässkanälchen, sondern ein 
Netz derselben in der Ebene des Schnittes ähnlich dem, wie es von 
KÖLLIKER in Fig. 81 S. 278 seiner mikroskopischen Anatomie abge- 
bildet und später in dessen Gewebelehre reproducirt wurde. Wenn 
man dagegen eine Stelle zum Querschnitt wählt, innerhalb welcher 
die Haıvers’schen Kanälchen bereits nahezu longitudinal verlaufen, so 
erscheinen selbstverständlich mehr oder weniger reine Querschnitte 
dieser Kanälchen, nur hie und da durch ein Aestchen unter einander 
verbunden. KÖLLIKER sagt bei Besprechung des Querschnittes mit 
netzförmiger Anordnung der Kanälchen: „Ich sah dies constant in den 
Knochen des Fötus und auch in jüngeren Knochen muss dieses Ver- 
halten das gewöhnliche sein, da es wenigstens bei einem 18jährigen 
Individuum noch ganz exquisit sich fand.“ Die erwähnte KÖLLIKER- 
‚sche Figur ist einem Femur-Querschnitte dieses Individuums entnom- 
men. Meine Untersuchungen zeigen nun auf die einfachste Weise, 
wo man dies letztere Querschnittsbild und wo andererseits das mit 
quergetroffienen HAvers’schen Kanälen zu erwarten hat. Je jünger 
der untersuchte Knochen, auf desto grösseren Strecken der Diaphyse 
überwiegt das Bild mit netzförmigen Kanälen; nach den beiden Knochen- 
enden zu geht es allmählich in das Bild mit quergetroffienen Kanälen 
über. Dieses letztere ist dagegen über um so grössere Strecken der 
Diaphyse verbreitet, je älter, d. h. je länger der Knochen ist, es ist 
das vorherrschende an erwachsenen Knochen. 

So beeinflusst das Wachsthum an den Epiphysenenden den ganzen 
Aufbau der periostalen Knochenrinde; die Erkenntniss der Wachs- 
thumsgesetze verknüpft eine ganze Anzahl isolirt stehender anatomi- 
scher Thatsachen zu einem einheitlichen Ganzen, sie gewährt eine Er- 
klärung dieser scheinbar unvermittelten anatomischen Erscheinungen 
insofern, als sie die Thatsachen auf ein allgemeineres Prineip zurück- 
führt, auf die Vertheilung des Wachsthums innerhalb des Skelets 
der Extremitäten. Eine weitere Aufgabe muss es sein, den Ursachen 
dieser Wachsthumsverhältnisse nachzuspüren, eine Aufgabe, die ohne 
einen vergleichend anatomischen Umblick nicht zu lösen ist. Mit 
dieser Frage bin ich zur Zeit noch beschäftigt und hoffe in meiner 
grösseren Arbeit über das Knochenwachsthum bereits einiges Material 
für Lösung dieser Frage beibringen zu können. 

Ich kann die Besprechung der Diaphysen-Structur nicht schliessen, 
ohne noch auf ein ganz grobes anatomisches Factum aufmerksam zu 


Ueber die Ernährungskanäle der Knochen und das Knochenwachsthum. 335 


machen, das jedenfalls längst bekannt, doch nicht beachtet und in 
seinem morphologischen und physiologischen Werthe gewürdigt wor- 
den ist.!) Ich meine die Verschiedenheiten, welche die Längsschnitte 
der Diaphysenrinde in den einzelnen Röhrenknochen in Betreff der 
Lage ihrer dicksten Stelle erkennen lassen. Aus den von mir ent- 
wickelten Wachsthumsgesetzen ergiebt sich schon vou vornherein, dass 
die dickste Stelle der Diaphysenrinde immer an der Stelle des ersten 
Ossificationskernes liegen muss, da über diesem das Periost am läng- 
sten Knochensubstanz ablagert; die Rinde muss ebenso selbstverständ- 
lich um so dünner werden, je näher sie den Epiphysenenden der 
Diaphyse liegt, sie muss sich nach beiden Enden zuschärfen. Da nun 
die letzteren verschieden rasch wachsen, so wird die Zuschärfung des 
Rinden-Längsschnitts an den beiden Enden derselben Diaphyse eine 
verschiedene sein. Wo die Endresultate des Wachsthums beider Dia- 
physenenden nahezu gleich sind, wird die Zuschärfung nach beiden 
Enden eine mehr oder weniger gleichmässige sein; die dickste Stelle 
der Rinde liegt hier ungefähr in der Mitte der Diaphyse. So verhält 
sich z. B. die Tihia und Fihula des Menschen. Ueberwiegst dagegen 
das Wachsthum des einen Diaphysenendes um ein bedeutendes das 
des anderen, so wird die Abnahme der Dicke rascher an der langsam 
wachsenden, allmählich an der schneller wachsenden Seite sein; oder 
mit anderen Worten: es liegt die dickste Stelle der Diaphysenrinde, 
bei ungleichem Wachsthum an beiden Enden, immer näher dem lang- 
samer, ferner dem rascher wachsenden Ende und zwar um soviel, als 
der Unterschied im Gesammtwachsthum beider Enden beträgt. Man 
findet demnach im Humerus die dickste Stelle der Compacta bedeutend 
näher dem unteren, im Radius und der Ulna in grösserer Nähe zum 
oberen Ende des Knochens; im Femur liegt die dickste Stelle etwa 
an der Grenze vom obersten und mittelsten Dritttheil des ganzen 
Knochens. Im Allgemeinen liegt dieselbe immer in der Umgebung 
der inneren Oeffnung des Ernährungskanals, wie aus dem früher Mit- 
getheilten mit Nothwendiskeit folgt. — Wo das eine Ende der Dia- 
physe so gut wie gar nicht am Längenwachsthum des Knochens be- 
theiligt ist, wie z. B. am Humerus des Frosches das untere, an den 
Endphalangen des Menschen das distale, da hat die Compacta ihre 


I) So behauptet fälschlicher Weise J. WoLrr (Ueber die innere Architectur 
der Knochen ete. Virchow’s Archiv Bd. 50 S. 394), dass die compacte Substanz 
am Oberschenkel in der. Mitte am dieksten sei, während die dickste Stelle etwas 
unterhalb der inneren Oefinung des oberen Ernährungskanals, etwa an der 
Grenze von oberem und mittlerem Drittel gelegen ist. 


336 G. SCHWALBE. 


grösste Dicke an diesem Ende und schärft sich einseitig nach dem 
proliferirenden Ende zu. 

Eine praktisch wichtige Folgerung lässt sich aus diesen Thatsachen 
ziehen. Wo aus Mangel an embryonalem Material eine Bestimmung 
der Dicke der Knorpelproliferationszone behufs Beurtheilung der Wachs- 
thumsenergie nicht möglich ist, wo ferner auch die von mir angegebene 
Methode der Messung von der inneren Mündung des Ernährungskanals 
aus sich nicht ausführen lässt, genügt zur Feststellung der Frage, an 
welchem Ende überhaupt während der ganzen Entwicklung bis zum 
untersuchten Zeitpunkte sich mehr Knochensubstanz angebildet hat, 
eine einfache Betrachtung des Diaphysen-Längsschnitts. Aus ihm lesen 
wir sofort das Wachsthumsverhältniss beider Enden ab: stets liegt die 
dickste Stelle bei gleichem Wachsthum in der Mitte, bei ungleich- 
mässicem näher dem langsamer wachsenden Ende. 

Für die statischen und mechanischen Verhältnisse der Knochen 
kann diese verschiedene Lage der dicksten Stelle der compacten Sub- 
stanz ebenfalls nicht ohne Bedeutung sein; muss doch die ungleiche 
Vertheilung der Masse auf die einzelnen Strecken der Knochen von 
Einfluss auf das Gewicht der Hebelarme bei den Bewegungen der 
Knochen gegen einander, von Einfluss auf die Lage des Schwerpunkts 
in den Knochen sein. Ich begnüge mich damit, auf diese Verhältnisse 
aufmerksam zu machen, deren Verfolgung ohne Zweifel noch manche 
interessanten Aufschlüsse über die Bewegungen des Körpers liefern 
werden. 

Die in den vorstehenden Zeilen mitgetheilten Thatsachen haben 
sich alle in vollkommener Weise aus der Annahme einer Apposition 
an den Epiphysenenden und vom Periost aus, sowie einer Resorption 
von Seiten der Markhöhle erklären lassen. Sie führten aber zur Er- 
kenntniss, dass das periostale Wachsthum sich in etwas anderer Weise 
gestaltet, als man bisher annahm, weil das Periost interstitiell, der 
Knochen durch Anlagerung neuer Schichten wächst, die natürlich in 
Folge des interstitiellen Wachsthums des Periosts, an dessen Aus- 
dehnung die fertig gebildete Knochensubstanz nicht Theil nehmen 
kann, mit jeder neuen Schicht im Sinne der periostalen Verschiebung 
ebenfalls verschoben sein müssen. Wir sahen die Spuren dieser Ver- 
schiebungen der sich neu anbildenden gegen die bereits abgelagerte 
Knochenmasse in der Richtung der Ernährungskanäle, ja der Gefäss- 
kanälechen des Knochens überhaupt, deutlich ausgeprägt; wir können 
mit Sicherheit aus einer bestimmten Lage und Richtung der Ernährungs- 
kanäle auf ein bestimmtes Wachsthum der Diaphysenenden schliessen, 
die Richtigkeit dieser Schlussfolserung aber experimentell oder durch 


Ueber die Ernährungskanäle der Knochen und das Knochenwachsthum. 337 


die von mir erwähnten Messungen bestätigen. Umgekehrt können 
wir mit aller Bestimmtheit behaupten, dass, je nachdem das ursprüng- 
liche Foramen nutritium in der durch das Längenwachsthum des 
oberen oder des unteren Diaphysenstückes beeinflussten Zone liegt, es 
absteigend oder aufsteigend sein muss. Meine über die ganze Wirbel- 
thierreihe von den Amphibien an aufwärts sich erstreckenden Unter- 
suchungen haben stets diese Abhängigkeit der Richtung der Ernäh- 
rungskanäle von ihrer ursprünglichen Lage und dem Wachsthum der 
Diaphysenenden ergeben. Dabei kann es allerdings vorkommen, dass 
an den homologen Knochen verschiedener Thiere die Richtung ver- 
schieden ist, wie schon OLLIER’S oben erwähnten Beispiele ergeben. 
Dies kaun dann wieder einen verschiedenen Grund haben. Entweder 
liest das Foramen nutritium in verschiedenen Zonen des Knochens bei 
im Wesentlichen correspondirendem Wachsthume der Diaphysenenden; 
dies erklärt z. B., wie bereits oben bemerkt wurde, die verschiedene 
Richtung der Ernährungskanäle am Femur verschiedener Säugethiere; 
_ oder es ist das Wachsthum ein ganz anderes, als in den Fällen, die 
ich dieser Darstellung zu Grunde gelegt habe, in den menschlichen 
Röhrenknochen. Ein Beispiel hierfür bietet der Humerus von Sala- 
mandra maculosa, ferner der Schildkröten (Chelydra serpentina). Hier 
wächst abweichend von den Verhältnissen, wie sie sich bei Batrachiern 
und Säugethieren finden, das untere Ende des Humerus stärker, wie 
das obere, und der Ernährungskanal hat in Folge dessen trotz der 
Lage seiner äusseren Oefinung über der Mitte des Knochens, eine 
aufsteigende Richtung. 

Man sieht die Probe zur Rechnung stimmt in allen Fällen. Wie 
soll man dagegen die Richtung der Ernährungskanäle, die allmähliche 
Veränderung ihrer Neigung, das Auftreten von Krümmungen (Femur), 
die von mir beschriebene Architectur der Compacta aus der Annahme 
eines interstitiellen Wachsthums erklären? Mit der extremen WOLFF- 
schen Ansicht, dass überhaupt keine Ablagerung vom Periost und den 
Epiphysen Statt finde, sondern nur ein interstitielles Wachsthum, ist 
dies offenbar gar nicht möglich, wie ich bereits oben gezeigt habe; 
denn ist dies Wachsthum ein gleichmässiges, so muss die Architeetur 
der Knochensubstanz offenbar zu allen Zeiten der Entwicklung, wie 
dies auch J. WOoLFF behauptete, geometrisch ähnlich sein. Wie es 
aber mit dieser von WOLFF gerühmten Aehnlichkeit der Architectur 
in der Compacta steht, haben diese Mittheilungen genugsam gezeigt; 
diese geometrische Aehnlichkeit existirt einfach nicht, ebenso wenig 
wie die der Spongiosa der Epiphysenenden. In letzterer Beziehung 
brauche ich nur daran zu erinnern, dass die Zahl der Spongiosa-Bälk- 


338 G. SCHWALBE. 


chen zu verschiedenen Zeiten der Entwicklung eine verschiedene ist 
(BARDELEBEN!), VIRCHOW?), ferner dass die Epiphysenbälkchen anfangs 
durchaus nicht den benachbarten Diaphysenbälkchen correspondiren, 
wie man an jedem Durchschnitt z. B. durch das untere Ende einer 
Tibia mit noch erhaltener Epiphysenlinie wahrnehmen kann; endlich 
ist vor allen Dingen an die von der embryonalen Form abweichende 
Gestalt erwachsener Knochen zu erinnern, mit der uns LANGER ge- 
nauer bekannt gemacht hat; speciell der Nachweis, welchen LANGER 
lieferte®), dass der Hals des oberen Endes vom Oberschenkelbein sich 
mit fortschreitendem Wachsthum relativ verlängere, ist ein harter 
Schlag für die frühere WoLrr’sche Theorie des gleichmässisen inter- 
stitiellen Wachsthums. Gerade das vielgerühmte coxale Femurende hat 
diese Ansicht widerlest. Worrr’s letzte Arbeiten halten auch diese 
Theorie nicht mehr aufrecht; ein ungleichmässiges interstitielles 
Wachsthum soll die von LANGER hervorgehobenen Verhältnisse erklären, 
daneben aber schleicht sich schon leise in den Wourr’schen Ideen- 
kreis der Gedanke ein, sich bei Zeiten mit der Appositionstheorie gut 
Freund zu machen, um nicht gänzlich unter den Trümmern der Theorie 
des ausschliesslich interstitiellen Wachsthums zu erliegen. Den Knochen 
kleiner Thiere gesteht er zu‘), was er denen des Menschen versagt, 
ein Wachsthum durch Apposition. Für das obere Ende des Femur 
vom Menschen bleibt er dagegen bei der alten Ansicht, wie ich ver- 
muthe aus dem einzigen letzten Grunde, weil er auf Grund seiner 
mathematisch-mechanischen Vorstellungen sich nicht zur Annahme fort- 
währender Architeetur- Umwälzungen entschliessen kann; und hieran, 
glaube ich, thut WoLFF ganz recht. Aber selbst dies zugegeben, folgt 
daraus noch durchaus kein interstitielles Wachsthum. WoLrr°) hat 
freilich sich vergeblich bemüht, auf Grundlage des appositionellen 
Wachsthums eine Vergrösserung des coxalen Femurendes mit Erhaltung 
seiner Architectur zu verstehen, da dasselbe. sofort andere äussere 
Formen ergeben und, falls die Brauchbarkeit des Knochens erhalten 
bleiben solle, zu inneren Architeetur - Umwälzungen führen müsste. 
Seiner an SCHWEIGGER - SEIDEL und WEGENER gerichteten Aufforde- 


1) Recension von EBERTH, Untersuchungen aus d. pathol. Institut in Zürich. 
Heft 1. Jenaische Literaturzeitung 1874. August. 

2) Ueber Bildung und Umbildung des Knochengewebes. Berliner klinische 
Wochenschrift 4. und 11. Jan. 1875. 

3) ]. ec. 8. 59—62. 

4) J. Wourr, Zur Knochenwachsthumsfrage. Virchow’s Archiv Bd. 61 
S. 452. 

5) Virchow’s Archiv Bd. 61 S. 439. Tafel XIII Fig. 2. 


Ueber die Ernährungskanäle der Knochen und das Knochenwachsthum. 339 


rung), ihn auf diesem Felde zu widerlegen, will ich hier kurz ent- 
sprechen. Zunächst ist hervorzuheben, dass man bei einem appositio- 
nellen Wachsthume nicht bloss, wie WOLFF dies thut, das Periost für 
neue Auflagerungen verantwortlieh machen darf, dass vielmehr die 
Epiphysenlinie das wesentlichste Element für das Längenwachsthum 
ist, gleichgültig wie man ihre Bilder im Speciellen deute. WOoLrrF 
denkt aber bei seiner Construction in Fig. 2 Tafel XVII nicht daran, 
berücksichtigt ferner durchaus nicht das Wachsthum des Trochanter 
major und behandelt den oberen Theil des Oberschenkelbeines als ein 
Knochenstück, obwohl wie Skizze Fig. 14 ergiebt, wenn wir absehen 
vom Trochanter minor, vom 4. Lebensjahre an drei selbstständig 
wachsende Knochen, die Diaphyse, der Kopf und Trochanter major 
darin zu unterscheiden sind. Die Diaphyse bildet dann natürlich in 
ihrer ganzen Epiphysengrenze Knochensubstanz an. Nun entsprechen 
aber die maassgebenden Architeeturlinien im Allgemeinen der Anord- 
nung der Knorpelzellensäulen; es werden also in der Richtung dieser 
die bereits bestehenden Bälkchen verlängert werden. In dem Alter 
von 4 Jahren, von dem meine Betrachtung ausgeht, existiren bereits 
die für das coxale Femurende charakteristischen Druck- und Zugeur- 
ven?), wie eine Vergleichung der Fig. 2 (Mädchen von 3 Jahren) mit 
Fig. 1 (vom Erwachsenen) auf Tafel X der Worrr’schen Arbeit im 
50. Bande von Virchow’s Archiv überzeugend darthut; ist ja doch auch 
dies die Voraussetzung der Wourr’schen Theorie. Vergleichen wir 
nun mit diesen Linien; die ich nach WOoLFF in meine Skizze Fig. 14 
eingetragen habe, die Stellung der Knorpelzellensäulen, so erkennt 
man, dass in der ganzen Zone von der Einsattlung zwischen Tro- 
chanter und Kopf bei a bis zur Gegend ce die Knorpelzellensäulen 
senkrecht zum Ossificationsrande stehen, also im Kopf anders, als 
im Sattel, da der Ossifieationsrand bei 5 keilföürmig vorspringt. Die 


1) Virehow’s Archiv Bd. 61 S. 421. Centralbl. für d. medie. Wissensch. 1371. 
Nr; 35. S. 559. 

2) Ich bemerke hier gelegentlich, dass die Entdeckung der Architeetur der 
Spongiosa älteren Datums ist, als man gewöhnlich glaubt. Schon im Jahre 1851 
macht J. EnsEL in seiner Arbeit „Ueber die Gesetze der Knochen-Entwicklung“ 
(Wiener Sitzungsberichte) darauf aufmerksam und bildet sie (Taf. IV), wenn 
auch unvollkommen vom coxalen Femurende ab. Er erkennt ihre Bedeutung 
vollkommen an, indem er sagt: „Denn nicht ohne Zweck scheint die Architec- 
tonik in verschiedenen Knochen verschieden zu sein, und die Anwendung bald 
des Spitzbogens, bald des elliptischen Bogens, der Kreislinie, die Benutzung bald 
senkrechter Strebepfeiler, bald schräger Widerlager hat gewiss noch eine andere 
Bedeutung, als die das Auge des Anatomen durch zierliches Schnitzwerk zu 


erfreuen.“ 
Zeitschrift f. Anatomie, Bd. I. 23 


340 G. SCHWALBE. 


Knorpelzellensäulen sind in unserer Figur roth eingezeichnet und man 
sieht, dass sie den maassgebenden Druckbälkchen entsprechen. Von 
c bis d findet sich eine schiefe Stellung der Knorpelzellensäulen, die 
es bedingt, dass das Feld cdf eine abweichende Architectur erhält. 
Am Trochanter ist die Grenzlinie' der Diaphyse gegen den Knorpel 
ebenfalls durch regelmässig schief gestellte parallele Knorpelzellen- 
säulen ausgezeichnet und zwar in der ganzen Ausdehnung von e bis a; 
ihre Richtung stimmt mit der Richtung der Zuglinien überein, wie 
sie besonders schön an Frontalschnitten des coxalen Femurendes auf 
der lateralen Seite unterhalb der Epiphysenlinie des Trochanter her- 
vortreten. Bedenkt man nun, dass die Knochenbildung in der Linie 
bd rascher erfolgt, wie in der Linie et), dass ferner das am weitesten 
vorgeschobene Ende des Diaphysenkeils «5 bald das Periost erreicht 
und damit den Epiphysenknorpel in zwei selbstständige Stücke zer- 
theilt, so hat man alle Momente, die nöthig sind, um ein appositio- 
nelles Wachsthum des oberen Femurendes mit der Erhaltung der 
typischen Architeetur zu vereinbaren; eine Annahme innerer Archi- 
tectur-Umwälzungen erscheint nun nicht mehr nothwendig. Nur von 
einer Seite her findet Resorption Statt, von Seiten der Markhöhle, die 
allmählich, wie man dies aus der Vergleichung meiner Figuren 13 
und 14, sowie aus der Betrachtung der WoLrr’schen Photographien 
Fig. 1, 2 und 3 der bereits erwähnten Tafel X erkennen kann, immer 
weiter gegen das obere Ende vordringt und demnach successive die 
zu früheren Zeiten gebildeten, an die Markhöhle grenzenden endo- 
chondralen Bälkchen vernichtet. Diese in früheren Zeiten innerhalb 
der Diaphyse gebildeten Bälkchen stimmen ferner — und dies betone 
ich gegen WOoLFF und dessen Theorie — durchaus nicht mit denen 
des späteren coxalen Femurendes überein. Ich berufe mich dabei vor 
allen Dingen auf WoLrr's Fig. 4 Tafel X, die Architeetur des oberen 
Femurendes eines Neugebornen darstellend.e Eine aufmerksame Be- 
trachtung der maassgebenden Linien dieser Figur ergiebt, dass sie 
sämmtlich senkrecht zum leicht convex in den Knorpel prominirenden 
Össificationsrande gerichtet sind, wie dies in meiner Skizze Fig. 12 
an dem entsprechenden Femurschnitte eines etwas älteren Kindes dar- 
gestellt ist; und auch hier wieder stimmt die Richtung der die Phy- 
siognomie des Bildes beherrschenden Bälkchen mit der der Knorpel- 
zellensäulen (roth eingezeichnet) überein. Auch die Architectur der 
Fig. 3 Tafel X von WOoLFF, einem 1?/,jährigen Knaben entnommen, 


1) Die Länge der Knorpelzellensäulen ist nach meinen Messungen in Linie 
bd bedeutender als in ae. 


Ueber die Ernährungskanäle der Knochen und das Knochen vachsthum. 341 


kann ich durchaus nicht den Architecturen weiter entwickelter Knochen 
(Fig. 2 und 1 derselben Tafel) geometrisch ähnlich finden. Man sieht 
deutlich: die Richtung der Zug- und Druckbälkchen hängt zunächst 
ab von der Richtung der Knorpelzellensäulen; diese wird wieder modi- 
fieirt durch die Configuration der Grenzlinie der Diaphyse, indem die 
Knorpelzellenreihen meist senkrecht zu derselben stehen, nur in späterer 
Zeit, besonders gegen den Knorpel des Trochanter major, eine schiefe 
Richtung annehmen. Die Configuration der Diaphysengrenze steht 
aber offenbar wieder im Zusammenhange mit der Art und Weise, wie 
sich das Längenwachsthum des endochondralen Knochens auf dem 
Querschnitt der Diaphyse vertheilt. Vergleicht man die von mir wie- 
dergegebenen Skizzen (Fig. 12—14) dreier verschiedener Altersstadien 
des oberen Femurendes, so sieht man deutlich, dass in ‘der Axe des 
Knochens die grösste Intensität der endochondralen oder jmedullären 
Apposition herrscht und von da nach der Peripherie abnimmt. Wie 
dies schliesslich zur Zersprengung des Epiphysenknorpels in zwei 
selbstständige Stücke führt, habe ich oben bereits auseinandergesetzt. 
Es stimmen diese Betrachtungen vollkommen zu "den interessanten 
Versuchsergebnissen von HAAB!). Er fand, dass Stifte, welche jungen 
Katzen in die Tibia senkrecht zur Längsaxe eingeschlagen waren, all- 
mählich in Folge einer Resorption von Seiten der Markhöhle in diese 
hinein gerathen und dabei im Markgewebe eine mehr oder weniger 
schiefe Stellung annehmen. HaaAB selbst erklärt diese Verschiebung 
der Stiftenden aus einem Zuge, den das wachsende Mark ausübt, „der 
von der Mitte aus nach beiden Epiphysen hin geht und gegen die 
. Epiphysen hin an Stärke zunimmt. Der Zug ist am stärksten in den 
axialen Partien und wird schwächer und schliesslich gleich Null, je 
mehr man sich den an die Knochenwandungen stossenden Partien 
nähert.“ So die interessanten Angaben Haap’s. Es ist einleuchtend, 
dass dieser experimentell erwiesene Wachsthumszug des Knochenmarks 
sich in ähnlicher Weise aus einer interstitiellen Ausdehnung des 
Markes ableiten lässt, wie der periostale aus einem solchen des Periosts. 
‚ Es verschiebt sich das Mark in Folge dessen auf der inneren Fläche 
des knöchernen Tubus medullaris und wird an den von der Resorption 
nicht betroffenen Enden der Diaphysen, in ähnlicher Weise die Archi- 
tectur der Spongiosa beeinflussen können, wie die Verschiebungen des 
Periosts die des periostalen Knochens, nur dass die Architecturlinien 


1) Experimentelle Studien über das normale und pathologische Wachsthum 
der Knochen. Untersuchungen aus d. patholog. Institut zu Zürich. Heft III. 
S. 49. Tafel III. Fig. 5. 

23° 


342 G. SCHWALBE. 


im umgekehrten Sinne fächerförmig vom neutralen Punkte ausstrahlen 
müssen, beim periostalen Knochen schief nach aussen, beim medul- 
lären Knochen schief gegen die Axe des Knochens gerichtet, um so 
schiefer, je ferner dem neutralen Punkte. Es ist nicht zu verkennen, 
dass diese Momente sicher von grossem Einfluss auf die Anordnung 
der Spongiosabälkchen sein werden; da meine Untersuchung hierüber 
indessen noch nicht abgeschlossen ist, begnüge ich mich mit dieser 
Andeutung. 


Wir haben nunmehr gesehen, dass weder WoLFF’s Voraussetzung 
der zu allen Zeiten bestehenden geometrischen Aehnlichkeit für das 
coxale Femurende zutrifft, noch seine Einwände gegen die Erklärung 
der vom 3. Lebensjahre an nahezu übereinstimmenden Architecetur 
vom Standpunkte der Appositionstheorie aus. Gegen das Urtheil der 
Mathematiker in diesen und ähnlichen morphologischen Fragen habe 
ich gewiss nichts einzuwenden; nur muss ihnen eine richtigere 
Unterlage für ihre Untersuchungen gegeben werden, als diese ihnen 
WOLFF geboten; dann wird sicherlich dies Urtheil anders ausfallen. 


Sind somit die Bilder, welche das coxale Femurende in den ver- 
schiedenen Zeiten der Entwicklung darbietet, vom Standpunkte der 
Appositionstheorie aus ohne Zuhülfenahme fortwährender Architectur- 
Umwälzungen zu erklären, so fällt auch das letzte Argument für eine 
ungleichmässige Expansion weg, um so mehr als ja nach WOLrFF die 
Knochen kleiner Thiere in ihrem Aufbau ohne interstitielles Wachs- 
thum fertig werden können, eine Verschiedenheit des Wachsthums, die 
wohl Niemand annehmen wird, der, seinen Blick erweiternd durch 
das Studium der vergleichenden Anatomie und Entwicklungsgeschichte, 
die Erkenntniss gewonnen hat, dass in den fundamentalen morpholo- 
gischen Erscheinungen die Thiere wenigstens eines und desselben Typus, 
geschweige denn derselben Wirbelthierklasse übereinstimmen. 


Aber selbst wenn wir alles dies nicht gelten lassen, so sind es 
wieder die von mir in dieser Arbeit mitgetheilten Thatsachen, an 
denen die Expansionstheorie WoLFF’s vergebens ihre Lebensfähigkeit 
zu beweisen suchen wird. Denn unmöglich wird man so weit gehen 
wollen, einer jeden Schicht der compacten Knochenrinde einen ver- 
schiedenen Grad der Ausdehnung zuzuschreiben; nur auf diese Weise 
wäre es möglich die Veränderung der Richtung und Neigung, vor 
allen Dingen die Krümmungen der Ernährungskanäle mittelst einer 
Expansion der Knochenmasse zu erklären. Genau betrachtet wäre 
dann dies aber nichts Anderes, als die von mir entwickelte Theorie 
der periostalen Ablagerungen, nur dass im ersteren Falle die Thätig- 


Ueber die Ernährungskanäle der Knochen und das Knochenwachsthum. 343 


keit des Periosts in Abrede gestellt, in letzterem dagegen als Bedin- 
sung hervorgehoben wird. Ist Ersteres der Fall, so ist wieder kein 
vernünftiger Grund für die ungleichmässigen Expansionen der einzelnen 
Schichten einzusehen, während die wohl nur von WOoLFrF in Abrede 
gestellte Thätigkeit des Periosts mit Berücksichtigung des im ersten 
Theile dieses Aufsatzes Mitgetheilten Alles erklärt. 


Nicht anders wie mit den Wourr'schen Beweisen für das inter- 
stitielle Wachsthum steht es nun mit den Ausführungen STRELZOFF’S. 
Dieser fleissige Forscher behauptet bekanntlich, dass die Mark- 
höhle der Röhrenknochen nicht durch Resorption, sondern durch Ex- 
pansion der Knochensubstanz gebildet und erweitert werde. Sehen 
wir ganz davon ab, dass bereits von KÖLLIKER!), HEUBERGER?), 
STEUDENER°) und Anderen durch sorgfältige mikroskopische Beob- 
achtungen eine Resorption bereits gebildeter Knochensubstanz gegen 
STRELZOFF nachgewiesen ist, so ergiebt eine einfache Ueberlegung, 
dass bei Annahme einer Ausweitung der Markhöhle durch „Expan- 
sion“ die Ausbildung einer so typischen Architectur, wie ich sie für 
die Compacta der Röhrenknochen beschrieben habe, nicht möglich ist. 
Denn mag dieselbe ohne periostale Auflagerungen, wie WOLFF will, 
oder nach STRELZOFF’S Ansicht combinirt mit einer periostalen Appo- 
sition erfolgen, so muss, soll eine Markhöhle gebildet werden, offenbar 
die Knochensubstanz gedehnt werden und von einem interstitiellen 
Wachsthum kann dann nur in geringem Maasse die Rede sein, da bei 
gleichzeitiger und in demselben Maasse erfolgender interstitieller Ab- 
lagerung der Tubus medullaris nicht vergrössert, bei überwiegender 
Intussusception sogar verengert werden müsste. Diese Auffassung 
scheint STRELZOFF mehrfach gefühlt zu haben, ohne es jedoch zu einer 
einheitlichen klaren Anschauung dessen, was eine Entstehung der 
Markhöhle durch Expansion bereits gebildeter Knochensubstanz bedeute, 
zu bringen; denn bald lässt er, wie beim Tubus medullaris, eine Er- 
weiterung des Kanals die Folge einer Expansion sein (Genetische u. 
topogr. Studien des Knochenwachsth. S. 160), bald eine Verengerung, 
wie bei den Havers’schen Kanälchen (ebenda S. 175) und an anderen 
Orten (ebenda S. 140) wird wieder eine Erweiterung der Ernährungs- 


l) Die normale Resorption des Knochengewebes. 

2) Ein Beitrag zur Lehre von der normalen Resorption und dem intersti- 
tiellen Wachsthum des Knochengewebes. Verhandl. d. Würzb. physik.-med. Ge- 
sellsch. VII. 

3) Beiträge zur Lehre von der Knochenentwicklung und dem Knochenwachs- 
thume. Abhandlungen der naturf. Gesellsch. zu Halle 1875. 


344 G. SCHWALBE. 


kanäle durch Expansion bedingt! Dem entsprechend sollen sich nach 
STRELZOFF die Knochenschichten bei der Expansion bald verdünnen. 
(S. 161), bald verdicken, ohne dass dieser Forscher einen Versuch 
macht, die eben bezeichneten Widersprüche aufzulösen; er führt eben 
einen nicht bewiesenen Vorgang überall da als Erklärung ein, wo es. 
ihm passt, und wenn diese Erklärung in der einen Form nicht mög- 
lich ist, so verändert sie unmerklich einige Seiten darauf ihre Natur 
und erscheint in ganz anderer Gestalt, aber in demselben Gewande 
„der Expansion“. 

Sehen wir nun von diesen Widersprüchen in STRELZOFF’S Erklärun- 
gen ab, unterscheiden wir stets eine Dehnung und Wachsthum durch 
Intussusception, so wird bei einfacher Dehnung der Knochensubstanz 
vor allen Dingen eine Erweiterung der in dieser Lamelle befindlichen. 
Kanäle, sowie eine Verdünnung der ganzen Lamelle beobachtet werden 
müssen. Dieser Vorgang muss, falls nicht die äusseren Knochenlagen 
der Diaphyse vom Periost geliefert werden, alle Knochenschichten gleich- 
mässig betreffen, da, sobald die innere oder äussere Lage irgend wie 
eine verschiedene Spannung besässen, Risse in der äusseren oder 
Spalten zwischen äusserer und innerer eintreten müssten. Bei einer 
solchen gleichmässigen Dehnung kann aber unmöglich die von mir 
beschriebene Structur der Compacta zu Stande kommen. Eine allmäh- 
lich nach innen abnehmende stärkere Expansion der äusseren Lagen 
ist ferner schon deshalb nicht möglich, weil dann die Ernährungs- 
kanäle in ihrem äusseren Stücke weiter sein müssten, als im inneren. 
Ich habe aber gerade das Entgegengesetzte beobachtet: die innere 
Mündung ist constant weiter wie das äussere Kanalstück, gleichsültig 
welches Stadium man untersucht, und während des embryonalen 
Lebens ist überhaupt keine |Erweiterung des Kanals nachzuweisen; 
dieselbe beginnt erst nach der Geburt und erreicht nie einen bedeu- 
tenden Umfang; sie lässt sich einfach aus dem interstitiellen Wachs- 
thum des Periosts, aus der Zunahme des Durchmessers der in den 
Knochen dringenden Ernährungsgefässe erklären, denen natürlich bei 
der periostalen Ossification ein geräumigerer Kanal bereitet wird. 

Nach Allem bleibt also nur noch übrig, die Markhöhle durch 
Expansion des endochondralen Knochens entstehen und für den peri- 
chondralen ein ausschliesslich appositionelles Wachsthum eintreten zu 
lassen; aber auch dies hilft nicht viel, da dies nur die erste Aus- 
höhlung der Markhöhle, nicht die bedeutende Erweiterung erklären 
würde; denn sobald die Aushöhlung bis an den perichondralen Knochen 
gelangt ist, kann ja nach meinen Auseinandersetzungen keine Expan- 
sion im STRELZOFF’schen Sinne mehr Statt finden; und die Markhöhle 


Ueber die Ernährungskanäle der Knochen und das Knochenwachsthum. 345 


nimmt doch später den Raum ein, in welchem früher ansehnliche 
periostale Lagen existirten. Kurz alle unsere Reflexionen führen uns 
zur Unhaltbarkeit der STRELZOFF’schen Anschauung, zur Annahme 
dagegen einer Entstehung der Markhöhle durch Resorption, wie solche 
kürzlich wieder experimentell durch die Versuche Haap’s (l. c.) ge- 
stützt worden ist. In diesem Lichte gesehen, erscheint nun auch die 
Vergrösserung der inneren Oeffnung der Ernährungskanäle verständ- 
lich; es erscheint ferner begreiflich, dass an einigen Stellen Knochen- 
plättehen längere Zeit der Resorption widerstehen, wie an anderen, so 
vor Allem auf der der Markhöhle zugekehrten Seite des Ernährungs- 
kanals, welche sehr häufig in Gestalt eines longitudinalen Wulstes in 
die Markhöhle prominirt. 

Diese Bemerkungen mögen hier genügen zur Charakterisirung mei-. 
nes Standpunkts gegenüber den Anschauungen WOLFF’Ss und STREL- 
ZOFF'S. Es erübrigt noch einige Consequenzen meiner Ermittelungen 
über das Knochenwachsthum zu ziehen, welche in sehr einfacher Weise 
die Widersprüche erklären, welche zwischen den Experimenten WOLFF’S 
und anderer Forscher, wie OLLIER, LIEBERKÜHN!), MAAS), WEGNER?), 
HaaAB) existiren. Während von letzteren durch eine grosse Zahl von 
Versuchen der Nachweis geliefert wird, dass Stifte, welche in be- 
stimmten Abständen senkrecht zur Längsaxe des Knochens an irgend 
einer Stelle der Diaphyse eingeschlagen werden, ihre Abstände unter 
einander beim Wachsthum der Knochen nicht verändern, dagegen von 
der Epiphysenlinie sich entfernen, behauptet WoLFF ein Auseinander- 
rücken der Stifte wahrgenommen zu haben, welches allerdings in den 
meisten Fällen nur !/, bis 1!/), mm. betrage, ausnahmsweise jedoch 
(Scapula des Kaninchens) 9 mm. messen könne. Auch OLLIER?) er- 
hielt zuweilen von der Tibia des Huhns ähnliche Resultate, deutet 
sie aber nicht auf ein interstitielles Wachsthum des Knochens wie 
WOLFF, sondern erklärt sie aus einer Lockerung innerhalb der Knochen- 
substanz und Verschiebung durch das interstitiell wachsende Periost. 
Ich kann mich nur vollständig auf Grund der in dieser Arbeit dar- 
gelegten Thatsachen der Meinung von ÖLLIER anschliessen und aus 


!) Zur Lehre vom Knochenwachsthum. Sitzungsberichte d. naturf. Gesellsch. 
zu Marburg. 6. März 1872. 

2) Zur Frage über das Knochenwachsthum. Langenbeck’s Archiv. Bd. 14. 
S. 198. 
3) Ueber das normale und pathologische Wachsthum der Röhrenknochen. 
Virchow’s Archiv. Bd. 61. 8. 44. 

4) ]. ce. 

5) Recherches experimentales etc. Archives de physiol. V. 1873. p. 31. 


346 G. SCHWALBE. 


denselben Gründen HaAg’s Einwürfe gegen ein interstitielles Wachs- 
thum des Periosts, das er doch dem Knochenmarke zugesteht, nicht 
gelten lassen. Meine Theorie der Ernährungskanäle und der Archi- 
tectur des periostalen Knochens ergiebt ohne Weiteres, in welchem 
Sinne jene Verschiebungen erfolgen müssen: in der vom oberen Ende 
beeinflussten Gegend nach dem oberen Ende hin, im Gebiete des 
unteren Endes nach diesem zu. Ein von LIEBERKÜHN erhaltenes Ver- 
suchsresultat erläutert dies in schlagender Weise. In eine 44 mm. 
lange Tibia eines jungen Hundes wurden 2 Stifte im Abstande von 
23 mm. eingeschlagen, der Art, dass der obere Stift 3,5 mm. vom 
oberen Ende, der untere demnach 26,5 vom oberen, 17,5 vom unteren 
entfernt war. Der untere lag also entschieden in dem vom unteren 
Epiphysenende der Diaphyse beeinflussten Stücke, da zu dieser Zeit 
das Wachsthum am unteren Ende der Tibia noch ein sehr beträcht- 
liches, dem am oberen Ende nahezu gleiches ist. Nach 6 Monaten 
hatte der Abstand beider Stifte bis auf 32 mm. zugenommen, der 
Art, dass der obere Stift senkrecht zur Längsaxe erhalten war, der 
untere dagegen mit seinem inneren Ende in seiner ursprünglichen 
Entfernung vom oberen erhalten (23 mm.), mit dem äusseren Ende 
dagegen nach unten um 9 mm. verschoben war. LIEBERKÜHN ver- 
muthet bereits irgend einen Vorgang, der das frei über die Knochen- 
oberlläche hervorragende Stück dieses Stiftes nach abwärts drücke; 
welcher Art dieser Vorgang ist, ergiebt sich nunmehr nach dem von 
mir Mitgetheilten von selbst. Dass der obere Stift nicht eine Ver- 
schiebung im entgegengesetzten Sinne zeigte, wurde durch die bessere 
Fixirung, tieferes Einkeilen und in Folge dessen durch Ueberlagerung 
mit den neugebildeten periostalen Knochenschichten bewirkt. Sobald 
leicht bewegliche freie Enden der Stifte herausragen, müssen dieselben 
dagegen von dem Zuge des Periosts beeinflusst werden, um so leichter, 
je feiner sie sind. Nun hat WoLFF nur mit den feinsten Drähten 
experimentirt, dagegen WEGNER mit gröberen Stiften; es erscheint 
daher nichts natürlicher, als dass WoLrF Vergrösserung der Abstände, 
WEGNER Erhaltung der Entfernungen beobachten musste. Je weiter 
die feinen Stifte hervorragen, desto grösser muss schliesslich die Ent- 
fernung ihrer äusseren Enden ausfallen. Gröbere Stifte setzen dagegen, 
wie dies schon ÖLLIER!) in ausgezeichneter Weise erläuterte, dem 
sich verschiebenden Perioste einen Damm entgegen, sodass es sich 
gleichsam staut, an den Seiten vorbeifliesst und unmittelbar hinter 
dem Stifte in Folge mangelnder Knochenbildung eine Furche entstehen 


1) Recherches experimentales p. 33. 


E 


Ueber die Ernährungskanäle der Knochen und das Knochenwachsthum. 347 


lässt. Ich muss mich dieser Erklärung vollkommen anschliessen und 
kann als etwas Analoges aus dem Kreise des nicht künstlich beein- 
fiussten Knochenwachsthums die mehr oder weniger langen Rinnen 
bezeichnen, welche in die äusseren Oeffnungen der Ernährungskanäle 
einmünden; sie kommen nicht nur den absteigenden Kanälen zu (dies 
würde sich ja einfach aus dem engen Anliegen der Ernährungsgefässe 
am Knochen erklären), sondern auch den aufsteigenden, obwohl hier 
eine direetere Durchbohrung des Periosts zur äusseren Oefinung hin 
Statt findet. 

Aus demselben Principe der periostalen Verschiebungen erklärt 
sich nun eine Reihe anderer Thatsachen, welche bisher für das inter- 
stitielle Wachsthum ins Feld geführt sind, so die von VOLKMANN'!) 
angeführten pathologischen Fälle, sei es, dass sie die Erhaltung der 
relativen Lage von geheilten Fracturen, sei es von Exostosen besagen. 
Es erklärt sich daraus ferner der WoLrr’sche Versuch mit dem Längs- 
ringe, der eine Verbiegung des Knochens nach der Seite des Längs- 
drahtes, also eine Wachsthumshemmung auf dieser Seite ergiebt. Da 
die beiden Fusspunkte des Längsdrahtes die Verschiebungen nach bei- 
den Knochenenden nicht mitmachen können, die auf der entgegen- 
gesetzten Seite des Knochens nicht gehindert sind, so wird eine 
Stauung des Periosts, eine Hemmung seines Längenwachsthums auf 
dieser Seite, also eine Verkrümmung eintreten müssen, wie dies auch 
LiEBERKÜHN bei Gelegenheit seines oben erwähnten Stiftversuches 
statuirt. Es erklärt sich ferner das abweichende Resultat, welches 
WOLFF?) in einigen Fällen bei Anstellung des DumAmer’schen Ring- 
versuches erhielt, die Einbiegung der periostalen Knochenrinde, ein- 
fach daraus, dass an der Stelle des Ringes trotz der entgegengesetzten 
Meinung von WOLFF keine neue Auflagerung, wohl aber daneben 
eintrat. Dass die HAvers’schen Kanälchen dann ebenfalls eingebogen 
sein müssen, ergiebt eine einfache Construction nach meinen Angaben 
über das periostale Wachsthum; denn es werden ja durch den Ring 
die innerhalb dieser vorhandenen Kanälchen durchaus nicht ausser 
Continuität gesetzt mit den über und unter dem Ringe sich neubil- 
denden HAvErs’schen Kanälen. Wenn einmal, wie in dem WOLFF- 
schen Versuche, der Ring so angelegt ist, dass er nicht von neuen 
periostalen Schichten bedeckt, also in der Compacta eingeschlossen 


I) Notiz betreffend das interstitielle Knochenwachsthum. Medic. Centralbl. 
1870, Nr 9. 8. 129. 

2) Ueber die Expansion des Knochengewebes. Berl. klin. Wochenschrift 
Nr. 6. .S. 16-19. 


348 G. SCHWALBE. 


werden kann, so kann gar keine andere Anordnung der Kanälcher 
eintreten, als die von WOLFF beschriebene. !) 

Auch Guppen’s?) Beweise für das interstitielle Wachsthum der 
Schädelknochen werden hinfällig, da sie auf dasselbe von mir ent- 
wickelte Princip des appositionellen Wachsthums mit periostalen Ver- 
schiebungen zurückzuführen sind. GUDDEN benutzte anstatt der Stifte 
als Marken auf der Oberfläche der in ihren Wachsthumsverhältnissen 
zu untersuchenden Knochen (Scheitelbein des Kaninchens) feine Bohr- 
löcher; nach einigen Wochen war eine geringe Entfernung der Bohr-. 
löcher von einander nicht zu verkennen; sie ist um so ausgesprochener, 
je näher den Rändern die Marken angebracht werden. GUDDEN selbst 
giebt uns aber das Mittel in die Hand, um dieses Resultat nach der 
Appositionstheorie in der befriedigendsten Weise zu erklären. Er sah 
sehr häufig), „dass, während an der inneren Schädeltläche die rund- 
liche Form der Marken sich erhalten, diese an der äusseren in ein 
mit der Spitze gegen die bezügliche Naht vorschiebendes Dreieck sich 
verwandelt hat“. Mit anderen Worten: die in den Knochen einge- 
bohrten und Ernährungskanäle imitirenden Löcher erleiden dieselben 
Veränderungen wie die Ernährungskanäle selbst beim weiteren Wachs- 
thum; ihre äussere Mündung wird nach der Seite verschoben, welche 
die betreffende periostale Strecke durch ihr appositionelles Rand- 
wachsthum beeinflusst, um so mehr, je näher sie dem betreffenden 
Knochenrande sich befindet. Nirgends kann man aber auch den aus 
denselben Principien abzuleitenden Aufbau der Knochensubstanz deut- 
licher erkennen, wie an dieser Stelle. Der der neutralen Zone der 
Röhrenknochen entsprechende Punkt liegt hier offenbar im Tuber 
parietale; von hier aus strahlen die Kanäle nicht nur in bekannter 
Weise im Allgemeinen radiär zum Knochenrande aus, sondern sie 
streben, wovon ich mich an Schnitten parallel den vom Tuber aus- 
strahlenden Radien überzeugt habe, auch schräg unter spitzen Win- 
keln zur Oberfläche des Knochens, worauf schon BRucaH ) aufmerksam 
gemacht hat, und zwar bilden sie einen um so spitzeren Winkel mit 
dem Periost, je näher dem Knochenrande ihre äusseren Mündungen 


!) Zu einem genaueren Eingehen auf das Worrr’sche Präparat fehlen noch 
verschiedene Angaben, so über die Dicke des Knochens innerhalb des Ringes, 
so wie über und unter demselben, ferner die genaue Angabe des Abstandes des 
Ringes von den Diaphysenenden etc. 

2) Experimental-Untersuchungen über das Schädelwachsthum. München 1874. 
Ss. 25—27. 

SWIh, Su AL, 

4) 01.20.28:.1002u35101. 


Ueber die Ernährungskanäle der Knochen und das Knochenwachsthum. 349 


sich befinden. Man erkennt also sofort dasselbe Princip des periostalen 
Wachsthums, wie ich es oben für die Röhrenknochen entwickelt habe. 

Dem Guppen’schen Versuche an den Schädeldeckknochen ent- 
sprechend sind die Resultate, welche das Längenwachsthum des Femur 
für die beiden Foramina nutritia externa dieses Knochens ergiebt. 
Da, wie oben erwähnt, bis nahe zum vollendeten Wachsthum das 
obere Loch in einen absteigenden, das untere in einen aufsteigenden 
Kanal führt, auf die Mündung des oberen der Zug des oberen, auf 
die des unteren Foramen der des unteren Epiphysenendes wirkt, so 
muss mit weiterem Wachsthum in Folge periostaler Verschiebungen 
eine Entfernung der beiden Ausmündungen Statt finden, — ohne die 
von mir gegebenen Aufschlüsse über ‚die Art des periostalen Wachs- 
thums scheinbar ein schlagender Beweis für ein Wachsthum durch 
Intussusception. Die absolute Entfernung beträgt im embryonalen 
Leben im Mittel aus 12 Fällen 13 mm., bei Erwachsenen im Mittel 
aus ebenfalls 12 Fällen dagegen 100 mm., sie ist also eine sehr be- 
deutende; ihre relative Lage zu den Enden des Femur verändern da- 
gegen die beiden Foramina kaum. Auch die beiden inneren Mün- 
dungen rücken mit dem Wachsthum auseinander, aber nicht um mehr, 
als sich aus einer Resorption von der Markhöhle aus erklären lässt, 
die ich, wie oben erwähnt, zur Erklärung einiger von mir beobachteter 
Erscheinungen mit den meisten Forschern annehmen muss. Bis zur 
Geburt beträgt die Entfernung beider innerer Oefinungen im Mittel 
7,5 mm., beim Erwachsenen im Mittel 35, sodass also das beobachtete 
Auseinanderrücken etwa 27,5 mm. beträgt, was gegen die Zunahme 
des Abstands beider äusseren Oeffnungen gering genug erscheint. 

Ich kann diese Bemerkungen über die Folgerungen aus meinen 
Ermittlungen über das Knochenwachsthum nicht schliessen, ohne noch 
eines Verhältnisses hier zu gedenken, welches kürzlich von VIRCHOW!) 
wieder für die Möglichkeit eines interstitiellen Wachsthums des Unter- 
kiefers angeführt wurde. Noch nach der Vereinigung beider Unter- 
kieferhälften wird eine Entfernung der Foramina mentalia von ein- 
ander beobachtet. Berücksichtigt man aber, dass nun nicht bloss die 
Schicht fortfällt, welche fortwährend beide Unterkieferhälften durch 
neuen Ansatz von Knochenmaterial von einander entfernen, sondern 
eben durch dieses Epiphysenwachsthum einen Zug auf die periostale 
Bekleidung des Unterkiefers ausüben musste, so ist es klar, dass nun 
das Periost bei seinem fortdauernden interstitiellen Wachsthume aus- 
schliesslich in der Richtung nach dem Winkel und Aste jeder Unterkiefer- 


I) Berliner klinische Wochenschrift 4. u. 11. Januar 1875. 


350 G. SCHWALBE. 


hälfte hin sich verschieben wird. Dies kann nicht ohne Verschiebung 
der Foramina mentalia nach hinten, resp. aussen, Statt finden. Dabei 
muss aber nothwendig eine Schiefstellung des Foramen 'eintreten der 
Art, dass beim Erwachsenen der Kanal, welcher früher nach aussen, 
vorn und oben mündete, nunmehr seine Mündung nach hinten und 
oben wendet. Und dies wird in der That beobachtet. 

Man sieht aus Allem, die von mir entwickelten Principien sind 
ungemein fruchtbar; sie erklären in überraschend einfacher Weise Er- 
scheinungen, die bis jetzt für sichere Bollwerke eines interstitiellen 
Wachsthums gehalten wurden; sie. erklären ferner Formverhältnisse, 
wie die Richtung, Neigung und Krümmung der Ernährungskanäle, 
sowie der Havzrs’schen Kanälchen der Compacta auf das Befriedi- 
gendste aus einfachen mechanischen Principien und ermuthigen uns 
nicht nachzulassen in den Versuchen, den nächsten mechanischen 
Ursachen der Formverhältnisse des Körpers, den Wachsthumsgesetzen, 
nachzuspüren, die ihrerseits wieder durch die Thatsachen der Ver- 
erbung und Anpassung beherrscht und modifieirt werden. 


Jena im Oktober 1875. 


Erklärung der Abbildungen. 


Taf. XV. 


Fig. 1. Schema der Richtung der Ernährungskanäle in den langen Röhren- 
knochen der Extremitäten des erwachsenen Menschen. 4, Humerus. R, Radius. 
U, Ulna. Fe, Femur. 7, Tibia. Fi, Fibula. Die Pfeile deuten die Richtung 
der Kanäle an; die rothen Kreise zeichnen die vom 1. Lebensjahre an stärker 
wachsenden Enden aus. 

Fig. 2. Schema über die periostalen Verschiebungen bei gleichem Wachs- 
thum an beiden Diaphysenenden. Erklärung im Text. 

Fig. 5. Dasselbe für ein ungleiches Wachsthum beider Diaphysenenden. 
Neutraler Punkt in 2, II. Erklärung im Text. 

Fig. 4. Zur Darstellung des Einflusses, welchen das Verhältniss von Län- 
gen- zum Dickenwachsthum der Röhrenknochen auf die Neigung der Ernährungs- 
kanäle ausübt. Ak Richtung des Kanals bei gleichmässiger Zunahme nach 
Länge und Dicke, Ae Richtung bei Ueberwiegen des Längenwachsthums (roth 
gezeichnet). 

