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Vibrary of the Museum
-
OF
COMPARATIVE ZOÖLOGY,
AT HARVARD COLLEGE, CAMBRIDGE, MASS.
Pounded by private subscription, In 1861.
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Deposited by ALEX. AGASSIZ.
No. 7389. dv -
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Deren en benennen sen —me—
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Pi
ZEITSCHRIFT
FÜR
ANATOMIE
UND
ENTWICKELUNGSGESCHICHTE.
UNTER MITWIRKUNG VON
Pror. CHR. AEBY m Bers, Pror. AL. ECKER ın FRrEigurg, Pror. JOS. GERLACH
IN ERLANGEN, Pror. W. HENKE ın Tüsıngen, Pror. V. HENSEN ın Kıeı, Pror.
€. LANGER m Wien, Pror. NATH. LIEBERKÜHN m Margurg, Pror. FR. MERKEL
ın Rostock, Pror. HERM. MEYER ı Zürich, Dr. G. RETZIUS ın STOockHoLM,
Pror. NICOLAS RÜDINGER ıy München, Pror. G. SCHWALBE ıv Jena,
Pror. A. W. VOLKMANN mw Harıe, Pror. HERM. WELCKER mw HaııE
HERAUSGEGEBEN
VON
Dr. WILH. HIS uno Dx. WILH. BRAUNE,
PROFESSOREN DER ANATOMIE AN DER UNIVERSITÄT LEIPZIG.
ERSTER BAND.
MIT 58 HOLZSCHNITTEN UND 16 TAFELN.
LEIPZIG,
VERLAG VON F. C. W. VOGEL.
1876.
UON SOD.E UN
EOCIREM AD
Inhalt des ersten Bandes.
Erstes und zweites Heft
(ausgegeben am 1. Mai 1875).
Untersuchungen über die Entwickelung von Knochenfischen, besonders
über diejenige des Salmens. Von Wilhelm His (Tafel I. II) .
Ueber das Hüftgelenk, nebst einigen Bemerkungen über Gelenke über-
haupt, insbesondere über das Schultergelenk. Von Hermann
Welcker in Halle AT Tee
Ueber die Muskeln der Hönschlichen en Von Dr. Hesse, Assistent
_ am anatomischen Institut in Leipzig (Tafel III. IV.)
Die oberen und unteren Muskeln der Lippen. Von W. Henke, Pro-
fessor in Prag (Tafel V.)
Zur endgültigen Heilung der Brüche am obern Finde des Oberschenkel
knochens. Von Dr. L. Rabe, Assistent der chirurgischen Kiinik
in Halle (Tafel VL) . RR DE PR
Ueber die Entdeckung des ee Von Wilhelm His
Drittes und viertes Heft
(ausgegeben am 26. November 1875).
Zur Mechanik des Brustkastens.. Von A. W. Volkmann
Beiträge zur Myologie (Conjugatio musculorum. — Ueber Mekelnane
täten. — M. tibialis anticus, M. extensor carpi rad. longus, Mm.
interossei manus et pedis. — Platysma myoides). Von Hermann
Welcker in Halle : AN:
Die Bursae phrenico - hepatica Snlärior und Boserier. Von Dr. A.
v. Brunn, Prosector in Göttingen (Tafel VII.)
Seite
107
121
128
205
IV Inhalt des ersten Bandes.
Beobachtungen über die Befruchtung und Entwicklung des Kaninchens
und Meerschweinchens. Von Dr. V. Hensen in Kiel (Taf. VIII. IX.)
Der Keimwall des Hühnereies und die Entstehung der parablastischen
Zellen. Von Wilhelm His (Tafel XII). :
Ein Beitrag zur Kenntniss der Structur der Sehnen. Von Dr. W. orzse
(Tafel XIV.)
Besprechungen.
Die Entwickelungsgeschichte der Unke, als Grundlage einer ver-
gleichenden Morphologie der Wirbelthiere. Von Dr. Alexander
Goette. Mit Atlas. Leipzig, 1875. Voss. Referirt und besprochen
von W. His
Fünftes und sechstes Heft
(ausgegeben am 10. März 1876):
Ueber die Ernährungskanäle der Knochen und das Knochenwachsthum.
Von Professor G. Schwalbe (Tafel XV. XVI.) i |
Beobachtungen über die Befruchtung und Entwicklung des Kaniatihens
und Meerschweinchens. Fortsetzung. Von Dr. V. Hensen in Kiel
(Tafet X— XII.) U Re en uNd. 01100
Der Musculus „sternalis“. Von Dr. Karl Bardeleben, Prosector und
Privatdocent in Jena . AR RE A 2
Fernerer Fall eines Musculus ers ton Dr. Fr. Hesse, Prosector
in Leipzig
Besprechungen.
1. Topographisch-chirurgische Anatomie des Menschen. Von Dr. Rü-
dinger. Stuttgart, 1874. 1875. Cotta. Besprochen von W. Braune
2. Die Entwickelungsgeschichte der Unke, als Grundlage einer ver-
gleichenden Morphologie der Wirbelthiere. Von Dr. Alexander
Goette. Mit Atlas. Leipzig, 1875. Voss. Referirt und be-
“sprochen von W. His. (Schluss)
Seite
213
274
290
298
308
353
424
459
465
465
Untersuchungen über die Entwickelung von Knochen-
tischen besonders über diejenige des Salmens,
Von
Wilhelm His.
In einer separat erschienenen Monographie (Untersuchungen über
die Eientwickelung bei Knochenfischen. Leipzig F. ©. W. Vogel 1873.)
habe ich vor 2 Jahren begonnen, meine Erfahrungen über Knochen-
fischeier und deren Entwicklung mitzutheilen. Der vorliegende Auf-
satz bildet eine Fortsetzung jener früheren Mittheilung. In ihm werde
ich vorzugsweise die numerischen Verhältnisse der Furchung und des
Wachsthums besprechen, sowie das erste Auftreten von Nebenkeimzellen.
In späteren Aufsätzen gedenke ich eine Reihe weiterer Punkte zur
Sprache zu bringen.
Die Grundlage auch von dieser Publication bildet eine sehr grosse
Zahl von Contourzeichnungen, die ich nach den Präparaten, je bei
bestimmter (meistens bei 40facher) Vergrösserung mit dem Prisma
aufgenommen habe. So wichtig die Schnittmethode an und für sich
ist, so gewinnt sie in entwickelungsgeschichtlichen Fragen ihren vollen
Werth doch erst durch die Herstellung grosser Reihen von Zeichnungen,
die unter sich vergleichbar und dem Maasstabe zugänglich sind, und
durch die auf solchen Zeichnungen basirenden plastischen Reprodue-
tionen. Es ist für die Entwickelungsgeschichte nicht anders, als für
andere nach Praecision strebende Naturwissenschaften. Wir alle, die
wir die hohe Entwickelung der heutigen Physik und die relativ hohe
der Chemie preisen, wissen, dass diese Wissenschaften ihr Aufblühen
dem ausgiebigsten Gebrauche verdanken, den sie von Wägung und
Messung gemacht haben, und dass sie auf einer dürftigen Stufe
wären stehen geblieben, hätten sie sich auf blosse Beschreibungen
qualitativer Versuche und Reactionen beschränkt. Wer ferner den
Bewegungen der neueren Physiologie gefolet ist, der hat den Um-
Zeitschrift f. Anatomie. Bd. I]. 1
2 Hıs. Untersuchungen über die Entwickelung
schwung kennen gelernt, den die Einführung messender Methoden
auch hier zur Folge gehabt hat. Die Entwickelungsgeschichte, die
ihrem ganzen Wesen nach eine physiologische Wissenschaft ist, darf
ihrerseits die Wege nicht bei Seite lassen, welche sie in die Reihe
der exacten zu stellen versprechen. Mögen auch diese Wege fast
sämmtlich noch zu bahnen, und mögen die ersten auf ihnen erreich-
baren Ergebnisse unvollkommen und bedeutender Verbesserung be-
dürftig sein, so ist dies kein Grund, vor ihrer Begehung zurück zu
schrecken, denn hier, wie bei allen derartigen Unternehmungen wer-
den die Fragen erst unter der Arbeit selbst ihre scharfe Fassung, und
die Methoden ihre feinere Ausbildung erreichen.