Fig. 5. Schema über die Riehtung der Ernährungskanäle und die Wachs- 
thumsverhältnisse der Extremitätenknochen bei etwa 5 Monat alten Foeten. 


Ueber die Ernährungskanäle der Knochen und das Knochenwachsthum. 351 


Bezeichnung wie in Fig. 1. Die Ernährungskanäle in Radius und Ulna, sowie 
der obere des Femur haben noch eine absteigende Richtung. 


Fig. 6. Schema zur Demonstration der Umkehr, welche in der Richtung 
der Ernährungskanäle bei Radius, Ulna und Femur beobachtet wird. Drei 
Wachsthumsstadien A, B und ©. B und A wachsen am unteren Ende in dem- 
selben Verhältniss; eine kleine Abnahme des Wachsthums am oberen Ende be- 
dinst schon in B eine horizontale Stellung des in 6 beginnenden Ernährungs- 
kanals, und ein geringes Ueberwiegen des Wachsthums am unteren Ende trotz 
Zunahme auch am oberen in C hat zur Folge, dass der Kanal aufsteigend wird. 


Fig. 7. Längsschnitt durch beide Ernährungskanäle der Diaphyse eines 
290 mm. langen Femur. Der obere Kanal ba ist absteigend, der untere auf- 
steigend. 


Fig. 8. Längsschnitt durch beide Ernährungskanäle eines erwachsenen 
Femur (von 456 mm. Länge). Beide Kanäle sind aufsteigend; der untere ist 
nur in seinem innersten Abschnitte dargestellt. 


Fig. 9. Die beiden Durchschnitte in Fig. 8 und 9 mit ihren entsprechenden 
Punkten auf einander gelegt; der Durchschnitt des jüngeren Knochens mit 
rothem Grunde. Man erkennt, dass die Stücke ab und be eine zusammenhän- 
sende Curve beschreiben. 


Fig. 10. Schematische Darstellung der Linien, in welchen die periostalen 
Bälkchen der Humerus-Diaphyse beim Wachsthum sich verlängern und die 
durchbohrenden Havers’schen Kanälchen verlaufen müssen. A. Natürliche Grösse 
des Durchschnitts der periostalen Diaphysenrinde vom Humerus eines Neuge- 
borenen. Länge der äusseren Oberfläche cd = 75 mm., der inneren Oberfläche 
ab = 20 mm. (entsprechend der dünnen, periostalen Hülse eines dreimonatlichen 
Fötus). B. Dasselbe, dreimal vergrössert, mit eingezeichnetem Verlauf der 
Havers’schen Kanälchen und des Ernährungskanals. for. n. e. äussere, for. n. i. 
innere Oefinung des Ernährungskanals. 

Fig. 12. Frontalschnitt durch das obere Ende des Femur eines 3 Monate 
alten Kindes. In der Diaphyse sind die wichtigsten Architeeturlinien eingezeich- 
net, an der Epiphysengrenze die Richtung der Knorpelzellensäulen durch rothe 
Linien angedeutet. Natürliche Grösse. 

Fig. 13. Frontalschnitt durch das obere Ende des Femur eines 3 Jahre 
alten Kindes. Knochenkern a im Kopfe. Bei m die Markhöhle. Natürliche 
Grösse. 

Fig. 14. Dasselbe von einem 4jährigen Kinde. m, Markhöhle. Die Dia- 
physe mit Architeceturlinien. Rothe Striche bezeichnen wie in Fig. 12 die Richtung 
der Knorpelzellensäulen. Knochenkern im Kopf und im Trochanter major. Na- 
türliche Grösse. Genaueres über diese Figur sowie Fig. 12 u. 13 siehe im Text. 


Taf. XVT. 


Fig. 11a. Oberes Ende der compacten Rinde der Tibia eines achtmonat- 
lichen Fötus im Längsschnitt. & Endochondraler, b perichondraler Knochen. 
ed deutet die Richtung der Grenze zwischen beiden an. Die Seite 5b, ce ist von 
Periost bedeckt, durch Retraction desselben nach aussen umgebogen; Seite ad 
sieht nach dem Inneren des Knochens. Der schräge Verlauf der HAvErs’schen 


352 G. ScHwALBE. Ueber die Ernährungskanäle der Knochen ete. 


Kanäle im periostalen Knochen ist deutlich zu erkennen, ebenso der ganz davon 
abweichende im endochondralen Knochen. Camera lucida-Aufnahme. Vergrösse- 
rung 20mal. 

Fig. 11b. Von demselben Längsschnitt das der neutralen Zone entsprechende 
Stück. Man erkennt deutlich die von der Markhöhlenseite a, a nach der Periost- 
seite b, b erfolgende fächerförmige Ausstrahlung der Richtungskanälchen. Ca- 
mera lucida-Aufnahme. Vergrösserung 20mal. 

Fig. 15. Querschnitt der 56 mm. langen Diaphyse eines embryonalen Hu- 
merus durch die Gegend der neutralen Zone. Camera lucida-Aufnahme. Ver- 
grösserung 20mal. 


Beobachtungen über die Befruchtung und Entwicklung 
des Kaninchens und Meerschweiuchens. 


Von 
V. Hensen 


(Fortsetzung von S. 273.) 


(Hierzu Tafel X— XII.) 


In Fig. 86 ist ein Längsschnitt durch die Mitte der Keimscheibe 
Fig. 26, gegeben worden. Das innere Keimblatt (Hypoblast) ist vorne ?*, 
wo es unter der primitiven Medullarrinne liegt, ziemlich dick, hinten 
i”, unter dem Primitivstreif ist es zu einem sehr flachen Epithel ge- 
worden. Dort hat es sich beim Schnitt losgelöst und präsentirt sich 
daher mehr oder weniger von der Fläche. Der Uebergang der vorderen, 
quadratischen, in die hinteren, flachen Zellen macht sich unter dem 
Knoten, hier war die Zellenmasse dunkel und in den Contouren ver- 
wischt, so dass man sie nicht entziffern konnte. Nachdem der Schnitt 
gezeichnet war, versuchte ich an dem nur schwach erhärteten Prä- 
parat das innere Keimblatt abzulösen. Es haftete jedoch so fest an 
dem ziemlich resistenten Knoten, dass am Hinterende die Keimhaut 
wiederholt abriss, und als dann mit dem vorderen Ende des Hypoblast 
der Versuch fortgesetzt wurde, brach er am Knoten aus, ohne dass 
sich unter diesem ein Stratum hätte ablösen lassen. Ich habe nach 
diesen und anderen Erfahrungen die Ueberzeugung gewonnen, dass 
sowohl äusseres wie inneres Keimblatt mit dem an genannter Stelle 
entstehenden Mesoblast untrennbar verwachsen sind. Daraus folgere 
ich, dass beide Blätter sich an der Bildung des mittleren Keim- 
blattes, wenn auch in differenter Weise und mit verschieden grosser 
Masse betheiligen. 

Ueber die Entstehung des Gefässblattes, welches ich mit Hıs 
annehme, habe ich leider keine Erfahrung. 


354 V. Hessen. Beobachtungen über die Befruchtung 


Der Mesoblast wächst von seiner Entwicklungsstelle aus nach 
allen Seiten und bildet (abgesehen von einer etwa vorhandenen Mit- 
wirkung des Gefässblattes) die Area opaca!) rings um den Embryo, 
sowie den Mesoblast im Vordertheil der Keimscheibe bis wenigstens 
nahe an den vorderen Rand derselben. Dies Blatt wird an den jüng- 
sten Keimscheiben Fig. 20 A, Tafel IX vermisst, bei solchen von Imm- 
Länge ist es continuirlich, bei noch älteren fehlt es unter der primi- 
tiven Medullarrinne. Fig. 37. 

Am Schlusse der Mittheilung über diese Embryonalperiode erübrigt 
noch die Vergleichung mit den Resultaten anderer Beobackter. 

GÖTTE ?) hat an Eiern von 2 bis 3mm. Durchmesser einen dunklen 
Fleck und in weitem Umfang um denselben einen hellen Hof ge- 
sehen, welcher durch eine Schicht des vegetativen Blattes gebildet 
wurde. Von dem kreisförmisen Rande dieser zarten Schichte wächst 
alsdann ein Ring gegen das Innere der Keimblase vor und schliesst 
sich bald zu einer continuirlichen Haut, welche sich an jene Zellen- 
schicht, aus deren Umschlag sie hervorging, anlegt. „Vergleicht man 
diese Angaben mit meinen früheren Mittheilungen über die Bildung 
des Keims an Knochenfischen, Vögeln, Batrachiern, so ergiebt sich, 
dass das sogen. vegetative Blatt des Kanincheneies mit dem oberen 
Keimblatt der übrigen Wirbelthiere übereinstimmt, und dass ein bisher 
übersehener Umschlag desselben eine secundäre Keimblase erzeugt, 
woraus wahrscheinlich mittleres und unteres Keimblatt hervorgehen.“ 
GÖTTE hat sich in seinem grossen Werk über die Unke mehrfach auf 
die mitgetheilte Beobachtung bezogen. 

Es liegt mir die Zeichnung eines Eies aus dem betreffenden 
Stadium vor, in welchem sich der Hypoblast an der Keimblase rings 
losgelöst hatte und das ich aus diesem Grunde zeichnen liess. . Dieser 
Befund der zuweilen fast spontan auftretenden Ablösung des inneren 
Keimblattes ist das Einzige, wodurch ich GörTE’s Angaben zu :.erklä- 
ren vermag. Ich kann nicht glauben, dass, wenn die Dinge wirklich 
verliefen, wie GÖTTE es schildert, dies mir so vollständig entgangen 
wäre. ) 


1) Das dunklere Aussehen der Area stellt sich jedoch schon ein, ehe der 
Mesoblast darin nachzuweisen ist. i 

2) Zur Entwicklungsgeschichte des Kaninchens. Centralblatt für die medici- 
nischen Wissenschaften 1869 S. 866 (22). 

3) GÖTTE weist zur Bewahrheitung seiner Angabe auf die früheren Mitthei- 
lungen über die Bildung des Keims an Knochenfischen, Vögeln, Batrachiern 
hin. In seiner späteren Arbeit über das Hühnchen: Beiträge zur Entwicklungs- 
geschichte der Wirbelthiere. Archiv f. mikr. Anatomie Bd. X (gg 2) bezieht er 


und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 355 


WeıL!) sagt von 5 Tgn. 9 St. alten Eiern: Der Zona lag ein 
durchgehends aus einer Zellenlage bestehendes Bläschen (Keim) an, 
an dem ich nirgends eine Verdickung wahrnehmen konnte, obgleich 
ich das Eichen am Objectträger hin und her rollte. Bei Zusatz sehr 
verdünnter MürLter’scher Flüssigkeit zog sich die Zellhaut von der 
Zona zurück, faltete sich vielfach und veränderte sich his zur Un- 
kenntlichkeit. 

Mir liegt bezüglich dieser Angabe ein kurzes Protokoll vor: 
Kaninchen (123!/, St.) 5 Tage 3!/, St. 5 Eier von 1,46 bis 1,9mm., 
Es fand sich frisch kein Dotterrest, an einer Stelle des Eies eine 
etwas bräunliche Färbung, sonst keine Spur eines Keimflecks. Mit 
Kal. bichrom. behandelt“. Weiter ist nichts gesagt; sind mir die Eier 
verunglückt oder hat sich schliesslich eine Keimscheibe ergeben — 
ich weiss es nicht! Eier von 101 St. von 0,64 bis 0,86 hatten den 
Keimhügel von 106 St. nahe derselben Grösse, gleichfalls von 124 St. 
aus dem einen Horn, 142 St. aus dem anderen, in Grössen von 0,5 
bis 1,5”® hatten ihn auch und daher bin ich objectiv zu der früher 
gegebenen Darstellung berechtigt, will aber nicht leugnen, dass mich 
jenes unvollständige Protokoll beunruhigt. Ich glaube aber sagen zu 
dürfen,- dass ich seiner Zeit die Sache nicht hätte ruhen lassen, wenn 
die Möglichkeit, dass die Keimhaut zu irgend einer Zeit ungeschichtet 
werde, mir erschienen wäre, ich müsste denn im Drange der Geschäfte 
sanz darüber hingekommen sein. 


sich zweimal S. 159/160 und S. 162 zur Sicherstellung der erwähnten Ansicht von 
dem Umschlag des Keims auf andere Wirbelthiere und nennt auch die Säugethiere! 
Zwei oder mehr unsichere Beobachtungen können aber doch nicht zu einer sicheren 
Constatirung einer Thatsache addirt werden, weil auch die missglückten Versuche, 
wenn gleich mit minderem Gewicht, in die Waagschale fallen und addirt werden 
müssten. 

In dieser Arbeit sagt G. S. 162 Anmerk.: der Keim vor und im Anfang der 
Bebrütung sei so weich, dass Faltungen unvermeidlich seien. Obgleich 
seine Durchschnitte aus späteren Perioden unheilbare Verzerrungen zeigen, haben 
die Figuren ans den genannten Stadien durchaus keine Faltungen! Unter diesen 
Umständen würde es keinen Sinn haben, die Zeiehnungen auf die Möglichkeit 
einer anderweiten Deutung zu prüfen. Sie können den wahren Sachverhalt sehr 
wohl lehren, obgleich ich dies bezweifle, dann würde aber noch keine Aehnlich- 
keit zwischen Kaninchen und Huhn dieses Stadiums bestehen, und eine Verglei- 
chung müssig sein. Ich glaube daher auf soweit gehende Differenzen, sobald es 
sich um Beobachtungen aus anderen Wirbelthierklassen handelt, hier nicht ein- 
gehen zu sollen, um so weniger, als es sich wesentlich um Belege für eine vor 
Jahren gegebene Mittheilung handelt. Nur in einzelnen Fällen glaubte ich mich 
mit den. später erfolgten Beobachtungen anderer Wirbelthiere ausführlicher be- 
schäftigen zu dürfen. 


D)b.b. 8.9. 
Zeitschrift f. Anatomie. Bd. I. 24 


356 V. Hessen. Beobachtungen über die Befruchtung 


Mit LIEBERKÜHN’S (c. 2) Beschreibung der Keimscheibe des Maul- 
wurfs stimmt mein Befund am Kaninchen nur insofern nicht überein, 
als ich das äussere Keimblatt, abgesehen von der Verwachsungsstelle, 
einschichtig finde und die Kerne der zweischichtigen Keimscheibe in 
wohl contourirten Zellkörpern liegen, während LIEBERKÜHN die letz- 
teren anfangs vermisst. !) 

Ich bin, während ich die Untersuchungen machte, von dem Ge- 
danken ausgegangen, dass die Verhältnisse in dieser Periode der Ent- 
wicklung bei allen Wirbelthieren sehr ähnliche sein würden und habe 
gedacht, die abnormen Verhältnisse des Meerschweinchens müssten 
sich bei genauerer Nachforschung in den allgemeinen Entwicklungs- 
gang wieder einreihen, resp. durch den Nachweis bestimmter Störungen 
befriedigend erklären lassen. Mittlerweile brachen sich so abweichende 
Ansichten in Bezug auf die Entwicklung der niederen Wirbelthiere 
Bahn, und die betreffenden Untersuchungen erschienen, wie ich aus- 
drücklich zu eoncediren wünsche, so ausreichend fundirt, dass an eine 
Vergleichbarkeit kaum noch zu denken war. Dann kamen im vorigen 
Jahre BaLFrour’s 2) mit Hülfe von Osmium angestellte Untersuchungen 
über die Entwicklung der Haie, welche in vielen Dingen eine so auf- 
fallende Uebereinstimmung mit meinen Befunden an Säugethieren auf- 
weisen, dass ich doch nicht umhin kann, die Entwicklung der Wirbel- 
thiere wenigstens bis zu den Knochenfischen hin, in den früheren 
Stadien (von den späteren ist ja hier überall nicht die Rede) für 
histiologisch (in Bezug auf die Zellen sind sie es ja unzweifelhaft) 
vergleichbar zu halten. Zwar existirt die von der Descendenzlehre 
geforderte Abstufung und Uebereinstimmung jedenfalls in den fertigen 
Eiern und den ersten Stadien der Embryonalbildung am wenigsten. 
Die Eier als homologe Bildungen anzuerkennen, wird uns immer 
wieder, so z. B. neuerdings durch GörTTE’s Untersuchungen erschwert, 
für die Furchungsvorgänge haben wir eine hübsche Reihe völlig gleich- 
artig verlaufender Processe, jedoch die partielle Furchung ist schon 
ein so abweichender Vorgang, dass die physiologische Gleich- 
werthigkeit fast allein darauf führen konnte, hier homologe Processe 
zu erkennen. Dann springen aber Furchungsvorgänge, wie sie z. B. 
G. WAGNER?) von Gyrodactylus beschrieben hat, als schreiende Un- 


1) L’’s Beschreibung bezieht sich, wie ich erfahre, auf die frische Keim- 
scheibe, an welcher ich die Sache nicht anders sehe wie er. (Nachträgl. Anmk.) 

2) Preliminary account of the Developement of the elasmobranch Fishes. 
Quarterly Journal of Microscopical Science. Oct. 1874. (h 2). 

3) Ueber Gyrodactylus elegans. Archiv für Anatomie von REICHERT und 
pu Boıs 1860 (12). 


und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens, 357 


regelmässigkeiten mitten hinein, von den später zu besprechenden 
Unregelmässigkeiten beim Meerschweinchen ganz abzusehen. 

Die Keimblase der Säugethiere lässt sich ihrer Entwicklung nach 
einigermassen mit derjenigen von Amphioxus vergleichen; sieht man 
davon ab, dass sie nicht während der Furchung auftritt, sondern 
erst nach vollendetem Maulbeerstadium, so kann man sie noch der 
Keimblase mancher Wirbellosen gleichstellen, aber nicht derjenigen 
der anderen Wirbelthierclassen. Erst nachdem die Keimscheibe eine 
gewisse Grösse erlangt hat, finden sich in der flachen Form des Embryo, 
in den Entwicklungsvorgängen der Sinnesorgane und zum Theil des Me- 
dullarkanals, in der Chorda und namentlich in den Urwirbeln histiolo- 
gische Gestaltungen, die als so grosse Aehnlichkeiten hervorspringen, dass 
die Descendenztheorie sie als Ausgangspunkt und Beleg verwerthen kann. 
Andererseits lässt sich nicht leugnen, dass die Messungen und Verglei- 
chungen von Hıs genügend auffallende Resultate ergaben, um anzudeu- 
ten, dass man noch über kurz oder lang zu mechanischen Erklärungen 
dieser Convergenz in den Gestalten der Embryonen gelangen könnte. 

Die Sachlage ist, wie mir scheint, der Descendenzlehre keines- 
wegs direct günstig. Ich verkenne gar nicht das Gewicht der von 
KOWALEVSKY und KUPFFER, sowie der von SEMPER eruirten That- 
sachen und sage gerne, dass ich an die Descendenztheorie glaube (wie 
dies durch meine Jahresberichte belegt wird), aber die objectiven 
Thatsachen, welche der Entwicklungsgeschichte zu entnehmen sind, 
erleichtern diesen Glauben wenig. Ich bin nicht nur, wie es sich in 
der Wissenschaft von selbst versteht, bereit zu einem Glaubenswech- 
sel, sobald ‘Besseres geboten wird, sondern ich empfinde das Bedürf- 
niss nach weniger anfechtbaren Grundlagen ziemlich lebhaft.!) 

Das Hühnchen ?) entwickelt sich nach REMAK?) in der Weise, 
dass nach dem Legen zwei, nach der ersten Bebrütung drei Keim- 
blätter vorhanden sein sollen, dann folge eine centrale Verdickung 
der Keimscheibe, darauf die Bildung der Axenplatte, welche durch 
Verwachsung des mittleren und oberen Keimblattes entstehe. 


1) HaceckeL: Die Gastrula u. die Eifurchung, habe ich nicht mehr benutzen 
können, ich halte übrigens die dort niedergelegten Auffassungen nicht für glück- 
lich. (Nachträgl. Anmerk.) 

2) Wir kennen von Säugethieren die jüngeren Stadien von Kaninchen, Hund, 
Reh, Meerschweinchen, Schwein und Schaaf. Da meine eigene Arbeitskraft nicht 
gross genug ist, darf ich wohl auffordern, doch einmal die Eier von Gans, Ente, 
Kanarienvogel und Kiebitz zu benutzen. Die Schwierigkeit wächst dabei kaum 
so erheblich, dass zu befürchten steht, die Ergebnisse würden kein Aequivalent 
bieten. 

3) Untersuchungen über die Entwicklung der Wirbelthiere (k 2). 

24* 


358 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung 


Diese Darstellung habe ich!) wesentlich modificiren müssen; da 
ich für’s Hühnchen der erste war, welcher statt mit Falten oder höch- 
stens Durchschnitten zu operiren, wirkliche Querschnitte herstellte 
und also eine bessere Einsicht erlangen konnte. Ich muss, um die 
später erfolgten erheblich abweichenden Angaben Anderer zu erklären, 
hier zweimal betonen, dass ohne Canadabalsam beobachtet wurde, denn 
m. E. ist an den geradezu hofinungslosen Divergenzen zwischen den 
Embryologen vor Allem die Methode schuld. Ohne Einbettung, ohne 
Entwässerung wurden die ‚schwach erhärteten Keimscheiben zerlegt, 
ohne Deckglas geprüft und betastet, ohne Canadabalsam, Glycerin oder 
sonstige erhellende Surrogate wurden sie eingelegt. Man hat meinen 
Figuren vorgeworfen, sie seien abscheulich! Es liesse. sich als Ent- 
schuldigungsgrund anführen, dass die Präparate !/, Jahr in arseniger 
Säure nachgedunkelt hatten, ehe sie gezeichnet wurden, dass dann die 
Zellen sich nicht mehr, wie dies bei Anfertigung der Präparate der 
Fall war, überall erkennen liessen und dass deshalb, sowie wegen 
einer, zuweilen bei jungen Naturforschern sich einfindenden Grenze der 
Opferfähigkeit, die Zeichnungen möglichst einfach angefertigt wurden. 
Jedoch es liegt kein Verstoss gegen die Wissenschaft vor, denn so wie 
die Zeichnungen sind, zeigen sie das, was gezeigt werden sollte, und 
die Brüche und veränderten Lagerungen sind deshalb nicht zu tadeln, 
weil sie dem Auge das vorführen, was sonst nur durch Untersuchung 
mit der Nadel sich ergeben würde: die Trennbarkeit und Selbständig- 
keit der einzelnen Theile. 

In Folge der Bebrütung findet zunächst eine Verwachsung der 
zwei im Eileiter gebildeten Keimblätter in der Mitte der Keimscheibe 
statt. Diese Verwachsung wird durch die sich entwickelnde Primitiv- 
rinne inniger und ausgedehnter und führt zu einer Proliferation der 
Zellen dieser Gegend. Während dessen spaltet sich seitlich das 
untere Keimblatt in Darmdrüsenblatt und mittleres Keimblatt, darauf 
tritt auch an der Verwachsungsstelle, welche bei der Flächenansicht 
als Primitivstreif erscheint, eine Trennung ein, die aber nur darin 
besteht, dass auch hier das Darmdrüsenblatt sich abscheidet. Es findet 
sich also dann in der Mittellinie ein inniger Zusammenhang zwischen 
oberem und mittlerem Keimblatt, der sich erst später trennt, und 
durch die Trennung in Urwirbel und Chorda einerseits, Medullarplatte 
andererseits umgewandelt wird. 

Darnach würde die Entwicklung insofern von derjenigen des 


1) Die Entwicklung des Nervensystems. VırcHow’s Archiv Bd. XXX. 1864. 
S. 166 (12). 


und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 359 


Kaninchens abweichen, als in Letzterem, soweit ich eruiren konnte, 
das mittlere Blatt ganz vom Primitivstreif aus entsteht. Studire ich 
die von Hıs!) gegebenen Durchschnitte, so namentlich die Längs- 
schnitte Taf. V Fig. 1 u. 4, die Querschnitte Taf. IV Fig. 2 und 
Taf. VI Fig. 1, 2 u. 3, so erscheint es mir möglich, dass die Sache 
beim Hühnchen verlaufe wie beim Kaninchen. Es ist ferner zu be- 
denken, dass ich damals noch unter dem Eindruck der Angaben von 
NEMAK stand, denn es ist für den Forscher nichts schwieriger als 
Processe, welche er selbst für sicher constatirte hält, als falsche Dar- 
stellungen zu erkennen. Trotzdem finde ich, dass meine Figuren keine 
andere Deutung zulassen und muss daher an der Richtigkeit jener 
Schilderung festhalten. 

Durch Dursy (f2) haben wir das Verhalten des Primitivstreifs 
näher kennen gelernt, in der Hauptsache schliessen sich meine schon 
gegebenen und weiterhin folgenden Beobachtungen in dieser Beziehung 
seinen Darstellungen an. Die von ihm gegebenen Schnitte der frühe- 
ren Stadien sind bei auffallendem Licht gezeichnet und geben, so 
weit ich sehe, nichts Neues. 

Hıs?) hat uns Serien von Schnitten geliefert, die immer ihren 
Werth behalten werden, soweit Balsampräparate für die ersten Embryo- 
nalstadien dienen können. 

Seine Ansichten in Bezug auf den Parablast verhindern eine Ver- 
gleichung seiner Befunde. Demjenigen, was von verschiedenen Seiten, 
so noch neuerdings von KÖLLIKER°) gegen die Grundlagen, auf welchen 
jene Annahme ruht, gesagt ist, möchte ich hinzufügen, dass bei dem 
Kaninchen keine Möglichkeit vorhanden zu sein scheint, die Lehre 
von dem rein mütterlichen Parablast aufrecht zu erhalten. Man könnte 
äussersten Falles sagen, die Richtungsbläschen bildeten vielleicht den 
Parablast, aber einerseits findet man Absonderungen des Keims vor 
der Befruchtung selbst bei niederen Pflanzen, wie in den früher eitir- 
ten botanischen Abhandlungen (e 1) nachgelesen werden kann, die hier 
unzweifelhaft zu Grunde gehen, anderntheils biassen diese Theile so- 
wohl beim Kaninchen wie beim Meerschweinchen, Fig. 79 u. 80, 


l) Untersuchungen über die erste Anlage des Wirbelthierleibes. 1868. (m 2). 

2) STRICKER, Handbuch der Lehre von den Geweben, ‘Cap. 18, S. 1207 (n 2) 
eitirt im Laufe der historischen Darlegung über die Entwicklung des Hühnchens 
zuerst Hıs, dann Hensen,. Dursy, diese Reihenfolge ist unrichtig. Das Citat 
einer Arbeit von mir aus dem Jahre 1867 gehört überhaupt nieht dorthin, denn 
dies handelt lediglich von Säugethieren. 

3) Zur Entwieklung der Keimblätter im Hühnereie. Verhandl. d. physikal. 
med. Gesellschaft in Würzburg N. F. Bd. VIII. (o 2). 


360 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung 


schliesslich unter Verkleinerung so ab, dass ihr späteres Verschwinden 
mit hoher Wahrscheinlichkeit durch eine Auflösung und nicht durch 
histiologische Neuformung zu erklären ist. 

Auch Hıs findet übrigens eine feste Verbindung der Keimblätter 
im Primitivstreif, welche, wenn ich ihn recht verstehe, von Anfang an 
bestand und sich unter Production verschiedener Embryonaltheile löst. 

Anstatt des zweiten Keimblattes im unbebrüteten Ei, welches ich 
in der Mitte wenigstens der Keimscheibe völlig frei und wohl ent- 
wickelt angetroffen habe, finden Hıs und WALDEYER)), welcher letztere 
in Bezug auf den Parablast sich bekanntlich ziemlich nahe an Hıs an- 
geschlossen hat, nur ein unregelmässiges Maschenwerk von sog. subger- 
minalen Fortsätzen. KÖLLIKER spricht sich halb zustimmend, halb 
ablehnend über diese Befunde aus. Mir scheint die Möglichkeit vor- 
- zuliegen, dass durch die Präparation Zerreissungen des unteren Blattes 
und Kunstproducte entstanden seien. Mindestens WALDEYER'S Figur 
ist so sehr gefaltet, dass eine vielfache Zerreissung des unteren Blattes 
recht wahrscheinlich erscheint. Schon GÖTTE (gg S. 162) hat diese 
Ansicht geäussert. WALDEYER, der zwar mit Entwässerung gearbeitet, 
aber, wie es scheint, mit Glycerin erhellt hat, nimmt an, dass das 
obere Keimblatt durch Wucherungen in der Mittellinie das mittlere 
und das untere gleichzeitig bilde, später erst letztere beiden sich 
trennen. Eine so vorgebuckelte Zellenanhäufung, wie sie seine Fig. 2 
darbietet, ist sonst von Niemandem in dieser Zeit beschrieben worden;. 
es liesse sich übrigens der Schnitt auch so deuten, dass das seitlich 
freie zweite Keimblatt in der Mitte eine Verwachsung eingegangen 
sei. Es hätte wohl meinen an sich concludenten 4 Figuren (k 2 
Fig. 1—4) gegenüber ein etwas vollständigerer Beweis des Gegentheils 
segeben werden können! 

PEREMESCHKO ?) und namentlich auch See 3) in seinen 
allem Anscheine nach so wohl fundirten Untersuchungen über die 
Eier des Eileiters, sprechen sich entschieden zu Gunsten zweier 
Keimblätter im unbebrüteten Ei aus. Sie und SCHENK®) finden, dass 
das Darmdrüsenblatt früher auftrete, wie dies meinen Angaben ent- 


1) Bemerkungen über die Keimblätter und den Primitivstreifen bei der Ent- 
wicklung des Hühnerembryo. Zeitschrift f. rationelle Mediein 1869 (p 2). 

2) Ueber die Bildung der Keimblätter im Hühnerei. Sitzungsber. d. k-. 
Akad. d. Wissenschaften. Wien 1868 (q 2). 

3) Untersuchungen über die Furchung und Blätterbildung am Hühnerei, ebenda 
(v 2). 

4) Beitrag zur Lehre von den Organanlagen im motorischen Keimblatt, ee 
(s 2) S. 2. 


und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 361 


spreche. Dies hängt wohl theilweise mit ihrer Ansicht über die Ent- 
stehung des mittleren Keimblattes, nämlich durch Einwanderung von 
Zellen der Keimhöhle, zusammen. In den beweisenden Zeichnungen, 
welche z. B. PEREMESCHKO Fig. 5, ÖELLACHER Fig. 12 geben, zeigen 
sich so grosse Verlagerungen der Blätter, dass man doch an künst- 
liche Einschiebungen der fraglichen Kugeln denken möchte. Die Mög- 
lichkeit, dass das Darmdrüsenblatt von mir in seinen Anfangsstadien 
übersehen sei, will ich übrigens jenen Präparaten gegenüber nicht in 
Abrede stellen, muss jedoch bemerken, dass unsere Auffassung dessen, 
was als getrenntes Blatt zu bezeichnen ist, etwas differiren dürfte. In 
meinem auf Taf. II Fig. 35 gegebenen Querschnitt dürften die ge- 
nannten Herren das untere Keimblatt für selbständig halten, da man 
seine Contour leicht ziehen kann, factisch ist es, wie früher erwähnt, 
nicht isolirt, sondern verwachsen und weil dem so ist, muss ich die 
bisherigen Angaben über den getrennten Verlauf des inneren Keim- 
blattes unter dem Primitivstreif, mit Ausnahme der wohl aus späterer 
Zeit stammenden Fig. 13 von PEREMESCHKO für nicht ausreichend 
beweisend halten. Für die Kritik dieser Arbeiten darf ich mich noch 
auf Hıs, Das Ei und die Entwicklung bei Knochen-Fischen 1873, 
S. 37 und GÖTTE (gg) beziehen, da für die Negation immerhin unter 
den Embryologen eine grössere Einstimmigkeit herrscht. 

KÖLLIKER (0 2) leitet das mittlere Keimblatt von dem aus- 
schliessend vom äusseren Keimblatt gebildeten Primitivstreif ab. Ich 
habe über diese Möglichkeit bereits gesprochen und kann im Uebrigen 
nur wiederholen, dass ich die Ueberzeugung von der Nichtbetheilisung 
des zweiten Keimblattes zur Zeit nicht gewinnen kann. 

Bei den Batrachiern erkennen STRICKER (n 2) und GÖTTE (u) 
eine Verwachsung von Keimblättern behufs Bildung des mittleren 
Keimblattes nicht an, während BAMmBECcKE!) eine solche Verwachsung 
beobachtet hat. Bei den Haien scheint nach BArrour (h 2) nichts 
‘ Derartiges vorzukommen. 


Die Abgliederung der Gewebe in der Keimscheibe. 


In diesem Stadium formt sich der bis dahin blattförmige Embryo 
zu einem massenhafteren, der Länge nach tief eingefurchten Strang, 
zu gleicher Zeit gliedert er sich in der Längs-, vorzüglich aber in 
der Querrichtung und damit treten bestimmte Gewebsformationen auf, 
deren Bedeutung allerdings erst aus späteren Stadien erhellen kann. 


l) Recherches sur le Developement du Pelobate brun. M&moires couronnds 
de ’Academie de Belgique Tom. XXXIV. 1868. p. 27 u. Taf. XXXIV Fig. 2 (t2). 


362 V. Hessen. Beobachtungen über die Befruchtung 


Der vor dem Knoten liegende Theil des Embryo wächst beträcht- 
lich und der Primitivstreif wird relativ, vielleicht sogar absolut kür- 
zer, vor ihm bilden sich die Urwirbel. 

Dieser Process hängt meines Erachtens mit einer starken Zell- 
wucherung im Knoten zusammen. Schnitte, welche man an dem vor- 
dersten Theil desselben macht, ergeben im Anfang dieses Stadiums 
eine Trennung der beschriebenen Verwachsung. Aus dieser Trennung 
resultiren die Urwirbel-, Seiten- und Medullar-Platten, sowie die Be- 
freiung des unteren Keimblattes, Fig. 40, 39. Dasselbe Bild erhält 
man fortwährend von der Spitze des Primitivstreifs, so lange ich 
wenigstens ihn verfolgen konnte. Da anfänglich zwischen dem 
ersten resp. zweiten Urwirbel (diese Frage lasse ich unentschieden) 
nur noch der Raum eines oder zweier Urwirbel bis zum Primitiv- 
streif vorhanden ist, später aber dort Wirbel in grosser Zahl liegen 
und eine Strecke einnehmen, welche länger ist wie der Streif selbst zur 
Zeit der ersten Urwirbelbildung war, so scheint mir der gezogene Schluss 
auf Zellenneubildung in der Spitze des Primitivstreifs gerechtfertigt. 

Der Process, wie er sich an den successiven Schnitten darstellt, 
ist folgender. Unter Bildung einer Vertiefung oder, was dasselbe ist, 
unter Fortführung der primitiven Medullarrinne nach hinten, nähert 
sich das äussere Keimblatt dem inneren; die Zellenmasse, welche 
beide zuvor getrennt hielt, macht Raum und die Blätter kommen 
dadurch in der Mittellinie zur Berührung. Von der Seite her löst 
sich die Verbindung des mittleren mit dem äusseren Keimblatt, 
welche bis dahin in der mittleren Partie der Keimscheibe in dem 
Primitivstreif (aber nicht seitlich von diesem) statt hatte, und dabei 
bleiben in dem äusseren Keimblatt cylindrische Zellen zurück. Das 
somit frei gewordene animale Blatt besteht aus zwei dünnen Seiten- 
theilen, Fig. 38—40, welche die Epidermis bilden werden, und einem 
mittleren, dickeren Blatt, welches zur Medulla wird.- Am Kopfe findet 
sich an einer Stelle auch die Epidermisplatte aus eylindrischen 
Zellen aufgebaut, daraus entsteht dann nicht die Epidermis, sondern 
das Labyrinth; es bleibt zu untersuchen, was den Anlass zu jener 
Verdickung, Fig. 37, gegeben hat. 

In seltenen Fällen findet man die Zellen des mittleren Keim- 
blattes in scheinbar ungeordneter Lage, woraus zu schliessen ist, dass 
dieser Zustand sehr kurze Zeit dauert; in der Regel erscheint gleich- 
zeitig mit dem Freiwerden desselben in ihm eine scharfe horizontale 
Trenpungslinie, deren proximales Ende bis nahe an den inneren Rand 
der Platte des mittleren Keimblattes herangeht, während das distale 
Ende in der noch ungetheilten Masse des mittleren Blattes an der 


und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 363 


Peripherie des Embryo sich verliert. Die Spalte pflegt so scharf be- 
grenzt zu sein, dass ich nicht mit Hıs annehmen kann, es handle sich 
um eine Spaltung durch Zug in Folge eines Dickenwachsthums. 

Die Spalte geht also in die Substanz der Urwirbel hinein, sie 
muss sehr vorübergehend die genannte Ausdehnung besitzen, denn 
nicht jeder Embryo zeigt sie gut. Sie ist der Ausdruck einer fast 
von Flüssigkeit freien Höhle, welche in sich die Urwirbelhöhle und 
Pleuroperitonealhöhle umfasst, ich möchte sie als Coelom!) der Wirbel- 
thiere bezeichnen. 

In der, Masse der Wand des Coeloms, welche als Urwirbelplatte 
bezeichnet zu werden pflegt, scheiden sich rasch die weiteren Theile. 
Bei der ersten Urwirbelbildung entstehen 2 oder 3 querverlaufende 
Falten, welche den Raum in der Längsrichtung trennend, 3 einzelne 
. Urwirbelplatten erzeugen. Diesen Vorgang habe ich nicht genau unter- 
sucht. Darauf wird das Coelom, durch Verwachsung der beiden Plat- 
ten des mittleren Keimblattes zu dem von WALDEYER?) als Verbin- 
dungsstrang bezeichneten Körper, der Quere nach in zwei Abtheilungen 
zerlegt, nämlich Urwirbelhöhle und Pleuroperitonealraum, Fig. 38. 
Die zuerst spaltförmige Höhlung in den Urwirbeln wird rasch rund 
und füllt sich dann, wie ich mich an frischen Embryonen über- 
zeuste, da den erhärteten in dieser Beziehung nicht zu trauen ist, 
mit Zellen aus. Woher diese stammen, weiss ich nicht. Bald darauf 


2) Nicht ohne Bedauern lese ich in Craus: Die Typenlehre und E. HacEcker’s 
Gastreatheorie, dass die Aufstellung HarckEr’s (a2) über das Coelom vor einer 
wissenschaftlichen Kritik nicht scheint bestehen zu können. Immerhin dürfte 
ein Name, welcher die embryonale Leibeshöhle der Wirbelthiere derjenigen der 
Wirbellosen formell nahe stellt, am Orte sein. Wenn eine Homologie vorhanden 
ist, wird sie eher zwischen dem oben beschriebenen Raum und der Leibeshöhle 
der Wirbellosen vorhanden sein, wie zwischen letzterer und der sog. Pleuroperi- 
tonealhöhle, die übrigens als secundäres Coelom bezeichnet werden könnte. Nach 
BALFoUR (n 2) zeigt sich bei den Haien schon ein ungleich längeres Offenbleiben 
des Coeloms wie bei den Säugern. Der Deutung, welche HaEckEL für niedere 
Thiere der Leibesflüssigkeit als Lymphe giebt, stimme ich um so lieber zu, 
als ich diese Ansicht schon vor Jahren (Bemerkungen über die Lymphe. Virchow’s 
Archiv Bd. XXXVII) (a. a. 2) verfolgte. Dagegen verstehe ich nicht die Be- 
ziehung der Leibeshöhle zu Blut und Blutgefässen. Dass die Flüssigkeit eine 
Beziehung zur Respiration habe, glaube ich wohl und daher mögen sich z. B. 
die rothen Zellen der Leibesflüssigkeit von Capitella capitata (zuerst wenn ich 
nicht irre von KEFERSTEIN und Enters beschrieben) erklären, aber die Blut- 
gefässe sind selbst bei niederen Thieren, wie den Holothurien (SEMPER), Pyno- 
soma (KowALEvsky), sowie ihrer Entwicklung nach so scharf von der Leibes- 
höhle getrennt, zeigen eher Beziehungen zur Darmlıöhle, dass ich in der T'hat 
einen Zusammenhang zwischen ihnen und dem Coelom bezweifeln muss. 

2) Eierstock und Ei. Leipzig 1870. S. 109 (u 2). 


364 V. Hrnsen. Beobachtungen über die Befruchtung 


liegt, wie man durch Längsschnitte erfährt, zwischen den Urwirbeln 
ein sehr feines aus platten Zellen bestehendes Stratum. 

Während sich das mittlere Keimblatt von dem Epiblast löst, bildet 
sich, dieser Loslösung von der Seite her folgend, und wie es scheint, 
damit Hand in Hand gehend, eine feine structurlose Membran, die 
Membrana prima, aus, welche alsbald auch noch weiter seitlich, 
selbst über die Keimscheibe hinaus, gefunden werden kann. Diese 
Haut ist von mir bereits früher beim Hühnchen (k 2) beschrieben 
worden. Dieselbe liegt in der Norm dem mittleren Keimblatt dicht 
an und ist so zart, dass man sehr genau untersuchen muss, um sie 
in dieser Lage zu erkennen, sie löst sich jedoch an den in MÜLLEr’scher 
Flüssigkeit erhärteten Präparaten beim Schnitt häufig hie und da ab, 
und man findet sie deshalb an den Figuren ziemlich häufig dargestellt, 
wo sie die Bezeichnung m. pr. führt. Ausserdem ist, Fig. 44, ein 
grösserer Abschnitt dieser Haut dargestellt worden. Wenn man die- 
selbe isolirt, was an nicht zu stark erhärteten Embryonen nicht gerade 
schwierig ist, zeigt sie sich mit Granulis bedeckt, mindestens der 
grössere Theil der Körnchen ist ein Niederschlag auf ihr, der von den 
durch die Erhärtungsflüssigkeit bewirkten Gerinnungen herrührt. Dass 
diese Membran als eine Ausscheidung anzusehen ist, unterliegt keinem 
Zweifel, denn zu keiner Zeit lassen sich Kerne oder Zellen als Com- 
ponenten derselben erkennen. Da sie zwischen Mesoblast und Epiblast 
gelegen ist, wird es schwer zu entscheiden, von welchem dieser beiden 
Lager dieselbe ausgeschieden wird. Nach dem ramificirten Bau, wel- 
chen die Zellen des Mesoblast in dieser Periode zeigen, zu urtheilen, 
ist es wenig wahrscheinlich, dass von ihnen diese Haut ausgeschieden 
werde, weshalb ich glaube, dass das äussere Keimblatt einzig in Be- 
tracht zu ziehen sei. 

WALDEYER und mehrere andere Embryologen haben diese Membran 
nicht finden können, eine volle Bestätigung hat sie überhaupt von 
keiner Seite her erlangt, ich hoffe jedoch, dass man sich noch von 
der Richtigkeit meiner Aussage überzeugen wird. Neuerdings be- 
schreibt KowatLewsky!) bei dem Pyrosomenembryo eine homogene 
Membran, welche sich zwar nicht ohne weiteres mit der Membrana 
prima identificiren lässt, aber doch auf das allgemeinere Vorkommen 
solcher Bildungen hinweist. 

An Präparaten von Hıs habe ich mich überzeugt, dass man fast 
keine Hofinung hat, an in Balsam eingelesten Embryonalschnitten die 
Membran zu erkennen. 


!) Ueber die Entwicklungsgeschichte der Pyrosoma. Archiv f. mikr. Ana- 
tomie Bd. IX (v2). 


und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. _ 365 


Man kann vielleicht die Ansicht aufwerfen, es sei die Membran 
lediglich eine künstlich erzeugte Gerinnung. Jedoch dieselbe ist trotz 
grösster Feinheit sehr zähe und biegsam. Das Stück, Fig. 44, musste, 
da die Zeichnung einer flach ausgebreiteten Haut nichtssagend ist, 
künstlich in geeigneter Weise drappirt werden, und ist daher viel 
umhergezerrt worden, ehe es die genügende Lagerung erhielt. Ich kenne 
kein Gerinnungsproduct, welches sich in dieser Weise verhielte, denn 
entweder sind solche Dinge brüchig und von sehr ungleichmässiger 
Dicke, so dass ein Mikroskopiker, der sie in solcher Ausdehnung 
präparirt hat und sie untersuchen kann, doch kaum sich würde täu- 
schen können, oder es sind Ausscheidungen nach Art der Glaskörper- 
septa, welche der Unterlage so innig anhaften, dass die Darstellung 
mangelhaft oder gar nicht gelingt. 

Man hat mit einer gewissen Betonung erwähnt, dass ich diese 
Haut für wichtig hielte, ohne Gründe dafür anzugeben. Ich halte sie 
allerdings schon um deswillen für wichtig, weil ich alles, was in so 
früher Zeit sich bildet, für den Aufbau des Körpers massgebend halte, 
Es geht übrigens aus der Membran hervor: Die erste Anlage der 
Pia mater, die Membrana limitans retinae interna, und die erste 
Grundlage der Chorioidea (homogene Grundlamelle), die Hülle der 
embryonalen Linse und die äusserst feine Umhüllung der Labyrinth- 
blase, ferner, wie man u. A. am Schwanz der Froschlarve sehr schön 
wahrnimmt, die Grenzlage der Cutis, während die Cutis selbst, wie 
die Pia mater dadurch sich entwickeln, dass sich Zellen des Cutis- 
blattes an die Membran anlegen und mit ihr innig verwachsen. Die 
Tunicae propriae der Drüsen des Epiblast dürften auch kaum ohne 
Mitwirkung der Membran entstehen. 

Eine solche Grenze zwischen den Zellschichten wird denjenigen, 
welche die Zellentheorie von MAx SCHULIZE für richtig halten, auch 
deshalb von Bedeutung erscheinen, weil die nackten Zellen — deren 
Erhaltung als isolirte Individuen durch die Beobachtung WEISSMANN’S 
und LEUCKART'S, dass ausnahmsweise bei Embryonen Zellenver- 
schmelzungen in grösserer Ausdehnung stattfinden, nur noch räthsel- 
hafter wird — wenigstens nach einer Seite hin vor einem Zusammen- 
fliessen gesichert sind. Für mich ist es wenigstens immer ein Stein 
des Anstosses gewesen, wie für nackt erklärte Zellen, also Furchungs- 
Kugeln und deren Derivate, wenn sie gegeneinander gepresst werden, 
nicht zusammenfliessen sollten. 

GÖTTE (g 2) hat bereits die Entstehung der Urwirbel aus den 
Urwirbelplatten, in Folge der Abschnürung eines gemeinsamen Rau- 
mes, also des Coelom’s, beschrieben. Obgleich ich meine Beob- 


366 V. Hexnsen. Beobachtungen über die Befruchtung 


achtungen schon früher abgeschlossen hatte, gebührt ihm, da ich 
-der Sache in meiner vorläufigen Mittheilung!) keine Erwähnung that, 
unzweifelhaft die Priorität. Er beschreibt noch, dass in der Urwirbel- 
höhle ein zartes Fächerwerk erscheine und alsdann von dem Centrum 
aus Zellen sich neu bildeten. 

Ich gehe nunmehr zur Besprechung einzelner Theile des 
Embryo über.. 


Die Chorda. 


Merkwürdiger Weise entsteht die Chorda dorsalis beim Kaninchen 
nicht gleichzeitig mit den Urwirbeln am Ende des achten Tages, son- 
dern erst über 12 Stunden später, nachdem schon eine erhebliche 
Anzahl von Urwirbeln gebildet worden ist, vergl. die Fig. 38, 45, 47. 

Ich habe den Entwicklungsprocess nicht in allen Stadien verfolgen 
können aus einem Grunde, der auch die später zu besprechenden Unter- 
suchungen unvollendet gelassen hat. Im Anfang der embryologischen 
Untersuchung stösst man fortwährend auf neue Stadien und kann ins 
Volle greifen, später, wenn es gilt, Processe, die vielleicht innerhalb 
einer Stunde verlaufen, in den Einzelheiten zu verfolgen, wird die 
Gewinnung des tauglichen Materials um so schwieriger. Die Zeit- 
bestimmungen treffen, je älter die Embryonen werden, um so weniger 
genau zu und obgleich die Untersuchung wiederum dadurch sehr 
_ erleichtert wird, dass die einzelnen Embryonen nicht gleich weit ent- 
wickelt zu sein pflegen, so ist der Erfolg doch von den Regeln des 
Zufalls abhängig, erfordert also durchschnittlich viel Material 

Es liegt mir die Zeichnung eines in grösserer Ausdehnung von 
einem Embryo mit vier Urwirbeln abgelösten unteren Keimblattes 
vor. Dasselbe zeigt in der Mittellinie einen Streifen etwas dunklerer 
Zellen, welcher scharf abgegrenzt ist und an Breite etwa dem Durch- 
messer der späteren Chorda entspricht. An Schnitten findet man hier 
die Zellen etwas, doch nicht auffallend, verdickt und nur Schnitte, 
welche in einer etwas späteren Zeit dicht vor dem Knoten entnommen 
sind, Fig. 40, zeigen hier stärkere Verdickung. Ein solches Präparat 
vom Meerschweinchen, an welchem das Verhalten der Zellen näher 
studirt ward, zeigt Fig. 47. 

Ein weiteres Stadium dürfte die dem Kaninchen entnommene 
Fig. 45 A sein, wo in der Mittellinie durch Wucherung und theilweise 
Einbuchtung des Hypoblast die Chorda schon deutlich angekündet wird. 

Es liegt mir endlich der Querschnitt eines Meerschweinchens, 


1!) Embryologische Mittheilungen. Archiv für mikroskop. Anatomie. Bd. III. 
S. 500. 1869 (w 2). 


und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 367 


dessen Rückenmarkskanal schon völlig geschlossen ist, vor, in welchem 
die Chorda zwar völlig vom Darmdrüsenblatt getrennt ist, aber in der 
Form einer langgestreckten, horizontal liegenden 8 unmittelbar darüber, 
dem Rückenmark dicht anliegend, gefunden wird. Später rundet sich 
auch bei dieser Species der Querschnitt der Chorda völlig ab. Diesen 
. Process zu verfolgen habe ich mich sehr bemüht, weil ich es für 
möglich halte, dass sich der Sympathicus bei demselben abtrenne, 
jedoch konnte ich keine Beobachtung darüber gewinnen. 

Beim Hühnchen ist die Entscheidung darüber, von welchem Blatte 
die Chorda stamme, wohl deshalb sehr schwierig, weil sich alle be- 
treffenden Theile gleichzeitig im Primitivstreif sondern. Sehr bemer- 
kenswerth ist es, dass BALFOUR beim Hai mit voller Deutlichkeit die 
Entstehung der Chorda aus dem Hypoblast darlest. 


Das Herz und die Gefässe. 


Ueber die Entwicklung des Herzens habe ich zuerst in Frankfurt 
1867 Mittheilung!) gemacht. Darauf, als an eine Veröffentlichung: 
meiner embryologischen Studien nicht mehr zu denken schien, gab 
ich einige Durchschnittsbilder darüber gelegentlich einer anderen 
Arbeit.2) Von diesen Abbildungen ist eine, Fig. 37, hier wiederholt 
worden, die übrigen drei nebst einigen anderen in meinem Besitz be- 
findlichen Abbildungen nahm ich Anstand, wieder zu geben, da ohnehin 
die Anzahl der Figuren eine ziemlich erhebliche geworden ist. Ich will 
versuchen, zu beschreiben, was ich über den Gegenstand gesehen habe. 

An der Flächenansicht zeigt sich im Vordertheil von Embryo- 
nen mit zwei Urwirbeln eine fast hufeisenförmige Verdiekung. Die- 
selbe liegt im mittleren Keimblatt und beginnt unmittelbar lateral an 
den Urwirbeln, so dass noch ein Theil der Seitenplatten nach aussen 
von dieser Verdickung, welche einen etwas geringeren Durchmesser 
wie die Urwirbel hat, liest. Von hier aus verläuft die Verdickung 
vorwärts und seitlich, so dass sie bald den Rand des Vordertheils der 
Embryonalscheibe nahe erreicht und dann verläuft sie nahe diesem 
Rande weiter. An Flächenansichten scheint es, als wenn die Ver- 
diekung jeder Seite vorn in der Mittellinie zur Verbindung käme, 
jedoch die Querschnitte bestätigen das nicht, so dass demnach die 
Herzanlage streng bilateral sein wird. Bei einem Embryo mit 9 Ur- 
wirbeln zeigt sich dann in dem Verlaufe der Verdickung beiderseits 


l) In dem Tageblatt der Frankfurter Naturforscherversammlung findet man _ 
S. 73 eine kurze etwas ungenügende Mittheilung über den Gegenstand (w 2). 

2) TRÖLTSCH, Archiv für Ohrenheilkunde. Bd. II. Referat über BÖTTCHER. 
Gehörlabyrinth S. 34 (x 2). 


368 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung 


ein Kanal, welcher eine spindelförmige Erweiterung erkennen lässt. 
Wenn man sich den Kopf des Embryo von dem ersten Urwirbel bis 
zu der Spitze der eben in Entstehung begriffenen Augenblasen in drei 
Theile zerlegt denkt, so liegen diese Anschwellungen im mittleren 
Dritttheil. Dies Stadium zeigt die von BISCHOFF (a. Fig. 54b) ge- 
zeichnete kleine Hirnanschwellung; in deren Höhe liegen die Erwei- 
terungen. Es beginnt nun die Bildung der Kopfdarmhöhle. Durch 
diesen Process, der gleichzeitig von vorn und von den Seiten her sich 
vollzieht, werden die beiden Schläuche einander genähert. Man sieht 
dieselben in Fig. 33 als zwei nach der Mittellinie hin etwas convex 
vorspringende Bildungen. Darauf erfolgt, wahrscheinlich von vorn- 
her fortschreitend, die Verschmelzung der Schläuche. Dann ist das 
Herz ein aus drei untereinander communicirenden Hohlkugeln be- 
stehendes Organ, von welchem hinten seitlich die Venenschenkel ab- 
gehen. Die drei Hohlkugeln liegen so, als ob ihre Centren die 
Spitzen eines gleichseitigen Dreiecks bildeten, dessen eine Spitze nach 
vorn gerichtet ist. Die weiteren Stadien führen zu der bekannten 
Ansicht des schlauchförmigen, gekrümmten Herzens. 