Die Furchung des Keimes und die Bildung der
Keimschichten.
Die Periode von der Befruchtung des Eies ab bis zur Bildung
eines geschichteten Keimes bildet einen natürlichen Entwickelungs-
abschnitt. Eine zweite Periode beginnt mit dem Auftreten der ersten
Formanlagen des Körpers, und endist mit der völligen Umwachsung
des Dotters durch den Keim. Diese Periode kommt in ihrer Dauer
der ersten gleich, oder ist etwas kürzer, als jene. In ihr vollenden
sich die primitive Anlage und Gliederung des Körpers.
Bei verschiedenen Fischspecies varlirt bekanntlich die absolute
Entwickelungsdauer in ziemlich breiten Grenzen. Lachs und Forelle
gehören zu den am langsamsten sich entwickelnden Knochenfischen.
Man wird dies in Verbindung setzen mit der späten Laichperiode
dieser Thiere und der voraussichtlich niedrigen Temperatur des Wassers
in den Monaten November und Dezember. Die Temperatur hat in
der That einen erheblichen Einfluss auf die Entwickelungsgeschwindig-
keit der Fischeier. Immerhin genügt sie nicht zur Erklärung der vor-
handenen Unterschiede; denn auch bei übereinstimmenden Temperatur-
bedingungen erhalten sich bedeutende spezifische Differenzen der Ent-
wicklungsgeschwindigkeit. Ich habe Lachseier im geheizten Zimmer bei
einer Temperatur von 11—12°C. sich entwickeln lassen. Die Bildung
einer flachen Scheibe erfolgte mit dem siebenten Tage, die ersten ge-
formten Spuren des Embryo traten mit dem neunten Tage auf, die Eium-
wachsung vollendete sich am achtzehnten bis neunzehnten. Bei Hecht-
eiern, in Wasser derselben Temperatur gehalten, war die flache, geschichtete
Keimscheibe mit 30 —36 Stunden gebildet. Die ersten Spuren des Em-
bryo waren gegen Ende des zweiten Tages sichtbar, und die Umwachsung
des Dotters vollendete sich mit dem Schlusse des dritten. Ebenso voll-
von Knochenfischen bes. über diejenige des Salmens. 3
zog sich bei Aescheneiern die- Dotterumwachsung mit dem Ende des
dritten Tages. !)
Der Keim zieht sich bald nach dem Eintritte des Eies in’s Wasser
erheblich zusammen.?) Er ruht Anfangs, wie wir wissen, auf der
Rindenschicht so auf, dass seine zugeschärften Ränder sich weit über
sie ausbreiten und ohne scharfe Grenzen auf ihr sich verlieren. So-
wohl in die Basis des Keimes als in seine Peripherie sind Rinden-
bestandtheile, blasse Kugeln sowobl, als Kerne und Körner verschiedener
Grösse vorgeschoben, Bestandtheile, die er sich als Nahrungsmaterial
einverleibt hat. Durch Einziehung seiner flach ausgebreiteten Ränder
und durch gleichzeitige Erhebung über das Niveau der Dotterkugel
grenzt er sich scharf ab, und nunmehr zeigt sich an seiner freien
Oberfläche eine zarte Verdichtungsschicht, welche an entwässerten
Schnitten meist sich zu falten pflegt. Dieselbe Abgrenzung zeigen auch
die aus der Furchung hervorgegangenen Segmente. Die Peripherie des
Keimes wird im Uebrigen von einer hyalinen Substanz gebildet, die
nach Innen mit dem körnigen, in hohem Grade undurchsichtigen Dotter
verschmilzt. Von einem Keimbläschen ist keine Spur sichtbar. Nicht
nur da, wo derKeim die Rinde berührt, sondern auch an seiner freien
Oberfläche ist er mit groben Körnern besetzt, und während der ersten
Furchungsstadien erscheinen solche constant in der Peripherie der
Furchungssegmente, ein deutlicher Fingerzeig, dass man sich an der
Peripherie des Keimes keine undurchgängige Membran gelagert den
ken darf.
Während die Contraction des Keimes ihren Höhepunkt erreicht,
treten die ersten Furchen auf, von da ab ändert er aber bis zum
völligen Ablauf der Furchung noch wiederholt seine Gestalt. Erst
wird er wiederum etwas flach, dann zieht er sich neuerdings zusammen,
endlich flacht er sich zum dritten Male ab, und während bald darauf
die Embryonalanlage auftritt, nimmt er nun stetig an Ausdehnung
zu, bis er das Ei vollständig umwachsen hat.
Nach Messungen am lebenden Hechtei, beginnt die Zusammen-
ziehung in der zweiten Stunde, sie erreicht ihr Maximum zu Ende der
dritten (im Stadium der 4. bis 8. Theilung) dann folgt die Wieder-
1) Beim Hering dauerte die Eiumwachsung nach den Angaben der Commission
für wissenschaftl. Untersuchungen deutscher Meere sogar nur zwei Tage. (Cor-
respondenzblatt des deutschen Fischereivereins 1874 pg. 267.)
2) LEREBOULLET hat schon gezeigt, dass auch der Keim unbefruchteter Eier
beim Eintritte in’s Wasser sich contrahirt (Recherches d’embryologie eomparee.
Embryologie du Brochet etc. in den Mem. des Savants dtrangers XVII pg. 478).
Ich kann die Wahrnehmung bestätigen.
1 *
4 Hıs. Untersuchungen über die Entwickelung
ausdehnung bis zur 17. Stunde, von da ab die zweite kurz dauernde
Zusammenziehung bis zur 24. und nun wird das Flächenwachsthum
stetig bis zur Umhüllung der Dotterkugel am Schluss des 3. Tages. !)
Am Lachsei erstreckt sich die erste Contractionsperiode über den
ersten Tag, am 2. und 3. folgt Wiederausdehnung, am 4. neue Zusammen-
ziehung und auf diese folgt das stetige Wachsthum nach der Fläche. 2)
1) Obige Angaben sind einer Messungsreihe vom 15. April 1871 entnommen,
welche im einzelnen folgendes ergab:
unbefruchteter Keim 2.1mm 11 Stunden p.f. 1.7 mm
1 Stunden p.f. 2.1 12305 # 1.08
SER R 1.9 ee: 2 2.05 Hierbei
BE 5 > 1.15 Don: = 2.05 ist immer
BB AN 1.4 Da na
51/g » » 1.4 25 DI) » 2.1 Bogens
8 „ Ei 1.5 27 > es 2.15 gemessen.
I x 1.55 SODHEN 5 2.15
er SAuRE u 2.45
Eine zweite etwas unvollständigere Reihe habe ich aus einigen älteren nach
den lebenden Eiern aufgenommenen Prismazeichnungen bestimmt. In Betreff
der beigefügten Diekenwerthe muss ich bemerken, dass diese ohne Benutzung
von Schnitten nur unsicher feststellbar sind.
Kurz nach der Befruchtung. Dm. des Keimes. Annähernde Dicke derselben.
1.75 0,5
Stadium der 2 Theilung 1.55 0.6
— 4 — 183 0.65
nach 4 Stunden 1.5 0.7
Be une, 1.55 er
»» 28.0, 1.35 =
Rare 1.85 —
1) Meine auf den Lachskeim bezüglichen Messungen sind an Eiern gewonnen,
die in 30/0 Chroms. erhärtet und dann in verdünntem Alkohol aufbewahrt waren.