Biscnorr zeichnet (a. Fig. 58) einen Embryo mit gerade ge- 
strecktem Herzschlauch, wie man ihn vom Hühnchen kennt. Ich konnte 
dies Stadium nicht finden. Bei dem soeben erwähnten Embryo mit 
blasig erweitertem Herzen gehen die Urwirbel bis unter den Rand 
der Kopfdarmhöhle, sonst gleicht das Stadium demjenigen, welches 
BISCHOFF zeichnet, völlig. 

Ein Durchschnitt aus dem frühesten Stadium ist in Fig. 37 ge- 
geben. Man sieht dort in dem sonst ungetheilten Mesoblast eine 
Spalte ph, welche, offenbar zum Coelom gehörig, die erste Spur des 
Pericardialraums ist. . Darunter liegen ein Paar Zellen des Gefäss- 
blattes, welche das Endothel des Herzens zu bilden bestimmt sind. 
Sehr bald erweitert sich die (primitive) Pericardialhöhle und darauf 
gestalten sich die darunter liegenden Endothelien zu einem Kanal 
mit im Durchschnitt runder Oeffnung. Dieser Kanal drängt von dem 
Hypoblast aus den unteren Theil der Wand des Pericards, also das 
Darmfaserblatt desselben, vor, und wird mehr und mehr von demselben 
umwachsen. Während dessen nähern sich in Folge der Ausbildung 
der Kopfdarmhöhle die beiden Herzschläuche einander, legen sich 
schliesslich aneinander und alsdann vereinen sich zunächst die beiden 
primitiven Pericardialräume zu einem einzigen. Derselbe enthält“noch 
‘ zwei Herzschläuche, wie Durchschnitte lehren, aber schliesslich ver- 
einen auch diese sich zu einem Herzraum. Aus dem visceralen Blatt 
des Pericardiums geht die Herzmuskulatur hervor. Der Längsschnitt 


und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 369 


eines Embryo von 9 Tagen, Fig. 43, zeigt die Lage des Herzens, 
kurz nachdem die Vereinigung der zwei Schläuche sich vollendet hat. 
Ueber die Art, wie die Aorten vom Herzen aus entstehen, habe ich 
leider keine Erfahrungen, wie ich die erste Entstehungsgeschichte des 
Herzens auch nur in den gröbsten Zügen zu geben vermag. 

Hıs (y 1. S. 85) spricht sich dahin aus, dass die Entwicklung 
des Herzens beim Hühnchen und beim Säugethier auf wesentlich das- 
selbe Prineip herauskomme.!) Dies halte auch ich wenigstens in Bezug 
auf die letzten der geschilderten Stadien für richtig, jedoch formell 
ist, wie ich nach allen vorliegenden Abbildungen glaube annehmen 
zu dürfen, ein erheblicher Unterschied zwischen den Säugern und den 
übrigen -Wirbelthieren in dieser Beziehung vorhanden. Sehr merk- 
würdig ist es, dass nach KowALEwsKY (v 2) die Herzentwicklung von 
Pyrosoma mit Bezug auf die Formung der Pericardialhöhle und die 
Einstülpung eines Endothelschlauches durchaus in gleicher Weise vor 
sich geht; merkwürdig nicht sowohl deshalb, weil man unser Herz 
von einem so feurigen Thier abzuleiten vermöchte, als weil die grosse 
Selbständigkeit des Gefässendothels schon bei so niederen Thieren sich 
markirt! : 
Bezüglich der Gefässblätter ist zu erwähnen, dass die Aorten sich 
in der Form von Endothelröhren, Fig. 47, anlesen und wie beim 
Hühnchen, zunächst stark seitlich gelagert sind, um schliesslich in 
der Mittellinie zu verschmelzen. Seitlich von den Aorten setzt sich 
das Gefässblatt in der Form maschiger Zellcomplexe bis in die Area 
opaca hinein fort, die im Durchschnitt gesehenen Lumina halte ich 
für Venen. Von den Aorten gehen zum Mark und in die sich an- 
legenden Wirbel Aeste ab, später dann auch in die Darmfaserplatten. 
Diese werden dabei in zwei Schichten gespalten, da die Gefässe sich 
nicht an das Darmdrüsenblatt halten, sondern später in der Mitte des 
Darmfaserblattes liegen. Ein dorsales Gefässblatt habe ich nicht zu 
finden vermocht, dagegen zeigt sich in späterer Zeit, Fig. 5l, ein 
isolirtes Gefässlumen in der Cutisplatte an der Grenze zwischen Körper 
und Amnios; ich habe nicht erkannt, was dies für ein Rohr sei. 


Der Urnierengang und die Umbildung der embryonalen 
Strata im Gewebe. 
Die Meinung, dass der Urnierengang aus dem Epiblast entspringe, 
wird durch die Untersuchung der betreffenden Stadien so nahe gelegt, 


1) Auch GöTTE (u), der die Herzbildung des Kaninchens beobachtet hat, 
äussert sich ähnlich. 


370 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung 


dass ich schon gelegentlich meiner ersten Arbeit am Hühnchen ver- 
suchte, die Sache zu erledigen. Da es mir dort nicht gelang, schwieg 
ich darüber. Hıs (n S. 161) schloss dann auf guter Grundlage, dass 
der Worr’sche Gang aus dem ersten Keimblatt entstehe. Ich habe 
vor 10 Jahren gelegentlich bemerkt (a. a. 2. S. 81): Ich habe die 
Wahrheit der Annahme von Hıs, dass die Urnieren aus dem Horn- 
blatt entstehen, an Kaninchenembryonen völlig sicher erkannt. Der 
Urnierengang entsteht durch eine solide leistenförmige Verdickung des 
Hornblattes, beiderseits neben den mittleren Urwirbeln. Diese An- 
gabe habe ich!) später wiederholt. Darauf hat Hıs (m 2. S. 119) seine 
Annahme zurückgenommen und Anderer Beobachtungen am Hühnchen 
und niederen Wirbelthieren sprachen gleichfalls gegen die von mir 
gefundene Entstehungsweise. 

Ich habe meine Angabe nunmehr zu rechtfertigen, jedoch nur 
für das Kaninchen, von welchem ich ausschliesslich berichtet habe. 
Dabei muss ich mich freilich über Unglück beklagen. Zur Zeit, als 
ich meine erste Mittheilung machte, hatte ich noch nicht begonnen, 
Zeichnungen anzufertigen; in Folge des Widerspruchs von Hıs unter- 
suchte ich dann später noch einmal und aus einer Reihe von Embryo- 
nen, deren Alter etwa 9!/, Tage betrug, gab der erste bei Zerlegung 
von vorn nach hinten das Stadium wieder. Ich löste sogleich die 
Epidermis ab und fand an demselben zu den Seiten der Medullarplatte 
eine Leiste im äusseren Keimblatt, welche nach hinten zu all- 
mälig sich verlief. Die abgelöste Keimhaut schien mir kein der 
Mühe lohnendes Bild zu geben und ob der Schnitt mir nicht genügte 
oder was sonst der Grund war, genug, ich zählte auf einen der an- 
deren Embryonen und als ich diese untersuchte, erwiesen sie sich 
sämmtlich als zu wenig entwickelt. Dabei ist es dann geblieben. 

Nach dem Mitgetheilten könnten jedoch wohl die Zeichnungen 
Fig. 50 und 51 genügen, um meine Erfahrung zu erhärten. Man 
sieht daran, dass andersartige Zellen in den Wulst des mittleren Keim- 
blattes, welcher auch schon früher bekannt war, eingelagert sind und 
diese Zellen können doch wohl nur von dem äusseren Keimblatt 
abstammen. Ich habe die Sache an feineren aber sonst nicht so voll- 
kommenen Schnitten desselben Thieres untersucht und an diesen, 
Fig. 52, das gegebene Bild durchaus bestätigen können. Ich suchte 
nämlich die Membrana prima, welche die eingelagerten Epidermis- 
zellen von den Elementen des mittleren Keimblattes trennen muss, 


l) Embryologische Mittheilungen. Archiv f. mikr. Anatomie Bd. III. S. 500: 
(2). 


und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 371 


zu entdecken; dies ist mir zwar nicht gelungen, da dies Häutchen 
allzufein ist, jedoch ich habe das gezeichnete Bild in Folge dessen 
mehrfach sehr klar gesehen, so dass ich meiner Aussage so sicher bin, 
wie der einzelne Beobachter dies zu sein vermag. 

Ich behaupte nicht, dass beim Hühnchen die Sache ebenso ver- 
laufen müsse, wenn ich jedoch dem Gedanken, dass dies möglich sei, 
trotzdem WALDEYER (u 2) das Gegentheil behauptet, nachgebe, so 
würde ich glauben, dass in seiner Fig. 41 die Einlagerung der Epi- 
dermiszellen schon erfolgt sei. 

Kurze Zeit nach diesem Stadium. folgt wiederum eine Ablösung 
von der Epidermis, die man Fig. 50 sieht. Zu der Zeit, wo ich jene 
Untersuchung machte, hielt ich diese strangförmige Ablösung unbe- 
denklich für den MÜLLER’schen Gang, spätere Untersucher beschreiben 
sie als Vena cardinalis. Ich muss sagen, dass ich durchaus nicht 
glauben kann, ein Gefäss vor mir gehabt zu haben. 

Es drehen sich um diese Zeit die Cutisplatten, wie die Fig. 50 
zeigt, rückwärts, während die Urwirbel ihre Stellung nicht verändern. 
Dadurch gerathen die Gänge in anscheinend einfacher Weise an die 
Wandung des Peritonealraumes; zugleich bildet sich dadurch in der 
Cutisplatte, an der äusseren Kante der Urwirbelreihe, eine Falte oder 
richtiger gesagt, Leiste aus, welche nicht mehr verstreicht, sondern 
weiter wächst und als Membr. reuniens posterior RATHKE das. Binde- 
sewebe der Cutis über Urwirbel und Rückenmark hinüberdeckt. 

An etwas älteren Stadien von Kaninchen- und sich nahe an- 
schliessenden Rinds- und Schaafsembryonen, habe ich die weitere Ent- 
wicklung der Gewebe untersucht. Da es vielleicht fördern könnte, 
gebe ich noch kurz die Ergebnisse an, welche mir mit Wahrschein- 
liehkeit daraus hervorgingen. Jedoch ich bin nicht in der Lage, die 
gegentheiligsen Ergebnisse Anderer zu widerlegen, theils weil es mir 
an den dazu nöthigen Zeichnungen fehlt, theils weil ich selbst mich 
nicht überall bis zur Genüge überzeugen konnte. 

Von einer Gewebsbildung durch die Endothelien der Gefässe, wie 
Hıs dieselbe beim Hühnchen beobachtet zu haben glaubt, habe ich 
mich beim Kaninchen durchaus nicht zu überzeugen vermocht. 
Die Aorta wird von einer Fortsetzung der Darmfaserplätten, Fig. 54. 
umwachsen, welche die Hauptmasse ihrer Wandung, wahrscheinlich 
die Muscularis, erzeugt. Die Darmfaserplatte bildet die Muskulatur 
des Herzens und des Darmes. Doch kann man, wie es scheint, die 
Schleimhaut des letzteren auch nur von ihr ableiten. Die Urwirbel, 
und nur sie, bilden die willkührliche Muskulatur, indem sich zunächst 


in ihrem Inneren durch sehr schwierig zu studirende Processe die 
Zeitschrift f. Anatomie. Bd. I. 25 


372 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung 


Muskelfasern bilden. Die Kopfplatten des mittleren Keimblattes fasse 
ich als Cutisblatt auf, es scheint mir mindestens noch des Beweises 
zu bedürfen, dass in ihnen Muskeln entstehen. Was aus dem Urwirbel- 
kern wird, vermag ich durchaus nicht zu sagen, dagegen habe. ich 
mich nicht davon überzeugen können, dass er beim Kaninchen frei 
hervorwuchere. Die Bindesubstanz für die Wirbel und die Rücken- 
markshäute scheint mir vom Verbindungsstrang herzukommen, die 
Einwanderung der Zellen beginnt gleichzeitig mit jenen Verschiebun- 
gen, die den Wour'schen Gang an den Peritonealraum bringen. Dies 
ist die Meinung, welche ich von der Sache gewonnen habe, früher, 
wie in dem genannten Stadium habe ich keine Bindegewebszellen um 
die Chorda erblickt und ich habe geglaubt, das Vorrücken der Zellen 
nach den einzelnen Etappen von dem genannten Punkt aus verfolgen 
zu können. 


Das Nervensystem. 


Nachdem die Annahme, dass die Nerven aus einer Umwandlung 
von Bindegewebszellen entstehen, verlassen worden ist, hat man wohl 
allgemein sich der Ansicht, welche in der noch immer so lesens- 
werthen Arbeit von BIDDER und KuPrrer!) niedergelegt ist, dass die 
Nerven Zellenausläufer seien und als solche von der grauen Sub- 
stanz aus hervorwachsen, angeschlossen. 

Jedoch Niemand hat bis jetzt das freie Ende eines solchen wach- 
senden Nerven gesehen. Man kann freilich nicht annehmen, dass 
etwa ein ganzer Nervenstamm auf einmal auswachse, in diesem Falle 
müsste jedenfalls das auswachsende Ende demonstrirbar sein. Da das 
Auswachsen recht früh seinen Anfang nimmt, ist anzunehmen, dass 
zunächst nur eine beschränktere Anzahl von Nerven hervortreten, die 
so fein sein mögen, dass man ihr wachsendes Ende, selbst wenn es 
zum Stamm vereint wäre, im Gewebe nicht wahrzunehmen vermöchte. 

- Zur Zeit, wo dies geschieht (spätestens zur Zeit des Auftretens 
der ersten Kiemenspalten) können keinenfalls alle Nervenenden reel 
angelegt sein, denn z. B. weder die Retina, noch das Labyrinth, noch 
das Geruchsorgan oder die Muskeln sind um diese Zeit nach Zahl 
ihrer Elemente abgeschlossen. Wie entstehen die Nerven für die sich 
später neu bildenden Enden und die neuen Ursprünge im Mark? 
Wächst von letzteren aus eine neue Nervenfaser gegen das neue Ende 
hin, wie es die strenge Durchführung der Hypothese verlangt, oder 


1) Untersuchungen über die Textur des Rückenmarks. Leipzig 1857 (z 2). 


und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 373 


tritt nunmehr ein neuer Process ein, vermehren sich von jenem un- 
bestimmten Zeitpunkt an die Nerven durch Theilung? 

Ich bin (l 2) auf ganz anderem Wege zur Ansicht gelangt, dass 
die Nerven sich durch Theilung vermehren, aber niemals aus- 
wachsen. Diese Ansicht habe ich in fast allen späteren von mir 
gemachten histiologischen Arbeiten durch die Beobachtung zu erhärten 
versucht. 

Ich kann mich nicht dem Gedanken hingeben, dass die Nerven 
vom Mark aus bis zu ihrem Ende hin wachsen. Keine Einrichtung 
vermag ich zu denken, welche die Nerven an ihr richtiges Ende zu 
leiten vermöchte, welche es z. B. bewirken sollte, dass stets die vordere 
Wurzel an Muskeln, die hintere an nicht muskulöse Organe gehe, dass 
keine Verwechselung eintrete zwischen den Nerven der Iris und denen 
der Augenmuskeln, zwischen den Aesten des Quintus und Acusticus 
oder Facialis u. s. w. Dennoch finden wir solche Verwechselungen 
nicht! Man kann nicht einwenden, dass solche Verwechselungen vor- 
handen sein könnten, aber im Mark ausgeglichen worden seien, denn 
auch die Nerven im Mark haben dem prädestinirten Ende zuzuwach- 
sen, und daher ist ein Ausgleich nach der genannten Hypothese nicht 
möglich. Endlich könnte gesagt werden, dass kleine individuelle Unter- 
schiede in Reflexvorgängen in der That sich auf Unterschiede resp. Irrun- 
gen im Auswachsen der Nerven dürften zurückführen lassen. Wie wir 
sehen werden, erklären sich derartige Variationen mindestens ebensogut 
aus meiner Ansicht heraus, können jedoch überhaupt nichts beweisen. 

Da ich keine Erklärung für die Leitung der Nerven beim Aus- 
wachsen finden konnte, und, wie früher schon einmal gesagt, einen 
Spiritus rector für diese Dinge nicht annehmen kann, bin ich zunächst 
theoretisch auf die Annahme gekommen (l 2), dass die Nerven nie- 
mals ihrem Ende zuwachsen, sondern stets mit demselben verbunden 
sind. Die von Hıs später (u. A. y 1. S. 117) angedeutete Annahme, 
dass „die weisse Substanz da auftritt, wo sie Raum hat“, befriedigt 
mich nicht und scheint mir in Bezug auf die Wandungen der Ven- 
trikelhöhlen, welche nicht Lagerstätte der weissen Stränge werden, 
nicht zutreffend. 

Für Diejenigen, welche meine theoretischen Bedenken nicht thei- 
len, hat, wie ich ven vornherein sagen muss, was ich bringen kann, 
nur ein untergeordnetes Interesse. 

Unzweifelhaft ist es, dass unvollkommene Zelltheilungen in den 
Organismen vorkommen. Für das mittlere Keimblatt ist dies fast 
typisch; wir kennen das Vorkommen aber auch an Epidermiszellen 


im Schmelzorgan, und für das innere Keimblatt sind solche Bildungen 
: 255 


374 V. HEnsen. Beobachtungen über die Befruchtung 


durch mich Oben in doch wohl unbezweifelbarer Weise demonstrirt. 
HioslLB url: 


Die unvollkommene Theilung wird ursprünglich nach folgendem 
Schema: -— -— .—. vor sich gehen, wo jeder Punkt eine Zelle, 
der Strich den Verbindungsfaden bedeuten mag. Darauf kann die 
Theilung sich so abändern, dass an eine Zelle zwei und also 
mittelbar durch andere Zellen äusserst viele Verbindungsfäden treten: 
> 21: —:. Man kann, wie leicht zu ersehen, sich auf 


diese Weise Netze der complieirtesten Structur darstellen, da die Thei- 
lungen natürlich in allen Richtungen im Raume vor sich gehen können. 
Wenn in Folge von Nichtgebrauch eine Atrophie eines Theiles der 
Zellen und Verbindungsfäden oder eine Ablösung der Zellen von ihren 
Fäden eintritt, so ist ein Modus für die Vertheilung der Nerven ge- 
geben, welcher weder die Annahme, dass dieselben auswachsen, noch 
diejenige, dass sich Bindegewebskörper in Nerven umwandeln, nöthig 
macht. Um diesen Modus mit den von verschiedenen Seiten gefun- 
denen Formen der definitiven Nervenendigung in Einklang zu bringen, 
würde man, falls Nerven wirklich frei zwischen Epithelien enden, 
eine spätere Ablösung der Enden annehmen müssen. Der Fall, wo 
von gewissen Endzellen epithelialer oder gangliöser Natur nervöse 
Fäden, die freilich nie wirkliche Nerven zu sein pflegen, abgehen, 
hat deshalb nichts Auffallendes, weil der Weg für diese Fäden ent- 
weder vorgebildet, wie bei den Hörhaaren der Krebse, oder nur von 
grösster Einfachheit in seinem Verlauf ist. 


Die Möglichkeit einer ursprünglich vorhandenen und bleibenden 
Verbindung aller Zellen wäre gegeben, wenn schon die Furchungs- 
. zellen sich nicht vollständig von einander trennen würden. Die Unter- 
suchung der frischen Furchungskugeln ergab darüber nichts Sicheres, 
bei erhärteten Stadien trennten sich die Kugeln auf leichten Druck 
und dabei fand eine ausgedehntere Zerreissung jedenfalls nicht statt; 
ich glaube, dass bei der Furchung sich die Dottermassen vollkommen 
trennen. 

Später tritt die eigenthümliche. Verwachsung der beiden Keim- 
blätter im Primitivstreif ein, ein Vorgang, der, soweit ich sehe, nur 
unter der von mir gemachten Annahme der Nervenentwicklung ver- 
ständlich scheint. Als Folge dieser Verschmelzung entstehen die Ur- 
wirbel und bei den Säugethieren das mittlere Keimblatt. Dasselbe 
würde nach KÖLLIKER (v2) beim Hühnchen der Fall sein, während 
ich zur Zeit daran festhalten muss, dass sich die Seitenplatten vom 
unteren Keimblatt abscheiden. Jedenfalls können auch hier die Zellen 


und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 37 


der Urwirbel, Zellen eines Theiles des unteren Keimblattes und eines 
Theiles der Seitenplatten aus Mutterzellen hervorgegangen sein, deren 
eines Theilproduct im Mark zurückblieb, das andere in die genannten 
Theile trat. Die seitlichen Theile des äusseren und inneren Keim- 
blattes, soweit sie in den Embryo übergehen, haben jedenfalls anfäng- 
lich sehr nahe der Mittellinie, d. h. in dem Bereich der Medullar- 
platten, gelegen. An diesen Theilen habe ich keine Communications- 
fäden nachgewiesen, dies schliesst aber ihr Vorhandensein nicht aus, 
denn diese Dinge können sich sehr wohl dem Blick entziehen. In 
Bezug auf das Darmdrüsenblatt vermag ich überhaupt nichts auszu- 
sagen, weil ich die Entstehung des Sympathieus nicht kenne. 

Meine factischen Beobachtungen für die jüngeren Stadien dem 
Kaninchen, für die älteren dem Rind und Schaaf entnommen, sind 
folgende. 


Die Nervenwurzeln. 


Sobald die Trennung in dem Primitivstreif erfolgt, sieht man an 
Schnitten, Fig. 38, 45, feine Fädchen von der Medullarplatte zu den 
Urwirbeln gehen, welche man zuweilen deutlich von den Zellen der 
Medulla entspringen und in solche der Urwirbel übergehen sieht. 
Diese Fäden, welche anfangs sehr zart sind, finden sich nicht auf 
jedem Schnitt und nicht gleichmässig vertheilt, aber es scheint schon 
viel zu sein, dass sie überhaupt nicht bei der Schnittführung zerstört 
werden. Ich trage kein Bedenken, anzunehmen, dass stets sehr viele 
davon durch den Schnitt zerrissen werden. 

Wenn das Mark sich schliesst oder sich geschlossen hat, findet 
man Fig. 47, 48 diese Fäden vermehrt uud anscheinend etwas dicker. 
Sie sind ziemlich gleichmässig an den Seitentheilen des Marks ver- 
theilt. Um diese Zeit finden sich auch Fäden, welche vom Hornblatt 
an’s Mark gehen, doch ist es schwer, dieselben recht klar zu erhalten. 
Es liegen mir derartige Zeichnungen vor, doch waren stets nur ein- 
zelne Fäden genauer zu verfolgen. 

Dass diese Fäden keine Kunstproducte sind, erschliesse ich, weil 
man dieselben auch an Flächenansichten frischer Embryonen 
‚sowohl vom Hühnchen wie vom Kaninchen unschwer wahrnimmt, 
wenn man zur Zeit des Schlusses der Medullarrinne untersucht. Mir 
machen diese Fäden überhaupt nicht den Eindruck, als wenn es Ge- 
rinnungsproducte sein könnten, weil ich sie zuweilen von Zelle zu 
Zelle verfolgen kann und weil sie nicht anders aussehen wie wirk- 
liche feine, embryonale Nerven. Dies ist jedoch etwas Subjectives 
und Jeder kann sich berechtigt fühlen, meine Auffassung zu bezweifeln. 


376 V. Hessen. Beobachtungen über die Befruchtung 


Ich kann nicht einsehen, dass es etwas nützen würde, wenn ich hier 
mit grösster Vorsicht und Objectivität in der Form die Befunde er- 
wägen wollte, denn ebenso wenig wie ich auf solche Darstellungs- 
formen Gewicht zu legen vermag, sobald es sich dabei lediglich um 
Balsam- oder Vergoldungspräparate handelt, würde der Zweifler durch 
eine solche Darstellung von meiner Seite beeinflusst werden. 

Was beweisend sein kann, ist die Verfolgung des Objects durch 
verschiedene Stadien, die Theorie und die Untersuchungen Anderer, 
namentlich wenn dieselben gelegentlich anderweiter Forschungen auf 
den Gegenstand treffen; also die Zeit und vielleicht viei Zeit. 

Sollen aus diesen Fasern die Nervenwurzeln entstehen, so müssen 
dieselben, wie dies ja auch factisch der Fall ist, an allen Theilen des. 
Rückenmarks, ausgenommen den Wurzelgebieten, verschwinden. Dies 
könnte durch einen Lagerungswechsel, eine Sammlung der einzelnen 
Fädchen zu einem Stamm geschehen, jedoch insoweit dazu eine Wan- 
derung nothwendig wäre, würde die Membrana prima hinderlich sein. 

Da jedoch vor der Zeit, wo die vorderen Wurzeln deutlich werden, 
das Mark im Querschnitt rund und noch sehr klein ist, darauf stark 
länglich wird, wäre es möglich, dass die Partie, welche den Seiten- 
strangtheilen des Markes entspricht, sich erst später entwickle und 
ursprünglich nur Vorderhörner und Hinterhörner virtuell angelegt 
seien. Endlich wäre eine Atrophie der Nerven jener Orte, wo später 
keine Fasern mehr austreten, denkbar. 

Ich finde an den 9 Tage alten Embryonen die Nerven nicht 
merklich nach vorn gedrängt, am Ilten Tage wird durch die sich 
einschiebenden Bindegewebsmassen die Untersuchung erschwert. Die 
Urwirbel werden vom Mark abgedrängt und man sieht von ihren 
Zellen aus noch immer die Fäden recht gleichmässig zum Mark hin 
abgehen, aber an diesem wird die Verfolgung unsicher. In einem 
Stadium, wo die Extremitätenhöcker schon auftraten (etwas älter wie 
Fig. 34), wo die Urwirbel ganz vom Mark abgedrängt waren, aber 
die Chorda noch demselben dicht anlag, die Spinalganglien ferner 
eben vollendet waren, und schon die hintere Wurzel unzweifelhaft 
sich erkennen liess, konnte ich die Nerven der vorderen „Wurzeln 
überhaupt nicht sicher genug erkennen, um sie in die mir vorliegende 
Zeichnung einzutragen. Es ist kaum glaublich, dass um diese Zeit, 
wo bereits der Allantoiskreislauf stark entwickelt ist, die peripherischen 
Nerven ganz fehlen sollten. Dass ich sie nicht sicher nachweisen 
konnte, liegt einfach daran, dass ich keine guten Schnitte machen 
konnte. Die bisher angewandte Methode versagte, weil die Embryonen 
zu gross waren, für Schnitte aus freier Hand waren sie zu klein. 


und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 377 


Das Parafın war von Hıs noch nicht empfohlen worden; mit diesem 
lassen sich die Theile, ohne vorhergehende Alkoholbehandlung, so 
bequem einschmelzen, wenn nur ihre Oberfläche trocken ist, dass ich 
sehr bedauern muss, nicht Versuche damit gemacht zu haben. Wie 
die Sache liegt, kann ich einen positiven Beweis nicht bringen, aber 
mein negativer Erfolg hat nicht die mindeste Beweiskraft. 

Ein auf das beschriebene sehr nahe folgendes Stadium hat KUPFFER 
(2 2) in seiner Fig. 8 gezeichnet, hier sieht man die vorderen Wur- 
zeln, aber sie liegen nicht compact, sondern noch in einzelnen Bün- 
deln, die von einander durch Bindegewebe getrennt sind, erst später 
treten sie dicht zusammen. Die Wurzeln sind um die Zeit dieses 
Auftretens unverhältnissmässig massig, sowohl in Bezug auf die 
Grösse des Embryo, wie auf die Grösse des Rückenmarks. Dazu kommt, 
dass die Fasern ja nicht markhaltig sind, sondern äusserst feine Fädchen 
darstellen! Welch wunderbarer Entwicklungsgang wäre es doch, wenn 
der bis dahin völlig nervenlose Embryo in Zeit von wenig Stunden 
so ganz überreich mit Nerven versorgt würde! 

Bezüglich der hinteren Wurzeln liessen sich die einzelnen Stadien 
besser verfolgen. Zu einer Zeit, wo soeben. die Bindegewebswucherung 
bis zur Chorda herangetreten ist, wo das Mark beginnt einen ovalen 
Querschnitt zu zeigen, aber die Urwirbel ihm noch dicht anliegen 
und Bindegewebszellen nur ganz vereinzelt an der Membrana prima 
des Marks behufs Bildung der Pia mater, sich anlegen, beginnt die 
Bildung der Spinalganglien, Fig. 54. Von den hinteren Theilen des 
Marks treten Zellen in den Raum zwischen Mark und Urwirbel, um 


dort allmälig eine compactere, zunächst dem Mark dicht anliegende 


und an den Seiten desselben sich bis etwa zur Mitte herabschiebende 
Zellenmasse zu bilden. Die Zellen trennen sich dabei nicht von den 
Zellen des Marks, sondern bleiben durch Fäden, die Nerven der hin- 
teren Wurzel, mit ihnen verknüpft. Von den, auf diese Art ausge- 
stülpten, Zellen, gehen auch peripher Fäden ab, es ist mir jedoch 
(wohl aus dem oben angegebenen Grunde) nicht geglückt, dieselben 
erheblich weit zu verfolgen. Später entfernt sich das Ganglion unter 
dem Einfluss der fortschreitenden Bindegewebswucherung mehr vom 
Mark und beginnt in der bereits bekannten Weise weiter bauchwärts 
zu rücken. Dann sieht man aber auch schon die vorderen Wurzeln 
und die Nervenbündel, welche peripher aus dem Ganglion treten, denn 
diese verlaufen bei dem Embryo zunächst eine Strecke weit isolirt, 
ehe sie die vorderen Wurzeln treffen und sich mit ihnen vereinen; 
erst in darauf folgenden Stadien bettet sich die Spitze des Spinal- 
ganglions dicht an die vorderen Wurzeln. Nicht alle Ganglien bilden 


378 V. Hessen. Beobachtungen über die Befruchtung 


sich in der geschilderten Weise. Das Ganglion cochleare z. B. stammt 
von dem Epithel der Schnecke her. Darüber habe ich x 2 berichtet, 
doch ist leider die dazu gehörige Figur gänzlich verpfuscht. 

Nach den Schilderungen Kuprrer’s soll das Ganglion sich zu- 
nächst isolirt anlegen und erst später eine Verbindung mit dem Mark 
sich gestalten. Die Zeit, in welcher die Ausstülpung des Ganglions 
seschieht, liest jedoch erheblich früher, wie ‘die Stadien, welche 
KUPFFER schildert; er sieht die vorderen Wurzeln erheblich früher 
wie die hinteren. Die Wurzeln treten zuerst ganz hinten nahe der 
Mittellinie auf, vielleicht hat er sie dort nicht gesucht; es braucht 
kaum gesagt zu werden, dass man ziemlich nahe den Ort kennen 
muss, um so zarte Bildungen überhaupt aufzufinden. Ich kann daher 
den negativen Befund nicht als beweiskräftig gelten lassen. 

Beim Hühnchen scheinen mir die Ganglien aus der unteren Lage 
der Epidermis zu entspringen, jedoch diese Thiere erhärten weit weniger 
gut wie die Säugethiere, so dass ich hier den Gegenstand nicht weiter 
verfolgt habe. 

Eine besonders beachtenswerthe Bestätigung meiner Angabe finde 
ich in BAaLFour’s Beschreibung der Ganglienentwicklung bei Haien 
(h 2), die, soweit man erkennen kann, ganz mit derjenigen von Säuge- 
thieren übereinstimmt. 


Die Entwicklung des. Markes. 


Es liegt, wenn ich mich eines volksthümlichen Ausdrucks bedienen 
darf, eine Welt von Arbeit in dem Studium des embryonalen Central- 
systems, und daher darf nicht erwartet werden, dass hier sehr befrie- 
digende Aufschlüsse ertheilt werden können. Ich habe ausser in den 
bereits citirten embryologischen Mittheilungen (y 2) gelegentlich einer 
anderen Arbeit!) ziemlich eingehend die Entwicklung des Centralsystems 
besprochen und bringe jetzt die Belege dafür bei. 

Zunächst möchte ich im Allgemeinen meine Auffassung des Mar- 
kes darlegen. Wenn man den Begriff des Bindegewebes einheitlich 
auffasst, indem man es aus dem mittleren Keimblatt ableitet, so ge- 
langt dies Gewebe erst nachträglich in das Mark, und zwar durch 
jene Wucherung der Gefässe, welche, wie H. MÜLLER?) zuerst nach- 
wies, und wie jetzt allseitig angenommen wird, sich in das Mark 


1) Ueber den Bau des Schneckenauges, Archiv f. mikroskop. Auatomie. Bd. I. 
1866. S. 423 (a 3). 

2) Ueber die Netzhautgefässe von Embryonen. Würzburger naturw. Zeit- 
schrift II, S. 223 und Gesammelte Schriften $. 141 (b 3). 


und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 379 


einbohren und so auch die bindegewebige Hülle mit hineintragen. 
Dasjenige Bindegewebe, welches namentlich BipDpErR (z 2) in dem 
Rückenmark nachwies, stammt m. E. aus den mit den Gefässen hin- 
eingewucherten Bindesubstanzen. 

Findet sich daneben noch nicht nervöse Masse, eine wahre Neu- 
roglia? Ich möchte zwar glauben, dass nicht alle ursprünglichen 
Elemente des Markes nervös bleiben, jedoch der Nachweis dafür ist 
schwierig. : Das Epithel des Centralkanals z. B. scheint im Erwach- 
senen nicht nervöser Natur zu sein, aber dieselbe Schicht wächst in 
der Retina zu den Körpern der Stäbchen und Zapfen aus! Sind die 
Radiärfasern Neuroglia? Ich habe nie die von M. ScHuLTtzE!) be- 
schriebene Structur dieser Fasern finden können, obgleich ich die von 
ihm benutzten Thiere dafür herbeizog und ich erinnere mich auch 
nicht, klare und unumwundene Bestätigungen von anderer Seite ge- 
sehen zu haben. HEInkıch MÜLLER?) drückt sich sehr zweifelnd 
über die Natur dieser Fasern aus, obgleich er findet, dass ihre inneren 
Theile beim Kochen verschwinden. Wenn man HEnLE’s Beschreibung °) 
liest, kommt man auf den vielleicht völlig richtigen Gedanken, dass 
es sich um ziemlich variable Reste früherer Structuren handle: 
jedenfalls liegt dafür, dass sie, wie REMAK will, Stützfasern seien, 
oder überhaupt eine Function haben, welche sie dem Bindegewebe 
functionell gleich machte, nicht einmal eine Prüfung der frischen 
Retina vor. 

Wenn auch die Schule mit Recht diese Dinge als zu Gunsten 
der Bindegewebsfrage abgethan, darstellt, Fundamente für unsere 
Anschauungen liegen hier nicht vor. 

Neuerer Zeit hat sich namentlich BoLL*) mit der Bindesubstanz 
der Centralorgane beschäftigt. Dort findet man auch die neuere Lite- 
ratur abgehandelt, auf welche ich einzugehen keinen Anlass habe, 
weil ich mich hier nur mit so frühen Stadien beschäftige, dass meine 
Studien etwa da aufhören, wo frühestens die der betreffenden Autoren 
beginnen. Auch in Bezug auf.Bour’s Histiogenese habe ich mich 
mit Wenigem zu begnügen. Er verwahrt sich $. 116 ausdrücklich 
gegen die Annahme, als ob seine Beobachtungen entscheidend dafür 
seien, dass die embryonale Anlage der Neuroglia und der nervösen 
Elementartheile die gleiche sei. Diese Verwahrung hat jedoch, soweit 


1) Observationes de retinae structura. Commentatio.. Bonn 1859 (e 3). 

2) b3. 8. 99. 

3) 8. 657 (63). 

4) Die Histiologie und Histiogenese der nervösen Centralorgane. Berlin 73. 


(d 3). 


380 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung 


ich die Sache verstehe, nur dann einen Sinn, wenn man an die Mög- 
lichkeit denkt, dass sehr frühzeitig Wanderzellen eine Rolle bei 
der Bindegewebsbildung spielen. BoLL spricht sich 8. 131 einerseits 
gegen Einwanderungen der „verzogenen Kinder der modernen Histio- 
logen, der in neuerer Zeit so beliebten Wanderzellen“ aus, andererseits 
S. 125 glaubt er selbst statuiren zu müssen, dass wandernde „Körnchen- 
zellen“ die Markscheide der Nerven bilden. 

Ich habe an Säugethierembryonen nicht finden können, dass 
Wanderzellen eine Rolle als Gewebs- oder Organbildner spielen. Einem 
solchen Ausspruch würde wohl ohne weiteres keine Beweiskraft zu- 
erkannt werden, jedoch weil ich selbst zuerst und zwar unter dem 
Namen „Sekret-Gewebe‘ eine Gewebsbildung durch wandernde Zel- 
len in der Larve des Seesterns und später am Schwanz der Frosch- 
larven nachgewiesen habe), dürfte eine Garantie dafür bestehen, dass 
ich ernstlich nach ähnlichen Vorgängen suchte. Jetzt kann ich nur 
noch für die Tunica intermedia an einen solchen Vorgang bei Säuge- 
thieren glauben. 

Die neueren Angaben über Zellwanderung stützen sich darauf, dass 
amöboide Bewegungen der betreffenden Zellen nachgewiesen seien, und 
auf Beobachtungen, welche als Zwischenstufen solcher Wanderungen auf- 
gefasst werden können. In meinen älteren und neueren Beobachtungen 
über Wanderung, resp. Vorschiebung von Zellen, handelt es sich um Vor- 
gänge, in welchen entweder die Bahn sehr eingeschränkt war, wie bei 
der Umwachsung des inneren Keimblattes, wo sich keine Zelle ganz von 
der anderen trennt, oder anderntheils, in welchen der Weg den ein- 
zelnen Zellen ohne Gefahr überlassen bleiben kann, weil der Raum, 
in welchen hineingewandert wird, ein zellenfreier, unmittelbar an- 
liegender und eng begrenzter ist. Wenn dagegen eine Wanderung auf 
complieirten Wegen und Anhäufungen in bestimmten Centren, resp. 
in schon mit Zellen gefüllte Räume hinein, gelehrt wird, so wird eine 
über diesen Zellen waltende und sie dirigirende Kraft gesetzt. Diese 
Hypothese scheint mir vorläufig so gewagt, entzieht uns so sehr jeg- 
lichen Boden für die Erforschung der Entwicklungsgesetze, dass ich 
ohne die thatsächlichen Beobachtungen im Geringsten bezweifeln 
zu wollen, doch die Schlüsse, so naheliegend sie sein mögen, nicht 
gelten lassen kann. 

Weil ich der Ansicht von der Einwanderung freier Zellen behufs 
physiologischer Gewebsbildung entgegen treten muss, werden mir einige 


1) Ueber die Entwicklung des Gewebes und der Nerven im Schwanze der 
Froschlarven. VIRcHow’s Archiv Bd. XXXT, S. 51 (e 3). 


und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 381 


von BoLr’s Angaben zum Versuch einer positiven Beweisführung für die 
Abstammung der Neuroglia zweifelhaft. Born (S. 106) entnimmt dem 
Hühnchen des 3. oder 4. Tages etwas vom Grosshirn und findet das, als 
fundamental für die ganze Entwicklungslehre der Centralorgane zu be- 
tonende Factum, dass die Kerne, welche man zunächst in der Protoplasma- 
masse entdeckt, in zwei bestimmte Klassen zu scheiden seien. Die einen 
seien nervöser Natur, würden Ganglienzellen, dieanderen seien dem Typus 
der Bindesubstanzen zuzurechnen. An den ersteren lasse sich ein bläs- 
chenförmiger Zellenleib, gefüllt mit sehr feinkörnigem Protoplasma, ein 
Kern von gleichem Aussehen wie letzteres und oft so gross, dass er 
nahe die Zelle ausfülle, und ein, fast stets einfaches, Kernkörperchen 
wie in jeder ausgewachsenen Ganglienzelle finden. 

Die zweite Form sei nicht Zelle, sondern Kern, sei von meist 
ellipsoidiscner Form mit mehreren Kernkörperchen. Charakteristisch 
seien die stets doppelten Contouren, niemals seien dieselben einfach 
wie bei den anderen Zellen. Die Grundmasse, in der Alles liege, sei 
Protoplasma, das sich nicht zu Zellenterritorien abgrenze. 

Die Grosshirnblasen habe ich als den Ort betrachtet, wo die 
typischen Processe der Markentwicklung sich am wenigsten aus- 
prägen, weil dieser Theil als späte secundäre Bildung auftritt: ich 
habe ihn also sehr wenig studirt. Auch hier findet sich an der Innen- 
fläche Epithel des Centralkanals in erheblicher Dicke, an der medialen 
hinteren Fläche bleibt zeitlebens nur Epithel, insofern sich dort die 
Plexus chorioidei entwickeln. BoLz giebt keinen Schnitt dieser Theile 
und hat die Dinge nur von der Fläche aus betrachtet; ich bin ganz im 
Unklaren darüber, wo und was er eigentlich studirt hat! Dies Ver- 
halten ist für Feststellung fundamentaler Thatsachen nicht glücklich! 

Seine Beweisführung beruht erstens auf dem Unterschied in der 
Zahl der Kernkörper. Ich habe mich vergeblich bemüht, an Schnitten 
in den Kernkörperchen ein charakteristisches Verhalten festzustellen, 
sie waren bald klein, bald grösser, mehrfach oder einfach, ohne be- 
stimmte Regel. Möglich, dass frische Präparate günstiger sind, aber 
in so stark wachsenden Theilen scheint a priori die Sache misslich. 
Der Autor bringt 2 oder höchstens 3 kleine Zeichnungen dieser Ver- 
hältnisse als Beleg bei, nämlich aus dem 4., 7. und 12. Tage der 
Bebrütung. Da finden wir am 7. Tage schon einen Bindegewebskern 
mit nur einem, 5 mit 2 Kernkörpern unter den 11 Kernen, am 12. 
unter 6 Kernen einen ohne Kernkörper, 2 mit so vielen Granulis, 
dass man Anstand nehmen muss, sie als Kernkörperchen zu bezeichnen. 
Bei so wenig Zeichnungen darf man doch erwarten, dass sie der Be- 
schreibung nicht geradezu widersprechen ! 


382 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung 


Zweitens wird auf den doppelten Contour des Kernes ein grosses 
Gewicht gelest. Wodurch unterscheidet man diesen von der Grenze 
eines etwa dicht umschliessenden Zellkörpers? Doch wohl dadurch, 
dass innerer und äusserer Contour genau concentrisch verlaufen! 
thuen sie dies nicht, so deuten wir den äusseren Öontour als eine 
zweite besondere Hülle In der ersten Figur Borr’s fehlt der ver- 
langte Charakter zweien von den vier Kernen in auffallender Weise, 
so dass hier mit mehr Recht Uebergänge als Scheidung der Formen 
demonstrirt werden können. In der zweiten Figur fehlt die doppelte 
Contour fünfen unter den eilf in Betracht kommenden Kernen völlig! 
Ferner ist zu beachten, dass in der Reihe der Ganglienzellen vom 3. 
bis 14. Tage diejenigen des 12. Tages ganz aus der Reihe fallen, da 
sie so kleine Zellenleiber haben, dass sie, abgesehen von den Aus- 
läufern, aussehen wie Borr’s Bindesubstanzkerne. Es handelt sich, 
wie man sieht, nicht um einzelne Bedenken und Incongruenzen, son- 
dern um eine Reihe solcher. Ich finde demnach, dass die Beweis- 
führung des Autors nicht ausreichend geglückt ist. 

Einer neueren Arbeit von EICHHORST!) gegenüber würde ich 
einen grossen Theil des gegen BoLL Gesagten wiederholen müssen, 
obgleich ich seiner Beschreibung des Epithels vom Centralkanal schon 
eher zustimmen kann. Es handelt sich hier aber um Differenzen 
prineipieller Natur, die zunächst durch Discussion nicht gehoben 
werden Können. 

Die Ansicht über die Structur des Markes, zu welcher mich 
meine Studien führen, ist die, dass man das Mark auffassen 
müsse als ein Epithel, und zwar als ein einfach geschich- 
tetes Epithel. 

Ich weiss sehr wohl, dass diese Auffassung für sonderbar, ja für 
unmöglich angesehen wird, jedoch ich werde sie, soweit ich hier die 
Sache verfolge, objectiv begründen. Erscheint das Mark des Erwach- 
senen auf den genannten Typus zunächst nicht reducirbar, kann man 
sehr Vieles ohne jenen theoretischen Ausgangspunkt entziffern, so bleibt 
uns doch der Bau im Ganzen und Grossen unverständlich, und kann 
m. E. nur verstanden werden, wenn wir den Anschluss an die ent- 
wicklungsgeschichtliche Grundlage, welche unzweifelhaft das einfach 
geschichtete Epithel ist, gewinnen. Unter letzterem Namen verstehe 
ich jedoch nicht eine einfache Lage von Zellen, sondern eine Lage 
vieler Zellen über einander, welche aber dadurch als einfach charak- 


1) Ueber die Entwicklung des menschlichen Rückenmarks und seiner Form- 
elemente. VırcHmow’s Archiv 1875. S. 425. 


und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 383 


terisirt wird, dass jede Zelle zunächst direct, später allerdings sehr 
indirect mit dem einen Ende an die Innenfläche, mit dem an- 
deren an die Aussenfläche der Schicht heranreicht. Ein solcher 
Epitheltypus ist wie ich glauba zuerst von HENLE für das Flimmer- 
epithel der Trachea nachgewiesen, später häufig dargestellt worden. 

Dieser Typus wird bei der Entwicklung durch enorme Compli- 
cationen nahezu vollständig verwischt. Aufgabe einer theoretisch kla- 
ren Anatomie des Markes (inclusive Retina) wird es sein, durch Ver- 
folgung dieser Complicationen den Bau der Theile zu erklären. 

Einen indirecten, jedoch deutlichen Beweis für die von mir be- 
hauptete Structur der Theile liefern die Plexus chorioidei. KÖLLIKER 
(m. S. 247) hatte schon als wahrscheinlich bezeichnet, dass das Epithel 
der Plexus einer embryonalen „Markplatte“ entstamme, die Ventrikel 
also in Wirklichkeit nie offen seien; jedoch schreibt er, „doch gestehe 
ich Ihnen offen, dass ich dieser Frage noch nicht die nöthige Auf- 
merksamkeit zugewendet habe, um mich ganz bestimmt aussprechen 
zu dürfen‘“ Auch Schmipr!) werfe die Frage auf, ob nicht, wie er 
dies für den Plexus quartus annehme, auch die Plexus laterales ur- 
sprünglich von einem Markblatte umhüllt seien. 

Später habe ich (a 3. S. 423) meine Resultate in folgenden Wor- 
ten zusammengefasst. „Ich finde, dass die Continuität des Central- 
kanals bis an’s vorderste Ende des Hirns beim Säugethier ganz un- 
unterbrochen ist, mindestens bis zur Zeit, wo bereits die Hemisphären 
dieckwandig geworden und die Streifenhügel sehr entwickelt sind. Die 
Lücken in dem Kanal, die in der Wand der Medulla oblongata und 
später in den Hemisphären für den Eintritt der Plexus gebildet sein 
sollen, sind nur scheinbar. Dasselbe Gewebe, welches am Rückenmark 
die Wandungen des Centralkanals bildet, schliesst ihn auch über der 
Rautengrube, denn es gehen die Zellen, welche die Oberfläche der 
Medulla bilden, vollkommen continuirlich auf den Plexus ventriceuli 
quarti über, aber hier bleiben sie als einfaches Epithel auf der Pia 
mater bestehen, während sie im Uebrigen eben die Nervenmasse er- 
zeugen. Dasselbe gilt für das Grosshirn. Hier stülpen sich die Plexus 
von dem mittleren Schädelbalken (vergl. KÖLLIKER m. Fig. 86.; es 
handelt sich natürlich um die mit der Falx sich vereinenden Theile 
dieser nicht gerade passend bezeichneten Faltung des Schädeldachs) 
in der Weise von hinten und der Sagittalebene her in die Hemisphä- 
renblasen ein, dass deren Wandung sie continuirlich überzieht und 


I) Zeitschrift f. wiss. Zool. Bd. XI. Beiträge zur Entwicklungsgeschichte des 
Gehirns (g 3). 


384 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung 


sich auf ihnen zum Epithel gestaltet, während an den übrigen Stellen 
die Wandungen fortfahren, sich zu verdicken und das Hirn bilden.“ 
Damals habe ich den Plexus des dritten Ventrikels nicht besonders 
besprochen. Derselbe verhält sich wie die Seitenventrikelplexus; er 
bildet die bindegewebige Brücke, welche letztere beiden mit einander 
verbindet und stülpt sich mit ihnen zugleich, jedoch weniger tief, ein. 
Eigenthümlich ist, dass überall da, wo die das Hirn berührenden 
Bindegewebsmassen sich stark vascularisiren, die Hirnentwicklung 
stehen bleibt oder streng genommen ein wenig zurückgeht, während 
gefässarme einbuchtende Fortsätze, wie z. B. die Falx cerebri, solche 
Folgen nicht hervorrufen. 

Es ist, so viel mir bekannt!), kein Widerspruch gegen unsere 
Ansichten erhoben worden und u. A. hat Hıs?) für den 4. Ventrikel 
die Beobachtungen acceptirt. Es dürfte also genügen, wenn ich als 
Beleg den Schnitt, Fig. 59, gebe. Derselbe geht durch den hinteren 
Theil des Kleinhirns und durch das vorderste Ende der Medulla, so 
wie durch den noch kaum eingestülpten Plexus IV, welcher in dieser 
Periode sehr weit seitlich die Medulla umfasst. Es geht ein Nerv, 
wahrscheinlich Trigeminus, von der letzteren ab; trotzdem verfolgt 
man deutlich den continuirlichen Uebergang der Markmassen, nament- 
lich des sog. Epithels des Centralkanals in die einfache Lage der 
Epithelzellen, welche den sich entwickelnden Plexus decken. 

Wenn demnach ein Zweifel darüber nicht stattfinden kann, dass 
in den Medullarplatten das Material gegeben ist, um ein typisches 
Epidermis- resp. Epidermisdrüsen-Epithel zu bilden, gestaltet sich 
die weitere Aufgabe, abgesehen von der Nervenentwicklung, dahin, nach- 
zuweisen, dass dieser Typus zeitlich sehr weit verfolgt werden kann. 


1) Man verzeihe folgende Bemerkung. Jeder ältere Autor steht auf seinen 
früheren Arbeiten und kommt daher in die Lage, sich häufig zu citiren. Dies 
kann zuviel, aber auch zu wenig geschehen. Für den Nacharbeiter ist Ersteres 
dann angenehm, wenn es ziffermässig genau geschieht, weil man in einer 
Schrift alle Nachweise des betrefienden Autors gewinnen kann. Häufig habe 
ich in Arbeiten, die mir gut bekannt waren, fast stundenlang blättern müssen, 
um einen Ausspruch zu finden, auf den von dem Autor anderweit aufmerksam 
gemacht war, so citirt sich z. B. BiıscHorr selten genau. Für Niemanden 
ist es leichter, die Seitenzahl zu finden, wie für den Autor selbst, der häufig 
doch seine Aussage selbst nachlesen muss, weil man dergleichen schliesslich 
vergisst. Bei der gewaltigen Anhäufung unserer Literatur glaube ich der 
Billigung meiner Collegen sicher zu sein, wenn ich daran erinnere, dass viele 
ziffermässige Selbsteitate den Leser kaum belästigen, aber der wissenschaft- 
lichen Arbeit helfen und daher dankbar aufzunehmen sind. 