Die nachfolgende kleine Tabelle enthält die Mittelwerthe aus je mehreren Messungen.
Bei den Colonnen & 1 und I sind die Werthe an feuchten, in Chroms. gehärteten,
in Alkohol aufbewahrten, bei der Colonne G 2 an entwässerten Präparaten be-
stimmt. Hervorzuheben ist der Umstand, dass Lachs- und Hechtkeime trotz der
ungleichen Eigrösse in denselben Dimensionsgrenzen sich bewegen. Sowohl bei
der Reihe G als bei I erschienen die ersten Spuren des Embryo am 8. Tage,
61 | | G.2 | IL,
Durchmesser. | Durchmesser. Dicke. | Durchmesser.
Kurz n. d. Befr. 1.65 91 0.15 e
er 1 1.0 0.46 a
RR 1:5 | DT 0.47 1.45
Ar 1.42 1.40 0.5 351)
De: 1.32 110 0.74 1.05
(DE 1.32 1.48 0.45 119)
Ts 22 “| 2.05 0.27 2.2
von Knochenfischen bes. über diejenige des Salmens,. 5
Das Volum der Keimscheibe nimmt bis zum Auftreten der Keim-
schichten stetig zu. Um über das Volumswachsthum der Keimscheibe
Anhaltspunkte zu gewinnen, habe ich für eine Anzahl von Präparaten
Näherungswerthe bestimmt, indem ich der Contour eines Meridional-
schnittes diejenige der von ihr am wenigsten abweichenden regelmäs-
sigen Figur (Ellipse oder Rechteck mit angefügten Dreiecken) sub-
stituirte, und den Inhalt des Körpers berechnete, welcher durch deren
Umdrehung um die kurze Axe entsteht.
Die nachfolgende Tabelle giebt die erhaltenen Werthe sowie die
Flächeninhalte der Schnitte:
: = 5 mn. R- = 3
SS ZS3#E2 | S»eE 3% Sr
dee =38n eäZ 2er hai
GA TENo:
Zhster Tas... 9% 3577 | 496 0.310 0.254
3628 | 492 0.307 0.198
Beginn des 2. Tages | 3582 552 0.345 0.309 0.252
3623 544 0.340 0.242
3580 668 ı 0.417 .| .0.327
5621 440 | 0.275 0.183
Beginn des 3. Tages 3587 776 0.485 0.398
3588 736 0.460 0.377 0.382
3532 704 0.440 0.371
Beginn des 4. Tages | 3591 940 0.587 0.443
3393 »- : 952 0.595 0.486
Beginn des 5. Tages | 3600 1160 0.725 0.565
Beginn des 6. Tages 3544 356 | 0.535 | 0.528 0.523
3544 832 | 0520 | 0.475
Beginn des 7. Tages | 3547 596 | 0.372 | 0507
mn mn tt mn m nn
oO
HM
[op)
rg
3643 504 0.315. | 0.597
Es ist nicht wohl zulässig, mittelst derselben Methode weiter zu
gehen, als bis zum Beginn der Wiederausdehnung der Keimscheibe;
denn von der Zeit ab, wo der Durchmesser der letzteren 2 mm über-
schreitet, darf sie nicht mehr als Rotationskörper angesehen werden.
Als Vorbereitung zum Auftreten der Embryonalanlage zeigt sie nun
eine bilaterale Gruppirung der Masse.
6 Hıs,. Untersuchungen über die Entwickelung
Ich besitze indess eine weitere Bestimmung die nach einer völlig
verschiedenen, allerdings auch mit nicht zu unterschätzenden Fehler-
quellen behafteten Methode gewonnen is. Von einer Keimscheibe,
an welcher das Gehirn des Embryo als breite ofiene Rinne angelegt
ist, und deren grösster Durchmesser 3,2"m beträgt, habe ich unter
möglichst genauer Innehaltung sämmtlicher Maasse ein 40 mal ver-
grössertes Wachsmodell gemacht. Dasselbe besitzt ein Volum von
50 Cub.®, woraus sich das Volum der unvergrösserten Keimscheibe auf
0,781 Cub.mm berechnet, eine Zahl, die wie man sieht den in der Ta-
belle enthaltenen sich gut anschliesst.
Die Volumsänderungen der Keimscheibe während der verschiedenen
Phasen der Furchung dürfen nicht ohne Weiteres als Ausdruck der
Massenänderung angesehen werden. Zwischen den Furchungssegmenten
bilden sich nämlich Lücken von wechselnder Ausdehnung, durch welche
der Keim ein schwammiges Gefüge erhält. Bei der Schlussabplattung
werden diese Lücken theilweise verschlossen, theils verschmelzen sie
zu einem unter dem Keim befindlichen zusammenhängenden Raum,
der sog. Keimhöhle. Fasst man die Anfangs- und die Endwerthe
obiger Tabelle ins Auge, so ergiebt sich daraus für die Furchungs-
periode ein Zunehmen .der getrennten Keimmasse auf annähernd das
Doppelte.
Ueber die Reihenfolge der Furchenbildung habe ich nur Be-
kanntes zu wiederholen, auf die erste Furche folgt die sie rechtwinkelig
schneidende zweite, dann eine, mit dieser parallele, dritte und
vierte. Es ist im Stadium der 8. Theilung die Scheidung noch eine
entschieden bilaterale, wie denn auch der Keim zu der Zeit nicht
kreisrund, sondern in der Richtung der Hauptfurche verlängert ist.!)
Indem die Furchung weiter schreitet, verliert sich die Spur bilateraler
Scheidung, die Scheibe wird wieder kreisrund und die oberflächlich
sichtbaren Furchungssegmente schieben sich mit gebrochenen Grenz-
linien zwischen einander ein.
Die zuerst auftretenden Furchen erstrecken sich als enge Spalten
von der Oberfläche in das Innere, dann weiten sie sich, wie die Schnitte
erhärteter Präparate zeigen, zu geräumigen Buchten aus. Durch das
Zusammenfliessen mehrerer Buchten entsteht während des Stadiums der
Achttheilung vorübergehend eine grössere, der Barr’schen Furchungs-
höhle des Batrachiereies vergleichbare Höhlung. Allein auch diese
erhält sich nicht als einfacher Raum, sondern nach Kurzem findet
1) Sehr gut hat dies Stadium DareEste im Cosre’schen Atlas von Stichling
gezeichnet.
von Knochenfischen bes. über diejenige des Salmens, 7
man den Keim durchzogen von einem Systeme zusammenhängender
Lücken, das zwischen seinen Furchungssegmenten sich ausbreitet.
In den oberflächlichen Furchen
des Keimes findet man stets ein-
zelne Rindenbestandtheile, Kerne,
Körner und blasse Kugeln.!) Letztere
sind vereinzelt auch in verschie-
denen Tiefen des Keimes zu finden.
Die Furchung nimmt in der
obern Hälfte des Keimes ihren An-
fang und während letztere bereits in
8 bis 12 Segmente zerklüftet ist,
ist die untere Hälfte noch unge-
furcht. Auch dieser Gegensatz ver-
wischt sich bald, und es lassen sich
beim Lachs schon vom 3. Tage
ab keine constanten Grössenunter-
schiede zwischen den Zellen der Basis
und denjenigen der Decke nachwei-
sen. Von dieser Zeit ab ist es mög-
lich mikrometrische Messungen zu
> je
£: Seas
\ )
ae
Fig. 1. Senkrechter Durchschnitt eines Lachs-
keimes im Beginn der Furchung mit buchtiger
Erweiterung der Spalten. 40mal vergrösserte
Prismazeichnung.
Fig. 2. _ Senkrechter Durchschnitt eines Lachs-
keimes etwa vom Beginn des 2. Tages p.foec.