2) Ueber die Gliederung des Gehirns 8. 231. Verhandl. der naturforschenden 
Gesellschaft in Basel 1869 (h 3). 


und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 385 


Wie man an den Fig. 48 und 47, sowie an den vorangehenden 
Stadien erkennen kann, besteht das Rückenmark zuerst aus Zellen 
von länglich-runder oder runder Gestalt, an denen bestenfalls eine 
radiäre Anordnung erkannt werden kann. Der Dicke nach liegen 
3 bis 4 Zellen übereinander. Die Verfolgung der Entwicklung bis 
zu diesem Stadium ergiebt, dass zuerst die Zellen der Medullarplatte 
nur eylindrisch sind, jedoch, Fig. 89, auch schon eine Verdoppelung 
der Zellen ihrer Dicke nach oder mindestens eine Verdoppelung des 
Kerns eintreten kann. In den Stadien, Fig. 38 und 39, ist die Zellen- 
reihe jedenfalls schon doppelt, aber bei genauerer Untersuchung be- 
merkt man, dass die Zellen alternirend stehen und sich konisch 
zuspitzen, so dass die Spitzen bis zur inneren resp. äusseren Fläche 
vorspringen. Darauf entstehen spindelförmige Elemente in der mitt- 
leren Lage des Marks, welche nach beiden Seiten hin Ausläufer senden. 
Sobald diese auftreten, wird es schon zweifelhaft, ob man drei oder 
vier Zellenlagen zu unterscheiden habe, denn die Elemente werden, 
wahrscheinlich in Folge von Theilungen, sehr verschieden gross und 
füllen mit ihren Körpern bald zu vieren, bald zu dreien die Dicke 
des Markes. Dazu kommt, dass die Zellen nicht selten eine rundliche 
oder den Ganglien ähnliche Form annehmen. Ich halte die Spindel- 
form für das normalere, da das Mark bei rundlichen Zellen immer 
etwas gelockert, nicht so gut erhärtet zu sein scheint.!) Die Gestal- 
ten fasse ich auf als Zellen mit kleinem Körper, der von dem Kern 
fast ausgefüllt wird, so dass man häufig von ersterem in diesen Perio- 
den wenig wahrnimmt. Weitere Stadien geben die Five. 53 A und B 
und Fig. 54, in welchen die Zellen des Markes drei- bis vierfach ge- 
schichtet liegen, obgleich der betreffende Embryo um fast 24 Stunden 
älter geworden ist. Von einem eigentlichen Epithel des Centralkanals 
kann auch hier noch nicht gesprochen werden, obgleich die Zellen in 
dem der vorderen Commissur benachbarten älteren Theil des Markes 
schon etwas mehr cylindrisch werden und mehr Körper bekommen. 
Beim Zerzupfen, Fig. 53B, zeigen sich feine, ziemlich lange Fäden b, 
die für Nerven zu halten sind und ausserdem etwas fussförmig ge- 
staltete Fortsätze a, die Radiärfasern. Die Nerven gehen seitlich 
von diesen Zellen bisweilen auch von den Fasern ab, da man sie 
jedoch ohne Zerzupfung nicht erkennt, lässt sich nichts Genaueres 
über ihr Verhalten sagen. Von Längssträngen sehe ich in dieser Zeit 
zwar nichts, aber ich halte es für, mindestens gesagt, sehr möglich, 


1) Dies gilt also für Fig. 47 u. 48, macht aber die Figuren für die Structur 
des Markes instructiv. 


386 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung 


dass ich etwa schon vorhandene Spuren derselben übersehen habe oder 
nur nicht erkennen konnte. 

Die Figuren der Tafel werden nunmehr durch eine Lücke von 
etwa 20 Stunden unterbrochen. Mir liegen jedoch zwei Zeichnungen 
aus dieser Periode vor, denen Folgendes zu entnehmen ist. Die An- 
zahl der Zellenstrata steigt auf 7 bis 8. Dieselben füllen die, von der 
Membr. prima und aufgelagerten Zellen umgebene, Medullarhöhle voll- 
ständig aus, man bemerkt jedoch, dass in der Gegend der späteren 
vorderen Commissur die Zellen sich etwas von der Hülle abgezogen 
haben (lockerer anlagen!), hier erkennt man, dass sie mit einem eylin- 
drischen Zellenkörper an die freigewordene Fläche sich anlegten. Das 
zweite einem Schaafsembryo entnommene Object zeigt, dass sich die 
Zellen genannter Region besonders stark mit Karmin färben und so 
eine Zone bilden, welche noch etwas über den Bereich der vorderen 
Bucht des Centralkanals, dessen Form fast gleich derjenigen in Fig. 55 
ist, hinübergreif. An den Seiten der Basis dieser Zone bleibt ein 
hellerer Raum, mit welchem die erste Spur eines Längsstranges auf- 
zutreten scheint. Die Dicke des Epithels des Centralkanals ist vorn 
an den Seiten des Centralkanals gering geworden und umfasst nur 
4 bis 5 Zellenschichten, weiter nach hinten wächst die Dicke all- 
mählig und umfasst schliesslich wieder gegen 8 Zellschichten. Dabei 
behält das Rückenmark noch einen ovalen Querschnitt, doch nähert 
sich die Gestalt schon etwas dem Ovoid, da das Oval vorne etwas 
breiter ist wie hinten. Nach dem Gesagten muss sich im vorderen 
Theil des Markes eine neue Substanz ausgeschieden haben, um den 
Raum, welcher durch die Verschmälerung des Epithelstratums frei 
geworden ist, auszufüllen. In der That wird vorn seitlich bis nahezu 
zur Mitte, eine neugebildete, etwas durchsichtigere zellenreiche Masse 
gefunden, welche als Umwandlung der äusseren Epithelzellen des Central- 
kanals zu deuten ist und die wir als graue Substanz ansprechen dürfen. 

Das Spinalganglion ist an diesem Schnitt sehr gross, liegt aber 
dem Mark noch eng an. Die vorderen Wurzeln entspringen auffallend 
weit nach hinten und zwar etwas unterhalb einer Linie, welche das 
Mark in einen sensiblen hinteren und motorischen vorderen Theil. 
trennen würde. Dies Verhalten ist mir sehr auffallend und füge ich 
daher noch als Charaktere des Schnittes hinzu, dass die Urnieren stark 
in den Peritonealraum vorspringen, Geschlechtsdrüsen nicht zu erken- 
nen sind und die Urwirbel z.Thl. von der Membrana reuniens superior 
überwachsen sind, z. Thl. aber noch unmittelbar die Epidermis be- 
rühren. Die Aorta ist schon einfach, das Lumen des geschlossenen 
Darmkanals ein sehr enges. 


und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 387 


In einem folgenden Stadium, Fig. 55, nimmt der Querschnitt des 
Markes eine vierlappige Beschaffenheit an, während der Centralkanal 
seine Form kaum ändert; nur nähert er sich stark der hinteren Ober- 
fläche des Markes. Dieses selbst hat den rein epithelialen Charakter 
noch mehr eingebüsst. Allerdings besteht noch die Hauptmasse des 
Markes bis zum Lumen des Centralkanals hin aus einer als rein epi- 
thelial aufzufassenden Zellenmasse. Allerdings gehen von den Zellen 
dieser Schicht Fortsätze in Form von Radiärfasern durch das ganze 
Mark und inseriren sich mit schon ein wenig verbreiterter Basis (die 
hier wie an der Retina später eine complieirtere Form annimmt) an 
der Membrana prima, aber zwischen diesen Fasern sind jetzt fast 
überall Zellen entstanden, die sich ziemlich unregelmässig lagern und 
von denen nicht gesagt werden kann, dass sie mit dem einen Ende 
an die innere, mit dem anderen an die äussere Fläche direct an- 
stossen. 

An diesen Zellen erkennt man zahlreiche Ausläufer, welche fast 
nach allen Richtungen gehen, sie zerfallen aber doch schon, je nach 
Lage und vorwiegender Richtung der. Ausläufer, in zwei Gruppen. 
Die eine, dem Epithel dicht anliegend, in Fig. 55 leicht zu erkennen, 
besteht aus einer Lage von ein bis zwei Zellen und sendet die Fasern 
vorwiegend in kreisförmiger Richtung um den Querschnitt des Marks. 
Da diese Lage vorn durch die vordere Commissur und hinten durch 
die flache Epithelbrücke des Centralkanals unterbrochen wird, will 
ich sie als „halbkreisförmiges Stratum“ bezeichnen. 

Nach aussen von dieser Lage folgen unregelmässig gelagerte Zel- 
len, welche den äussersten Theil der grauen Substanz ausmachen. 
Diese Masse bildet stärkere Anhäufungen um die Eintrittsstelle der 
vorderen und hinteren Wurzeln, während sie in der Mitte zwischen 
beiden nur schwach entwickelt ist. 

Nach aussen wird sie umhüllt von den Vorder- und Seiten- 
Strängen, welche in diesem Präparat bereits ausgedehnter zur Beob- 
achtung kommen, Fig. 55 v. C., und sich als ein schmaler Saum des 
Marks darstellen. Die Vergrösserung ist zu schwach, um die Structur 
an der Figur demonstriren zu können. 

Ein darauf folgendes Stadium zeist Fig. 56. Hier sind dem An- 
schein nach bedeutende Veränderungen aufgetreten, jedoch in Wirk- 
lichkeit ist des Neuen nicht viel, auch macht die stärkere Vergrösse- 
rung die Figur fremdartiger. Das Epithel des Centralkanals scheint 
eine Schicht verloren zu haben, ist im Uebrigen aber ähnlich gebaut 
wie früher, nur hat es sich am Schlussstück des Marks entschieden 


verdickt. Das halbkreisförmige Stratum ist mächtiger geworden und 
Zeitschrift f. Anatomie. Bd. I. 96 


388 V. Hessen. Beobachtungen über die Befruchtung 


erstreckt sich namentlich massig in die Gegend zwischen vorderer 
und hinterer Wurzel hinein. Es hat sich, wie es scheint, die nicht 
hierher gehörige Masse am vorigen Schnitt dieser Form accommodirt 
und ist darin aufgegangen, so dass jetzt dies Stratum als die eigent- 
liche graue Masse des Markes imponirt. Man könnte sogar glauben, 
dass auch der ovale, etwas diehtere Zellenhaufen, welcher jetzt noch 
das Vorderhorn repräsentirt, auch zu diesem Stratum gehöre, jedoch 
in etwas älteren Stadien, Fig. 78, scheidet sich das halbkreisförmige 
Stratum h. k. recht scharf und präparirbar von dem Vorderhorn ab. 
Man muss daher den ovalen grossen Zellenhaufen, in den die vorderen 
Wurzeln v. eintreten, doch als etwas besonderes, als das Folgestadium 
des äusseren Zellenlagers der vorigen Figur, gelten lassen. Der ganze 
vordere Theil hat an Volumen zugenommen, dagegen ist das Rücken- 
mark hinten auffallend im Wachsthum zurückgeblieben. 

Die zellige Masse, in welche hinein früher, Fig. 55, die hinteren 
Wurzeln traten, hät sich in einen Längsstrang verwandelt; fast 
alle Zellen darin sind verschwunden, und nur bei c finden sich noch 
einige (gefärbte) Reste derselben vor. Der Strang besteht aus relativ 
groben Fasern; ich habe nicht verfolgen können, was aus ihm wird, ° 
doch halte ich für wahrscheinlich, dass die in oder vor der Substantia 
gelatinosa Rolando longitudinal verlaufenden feinen Nervenfasermassen 
daraus werden. Hinter diesem Strang bei k. (k) legt sich noch wieder 
ein Längsstrang an, der je nach Entscheidung vorerwähnter a als 
Hinter- oder als Keil-Strang zu deuten ist. 

Die Figur ist in Bezug auf das feinere Detail mit besonderer 
Meisterschaft von Herren WITTMAAK ausgeführt worden, so dass ich 
mir keine genauere Copie wünschen konnte Man sieht ganz gut 
das Verhalten der Radiärfasern zu dem Epithel und verfolgt erstere 
so vollständig durch das Präparat, wie nur von einem Schnitt ver- 
langt werden kann. Man sieht ferner, dass zwischen den Zellen der 
grauen Substanz sich Netze mit fast quadratischen Maschen bilden, 
wodurch ein so ausgedehntes Flechtwerk von Zellenausläufern und 
Fasern entsteht, dass mittelbar fast jede Zelle mit der anderen ver- 
bunden ist. Es scheint mir kein Grund vorhanden, auch nur eins 
von allen vorliegenden Elementen, seien es die runden, seien es die 
spärlich vorliegenden ovalen Körper, seien es die Zellen des Central- 
kanals, für nicht nervös zu erklären. Später mögen einige derselben 
aus der Verbindung treten, zur Zeit communieirt Alles, und wenn 
denn doch von einem Ende gesprochen werden soll, so sind dies, 
wie ich schon früher betonte (a 3), die Epithelzellen des Central- 
kanals. 


und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 389 


Alle Kerne, welche man sieht, scheinen von einem dicht anlie- 
senden Zellkörper umgeben zu sein. Für die Kerne am Centralkanal 
ist dies sicher (Fig. 60, 90), von den übrigen Kernen gehen so zahl- 
reiche Ausläufer ab (vergl. auch Fig. 98ab), dass man dadurch 
schon darauf geführt wird, es müsse um den Kern eine Zellsubstanz 
Jiegen. Die genauere Analyse bestätigt diese Voraussetzung. Dennoch 
könnte man daran festhalten wollen, es habe ein grosser Theil des 
Zellenleibes sich aufgelöst und bilde die Grundsubstanz zwischen den 
Fasern. Dass die zwischen den Fasern befindliche Substanz einen 
besonderen chemischen Charakter habe, etwas Besonderes sei, bin ich 
zu bestreiten nicht in der Lage. Dass sie jedoch von Zellenauflösung 
abzuleiten sei, bezweifle ich deshalb, weil dieselbe Masse auch zwischen 
den Längssträngen und der vorderen Commissur vorkommt, in diesen 
aber, namentlich in letzterer, von einer Zellenauflösung die Rede nicht 
sein kann. | 

Die Vorderstränge sind genügend entwickelt, um ihre Structur 
genauer studiren zu können. Man findet, dass dieselben weit mehr 
den Eindruck eines Reticulums machen, wie den von durchschnit- 
tenen Axencylindern.. Man sieht jedoch Durchschnitte feiner rund- 
licher Fasern in diesem Reticulum; namentlich deutlich weiter nach 
hinten, aber diese Fasern liegen, wo die Copie gut gelungen ist, in 
den Knotenpunkten des Netzwerks. Diesem eigenthümlichen 
Verhalten habe ich meine volle Aufmerksamkeit zugewandt und bin, 
namentlich unter zu Hülfenahme des Studiums der vorderen Com- 
missur, wo an etwas Jjüngerem Rückenmark das Reticulum sehr 
deutlich ist, zu folgendem Ergebniss gelangt. 

Die Radiärfasern sind unter einander durch Fasern (welche ich 
von unvollkommenen Theilungen ableite) verbunden und sobald das 
Epithel des Centralkanals unter Bildung grauer Substanz von der 
Membrana prima zurückweicht, treten sie an der freien Oberfläche 
isolirt hervor. Dann bilden sie in der Form eines körperlichen Netz- 
werkes von allerdings nur wenig Lagen, an den betreffenden Stellen 
eine Hülle um das Mark. Man stellt sich deren Verhalten am Besten 
vor, wenn man sich das Mark durch ein Paar Lagen von Drathgittern 
eingehüllt denkt, die etwa um Maschenbreite von einander abstehen 
und deren Knotenpunkte von den Radiärfasern durchsetzt werden. 
Dies Netzwerk nimmt an Zahl der Lagen allmählig zu und zwar, 
wie mir scheint, in zweierlei Weise. 

An der vorderen Commissur bleiben die Epithelzellen lange Zeit 
in constanter Schichtung und Dicke, während die Faserlagen hier er- 


heblich zunehmen. Ich habe bemerkt, dass in früher Zeit, vor dem 
26* 


390 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung 


Stad. Fig. 55, die Zellen hier seitwärts proliferiren, d. h. sich etwa 
so verhalten wie die Zellen hinten am Schlussstück in Fig. 56. Da- 
‚durch entstehen einige der Zellen der halbkreisförmigen Lage, und 
während diese sich vermehren, vermehren sich gleichfalls die 
Faserlagen in der vorderen Commissur. Ich glaube daher, es handle 
sich bei letzterem Process um eine Theilung der Commissurenfasern, 
die rasch das Reticulum verschwinden machen; nur die Radiärfasern 
bleiben deutlich. 

Andererseits kann ich nicht leugnen, dass mir die Vorderstränge 
durch Rareficirung und Schwund der Zellen der benachbarten grauen 
Substanz zuzunehmen scheinen. Betrachtet man letztere Substanz 
rechts von dem Gefäss, Fig. 56g, so wird man kaum eine scharfe 
Grenze zwischen Längsstrang und grauer Substanz finden und braucht 
sich die Zellen nur fort zu denken, um die Grenze völlig zu ver- 
wischen. In späteren Stadien treten die Nervendurchschnitte (meist 
in Form von Faserbündeln) deutlicher und isolirter hervor. Die Quer- 
verbindungen treten zurück, wachsen entweder nicht weiter oder atro- 
phiren. 

Auf diese Weise hat sich mir eine Schwierigkeit, welche anfangs 
unübersteiglich schien, gelöst; wie es nämlich möglich sei, dass durch 
die zellenlosen, anfangs dem Anschein nach fehlenden Längsstränge 
die Anfangstheile des Markes mit den Endtheilen so in Communica- 
tion bleiben könnten, dass ein nachträgliches sich Suchen und Finden 
der Ganglienausläufer nicht nothwendig sei. Meiner Ansicht nach ist 
also atıch hier eine Communication und zwar eine sehr allseitige 
Communication der Zellen da, und diese wird erst später in den ein- 
zelnen Linien je nach Bedarf stark entwickelt oder gelöst und durch 
Atrophie zerstört. 

In ähnlicher Weise geht, soviel ich gesehen habe, der Nervus 
opticus aus den Zellen, welche ursprünglich diesen Strang bilden, 
‚hervor. 

Die Beobachtungen, auf welche ich mich stütze, führen an die 
Grenze des optischen Vermögens der Mikroskope und bedürfen ausser- 
dem eines weiteren Ausbaues. Ich gebe sie als dasjenige, was ich 
für die grösste Annäherung an die Wahrheit halte, bin aber alt 
genug, um sine ira einzusehen, dass Fehler werden aufgefunden werden 
und dass überhaupt die Aufnahme meiner Ansicht geringe Wahr- 
scheinlichkeit hat. 

. Ein etwas späteres Stadium liest in Fig. 78 vor. Dasselbe ward 
nach der schönen Methode von Hıs behufs Untersuchung der Struetur 
ausgepinselt. So leicht wie die Lymphkörperchen lösen sich nun 


und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 391 


freilich die Zellen des Rückenmarkes nicht, sondern es reisst jede 
Zelle eine Masse Ausläufer mit heraus. Jedoch auch hier bewährt 
sich die Methode insofern, als man manches sehr instructive Präparat, 
jedoch in nur kleiner Ausdehnung, gewinnen kann. 

In dem vorliegend gezeichneten Präparat war ich ein wenig über 
das richtige Maass hinaus gegangen, denn die Verbindung der Wur- 
zeln mit den Zellen des Centralkanals lag fast frei vor, zerriss dann 
beim letzten Pinselstrich. Immerhin kann man gut die Ausstrahlung 
der Wurzeln in sehr feine Fädchen verfolgen. Ferner ist bei b eins 
der halbkreisförmig verlaufenden Faserbündel ziemlich frei gelegt und 
bei a erkennt man eine Anzahl feinster Zellenausläufer. Ich halte 
dies Alles für nervös. : 

Fig. 57 giebt bei schwacher, 58A u. B bei starker Vergrösserung 
ein Bild von Längsschnitten aus dem Mark eines Rindsembryo mit 
so weit vorgeschrittener Gesichtsbildung, dass die Thränenfurche deutlich 
erkennbar, aber noch offen war. Dasselbe ist, wie namentlich das Aus- 
sehen der Längsstränge ergab, weiter entwickelt, wie die vorhergehenden 
Präparate. An diesen Schnitten, die an der hinteren Grenze der vor- 
deren Wurzel das Mark trafen, sieht man die verschiedenen Schichten 
des Markes schlecht. In dickeren Schnitten dagegen erkennt man, 
wie ich an einer nicht beigefügten Zeichnung sehe, ganz wohl das 
halbkreisförmige Stratum und ferner eine helle Grenzlinie mitten im 
Epithel des Centralkanals. Diese Linie entspricht der Lage derjenigen 
Gefässe, welche in Fig. 55 u. 56 in jenem Stratum liegen. Auch in 
dem Mark, Fig. 57, finden sich an dieser Stelle (jedoch nicht in den 
Figuren der Tafel) Gefässe. Hier werden besondere Structurverhält- 
nisse vorhanden sein, doch habe ich das Nähere nicht ergründet. 

An dem Schnitt, Fig. 57 u. 58A, sieht man recht schön, dass 
die Zellen des Centralkanals sich noch ebenso verhalten, wie dies für 
das weit jüngere Rückenmark, Fig. 53, geschildert ist. Jede Zelle 
erreicht die freie Fläche, aber oft mit nur ganz dünnem Fortsatz. 
Ferner erkennt man, dass die Radiärfasern gleichsam das Centrum 
von Zellensäulen bilden, also ein Verhalten, wie es seit langem an 
der Retina beobachtet worden ist. 

Diese Fasern liessen sich vortrefflich isoliren. Die Fig. 60 giebt 
eine Zelle des Centralkanals mit einer solchen Faser als Verlängerung; 
sie wurde mit dem Pinsel frei gelegt. Die Breite des Markes 
bis zum Längsstrang betrug 0,396 mm., die ganze Länge der Faser 
0,37 mm., es ist also nicht gelungen, die Faser auch nur bis zum 
Längsstrang zu verfolgen, aber da man in diesem unzweifelhaft Radiär- 
fasern erkennt, da ferner an der vorderen Commissur die Radiärfasern 


3923 V. Hrnsen. Beobachtungen über die Befruchtung 


unzweifelhaft die ganze Dicke durchsetzen, kann, glaube ich, mein 
Befund doch genügen, um zu erweisen, dass in dieser Periode die 
Zellen des Centralkanals noch mit Radiärfasern sich bis 
zur Wand der Pia erstrecken. Ich kann nicht angeben, ob 
es mir gelungen ist, von aussen her eben so lange Stücke zu isoliren; 
es kam mir damals auf den Zusammenhang der Faser mit einer Zelle 
des Centralkanals an. 

REISSNER!) ist meines Wissens der erste gewesen, welcher die 
Radiärfasern im Mark erwachsener Thiere deutlich erkannt hat, doch 
geht er nicht näher auf dieselben ein. Sie sind seit dieser Zeit häu- 
figer dargestellt worden, aber doch nicht näher gewürdigt. Ich ent- 
nehme aus ihrem Verhalten den wichtigsten Beweis dafür, dass das 
Mark seinen epithelialen Charakter bewahre. Allerdings ken- 
nen wir kein anderes Epithel von auch nur annähernd ähnlicher Com- 
plication; das Epithel der Schnecke enthält zwar Nervenplexus, ist 
aber kaum stellenweise doppelschichtig, die Retina der Cephalopoden 
ist so durchwachsen vom Bindegewebe, dass die Reduction auf epithe- 
lialen Bau nicht sicher. geschehen kann, aber vielleicht gelingt es 
noch, die nothwendige phylogenetische Entwicklungsreihe klar zu legen. 
Jedenfalls, glaube ich, wird durch die Entwicklungsgeschichte die 
Auffassung des Markes als Epithel sehr nahe gelegt. 

Die Frage nach der Bedeutung der Radiärfasern ist sehr schwer 
zu beantworten. Beim jungen Mark gehen von ihnen Zellen und 
Fasern, Fig. 90, ab, die man doch wohl für nervös halten muss. Ich 
glaube, dass Zelle und Radiärfaser als Generatoren von Nerven- 
masse aufzufassen sind. i 

In Bezug auf die Erzeugung der Nerven in den Längssträngen 
beobachtet man an Fig. 58B, dass die Bündel sich aus Fäserchen 
zusammensetzen, welche aus dem Mark entstammen. Die etwas wellen- 
förmig verlaufenden Bündel ist man geneigt als nackte Axencylinder 
aufzufassen, in denen noch die einzelnen Fibrillen zu erkennen seien. 
Untersucht man jedoch genauer, so findet sich ein solches Gewirr 
von Fäserchen, Faserbröckeln und Körnchen, dass man nicht vorwärts 
kommen kann. Es erinnert mich dies Verhalten an die Nervenstämme 
von Mollusken; auch hier giebt die genauere Analyse höchst unbe- 
friedigenden Erfolg. Man beruhigt sich dabei, dass doch wohl die 
Fibrillen continuirlich seien und so verlaufen müssten, wie bei den 
höheren Thieren, aber den objectiven Beweis dafür findet man nicht! 


l) Der Bau des centralen Nervensystems der ungeschwänzten Batrachier. 
1864. (i 3). 


und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 393 


Nur noch drei Punkte habe ich zu besprechen. Die Entstehung 
der hinteren Commissur fällt in ziemlich späte Zeit. Das Schluss- 
stück des Centralkanals verdickt sich erheblich, aber beide Seiten blei- 
ben durch eine Raphe, welche durch die gegeneinander gelegten End- 
flächen der Epithelien des Centralkanals gebildet wird, scharf getrennt. 
Allmählig, wenn die Hinterstränge schon massig geworden sind, ver- 
streicht die Raphe und damit tritt die hintere Verbindung der Seiten- 
theile ein. Die Frage war, wie diese Verwischung zustande komme. 
Es hat mir den Eindruck gemacht, als wenn die Epithelzellen sich 
durcheinander schöben, also von der linken Seite nach der rech- 
ten und vice versa hinüber wüchsen. Leider habe ich keine recht 
klaren Präparate davon gehabt, so dass die Zeichnung unterblieb. 


Die Ganglienzellen entstehen in viel späterer Zeit als diejenige 
ist, welche meine Zeichnungen repräsentiren. Ich halte es für ver- 
kehrt, sich so auszudrücken, als wenn in früherer Zeit schon einige 
Zellen des Markes als Ganglienzellen anzusprechen seien. Sobald näm- 
lich eine der grossen Ganglienzellen entsteht, hebt sie sich in Folge 
ihrer eigenartigen Lichtbrechung mit überraschender Deutlichkeit aus 
den übrigen Zellen hervor, es ist dabei nicht nöthig, dass ihre Grösse 
von diesen verschieden sei. Da es dieser eigenthümliche Habitus ist, 
an dem wir überhaupt die Ganglienzellen erkennen, so scheint es ein 
richtiger Ausdruck, wenn wir sagen: im Anfang finden sich im Mark 
nur Nervenkörperchen, aber noch keine Ganglienzellen. 


Wenn ich stets vom Epithel des Centralkanals gesprochen habe, 
so beruhte dies auf der Annahme, dass die innersten Zellen der be- 
treffenden Lage zu dem Epithel werden, es wäre aber möglich, dass 
jenes eine secundäre Bildung weit späterer Zeit sei. Direct habe 
ich mich nicht von dem Sachverhalt unterrichtet. 


Früher (a. 3. S. 424)!) habe ich mich dahin ausgesprochen, dass 
eine grosse Aehnlichkeit in der Schichtenbildung zwischen Rücken- 
mark und Retina bestehe, jedoch weitere Studien haben mir gezeigt, 
dass die Durchführung des Vergleichs die Objectivität der Auffassung 
stört und keinen Vortheil bietet, so dass ich diese Ansicht fallen 
lassen musste. 


Es war mir nicht möglich, die Entwicklung des Sympathicus auf- 
zufinden. Die erste sichere Spur desselben fand ich Fig. 55 bei d 
in der Form zerstreuter, besonders sich tingirender Zellen im Ramus 


1) Auf Zeile 3 von unten muss es dort heissen „äussere“ Körnerschicht statt 
„innere“, 


394 V. HENsEn. Beobachtungen über die Befruchtung 


communicans. Von dieser Zeit an werden die Zellen dichter und leichter 
zu erkennen. 

Am Schwanz der Froschlarve habe ich) unter der Chorda zwei 
eigenthümliche, sehr fest eingewebte Zellen gefunden, von denen ich 
bemerke, dass sie, nach späteren Stadien zu schliessen, kaum etwas 
anderes wie der Sympathicus sein können. Leider erinnere ich mich 
der bezüglichen „späteren Stadien“ nicht mehr. Später hat GÖTTE die 
Zellen, die er freilich nur als einfach zeichnet, wieder gefunden (u 
S. 270) und die sehr interessante Entdeckung gemacht, dass sie sich 
als „Axenstrang“ vom Darmdrüsenblatt abschnüren, doch blieb ihm 
die Bedeutung derselben unklar, S. 775. Da er nun auch nicht die 
erste Entstehung des Sympathicus belauschen konnte, so möchte ich 
immerhin an der Ansicht, dass jene Zellen dem sympathischen Nerven- 
system angehören könnten, noch festhalten. 

Am Schlusse dieser Beschreibung angelangt, habe ich hervorzu- 
heben, dass diese Untersuchung auf den Schultern derjenigen von 
BIDDER und KUPFFER (zZ 2) steht. Jene brachten so wesentliche För- 
derungen für die Entwicklungsgeschichte des Rückenmarkes, dass dem 
Nachfolger dadurch eine werthvolle Basis gesichert ward. Allerdings 
habe ich neben der Bestätigung des Verhaltens der vorderen Commissur 
und des isolirten zellenfreien Auftretens der Vorderstränge wesentlich 
Abweichendes gefunden, wie die eigenthümliche Bildungsweise eines 
bestimmten Theiles der Hinterstränge, die Entstehung der Spinal- 
ganglien u. s. w. Ich möchte jedoch bei dieser Gelegenheit darauf 
hindeuten, wodurch der Nachuntersucher im Vortheil ist. Nicht nur 
braucht er bei den einfacheren Erscheinungen, welche den Vorgänger 
fesselten, nicht zu verweilen, sondern er hat für die Güte seiner Prä- 
parate einen genauen Maasstab, der ihm sehr hülfreich ist. So z. B. 
fand KUPFFER eine Chromkalilösung von 8 bis 9°/, nützlich, während 
ich nicht über 2!/, °/, hinausging und selbst dann noch manchen 
Embryo, der mir wohl äusserst brauchbar erschienen wäre, wenn ich 
mit der Untersuchung den Anfang gemacht hätte, verwarf. Im Gan- 
zen ist bei diesen Untersuchungen die Masse dessen, was zu bewäl- 
tigen ist, erdrückend, und so mögen denn noch viele Forscher hier 
reiche Ernte finden. 

KuPrFFEr lest Gewicht auf die Form des Centralkanals; ich habe 
dieselbe ziemlich wechselnd gefunden, halte jedoch, ohne mich mit 
voller Sicherheit aussprechen zu wollen, die von mir gezeichnete für 


l) Ueber die Nerven im Schwanz der: Froschlarve. Archiv f. mikroskop. 
Anatomie Bd. IV, S. 118 (k 3). 


und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 395 


normal. Er begrenzt die Epithelschicht des Centralkanals viel enger, 
als ich. Bereits gab ich an, dass in der That, dieser Abgrenzung 
etwa entsprechend, eine Scheidung gehe, es mag also sein, dass diese 
an seinen Präparaten besonders deutlich hervortrat. 

An dieser Stelle möchte ich noch hinsichtlich der Beobachtung 
Kuprrer’s !), dass sich in Knochenfischen der Öentralkanal nicht als 
offene Rinne bildet, welche Beobachtung ich an seinen Objecten 
nicht anders deuten konnte als er, Folgendes sagen. Der Befund ist 
phylogenetisch meiner Auffassung des Markes als Epithel nicht günstig, 
jedoch einerseits ist die histiologische Entwicklung des Fischrücken- 
markes noch nicht gemacht, andererseits sind die Befunde am Säuge- 
thiermark doch für sich ausreichend beweisend. 

Sehr gerne hätte ich aus dem grossen und fleissigen Werk GörTE's 
über die Unke für die Entwicklung des Markes Nutzen gezogen, aber 
da ich ziemlich strenge der alten, sich an die Phytotomie anlehenden, 
Zellenlehre anhänge und damit stets auskomme, bin ich nicht in der 
Lage, mich mit Görre’s Befunden zu befreunden. Diejenigen, welche 
sich noch jener Lehre erinnern, werden mich verstehen, wenn sie fol- 
sendes Citat lesen. GÖTTE schreibt (u S. 531): Noch kühner ist die 
Hypothese HEnsEn’s; doch finde ich mich nicht bemüssigt, diese Dar- 
stellungen, welche an die Stelle leicht anzustellender Beobachtungen 
zum Theil rein willkürliche Vorstellungen setzen, anders als durch 
einen Hinweis auf meine Beobachtungen zu widerlegen. Aus diesen 
geht hervor, dass die Nervenfasern sowohl in den Centralorganen, wie 
in den peripherischen Verzweigungen aus einer von verschmol- 
zenen und aufgelösten Embryonalzellen hergestellten Bildungs- 
masse sich entwickeln; dass insbesondere die Nervenstränge theils in 
selbständiger morphologischer Anlage, theils durch Anfügung und An- 
passung einzelner Theile des interstitiellen Bindegewebes an die erste- 
ren entstehen u. s. w. 

Leider muss ich sagen, dass GÖTTE in Bezug auf die „leicht anzu- 
stellenden Beobachtungen“ wenigstens meine Fähigkeiten überschätzt. 
Ich habe mich, wie u. A. k 3, Fig. 1 u. 2 ergeben, mit den frag- 
lichen Verhältnissen beschäftigt, bin aber nicht weit gekommen und 
habe einsehen gelernt, dass die Amphibien wegen der massenhaften 
Dotterkörner ein vorzugsweise ungeeignetes Object für das histiogene- 
tische Studium sind. Ich -hoffe nur, dass GÖTTE die eigenen Kräfte 
nicht auch überschätzt habe! ö 


l) Beobachtungen über die Entwicklung der Knochenfische. Archiv f. mi- 
kroskop. Anatomie Bd. 4. S. 250 (13). 


396 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung 


Seine Abbildungen vom Schwanze halte ich mit Ausnahme der 
Endigungsform des Rückenmarks, Fig. 213, für naturgetreu, aber unsere 
Auffassung ist sehr verschieden. So sagt er (u S. 516): Für die ausser- 
ordentlich reiche netzförmige Endverzweigung der Schwanznerven oder 
mit anderen Worten für ihre Zusammensetzung aus stark verästelten 
Sternzellen verweise ich bloss auf Fig. 220. Die Differenz in unserer 
Auffassung dieser, einer älteren Larve entnommenen Figur ist charak- 
teristischh Meiner Ansicht nach ist nämlich die Nervenverzweigung 
sehr arm. Es sind drei Aeste da, von denen einer anastomosirt, und 
im Ganzen sieben Endäste. Einer dieser sieben Aeste hört an einer 
Bindegewebszelle auf, mit einem zweiten verläuft eine Strecke weit 
ein Zellenausläufer. Da alle anderen z. Thl. weit feineren Nerven 
frei weiter laufen, trotzdem sie Bindegewebszellen kreuzen, nehme 
ich an, dass auch der siebente frei weiter laufe und dies Verhalten 
nur durch den grossen Leib der unterliegenden Zelle unsichtbar 
gemacht sei. GÖTTE dagegen hält sich nur an diesen einen Fall 
des scheinbaren Endes, und nicht nur dies, sondern es werden 
ihm dadurch auch alle anderen Verzweigungen der neun daneben 
liegenden Zellen zu Nervenzweigen und so erhält er das ausserordent- 
lich reiche Netz! Ihm sowohl wie anderen Beobachtern gegenüber 
halte ich an der Richtigkeit meiner betreffenden Schilderungen fest. 

In Bezug auf manche Details der Entwicklung des Kaninchens 
darf ich auf die Figurenerklärung verweisen. 


III. Die Entwicklung des Meerschweinchens. 


Keinen Vorgang im gesammten Gebiet der Entwicklungsgeschichte 
halte ich für so sehr der Erforschung würdig, wie die ersten Stadien 
des Meerschweinchens. Nirgends häufen sich nämlich Details, 
welche allem Herkömmlichen Hohn sprechen, alle Deduec- 
tionen, die man aus der Gleichmässigkeit der fundamen- 
talen Vorgänge der Entwicklung, im UTebrigen mit Recht, 
herleiten möchte, durchlöchern und zerreissen, so sehr, 
wie hier. 

Die Anzahl der Versuche, welche gemacht worden sind, um auf 
diesem Gebiete vorzudringen, entsprechen zwar dem Gewicht des er- 
wähnten Sachverhaltes nicht, denn es sind neben einigen Vorstudien 
nur drei Arbeiten auf diesem Felde gemacht worden, jedoch da man 
die Thatsache der Blätterumkehr und aller daran sich knüpfenden 
Consequenzen unweigerlich wird zugeben müssen, ändert die ge- 
ringe Zahl der Arbeiten an dem Gewicht der Thatsachen nichts. 


und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 397 


Die Anschauungen, zu welchen BISCHOFF in seiner ersten, trotz 
‚mancher Irrthümer unzweifelhaft sehr verdienstlichen Arbeit (b) ge- 
langte, gebe ich mit den hin und wieder betonten Worten seines Resume&s. 

Am 4. und 5.. Tage setzt sich der Theilungsprocess des Dotters 
im Uterus noch etwas fort, dann aber vereinigen sich sämmtliche 
Dotterkugeln wieder zu einer homogenen Masse. 

Am 5. und 6. Tage löset sich die Dotterhaut auf und die noch 
unentwickelte Dottermasse gelangt in einen Drüsenschlauch oder in 
einen neugebildeten kleinen Divertikel des Epitheliums des Uterus, 
verschmilzt mit demselben und entwickelt sich hier unter Zellen- 
bildung zu der Keimblase.!) 

Vom 6. und 7. Tage an wird diese Keimblase von der sich an 
Stelle ihrer Fixirung rasch verdickenden Uterinschleimhaut (nicht 
- Epithel! H.) in der Form einer dicken weichen Kapsel als Decidua 
umgeben, wobei die Höhle des Uterus an dieser Stelle schwindet, das 
sich entwickelnde Ei aber in einer neu entstehenden Höhle einge- 
schlossen wird. 

In dieser Deciduakapsel liegt vom 7. bis 14. Tage das cylin- 
drische, sich nun rasch vergrössernde Ei mit seinem nach der Mesen- 
terialseite des Uterus hingerichteten Ende angewachsen und durch 
Blutgefässe mit der Decidua verbunden. Sein anderes Ende ist frei, 
und an diesem bildet sich der Fruchthof aus. Am 12. und 13. Tage 
wird seine Gestalt allmälig rundlich. 

Die Lehre v. Baer’s über die blättrige Bildung des Keimes 
findet auch bei der Keimblase des Meerschweinchens ihre Bestätigung. 
Allein es zeigt sich hier eine von allen bisher bekannten Thiereiern 
verschiedene Anordnung dieser Blätter. Das vegetative Blatt ist 
nämlich das äusserste der Eiblase; das animale bildet sich von 
Anfang an als kleines, an dem freien, nicht angewachsenen Pole des 
Eies gelegenes, geschlossenes Bläschen; das Gefässblatt liegt zwischen 
beiden und entwickelt sich an der inneren Seite des vegetativen Blattes. 

In Folge dieser Anordnung der Blätter des Keims hat der sich 
bildende Embryo die gerade umgekehrte Lagerung in Beziehung auf 
das Ei, wie andere Embryonen, er liest mit seinem Bauche (will sagen 
Darmoberfläche. H.) nach aussen, mit dem Rücken nach innen gegen 
die Eiblase hingewendet. 

In Folge der uranfänglichen Bildung des animalen Blattes als 


1) 8. 28 heisst es: Das befruchtete und entwicklungsfähige Dottermaterial 
ertheilt gewissermassen einer Stelle des Uterus, mit der es sich verbindet, die 
Fähigkeit, sich zu einem Ei und später Embryo auszubilden. 


398 V. Hensen. - Beobachtungen über die Befruchtung 


einer geschlossenen Blase ist ferner die Entstehung des Amnion bei 
dem Meerschweinchen eine ganz andere, wie bei anderen Embryonen. 
Die eine Hälfte dieser Blase wird nämlich Amnion, während sich in 
der anderen der Körper des Embryo entwickelt. 

BIsCHOFF schildert alsdann die weitere Entwicklung des Embryo, 
die eigenthümliche Entstehung der Allantois u. s. w. Da ich in vor- 
liegender Arbeit mich damit nicht beschäftige, habe ich darauf nicht 
einzugehen, nur möchte ich hier erwähnen, dass das Meerschwein- 
chen als weitere kleine Eigenthümlichkeit vor anderen Thieren sich 
dadurch auszeichnet, dass ihm der Dottersack und was damit zu- 
sammenhängt, gänzlich fehlt! BiscHorr fasst die Sache anders 
auf, jedoch ist es unzweifelhaft, dass es so ist, wie ich sage. 

In dem soeben gegebenen Citat finden sich keineswegs viele Irr- 
thümer niedergelegt, jedoch BISCHOFF ist darin zu Hypothesen ge- 
kommen, die in der damaligen Zeit — 1852 — sehr entschieden ver- 
worfen wurden, und das schadete der ganzen Arbeit. Er eilte, wie 
mir scheint, den neueren Theorien voraus, aber man hat, so viel ich 
sehe, doch nie auf ihn Bezug genommen. 

Mit Entschiedenheit wandte sich REICHERT (k) gegen BISCHOFF’S 
Darstellung. Nachdem dieser Autor schon früher ähnliche Embryonal- 
anlagen bei Ratten und Mäusen aufgefunden hatte, förderte er mit 
dieser neuen Arbeit, namentlich durch seine scharfen, und mit Aus- 
nahme der Details am Ei, naturtreuen Zeichnungen den Gegenstand 
erheblich. Es bildet sich zu Folge seiner Beschreibung in der zwei- 
ten Hälfte des 7. Tages eine Abkapselung des Eies, oder wie er es 
störend nennt, eine Decidua reflexa für das Ei. Der Vorgang besteht 
darin, dass an zwei 2 mm. von einander entfernten Stellen das Lumen 
des Uterus sich stark verengt und dadurch zwischen diesen Stellen 
ein besonderer Raum von der Uterushöhle sich abtrennt. Später soll 
dann dieser Raum die Communication mit den anderen Theilen ganz 
aufgeben. In diesem Raum liegt das Ei, doch glaubt REICHERT, dass 
es vielleicht erst später hier hinein gelange, da er einmal (m. E. auf 
Grund irrthümlicher Deutung) 2 Eier in dem weiter entwickelten 
Theile getroffen habe. Das Epithel dieses Raumes ist Uterusepithel, 
es lässt sich als selbständige Lage isoliren und haftet nur inniger an 
dem, der festgewachsenen Uteruskante entsprechenden, Rande. Er be- 
zeichnet den so isolirten, nur von dem Epithel gebildeten flachen 
Raum als „epitheliale Kapsel“.!) Die Schleimhaut um dieselbe wuchert 


l) Man sieht diese Kapsel Fig. 65, 66, 87, 88, und wird sich mit Hülfe der 
Figurenerklärung leicht darüber orientiren. 


und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 399 


mächtig, jedoch dieser Process, der histiologisch recht interessant ist, 
hat embryologisch sehr geringes Interesse, so dass wir nur auf die 
Umänderungen der epithelialen Kapsel Rücksicht zu nehmen brauchen. 
An dieser Kapsel unterscheidet REICHERT den Körper, die Basis und 
den Zapfen, welche mit ihrem Epithel ununterbrochen ineinander über- 
sehen sollen. Für den Zapfen, welcher das Ei enthält, wird eine Breite 
von 0,1 bis 0,17 mm. eine Länge von 0,155 bis 1,15 mm. angegeben, 
doch ist in der von R. gegebenen Figur von einer Vorragung des 
Zapfens fast nichts zu sehen. REICHERT bestreitet die Angaben BI- 
SCHOFF’S über die Lagerung des Eies in dieser Zeit, jedoch BiscHorr 
weist ihm, m. E., mit vollständigem Recht, nach, dass er in Wirklich- 
keit genau dasselbe beschreibt, was letzterer bereits in seiner ersten 
Abhandlung darlegte. 

REICHERT giebt aber ferner gegen BISCHOFF an, dass die Dotter- 
zellen deutlich zu erkennen seien, jede enthalte noch unverwandelte 
Dotterkörperchen. Das Ei messe 0,105 bis 0,115 mm. und sei ohne 
Zona, die kleinsten Zellen desselben messen 0,0114 mm., die Kerne 
0,005 mm. Auffallend ist, dass von nun an jede Maassangabe über 
das Ei unterbleibt, sollte es REICHERT ganz entgangen sein, dass das 
Ei im Zapfen nur 0,06 bis 0,07 mm. misst? Bei der weiteren Ent- 
wicklung entsteht aus dem kurzen ein langer Hohlzapfen, in dessen 
Spitze das Ei liest. Dasselbe wird vermittelst eines durchbroche- 
nen Diaphragmas von der Höhlung des Hohlzapfens getrennt. Nach 
unten setzt sich der Zapfenraum gegen den Hohlraum der ursprüng- 
lichen Kapsel ab, es sei unklar, ob er noch damit communieire oder 
nicht. Am 12. und 13. Tage lassen sich an dem Zapfen drei Ab- 
schnitte unterscheiden, derjenige für das Ei, ein darauf folgender mitt- 
lerer heller und zu unterst ein dritter, welcher doppelrandig ist und 
als Napf bezeichnet wird. Der ursprüngliche Körper des ganzen ab- 
sekapselten Raumes verschwinde entweder, wie dies schon BISCHOFF 
angegeben, oder auch lege er sich als Falte in den unteren Raum des 
Zapfens hinein. Die Schilderung des letzteren Vorganges habe ich 
nicht verstehen können. 

Das Ei stelle zunächst kein Bläschen, sondern eine solide Kugel 
dar. Später wird die Kugel hohl und öffnet sich nach unten, "darauf 
entwickelt sich die Umhüllungshaut. Ueber diese Verhältnisse han- 
delt meine Arbeit nicht, so dass ich unterlassen darf, darüber weiter‘ 
zu referiren. | 

BISCHOFF (p) widerruft S. 24 seine Angabe, dass das Ei die 
Epithelröhre des Uterus ausstülpe oder in eine Drüse gerathe und 
schliesst sich insofern der Darstellung R.'s an. 


400 V. HEnsen. Beobachtungen über die Befruchtung 


Im Uebrigen hält er an seiner Ansicht, dass der ganze Zapfen 
Ei, d.h. die Keimblase sei, fest. REICHERT’S Ei, welches er demnach 
als Dotterrest auffassen muss, fange am 10. Tage an sich im Inneren 
aufzuhellen und zwar excentrisch, der nach dem Zapfen zugekehrten 
Oberfläche näher. Bald sei hier nur noch eine feine Membran vor- 
handen. Das durchbrochene Diaphragma REICHERT'S sei eine, wahr- 
scheinlich durch Spirituswirkung hervorgebrachte Täuschung. (Auch 
ich finde davon nichts.) Am 12. Tage wachse eine feine Membran 
von dem Bläschen aus an den Wänden des Zapfens hinunter, dies sei 
das mittlere Keimblatt und stamme vom animälen Blatt. Er be- 
kräftigt seine Beobachtungen über die Allantoisbildung, die übrigens 
einem Zweifel nicht unterliegen kann. 

In der nachfolgenden Beschreibung bezeichne ich den am liga- 
mentum latum festgewachsenen Rand des Uterus als den unteren. 
Ich weiche absichtlich einer besonderen Nomenclatur, wie REICHERT 
dieselbe in Anwendung gebracht hat, aus, denn bei solchen Speeciali- 
täten, wie der vorliegenden, kann man dem Leser nicht zumuthen, 
sich in die Namengebung hinein zu finden. 

Die Furchung verläuft bei dem Meerschweinchen etwas eigen- 
thümlich. Die Furchungskugeln ordnen sich nämlich schon bei der 
Viertheilung, Fig. 61 A u. B, zu einer beckenartig ausgehöhlten Masse 
an, die zwar von oben her gesehen fast wie ein gewöhnliches Fur- 
chungsstadium aussieht, beim Rollen aber sich anders macht, wie die 
bekannten Stadien der anderen Säuger. Mindestens habe ich bei dem 
Kaninchen Aehnliches nicht gefunden. Uebrigens zeigt schon dieses 
Stadium die Eigenthümlichkeit, dass eine der Zellen einen zungen- 
förmigen Fortsatz hat. Darauf lege ich deshalb einiges Gewicht, weil 
die Fig. 9. bei REICHERT dasselbe Verhalten erkennen lässt. Fig. 79 
u. 80 stellen die weitere Entwicklung dieses Verhaltens dar. Sie sind 
dem Uterus zu Ende des 4. und am Anfang des 6. Tages entnommen. 
Sie hatten die Neigung, die Fläche des Beckens dem Beobachter zu- 
zukehren. Endlich stellt Fig. 81 ein Ei von 6 Tagen in der Seiten- 
ansicht dar, welches ein sehr bemerkenswerthes Verhalten zeigt. Es 
hat sich eine förmliche Keimhaut gebildet und die Hauptmasse der 
Dotterzellen präsentirt sich fast unter der Form des Keimhügels. 
Zu meinem grossen Bedauern ist keine Messung dieses Eies notirt 
worden; da jedoch, wie BIscHoFF bereits angab, kein Eiweiss auf die 
Zona abgelagert wird und dieselbe von normaler Dicke erscheint, na- 
mentlich aber, da ich nichts besonderes notirt habe, wird das Ei von 
der gewöhnlichen Grösse 0,09 bis 0,1 mm. gewesen sein. Um diese 
Eier dem Uterus zu entnehmen, band ich ein ziemlich weites, dünn- 


und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 401 


wandiges Rohr in den Cervix ein und injicirte von dem Eierstockende 
aus MÜLLER’sche Lösung in das cavum uteri. 

Bei einer früheren Untersuchungsreihe hatte ich, dem Rathe der 
Autoren folgend, den Uterus geöffnet und dann das Epithel abgeschabt. 

Diesem Verfahren verdanke ich die anderen, diese Stadien be- 
treffenden Figuren. Ich gestehe, dass ich keinen besonderen Werth 
auf dieselben lege, sondern sie nur der Arbeit beigab, um mich, als 
zur Besprechung dieser Dinge competent, zu legitimiren. Erst in Folge 
neuerer Arbeiten erkannte ich, dass die oben besprochenen Figuren 
einen Sinn gewinnen könnten und fügte sie nachträglich ein. 

Fig. 62 ist ein 5 Tage 3 Stunden altes Ei, welches, wie ich 
glaube, bei genauerem Studium eine ähnliche Seitenansicht gegeben 
hätte wie Fig. 80. Fig. 64 habe ich für abnorm gehalten, aber da 
es 7 Tage alt war und man schliesslich zur Zeit nicht sicher wissen 
kann, dass wirklich ein abnormer Zustand vorliege, wollte ich doch 
den Nachuntersucher mit dieser Form bekannt machen. Endlich, 
Fig. 63 ist ein Körper aus einem Uterus 6 Tage nach der Copulation. 
Derselbe, 0,93 mm. messend, ähnelt dem von REICHERT dargestellten 
Ei und ich muss gestehen, dass ich jetzt ihn nicht recht zu deuten weiss. 
Man bekommt aus dem Uterus eine Masse rundlicher Zellenanhäufun- 
gen und findet in den Zellen Fetttröpfehen in nicht geringer Zahl, 
welche sehr den Dotterkugeln gleichen. Man muss sich also bei der 
Beurtheilung lediglich auf das eigene Tactgefühl (sozusagen) verlassen, 
und dieses ging bei mir allerdings dahin, dass ein Ei vorliege. Getreu 
meinem Wunsche, erneute Untersuchungen anzuregen, durfte ich wohl 
auch diesen Körper vorlegen. 

Meine Vorgänger, BISCHOFF und REICHERT, haben behauptet, in 
der Entwicklung des Meerschweinchens keine wichtige Lücke zu 
lassen; ich bin nicht in dieser glücklichen Lage, sondern muss aus- 
drücklich constatiren, dass mir mindestens 12, wahrscheinlich 24 Stun- 
den, in der wichtigsten Periode unerforschlich geblieben sind. Leider 
finde ich mich ausserdem noch in Bezug auf die Zeitrechnung mit 
den Vorgängern im Widerspruch. Sie gaben das Alter der entschei- 
denden Figur BıscHorr (b Fig. 17) 6°/, Tage, REICHERT (k Fig. 12) 
„etwa am 7. Tage nach der muthmasslichen Begattung“, endlich Bı- 
SCHOFF (p Fig. 1A) „vom 7. Tage nach der Begattung“ an. Dagegen 
muss ich sagen, entweder diese Figuren, namentlich die beiden letz- 
teren, sind irrthümlich, oder es sind sehr unvollkommene Darstel- 
lungen dessen, was meine Fig. 84 bis 86 geben. In letzterem Falle 
war das Stadium nicht 6°/, Tage alt, noch überhaupt vom 7. Tage, 
sondern von 7 Tagen 10 Stunden bis 7 Tage 16 Stunden bis selbst 


402 V. Hrensen. Beobachtungen über die Befruchtung 


volle 8 Tage alt. In diesem Falle wären auch die Maasse, sowohl 
von REICHERT wie von BISCHOFF, verkehrte. 

Der wirkliche Zapfen misst 0,096 mm. in Länge und 0,072 bis 
0,074 in Breite. ; 

BiscHorrF erklärt ausdrücklich (p S. 49), dass seine Zeichnung 
„ganz naturgetreu das Object in zehnmaliger Vergrösserung“ gebe. 
Die Messung der Zeichnung ergiebt, dass der Zapfen 1?/, mm. breit 
und 1!/, mm. hoch ist, also in Wirklichkeit 0,175 und 0,125 mm. 
misst. REICHERT giebt S. 141 eine Breite des Zapfens von 0,1 bis 
0,17 mm., eine Länge von 0,155 mm. an (freilich findet er S. 139 
das Ei darin 0,105 bis 0,115 mm.). Findet sich ein Körper von sol- 
cher Grösse an ausgezeichneter Stelle und am Rande des Epithels 
vorragend, so konnte ich ihn vielleicht einige Male übersehen, aber 
über 20 Mal (so viele Uteri habe ich allein im Alter von genau 
7 Tagen nach der Copulation untersucht) kann ich einen solchen 
Körper, wenn ich darnach suche, nicht übersehen. Falls also dennoch 
ein Irrthum in Bezug auf das Alter von meinen Vorgängern gemacht 
sein sollte, so haben sie sich selbst in Bezug auf das, was sie über 
die Entwicklung des Meerschweinchens eruirt hatten, schwer getäuscht, 
und haben zugleich Abbildungen gegeben, die, wenn man das Object 
kennt, nicht wieder zu erkennen sind. 