Zwischen der obern segmentirten und der untern
nicht segmentirten Hälfte ist die Andeutung einer
Furchungshöhle (die Höhle ist im Holzschnitte
übertrieben gross ausgefallen) 40 mal vergrös-
serte Prismazeichnung.
benutzen, um in die numerischen
Verhältnisse der Furchung einige Einsicht zu gewinnen.
Die Durchmesser der Furchungssegmente des Lachseies
bestimmte ich an einer meiner Präparatenreihen (G) vom 3. bis zum
6. Tage. Sie betrugen:
im Beginn des 3. Tages 60—80 u. (Extrem. 55— 100)
„ ”
Wir setzen die resp. Mittel zu
wozu die Beobachtung berechtigt,
„40-50
„30-36
„2228
70, 45, 33 und 25 und berechnen,
die Elemente als Kugeln. Das
Volum eines Elementes beträgt alsdann:
im Beginn des 3. Tages 179592 Cub.u
„4.
d.
„ ”
„ ” „
” 7
U
BB,
„ 83193 „
!) Was an den entwässerten Schnitten als blasse Kugel erscheint, gehört
wohl durchweg in die Categorie der farbigen Tropfen des frischen Eies.
8 Hıs. Untersuchungen über die Entwickelung
Laut der oben mitgetheilten Bestimmung lässt sich beim Beginn
der Entwickelung das Volum der Keimmasse rund zu
0.25 Cub.m= oder zu 250 Mill. Cub.u.
ansetzen. ‘° Unter der Voraussetzung, dass die Masse bis zum 6. Tage
nicht zunimmt, berechnet sich die Zahl der Furchungselemente
im Beginn des 3. Tages zu 1392
5 e A ee 20282
n e oe u...282068
si a ».10. 805
d.h. der absolute Zuwachs wächst von Tag zu Tag und er beträgt:
vom 3. zum 4. Tag 3840
ot. 8036
ED OA
Dagegen beträgt der Vermehrungscoefficient:
vom 3. zum 4. Tag 3.75
du ea, 02299
ee)
Noch grösser als zwischen dem 3. und 4. Tag muss der Coefficient
sein zwischen dem 2. und dem 3. Wir finden im Beginn des 2. Tages
noch Anfangsstufen der Furchung, die 6—8 Theilung. Legen wir die
8 Theilung zu Grunde, so erhalten wir als Coeffieienten:
vom 2. bis zum 3. Tag 178
” 1. er) ” 2. „ 8
Bei obiger Berechnung ist das Wachsthum des Keims vernach-
lässigt; ich lasse eine Berechnung folgen, bei welcher angenommen
ist, die Masse des Keimes habe vom 2. bis 6. Tage um 100°/, und
zwar jeden Tag um 25°, zugenommen. Alsdann beträgt ihr
Volum
am Beginn des 3. Tages 312.5 Mill. Cub.yu
„ ” ch} 4. ch} 315 „ „
Rh} „ &h} 5. „ 437.5 97 &R}
eb) ” eh} 6. &R} 500 „ ”„
Die Zahl der Elemente:
am Beginn des 3. Tages 1740
5 „ ” ” 4. ” 1848
De, 2520
6.2 0.22, 6.1090
von Knochenfischen bes. über diejenige des Salmens. 9
der Zuwachs:
vom 3. zum 4. Tag 6108
Werden Du Sue. 16971
RE OP a Snake, ar Le) ui!
und die Vermehrungscoefficienten:
vom 2. zum 3. Tag 217.5
er BE Ar, 4.51
a 2.95
ee 2.63.
Es geht daraus hervor, dass der Zerklüftungsprozess in seiner
Intensität erst steigt, nach Kurzem sein Maximum erreicht, und dann
rasch wieder abfällt. Allein die Zahlen zeigen ausserdem wie langsam
überhaupt die Zellenspaltung vor sich geht. Vom 5. bis zum 6. Tage
theilt sich eine Zelle in etwa 18 Stunden einmal, zwischen 4. und 5.