Zuerst habe ich das Ei 7 Tage 4 Stunden nach der Copulation wieder 
aufgefunden, es lag, Fig. 82, an der äusseren Fläche des Uterus- 
epithels.. Darauf fand ich den Zapfen, Fig. 84, und da ich zunächst 
von hier aus den Anschluss an. Fig. 65 haben wollte, weil mir die 
betreffenden Zeichnungen fehlten, aber fand, dass der solide Zapfen 
entweder einige Zeit seine Grösse nicht ändert oder zuerst in unge- 
wöhnlich früher Zeit von mir beobachtet war, musste ich eine uner- 
wartet grosse Reihe von Thieren opfern, um den Zweck zu erreichen. 
Damit war die Periode des Sonnenscheins vorübergegangen, es folgten 
Monate mit dem trübsten Wetter, die alles Suchen vergeblich machten. 
So bin ich nicht im Stande, den Anschluss nach rückwärts zu gewin- 
nen und kann höchstens hoffen, einen Nachtrag bezüglich einiger 
Einzelheiten gelegentlich der Correetur anzufügen. 

Bei keinem Säugethier ist die Behandlung des Eies so leicht wie 
bei dem Meerschweinchen, sobald in dem Zapfen sich etwas Flüssig- 
keit angesammelt hat, also vom Ende des 8. Tages an. Man spaltet 
den Uterus genau von oben und findet leicht die Stelle, wo das Binde- 
gewebe gewuchert ist. Diese Stelle zerlegt sich besonders leicht 
in zwei gleiche Seitenhälften; an einer derselben liegt der Zapfen, den 
man dann unschwer lösen und weiter behandeln kann. Am 8. Tage 


und Entwicklung des Kaninchens- und Meerschweinchens. 403 


thut man wohl, die bereits von BIsSCHOFF bemerkte leichte Isolirbar- 
keit des Epithelschlauches zu benutzen. Später mag man den Uterus 
frisch verwenden, für den Anfang empfiehlt es sich, ihn aufgespannt 
und uneröffnet 8 bis 14 Tage lang in Mürrter’scher Lösung (2/, %/, 
Kali biehromiei und 2?/, °/, Natrii nitrici) zu erhärten. Man legt 
den erhärteten Uterus auf die Seite, steckt ihn fest und öffnet unter 
Wasser von oben oder unten her, aber ein wenig seitlich von der 
Ebene der Uterushöhle. Dabei muss man sich bemühen, die beiden 
Epithelflächen nicht von einander zu trennen. Sie sind entweder gar 
nieht oder nur schwach verklebt, an dem Tubarende oft (wenn Flüssig- 
keit im Bauchraum) klaffend. Der Theil, welcher das Ei enthält, 
hält am festesten zusammen, da hier nach oben zu das Epithel stark 
verdickt und gewulstet ist. Dafür ist das Bindegewebe dieser Gegend 
in der Nähe des unteren Randes fest mit dem Epithel verwachsen 
und wenn es gelingt, die uns zugekehrte Seite davon frei zu machen, 
bereitet die Lösung der anderen Seite um so mehr Schwierigkeiten. 

Noch früher ist die Epithelhaut nicht so lose, es ist mir nicht 
gelungen, dann eine Methode zu finden, sie ohne die Uterushöhle zu 
eröffnen, herauszulösen. Nach meinen Versuchen möchte ich davon 
abrathen, den Uterus in mikroskopische Querschnitte zu zerlegen, das 
Ei entgeht doch. Eher könnten Längsschnitte nützen, doch ich weiss 
keinen guten Rath. 

An diesem Orte möchte noch zu erwähnen sein, dass von mir der 
‘ Versuch gemacht wurde, Extrauterinschwangerschaft zu erzeugen. Zu 
geeigneter Zeit durchschnitt ich die Tuben, als ich dann bei zwei 
überlebenden Thieren nach zwei Wochen nachsah, fand sich am Tuben- 
ende viel Bluteoagulum, doch darin kein Ei. Jedoch es könnte einmal 
ein solcher Versuch glücken und das Ergebniss wäre sehr wissenswerth. 

Für das Folgende bemerke ich, dass REICHERT mit Recht den 
Körper in der Spitze des Zapfens als das Ei auffasst, BiscHorr Un- 
recht hat. Ich werde den Beweis weiter unten geben. 

In einem erhärteten Uterushorn, welches ein Ei von 7 Disen 
4!/, Stunden nach der Copulation enthalten musste, fand sich genau 
in der Mitte eine runde Fläche des Epithels, welche besonders hervor- 
trat, weil rings um sie her das Bindegewebe der Schleimhaut sich 
nicht hatte abtrennen wollen, während dies an allen anderen Orten 
leicht erfolgt war. Bei genauerer Betrachtung zeigte sich eine leichte 
Verdiekung des Bindegewebes der Schleimhaut an dieser Stelle, so 
dass ich hier sicher das Ei vermuthen durfte. Am Rande des Epi- 
thels war jedoch nichts zu entdecken. Die Stelle ward mit etwas 
Karmin übergossen (übrigens eine schlechte Methode) und nach dem 


Zeitschrift f. Anatomie. Bd. 1. 27 


404 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung 


Abspülen desselben trat sofort ein lebhaft gefärbter etwas excentrisch 
in der Fläche liegender Punkt hervor, Fig. 82 A. Ich hielt denselben 
sogleich für das Ei und zeichnete das Präparat. Darauf ward das 
gesammte Epithel abgelöst und das Ei gemessen. Man erkannte deut- 
lich, Fig. 82B, eine äussere ziemlich dicke zellige Hülle, einen schma- 
len leeren Raum und einen zelligen Kern. Derselbe war so klein, 
0,045 mm., dass ich zunächst Bedenken trug, ihn für das Ei anzuerken- 
nen. Unterscheidende Merkmale zwischen wucherndem Uterusepithel 
und Eizellen vermag ich nicht anzugeben. Beide enthalten kleine Fett- 
tröpfehen resp. Dotterkörnehen, so dass in dieser Beziehung kein Unter- 
schied gemacht werden kann, wenn nicht etwa Reactionen gemacht 
werden sollen. Diese erfordern aber ein reichliches Material, welches 
mir nicht zu Gebote stand.!) Die Form der Kerne bietet allerdings 
einigen Anhalt, aber Sicheres lässt sich weder daraus noch aus den 
wechselnden Grössenverhältnissen der Zellen entnehmen. Ich bin auf 
Grund der Beobachtung späterer Stadien zu der Ansicht gelangt, dass 
der innere Theil das etwas oval gepresste Ei gewesen sei. 

Behufs weiterer Untersuchung ward ein von oben nach unten 
verlaufender Schnitt durch das Präparat gelegt, wobei das Ei leicht 
angeschnitten ward. Dann führte ich den Parallelschnitt, leider so 
unvorsichtig, dass das Ei ausbrach. (Man denkt im Anfang, ein sol- 
ches Präparat, einmal erhalten, lasse sich leicht wieder gewinnen!) ?) 
Der Schnitt liegt Fig. 82C vor und ich versichere auf das Aller- 
bestimmteste, dass das Ei von aussen her die Lücke, welche man dort 
sieht, verschlossen hat. 

Man findet, dass das Epithelstratum sich bedeutend verdickt hat, 
aber keine Faltungen zeigt. Der Eilücke gegenüber erhebt sich ein 
kleines ausgehöhltes Polster p, welches so aussieht, als wenn das Ei 
hier gelegen und das Epithel gereizt habe. Fast genau gegenüber 
findet sich in dem Epithelstratum eine weite Oefinung, deren Ränder 
nach aussen umgebogen sind und sich, wie die wenigen losgelösten 
Zellen verrathen, auf das Ei umgebogen haben. Nach unten zu wird 
das Epithel des Uterus dünn, dies Verhalten erklärt, weshalb es Reı- 
CHERT so schwer ward, den unteren Rand der „Epithelkapsel“ unzer- 
stört zu erhalten. Die losgelöste Eikugel zeigt freie Zellenausläufer, 
aber keine Fortsetzung, welche als Drüsengang zu deuten wäre. 
Dennoch wird dem Leser der Gedanke nahe liegen, dass es sich um 
eine Drüsenverstopfung bei dieser Beobachtung handle. — 


1) Fast alle Thiere (23) hatten unter Inzucht gelitten und enthielten nur ein Ei. 
2) Man vergleiche übrigens den Nachtrag, nachträgliche Anmerkung. 


und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 405 


Ein folgendes Stadium giebt die Fig. 83, das Ei in der Wan- 
derung. Die Zeichnung giebt zwar nur die Umrisse, ist aber durchaus 
nicht schematisch. Der Uterus war etwa 7 Tage 14 Stunden nach 
der Copulation dem Thiere entnommen, es hatte um 12 Uhr Nachts 
noch nicht gejungt, um 6 Uhr Morgens war die Copulation vorbei, 
ich rechne von 4 Uhr Morgens an. Der Uterus ward erhärtet. 

Die Bindegewebswucherung war an diesem Ei schon stärker ent- 
wickelt. Das Ei mit Kapsel lag scheinbar dem Uterusepithel fest auf, 
erwies sich aber doch als ziemlich beweglich. Das Ei lag an der 
Spitze des Schlauches, der im übrigen von Zellen solide ausgefüllt 
war. Es war 0,076 mm. breit, 0,062 mm. dick, die Länge konnte ich 
leider, da es etwas stark gefärbt worden war, nicht genügend bestimmen. 
Die Eizellen maassen 0,009 bis 0,015 mm., deren Kerne 0,0062 mm. 
Der Schlauch war am Ei 0,093 mm., weiter unten 0,066 mm. dick. 
Er sass mit einem Stiel an der Wand der Uterinhöhle fest und maass 
mit diesem 0,156 mm. Die Insertion des Stieles war um 0,1865 von 
der Kante des Uterus entfernt. Bei der Ablösung des Stieles rissen 
Zellen des Epithels mit aus und es ergab sich, dass die Zellen des 
Stieles mit diesen Zellen durch Fäden, welche als Producte unvoll- 
kommener Theilung zu deuten waren, zusammenhingen. Das Ende 
des Stieles bestand nur aus solchen Fäden. Ein Drüsenschlauch, der 
etwa hätte verrathen können, dass das Ei in eine Drüse gerathen sei, 
fehlte auch in diesem Präparat vollständig. 

Den Beweis für die Richtigkeit meiner Auffassung der eben be- 
schriebenen beiden Gebilde liefert das folgende Stadium), Fig. 84 
bis 86. Der Schlauch ist an der Schneide des Uterusepithels ange- 
lanst und bildet hier einen winzigen Zapfen. Die Länge des Zapfens 
betrug 0,096, die Dicke 0,074 und 0,072, das Ei in einem Fall 0,0624, 
in einem zweiten Breite 0,0624, Höhe 0,0672 mm. 

Man sieht im Zapfen an der Spitze das Ei liegen, durch einen 
. schmalen Raum von: den umhüllenden Uterusepithelzellen getrennt, 
darunter findet sich ein aus zwei Zellenlagen bestehendes Polster. 
Dieser Theil ist von REICHERT nicht ganz passend als Napf bezeich- 
net, weil er ihn nur aus späteren Stadien kannte. Auf diese Lage 
folst das Epithel des Uterus, welches Wulstungen und Faltungen zeigt, 
welche in der Flächenansicht schwer zu deuten sind. Der Durch- 
schnitt, Fig. 85, erklärt das Räthsel. Der Zapfen hat sich breit auf- 
gesetzt, aber nicht auf die wirkliche Kante des Epithels, sondern auf 


1) Mein College KUPFFER war auf meine Bitte so freundlich, dasselbe in 
. natura anzusehen, da ich wünschte, mich darauf berufen zu können. 
DI* 


406 V. Hrnsen. Beobachtungen über die Befruchtung 


einen neugeschaffenen Umschlagsrand desselben. Der Uterus- 
kanal ist dabei rechtwinklig geknickt worden und verläuft — sagen 
wir nach vorn. Diese Lageveränderung liesse sich aus einem Zuge, 
den etwa der Eischlauch auf die hintere Epithelwand übe, erklären, 
damit würde dann auch die Verengung, welche das Cavum uteri zu 
beiden Seiten der abgekapselten Höhle erleidet, durch eine Drehung 
erklärbar. Es stimmt damit überein, dass die Höhe der Epithelwand 
unter dem Zapfen nur 1,248 mm. beträgt, während an anderen Stellen 
dieses Stratum 1,450 mm. maass. Jedoch ich trage Bedenken, die Form- 
veränderung auf diese Weise zu erklären. Die Wucherung des Binde- 
gewebes spielt wohl auch eine Rolle dabei, auch kann ich noch nicht 
einmal sagen, weshalb das Ei selbst nach oben wächst. Besonders 
bemerkenswerth ist es, dass der Zapfen einen Fortsatz an der einen 
Seite der Uteruswandung nach abwärts sendet, Fig. S5f. Die Con- 
touren, welche diesen Fortsatz abgrenzen, dürften die Sache genügend 
klar machen, wenn ich hinzufüge, dass ich an dem gezeichneten 
Präparat den Zapfen vom Epithelschlauch abgelöst habe, dass dabei 
jener Fortsatz an ihm sitzen blieb und dass ich die feste Versicherung 
geben kann, dass der gezeichnete Contour als die richtige natür- 
liche Grenzlinie sich erwiesen hat. Ich habe daher unterlassen 
den abgetrennten Zapfen zu zeichnen, doch sieht man einen etwas 
älteren abgelöst in Fig. 88. Nach mir vorliegenden Skizzen ist dieser 
Fortsatz an noch weit älteren Zapfen darzustellen, er hat in der Regel 
eine flossenartige häutige Verbreiterung an seinem Ende, mit welcher 
er dem Uterusepithel anhaftet. _ Vergl. Fig. 68. 

Nach dem Gesagten scheint es mir klar, dass das Ei den Gang 
macht, welchen ich angegeben habe, also nicht am Rande, sondern 
seitlich aus der Uterushöhle heraus trete. Meine Bemühungen, den 
noch soliden Zapfen genauer zu zergliedern, blieben bisher erfolglos. 

Die Anhaftung an die Epithelwand zeigt leider nicht mehr das 
normale Verhalten. An frisch herausgenommenen Präparaten, Fig. 87, 
fand ich in der Wand des Epithels eine klaffende Oefinung. Diese 
verschwindet unter Einwirkung der MÜLrer’schen Lösung, wahrschein- 
lich in Folge einer Quellung der hypertrophischen Lagen. Ich kann 
zur Zeit nicht hoffen, das Verhalten dieser Oeffnung näher zu er- 
forschen. 

Die folgenden Stadien des Zapfens bestehen in einer Vergrösse- 
rung unter Aufnahme einer in Alkohol nicht gerinnenden Flüssig- 
keit. Ein Blick auf die Figuren genügt, um den Gang zu erkennen. 
Ich habe mich demnach nur mit dem Ei einerseits, mit dem Napf 
andererseits zu beschäftigen. 


und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 407 


Das frische Ei ist in früher Zeit, also in dem Stadium des soliden 
und namentlich des eben hohl werdenden Zapfens von wunder- 
voller Homogenität. Mit guter Linse (HArTNAcK 7) bei 300 ma- 
liger Vergrösserung untersucht, bemerkt man ausser recht sparsamen 
Dotterkügelchen gar keine Formelemente, nichts, was die voll- 
endete Gleichmässigkeit des hellen Protoplasmaklumpens zu stören 
vermöchte. BiscHoFF hat demnach, wie ich zu meinem Vergnügen 
finde, in der Beschreibung dieses Verhaltens, hier und doch wohl auch 
bei den übrigen Säugern, recht. Die Unmöglichkeit, Zellencontouren 
und Kerne zu erkennen, war mir um so interessanter, als auch von 
anderen Seiten auf Grund des gleichmässigen Aussehens von Theilen, 
welche vorher Zellen erkennen liessen, der Process einer Zellenver- 
schmelzung als erwiesen hingestellt worden ist. In dem vorliegenden, 
m. E. ausgesucht schönen, Fall, ist jedoch von einer Verschmelzung 
der Zellen nicht zu sprechen, Einwirkung der MÜLLEr’schen Flüssig- 
keit bringt im Gegentheil die Zellen so deutlich zum Vorschein, dass 
man sie leicht messen kann, ebenso lässt nachträgliche Karminfärbung 
die Kerne auf das schönste hervortreten. 

Während längere Zeit hindurch das Ei solide bleibt, aber sich 
vergrössert, bekommt es am 10. Tage eine Höhle im Centrum, Fig. 67. 
Diese Höhle rückt dann nach unten und am 11. Tage, Fig. 69, be- 
merkt man an dem dickeren Theil des Eies eine Schichtung in zwei 
Lagen. Nach unten ist die Höhle bald nur noch durch eine Membran 
verschlossen, Fig. 71, welche im Durchschnitt, Fig. 72, sich als einzellige 
Haut darstellt und das Hornblatt des Amnios ist. Der Rest des Bies 
ist Keimscheibe. Von dessen äusserer Schicht, also dem inneren 
Keimblatt der anderen Thiere, wächst eine zellige Haut an den Wän- 
den des Zapfens hinab, welche also eine Art von Keimhaut bildet, 
Fig. 75. Während diese Haut, die schon als Hypoblast bezeichnet 
werden darf, weiter wächst, bildet sich in der Keimscheibe das mitt- 
lere Keimblatt, jedoch habe ich dessen Bildungsgeschichte nicht genau 
verfolgt. Der dem 14 Tage alten Thiere entnommene Durchschnitt, 
Fig. 76, giebt bereits den Embryonalkörper mit Urwirbeln, Seiten- 
platten, Medullarplatten u. s. w. Dann folgt der Schluss des Medullar- 
rohres, Abschnürung der Chorda u. s. w. wie gewöhnlich. Uebrigens 
erhärten die Embryonen des Meerschweinchens nicht so gut, wie jene 
des Kaninchens. Ich beabsichtige nicht auf diese Verhältnisse weiter 
einzugehen, will aber doch erwähnen, dass die Allantois, wenn sie als 
millimetergrosse Blase zur Placentarstelle herabwächst, nicht hohl 
ist und kein Darmdrüsenblatt enthält, sondern von einem hübsch 
reticulirten Gefäss- und Bindegewebs-Netz ausgefüllt ist. 


408 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung 


Ich habe nunmehr den versprochenen Nachweis zu liefern, dass: 
der als Ei bezeichnete Theil, wenn vielleicht auch nicht das ganze 
Ei, so doch jedenfalls der einzige Eitheil in dem ganzen Zapfen ist. 
In den Figuren 76 und 77 erkennt man, dass der vollständige 
. Embryo noch von einer homogenen Haut h umhüllt wird, welche: 
ihrerseits noch eine spärliche Zellenhülle trägt. Letztere vermag ich 
von dem Stadium der Eiausstülpung an zu verfolgen, es sind die 
Uterusepithelien, welche die Zellenwandung des Zapfens bilden. Das 
Ei bildet sich, wie man sieht, ohne sie complet aus, auch sind sie 
von demselben durch eine, in den früheren Arbeiten völlig übersehene,. 
homogene Membran getrennt, so dass von einer Betheiligung an 
der Bildung des Embryo nicht die Rede sein kann. 

Die homogene Membran habe ich früher (y 2) als Zona pellueida 
gedeutet, ich glaube jetzt nicht mehr, dass diese Bezeichnung richtig 
war. Schon ‚sehr frühzeitig (das Ei Fig. 87) war diese Haut nur 
0,0012 mm. dick und sie behält diese Dicke so ziemlich bei. Da- 
gegen war in den noch jüngeren Eiern die Zona, wenn überhaupt, so 
doch sicher nicht in voller Dicke vorhanden. Es kann also 
daraus unmöglich die homogene Membran in ihrer späteren enormen 
Ausdehnung abgeleitet werden. Dies war allerdings auch nicht meine: 
Meinung, aber ich glaubte, die Zona bilde doch die erste Grundlage 
_ dieser Membran. Demnach hatte ich erwartet, dass das Ei bei sei- 
nem Austritt aus dem Uterus noch die volle Zona zeigen werde. Da 
dies nicht der Fall ist, nehme ich an, dass die homogene Haut eine: 
Ausscheidung des Epithels sei, da andere Möglichkeiten ausgeschlossen 
sind. Gerne hätte ich über diesen Punkt grössere Sicherheit erlangst,. 
da er von Bedeutung für die Beurtheilung der Lagenumkehr des 
Eies ist. 

Die Membran lässt sich unter günstigen Umständen unverletzt 
von dem Uterusepithel isoliren. Ein solches Präparat wird durch 
Fig. 75 dargestellt, ausserdem sieht man die Haut an den verschie- 
denen Durchschnitten, z. B. Fig. 68h. Es ist merkwürdig, dass die 
Haut an der Basis des Zapfens, und zwar an jenem Theil, den Rrı- 
CHERT als Napf bezeichnet hat, stets eingeklemmt oder wenn man lieber 
will, invaginirt ist. Dies Verhalten fand sich schon an den Eiern, 
Fig. 87 und 88, d. h. also spätestens von dem Stadium der Flüssig- 
keitsansammlung im Zapfen an. 

Diese eigenthümliche Bildung der Basis des Zapfens habe ich 
. jetzt zu besprechen. Die napfförmige Gestalt, Fig. 74, nimmt dieser 
Theil erst in späterer Zeit an, man sieht dieselbe im Ausguss, Fig. 75, 
im Durchschnitt Fig. 70 und 72. Vorher erscheint dieser Theil als 


und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 409 


dünner Stiel, Fig. 67 und 68. Der Uebergang des Zapfens in den Napf 
geschieht an einer etwas getrübten Stelle, so dass es fast aussieht, als 
befinde sich hier ein zweites Ei, Fig. 66. Dies hat, wie ich glaube, 
REICHERT verleitet, zwei Eier in einem Zapfen zu beschreiben. In 
noch früherer Periode erscheint dieser Theil als zelliges Polster in 
der Basis des Zapfens, Fig. 84 bis 88. Mit Bestimmtheit lässt sich 
aussagen, dass diese Bildung durch einen inneren, ziemlich soliden 
Fortsatz des Uterusepithels entsteht, der vielleicht am Stiel mit 
der Zapfenhülle in Continuität steht, aber sicher nicht weiter 
hinauf. Dort wird er nämlich durch die homogene Haut von der 
Epithellage des Zapfens getrennt. An älteren Stadien gewinnt es zu- 
weilen den Anschein, als wenn es sich um eine Invagination handle. 
Wenn man sich denkt, das Ei wandere in eine Drüse und diese in- 
vaginire sich dann unter dem Ei, so wird man im Längsschnitt 
sechs parallel verlaufende Zellenwände haben, nämlich zunächst die 
beiden äusseren in normaler Lage befindlichen Wände, darauf die 
beiden in entgegengesetzter Richtung verlaufenden Wände des invagi- 
nirten Theiles und endlich in der Mitte den Kanal, welcher zur Aus- 
mündungsstelle der Drüse in den Uterus verläuft. Letztere Bildung 
fehlt entweder in den Präparaten völlig, oder ist nur als einfacher zelliger 
Strang vorhanden, Fig. 70, jedoch es liegt ein secundäres Verschwinden 
eines solchen Stranges nicht ausserhalb der Wahrscheinlichkeit. Ich 
habe aber schon erwähnt, dass das Ei nicht in eine Drüse zu ge- 
rathen scheine Es muss daher angenommen werden, dass in irgend 
einer anderen Weise von dem Uterusepithel aus durch dessen, wie 
erwähnt worden ist, weit klaffende Spalte, eine Eiwucherung ge- 
schehe. Dafür spricht, dass es nicht gelingt, die Continuität an der 
Spitze des Stieles zwischen innerer und äusserer Zellenmasse nachzu- 
weisen, was doch bei einer Invaginirung keine Schwierigkeiten machen 
dürfte. Leider misslang mir die Zergliederung der frühesten Stadien 
mit Bezug auf diesen Punkt. 

Nach der vorstehenden Beschreibung kann die Abnormität in der 
Entwicklung des Meerschweinchens noch nicht durch den Eintritt von 
Störungen so erklärt werden, dass man sagen könnte, das Ei dieses 
Thieres werde sich in der Art der Eier anderer Säugethiere lagern 
und schichten, wenn es daran nur nicht durch bestimmte Verhältnisse 
gehindert werde. 

Die Hoffnung, einst dies sagen zu können, wird, wie ich gestehen 
muss, einigermassen durch den ungewöhnlichen Modus der Furchung 
und Keimkautbildung gestört; jedoch vielleicht liesse sich darin eine 
nicht gerade unwahrscheinliche Anlehnung an die niederen Wirbel- 


410 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung 


thiere erblicken. Dies zugegeben, scheinen folgende Erklärungen der 
vorliegenden Abnormität zur Erwägung zu stehen. 

a) Man nimmt mit M. SCHULTZE an, dass aus den embryonalen 
Zellen wirklich Alles werden könne. Man könnte sich dann 
vorstellen, dass der Theil der Eizellen, welcher in die eiweissarme 
Flüssigkeit des Zapfens vorragt, als der weniger gut genährte, keinen 
Ueberschuss an Nahrung aufnehmende, sich zum animalen Blatt um- 
wardle, die Zellen an der freien Fläche des Zapfens, welche in näch- 
ster Berührung mit dem blutgefässreichen umhüllenden Gewebe stehen, 
sich vorbereiten, das aufnehmende und resorbirende Darmdrüsen- 
blatt zu werden. Jedoch wenn in dem einen Ei die Zellen durch die 
von aussen hinzutretende Nahrung beeinflusst werden, warum sollten 
sie sich in anderen Eiern anders verhalten? Da wir beim 
Kaninchen finden, dass auch die Nahrung von aussen her dem Ei 
geliefert wird, müssten wir auch bei diesem Thier eine Umkehr der 
Blätter erwarten. Der Versuch, auf diese Weise die Abnormität zu 
erklären, ist demnach missglückt, und damit auch der Eingangs auf- 
gestellte Satz m. E. zurückgewiesen. 

b) BiscHorr berichtet, dass das nackte Ei mit den Zellen des 
Uterus verschmelze und aus diesem Product erst die Masse entstehe, 
aus welcher der Embryo sich entwickle. Soweit dies Vorgänge in 
der von mir nicht erforschten Periode betrifft, scheint dagegen, von 
dem Standpunkt BiscHorrs und der neueren Zellentheoretiker aus, 
ein Gegengrund nicht beigebracht werden zu können. Die Dottermasse 
wird höchst wahrscheinlich nackt, die Epithelien des Uterus sind in 
gereiztem und wucherndem Zustande, warum sollten sie nicht 
mit dem Dotter wie Oeltropfen zusammenfliessen? Jedoch 
ich will mir kein Urtheil in dieser, meinen Ansichten!) fern stehen- 
den Sache erlauben. Geht wirklich der Process so vor sich, wie 
BIsCHOFF annimmt, so braucht man keine weitere Erklärung über die 
Abnormität der Entwicklung. Man wird dann im Gegentheil einen 
ganz anderen Verlauf der Entwicklung für solche Thiere verlangen 
müssen; — sucht ja auch keineswegs vergeblich!- Ich vermag jedoch 
nicht solchen Ansichten beizustimmen und muss daher weiter suchen. 

c) Ich betrachte mich als vom Glück begünstigt, dass ich in der 
Lage bin, eine Erklärung wagen zu können. Lange Zeit stand näm- 
lich die Sache so, dass ich mit allem Nachdenken eine Möglichkeit, 
die vorhandene Abnormität zu erklären (in dem oben gegebenen Sinne 


l) Untersuchungen zur Physiologie der Blutkörperchen, sowie über die Zellen- 
natur derselben. Zeitschrift f. wissensch. Zoologie Bd. XI. 1861. 


#. 


“und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 411 


‚des Wortes) nicht finden konnte, ohne geradezu ins Leere zu greifen. 
Die Einzelheiten, welche ich zu geben habe, sind erdacht und werden 
sich schwerlich in der gegebenen Form bestätigen, der Kern des Pro- 
cesses aber, die Umstülpung des Eies, wird, wie ich nunmehr glaube, 
durch die Zukunft als richtig erwiesen werden. 

Wir verliessen das Ei als kleine Keimblase, Fig. 81, und dürfen 
glauben, dass es bald seine Zona verliere, von dem Uterus festgehalten 
werde und ihn reize. Wir finden es wieder in einem Loche der ge- 
wucherten aber noch glatten Epithelwand. In der gegenüberliegenden 
Epithelwand befindet sich gerade dem Ei gegenüber ein erhabenes 
Polster, Fig. 82C. p., durch Epithelzellen gebildet. An dieser Stelle 
hat offenbar ein Paar Stunden früher das Ei in der Uterushöhle gelegen. 

Ich nehme an, es habe das nackte Ei hier so gelegen, dass sein 


Keimhügel auf jenem Polster der unverletzten Epithelwand lagerte. 


Ferner muss ich annehmen, dass das Epithel auf das Ei gedrückt habe 
und die zarte Keimblase zerrissen sei. Nun wird das Ei vom Polster 
gegen die gegenüberstehende, vielleicht schon ausgebuckelte Wand ge- 
schoben, stülpt diese aus und damit beginnt die bereits geschilderte 
Wanderung. Die Fläche des Keimhügels, welche die Epithelwand 
durchbricht, ist die innere, diejenige des künftigen Darmdrüsen- 
blattes. Sie geht bei der Wanderung voran, bleibt daher 
aussen und entwickelt sich demgemäss. Die anderen Abnormi- 
täten, wie das Fehlen einer wirklichen Keimblase, eines Dottersacks, 
die scheinbar verfrühte Bildung des Amnios, der Allantois, sind zwar 
mit dieser einen Annahme noch nicht erklärt, dürften aber bei einem 
näheren Eingehen auf die Sache doch ziemlich innig damit zusammen- 
hängen. 

Wenn man mit mir annimmt, dass in die erste Zeit nach der 
Furchung der Hauptvorgang in der histiologischen Differenzirung 
liege, erst später die Formung der Organe und des Körpers in den 
Vordergrund trete, wobei sich letztere Vorgänge aus ersteren hervor- 
bilden, so werden jene Abnormitäten weniger überraschend, leichter 
erklärbar. 

Eine Gastrula in vorliegendem Falle aufzufinden, dürfte schwer fallen. 

Indem ich hiermit meine Arbeit abschliesse, muss ich leider daran 
erinnern, dass ich nur beabsichtigt habe, anzuregen. Ich habe wohl 
zu empfinden geglaubt, dass einiges Neue, Wesentliche von mir bei- 
gebracht werde, aber jetzt bedrückt mich doch vor Allem das Gefühl, 
nur Fragmente gegeben zu haben. Solche können einen Abschluss 
nicht geben und dem entsprechend müssen sich meine Wünsche und 
Erwartungen über den Einfluss dieser Arbeit bescheiden. 


412 V. Hessen. Beobachtungen über die Befruchtung 


N:a,ec.hit nase, 


In Folge einer Untersuchung von zwei Eiern, das eine von 7 Ta- 
gen 5 Stunden, das zweite von 7 Tagen 1 Stunde nach der Copula- 
tion, kann ich unsere positive Kunde vermehren, ohne jedoch in der 
Erklärung der Vorgänge bei der Wanderung des Kies weitere Fort- 
schritte machen zu können. 

Das erste Ei entsprach völlig dem bereits geschilderten von 7 Ta- 
gen 4 Stunden S. 403. Diesmal ward jedoch ein vollständiger Quer- 
durchschnitt von Uterusepithel und Ei erhalten. Das Ei war dicht 
an der Kante der Uterushöhle ausgetreten, die Höhle war an der Spitze 
bereits ein wenig geknickt, das Epithel war gewulstet, zeigte aber 
nicht deutlich jene Papillenbildung, von welcher ich oben vermuthete, 
dass ihr der Keimhügeltheil der Eiblase aufgelegen habe. Ich muss 
bei dieser Gelegenheit erwähnen, dass unmittelbar das Uterusepithel 
umgebend eine sehr feine, ziemlich homogene Hüllhaut liegt. Diese 
Hüllhaut wird von dem. „Eizapfen“ (dem Ei umgeben von seiner 
Hülle von Epithelzellen) ausgebuchtet, bildet also eine Art von äusse- 
rer Eikapsel, die jedoch an den erhärteten Präparaten sich sehr leicht 
abhebt. In der Epithelwand des Uterus fand sich eine ziemlich weite, 
durchbohrende Oefinung; diese ward von aussen her durch den Ei- 
zapfen geschlossen, ohne dass das Ei noch in die Oefinung hinein- 
‚geragt hätte. Im Uebrigen lehrte der Schnitt nichts Neues, denn die 
Continuität zwischen Eikapsel und Uterusepithel konnte ich nicht 
deutlich nachweisen. Nachdem der „Zapfen“ ohne bemerkenswerthe 
Schwierigkeit abgelöst worden war, erinnerte er seiner äusseren Form 
nach am meisten an die Gestalt einer Citrone. Die beiden Polhöcker 
dieses Gebildes bestanden aus ein Paar Zellen und hatten dem Rande 
der Oeffnung angelegen, wahrscheinlich oben und unten. Beide waren 
durch einen Faserzug, wie mir scheint, aus Zellenausläufern be- 
stehend, unter einander verbunden. Man denke sich an einer Citrone 
von einem Pol zum anderen in einem Meridian (180°) einige Fäden 
gezogen und diese dann so straff gespannt, dass sie die Oberfläche 
stark einbuchten, so hat man den Eindruck, welchen mir der „Ei- 
zapfen“ gab. Erst bei 400facher Vergrösserung erkannte man in der _ 
Masse des „Eizapfens“ das Ei. Dasselbe war etwas excentrisch ge- 
legen, so dass man an dem Zapfen eine aus zwei bis drei Zellen- 


und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 413 


lagen bestehende Basis (im Bezirk des faserigen Stranges) und eine 
"aus einer Zellenlage bestehende Kugelschaale unterscheiden konnte. 
Ersterer Theil entspricht wohl zweifellos dem späteren „Napf“. Bei 
leichtem Druck trennte sich die Kapsel mit zwei hohlkugelförmigen 
Stücken von dem Ei ab, und dieses ward als kuglige Masse frei. _ 

Der Eizapfen war 0,075 mm. dick, ohne die Pole 0,081, mit 
ihnen eirca 0,109 mm. breit. Das Ei selbst maass 0,042 bis 0,048 mm. 
im Durchmesser, seine Zellen waren 0,01 bis 0,016 mm., deren Kerne 
0,003 bis 0,004 mm. gross. Das Ei lag mit seinem Centrum 0,009 mm. 
von der umgebogenen Kante des Uterusepithels entfernt. 

Das jüngere Ei war im Uterus ungewöhnlich leicht zu erker- 
nen und gab ein Bild, ähnlich demjenigen, welches Bıschorr (b. 
Fig. 17) in seiner ersten Abhandlung von diesem Stadium gegeben 
hat. Das Epithelrohr des Uterus löste sich noch leicht los und die 
Abschnürung desselben um die Stelle, wo das Ei lag, war schon un- 
erwartet weit fortgeschritten. Da das Ei sicher beträchtlich jünger 
war wie die beiden Eier, welche als 7 Tage 4 resp. 5 Stunden alt 
von mir beschrieben sind, und in diesen Fällen die Abschnürungen 
nicht so weit gediehen, das Epithel kaum leichter ablösbar war, muss 
ich schliessen, dass diese Verhältnisse sich nicht ganz dem Zustande 
des Eies parallel entwickeln. I 

Das Ei oder vielmehr der „Eizapfen“ lag noch, soweit es seine 
Grösse zuliess, innerhalb der Uterushöhle. Bei der Präparation 
entfernten sich die beiden Epithelwände der stets flachen Uterushöhle 
von einander, so dass sie aus einander geklappt werden konnten, ohne 
doch an der oberen Kante sich völlig von einander zu trennen. Nach- 
dem dies geschehen war, zeigte sich in der einen Wand das Epithel 
durch ein rundes, 0,072 mm. im Durchmesser haltendes Loch voll- 
ständig durchbohrt. Der „Eizapfen‘“ hatte in demselben gelegen, war 
aber bei der Präparation daraus hervorgezogen worden, denn er sass 
noch der anderen Epithelwand an der entsprechenden Stelle fest 
auf. Ich glaubte schon, dass damit die von mir oben ausgesprochene 
Hypothese der Umstülpung des Eies bestätigt sei, jedoch es zeigten 
sich Complicationen. Der „Eizapfen“ lag in einer tiefen Grube der 
undurchhohrten Epithelwand, ja es schien sogar unter ihm in gerin- 
gerer Ausdehnung das Epithel ganz geschwunden, also auch hier die 
Wandung gänzlich durchbohrt zu sein. Jedoch es konnte nicht mehr 
einem Zweifel unterliegen, dass das Ei durch die erst erwähnte Wan- 
dung aus dem Uterus austreten werde, denn es stand so weit über 
der Fläche hervor, dass es nicht nur jene Wand völlig durchbohrt 
hatte, sondern noch darüber hinaus in das Bindegewebe hatte vorragen 


414 V. Hessen. Beobachtungen über die Befruchtung ete. 


müssen. An einem ersten ziemlich dieken Durchschnitt ergab sich, 
dass der Eizapfen 0,0563 mm. von der Wand, an welcher er fest 
sass, vorsprang. Ein Durchschnitt der gegenüberstehenden Wand ergab 
deren Dicke zu 0,0313 mm. Der Zapfen war an der freien Fläche 
ein wenig abgeplattet, war also wahrscheinlich frisch noch etwas höher 
gewesen. Da die Uteruswände dicht auf einander schlossen, hatte das 
Ei also mindestens 0,025 mm. in das Bindegewebe vorgeragt. In 
der That zeigte sich im Bindegewebe eine entsprechende (etwas grössere) 
von der homogenen Uterushaut abgegrenzte Aushöhlung. 

Ein neuer Schnitt entfernte einen Theil der umhüllenden Zellen 
vom Ei, ohne den „Zapfen“ zu lösen, und auch die weitere Präpara- 
tion erwies, dass er zur Zeit noch recht festsitze; leider kam auch 
hier der Zusammenhang zwischen Epithel und Zapfen nicht klar zur 
Ansicht. Der Eizapfen maass 0,064 und 0,072 mm., das Ei darin 
0,0045 mm. Im Ganzen schien der Zapfen ähnlich beschaffen, wie 
in dem oben geschilderten Fall, jedoch als ich das Ei darin sicher 
erkannte, war es auf einer Seite nackt; ich kann jedoch nicht ver- 
lässlich angeben, ob die Epithelzellen wirklich noch nicht das Ei 
völlig umschlossen hatte, oder ob durch die Präparation der betreffende 
Theil des Zapfens entfernt worden war. 

Aus diesem Befund ergiebt sich jedenfalls, dass beide Uterus- 
wände sich an der Kapselbildung betheiligen, was jedenfalls sehr 
beachtenswerth ist. Es ist ferner unzweifelhaft geworden, dass das 
Ei selbst in dieser Periode kleiner wie !/,, mm. ist. Dadurch wird 
die weitere Verfolgung sehr erschwert, denn ein solches Körperchen 
lässt sich sehr schwer von den Flecken, welche die Mündungen der 
Uterusdrüsen repräsentiren, unterscheiden. — 


und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 415 


Erklärung der Abbildungen. 


TaeX 


- Fig. 36. Stück eines Längsschnitts durch die Axe eines Embryo von der 
Grösse der Keimscheibe, Fig. 26, 250fach vergrössert, ö* das innere Keimblatt 
vor dem Knoten i® dasselbe, aber weit dünner, ein wenig von der Fläche ge- 
sehen, hinter ihm; @ äusseres, 5 die beiden Lamellen des mittleren Keim- 
blattes, deren Vorkommen an dieser Stelle sehr beachtenswerth ist. ce der Kno- 
ten, in welchem alle drei Blätter verschmolzen sind. 

Fig. 37. Querschnitt durch das vordere Drittheil des Embryo, Fig. 28 
(Fig. 37 bis 42, 300fach vergrössert), a äusseres, b mittleres, ce inneres Keim- 
blatt, pr Primitivrinne. Von dort bis nahe an a’ bleibt das äussere Keimblatt, 
behufs Bildung der Labyrinthblase, verdickt. Bei m Verdickung des mittleren 
Keimblattes, pA Spalt in dieser Verdickung, den primitiven Herzbeutel bildend. 
edth Endothelzellen, die erste Spur des Endothels des Herzens. mp Membrana 
prima. 

Fig. 38. Durchschnitt in der Höhe der Urwirbel von demselben Embryo. 
Buchstaben wie oben. edth Gefässblatt. n Fäden zwischen Medullarplatte und 
Urwirbel, also Nerven. Die Gegend der ersten Urwirbel entspricht meiner An- 
sicht nach eher dem Pous Varoli als dem Atlas. 

Fig. 39. Durchschnitt desselben Embryo in der Höhe der Urwirbelplatten. 
Bezeichnungen dieselben. Der Schnitt hat zwar die Lagerung der Zellen des 
mittleren Keimblattes etwas gestört, doch sieht man den Contour der Horizontal- 
spalte, welche als Cölomspalte im Text bezeichnet ist. 

Fig. 40. Durchschnitt aus der Mitte desselben Embryo, dicht vor dem 
Knoten. Bezeichnungen wie oben. ci Verdiekung des inneren Keimblattes, die 
ich nur auf die Chordabildung beziehen kann. j 

Fig. 41. Derselbe Embryo im Knoten durchschnitten. pr, a, b,c wie oben. 
Bei d sieht man eine Verdiekung des mittleren Keimblattes, die vielleicht schon 
auf die Extremitätenbildung zu beziehen ist. Die Verwachsungsstelle des inneren 
Keimblattes scheint nieht voll im Schnitt zu liegen. 

Fig. 42. Durchschnitt desse!ben Embryo noch weiter nach hinten. Der 
Wulst im Seitentheil ist versehwunden, dagegen tritt hier, entsprechend dem 
an Fig. 36 gezeigten, die Cölomspalte deutlich hervor. Diese Parthie muss aber 
noch zum Embryo selbst gerechnet werden. 

Fig. 43. Längsschnitt nahe der Axe eines 9 Tage alten Kaninchenembryo, 
eirca 100 mal vergrössert. a, b, ce äusseres, mittleres und inneres Keimblatt. 
'KD Kopfdarmhöhle, vielleicht durch den Druck des Schnittes etwas abgeflacht, 
Hz Herz mit visceralem Pericardium; man unterscheidet nach hinten eine An- 
deutung des Venenschenkels, in der Mitte den fast isolirt liegenden Körper des 
Herzens, nach vorn dessen arterielle Fortsetzung. 7 parietales Pericardium, 
aus Darmdrüsenblatt und Cutisplatte bestehend. Letztere scheint sich an dieser 
Stelle nicht in die Keimhaut (Amniosfalte) fortzusetzen. Doch finde ich an 
Zeichnungen anderer Durchschnitte Theilchen des mittleren Keimblattes dort 


416 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung 


auftretend. Die hier obwaltenden eigenthümlichen Verhältnisse dürften ein 
näheres Studium verdienen. Ag Augenblase im Durchschnitt. Das Kopfende 
des Embryo ist etwas verletzt. Die Bildungen des Hinterendes verhalten sich 
nahezu so, wie es von GASSER in seiner hübschen Arbeit: Beiträge zur Entwick- 
lungsgeschichte der Allantois vom Hühnchen beschrieben ist, nur scheint beim 
Vogel die Schwanzkrümmung früher einzutreten. Al Wulst der Allantois. AU 
Allantoishöhle. Cl erste Andeutung der Cloake, resp. beginnende Afterbildung. 

Fig. 44. Die Membrana prima m. p. isolirt und von der Fläche gesehen 
bei circa 400facher Vergrösserung. Der freigemachte Theil der Membran lag 
in der Area opaca; weiter nach dem Embryo zu ist das mittlere Keimblatt sitzen 
geblieben und namentlich die unteren Zellen desselben, gf die dem Anschein 
nach dem Gefässblatt angehören, sind schärfer gezeichnet. 

Fig. 45. 46. Querschnitte eines 8!/, Tage alten Embryo. 

Fig. 45a. 150fach vergrösserter Durchschnitt durch das vordere Drittheil 
des Embryo. md Medullarplatte, « Hornblatt, cz Cutisplatte, df Darmfaserplatte, 
c Darmdrüsenblatt, gf Gefässblatt, ch Verdickung des Darımdrüsenblattes behufs 
der Chordabildung. 

Fig. 45b. Ein Theil der Darmfaserplatte df des vorigen Schnittes bei 
350facher Vergrösserung, um das Gefässblatt gf deutlicher zu zeigen. 

Fig. 46. Derselbe Embryo, Durchschnitt ein wenig weiter nach hinten, 
wo der Schluss des Rückenmarks schon weiter fortgeschritten war. Vergr. 150. 
Die Chorda ist in der Abschnürung begriffen. Links erkennt man deutlich die 
Urwirbelhöhle. Buchstaben wie bei 45. \ 

Fig. 47. Durchschnitt des Körpers eines 9 Tage alten Kaninchenembryo 
in der Höhe des dritten Urwirbels. Vergrösserung 400. Das Rückenmark ist 
geschlossen, man sieht um dasselbe die Membrana prima mp’ der Medulla, und 
zu letzterer hinstrahlend die Ausläufer der Zellen des Marks, die Nervenwurzeln. 
Am Amnios, theilweise fortgeschnitten. a Hornblatt. U Urwirbel. pr. A pri- 
mitive Aorta mit Blutkörperehen gefüllt. mp Membrana prima der Urwirbel. 
ch Chorda, von einer homogenen Scheide umhüllt, die mit einer feinen Haut, 
welche mittleres und unteres Keimblatt trennt, zusammenhängt. Diese Haut 
ist viel feiner wie die Membrana prima, deshalb weit weniger leicht zu verfolgen 
und darzustellen, so dass ich sie nur, in der Nähe der Chorda kenne. Die 
Zellencontouren traten wegen Carminfärbung zurück. 

Fig. 48. Derselbe Embryo näher dem Schwanzende in den Wandungen 
der Urwirbel durchschnitten. Das Rückenmark dicht vor dem Verschluss. Das 
doppeltgeschichtete Amnios Am überzieht den Embryo. Das Rückenmark ist 
in Folge des Schnittes an einer Stelle gebrochen. Die Ungleichmässigkeit und 
Lückenhaftigkeit der Zellen in ihm dürfte entweder durch geringe Quellung zu 
erklären sein oder das Messer hat die in der Mitte des Markes liegenden Zellen 
mit herausgerissen. Vom Mark sieht man auch hier Fäden in die, dasselbe um- 
gebende, Membrana prima mp gehen. Hin und wieder kann man sie darüber 
hinaus verfolgen, namentlich auch zu den Zellen des Hornblattes a hin, weiter 
seitlich finden sich einige Fäden zwischen Hornblatt und der darunter liegenden 
Membrana prima, welche möglicher Weise auch nervös sind. Ch Chorda. cu 
Cutisplatte, 2 Erhärtungslücke, df Darmfaserplatte, gf Gefässblatt, pr. A primi- 
tive Aorta, ce Darmdrüsenblatt, U Urwirbel. 

Fig. 49. Durchschnitt desselben Embryo am Schwanzende. Das Mark ist 
noch nicht von der Masse des mittleren Keimblattes geschieden, dagegen der 


und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 417 


Pleuroperitonealranm sehr entwickelt und es ragt sogar eine Leiste des Darm- 
faserblattes, die der Genitalfalte zu entsprechen scheint, in ihn hinein. Am 
Amnios, eu Cutisplatte stark verdickt, Beckenanlage (??), df Darmfaserblatt, 
c Darmdrüsenblatt, etwas umgelegt, so dass es fälschlich zweischichtig erscheint. 

Fig. 50. Durchschnitt aus dem hinteren Drittheil eines Kaninchenembryo 
von 10 Tagen. Vergr. 150. Am Amnios, cv Cutisplatte, in derselben ein Rand- 
gefäss G, df Darmfaserplatte, qf Gefässblatt. Die Darmfaserplatte ist auffallend 
dünn, doch schien es mir, dass sich Elemente derselben in das Gefässblatt ein- 
geschoben hatten. ce Darmdrüsenblatt, M Mürzer’scher ‚Gang, links vom Horn- 
blatt gelöst, rechts demselben noch anhängend und mit ihm beweglich, Ur 
Urnierengang, r Ecke, von der aus die Membrana reuniens superior sich bildet. 

Fig. 51. Durchschnitt aus dem hinteren Drittheil eines fast 11 Tage alten 
Embryo. Vergr. 150. Buchstabenbedeutung wie in der vorigen Figur. Der 
Schnitt hat nur einen der beiden Urwirbel voll getroffen. Die merkwürdige 
Formveränderung, welche dieser Schnitt der vorigen Figur gegenüber zeigt, und 
welche die Disposition der Gewebe für die definitive Stratification des Körpers 
bewirkt, lässt sich am besten darlegen, wenn von der Annahme ausgegangen 
wird, dass eine Spannung in dem Rande der Cutisplatten, entsprechend etwa 
dem Verlauf des Randgefässes, entstanden sei. Während um die Chorda herum 
Bindesubstanzmassen sich entwickeln nud die Urwirbel rückwärts drängen, ver- 
breitern sich die Cutisplatten (mindestens auf der dorsalen Seite) und das Amnios 
spannt sich straff über den Körper. Die Cutisplatten werden zu der eigenthüm- 
lichen Biegung gezwungen, welche die Figur zeigt, die dann weiter zur Ent- 
wicklung der Membrana reuniens superior!) führt, die Gänge an die Oberfläche 
des Peritonealraumes bringt und die Aorten einander nähert. In Bezug auf die 
Entstehung der Bindesubstanz um die Chorda, welche ich von dem Verbin- 
dungsstrang ableite, ist die Figur nicht besonders beweisend. Man könnte nach 
ihr diese Substanz auch von dem Kern der Urwirbel herleiten und nach Fig. 50 
von der medialen unteren Kante der Urwirbel. Nach anderweiten Präparationen 
halte ich aber letztere Annahmen für nicht richtig. Die Darmfaserplatten haben 
sich in einen äusseren Theil df und einen inneren Theil df” geschichtet, da- 
zwischen befindet sich das Gefässblatt gf. f Fortsatz der Darmfaserplatten, wel- 
cher die bis dahin nur aus einem Endothelrohr bestehenden Aorten zu umwach- 
sen beginnt. 


Taf. XI. 


Fig. 52. Schnitt durch die rechte Seite eines gegen 10 Tage alten Ka- 
ninchenembryo. Da ich die Methode, den feuchten Embryo in Paraffin einzu- 
betten, noch nicht kannte, musste das Messer sehr nahe am Schnittrande auf 
den Rücken des Embryo aufgesetzt werden und ging dann beim Durchschneiden 
schräg aus der Fläche des Schnittes heraus, weshalb feinere Schnitte nicht in 
grösserer Ausdehnung als der vorliegenden zu erhalten waren. Für mich genügt 


!) Ich habe leider im Text unterlassen, mich über die Bedeutung dieser Benennung auszusprechen. 
Ich lehne mich an Rırukz an, aber während dieser (das Original steht mir nicht zu Gebote) darunter 
Cutis und häutige Wirbelbogen verstanden hat und sie aus den Urwirbeln hervorgehen lässt, verstehe ich 
nur die Rückenhaut darunter, die aus der Cutisplatte hervorgeht. Ich habe jedoch die Bezeichnung 
Membrana reuniens superior (im Text fälschlich als posterior bezeichnet) beibehalten zu dürfen geglaubt. 


418 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung 


ein so kleines Stückchen, da ich seine Entstehung unmittelbar beobachten konnte. 
Vergleicht man die Lage des Urnierenganges in Fig. 50 mit der vorliegenden 
Figur, so wird man in beiden die eigenthümliche tiefe Einbohrung desselben in 
die Wand der vereinigten Seitenplatten erkennen. a Hornblatt. Unter einer 
auffallend verdünnten Stelle des letzteren liegt der Urnierengang, Un, er 
besteht aus einer helleren soliden Zellenmasse, den Hornblattzellen und einer 
offenbar von den Seitenplatten abgegebenen Hülle. Diese Hülle ist im Druck 
etwas zu dunkel geworden. U Urwirbel, gf Gefässblatt, eu Cutisblatt, df Darm- 
faserplatten. Hier trage ich noch aus einer später aufgefundenen Notiz nach, 
dass der jüngste Embryo, an welchem ich den Worr’schen Gang in der Bildung 
überraschte, 8 Tage 231/, Stunden alt war und 3,48 mm. Länge hatte. 

Fig. 55. Aus dem Rückenmark das Embryo, Fig. 50. 

A. Durchschnitt durch die ganze Dieke des Marks bei 300maliger Ver- 
grösserung. «a äussere Seite, die Linie weist auf das äussere Ende einer Radiär- 
faser hin, 5 Nervenfäserehen, e an den Centralkanal heranreichende Enden tiefer 
gelegener Zellen, d eine Lücke, aus welcher der Kern herausgefallen war. 

B. Ein Zerzupfungspräparat desselben Markes 600mal vergrössert. a Stiele 
der Zellen (Radiärfasern) abgerissen, b Nerven, 5’ ein Faden, der mir unzweifel- 
haft aus dem Körper der Zelle zu entspringen schien, e Oberfläche des Central- 
kanals. 

Fig. 54. Schnitt durch das hintere Viertheil des Rückenmarkes eines circa 
iltägigen Kaninchenembryo bei 400 mal. Vergr. Bildung des Ganglion spinale. 
U Stück des Urwirbels, m. pr Membrana prima auf demselben, « Hornblatt, 
R Rückenmark, p in der Bildung begriffene Rückenmarkshüllen (durch Anlage- 
rung von Bindesubstanzzellen an die Membrana prima der Medulla). Zwischen 
Urwirbel und Rückenmark wachsen die Ganglionzellen aus dem Mark hervor. 

Fig. 55. Rückenmark eines Schaafembryo, dessen Kiemenbogen noch nicht 
verwachsen waren. Vergr. 150. a Hornblatt, 5 Cutisplatte (Membrana reuniens 
superior), ce Wirbelkörper mit der Chorda in der Mitte, d Sympathicusganglion 
durch starke Karminfärbung in die Augen springend, e Gangliön spinale, f hin- 
tere Spinalwurzel, M. pr. Membrana prima des Rückenmarks, die Pia ‘mater ist 
noch nicht als etwas Besonderes von den übrigen bindegewebigen Hüllen zu 
trennen. In den Nerven finden sich spindelförmige Zellen, welche ich für hinein- 
gewucherte Bindesubstanzzellen halte, sie färbten sich nur schwach mit Karmin. 

Zwischen Ganglion spinale und Rückenmark hat sich Bindesubstanz einge- 
schoben. in derselben erblickt man ein Gefäss. 

Am Rückenmark ist der Contour des Centralkanals wegen zu grosser Fein- 
heit des Schnittes an einer Stelle unterbrochen. Zwischen Membrana prima und 
Rückenmark findet sich ein Raum, der von Radiärfasern durchsetzt wird. v. C 
erste Andeutung der vorderen Commissur. Man kann dieselbe als Längsstrang 
ziemlich weit an der Peripherie des Rückenmarkes hin verfolgen. Am Mark 
unterscheidet man eine aus 6 bis 8 Zellenlagen bestehende innere Masse, welche 
jedoch durch ein Gefäss 9, das neben der vorderen Commissur sich in das Mark 
einbohrt, auf der Figur aber nicht im ganzen Verlauf zu verfolgen ist, in zwei 
Lagen (innere und äussere Körner) geschieden wird. Auf diese Schicht folgt 
nach aussen eine Cireulärschicht, welche sich in der Breite von ein bis zwei 
Zellen, von der vorderen Commissur bis über den Eintritt der hinteren Wurzel 
hinaus erstreckt. Diese Schicht wird man auch ohne Hülfe von Buchstaben- 
bezeichnung in der Figur erkennen können. Nach aussen von dieser Schicht 


und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 419 


folgen zerstreut liegende Zellen, welche an dem Eintritt der vorderen und hin- 
teren Wurzeln zu grösserer Mächtigkeit angehäuft sind. 

Fig. 56. Etwas älteres Rückenmark vom Schaaf eirca 300 mal vergrössert. 
Die Zeiehnung ist, soweit nur irgend möglich, Zelle für Zelle copirt. Es ist 
also keine Zelle gezeichnet, welche nicht da war, wohl aber sind Zellen, welche 
über- oder unterhalb der Fokalebene lagen, nicht mitgezeichnet, da eine körper- 
liche Zeichnung unmöglich ist, und der Schnitt doch drei Zellenlagen dick war. 

M.pr Membrana prima, g in das Rückenmark einwuchernde Gefässe, h hin- 
tere, vd vordere Spinalwurzeln. Die vorderen Wurzeln treten in einen ovalen 
Zellenhaufen ein, der als Vorderhorn zu betrachten ist. Zwischen diesem und 
dem gegenwärtigen Epithel des Centralkanals (Körnerschicht) liegt das Stratum 
der eireulär verlaufenden Fasern und Zellen, welches im mittleren Theile des 
Markes bis an den Seitenstrang reicht. Nach hinten zu geht das Stratum der 
Circulärfasern in die Zellen des Centralkanals über. Bei R legen sich in Form 
eines kleinen Ovals. die Hinterstränge an. Eine weit grössere ovale Masse, 
welche wesentlich aus längs verlaufenden Nerven besteht, wird von den hinteren 
Wurzeln durchsetzt. Dieser Längsstrang ist aus dem hinteren Höcker der 
Fig. 55, also aus einer zelligen Masse entstanden. Dem entsprechend findet 
man bei ö noch Zellenreste, welche sich etwas mit Karmin gefärbt haben. Die 
Fasern des Stranges zeichnen sich durch grössere Dicke vor den Fasern der 
anderen Längsstränge aus, jedoch hebt die Lithographie diesen Strang nicht so 
deutlich hervor, wie es sein sollte. Von den Zellen des Centralkanals strahlen 
überall die Radiärfasern r aus. Die Längsstränge zeigen ein retieulirtes Aus- 
sehen, die Knoten dos Maschennetzes sind die Querschnitte der Nervenfasern. 

Fig. 5%. Längsschnitt des Rückenmarkes von einem Rindsembryo mit 
noch offener Thränenfurche 150mal vergrössert. Bei g sieht man Zellen der 
Spinalganglien, welche letzteren noch nicht deutlich von einander gesondert 
scheinen. Der Schnitt ist ziemlich durch die vordere Spitze der Ganglien ge- 
sangen, so dass man auch schon die Fasern der vorderen Wurzeln austreten 
sieht. M. pr Membrana prima, die Grenze des Markes bezeichnend, s Längs- 
strang; derselbe zeigt noch einen unregelmässigen, verflochtenen Verlauf der 
Nerven, welche hin und wieder aus der grauen Substanz entspringen, gr Zellen 
der grauen Substanz. Die Halbeirkelschicht tritt an dem dünnen Längsschnitt 
nicht hervor. Man sieht, dass die Zellen aus den verschiedensten Tiefen der 
Epithelschicht bis zum "Centralkanal heranragen. Bei c ist die den Kanal aus- 
kleidende einer Cuticula vergleichbare Schicht noch erhalten, weiter nach links 
ist sie zum Theil völlig durch den Schnitt zerstört. 

Fig. 53A. Ein Stück der vorigen Figur, von dem Buchstaben ce nach links. 
bei 400maliger Vergrösserung. c Oberfläche des Centralkanals, m Radiärfaser 
mit anhängenden Zellen respective Kernen, e Zellenenden am Centralkanal. 

Fig. 55B. Die äussere Parthie eines anderen Längsschnittes von dem- 
selben Rückenmark. m Radiärfasern, e Seitenstränge des Markes. Man erkennt 
wie die Radiärfasern theils die Seitenstränge durchsetzen, theils sich beim Be- 
ginn derselben stark zerfasern, und wenn auch nicht ganz, so doch grossentheils 
in sie übergehen. 

Fig. 59. Durchschnitt durch Kleinhirn X. H, und Pons, Md eines Schaaf- 
embryo, um den Plexus chorioideus quartus zu zeigen. p Epithel des Plexus, 
N Nerv, wahrscheinlich Trigeminus. Man sieht namentlich am Kleinhirn, wie 
die Marksubstanz ganz und gar in das Epithel des Plexus aufgeht. 

Zeitschrift f. Anatomie. Bd. 1. 98 


420 V. Hessen. Beobachtungen über die Befruchtung 


Fig..60. Epithelzelle des Rückenmarkes von einem Rindsembrye mit noch 
offener Thränenfurche, durch Auspinselung isolirt, 600 mal vergrössert. a Epithel- 
zelle, 5 Kern, einer Theilungsstelle anhaftend. 


Meerschweinchen. 


Fig. 61A u. B. Furchungskugeln des Meerschweinchens in beckenförmiger 
Anordnung, A von oben, B von der Seite gesehen. Vergr. 300. Man sieht, 
dass vier Furchungskugeln vorhanden sind, von denen eine, a, mit einem zungen- 
förmigen Ausläufer versehen ist. 

Fig. 62. Ei aus dem Uterus 5 Tage 3 Stunden alt, 150 mal vergrössert. 
Das Ei war durch Ausschrapen erhalten. Man erkennt, dass die Furchungs- 
kugeln verschiedene Grösse haben, da die Theilung nicht absolut gleichmässig 
vor sich geht, doch möchte ich nicht wagen, hier schon eine Scheidung von 
Epiderm und Endoderm anzunehmen, der weitere Verlauf der Furchung zeigt 
ohnehin, dass beim Meerschweinchen jedenfalls von einem derartigen Nachweis, 
etwa gar von der ersten Zweitheilung an, nicht die Rede sein kann. Ueber die 
Seitenansicht habe ich nichts notirt. 

Fig. 63. Körper aus einem 6 Tage trächtigen Uterus. Ich hielt es, na- 
mentlich unter Berücksichtigung von REıcHErT’s Fig. 11 für möglich, dass hier 
ein Ei vorliege, jedoch da der Körper 0,13 mm. mass, muss ich nach den mittler- 
weile gemachten Erfahrungen diesen Glauben fallen lassen. Ich weiss nicht, was 
die wirkliche Bedeutung dieser Bildung ist. 

Fig. 64. Degenerirtes Ei von fast 7 Tagen, 50mal vergrössert. Auffallend 
ist, dass die Zona hier noch so wohl erhalten war. 


Fig. 65. Ei e, Zapfen z, und Kapsel %, 8 Tage alt, aus dem Bindegewebe 
isolirt, 15 mal vergrössert, s Fortsetzung des Uterusepithels in das Epithel der 
Uterushöhle, d anhängende Drüsenkanäle. 


Fig. 66. Die Zeiehnung ist durch ein Versehen auf den Kopf gestellt. 
Ei von 9 Tagen 4 Stunden in der Deciduamasse d. Es ist bezeichnet mit s der 
Uteruskanal, % die Kapsel, e das Ei, n das Ende des Napfes. Man sieht den 
Zapfen von der Kapsel bis zum Ei hingehen. Vergrösserung 10mal. 


Fig. 67. Frischer Zapfen von 9 Tagen nach der Befruchtung. Vergr. 150. 
k die Kapsel aus Uterusepithel bestehend, d Deciduazellen auf derselben, n der 
Stiel des Zapfens, der später zum Napf wird, e das Ei im Zapfen, dasselbe zeigt 
in diesem Falle relativ frühzeitig eine Höhlung genau im Centrum. Auf !der 
Spitze des Zapfens beobachtet man eine Wucherung der Epithelzellen, welche 
das Ei umgeben. 

Fig. 68. Durchschnitt durch den isoliıtten Eizapfen, Fig. 66, Karmin- 
präparat. Ich vermag nicht zu sagen, ob hier die Höhlung im Ei in Folge der 
Erhärtung verschwunden ist, oder noch nicht gebildet worden war. Der Zapfen 
ist um ein Geringes weiter entwickelt als in Fig. 67. e Eidurchschnitt etwas 
verletzt, ep Uterusepithel, den Zapfen bildend, % homogene Hüllhaut des Zapfens, 
f flossenförmiges Ende des Zapfens, vom Uterusepithel abgelöst, » Duplicatur 
des Zapfens, aus welcher der Napf entsteht, der sich also zur epithelialen Pla- 
centa materna umgestaltet. In dem von mir selbst gezeichneten Präparat sind 
die Epithelzellen etwas zu klein gegeben. Vergr. 300. 


und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 421 


Fig. 69. Spitze eines 10 Tage alten, frischen Eizapfens. 200mal vergr. 
e das Bi, darin die etwas excentrisch gewordene Amnioshöhle, ep das Epithel 
des Zapfens, an der Spitze etwas geschichtet. Die Zapfen verhalten sich mit 
Bezug auf diese Schichtung verschieden, bei einigen scheint sie ganz zu mangeln. 


Fig. 70. Zapfen von 11 Tagen, circa 150mal vergrössert. Die Länge war 
2,42 mın,, Breite 0,44, Länge des Stieles (Napf) 0,88, Breite des Eies 0,3 mm. 
Es bildet sich am Ei schon deutlich das Amnios aus. Der Stiel » beginnt sich 
zum Napf umzugestalten. Man sieht von der Convexität des Napfes einen Strang, 
‚st, abgehen. Er besteht aus Zellen und ist solide, eine Deutung desselben ist 
nicht zu geben. 


Fig. 71. Kopf des Zapfens von cinem nur wenig älteren Ei. Vergr. 150. 
Das Ei ist noch dünnwandiger geworden. Bei «a zeigt sich eine etwas auffallende 
Asymmetrie, die mir regelmässig in diesem Stadium entgegentrat. Es macht 
mir den Eindruck, als wenn sich entweder das mittlere Blatt oder das Gefäss- 
blatt an dieser Stelle zuerst anlege, aber ich bin über den Process nicht zur 
Klarheit gelangt. Man bemerkt eine Abplattung des Uterusepithels an der Spitze 
(des Zapfens. 


Taf IT. 


Fig. 72. Ei und Zapfen des Meerschweinchens von 11 Tagen 12 Stunden. 
Es ist der Länge nach eine Lamelle ausgeschnitten, doch ist leider das Ei dabei 
gebrochen. Epth Epithel des Uterus am Zapfen, A homogene Membran, auf 
welcher das Uterusepithel ruht, dieselbe ist an einer Stelle zerrissen, G in Folge 
der Erhärtung entstandene Gerinnung, N Napf, bereits stärker ausgebildet, als 
in Fig. 70. Die sich umschlagende Epithelzellenlage verläuft schliesslich in so 
äusserst platte Zellen, dass die Verfolgung dieser Lage missglückt. Vergr. 150. 


Fig. 73. Der Napf eines Eies von gleichem Alter. Von demselben geht 
ein Stiel an die Spitze der Uterusflasche, F7, man sieht von dieser einen Faden 
st abgehen (wie in Fig. 70), welcher von dem Stiel des Napfes umhüllt wird, 
z ein Zellenanhang des Stieles, der sich, in der Regel doppelt, wohl an jedem 
Ei aus diesen Tagen aufinden lässt. Vergr. 150. 


Fig. i4. Spitze. des Zapfens vom Ende des 12. Tages. Die Keimscheibe 
ist noch nicht deutlich geschichtet, das Epithel des Uterus auf ihr ist sehr zart 
‚geworden. 200mal vergrössert. 

Fig. 75. Ei von 12 Tagen aus dem umhüllenden Uterusepithel heraus- 
geschält, jedoch noch von der homogenen Membran umgeben. Die Keimscheibe 
besteht aus zwei Blättern, das äussere derselben, das Darmdrüsenblatt, wächst 
in den Zapfen herab, indem es sich an-der Innenläche der homogenen Membran 
hinabschiebt. Es endet bei © mit scharfem Rande. Die homogene Membran 
hat bei f einen scharfen Rand, derselbe kleidete den Rand des Napfes aus. Der 
Theil, welcher in den Napf hineinragte und ihn auskleidete, ist stark zusammen 
gefallen. 

Fig. 76. Querdurchschnitt durch einen Meerschweinchenembryo von etwa 
15 Tagen, die Rückenmarksrinne noch weit offen, das Ei hat sich abgeplattet. 
Am Amnios aus dem mittleren und äusseren Keimblatt «X bestehend, Md Me- 
dullarplatte, Uw Urwirbel, mK Darmfaserblatt, g Gefässblatt, X „inneres“ Keim- 
blatt oder Darmdrüsenblatt, A homogene Haut, Zpth Epithelzellen des Uterus, 


Q x 
28” 


4223 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung 


- Ch verdickte Stelle des inneren Keimblattes, aus welcher die Chorda m. E. hervor- 
gehen wird. Vergr. 200. 

Fig. 77. Ein feiner Querdurchschnitt eines ähnlichen Embryo, genau über 
der Chordaanschwellung, 600mal vergrössert. Epth Uterusepithel, A homogene 
Membran, iX Darmdrüsenblatt, mp Membrana prima, die Medullarplatte, Md, 
‘von der Chordaanschwellung trennend. Die Haut scheint einen Ueberzug an 
das innere Keimblatt abzugeben, doch habe ich denselben nie isolirt dargestellt. 
In der Originalzeichnung war ein Znsammenhang mancher Zellen der beiden 
Blätter dargestellt, im Druck ist dieser für die genauere Betrachtung ver- 
schwunden. Eine Correetur würde so viel unstatthafte Schärfen in das Bild 
gebracht haben, dass ich unter Hinweis auf das Gesagte den Druck uncorrigirt 
bestehen lasse. 

Fig. 78. Querschnitt des Rückenmarkes von einem Rindsembryo, dessen 
Alter dem von Fig. 56 entspricht. Der Schnitt umfasst die Gegend des einen 
Vorderhorns und ist stark ausgepinselt, so dass der grössere Theil der Längs- 
stränge fortgerissen ist. Die Vergrösserung ist 150fach, doch ward hier wie 
bei anderen Zeichnungen häufig eine stärkere Vergrösserung zu Hülfe genom- 
men, um den Sachverhalt richtig zu ermitteln. %%k Halbkreisstratum, vA Vorder- 
horn. Der Reichthum an Zellenausläufern tritt zwischen a und 5 deutlich hervor. 
An dem Epithel des Centralkanals ce findet sich ein Beleg € Die Radiärfasern 
lassen sich durch das Mark verfolgen. Die vorderen Wurzeln d scheinen mit 
ihren Fasern in die Körner einzutreten und von diesen weiter bis zu den Epi- 
' thelzellen auszustrahlen, doch gelang es nicht, den Sachverhalt klar darzulegen, 
e Längsstrang, in Folge des Verfahrens verdrückt und zerrissen. 

Fig. 79. Ei des Meerschweinchens 4 Tage alt aus dem Uterus. A. von der 
Fläche, B. von der Seite gesehen, a die Richtungsbläschen. Vergr. 300. 

Fig. S0. Ei des Meerschweinchens 5 Tage alt. A. von der Fläche, B. von 
der Kante gesehen. «a Körnchen, wahrscheinlich ein vergehendes Richtungs- 
bläschen. 300mal vergrössert. 

Fig. Sl. Ei von 6 Tagen, es hat sich eine Art Keimhügel und Keimhaut 
gebildet. 300 mal vergrössert. 

Fig. S2. Präparate von einem 7 Tage 4 Stunden trächtigen Meer- 
schweinchen. 

A. ein Stück des Uterus der Länge nach gespalten in natürlicher Grösse. 
a Muscularis, 5 Schleimhaut, c Epithelkanal des Uterus, d bindegewebige De- 
cidua. In der Mitte derselben ist wieder das Uterusepithel als helle runde Fläche 
frei gelegt und hier sieht man als feinen schwarzen Punkt, das Ei. Dasselbe 
tritt jedoch zu deutlich hervor. 

B. Der betreffende Theil des Epithels isolirt und bei 250facher Vergrösse- 
rnng gezeichnet. a Rand des Uterusepithels, 5 Epithelhülle des Eies, ce das Ei, 
d Mesometrium. 

C. Durchschnitt der betreffenden Stelle des Uteruskanals, das Ei heraus- 
gebrochen. a der obere Rand des Epithelkanals, p Oeffnung, auf welcher das 
Ei ruhte, ihr gegenüber ein kleines Polster der Epithelschicht. 

Fig. 83. Verspätetes Ei von 7 Tagen 14 Stunden am Uteruskanal. a Epi- 
thelkanal, 5 das Ei in dem ‚.Zapfen“, nicht klar abzugrenzen, ce der Zapfen mit 
gestricheltem Stiel der Epithelwand ansitzend. } 

Fig. S4, 85 u. 56. Dem Uterus eines 7 Tage- 10 Stunden trächtigen Meer- 
schweinchens entnommen. 


und Entwicklung des Kaninchens und Meersehweinchens. 493 


Fig. S4. Epithelkanal des Uterus mit Ei isolirt, eirca 5mal vergrössert. 
d bindegewebige Decidua, soweit dieselbe an der abgewendeten Seite des Epi- 
thels lag, es ist also die dem Beobachter zugekehrte Hälfte derselben entfernt. 
a Zapfen, an der Spitze desselben das Ei, f die „Flasche“ des Epithels mit ver- 
diekter und geknickter Randparthie. 

Fig. S5. Durchschnitt durch das vorige Präparat bei etwa 100facher Ver- 
grösserung gezeichnet. a Uterusepithel, 5 umgebogener Uteruskanal, c Fort- 
satz an demselben, dessen Structur mir nicht klar ward, wahrscheinlich homogene 
Hülle des Epithels, d das Ei, e Zellen, auf denen es ruht und welche später den 
„Napf“ bilden, ‚f Stiel des „Zapfens “. 

Fig. S6. Dasselbe Präparat bei 300facher Vergrösserung, von der Fläche 
gesehen, ehe der Durchsehnitt gemacht ward. Buchstaben wie in 85. g Fort- 
sätze der Zellen, welche nicht als Drüsenmündungen gedeutet werden dürfen, 
h ein Zellenwulst, wahrscheinlich frühere Drüsenmündung. 

Fig. S7. Eizapfen 8 Tage alt bei 50facher Vergrösserung. In dem Zapfen 
hat sich Flüssigkeit ausgeschieden. Bezeichnung wie in 85. n eine polster- 
förmige Vorragung der inneren Zellen des Zapfens in den Hohlraum desselben, 
aus diesen wird sich der Napf bilden. p Spalte im Uterusepithel, aus welcher 
das Ei hervortrat. 

Fig. SS. Eizapfen S Tage 4 Stunden alt. 

A. Epithelkanal des Uterus mit Erweiterung f, und darauf sitzendem Ei- 
zapfen z, 11/, mal vergrössert. 

B. Der Zapfen isolirt, 20mal vergrössert. a das Ei, db der Stiel des Zapfens. 

Fig. S9. Feiner Durchschnitt aus dem hinteren Ende der Keimscheibe 
eines Kaninchens. Dieser Schnitt gehört zu der Serie Fig. 20, Taf. IX und 
fallt dicht hinter 20B. Man sieht deutlich die Wucherung der Zellen des 
äusseren Keimblattes a, 5 mittleres, ce inneres Keimblatt. In Bezug auf diese 
Zellen kann ich kaum glauben, dass sie im frischen Zustande rund seien, wie 
LIEBERKÜUHN dies: Marburger Sitzungsberichte No. 1 v. d. J. urgirt; auch be- 
merke ich, dass meine Präparate nicht, wie dort angenommen wird, mit Alkohol 
in Berührung waren. 

Fig. 90. Epithelzellen aus dem Rückenmark mit Radiärfaser. a freies 
Ende der Zellen, b ein nervöser Faden, welcher rechtwinklig von der Radiär- 
faser abgeht. 600 mal vergrössert. 


Der Musculus „sternalis“. 


Von 
Dr. Karl Bardeleken, 


Prosector und Privatdocent in Jena. 


Die Beobachtung eines eigenthümlich gestalteten, meines. Wissens 
in dieser Form noch nicht beschriebenen „Sternalis“ veranlasste mich 
zu näherem Studium über diesen Muskel, das sich sowohl auf die- 
Literatur als auch auf die vergleichend-anatomischen Verhältnisse er-- 
streckte. Die heftige Opposition, welcher meine Angabe über das 
Ueberschreiten der Medianlinie Seitens des Sternalis bei Ge- 
legenheit eines von mir in der Jenaer medicinisch-naturwissenschaft-- 
lichen Gesellschaft gehaltenen Vortrages von vielen Seiten her be- 
gegnete — besonders aber die damals von einer Seite aufgestellte- 
Behauptung, das Ueberschreiten der Medianlinie sei unmöglich, weil 
es gegen das „Gesetz von den Antimeren“ verstosse, machen es mir 
im Interesse der objectiven Forschung, der wissenschaftlichen Wahr-- 
heit zur unabweisbaren Pflicht, meine eigenen und die aus der Lite-- 


Erklärung des Holzschnitts auf 8. 422. 


ce = clavicula. 

stm = sterno-mastoideus. 

ps = pectoralis superfieialis (abnorm). 

pp = pectoralis profundus (der normale pectoralis). 
pa = Abdominalzacke des rechten pectoralis. 

Std = Sternalis dexter. 

Ss = Sternalis sinister. 


vRe = vagina recti abd. 
Die längere, senkrecht verlaufende Linie ist die Medianlinie des Körpers.. 
Die von der Mittellinie nach links abweichende Linie trennt die beiden Ster- 
nales von einander, soweit das Uebergreifen einzelner Muskelursprünge über 
die in Rede stehende Linie es gestattet. (Auf dem Holzschnitt nicht ganz 
deutlich.) 


425 


Der Musculus sternalis. 


426 Dr. Kırı BARDELEBEN. 


ratur entnommenen Beobachtungen zu veröffentlichen, ausser Anderem 
auch ein für alle Mal nachzuweisen, dass trotz des Gesetzes der Anti- 
 meren der Sternalis in fast einem Viertel der überhaupt in dieser 
Beziehung mitzurechnenden Fälle (s. u.) die Medianlinie überschreitet. 
Meine eigenen Beobachtungen vom Sternalis erstrecken sich auf drei 
Fälle. Den ersten sah ich in Leipzig im December 1872 an einer 
äusserst musculösen männlichen Leiche; derselbe war einseitig und 
setzte die Sehne des sternocleidomastoideus bis zur Rectusscheide der- 
selben Seite fort. Der 2. Fall wurde an der Leiche eines 50 jährigen 
Mannes (Muskel-Leiche No. 1) auf dem hiesigen Präparirsaal am 
29/10. 1874 von mir beobachtet und sogleich in mein anatomisches 
Notizenbuch eingetragen und abgezeichnet. Derselbe entstand museu- 
lös von der Rectusscheide der linken Seite in Höhe des 6. Rippen- 
knorpels, ging 2,5 ctm. breit, fleischig schräg median- und aufwärts, 
erreichte den linken Rand des sternum in Höhe des 3. Rippenknor- 
pels, wurde dort sehnig, überschritt in Höhe des 2. Intercostalraumes 
die Medianlinie und endete in dem Sternalursprung des sternoclei- 
domastoideus der rechten Seite. Die Länge des ganzen Gebildes be- 
trug 17 ctm., die der Sehne davon 7,5; deren Breite 0,5 etm. — Der 
Muskel lag selbstverständlich vor dem pectoralis major. — Der 
3. Fall endlich, s. Fig., rührte von einem jungen, circa 20 Jahre 
alten Manne her, der sich suieidii causa in der Nähe Jenas von 
einem Eisenbahnzuge überfahren lies. Der junge Mann besass eine 
stark entwickelte Muskulatur; — leider konnten, abgesehen von der 
Verstümmelung der Leiche durch die Maschine, aus äusseren Gründen 
nur einzelne Theile präparirt werden (Muskel-Leiche No. 9 — T. Dec. 
1874). Das hier zu beschreibende Präparat konnte jedoch der Jenaer 
anthropotomischen Sammlung erhalten bleiben. 

Der Muskel entspringt links mit einigermassen trennbaren sechs 
fleischigen Bündeln oder Zacken von der Rectusscheide in Höhe des 
6. Rippenknorpels medial von der normal von der Rectusscheide kom- 
menden Portion des pectoralis major; er geht, allmälig schmäler 
werdend, in schwachem Bogen, dessen Concavität medianwärts ge- 
richtet, median- und aufwärts, wird, am unteren Rande früher als am 
oberen, sehnig und geht in das noch näher zu beschreibende, vor dem 
sternum gelegene Sehnenblatt über. 

In ganz ähnlicher Weise, nur in den Dimensionen etwas schwächer, 
zeigt sich der rechte Muskel, dessen Sehne gleichfalls in das Sehnen- 
blatt vor dem sternum übergeht, so dass die unteren Ränder der rech- 
ten und linken Sehne einen nicht ganz symmetrischen mit der Con- 
cavität nach unten gerichteten Bogen darstellen. Beide Muskeln liegen 


Der Musculus sternalis. 427 


selbstverständlich vor den Fasern des pectoralis major. Das eben er- 
wähnte Sehnenblatt, dessen unterer Rand in Höhe des 3. Rippenknor- 
pels liest, wird gebildet aus den Sehnen der oben beschriebenen beiden 
abnormen Muskel, sowie dadurch, dass beiderseits Fasern vom pecto- 
ralis, der in seiner oberen Hälfte enorm stark entwickelt ist und sich 
dort auch eine Strecke weit in 2 Lagen trennen lässt — ungefähr 
in der Mittellinie sich sehnig vereinigen. Die Muskelfasern des pecto- 
ralis erreichen nicht nur, was ja schon an und für sich Ausnahme, 
die Medianlinie, sondern überschreiten dieselbe an einzelnen Stellen 
bis zu 4 mm. weit, d. h. sie schiessen sozusagen an denen der anderen 
Seite vorbei, so dass es unmöglich ist, durch eine gerade Linie rech- 
ten und linken pectoralis zu scheiden. Nach oben zu geht das Seh- 
nenblatt allmälig in die Bandmassen über, die den oberen Theil des 
sternum bekleiden, sowie mit dem Ursprung der Sternalsehnen des 
sternocleidomastoideus in Verbindung stehen. Diese sehnige Vereini- 
gung der Pectoralis-Fasern, die sich, je weiter nach unten, desto deut- 
licher, als vor dem sternum gelegenes Sehnenblatt zeigt, hat eine Aus- 
dehnung von 6 ctm. in der Mittellinie. Von der oberen Grenze des- 
selben -bis zur incisura semilunaris sterni sind noch 3 ctm., von dem 
unteren Bogen bis zur Spitze des proc. xiphoideus 9,5 ctm. Die Länge 
des linken und rechten sternalis von seinem Ursprung an der Rectus- 
scheide bis zu der Stelle, wo Pectoralis-Fasern an seine Sehne treten, 
beträgt 10—12 ctm. (der verschiedenen Bündel), die Länge bis zur Mitte 
(höchster Punkt des Sehnenbogens) 13 ctm., Breite des Muskels links 
2,5—3,0—4,0 ctm., Basis horizontal. 5,0 ctm., der rechte sternalis 25— 
3,0—3,5, Basis 4, 3. Die Sehne des linken Muskels ist 2,5—4,0 ctm. 
lang, 1 ctm. breit, die des rechten 2,5 lang, 3—6 mm. breit. 

Von der Basis der beiden Muskeln bis zur ersten inscriptio tendinea 
des Rectus ist rechts und links eine Distanz von 4,0—4,5 ctm., die 
Distanz der medialen Ränder der beiden sternales von einander an der 
Basis beträgt 11 ctm. 

Von den an das Sehnenblatt sich ansetzenden Fasern des pecto- 
ralis, die wir als den „Versuch“ zu einem zweiten, vor dem normalen 
gelegenen pectoralis betrachten können, haben die untersten Bündel 
eine zu dem sternalis derselben Seite ungefähr senkrechte Rich- 
tung, während die Fasern des entgegengesetzten sternalis als nur 
durch die Sehnen der sternales getrennte Fortsetzung derselben er- 
scheinen. 

Die Fascie des pectoralis überzog auch die sternales, die sie 
scheidenartig einhüllte. 

An die Beschreibung dieser von mir selbst beobachteten 3 Fälle 


428 


Dr. KıRL BARDELEBEN. 


schliesse ich in der unten folgenden Tabelle A. diejenigen Fälle in 
der Literatur an, welche mit einigermassen brauchbaren näheren An- 
gaben veröffentlicht worden sind. 

Die Tabelle A. enthält in der 1. Col. die laufenden Nummern, in 
der 2. die Nr. des Lit.-Verz., 3. die Beobachter, 4. die Körperseite, 
5. u. 6. Ursprung und Ansatz, 7. allgemeiner interessante Bemerkun- 
gen aus den Originalangaben. 

Wo es mir nützlich erschien, habe ich die eigenen Worte der 
Autoren eitirt, sonst aber kurz ausgezogen resp. übersetzt. 


Tabelle A. 
alas Be | 
Ze | a Be Ursprung. Ansatz. , Bemerkungen. 
EB SH . | . 
Se | 
1, 3 Cazrorıus. beide. joberer Theil des 8. (?) Rippe. |instar balthei, 
| sternum und „long. duas spi- 
‚Theil der elavi- thamas, lat. dig. 
| eula. duos.“ 
2| 5 | Ruopıs ? ? „peetorali adhae- ‚dig. medii lati- 
(HıEron. rens et omnino tudine.“ 
|SABONIUS). separatus.“ 
3 7 | DousLas. ? fleischig von der „into the os pec-,,m. in summo 
- 1. Rippe. toris under the) thorace situs.“ 
tendon of the 
| rectus.“ 
4| 8 AnonyMmtus rechts. |„fibris tendin. a| „oblique supra |„fibras eum illis 
b.DousLas. parte sterni supe- rectum.“ museuli recti 
rioreferemedia.“ confundens.“ 
oa ou Puy. | beide. r. „bord inferieur| r. „bord sup£- |,lesdeux muscles 
du premier os durieur d. 1. VII. pulmonaires 
sternum.“ cöte.““ manguoient dans 
l. bord inferieur, 1. ebenda. ce sujet.‘“ 
du cartil. d.1. II. 
cöte.“ 
6 | 12 WEIT- beide. „ex osse summo ‚„inscript. I. recti 3 dig.lat., unum 
BRECHT. sterni communi maxima parte.“ crass., fibras ser- 
aponeurosi.‘“ rati ant. decus- 
sans.“ 
7|14 |pEraAFure. links. „par un tendon „confond: avec [figure ovale tres- 
assez long le muscle obl. | allongee, cou- 
attache au ster- ext.“ vrant le pect. 
num.“ maj. 
Verbindung mit 
| sternocleidoma- 
stoideus. 
8| 15 Wiırpe. | beide. neben proc. xi-| Uebergang in Mann. 
phoid. sternocleidoma- 
stoideus. 
9 |18.19|v. Harıer.| links. | cost. IV (V?) sternum. 


- Der Musculus sternalis. 429 
Ze Er er Paper Ursprung. Ansatz. Bemerkungen. 
Eis | 
10 | 20 BOER- ? v. rect. abdom. 3. Rippe. Fortsetzung des 
HAAVE. | rectus. „In cor- 
| pore juven. gi- 
| ganteod.“ 
11 | 20 — links. v. sternum u. 7.| parti superiori |,pectoralis uter- 
Rippenknorpel. |sterni infra ini-que erat validis- 
tium sternoclei- simus. 
| domastoidei. 
”72| — = beide. rechts 5. Rippen- sternum, sterno-| Mehrfache zu- 
knorpel, ster- | cleidomastoi- | sammenfliessen- 
num, 7. Rippe, deus. de Ursprünge, 
'Aponeurose des sowie Theilung 
|  obl. abd. der Ansatzseh- 
nen in Zipfel. 
links portio ten- „membrana pec- weit kleiner als 
dinea des rech-| toralem in- rechts. 
ten abnormen vestienti.“ 
|  Muskels. 
13 | 23 | HUBER. | rechts. „a supremo ster- 5.Rippenknorpel; 11jähriges Mäd- 
no atque a costa „decussabat infi-, chen, „ein Hei- 
suprema.“ mas fibras mu- denkind, ex eo 
sculi pectoralis, |genere erronum, 
ante hunc ince- quosCingarosseu 
‚dens, inparteejus Aegyptios vo- 
infima, quaecumcant. Musculus 
miscebatur, seil.vix digitum la- 
| terminabatur.“ tus.“ 
14 | 24 Bov- beide. vom sternoclei-| rect. abd. (?) | „jusqu’aux mu- 
RIENNE. , domastoideus, seles droits du bas. 
, beiderseits ge- ventre, ou les 
trennt. fibres se confon- 
doient (?) sans 
aucune apparen- 
ce d’intersection 
tendineuse.““ 
15 | 25 | Porrar. | beide. beiderseits vom| rect. abd. (?) |„divises comme 
sternocleidoma- ; ‚les muscles droits 
stoideus. par deux Enerva- 
tions tendineux.“ 

On 27 Bonn. ? sehnig vom 3. | 6. Rippe nahe Aethioper. 

Rippenknorpel. | dem Knorpel. 

120130 ALBIN. ? 6. u. 7. Rippen-| „ossi pectoris, ungefähr 2 Fin- 
'knorpel, Aponeu- etiam conjuncetus ger breit. 
rose des obl. ext.| cum prineipio 
| peectoralis.‘“ 

2182132 IsEn- beide. | rechts Rectus- beiderseits beide Muskeln 
FLAMM.  scheide, Höhe | Uebergang in |hingen vor dem 

des 5. Rippen- | sternocleidoma- | sternum durch 

knorpels, links stoideus. eine Sehnenhaut 


Gegend des 4. 
Rippenknorpels 
nahe dem ster- 


num. 


| zusammen. 


> 
(dt 
(em) 


Dr. Kırı BARDELEBEN. 


No. 


des Falles 


Beob- 
achter. 


ı Körper- 
seite. 


Ursprung. 


Ansatz. 


ı Bemerkungen. 


* 
- 
co 
o 
[94] 


20 | 36 


a BU 


22 | 41 


3A 


24 | 


RosEn- 
MÜLLER. 


| 
| 
| 


BRUGNONE. 
| 
| 


| 


| ÜROUZET. 


LoscHGE. 


KeELcH. 


beide. 


links. 


rechts. 


rechts. 


rechts. 


links. 


'rechts 2 Bündel, 
‚beide „a mem- 
brana sternum 
tegente“, ein 
\ Bündel in der 
| Gegend des 6. 
Rippenknorpels 
eins in der des 5. 
entspringend, 
‚links Gegend des 
5. Rippenknor- 
| pels. 
1) oberer Theil 
| des sternum. 
2) oberes Drittel 
\ desselben. 


| 


4 Bündel: 1) u. 
2) ähnlich Nr. 20. 
3) von Aponeu- 
\rose des obl., den 
Rippenknorpeln 
der 4. u. 5. Rippe 
gegenüber. 
'4) lateral. Partie‘ 
des sternum. 


Handgriff des 
Brustbeins, Zu- 
sammenhang mit 
sternocleidoma- 

stoideus. 
Verbindung mit 
sternocleidoma- 
stoideus durch 
Sehne, die sich 
an dem Brust- 
bein in der Ge- 
gend des 2. Rip- 
penknorpels be- 
festigt und pecto- 
ralis major zum 

Ansatz dient. 
Verbindung mit 
sternocleidoma- 

stoideus. 


„evanescebant 
sub cute versus 
regionem carti- 
lag. cost. II.“ 


ähnlich dem 
rechten. 


1) 8. Rippe. 
2) 6. Rippen- 
knorpel. 

1) vereinigt sich 
mit Fasern des 
pectoralis der an- 
deren und der- 
selben Seite, so- 
wie mit 2). 
1u.2 wie No. 20; 
3 u. 4 vereinigen 
sich sehnig, stei- 
gen zum oberen 
Rand der 2. Rip- 
pe, bilden eine 
Sehne, die sich 
mit der von 1 u.) 
2 vereinigt. 


6. u. 7. Rippen-, 
knorpel. 


durch dünne seh- 
nigte Membran 
Zusammenhang 
mit Aponeurose 
des obl. ext. 


5. Rippen- 
knorpel. 


„puella satis 
robusta.“ 


alter Mann. 
Muskel dop- 
pelt. 


fettes Weib. 


60jähr. Frau. 


Mann. Keine 
Verbindung mit 
Bauch-Muskeln. 
Sternalsehnen 
des sternocleido- 
mastoideus mit 
einander durch 
eine Sehne ver- 


bunden. 


Der Musculus sternalis. 431 
E Ke | 
zE 2 sehten. a Ursprung. Ansatz. | Bemerkungen. 
[ee] sa | | 
= | A Mi | 
25 43 | KercH. | beide. | rechts von der 6.Rippenknorpel. Weib. 
Sehne des linken 
sternocleidoma- | 
stoideus. | 
links vom Ster- 6.Rippenknorpel. 
'num-Rand, Ge- 
'sendder3. Rippe. 
26 | 45 Orrto. | rechts. Gelenkkapsel des 5.Rippenknorpel. Fran. 
'Sternalendes der 
elavieula. 
27 I — —_ links. 2. Rippe. 6. Rippe. Mann. 
2383| — — links. | ıbid. ibid. kleines Mädchen.. 
29 | — = links. nahe der Schlüs- 5.Rippenknorpel. Mann. 
'selbein. Verbin- 
ı dung mit dem 
‚Ende des sterno- 
| eleidomastoi- 
| deus. | 
Otto bemerkt 
ferner: linker 
rectus abdominis: 
| lief 1 Mal bis 4.. 
| | Rippe. 
30 | 46 _ rechts. [starke Sehne, die weibliche, aber- 
mitbeiden ster- muskelstarke 
nocleidomastoi- Leiche. 
| dei sich ver- 
band. 
31 | 47 JR. „Fortsetzung des bis zur 4. Rippe. 
MEcKEL. rectus.“ | 
a - _ | idem. idem. 
3 | — — idem. bis zur 3. Rippe. 
34 | — — ı 7. Rippe. manubrium 
| sternl. 
35 | 49 = rechts. Basis des 6. Rip- theilweise manu-| Kind. Muskel 
ı penknorpels. brium sterni, | 1/, Zoll breit. 
theilweise ver- 
webt mit sterno- 
cleidomastoi- 
deus. 
*36 | 54 — beide. rechts 6. Rippen- das äussere |Neger: rechts 


knorpel. 


Bündel verliert 
sich im Zellge- 
webe der Haut 
auf der 3. Rippe, 
das innere 
Bündel über- 
schreitet die 
Mittellinie 
und endist links 
am „unteren En- 
de des obersten 
Brustbeins“. 


dünn kaum 1 
Linie breit, oben 
und unten lange- 

Sehne. 


432 Dr. KARL BARDELEBEN. 
285 | 
SE Fr Sie er Ursprung. Ansatz. Bemerkungen. 
a\Z2H ; ; | 
3|°3 | | 
links vom 7. Rip- verläuft an die 2. 
 penknorpel 1/5” Rippe über das, 
' vom Sternum- | sternum nach 
rande. rechts, geht | 
‚durch die obere 
Sehne in ein 
Bündel des rech-, 
ten pectoralis | 
major über. — 
Verbindung mit 
lınkem pecto- 
ralis. 
*37 | 54 Vaads beide. wie 36. wie 36. Neger. 
MEcKEL. | „Derselbe.“ 
38 | 61 LaAvTH. ‚Verbindung mit an Rippenknor- | „mehrmals“ 
 sternocleidoma- |peln und Rectus- beobachtet. 
stoideus und mit scheide. 
Bündeln des pe- 
ctoralis major. 
39 | 70 | HALLET. festes Band vom Rectusscheide. „14 Horm.c 
3.Rippenknorpel. 
40 | — — rechts. obere rechte Sei-|mitdrei sehnigen „2. Form.“ 4 
(nach ]). te des Brustbeins Bündeln von dem lang, 11/5‘ breit. 
‚mit Fasern des | 4.—6. Rippen- 
‚pectoralis major./knorpel der lın- 
| ken Seite. 
41| — _ mit 3 Köpfen: | Rippenknorpel, | Nervenzweige 
vom Anheftungs- Bauch - Aponeu- | von Nn. inter- 
‚punkt des sterno- rose, proc. ensi- costal. 3, 4 u. 5. 
cleidomastoideus| form., Rectus- 
am Brustbein; | Scheide. 
manubrium ster-, 
ni; Brustbein, 
Höhe des 3. Rip- 
penknorpels. 
AB ein- |nicht näher be- 78jähr. Mann; 
seitig. schrieben. alle anderen Re- 
spirationsmus- 
keln fettig ent- 
artet, der sterna- 
lis durch rothe 
‚Farbe und kräf- 
tige Entwicklung 
ausgezeichnet. 
43 | 74 | W. GRv- | beide. | Mit 1—5 flei- | vord. Fl. oder | Form: platt, 
bis BER. 9 Mal, schigen oder apo-, Seitenrand des meist länglich, 
61 “| neur. Zacken | sternum, von (dreieckig (6/7. d. 
rechts. |\yom 3.— 8. Rip-' Mitte seiner F.), selten 
6 Mal. | penknorpel. — | Höhe bis Mitte | schmal, band- 
links. Von der Rectus-| des manubrium förmig oderplatt, 
4 Mal. scheide. und an den En- breit, spindel- 
V. Brustbein, |den der 2. u. 3.| förmig. — 
(besond. Rand). | Rippenknorpel. 
V. pect. ma). (9 Mal.) 


Der Musculus sternalis. 


433 


No. 


des Falles. 


No. des 
Lit.-Verz. 


Beob- 
achter. 


Körper- 


seite. 


s 
Ursprung. 


Ansatz. Bemerkungen, 


{er} 
ID 


75 


77 


DEnvc£. 


SCHWEGL.- 


links. 


der vag. recti 


l/, der Fälle von 
dieser mit einer 
Zaacke und noch 
1—4 Zacken von 
anderen Stellen. 
!/, der Fälle mit 
1—4 Zacken von 
den angegebenen 
Orten mit Aus- 
schluss der vag. 
recti. 


| 


I/, der Fälle von 


allein; in noch 


| Oder: 


von man. sterni 
kommende Por- | 
tion beider mu- 


 caudatus) setzt 


major. 
Meistens aber 


Oder: mit ei- Länge: (bei Er- 
nem Bündel am) wachsenen) von 
oberen Brust- 81/,—27 etm. (In- 
ı beinkörperende, 'sertionssehne da- 
‚mit dem anderen von 2—71/, etm.). 
in den gegen- Breite: 
‚seitigen pecto- Grundfläche: 
ralis (2 Mal). |13—14 mm. bis 
Oder: Setzt 7 ,ctm. 
sich mit breiter) Insertionssehne: 
, Sehne nur in 2— 28 mm. 
ı den gegensei- |l Fall nur 3— 
tigen pectoralis | 3!/, mm. breit. 
‘(1 Mal) fort. |Fleischtheil. Bei 
heftet | Kindern (2 F.) 
sich mit seiner |4—51/, etm. lang 
Sehne an eine |(Insertionssehne 
breite Apon. an, 7—18S mm.), 
welche die sonst/breit: 5—14 mm. 
am Fleischtheil, 
bis 21), mm. an 
der Sehne. 
Lage: immer 
auf dem pecto- 
ralis major oder 
dem sternum, 
überschreitet 
mit seinem late- 
ralen Rande nie 
die Verbindung 


sculi pectorales 
vereinist. 
(1 Mal). 
Oder: (als bi- 


sich mit der 
Sehne der innern 
Portion an die 


ı Verbindung des | des knöchernen 


Körpers mit dem und knorpeligen 
manubr., mit | Theils der Rip- 
der der äussern, pen. 
Portion endigt Verlauf: meist 
er in der Fascie,bogen- oder bis- 
des pectoralis weilen S-förmig, 
(1 Mal.) der coneave Rand 
medianwärts, der 
convexe lateral- 
wärts. — Aus- 
nahmsweise 
gerade aufwärts. 


(14 Mal) verlän- 
gert er sich in 
den Sternalkopf| 
des st.-el.-mast. 


4. u. 5. Rippen- | 
knorpel. 


von einer oder 
mehreren Rippen 
innerhalb der 
2.—. Rippe. 


len, z. B.1. Rıppe, 
Brustbein, elavie., BRECHT, SUESs, 
| Zusammenhang | Boxx, PORTAL, 
der muskul. Bün- SANDIFoRT be- 
‚del mit st.cl.mst.,| schr. Varietä- 
mit pect. maj. u. ten; also min- 
‚mitobliqu.ext.(?).destens 7 Fälle! 


sternocleidoma- ,‚Ce muscle est 
stoideus. | normal chez le 
singe.“ (sic!) 


von einer oder mehrere Fälle, in 
mehreren Stel- 'allen von Augıs, 
ı HALLER, WEIT- 


434 Dr. Kırı BARDELEBEN. 
&| ns | | 
el n | | 
zE Nr 2 Forner) Ursprung. | Ansatz. Bemerkungen. 
171 35 
395 
64 | 78 |J. Bungee. rechts. En untern Ran-| schmale Sehne, 
de und vordern | die nach rechts 
Fläche, sowie mit und links sich 
einem sehnigen theilend, mit 
Zipfel von der  Fleischbündeln 
vorderen Fläche, beider pectora- 
des Knorpels der) les zusammen- 
6. Rippe. hängt. — 
*65| 79 Har- beide. | beiderseits mit | gemeinsames | muskulöse Frau 
BERTSMA. je 2 Portionen | Sehnenblatt vor | von 53 Jahren, 
(einer medialen [dem öbern Theil|beiderseits 2 Por- 
und lateralen): | des sternum, |tionen, die sich 
laterale Portion:;welches die bei-Jan den Insertio- 
rechts v.5.Rippe,|den sternocleido-| nen vereinigen; 
links v. 4. Rippe. mastoidei ver- | beide Muskeln 
mediale Portion: bindet. ziemlich gleich 
rechts v. 5. u. 6. und symme- 
Rippenknorpel, trisch. Grösste 
links v. 4.—6. Breite 6 cm., 
Rippenknorpel, Länge 20 cm., 
ausserdem Rec- Dicke !/, cm., 
tusscheide. beiderseits ent- 
| springt der 
| grösste Theil der 
| portio sterno- 
costalis des 
pectoralis nicht 
vom sternum, 
sondern in einer 
Entfernung von 
1l/o,.3, 41/, ctm. 
lateral von den 
fov. artie. — Die 
Portio abdomi- 
nalis stark ent- 
wickelt. 
66 | 81 | Carorı. | rechts. sehnig von dem Aus einem lan- | 80jährige Frau. 
manubrium gen, platten C.bezeichnet den 
sterni und theil- Muskelbauche Muskel als ‚‚mu- 
weise von den entstehen 4kurze seulo inspiratore 
Ursprungsseh- Sehnen, die sich sopranume- 
nen der beiden an den oberen rario“. — 
sternocleidoma- |Rand des 3.— 6. 
stoidei. Rippenknorpels, 
nahe dem rech- 
ten Sternal-Rand 
ansetzen. 
67 | 83 | TURNER. 5 rechts. Zusammenhang | in 3 Fällen |21 Fälle: davon 
bis 2 links. | mit Aponeurose |Sehne verbunden) 7 männl., 11 
87 5 „eros- | des obliquus in [mit der vorderen| weibl. Leichen, 
sed.“ 12 Fällen. |Fläche des ster-|bei 3 Geschlecht 
°/9 beide. „additional num. 8 MalZu-| nicht ange- 
attachment“ zursammenhangmit geben. 
| Seite des ster- |einem oder bei-| Beim beidersel- 
ı num nahe dem | den st.-cel.-m. | tigen Vorkom- 


Der Musculus sternalis. 


435 
Se 
SR > eoD- OTper- = ne | = 
zE s” een ee Ursprung. Ansatz. | Bemerkungen. 
Al de / 
4.Rippenknorpel- 2 Mal Ver- Iren (9 Mal) wa- 
Gelenkin einem/mischung (blen- ren die Ursprün- 
Falle. Vom 5.| ded) mit den \ge stets getrennt, 


Zeitschrift f. Anatomie. 


Ba. I. 


u. 6. Rippenknor- 
pel nahe .der In- 
sertion des rec- 
tus: 6 Mal. 
1 Mal von’ dem 
knöchernen 
Theil d. 6. Rippe. 
1 Mal vom 7. 
Rippenknorpel. 
1Malvonden de- 
cussating fibres 
vor dem unteren 
Ende des ster- 
num. 
1 Mal grossen- 
theils von der 
Aponeurose des 
obliquus; ausser- 
dem vom 5. un 
6. Rippenknorpel 
nahe ihren Ster- 
nalenden. 


oberen Sternal- 3 Mal blieben die 
fasern des pect. Muskeln der bei- 

In 4 Fällen | den Seiten ge- 
theils in sterno- trennt, während 
cleidomastoideus in 6 Fällen die 
endend, theils | Insertionssehne 

am sternum. jedes Paares mit 

In 1 Falle jeinander das ma- 
theilweise in der nubrium bedeck- 
Substanz des lin- te, und (ausge- 
ken pectoralis in nommen 2 Fälle) 
Höhe der 2. Rip- mit dem sterno- 
pe,theilweise vor, mastoideus zu- 


dem manubrium, 
theilweise in den 
linken sternoclei- 
domastoideus. 
Einmal beider- 
seits an der Vor- 
derfläche des ma- 
nubrium sterni, 
theilweise in den 
linken sternoclei- 
ı domastoideus. 
Einmal beider- 
‚seits an der Vor- 
derfläche des ma- 
nubrium und an 
den Fasern des 


pectoralis in 
‚Höhe des 2. u. 3. 
‚ Rippenknorpels. 
Einmal (ein- 
seitig) ging das 
eine Bündel (in- 
nere) mit 2 rund- 
lichen Sehnen 
zum rechten 
sternomastoideus 
unter Entsen- 
dung eines Aus- 


Bündel ober- 


läufers zum ma- 
nubrium, wäh- | 
rend das äussere 


sammenhingen. 
In dem Falle, wo 
der Muskel von 
der 5.—6. Rippe 
entsprang, durch- 
bohrte er schräg 
den pectoralis. 
In 2 Fällen 
lösten sich Mus- 
kelbündel ab und 
verbanden sich 
mit dem pecto- 
ralis. 
Nie. beobachtete 
TURNER Conti- 
nuität mit reetus 
abdominis, nie 
inseript. tendi- 
neae. Mehrere 
Male bestanden 
gleichzeitig Ano- 
malien des pecto- 
ralis major. 


flächlich in dem! 
ob. Theil d. Pect. 
Aponeur. endete. 
Einmal (beider- 
| seitig) war die 
obere Sehne ganz 
von der Apon. des 
pect. bedeckt. | 
29 


DR. KARL BARDELEBEN. 


Ursprung. 


Ansatz. 


| Bemerkungen. 


436 
als 8 
s=|=2 | Beob- |Körper- 
Z=ıs.| achter. seite. 
za zZ a 
HA | 
88 | 85 | TURNER. | beide. 
89 | — — rechts. 
90 | 86 —_ beide. 
91 188.389) MacaA- 2 Mal. 
bis LISTER. | beide. 
101 8 rechts. 
1 links. 
102,| 92 Woop. | rechts. 


bandartig von 

der5. Rippe,dicht 
neben dem Ur- 
sprung des Ser- 
rat. ant. maj. — 
Verbindung mit 
den Interossei; 
von der 4. Rippe 
ein 2. Ursprung. 


von der 4. Rippe 
2‘ ]Jateral von 
dem Innenende. 


knöcherner Theil 
des oberen Ran- 
des der 4. u. 3. 
Rippe und äusse- 
re Fläche der 2. 

Rippe mit ge- 
trennten Zacken. 
Gewöhnlich am 
unteren Rande 
des Manubrium. 


Sehne des sterno- 
mastoideus vom 


bis zur 1. Rippe, 
dicht neben sub- 
elavius. 


knöcherner Theil 
der 1. Rippe, 

3/4‘ lateral vom 
subelavius. 

1. Rippe, nahe 

dem Ansatze des 

Scalen. ant., von 
ihm getrennt 

durch Vena sub- 


celavıa. 


am oberen Rande 
des 4+.—6. Rip- 
penknorpels. 


| sehnig von der fleischig auf der 


Fascie, welche 
die Muskel- 


manubrium ster- scheide d. rect. u. 
ni und Fascie des obl. ext. bedeckt. 


cc 


„rectus thoracis 
TURNER. — Lon- 
gitudinal auf der 
Aussenfläche der 
oberen wahren 
Rippe und unter 
(beneath) dem 
pectoralis. 
Mann. — 6” lang, 
5/g‘‘ breit. 


unter dem pe- 
ctoralis minor. 


„under cover of 
the pectoralis 
major.‘ — Weib, 
flacher Muskel, 
vertical aufstei- 
gend. 


In keinem der 
Fälle, wo er breit 
und fleischig war, 
Verbindung mit 
ı sternocleidoma- 
'stoideus. Länge 
| 3 — 6, Breite 
1) BOY Ga 

Nie Inscript. 
| tendin. — Der 
Muskel lag im- 
mer vor pectora- 
\  lis major. 
(95) 1. e. 8. 454 
bemerkt dagegen 

MACALISTER: 
rectus abdominis 
geht manchmal 
bis zur 4. Rippe, 
|tiefer (internal) 
‚als der pectoralis 
major. Dies 
‚scheint ihm eine 
‚Andeutung, Ver- 
|such (attempt) 
eines rectus ster- 
nalis zu sein. 


masc. — M. gut 
entwickelt. 31/9‘ 
lang. 


pectoralis major.| 


437 


Der Musculus sternalis. 


lnN 
10 © . A 
ze A De un Ursprung. | Ansatz. Bemerkungen. 
& Zi = | 
103) 92 Woo». | rechts. sehnig vom ma-|Rectusscheide infem. Keine Ver- 
nubrium sterni, |Höhe des 6. Rip-bindung mit st.- 
gegenüber der | penknorpels. |mast., schlanker 
2. Rippe. M.-Bauch all, 
lang, 3/4” breit. 
104 —. _ 1 Mal » ? Im Ganzen beob- 
bis beide. achtete Woop 
108 3 rechts. also 7 Fälle, wo- 
1 links, von 5 Männer 
und 2 Frauen. 
*109| *%) | Lanpoıs. | beide. |rechts sehnig mit| Vereinigung in | Muskel beider- 
2Zipfeln gemein-| der Mittellinie |seitig von der 5. 
sam mit dem Ur-zueinem Sehnen-| Rippe an flei-. 
sprung des pe- bogen, an den | schig; Breite 
ctoralis. Fasern vom rech- links 3/4, 
links sehnig von| ten und linken | rechts 1/,” Ab- 
dem die Basis |pectoralis treten,| stand des Mus- 
des proe. xiph. während der kels von der 
und das Ende | Muskel gleich- | Mittellinie 1/5“. 
des corpus sternijzeitig nach oben 
bedeckenden mit der Ur- 
Sehnenstreifen, |sprungssehne des 
sowie von der | linken st.-mast. 
Reetusscheide. | zusammenhängt. 
110 — = links. fleischig von dem sehnig im sterno- platt, fingerbreit, 
2.—4. Rippen- cleidomastoi- | auf der linken 
knorpel. deus. Sternumhälfte 
Rippenknorpel 
mit bedeckend. 
Da, wo er liegt, 
fehlt die ent- 
sprechende fin- 
gerbreite 
Strecke des pe- 
etoralis, der dort 
also das sternum 
nicht erreicht. 
11 — | _ ein- in sternocleido- 
seitig. mastoideus. 
*112) 96 _ Enters. | beide. [rechts 6. Rippen-'rechts mit brei-, unsymmetrisch. 
knorpel. ter Sehne in der 
Fascie des pecto- 
ralis,. mit einer 
vom medialen 
Rand abgezw. 
dünnen Sehne 
zum sternoclei- 
domastoideus. | 
links Fascie des| links Mitte des 
pectoralis, Nähe manubrium ster- 
des untern Ran- ni nahe dessen | 
des desselben. | oberem Rande. 


*) Die drei Fälle 109 bis 111 verdanke ich einer Privatmittheilung des Herın Professor LawDo1s 


29* 


438 Dr. Kırı BARDELEBEN. 
E& En ne Ursprung. Ansatz. | Bemerkungen. 
un ri 
AuE 
113) 96 BereMmann.| beide. [rechts 6. Rippen-rechts 3. Rippen-| Kreuzung. 
knorpel rechts. | knorpel links. 
links 6. Rippen-|links 3. Rippen- 
knorpel links. | knorpel rechts. 
114| — | Merker. | beide. | medialer Rand [gemeinsame Seh-| Kreuzungsstelle: 
des pectoralis. ne vor dem obern.der Sehnen war 
Rande des ster-, durch lockeres 
num, aus der der Bindegewebe an 
sternomastoi- | das Brustbein 
deus entsprang.| befestigt. Vom 
lateralen Rande 
des rechten, wie 
vom medialen 
Rande des linken 
sternalis zweigte 
sich ein schmales 
Bündel ab, jenes. 
in die Fascie 
d. gleichseitigen 
pectoralis, dieses 
in die Beinhaut 
des Brustbeins 
sich inserirend. 
115| — | HeExLE. | rechts. | Rectusscheide Imusculös zu den] 2 mm. breite 
rechts. von der 2. Rippe Mittelsehne, die 
stammenden Fa-| im Bogen vor 
sern des linken | dem Brustbein 
pectoralis. hinwegging. 
116) 98 BB: beide. ? ? „very muscular' 
PERRINn. | male“; nähere 
Angaben fehlen. 
*117| 100 | - Cuup- beide. |von einer aus der rechts 3. Rippen-| Liegt zwischen 
ZINSKI. Verschmelzung |knorpel, links 5.den beiden mus- 
der beiden Seh-| Rippenknorpel. | ceuli pectorales 
nen des sterno- majores, „dont 
cleidomastoideus, les tibres les plus. 
gebildeten Seh- superieures s’at- 
ne, die sich in tachent sur les 
Höhe der 2.Rippe cötes de la par- 
in zwei Muskel tie superieure du 
theilte. tendon du muscle 
presternal.“ 
118 K. Barpe- | eins. | Rectusscheide. | sternocleidoma- 
LEBEN. stoideus. 
119 _ links. | Rectusscheide recht. sternoclei- R 
links. domastoideus. 
120 — beide. Rectusscheide. Sehnenblatt vor 
demsternum, das 
ı mit den Fasern 
‚beider pectorales 
zusammenhängt. 


® 
Die in Tabelle A. mit einem Stern (*) versehenen Fälle (5, 12, 18, 19, 25, 36, 37, 65, 109, 112, 117) 
sind beiderseitig, aber unsymmetrisch. 


Der Musculus sternalis. 


Zur Erleichterung der Uebersicht folge hier: 


Tabelle B. 


Beobachter. sternum. 
CABROLIUS. |oberer Theil. 
Douvstas. — 
.ÄNONYMUSs. sup. med. 
fr premier os. 
ou Pvy. \ 
E 
WEITBRECHT. | ex osse sum- 
mo sterni. 
DE LA FAYE. — 
P) 
WILDE. neben proc. 
xiph. 
HALLER. — 
BOERHAVE. 
— pars sup. 
sternl. 
(i& = 
lı. 
HUBER. a supremo 
i sterno. 
BOURIENNE. 
PorTaLr. 
Bonn. 
ALBIN. —_ 
ISENFLAMM. \ 
no membrana 
ROSENMÜLLER. \ sternum teg. 
l. ? 
BRUGNONE oberer Thelıi. 
(doppelt). Jjoberes Drittel. 
CROUZET 
(4 fach). 
LoscHG6e. manubrium. 
KErcH. _ 
(5 
ı. 
OTTO. 


Rippen. 


sfP). 
ie 
Dar Kopl. 


2. Kpl. 
1.7. Kpl. 


4. (5.) 
3. 

7. Kpl. 

5. Kpl. 
Tl. 


ie 
5. Rkpl. 


3. Kpl. 
6. 
6.u.7. Kpl. 
4 Kpl. (?) 


8. 
6. Kpl. 


.7.Kpl. 


. Kpl. 
. Kpl. 


5 
6 
6. Kpl. 
5. Kpl. 


2. 
6. 
2. 
6. 


elavi- 
cula. 


st.-cl.- 


mast. 


pecto- 
ralis. 


Fascie des 


pectoralis. 


439 


Aponeur.d. 
oblig. oder 
Rect.-Sch. 


rectus. 
Haut. 


Gelenk- 
kapsel. 


In den Rubriken ist durch Striche (—) oder, wo es wünschenswerth schien, durch nähere Bezeichnung ange- 
geben, mit welchen Theilen der betreffende Fall in Zusammenhang stand. 


440 Dr. Karı BARDELEREN. 


un 
er 
N 1. Beobachter. sternum. Rippen. 3 & 
Be 
29 OTTo. | 5. Kpl. — 
30 _ —_ 
31 MEcKEL. 4. — 
32 — 4, — 
33 — 3: — 
34 — manubrium. 7% 
35 —_ — 6. Kpl. _ 
36 fe l. manu- | 6.Kpl. 
und — brium. —- 
37 ü 7. Kpl el 
38 LAUTH. Kpl. — _ — _ 
39 HALLETT. 3. Kpl. _ 
40 = — 4.—6. Kpl. = 
manubrium 
41 _ und Kpln. _ _ 
proe. xiph. 
43 . — 3.—8. Kpl at 
bıs GRUBER. { 12 mal. _ allein 
61 a 14mal.|3mal. — |u.and. 
62 DENUc£. 4.u.5.Kpl. _ 
64 BUDgeE. 6. Kpl. = 
T lat. Seh- 5. = 
65 | HALBERTSMA. I nen- r u. 6. 
1. med.) blatt, 6 Kpı. & 
66 | CALORI. manubrium. /3.—6. Kpl. = 
67 U. 2 mal. 15.—-6. Kpl. 
\ 6.R. 
bis TURNER. | 7 K ] 13 mal. —_ 
87 \eeKpl: 
J. 11 mal. 15mal. 4mal.| — 
88 TURNER. v.5.u.4 
zur I. 
89- _ v. 4. zur 1. 
90 — 4.8.2.2. 1. 
102 Woon». manubrium. — —_ ? 
103 — manubrium. ? — 
> T. jSehnen- U a 
109 Lanpois. streifen - 17 nn ? 
l (I st. ha U. — 
110 - 2.—4. Kpl er 
111 —_ — 
no | U. 6. Kpl: J. — 
112 EHLERS. | J. manubr. — 
1 | U. — 
113 | BereMmaAnn. en (kreuzweise.) | 
114 MERKEL. periost. u an 
115 HENLE. Tu = 
117 | Onunzusser. |} L 5 Ki U = 
118 [K. BARDELEBEN. a — 
119 —_ | — _ 
120 — | _ 


Die in Tabelle B. gebrauchten Abkürzungen bedürfen wohl erst keiner weiteren Erklärung, U. ist für Ur- 
sprung, I. für Insertion gesetzt, Ein horizontaler Strich bedeutet eine Anheftung an den betreffenden Theil; die 
Zahlen in der Colonne „Rippe“ sind Ordnungszahlen, also 3, = dritte Rippe. 


Der Musculus sternalis. 441 


Aus diesen Tabellen lassen sich eine Menge interessanter und 
wichtiger Resultate entnehmen. Was zunächst die Betheiligung der 
Geschlechter an dem Vorkommen des sternalis betrifft, so finden wir 
unter den 52 Fällen, wo das Geschlecht angegeben, 27 Männer und 
25 Weiber, also, falls wir voraussetzen dürften, dass in den nicht an- 
gegebenen Fällen ein gleiches Verhältniss obgewaltet hätte, — und 
wenn wir ferner annehmen dürften, dass überhaupt männliche und 
weibliche Leichen in gleicher Anzahl zur Untersuchung gekommen 
sind, — eine ziemlich gleich starke Betheiligung beider Geschlechter. 
Nun dürfen wir aber meines Erachtens keine der beiden Voraus- 
setzungen pure annehmen; es ist höchst wahrscheinlich, dass die 
grosse Mehrzahl der Fälle, wo kein Geschlecht angegeben ist, Männer 
waren, dass also die Zahl der an solchen gemachten Beobachtungen 
sich absolut höher, als die an Weibern stellen dürften — anderseits 
ist aber nicht zu vergessen, dass überall mehr männliche Cadaver als 
weibliche seeirt werden, — und somit glaube ich, dürfte sich aus der 
absoluten Mehrzahl schliesslich doch eine relativ gleiche Zahl für 
beide Geschlechter ergeben. 5 Fälle stammen von Kindern (13, 28, 
35, 43 bis 61 2 Fälle). 

Sehr interessant ist das relativ sehr häufige Vorkommen des 
sternalis bei aussereuropäischen, resp. nichtkaukasischen Racen. Wir 
haben hier die sehr beträchtliche Zahl von 5 Fällen, die in Hinsicht 
‚auf die ausserordentliche Seltenheit der Section eines Nicht - Kau- 
kasiers bei uns zum Nachdenken auffordert und auch schon MECKEL 
zu Reflexionen veranlasst hat. Dieser sah selber den sternalis bei 2 
Negern (Fall 36 und 37), was ihn zu der theilweise recht unwissen- 
schaftlichen Bemerkung veranlasste (Lit.-Verz. No. 54, S. 234): „so 
scheint er, nach den erwähnten Thatsachen zu schliessen, beim Neger 
häufiger vorzukommen, als beim Europäer, was insofern nicht un- 
wichtig wäre, als dieser Muskel offenbar, wenn er gleich über 
dem Brustmuskel liegt, eine Andeutung des bei den meisten 
Thieren Statt findenden Hinaufreichens des geraden Bauchmuskels 
bis zu den oberen Rippen ist.“ Weiter unten werden wir sehen, 
dass die MEcker’schen Fälle 36 und 37 mit dem rectus abdominis 
absolut gar nichts zu thun haben, dass aber vielleicht, in allerdings 
ganz anderer Weise, der dieser MECKEL’schen Aeusserung zu Grunde 
liegende Gedanke der Thierähnlichkeit aufrecht erhalten werden kann. 

Fall 13 betrifft ein Zigeunerkind („ex eo genere erronum, quos 
Cingaros seu Aegytios vocant“). Die Zigeuner mögen nun sein, was 
sie wollen, höchst wahrscheinlich kann man sie in einer später näher 
zu erläuternden Weise als eine den Thieren „näher stehende“ Race 


442 Dr. KARL BARDELEBEN. 


betrachten. — Bonn’s Fall rührte von einem Aethiopen her, nähere 
Angaben, als die in der Tabelle vermerkten, fehlen, s. SANDIFORT, 
Lit.-Verz. No. 27, S. 82 fl. Aus neuerer Zeit stammt der Fall von 
CHuDzinskı (Lit.-Verz. No. 100), von einer nögresse d’Angola, die 
gleichzeitig ein abnormes 3. Bündel des sternocleidomastoideus hatte. 

Ob wir schon jetzt berechtigt sind, Unterschiede in der Häufig- 
keit von Muskel-Varietäten überhaupt, wie speciell unseres sternalis, 
bei den verschiedenen Hauptstämmen der Indogermanen: der Celten, 
Germanen, Slaven und Romanen zu statuiren, erscheint mir in An- 
betracht des an sich hierfür zu geringfügigen Materials und besonders 
wegen des häufigen Fehlens einer Angabe über die Gesammtzahl der 
zur Untersuchung gekommenen Leichen durchaus zweifelhaft. MacaA- 
LISTER (Lit.-Verz. No. 90) wollte Unterschiede in den Angaben von 
GRUBER (Slaven), Woop in London (Germanen) und seine eigenen 
in Dublin (Celten) gefunden haben — aber abgesehen davon, dass 
gewiss keiner der drei genannten Forscher nur Leichen von der be- 
treffenden Race unter den Händen gehabt haben mag, sind auch die 
dort angeführten Zahlen alle zu klein, um daraus eine Statistik machen 
zu können. Bei unserem sternalis ist dies aber erst recht der Fall; 
nicht einmal für die verschiedenen Formen desselben (cf. u.) wage ich 
ein definitives Häufigkeitsverhältniss. anzugeben, noch viel weniger 
kann ich dies thun in Bezug auf das Vorkommen bei verschiedenen 
Völkern, da hier weder Zähler noch Nenner des Bruches auch nur 
mit annähernder Sicherheit bestimmt werden kann. 

Wenn ich nun näher auf das specielle Verhalten des sternalis, 
zunächst die Frage nach der Vertheilung auf die Körperseiten, ein- 
gehe, so ergiebt Tabelle A, dass der Muskel unter 102 mit hierauf 
bezüglichen Angaben versehenen Fällen: 


rechts in 36 F. 
links in 20 E. 
beiderseits in 43 FE. 


einseitig (ohne nähere Angabe) in 3 Fällen vorkam. In nicht weniger 
als 18 Fällen überschritt derselbe entweder nur von einer Seite her. 
oder auch von beiden Seiten her kreuzend die Medianlinie. Vielleicht 
müssen wir, wenn wir diesen Punkt ganz streng auffassen, 3 Fälle, 
nämlich 64 (Bunge), 65 (HALBERTSMA) und 120 (mein letzter Fall) 
aussondern, wo das Ueberschreiten der Medianlinie ebenso als eine 
Vereinigung in einem unpaaren, vor dem sternum gelegenen, Sehnen- 
blatte aufgefasst werden kann; anderseits fand aber auch wohl in 
dem einen Falle von GRUBER, 44 bis 62 unter: „Ansatz“ alinea 4 


Der Musculus sternalis. 443 


(m. bicaudatus), sowie in dem Falle von CArorr (67) ein Ueber- 
schreiten der Medianlinie statt. 

Einseitig, aber doppelt, ist Fall 20, einseitig und 4fach Fall 21. 
Das bei unserem Muskel so relativ häufige Ueberschreiten der Median- 
linie steht in der ganzen Morphologie so einzig da, dass es nicht zu 
verwundern ist, wenn man, ohne einen derartigen Fall gesehen zu 
haben, gestützt auf das Gesetz der Antimerie (Homotypie) der Körper- 
‘ hälften, die Möglichkeit eines derartigen Vorkommens überhaupt in 
Abrede stellen konnte. Nun, dass das Ueberschreiten der Medianlinie 
Seitens unseres Muskels nicht nur möglich, sondern in mindestens 15 
Fällen bereits beobachtet worden ist, zeigt ein Blick auf die Tabelle 
(ef. No. 25, 86, 37, 41, 48 bis 61 2 Fälle, 68 bis 88 5 Fälle, 114— 
116, 120). Und stände mir auch nicht die grosse Anzahl fremder 
Beobachtungen zur Seite, so würde mir doch schon mein eigener Fall 
(119), für den ich Herrn Prof. SCHWALBE in ‘Jena als Augenzeugen 
anführen kann, genügen, um eine Ausnahme von dem Gesetze der 
Antimerie zu statuiren und wenn von anderer Seite ein derartiges 
Gesetz als ausnahme-unfähig, analog einem mathematisch -physika- 
lischen, hingestellt wird, das „Gesetz“ als von wirklich beobachteten 
Thatsachen für durchbrochen ober umgestossen zu erklären. — 

Bei näherer Betrachtung der von mir in den Tabellen möglichst 
kurz und präcis angegebenen Ursprungs- und Ansatzstellen des Mus- 
kels, sowie aus den (unter „Bemerkungen‘) verzeichneten sonstigen 
besonderen anatomischen Verhältnissen ersieht man bald, dass die 
Bezeichnung sternalis ein ganzes Conglomerat von anormalen Bildungen 
umfasst, die sich erst bei Betrachtung einer grösseren Anzahl von 
Fällen, wie ich sie hier zusammengestellt habe, in Gruppen sondern 
lassen. Schon die grosse Anzahl von Bezeichnungen, wie sternalis, 
praesternalis, episternalis, sternalis brutorum, reetus thoracieus oder 
thoraecis, rectus sterni, rectus sternalis, accessorius ad reetum, lässt 
vermuthen, dass wir es mit heterogenen, künstlich in eine Rubrik 
zusammengefassten Gebilden zu thun haben. — Es wird nun meine 
Aufoabe sein, zu zeigen, dass der Begriff Sternalis in mehrere, 
durchaus wesentlich verschiedene aufzulösen ist. 

Zunächst haben wir diejenigen, sehr seltenen Fälle, auszusondern, 
welche wirklich als Fortsetzung des Rectus abdominis über seine nor- 
male Insertion hinaus (beim Menschen bekanntlich 5.—7. Rippe), also 
als eine Varietät des Rectus, die ihr Homologon in dem Thierreiche 
hat, aufzufassen sind. Es gehören hierher ein Fall von BOERHAVE 
(10), 3 Fälle von TuRNER (89 bis 91) und die Fälle 31 bis 33 von 
MECKEL, wenn wir seine Worte (Lit.-Verz. No. 47, $. 38) wörtlich 


AA Dr. KırL BARDELEBEN. 


nehmen dürfen. Er sagt 1. c.: „status minime a fabrica normali re- 
motus est, ubi rectus abdominis solito longior evadit. Hanc formam 
nonnumquam vidimus, ut rectus in duobus casubus ad quartam, in 
tertio ad tertiam usque costam adscenderet.“ — 

Im Ganzen haben wir also 7 Fälle!), die wirklich eine Fort- 
setzung des rectus abdominis, eine Varietät dieses Muskels darstellen; 
andere Fälle, die nach oberflächlicher Uebersicht auch eine Fortsetzung 
des Rectus zu sein scheinen, sind es durchaus nicht, der Rectus der 
Thiere liest in seinem vorderen Theile, dem die hier in Frage stehende 
Varietät homolog ist, stets bedeckt durch die Brustmuskel, niemals 
oberflächlicher als die musculi pectorales.. Es haben also alle Ge- 
bilde beim Menschen, welche von der Rectusscheide entspringen resp. 
in sie übergehen und die weiter oben sämmtlich vor dem pectoralis 
major liegen, mit dem rectus abdominis absolut nichts zu thun, weder 
mit dem des Menschen, noch dem anderer Wirbelthiere. 

Der Rectus abdominis verhält sich übrigens innerhalb der Wirbel- 
thiere verschieden.?) Während er bei Amphibien in den Sternohyoi- 
deus übergeht und noch in einiger Verbindung mit dem pectoralis 
major, also der Extremitäten-Muskulatur, steht, reicht er bei Vögeln 
nur bis zum hinteren Ende des sternum, kommt also dort bereits, wo 
ja überhaupt wegen der freieren Entwicklung der vorderen Extremität 
viele Aehnlichkeiten mit dem Menschen sich finden, dem Verhalten 
bei letzterem nahe. Bei den Säugethieren sehen wir den Rectus ent- 
weder ununterbrochen oder aber mehr oder weniger unterbrochen, sich 
bis zur ersten, resp. zu den ersten Rippen erstrecken. In letzterem 
Falle stellt sich sein oberes Ende als besonderer Muskel dar, der 


l) Die Fälle 4, 14, 15, 18 resp. rechne ich, als durchaus unzuverlässig, nicht 
hierher. Wenn von Fall 4 gesagt wird: „oblique supra musculum reetum‘“ ver- 
laufend und dann: „fibras cum illis musculi reeti confundens“, so kann hier nur 
die Rectusscheide gemeint sein, die wohl auch in den übrigen Fällen mit dem 
eigentlichen Muskel selbst verwechselt worden ist, zumal sie in dieser oberen 
Gegend meist dünn ist und bei nicht ganz frischen Präparaten, besonders wenn 
sie an den dahinter liegenden Muskeln angetrocknet ist, sehr wenig in die Augen 
fällt. Auch den betreffenden Angaben bei Fall 14, 15 und 18 kann ich keine 
Zuverlässigkeit vindieiren, da ich nicht recht weiss, wie ein vom sternocleido- 
mastoideus entspringender, also vor dem pectoralis major liegender Muskel zu 
den Fasern des rectus gelangen soll; zumal bei Fall 18, wo „beide Muskeln vor 
dem sternum durch eine Sehnenhaut zusammenhängen“. .Die Quelle für Por- 
tar’s Fall, Juppın’s Mittheilung (Lit.-Verz. 25) ist überhaupt wegen ihrer ten- 
denziösen Färbung mit Vorsicht aufzunehmen. 

2) Die folgenden Angaben beruhen grossentheils auf eigenen Untersuchungen, 
theilweise sind sie den Werken über vergleichende Myologie, soweit möglich 
aber auch erst nach eigener Kritik, entnommen. 


Der Musculus sternalis. 445 


manchmal nur noch mittelbar mit dem Rectus zusammenhängt, sowie 
von der sagittalen Richtung dieses letzteren abweicht. Ob wir dann 
überhaupt noch berechtigt sind, dies Gebilde als Fortsetzung des Rectus 
zu betrachten, erscheint fraglich. Mögen wir dies nun aber thun oder 
lassen, jedenfalls finden wir bei sämmtlichen Säugethieren (soweit die 
bisherigen Untersuchungen reichen) den rectus abdominis weiter nach 
vorn sich erstrecken, als beim Menschen. So geht er bei herpestes 
und didelphys bis zur 2. und 1. Rippe, wo er sich fleischig inserirt 
(HALBERTSMA Lit.-Verz. 79), ebenso (GuRLT Lit.-Verz. 117, S. 279), 
noch bis zur 1. Rippe beim Hund; anders HALBERTSMA, der diese 
vorderste Portion des Rectus als Transversus costarum auffasst, der 
aber nach GURLT noch ausserdem vorhanden ist. 

Bei lutra und cereopitheeus (macacus cynomolgus) wird der 
Rectus in der Gegend der vorderen Rippen häutig und geht bis zur 
Höhe der 1. Rippe, ohne dem transversus costarum Ursprung zu geben, 
der hier, wie bei herpestes und didelphys selbstständig (unabhängig 
vom Rectus) ist. Jedoch findet sich bei cercopithecus eine beide 
Muskeln verbindende Aponeurose (HALBERTSMA). Meiner Ansicht nach 
kann man die dünne, sehnige Fortsetzung des Rectus beim Hunde 
vom 4. Intercostalraum vorwärts, die sich von hier schräg nach aussen — 
vorn bis zur 1. Rippe erstreckt, nicht mehr als rectus abdominis be- 
zeichnen, sondern muss dieselbe als besonderen Muskel auffassen, der 
mehr einem obliquus ext. (intercostal. ext.) als Rectus entspricht und 
den wenig bezeichnenden Namen „transversus“ costarum mit sehr zwei- 
felhaftem Rechte führt. 

Bei antilope, eapra, hircus, felis, papio (cynopithecus) niger läuft 
der Muskel nach vorn in eine Sehne oder Aponeurose aus, die sich 
am Brustbein entlang erstreckt und sich von diesem, sowie den Sternal- 
enden des betreffenden Rippenknorpels befestigt. Dort geht das Sehnen- 
blatt in einen neuen Muskel über, den von GURLT (zunächst für die 
Haussäugethiere) sogenannten transversus costarum. .Dieser Muskel, 
den ich auch (s. 0.) bei canis domesticus, lepus caniculus, cavia cobaya 
und vespertilio murinus fand, entspringt bei antilope, capra, canis, 
cynopithecus aponeurotisch, bei felis fleischig vom Ende des Rectus !) 


I) Genaue Untersuchungen an zwei auf der hiesigen Anatomie, grossentheils 
schon präparirt vorgefundenen Affen, welche ich mit grösster Wahrscheinlichkeit 
als cebus capueinus und. cynopithecus niger bestimmte, ergeben: bei cebus gehen 
die Muskelfasern des Rectus bis zur 3. Rippe, dort wird er sehnig und steigt 
senkrecht bis zur 1. Rippe auf; der transversus costarum entspringt vom 2. Inter- 
costalraum an, etwas über der Grenze zwischen Muskel und Sehne des rectus, 
geht mit schräg aufsteigenden Fasern nach aussen, wird durch Convergenz der- 


446 Dr. Kırı BARDELEBEN. 


und befestigt sich, schräg nach aussen und vorn aufsteigend an der 
ersten oder den ersten Rippen. Auch bei herpestes und didelphys 
ist derselbe vorhanden, entspringt dort jedoch, vom Rectus unabhängig, 
vom Brustbein. Bei lutra, macacus geht der Rectus (HALBERTSMA) 
bis zur Höhe der 1. Rippe, ohne dem transversus, der hier, wie bei 
den soeben genannten beiden Thieren, selbstständig auftritt, als Ur- 
sprung zu dienen. Bei macacus hängen jedoch die Aponeurosen beider 
Muskeln zusammen. Beim Pferd, Rind, Schwein ete., kurz den sog. 
Haussäugethieren (s. 0. Ausnahmen) geht der Rectus bis zur 4. Rippe; 
der transversus costarum bildet einen platten, sehnig-Heischigen Muskel, 
der von tiefen Brustmuskeln bedeckt wird, an der äusseren Fläche 
der 1. Rippe unter der Ursprungssehne der unteren Rippenhalter ent- 
springt, schräg nach hinten und unten geht, und sich an den Knor- 
peln der 2., 3. und 4. Rippe befestigt. Mit seinem oberen und hin- 
teren Theile geht er direct in den geraden Bauchmuskel über, weshalb 
man ihn beim Pferde als eine Fortsetzung des letzteren ansehen kann. 
Beim Rinde ist er breit und reicht bis zur 6. Rippe, bei den übrigen 
Haussäugethieren, mit Ausnahme des Hundes (s. o.), wo er die Ur- 
sprungssehne des Rectus bedeckt und an den Knorpeln der 5—6 ersten 
Rippen endet, verhält er sich im Wesentlichen wie beim Pferde. Bei 
Katze, Otter, Biber, Stachelschwein geht der Rectus bis zur 1. Rippe, 
(TURNER), beim Kaninchen fand ich denselben bis zum 2. Intercostal- 
raum reichen (KRAUSE: 2. Rippe), woselbst er schräg wird, mit dem 
Sternum zusammenhängt und sich in den transversus costarum bis 
zum 1. Rippenknorpel festsetzt. Bei der Hyäne geht der Rectus nur 
bis zur 4. Rippe, wenn die bezüglichen Angaben von REIMANN (Spi- 
eileg. observat. anat. de hyaena. Dissert. Berol. 1811) richtig sind. — 

Es sei an diesem Orte erwähnt, dass ich beim normalen Menschen, 
zumal muskelstarken, in der Gegend der über dem Rectusansatz ge- 
legenen Intercostalräume öfters fibröse Fasern fand, welche einem höher 
-hinaufreichenden Rectus abdominis entsprachen, da sie nicht die schräge 
Richtung der ligg. corruscantia hatten, sondern vor denselben verlaufend 
senkrecht aufstiegen. Ich setze dies Gebilde in Parallele mit jenem 
bei verschiedenen Individuen gleichfalls verschieden stark entwickelten 
Sehnenblatte zwischen serrat. post. super. und infer. Vielleicht kön- 
nen wir ersteres wie letzteres als Homologon eines bei Thieren vor- 


selben schmaler und endet an der 1. Rippe. Bei eynopithecus gehen die Rectus- 
fasern bis zur 4. Rippe, der Ursprung des transversus costarum reicht bis zur 
oberen Grenze der Rectussehne hinauf, derselbe ist also breiter wie dort. Im 
Uebrigen verhält sich hier Alles ebenso. 


Der Musculus sternalis. 447 


handenen Muskels (dort der unteren, hier der oberen Partie der Rumpf- 
wand) ansprechen. 


Fassen wir obige Beobachtungen zusammen, so ergiebt sich das 
Resultat (allerdings bedarf es zu einer definitiven Erledigung dieser 
Frage noch weiterer ausgedehnter Untersuchungen, die aber doch erst 
in langen Zeiträumen gewonnen werden könnten), dass der Rectus bei 
den meisten Säugethieren (auf die anderen Classen darf man wohl 
kaum zurückgehen) sich bis zur 4. Rippe, bei einigen noch weiter 
nach vorn erstreckt resp. an den vorderen Rippen in den transversus 
costarum mehr oder weniger direct sich fortsetzt. 


Werfen wir jetzt einen Blick auf die hierher gehörenden Fälle 
in der Tabelle: in Fall 10 erstreckt sich der Rectus bis zur 3. Rippe, 
ebenso in Fall 33, bei 31—32 bis zur 4. Rippe, — in allen diesen 
4 Fällen wird die Varietät als Fortsetzung des Rectus abdominis be- 
zeichnet, wir haben somit hier eine dem normalen Zustande bei vielen 
Thieren entsprechende Abnormität, die in Fall 10 „in corpore juvenis 
eiganteo“ bestand. | 


Die 3 Fälle von TURNER (885 — 90) entsprechen einigermassen 
einem selbstständigen transversus costarum; alle 3 haben das Gemein- 
same, dass sie an der 1. Rippe inseriren, während die Ursprünge von 
der 5. bis zur 2. Rippe variiren. TURNER selbst nennt den Fall 88 
(Lit.-Verz. 85) reetus thoraeis. — 


HALBERTSMA hat für den ihm, wie es scheint, allein bekannten 
Fall von BOERHAVE (10) den Namen accessorius ad rectum vorge- 
schlagen. Auch ich halte diese Bezeichnung für diese Fälle für 
passend, die TURNER’schen könnte man, da der Name doch einmal 
adoptirt ist, als transversus costarum bezeichnen. 


Ausser den mit dem Rectus resp. transversus costarum der Thiere 
zu vergleichenden Fällen findet sich dann noch eine kleine Reihe von 
meist wenig genau beobachteten Fällen, für die ich allenfalls eine 
Homologie in dem Thierreiche anerkennen könnte, obgleich, wie ich 
nachweisen werde, diese von TURNER aufgestellte Muthmassung auf 
weit schwächeren Füssen steht, als für die eben betrachteten Fälle. 
Es sind dies diejenigen Fälle, die, ohne mit dem Rectus, dem sterno- 
cleidomastoideus und dem pectoralis major zusammenzuhängen, vor 
dem letzteren, also zwischen ihm und der Haut gefunden wurden. 
Man könnte derartige Fälle in Parallele setzen mit dem Hautmuskel 
der Thiere und erscheint es nothwendig, um die Berechtigung hierzu 
prüfen zu können, die einschlagenden Verhältnisse näher ins Auge 
zu fassen. 


448 DR. KırL BARDELEBEN. 


Meiner Ansicht nach ist der sogenannte sternalis brutorum !) 
des Frosches, abgesehen davon, dass der Frosch überhaupt selbst für 
die begeistertsten und phantasievollsten Anhänger der Descendenz- 
theorie recht wenig verwandtschaftliche Momente mit den Säugethie- 
ren, speciell dem Menschen aufzuweisen haben dürfte, durchaus nicht 
hierher zu ziehen. Die Hautmuskulatur tritt erst bei höheren Wirbel- 
thieren auf, sie ist also als eine Differenzirung zu betrachten, „für 
welche die Skelettmuskulatur wahrscheinlich den Boden bildet“ (GEGEN- 
BAUR |]. c. S. 706). Wir können aber den Sternalis des Frosches 
kaum als eigentlichen Hautmuskel betrachten, um so weniger, als bei 
höheren Wirbelthieren an dieser Stelle des Körpers sich niemals ein 
Hautmuskel vorfindet. Soweit wenigstens meine Kenntniss der Lite- 
ratur und eigene Untersuchungen reichen, lässt der grosse Brust- und 
Bauchhautmuskel der höheren Wirbelthiere gerade jene Stelle, wo 
beim Frosch der „Sternalis“ sich befindet, frei; er lässt aber ebenso 
frei diejenigen Stellen, wo wir beim Menschen den Sternalis finden, 
speciell jene Punkte, wo die hierher gehörenden Fälle No. 12, 19, 36, 
37, 112 und der vorletzte von TURNER 67 bis 37 beobachtet wurden. 

Der fragliche Hautmuskel entspringt (GÜNTHER 1. c. S. 138) 
mit breiter Aponeurose von den ligg. interspinalia und geht in den 
Schulterhautmuskel über ete. Am oberen Rande des pectoralis major 
zweigt sich eine Sehnenplatte von dem Muskel ab, die mit jenem 
unter den Vorderschenkel tritt, mit ihm verläuft und endet. Ferner 
entspringt der Muskel mit seiner Aponeurose auf dem pectoralis major 
und an der linea alba und geht von da nach hinten zum hinteren 
Schenkel. GURLT unterscheidet einen Gesichts-, Hals-, Schulter- und 
Bauchhautmuskel und sagt von letzterem, dass er mit dem pectoralis 
major weiter nichts zu thun habe, als eine gemeinsame Anheftung 
am Humerus: ein „tieferes markirtes Sehnenblatt tritt am oberen 
Rande des grossen Brustmuskels an die innere Fläche des Vorder- 
schenkels, verläuft mit dem grossen Brustmuskel und endigt mit ihm 
am Armbein“ (l. c. S. 820). 

Auch an den von mir untersuchten Thieren fand ich die Haut- 
muskellage nach vorn und medianwärts den pectoralis major nur 
soweit überziehen, dass dessen weitaus grösster Theil und zwar, worauf 
es hier vor Allem ankommt, derjenige Theil, wo Sternalis beobachtet 
wird, frei blieb. 


1) So bezeichnet ihn M. FÜRBRINGER. Ducks nennt ihn „abdomino-guttural“, 
KLEIN: „abdomino-cutaneus‘“, ZENKER: „subeutaneus pectoris“, ECKER: „cutaneus 
pectoris“ (ef. Lit.-Verz. 107, 110, 114). 


. Der Musculus sternalis. 449 


So lange nun nicht, was doch unwahrscheinlich ist, nachgewiesen 
wird, dass es höhere Wirbelthiere, speciell Säugethiere giebt, bei denen 
auch die fragliche Gegend der Brust mit einem Hautmuskel über- 
zogen ist, können wir kaum unsere obigen Fälle als Homologon eines 
solchen betrachten resp. dieselben als Rückschlag, Atavismus, Resi- 
duen bezeichnen. Dagegen sprechen ferner noch zwei Punkte. Erstens 
liegen derartige Sternalisfälle tiefer, als ein Hautmuskel liegen würde 
und zweitens ist ja bekannt, dass schon das Aussehen eines Haut- 
muskels, sein ganzer Habitus ein so auffälliger ist, dass wir in den 
betreffenden Literaturangaben füglich eine Bemerkung darüber zu er- 
warten hätten. Ich finde deren aber nicht. Weder die Blässe des 
Muskels noch seine besondere Dünnheit wird hervorgehoben. 


Sollte aber- auch durch spätere Entdeckungen die Möglichkeit 
einer Homologie an dieser Stelle nachgewiesen werden, so könnten 
wir dann allenfalls diese wenigen (6) oben genannten Fälle hierher 
rechnen. Die anderen Fälle aber von Sternalis, an denen ich auch 
nicht die geringsten Kriterien eines Hautmuskels entdecken konnte, 
mit diesen zu vergleichen, wie TURNER geneigt ist, halte ich für ganz 
unrichtig. Muss doch TURNER selbst hervorheben, dass der Sternalis 
tiefer liege als ein Hautmuskel. 


Die nicht in obige Kategorie gehörenden Fälle bilden aber die 
bei weitem grössere Mehrheit. Den 13 bisher betrachteten Fällen 
stehen, wenn wir von den 120 Fällen 20 aus sogleich anzugebenden 
Gründen absondern, über 80 entgegen, die wir als Varietät des 
sternocleidomastoideus oder des pectoralis major aufzufassen gezwun- 
gen sind. 


Als für specielle Untersuchung unbrauchbare Fälle streiche ich 
diejenigen, wo mir entweder sehr mangelhafte oder zweifelhafte oder 
wegen ihrer Allgemeinheit unbrauchbare Angaben begegnen; es sind 
dies die Fälle 2, 42, 63, 91—101, 104—108 und 116, in Summa 20. 
Sonach blieben gerade 100, von denen also obige 13 abgehen, der Rest 
87 ist demnach jetzt näher zu analysiren. 


Aus Tabelle B. ($. 439 £.) geht hervor, dass 55 Fälle mit dem 
sternocleidomastoideus und 21 Fälle mit dem pectoralis major in 
Verbindung standen, als Fortsetzung genannter Muskeln sich zeigten; 
zusammen macht dies 76 Fälle Von dieser Zahl müssen wir 4, die 
beiden Muskeln gemeinsam waren, abrechnen (23, 38, 109, 114), also 
72; bleiben von den obigen 87 noch übrig 15, die weder Hautmuskeln 
waren, noch mit rectus, pectoralis major oder sternocleidomastoideus 
direct zusammenhingen. Es sind dies die Fälle No. 1, 3, 5, 6, 9, 11, 


450 Dr. Kırı BARDELEBEN. 


16, 21, 26—28, 34, 39, 103, 113. Sehen wir uns auf Tabelle A. die 
bezüglichen Angaben näher an.!) 

Fall 1, 3, 5, 6, 11, 21, 34 und 103 enden alle (oder entspringen) 
am oberen Theil des sternum (manubrium, ex osse summo, premier 
08 ete.). Fall 26 an der Gelenkkapsel der Clavicula, also alle neun 
ganz in der Nähe des Ursprungs des sternomastoideus. Etwas tiefer 
am sternum begann Fall 9, 27, 23 an der 2. Rippe, also noch sehr 
nahe, und schliesslich an der 3. Rippe: Fall 16, 39 und 113. 

Aus neuerer Zeit stammen von den oben angeführten überhaupt 
nur die 4 letzten Fälle, alle anderen gehören älteren Beobachtern an 
und war es, da man früher doch wohl weniger exact beobachtete, 
wie ja schon ein Blick auf die erste Seite der Tabelle B. zeigt, bei 
vielen sehr möglich, dass Verbindungen, welche zwischen dem seh- 
nigen Ursprung des sternomastoideus mit dem oberen Ende unseres 
Sternalis bestanden, übersehen wurden. Bedenkt man, dass sich in 
dieser Gegend kaum sagen lässt, wo hört der sternomastoideus auf, 
wo beginnt peetoralis major, wo die membrana sterni ant. etc., so 
ist es wohl nicht zu kühn, auch obige Fälle, zunächst die vom oberen 
Theil des sternum kommenden, mit dem sternocleidomastoideus in 
Zusammenhang zu bringen. Und die membrana sterni, bekanntlich 
aus der Verflechtung der verschiedenen ligg. sternocostalia (radiata) 
gebildet, führt uns auch zu den Rippengelenken und Rippenknorpeln 
hin, sodass auch die beiden von dem 2. Rippenknorpel und die drei 
von dem 3. Rippenknorpel kommenden Muskeln sich hier ungezwun- 
gen anschliessen lassen. 

Bei der näheren Beleuchtung der äusserst mannichfachen Varia- 
tionen, denen die mit dem sternomastoideus zusammenhängende Kate- 
gorie unterliegt, werde ich mich indessen streng an diejenigen Fälle 
halten, wo ein direkter Uebergang nachzuweisen ist.2) 

Es fragt sich also, von wo kamen diese Muskeln oder, nach mei- 
ner Auffassung: wohin, bis wie weit hatte der sternomastoideus seinen 
Ursprung zurück — nach unten hin — verlegt, oder auch, woher 
bekam er Verstärkungsfasern, die wir manchmal als accessorischen 
„Kopf“ betrachten dürfen. 

Den einfachsten Fall, tieferen Ursprung des sternomastoideus am 
sternum, treffen wir unter den (s. Anm:) 26 Fällen 8 Mal (7, 8, 12, 


l) Ueber Fall 4 s. o. beim rectus. 
?) Leider sind die zahlreichen und genauen Beobachtungen von GRUBER und 
TuRNER in der Weise zusammengefasst mitgetheilt, dass es nicht möglich ist, 


dieselben (29 Fälle) hier zu verwerthen, sonach können nur die übrigen 26 Fälle 
in Betracht kommen. 


Der Musculus sternalis. 451 


22, 23, 41, 66 und 109), 4 Mal darunter gleichzeitig noch mit einem 
Bündel von Rippenknorpeln (12, 22, 41, 66). Von diesen allein (d. h. 
- zunächst nur: nicht vom sternum) 10 Mal (24, 25, 29, 35, 38, 62, 65, 
110, 112 und 117). 

Bis zur Rectusscheide hinab entspringen, falls ich die von älteren 
Autoren jedenfalls ungenau mit dem Reetus selber in Verbindung ge- 
brachten Fälle: 7, 14, 15 mitrechne (wozu Anmerkungen wie „couvrant 
le pect. maj.“ vollständig berechtigen, vergl. auch oben): 13 Fälle, 
nämlich 7, 12, 14, 15, 18, 23, 38, 41, 65, 102, 109, 118, 119, zu 
denen wohl noch als 14. Fall No. 8., wo als Ursprung „neben proc. 
xiph.“ angegeben ist, hinzukommt. — Combinirten Ursprung von 
Rippen und Rectusscheide nehmen: 12, 38, 41, 65, vom sternum 
und Rectusscheide: 12, 109. 

Weit seltener als eine Varietät des sternocleidomastoideus scheint 
der Sternalis eine solche des pectoralis major zu sein. Unter den 100 
Fällen haben wir 35 in die erste Kategorie gehörende Fälle, aber nur 
21 für die letztere. Wenn auch (und diese Bemerkung möge ein für alle 
Mal hier ihren Platz finden) die Zahlen nicht gross genug sind, um 
den Procentsatz der verschiedenen Kategorien bestimmen zu können, 
so sind sie doch immerhin gross genug, und ja die Verschiedenheit 
der von mir gesammelten Fälle eine so ausserordentliche, dass man 
doch ungefähr über die mannichfaltigen möglichen Fälle und ihr un- 
gefähres Häufigkeitsverhältniss ein Bild erhält. Von den eben ange- 
führten 21 Pectoralis-Fällen muss ich aus demselben Grunde, wie oben, 
die Fälle von GRUBER und TURNER aussondern, es bleiben also 14. 
Alle diese Fälle haben das Gemeinsame, dass nicht, wie so vielfach 
beim sternocleidomastoideus, der abnorme Ursprung vom ersten Theile 
(Knochen etc.) herrührt resp. über Zusammenhang mit einem solchen 
Statt findet, der dem pectoralis normal nicht zukäme, wie oben der 
sternomastoideus von Rippen und Rectusscheide entsprang — son- 
dern sie entspringen sämmtlich an auch normal dem pectoralis major 
zum Ursprunge dienenden Theilen, d. h. dem sternum, den Rippen 
und der Rectusscheide, aber sie entspringen entweder von Punkten, 
deren Lage den Verlauf von Muskelfasern abnorm macht, zu hoch 
oder zu niedrig, oder aber von der andern Körperseite. — Der 
Ansatz, oder allgemeiner: das andere Ende der Fasern ist meist ein 
durchaus abweichendes, sie können aber auch mit den Fasern der 
im Uebrigen normalen, oder auch sonstige Besonderheiten zeigenden 
(übermässig, theilweise doppelt etc. entwickelten) pectorales sich ver- 
einigen. Die bisher zar’ 2£0y7v so bezeichneten „Pectorales-Varietäten“ 


werden hier natürlich nicht einbegriffen. — 
Zeitschrift f. Anatomie. Ba. TI. 30 


452 Dr. KırL BARDELEBEN. 


Von den 14 Fällen (13, 17, 20, 21, 23, 36—38, 40, 64, 109, 114, 
115, 120) haben Zusammenhang mit der Rectusscheide 5 (17, 23, 109, 
115, 120), mit der Rippe 9 (13, 17, 20, 21, 36, 37, 38, 40, 64), mit 
dem sternum ebenso viel (meist dieselben Fälle, nur statt 38 und 
64: 23 und 109), zu denen dann vielleicht als 10. Fall 114 zu rech- 
nen ist. Fall 13 scheint mehr als indirekte Fortsetzung des sterno- 
mastoideus aufgefasst werden zu müssen, er kreuzt („decussabat“) die 
Fasern des pectoralis und endet an dessen unterstem Theile, vielleicht 
der Rectusscheide, oder liegt hier eine meinen Fall 119 oder 120 ähn- 
liche Erscheinung vor? Auch Fall 17 hat mit dem peectoralis nur 
nebenbei („etiam‘“) zu thun. In allen anderen 10 Fällen (die unter 
No. 38 sind nicht präcis genug charakterisirt) ist eine Ursprungs- 
anomalie von Pectoralisfasern zu erkennen, und in nicht weniger als 
8 von diesen 10 kommen letztere von der anderen Körperseite her, 
der linke pectoralis entspringt theilweise an einer für den rechten 
normalen Stelle und umgekehrt. Eclatant ist dies Verhalten in mei- 
nem Falle 120 (s. Fig. S. 425, wo dieses Verhalten auf der rechten 
Seite dargestellt ist), wo der pectoralis der einen Seite neben der nor- 
malen von der Rectusscheide stammenden Portion des gegenseitigen 
Muskels entsteht. Aehnlich haben sich entschieden die Fälle 36, 37, 
40, 64, 115 verhalten. 20 und 21 (nebenbei der eine doppelt, der 
andere vierfach) sind weniger prägnant. 

Meine Ergebnisse sind demnach folgende: 

1) Der Begriff: „Sternalis“ ist aufzulösen, aus der Anatomie zu 
streichen. 
2) Die bisher unter diesem Namen zusammengefassten Muskel- 
varletäten sind entweder Varietäten: 
a) des Rectus abdominis (7 auf 100) oder 
b) des Pectoralis major (21 auf 100) oder 
c) des Sternocleidomastoideus (55 auf 100) oder 
d) Hautmuskel (6 auf 100) oder aber Combination von c) 
und d). 
3) Bei b) und c) kommt etwa in einem Fünftel der Fälle ein 
Ueberschreiten der Medianlinie vor. 
4) a) und d) sind vielleicht Homologa von Vorkommnissen 
in dem Thierreiche, b) und ce) sind es nicht. — 

Was sind nun aber diese letzteren Fälle? Diese Frage führt uns 
naturgemäss zu der allgemeinen Frage, was sind und wie ent- 
stehen überhaupt Muskelvarietäten? 

Die Beantwortung dieser Frage erheischt vor Allem eine ganz 
genaue Sichtung der bisher trotz vielfacher genauer Beobachtungen 


Der Musculus sternalis. 453 


noch allzuwenig nach Prineipien, rationellen Gesichtspunkten geord- 
neten Muskelvarietäten. 

Es würde zu weit führen, hier diese Gesichtspunkte zu ent- 
wickeln. Vor Allem würde es aber augenblicklich unmöglich sein, 
an die Beantwortung der Cardinalfrage: „wie und warum entsteht in 
dem gegebenen Falle eine Varietät?“ zu gehen. Dies erfordert erst 
specielle Untersuchung über die Frage vom Wachsthum des Muskels, 
und zwar der normalen Entwicklung vom Jugendzustande zum er- 
wachsenen sowohl wie des Wachsens eines schon fertigen, erwachsenen 
Muskels bei besonderer Uebung (Hypertrophie oder Hyperpiasie?). Die 
Untersuchungen von B. RIEDEL (Untersuchungen aus dem anatomi- 
schen Institute zu Rostock, herausgegeben von FR. MERKEL. Rostock 
1874. S. 78) genügen zur Entscheidung darüber, ob eine Vermeh- 
rung oder Vergrösserung der Elemente Statt findet, oder ob dies 
- vielleicht bei den soeben bezeichneten zwei Arten von Wachsthum in 
verschiedener Weise geschieht, meines Erachtens nach nicht. 


Nr arerheue ar 0% 


Durch gütige Vermittelung des Herrn Prof. SCHWALBE hierselbst 
erhalte ich noch Skizze und Beschreibung eines Falles, den Herr Prof. 
Azpy in Bern beobachtete und dessen Veröffentlichung derselbe gütigst 
gestattet hat. 

Bei einem kräftigen männlichen Individuum entspringen beider- 
seits breite flache Muskelbündel von den vorderen Enden, links des 
5.—7., rechts des 2.—7. Rippenknorpels. Nach unten gehen beide 
in die Scheide des Rectus über. Oben vereinigen sich beide End- 
sehnen vor dem manubrium sterni zu einer einfachen, platten starken 
Sehne, die durch lockeres Gewebe an der Vorderfläche des Knochens 
geheftet, sich mit zwei Zipfeln in die beiden sternomastoidei fortsetzt. 
An die Sehne des linken Sternalis läuft ein Bündel transversaler 
Pectoralisfasern. 

Dieser Fall erinnert an Fall 109 von Lanpoıs, er gehört in die 
Kategorie der Varietäten des sternocleidomastoideus, abgesehen von 
dem kleinen Bündel Pectoralisfasern. Nach der Skizze zu schliessen, 
setzte der linke Sternalis den rechten sternomastoideus fort und um- 
gekehrt, — also auch hier eine, wenigstens mittelbare Kreuzung, eine 
Verdoppelung meines Falles 119. 


30* 


454 


Dr. Kırı BARDELEBEN. 


Von mir eingesehene 


Literatur der Muskelvarietäten. 


* bedeutet die auf den Sternalis Bezug habenden Schriften. In den mit ** bezeichneten sind Fälle- 


#323. 


"#24, 


von Sternalis beschrieben, 


Vesalii, Andreae, de humani corporis fabriea libri VII. Basil. 1542. 
1175927282. VabaNVeE 

Columbus, R., de re anatomica. Ven. 1559. 

acc. Joann. Posthii observat. anatom. Francof. a. Moen. 1593. 


- Cabrolius (Cabrol), Barthol., &Apaßntov averouızov, h. e. anatomes 


elenehus. Monspel. 1604. p. 96. 
Riolani, Joann., opera anatom. Lutet. Paris. 1650. Anthropograph. Lib. II. 
Cap. VIII, p. 83. 


. Rhodii, Joann., mantissa anatomica ad Thom. Bartholinum. Hafniae 


1656. p. 9. 
Tyson, Edw., Orang-outang, sive homo sylvestris, or the anatomy of a 
pygmie. London 1699. p. 84. R 


. Douglas, myographiae comparatae specimen. London 1707. p. 61. 
. daselbst: Anonymus, handschriftliche Bemerkung d. d. 28. Sept. 1726. 


Nosoc. Caritat. Paris. 
Douglas, deseriptio compar. muscul. corp. hum. et quadruped. Lugd. 
Bat. 1729. 


. Santorini, observat. anatom. Venet. 1724. 
. du Puy, in Histoire de P’Acad. d. sc. d. Paris. 1726. p. 26. 
. Weitbrecht, J., observat. anatom. in: Comment. acad. scient. imperial.. 


Petropolit. T. IV. ad a. 1729. p. 258. 


. Walter, A. Fr., observat. nov. de musceul. Lips. 1733. 
. Faye, G. de la, observat. anatomique sur des muscles surnume£raires, 


Hist. de !’Acad. d. sec. de Paris. 1736. 


. Wilde, observat. anatom. rariores. Comment. ac. sc. imper. Petropolit. 


T. XII. ad. a. 1740. p. 320. 


. Morgagni, adversaria anatomica. Lugd. Bat. 1741. 
. Haller, Alb. ab, observat. quaedam myolog. Gotting. 1742. 


elementa physiologiae. T. II. 
Iconum anatomie. Fasc. VI. Gotting. 1753. Tab. I. (derselbe Fall, 
wie in 18). 


. Boerhaave, Abr. Kaau, observat. anat. musc. in pectore praeternatur. etc. 


in: Novi Comment. acad. sc. imp. Petropol. T. II. ad a. 1749. p..257. 
Tal oxIe u: XI. 
Böhmer, P. A., observat. anatom. rarior. fase. Halae 1752. 


. Winslow, J. B., exposition anatomique de la structure du corps hum. 


Amsterdam. T. II. 1752. 

Huber, triga observat. myologie. in: Acad. caes. Leop. Carol. T. X. 
"Norimberg. 1754. p. 109. 

Bourienne, in: Journal de Med. Paris. T. 39. Janv. 1773. p. 45. 


25 


26. 
F# 27, 


28. 
29. 


#50, 
al 
32. 
238, 
34. 
35. 
36, 
ENt 


*38. 
. ZJagorsky, P., observat. anatom. de muscul. varietat. Mem. de l’Acad. 


Literatur der Muskelvarietäten. 455 


- Portal, in Juppin, lettre sur une observat. de BoURIENNE, Journal de 


Med. Paris, Avril 1773. p. 312. 

Sandifort, E., observat. anat. pathol. Lugd. Bat. L. I-IV. 1777—1781. 

exercitat. acad. Lugd. Bat. L. I et II. 1783. 1785. I, p. 82. Beob- 
achtung von Bonn. 

Sabatier, traiteE complet d’anatomie. Bd. I. Paris 1781. p. 262. 

Mayer, J.C. A., Beschreibung des ganzen menschlichen Körpers. Bd. III. 
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Albin, B. S., histor. muscul. hom. Edit. alt. Francof. et Lips. 1784. 
p. 262. | 

Sömmerring, S. Th., vom Bau des menschlichen Körpers. Frankf. a.M. 
DR TIE 1791. 8,133. 

Isenflamm, H. F., in: IsenrLamm nnd RoSENMÜLLER, Beiträge für die 
Zergliederungskunst. Lpzg. 2 Bde. 1800. 1803. Bd. II. S. 92. 
Rosenmüller, J. C., de nonnullis museul. corp. hum. varietat. Lips. 

1504, 
Isenflamm, H. F., anatom. Untersuchungen. Erlangen 1822. 
Bichat, traite d’anatomie descriptive. Paris. Vol. II. 1802. 
Brugnone, observat. myolog. in Mem. de P’Acad. de Turin. Vol. VII. 
AnEXE IX Ep lite 
Crouzet, ibidem, p. 179. 
Voigtel, Handbuch der pathol. Anatomie. Halle 1804. I. S. 110. 


imp. de St. Petersbourg. T. I. 1809. Pab. SXSIy UL SCDRT: 

Fleischmann, G., anat. Wahrnehmungen, noch unbemerkte Varietäten 
von Muskeln. Abhandlungen der phys.-med. Societät zu Erlangen. 
BAT ..1810..S. 264 Taf.T: 


**41. Loschge’s Beobachtungen. ibidem. 
*42. Gantzer (Rudolphi), diss. muscul. variet. sistens. Berol. 1813. 
**43. Kelch, B. G., Beiträge zur pathol. Anatomie. . Berlin 1813. S. 33. 
44. Otto, A. W., Handbuch der pathol. Anatomie. Breslau 1814. 
#545, seltene Beobachtungen zur Anat., Physiol. u. Pathol. 1. Heft. 
Breslau 1816. S. 89. 
**46, neue seltene Beobachtungen z. Anat. ete. Berlin 1824. S. 39. 
**47, Meckel, J. F., de duplieitate monstrosa comment. Halae et Berol. 1815. 
p- 38. 
*48. ——— Handbuch der menschliehen Anatomie. Band II. Halle u. Berlin 
1816. S. 465. 
**49,. ——— Handbuch der pathol. Anatomie. Leipzig 1816. Band II. S. 27. 
50. ——— Ueber einige seltene Bildungsabweichungen, im deutschen Archiv 
für Physiologie (Mecker’s Archiv). IV. S. 412. (1818). 
5l. —— Ueber mehrere Abweichungen im Muskelsystem des Körpers. 
MAL Si hin: 
52. Beschreibung zweier, durch sehr ähnliche Bildungsabweichungen 
entstellter, Geschwister. M. A. VII. S. 9. 
53. Beschreibung einiger Muskelvarietäten. M. A. VIII. S. 585. 
+54, — anatomisch-physiol. Beobachtungen. Halle 1822. S. 234. 
55. Tiedemann, Fr., seltene Verdoppelung mehrerer Muskeln. M. A. IV. 


S. 412. 1818. 


456 


56. 
57. 


98. 
59. 
*60. 


** 6], 
62. 


63. 
64. 
65. 
66. 
67. 
68. 
‚69. 
**70, 
71, 
72. 
73. 
Era: 
KT, 
76. 
*E77, 
Kg, 
*7g, 


*80. 


FESl“ 


Dr. Kırı BARDELEBEN. 


Moser, Beschreibung mehrerer Muskelvarietäten. M. A. III. S. 234. 

Dawson, M., sketeh of two supernumerary museles of the arm. Edin- 
bursh med. and surg. Journal. 1822. p. 82. 

Hildebrandt, Fr., Handbuch d. Anatomie d. Menschen. 4. Aufl. Heraus- 
gegeben von E. H. Weper. Bd. II. Braunschweig 1830. 

Wagner, R., Zeitschrift für organische Physik. III. Eisenach 1833. 
S. 332. ae 

Bourgery et Jacob, anatomie deseriptive (8 Bände).» Org. d. la loco- 
motion. Myologie. T. II. Paris 1834. 

Lauth, Handbuch der prakt. Anatomie. I. 1835. S. 155. 

Weber, J. M., Handbuch d. Anatomie des menschl. Körpers. I. Bonn 
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bearb. von THEILE. Leipzig 1841. S. 204. 

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—— — neue Anomalien als Beiträge z. physiol., chirurg. und pathol. Ana- 
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—  -— Abhandlungen aus d. menschl. u. vergl. Anatomie. Petersburg 1852. 

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Calori, L., varietä dei musc. del troneo. Memorie della Acad. d. scienz. 
di Bologna. Ser. II. T. VII. 1867. p. 383. 


!) GRUBER’S anderweitige sehr zahlreiche und specielle Untersuchungen über Muskelvarietäten sind 


hier nicht aufgeführt. Siehe dies. in den M&m. d. Petersbg. Akad. von Anfang der 50er Jahre bis jetzt. 


82. 


2283: 
84. 


*+85. 
87. 


288. 


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90. 
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*9A, 
#95, 
=96: 
97. 


38: 
ER) 


==100: 


101. 
102. 
103. 


194. 
105. 


106. 


Literatur der Muskelvarietäten. 457 


Calori, L., di alcune varietä muscolari dell’ avambraceio. eodem loco 
.p- 359. 

Turner, W., the praesternalis. Journal of Anat. and Physiol. 1867. p. 246. 

in Transactions of the royal society Edinburgh. Vol. XXIV. 1867. 

p> 119. 

in Journal of Anat. 1870. p. 300. 

— —— on a rudiment of the panniculus carnosus, superficial to the trape- 
zius. Journ. of Anat. 1871. p. 116. 

Macalister, A., notes on muscular anomalies in human anatomy, in: 
Proceedings of the royal irish acad. April 1866. Vol. IX. Part. IV. 
p. 444. 

—— — further notes on musc. anom. in human anat. and theis bearing 
upon homotypie. myology; Proc. royal irish acad. Dec. 1867. Vol.X. 
ET pe 2. 

on muscul. anom. in hum. anat. Proc. irish acad. Jan. 1871. Vol. I. 
Serien2, np Ion. 

Wood, additional varieties in human myol. Proc. of the royal society of 
London. Vol. XIV. 1865/66. p. 379. 

varieties in human myology. Proc. of the royal. soc. of London. 
Vol. XVI. 1867/1868. p. 483. 

Quains, Lehrbuch d. Anatomie. Deutsche Bearb. v. C. E. E. Horrmann. 
Bd. I. Erlangen 1870. 

Pye-Smith, Howse and Davies-Colley in Guy’s Hosp. rep. 3. Serie. 
Vol. XVI. 1871. p..180. 

Davies-Colley, Fr. Taylor and N. B. Dalton. Guy’s Hosp. rep. 
1873. 3. Ser. Vol. XVIII. p. 389. Ä 
Henle, J., Handbuch der system. Anatomie des Menschen. Bd. I. Abth. 3. 

Muskellehre. 2. Aufl. Braunschweig 1871. 8. 98. 

Berrin, J. B,, in Journ. of. Anat. T. V. 1871. °p: 241: 

— 2 71n Med. Tim. and Ga7z. 1872. Dec. p. 622. 

Humphry, lectures on varieties in the muscles of man in: Lancet 1873. 
I. ‚Juni. p. 834. 

Chudzinski, Theophile, contribution & ’anatomie du negre, in: PauvL 
Broca, Revue d’Anthropologie. T. II. Paris 1873. p. 398. 


Von mir eingesehene 
Literatur der vergleichenden Myologie. 


Tyson, s. o. No. 6. 

Douglas, s. o. No. 7. 

Cuvier, G., Vorlesungen über vergl. Anatomie. Herausgegeben von 
Dum£rır. I. Uebersetzt v. FRORIEP u. MEckEr. Leipzig 1809. 

lecons d’anatomie comparee. Vol. I. u. II. Paris 1835. 

Meckel, J. F., System der vergl. Anatomie. Bd. II. Muskelsystem. 
Halle 1828. 

Heusinger in: Zeitschrift für die organische Physik. Bd. III. Eisenach 
1833. 


458 


107. 
108. 
109. 


110. 
111. 
112. 
113. 
114, 
135. 
116. 


117. 


Dr. Kırı BARDELEBEN. Literatur der vergleichenden Myologie. 


Duge£s, A., rech. sur l’osteologie et la myologie des batraciens. Paris 1834. 

Carus, C. G., Lehrbuch der vergl. Zootomie. Leipzig 1834. 

Stannius,-Lehrbuch der vergl. Anatomie der Wirbelthiere. 2. Buch. Zoo- 
tomie. Berlin 1856. 

Ecker, die Anatomie des Frosches. Braunschweig 1864. 

Günther, K., topograph: Myologie des Pferdes. Hannover 1866. 

Krause, W., die Anatomie des Kaninchens. Leipzig 1868. 

Gegenbaur, C., Grundzüge der vergl. Anatomie. 2. Aufl. Leipzig 1870. 

Fürbringer, M., zur vergl. Anatomie der Schultermuskeln. Jenaische 
Zeitschrift für Naturwissenschaft. Bd. VII, 237. VIII, 175. 

Humphry, G. M., observations in myology. Cambridge and London 1872. 
(Auch im Journal of Anatomy. Vol. VI.) 

Huxley, T. H., Handbuch der Anatomie der Wirbelthiere. Deutsch von 
F. RatzeL. Breslau 1873. 

Gurlt’s, E. F., Handbuch der vergl. Anatomie der Haussäugethiere. Neu 
bearbeitet v. A. G. T. LEIserıng u. 0. Mürter. 5. Aufl. Berlin 1873. 


Vergeblich suchte ich die in der Literatur erwähnten Fälle von Sternalis 


in den Werken von Fabricius, Sylvius, Willich und Behrends. 


Vergeblich suchte ich ferner in fünf deutschen Bibliotheken, darunter 


Berlin und Göttingen: 


Isenflamm, J.F.(W.C. Hammer), diss. de museul. varietate. Erlangen 1765. 
Hoffmann, Chr. J., diss. de aliqu. museul. differentiis. Altorf 1772. 
Lauth, el&mens de myologie et syndesmologie. Vol. I. Bäle, Paris et Stras- 


bourg 1778. 


Sels (Rudolphi), diss. museul. variet. sist. Berol. 1815. 

Quain, the museles of the human body. London 1836. 

Froment, recherches sur plusieurs points d’anatomie. 1853. 

Upsala läkareförenings förhandlingar. Bd. II. u. III. 1868. (Clason.) 


Fernerer Fall eines Musculus sternalıs. 


Beschrieben 
von 


Dr. Fr. Hesse, 


Prosector in Leipzig. 


Im Anschluss an vorstehende Arbeit, in die Verfasser so gütig 
war, mir vor dem Drucke den Einblick zu gestatten, füge ich die 
Beschreibung eines abnormen Musculus pectoralis major bei, der sich 
in Verbindung mit einem Musculus sternalis vor kurzem auf dem 
hiesigen Präparirsaal fand. Der Musculus sternalis ist den von BARDE- 
LEBEN beschriebenen und citirten Fällen ähnlich, ohne einem von 
ihnen völlig gleich zu kommen. Die Leiche, an der sich die Ano- 
malie fand, war die eines kräftigen, mittelgrossen, etwa 35 Jahre 
alten Mannes. — 

1. Musculus sternalis dexter. Nach Wegnahme der Haut 
und der oberflächlichen Fascie findet sich über dem medialen Theile 
des Musculus pectoralis major der rechten Seite ein platter, dünner, 
4 Ctm. breiter, am medialen Rande 9 Ctm., am lateralen 10 Ctm. 
hoher Muskel, der mit kurzen Sehnenfasern in 3 Zacken von der 
Vorderfläche des Sternums gegenüber dem Ansatz des 5. Rippenknor- 
pels, von der Rectusscheide vor der Spitze der 6. Rippe und eben- 
daselbst mit der Abdominalportion des Musculus pectoralis major ent- 
springt. In der Höhe des Manubrium sterni endigt der Muskel mit 
einigen seiner lateralen Bündel in der Fascie des Musculus pectoralis, 
zum grössten Theil aber in einem Sehnenstreifen, der dadurch zu 
Stande kommt, dass beide grosse Brustmuskeln vor dem Manubrium 
_ theilweise in einander übergehen (s. u.). 

Einwärts vom medialen Rande des Musculus sternalis ragt der 
Sternalursprung des rechten Pectoralis major etwa noch 1 Ctm. unter 
jenem hervor. 

2. Musculus pectoralis major. Nachdem der Musculus ster- 
nalis quer durchschnitten und nach auf- und abwärts gelegt worden 


460 | Dr. Fr. Hesse. 


ist, lässt sich der rechte Pectoralis in zwei Abschnitte trennen, von 
denen der tiefere völlig dem normalen Muskel mit Clavicular- und 
‘ Sternalportion entspricht. Aus diesem hebt sich ein der Höhe des 
Manubrium sterni fast entsprechender, 3!/, Ctm. hoher Muskelstreifen 
ab, der nicht am Manubrium endigt, sondern durch einen vor diesem 
gelegenen Sehnenstreifen mit der Manubriumportion des linken Brust- 
muskels verschmilzt. Dieser Sehnenstreifen kreuzt die das Manubrium 
halbirende senkrechte Linie und geht schief nach aufwärts, zum Sternal- 
ursprunge des linken Sternocleidomastoideus. Die medialen Enden 
der Pectoralisbündel, die sich von rechts her in den oberen Theil 
dieser Sehne begeben, ragen daher etwa !/, Otm. über die Mittellinie 
nach links hinüber. Vom unteren Rande der 2. Rippe an nach ab- 
wärts reichen beide Pectorales symmetrisch bis zur Mittellinie des 
Sternums. 

Der linke Pectoralis entbehrt des Ansatzes am Manubrium voll- 
ständig; der ganze, der Handhabe entsprechende Theil geht vermittels 
des erwähnten Sehnenstreifens in die hohe Portion des rechten Brust- 
muskels über. 

Der untere Abschnitt dieses Stückes ragt entsprechend der schie- 
fen Richtung des Sehnenstreifens etwa !/, Ctm. nach rechts hinüber, 
wie der obere Theil der rechten Pectoralisbündel nach links. Nur 
ist für den linken Pectoralis das Ueberschreiten der Mittellinie viel 
auffälliger, da er muskulös von der Zwischensehne entspringt, während 
die Bündel des rechtseitigen es durch kurze Sehnen thun. 

3. Der Sehnenstreifen, welcher die Nath zwischen diesen 
Portionen beider Pectorales bildet, liegt frei über der Handhabe des 
Brustbeins, dient in seinem unteren Abschnitte dem grössten (media- 
len) Theile des Musculus sternalis zur Befestigung und setzt sich, 
indem er schief nach links aufwärts verläuft, an dem Sternalursprunge 
des Musculus sternocleidomastoideus fest. 

Das Ueberschreiten der Mittellinie, namentlich durch den linken 
Pectoralis, ist hier so eng an die Lage des Sehnenstreifens gebunden, 
dass sich die Wahrscheinlichkeit einer Abhängigkeit beider Erschei- 
nungen von einander von selbst aufdrängt. Selbst wenn der Sehnen- 
streifen, in den der Musculus sternalis übergeht und welcher den 
beiden beschriebenen Peetoralisportionen zum Ursprunge dient, ur- 
sprünglich senkrecht zu seinem Befestigungspunkte empor gestiegen 
wäre, so musste doch im Laufe der Zeit eine Abweichung seiner 
Richtung nach rechts erfolgen. Denn während nur der mediale Theil 
des Musculus sternalis in senkrechter Richtung nach abwärts einen 
Zug üben konnte, zog der ganze übrige, auf der rechten Körperhälfte 


Fernerer Fall eines Musculus sternalis. 461 


liegende Muskel schief nach unten aussen, und zwar theils direct so 
weit er sich an dem Sehnenstreifen befestigte, theils indirect durch 
die Bündel, welche in die mit dem Sehnenstreifen verbundene 
Fascie des Pectoralis major übergingen. Die in horizontaler Richtung 
nach aussen wirkende Componente dieses Zuges musste die Zwischen- 
sehne mit den aufsitzenden Pectoralisbündeln nach und nach über die 
Mittellinie hinüber auf die rechte Seite ziehen. 


Brustbein und Rippen. 


Die Asymmetrie der beiden grossen Brustmuskeln durfte die Ver- 
muthung erwecken, dass der Thorax und besonders das Brustbein eben- 
falls unsymmetrisch sein würden. Wenn die Gestalt der Knochen 
von dem Zuge der anhaftenden Muskeln beeinflusst wird, so stand zu 
erwarten, dass beide Hälften des Brustbeinhandgrifts verschiedene Form 
besässen, da die rechte Hälfte von den normalen Ursprüngen der 
Pectoralisbündel bedeckt war, während sie an der linken fehlten. 
Ueber den Grad der Difformität konnte ich mir im Voraus nicht 
senügende Rechenschaft geben, da wir über den Einfluss des Muskel- 
zuges auf die Gestaltung des Knochens im besonderen Falle nur un- 
genügend unterrichtet sind und da das Manubrium sterni noch unter 
anderen formbedingenden Einflüssen steht. Insbesondere schien es 
mir von Bedeutung, dass die Clavieularportion des linken Pectoralis 
major normal entwickelt war, da die Gestalt des Brustbeins von dem 
Zug und Druck, den es vom Schlüsselbein her erfährt, wesentlich 
beeinflusst werden muss; wahrscheinlich mehr als von den Pectoralis- 
bündeln, die ihren Ursprung auf dem Sternum nehmen. Denn wäh- 
rend letztere nur direeten Zug auf das Brustbein üben, kann durch 
die Muskeln, welche das Schlüsselbein bewegen, ein viel energischerer 
Zug und Druck erfolgen, da sie an einem Hebelarme anfassen. Trotz- 
dem sind in diesem Falle die Unterschiede auf beiden Seiten noch 
sehr auffällig. Das Manubrium ist sehr schlank, schmal und hoch, 
wie ich es an keinem Sternum unserer Sammlung und des Präparir- 
saales wiederfinde, während der Körper des Brustbeins die gewöhn- 
liche Breite besitzt. 

Entsprechend dem Verlauf des oben beschriebenen Sehnenstrei- 
fens zwischen den beiden Manubriumportionen der Museuli pectorales 
zeigt sich auf dem Manubrium eine flache Vertiefung, die mehr der 
rechten Hälfte angehört und schief nach links aufwärts geht. Sie 
verdankt ihre Entstehung dem Druck und der gleitenden Bewegung, 
welche durch die Contraction des Musculus sternalis und der sich 


462 Dr. Fr. Hesse, 


vereinigenden Pectoralisbündel die Zwischensehne auf das Brustbein 
übte. 

Bei der Betrachtung des Brustbeins von oben (der Incisura semi- 
lunaris) her fällt es in die Augen, dass die linke Hälfte des Manu- 
brium mit dem ersten Rippenknorpel stärker nach rückwärts steht 
als die rechte Seite; das Manubrium ist um eine vertikale Axe circa 
10 Grad linksum gedreht. 

Der Raum zwischen erstem und zweitem Rippenknorpel ist links 
reichlich um 4 Mm. höher als rechts. Es ist. nämlich der senkrechte 
Abstand des unteren Randes der Verbindung des ersten Rippenknor- 
pels mit dem Manubrium von dem zweiten Rippenknorpel rechts 
17,5 Mm. links 22,0 Mm. Dem entsprechend beträgt die kürzeste 
Entfernung der inneren Enden des ersten und zweiten Rippenknor- 
pels rechts 23,0, links 27,0 Mm. 

Da ich an anderen Brustbeinen für dieselben Maasse nie so grosse 
Differenzen erhielt, zweifle ich nicht, dass sie in diesem Falle mit 
der bestehenden Muskelanomalie im Zusammenhange stehen. Und zwar 
scheint sich mir die freiere Entwicklung der linken Hälfte des Manu- 
brium dadurch zu erklären, dass die Widerstände, auf welche dasselbe 
bei seiner Vergrösserung stösst, hier geringer waren. Denn wenn sich 
die Handhabenportion des Peetoralis major, als auch der hier vor- 
handene Musculus sternalis zusammenzieht, so wird eine Componente 
der entwickelten Kraft in beiden Fällen als Druck in der Richtung 
der Längsaxe des Manubrium erscheinen. Diesem Drucke ist aber 
hier die rechte Hälfte des Sternums viel mehr ausgesetzt als die linke, 
welcher die Handhabenportion des Pectoralis und des Musculus ster- 
nalis fehlt. — 

Die Form- und Lagerungsanomalien der Organe des mensch- 
lichen Körpers haben bisher ausser vom praktisch-chirurgischen, fast 
ausschliesslich vom vergleichend anatomischen Standpunkte aus Inter- 
esse, und es liegt darüber ein Vorrath in den Büchern, von dessen 
Fülle uns ein Blick in das Literatur-Verzeichniss der vorstehenden 
Arbeit eine Vorstellung geben kann. Für das Verständniss des gegen- 
seitigen Einflusses, den die Organe auf einander üben, würde die sorg- 
fältige Beobachtung möglichst aller mit einer Anomalie verbundenen 
Veränderungen von grösstem Nutzen sein; es würden uns diese Be- 
trachtungen bis zu gewissem Grade das Experiment ersetzen, das uns 
die Natur der Sache anzustellen verhindert. _ Zu dem Material, aus 
dem sich später allgemeine Schlüsse ziehen lassen werden, schien es 
mir nicht werthlos, einen kleinen Beitrag zu liefern. 


Besprechungen. 


\ 


ie 


Topographisch-Chirurgische Anatomie des Menschen, von Dr. Rüdinger. 
I.— III. Abtheilung. Stuttgart 1874—75, Cotta. 40 M. 


Besprochen von W. Braune. 


Das vorliegende Werk, welches in der I. Abtheilung die Brust, in der 
II. den Bauch, in der III. den Kopf, Hals und die obere Extremität 
behandelt, will in bündiger Darstellung und im Verein mit einer reichen und 

“übersichtlichen Illustration den Studirenden und Aerzten das schwierige Stu- 
dium der Topographie der Körperregionen erleichtern. 

Die Wichtigkeit, welche die topographische Anatomie an sich, aber ganz 
besonders für den Kliniker hat, ist in neuerer Zeit auch in Deutschland immer 
mehr anerkannt worden und hat eine Reihe von literarischen Erscheinungen 
hervorgerufen, die entweder zu der Kategorie der Atlanten, oder zu der der 
Lehrbücher gehören. Das Rurpınger’sche Werk hält die Mitte zwischen 
beiden und ist eine Vereinigung von beiden. Es bietet in handlichem Format 
‚und in vorzüglicher Ausstattung eine solche Fülle von naturgetreuen Original- 
abbildungen in verkleinertem Maassstabe, dass es ebensogut den Namen eines 
hervorragenden topographisch-anatomischen Atlas verdient, als es mit seinem 
selbstständigen reichhaltigen Text, der durch zahlreiche Holzschnitte noch 
besonders erläutert wird, den besten Handbüchern auf diesem Gebiete sich 
anreiht. | 


464 Besprechungen. 


Der Text ist übersichtlich und klar geschrieben, und besteht nicht aus 
einer durch die Regionen zerrissenen Aufzählung der einzelnen Organe in 
ihrem System und ihrer Lage zu einander, sondern behandelt in zusammen- 
hängender Darstellung die einzelnen Kapitel, so wie sie für den Praktiker 
beschrieben werden müssen. Als ganz besonders gelungen und auch für 
Militärärzte wichtig muss das Kapitel Brust bezeichnet werden. 

Die Abbildungen sind kolorirte Lichtdrucke, nach Rurpınser’schen Prä- 
paraten von GEMOSER angefertigt; sie vermeiden daher alle Willkührlich- 
keit der Zeichnung. Sie sind im verkleinerten Maassstabe wiedergegeben 
worden, um dem Leser ein handliches Buch in die Hand zu geben, und nicht 
einen unbequem zu dirigirenden Atlas. 

Wenn auch die Farbengebung nicht immer eine wohlthuende ist, nament- 
lich das schreiende Roth der Muskelflächen unangenehm auffällt, wenn auch 
der schwarze Hintergrund die Schönheit der Bilder stark beeinträchtigt, so 
ist doch anzuerkennen, dass durch die verschiedenen Farben die Klarheit der 
Bilder wesentlich gewinnt, und sofort die verschiedenen Organe deutlich sich 
von einander abgrenzen lässt. 

Ausser der Wiedergabe einer grossen Reihe sehr werthvoller Durch- 
schnitte am gefrorenen Körper sind besonders diejenigen Abbildungen bemer- 
kenswerth, welche Präparate wiedergeben, die durch Combination eines Durch- 
schnittes mit Flächenpräparation gewonnen wurden, wie sie auf Tafel II und 
III sich finden. Es ist dies eine Methode, die RuEDINGER schon früher 
bei Bearbeitung des Gehörorgans mit grossem Erfolge angewendet hat, 
deren Werth auch hier jedem Beschauer einleuchtet. Die erste Figur auf 
Tafel III bietet emen Rücken, auf dessen linker Seite die Wand so hinweg- 
genommen ist, dass das im frei präparirten Eingeweide, Lunge, Milz, Magen 
und Colon descendens in ihrer Lage zu einander sowie zum Skelet und den 
Nachbarorganen sehr schön ersichtlich wird. Tafel IV bietet einen Situs 
viscerum von hinten, dessen Darstellung nichts zu wünschen übrig lässt. 
Ebenso bemerkenswerth sind die Flächendarstellungen des fötalen Kreislaufes 
auf Tafel XIII, sowie die Darstellungen der Herzlage bei Erwachsenen mit 
Berücksichtigung der Bewegung des Herzens, wie sie zuerst von HExkr ge- 
geben wurden. Durch verschiedene Linien wird das jeweilige Herzverhält- 
niss auf die vordere Thoraxwand projicirt. 

Unter den Durchschnitten ist besonders hervorzuheben ein Frontalschnitt 
durch die gesammte Länge des Truncus auf Tafel VI, sowie ein sehr schö- 
ner Flächenschnitt durch die Hand auf Tafel XIV der III. Abtheilung. 

Es ist nicht möglich, bei der Fülle des Gegebenen sämmtliche Abbil- 
dungen, die namentlich auch den Bau des Kopfes in sehr eingehender Weise 
behandeln, der Reihe nach aufzuzähllen. Wenn auch durch die nothwendige 
Verkleinerung manches Detail gerade bei den Kopfdurchschnitten verloren 


Besprechungen. Rn 465 


gegangen ist, was nur bei Behandlung in Lebensgrösse ersichtlich wird, so 
- gewinnt man doch durch dieselben auch auf diesem Gebiete eine Reihe von 
neuen und werthvollen Anschauungen. 

Da organisirte Körper nicht wie geometrische gebaut sind und daher 
nicht durch Schnitte nach den drei Richtungen des Raumes, auch wenn sie 
in noch so zahlreicher Menge angefertigt würden, vollständig erschöpfend dar- 
gestellt werden können, sondern jede neue Richtung, deren Zahl eine unend- 
liche ist, neue Bilder liefern muss, — so ist auch durch die RuEDINGERr’sche 
Arbeit das Gebiet der topographischen Anatomie nicht vollständig erschöpft 
zu nennen. Es wird immer noch Raum für neue Arbeiten übrig bleiben. 

Das was aber das vorliegende Buch von allen früheren ähnlichen Er- 
scheinungen auszeichnet, ist die glückliche Combination von Atlas und Lehr- 
buch, die so gut durchgeführt ist, dass es für den Arzt und Kliniker zur 
unentbehrlichen Hülfe wird. 


2. 


Die Entwicklungsgeschichte der Unke, als Grundlage einer vergleichen- 
den Morphologie der Wirbelthiere. von Dr. Alexander Goette. 


Referirt und besprochen von W. His. 


(Schluss von S. 306.) 


Die nächstfolgenden Abschnitte von GoErTE’s Schrift enthalten die Ge- 
schichte von dem Hervorgehen der Organe- aus den Keimblättern und von 
ihrer weiteren Umbildung. Ehe wir Einzelnes hervorheben, wird es gut sein, 
des Verfassers Grundvorstellungen über das Wesen der organischen Entwick- 
lung kennen zu lernen, wie er sie wiederholt auseinandersetzt, und wie er 
sie auch der Schilderung seiner Beobachtungen entschieden zu Grunde legt. 

Nachdem GoETTE von seinem Axiom ausgegangen ist, das Ei sei eine 
Anfangs durchweg homogene Masse, nachdem er sodann die in ihm auf- 
tretenden ersten Entwicklungsvorgänge als Folge von „radiärer Diffusion“, die 
Schichtengliederung des Keimes als solche von Zellenwanderungen verstanden 
zu haben glaubt, stellt er den ferneren Satz auf, dass die Keimblätter für 
die Gewebsbildung gleichgültig seien, dass der Grund der besondern Gewebs- 
bildung in den Beziehungen des Zellenmateriales zu seiner jeweiligen äusseren 
Umgebung zu suchen sei. „Eine genaue Beobachtung, so lautet seine eigene 


466 Besprechungen. 


Auseinandersetzung (p. 562), widerlegt nicht nur vollständig die speeifische 
Bedeutung der Keimblätterschichten für die Gewebsbildung, sondern erweist 
auch die rein lokale Begründung ihrer Verschiedenheiten durch die morpho- 
logische Entwicklung. Die activen oder Bewegungsursachen der Histiogenese 
sind natürlich die in jeder Embryonalzelle sich entwickelnden, anfangs überall 
gleichen physiologischen Vorgänge, deren Massenwirkungen zuerst in der 
schon geschilderten morphologischen Entwicklung zu Tage treten, in der 
Folge aber sich in die einzelnen histiologischen Erscheinungen auflösen. Die 
Bedingungsursachen dagegen, welche jener Bewegung Form und Ziel vor- 
schreiben, und dadurch eben allein die histiologischen Unterschiede begründen, 
sind nun, wie ich aus einer Vergleichung der Beobachtungen glaube ent- 
nehmen zu können, in den örtlich verschiedenen, von der vorausgegangenen 
morphologischen Entwicklung gesetzten Formbedingungen zu suchen, d. h. in 
der Summe von Lagebeziehungen der ganzen Anlage und ihrer Elemente, 
wozu die äussere Form, Grösse, Umgebung der ersteren und das besondere 
Gefüge der letzteren gehören. Im Anfang der Entwicklung sind die Em- 
bryonal- und Dotterzellen nach Inhalt und Zusammensetzung und selbst in 
der indifferenten rundlichen Gestalt einander vollständig gleich, aber schon 
die ersten Abweichungen, welche die Gestalt betreffen, werden von der mor- 
phologischen Entwicklung herbeigeführt, indem diese einige Zellenmassen in 
epitheliale Schichten zusammendrängt, andere in lockerem Gefüge lässt oder 
in Netze auseinander zieht.“ i 
Referent hat hier einen möglichst klaren Satz herausgesucht, denn an 
manchen anderen Stellen erscheinen des Verfassers Gedanken in weit ver- 
hüllterer Form. So stossen wir z. B. p. 843 und 844 auf die grossgedruck- 
.ten Sätze: „Das Formgesetz ist der Inbegriff der rein mechanischen Momente, 
welche die lebendigen Kräfte der sich lösenden Dottersubstanz zu den ein- 
heitlichen Formleistungen der Entwicklung zwingen, und dadurch unmittelbar 
in derselben die einzelnen Lebensthätigkeiten erzeugen und zur individuellen 
Einheit verbinden“ und „Die Entwicklung ist die nothwendige Entstehungs- 
form des Lebens und kann anderseits nur an einem nicht lebenden aber mit 
Spannkräften erfüllten Substrate beginnen“, Sätze, über deren Sinn selbst 
der wohlwollendste Leser im Zweifel bleiben wird. Auch, wenn wir weiterhin 
lesen „die Individualität sei der physiologische Ausdruck des Formgesetzes“, 
werden wir kaum viel verständnissreicher, vollends aber stehen wir verblüfft 
da, wenn uns z. B. p. 774 zur Erklärung der Blutbildung gelehrt wird: 
„die conservative plastische Thätigkeit des den ganzen Organismus durch- 
strömenden Blutes ist nicht der Ausdruck eines unfassbaren „formbildenden 
Principes“, sondern stellt im Ganzen nur eine von den Metamorphosen jener 
ursprünglich so einfachen, aber gesetzmässig geregelten organischen Entwick- 
lung dar, sowie im einzelnen die überwiegende Spannung des Dotterblutes 


Besprechungen. 467 


gewissermassen in die erste Muskelaction des Herzens übertragen wird.“ Es 
würden sich noch zahlreiche gleich schwierige Stellen anführen lassen, wie 
2. B. die Ideenentwicklung in Betreff der Anlagenscheidung im mittleren 
Keimblatte p. 241 u. f, die Besprechung des Stammskelettes p. 409 u. £. 
u. A.m. DBemerkenswerth ist es, dass der Verfasser dieser schwer fasslichen 
Darstellungen bei anderen Forschern so vielfach auf Unklarheiten zu stossen 
angiebt, wie er sich u. A. berufen fühlt, auch gegenüber von K. E. v. BAER 
den Vorwurf unklaren Denkens zu erheben (p. 570). 

In Betreff der Indifferenz der ersten Anlagen geht GorrrE so weit, 
dass er die stofflichen Unterschiede in der Zusammensetzung des Dotters für 
nebensächlich ansieht. Ref. führt zur Vermeidung von Missverständnissen 
wieder einen Originalausspruch an. p. 855 sagt GorTTE: „Die verschiedene 
chemische Beschaffenheit der Dottersubstanz kann zunächst natürlich nicht 
festgestellt werden. Auch scheint sie mir in den vorliegenden Fragen von 
geringer Bedeutung zu sein und erst später, namentlich in der Histiogenese, 
zur vollen Geltung zu kommen. Denn einmal können wir den am leichtesten 
nachweisbaren stofflichen Unterschieden, nämlich. hinsichtlich des Pigmentes, 
jeden Einfluss auf die fundamentale morphologische Entwicklung absprechen, 
da dasselbe oft in derselben Art einem nicht unbedeutenden Wechsel unter- 
worfen ist, und ferner finden wir ebenso oft eine so grosse Uebereinstimmung 
in der ersten morphologischen Entwicklung ganz verschiedener Thiere (Gastrula 
von Coelenteraten, Echinodermen, Würmern, Ascidien und Amphioxus), deren 
Eiern man unzweifelhaft eine verschiedene chemische Constitution zuschrei- 
ben muss, dass wir auch in diesem Falle eine unmittelbar massgebende Ein- 
wirkung der letzteren auf jene Entwicklungsresultate nicht wohl annehmen 
können. Dagegen kommt die Beschaffenheit der Dottermasse allerdings in 
Betracht, soweit es sich um ihre Verschiedenheit in demselben Ei handelt, 
also insbesondere um die Ausbildung einer Rindenschicht und deren relative 
Maassverhältnisse, und soweit durch jene Beschaffenheit das Maass der im Ei 
angesammelten Spannkräfte relativ bestimmt wird. Im ersteren Falle liegt 
aber bereits eine von den mechanisch wirkenden Formbedingungen vor, welche 
das Formgesetz construiren, und das Maass der Spannkräfte wirkt natürlich 
nicht unmittelbar formbildend, sondern stellt sich, indem es das Quantum der 
für die morphologische Entwicklung verfügbaren Elementaractionen bestimmt, 
dem Formgesetz eben als der zweite der beiden Factoren der Gesammtent- 
wicklung gegenüber, dessen Werth wir gerade nach der Höhe der morpho- 
logischen Entwicklung bemessen. So müssen wir auch bei den bevorstehenden 
Vergleichen stets von den Formverhältnissen ausgehend auf den Causal- 
zusammenhang des Vorganges schliessen, aber alsdann auch die Werthschätzung 
der ersteren oder die Homologien nur auf diesen genetischen Zusammenhang 


begründen.“ 
Zeitschrift f. Anatomie. Bd. T. 31 


468 Besprechungen. 


An einer anderen Stelle allerdings (p. 570) wird die bestimmte Zu- 
sammensetzung der Dottersubstanz als Voraussetzung für den Beginn der 
Entwicklung bezeichnet, indem die darin begründete Wechselwirkung mit dem 
umgebenden Medium die Bewegungen und Veränderungen des Stoffes erzeu- 
sen, welche die activen Entwicklungsursachen (Elementaractionen) wären. 
„Aber erst die Summe der Bedingungen, so fährt GoETTE fort, welche zunächst 
weder den Stoff, noch jene seine Wechselwirkung dem Wesen nach ver- 
ändern, dagegen das Maass und die Anordnung, dadurch aber die Leistung 
derselben bestimmen, ruft die Entwicklung thatsächlich hervor. Die Bedin- 
gungen habe ich, da sie sich nicht auf die stofflichen Veränderungen an sich 
beziehen, als Formbedingungen, ihre Gesammtwirkung als Formgesetz 
der Entwicklung bezeichnet.“ 


Damit mögen vorerst der Originaleitate genug sein. 


Der gesunde aus GoETTE’s Auseinandersetzungen herausschälbare Gedanke 
scheint Referenten der zu sein, dass äussere Entwicklungsbedingungen und . 
ihr gesetzmässiger Wechsel nicht allein auf das Ei im Ganzen, sondern auch 
auf seine Theilproducte und in letzter Instanz auf die einzelnen Zellen be- 
stimmend einwirken, dass, um ein Beispiel zu nennen, eine zwischen Nach- 
barn eingekeilte Zelle anders sich formen wird, als eine frei sich entwickelnde. 
Der Gedanke ist ein naheliegender, und Ref. hat ihn bei seinen eigenen Form- 
ableitungen reichlich in Anwendung gebracht. GoETTE nimmt ihn indess mit 
. einer Ausschliesslichkeit auf, welche zur starken Uebertreibung wird, und er 
bleibt uns jeglichen Nachweis der Berechtigung schuldig. Wenn von früh 
ab die Massen, aus welchen später das Centralnervensystem hervorgeht, rascher 
sich zerklüften und wachsen, als z. B. die Massen, aus welchen die Muskeln, 
oder aus welchen Epithelien werden, so verlangt die Behauptung, dass diese 
Entwicklungsdifferenz nur auf äusserer Entwicklungsbedingung beruhe, durch- 
aus positive Beweise. Sollte das befruchtete Ei wirklich eine homogene 
Masse sein, so würde es schwer werden, auch nur in den allgemeinsten 
Umrissen die Möglichkeit erblicher Uebertragung sich vorzustellen. 


Ref. verzichtet darauf, hier Gegenkritik gegen die Urtheile auszuüben, 
welche seine Anschauungen und zum Theil seine positiven Angaben bei 
GorrtE erfahren haben. Leser, welche sich über des Ref. Ueberzeugungen 
ein eigenes Urtheil bilden wollen, finden in dessen Briefen „über unsere 
Körperform“ eine Darstellung, die ihnen zur Controlle dessen, was GorrrE 
darüber berichtet, dienen kann. 

Medullarrohr und Sinnesorgane. In gewisser Entfernung von der 
Mittellinie verdickt sich die Grundschicht des oberen Keimblattes, faltet und 
erhebt sich, um sich dann endlich zum Rohre zu schliessen, eine Reihenfolge 
yon Vorgängen, deren Darstellung Gorrrz durch Hineinziehung von „Zellen- 


Besprechungen. 469 


wanderung“, von „Zusammenziehung“, von „selbstthätiger Bewegung der 
Rückenwülste“ (162) u. A. m. ungewöhnlich complieirt hat. In Betreff der 
Terminologie finden sich einige Besonderheiten. Axenplatte heisst bei G. 
die Anlage des Centralnervensystems und der drei höheren Sinnesorgane, 
einschliesslich der Deckschicht, Medullarplatten die zwei Seitenhälften 
ihres Rumpftheiles, Hirnplatte und Sinnesplatte deren Kopftheil. Ver- 
schiedene der von GoETTE eingeführten Bezeichnungen sind entschieden glück- 
lich, dagegen ist es im Interesse der ohnedem schwierigen Verständigung 
entschieden zu tadeln, wenn bereits gebrauchte Ausdrücke wie Axenplatte 
und Medullarplatte in neuer, von der bisherigen abweichenden Bedeutung 
gebraucht werden. 


Riechgrube, Gehörblase und Augenblase gehen nach G. aus der Sinnes- 
platte hervor, einem nach aussen von der eigentlichen Hirnanlage liegenden 
Substanzstreifen. Laut Fig. 60 entspricht derselbe dem vom Ref. Zwischen- 
strang genannten Gebilde, aus welchem dieser ausser den Ganglienanlagen, die 
Geruchs- und Gehörgrube abgeleitet hat. Den Nachweis eines Hervorgehens 
der Augenblase daraus vermisste Ref. Was p. 172 und 180 darüber gesagt 
wird, kann als solcher nicht gelten und nach Fig. 127, Taf. VII liegt die 
Augenblase übereinstimmend wie beim Hühnchen. 


An dem geschlossenen Medullarrohr lässt Go@rrE die Scheidung weisser 
und grauer Substanz se vor sich gehen (p. 276), dass an einem Theile der 
Zellen eine Auflösung erst der Dotterkörner, dann der Zellgränzen erfolgt, und 
dass in der also entstandenen klaren, secundär. von einem (Cutieular-) Häut- 
chen umgebenen Masse feine Fasern auftreten. In den zur Bildung grauer 
Substanz verwendeten Zellen findet gleichfalls eine allmählige Aufklärung 
statt, wobei zuerst kuglig helle Räume (Umbildungskugein, GorrrE) inmitten 
eines Netzes von trübem Protoplasma auftreten. In der Darstellung von 
der Entwicklung des Gehirns begegnet Ref. mehrfach Anschauungen, welche 
den seinigen verwandt sind, der Hervorhebung von der Bedeutung der Ver- 
wachsung der Hemisphärenwurzel mit der Riechgrube für die Bildung des 
Riechlappens (p. 295 und 313), der Darstellung der Beziehungen zwischen 
Hemiphaeren und Zwischenhirn (p. 293) und vor allem dem Hinweis auf die 
Bedeutung der Krümmungen der Axe des Gehirns für dessen Gliederung 
(310— 315). Auch stimmen die vom Verf. Taf. VIII, 142 und 145 ge- 
gebenen Zeichnungen in einer im Ganzen befriedigenden Weise mit des Ref. 
Erfahrungen (vergl. Körperform Fig. 102).!) Die peripherischen Nerven und die 


!) Ueber den in der Note p. 305 dem Ref. gemachten Vorwurf ist des letzteren 
Aufsatz, über die Gliederung des Gehirns, Verh. der naturf. Ges. in Basel 1869 
zu vergl., durch welchen derselbe gegenstandslos wird. 

31 


470 Besprechungen. 


Ganglien, sowie das Eingeweidenervensystem lässt GoErTE an Ort und Stelle 
aus den Anlagen des mittleren Keimblattes und aus dem sog. interstitiellen, 
durch Dotterbildungszellen sich vermehrenden Gewebe hervorgehen. Ein Aus- 
wachsen der Nervenfasern aus den ersten Zellenanlagen anerkennt er nicht, 
sondern nur eine Bildung von Fasern mit sammt der SchwAnn’schen Scheide 
durch Differenzirung aneinander gereihter Zellen. 

Für die Glieder des mittleren Keimblattes sind die von G. ge- 
wählten Bezeichnungen: äussere und innere Segmentschicht (Urwirbelrinden 
mit Kern), Parietalblatt (äussere Seitenplatte) und Visceralblatt (innere Seiten- 
platte). Die Aufgaben der verschiedenen Glieder sind nach ihm. folgende 
(p. 215): 1. Die Wirbelsaite ist die Grundlage des ganzen Stammskelettes. 
2. Die innere Segmentschicht liefert die Anlagen der Rückenmuskeln, der 
inneren, ursprünglich der Körperaxe parallel laufenden und segmentirten 
Bauchmuskeln, der Nerven des Stammes, der Bauchwand und ihrer binde- 
gewebigen Theile. 3. Die äussere Segmentschicht liefert die Muskeln, Kno- 
chen, Nerven und bindegewebigen Theile der Gliedmassen, die äusseren 
Rumpfmuskeln, die Lederhaut und das subeutane Bindegewebe. 4. Das Pa- 
- rietalblatt bildet das Epithel (Endothel) des parietalen Bauchfelles und Herz- 
 beutels, die Epithelien der Harm- und Geschlechtswerkzeuge, die Keimsubstanzen 
der letzteren und den Fettkörper. 5. Das Visceralblatt: das Epithel (Endo- 
thel) des visceralen Bauchfelles, alle bindegewebigen und muskulösen Theile 
des Darmes und seiner Producte, die Gefässknäuel der Urmieren und das 
Herz mit Ausnahme des Endocardiums. Die Segmentation (Urwirbelbildung) 
des mittleren Keimblattes erstreckt sich auch auf den Kopf und es bilden 
sich hier vier Segmente, von welchen eines auf den Vorderkopf, drei auf den 
Hinterkopf fallen (p. 206). Lateraler und Stammtheil der Segmente stehen 
sich hier sehr selbstständig gegenüber. In ihrer weiteren Entwicklung be- 
wahren sie indess wenig Uebereinstimmung mit den homologen Theilen des 
Rumpfes. Kurz vor Entwicklung des Schädels schwinden die segmentalen 
Muskelplatten zum grösseren Theile (p. 232) und die homologen oberen 
Wirbelbogen werden zu einer ungegliederten Masse, daher für die Wirbel- 
theorie des Schädels jene Vorgliederung keine zuverlässigen Anhaltspunkte 
gewährt. 

Zunächst aus den inneren Segmenten lässt GoETTE das aus verzweigten 
Zellen bestehende Gewebe hervorgehen, das er als interstitielles Bil- 
dungsgewebe bezeichnet. Es umhüllt zuerst die Wirbelsaite und liefert 
deren äussere Scheide, dann aber tritt es überall in den Zwischenräumen 
zwischen den Organanlagen auf, und füllt diese aus. Seine Vermehrung hängt 
zusammen mit der Einwanderung von „Dotterbildungszellen“, d. h. von 
Blutzellen, welche aus den Aorten und aus den übrigen Blutgefässen durch 
den Stoss des Herzens herausgepresst, und in die lockeren Maschen der 


Besprechungen. 471 


umgebenden Substanz hereingetrieben worden sind (p. 497). Aus dem 
interstitiellen Gewebe werden nicht nur Bindegewebe, Knorpel und Ge- 
fässe, sondern auch Nerven. Knorpelbildung erfolgt da, wo die eingewan- 
derten Zellen massenhaft sich angehäuft haben (p. 360). Letztere klären 
sich und in ihrer Umgebung tritt eine scharfgezeichnete Kapsel auf. Die 
ersten Blutgefässe dagegen gehen aus schlauchförmig sich erweiternden 
Lücken des interstitiellen Gewebes hervor (p. 499), später bilden sie sich 
durch Hohlwerden von aneinander gereihten Zellen, und es sind daher die 
primären Gefässe als Intercellulargänge. die secundären als Intracellulargänge 
- aufzufassen. 


Auf eingewanderte Dotterbildungszellen wird auch die Bildung der Ex- 
tremitäten zurückgeführt (p. 475). Jene Einwanderungen bedingen eine 
lokale Wucherung der äusseren Segmentschichten. — Ziemlich verwickelt wird 
die Bildung des Lymphsystems dargestellt. Die erste Anlage derselben 
ist ein, unter der Wirbelsaite sich hinziehender, vom Darmblatt abzuleiten- 
der Strang, Gorrre’s Axenstrang, nach hinten verlängert sich dies sub- 
vertebrale Gefäss durch ein den Schwanz durchziehendes, als Schwanzdarm 
aufgefasstes Rohr (774), und die peripherischen Abschnitte des Lymph- 
systems sind mit den Lücken des sich bildenden Bindegewebes identisch. 


Das Herz (746) entsteht als Lücke zwischen den von den Kiemenbogen 
herabhängenden Seitenplatten und dem Boden des Darmblattes. Sein Endo- 
cardialblatt leitet Gowrre von den Wandungen dieser Spalte, vor Allem aber 
vom Darmblatt, d. h. gleichzeitig vom unteren und mittleren Keimblatt ab. — 
Das Blut stammt aus der Zerklüftung oberflächlicher Elemente der Dotter- 
zellenmasse. Umgebendes interstitielles Gewebe liefert das Dottergefässnetz 
und auf dem Weg der Dottervenen werden die neugebildeten Elemente nach 
dem Herzen geführt. 


Für die Einzelheiten in Betreff der Organbildung wie besonders der 
Bildung des Schädels, derjenigen des Darmes und seiner Adnexen, derjenigen 
der Harn- und Geschlechtswerkzeuge muss auf das Original, vor allem aber 
auf den brillanten Atlas verwiesen werden. Letzterer verleiht überhaupt dem 
ganzen Werke einen Werth, der unabhängig von jeglicher Schätzung des 
Textes ist. Letzteren kann man kaum anders als mit gemischtem Gefühle 
aus der Hand legen. Mit der in erster Linie sich aufdrängenden Achtung 
vor der grossen Energie und Arbeitskraft des Verfassers und mit der Freude 
über zahlreiche in seiner Schrift enthaltene Lichtblicke und positive Errungen- 
- schaften, mischt sich das Bedauern darüber, dass dessen Urtheil so befan- 
sen, man kann geradezu sagen, so eigensinnig, seine wissenschaftliche Denk- 
weise meist so durchaus unmethodisch ist, nicht zu reden von dessen un- 
gerechtfertigter Schroffheit im Auftreten gegen andere Forscher. 


472 Besprechungen. 


Der Atlas aber bleibt eine so eminente Leistung, dass ihm gegenüber 
alle eventuell zu machenden Vorwürfe verstummen müssen. Seine Früchte 
für die Wissenschaft werden unter allen Umständen bleibende sein, und wenn 
einzelne Tafeln bes. im Gebiete der Schnitte mit der Zeit durch minder 
schematische verdrängt werden mögen, so werden andere, und zwar die 
Mehrzahl sicherlich als bleibender und werthvoller Bestandtheil im Inventar 
unserer Forschungs- und Lehrmittel sich erhalten. 


Druck von Metzger & Wittig in Leipzig. 


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