Tage braucht sie dazu 16, zwischen 3. und 4. gegen 12 Stunden und
selbst am 2. Tage, wo der Prozess am lebhaftesten vor sich geht, sind
im Mittel noch etwa 3 Stunden nöthig zur Verdoppelung eines
Furchungselementes. })
Für die Kerne der Furchungssegmente ergab die Messung der
beiden Axen:
1) Dies ergiebt sich aus folgender Betrachtung: sind zur Verdoppelung eines
Elementes im Mittel 3 Stunden nöthig, so beträgt die Zahl der aus einem ent-
standenen Elemente nach
3 Stunden 2
6 ns 4
9 2 8
12 = 16
15 er 32
18 55 64
21 ” 128
24 > 256
Nach derselben Berechnungsweise ergiebt sich, dass auch bei Annahme eines
viel grösseren Vermehrungscoeffieienten die zur Verdoppelung nöthige Zeit sich
immer noch nach Stunden bemisst. Nehmen wir z. B. an, die Furchung habe
beim Beginn des 2. Tages noch nicht begonnen, so wäre der Vermehrungs-
coefieient = 1740 und die zur Verdoppelung eines Elementes nöthige Zeit be-
trüge gegen 21/;s Stunde. Natürlicherweise bleibt sich der Coefficient, der vom
zweiten Tag zum dritten so bedeutend seinen Werth ändert, auch im Verlauf
des 2. Tages nicht durchweg constant. Nach alledem wird es verständlich,
weshalb wir nur in den Anfängen der Furchung im Stande sind, den Theilungs-
prozess direct zu beobachten, während dies später, trotz anscheinend günstiger
Verhältnisse nicht gelingt.
10 Hıs. Untersuchungen über die Entwickelung
im Beginn des 3. Tages 24 auf 20 Cub. u
”’ DR) ı 4. „ 22 ” 18 ”
2. rk} „ D. „ 14 PR) 12 rR}
ER] „ 2 6. „ 11 „ 10 DR
berechnen wir die Kerne als Rotationsellipsoide so beträgt das Volumen
je eines Kernes:
im Beginn des 3. Tages 5032 Cub. u
5 5 EEE
» R 20: 00T,
Br DO a
In Volumprozenten des ganzen Furchungselementes ausgedrückt, er-
giebt, dies
im Beginn des 3. Tages 2.80 °/,
ı er] 2 4. ri) 1.52 br}
29 „ &b} 5. ” 5.62 er]
br) ” ” 6. eh} 7.04 „
Eine starke Aenderung des Verhältnisses zwischen den Furchungs-
elementen und ihren Kernen tritt somit vom 3. zum 4. Tage ein, von
da ab aber bleibt sich das Verhältniss ziemlich constant bis zum 6.
Tage. Die Unterschiede von 7.82, 5.62 und 7.04 sind der Art, dass
auf sie kein Gewicht gelegt werden kann, denn sie fallen unzweifel-
haft in den Bereich der Fehlergrenzen. Am erheblichsten ist die
relative Zunahme der Kernmasse vom 2. zum 3. Tage. An einem
Furchungssegment von 200 u Länge und 120 u Höhe finde ich z. B.
einen Kern von nur 22 auf 20 u. Das Volum des letzteren beträgt
also weniger als !/,, °/, vom Volum des Furchungssegmentes.
Nehmen wir an, jedes Furchungssegment enthalte einen Kern, so
bestimmt sich unter Benutzung der für den wachsenden Keim erhal-
tenen Zahlen das Gesammtvolum aller Kerne des Keimes:
im Beginn des 3. Tages 8.75 Mill. Cub.y
2 ER ” 4. br] 29.3 DR)
9 ” „ D. br) 24.5 ”
„ ” „ 6. „ 39.2 e2)
Letztere Tabelle ist mit Fehlern höherer Ordnung behaftet, als die
bisher mitgetheilten, da sie aus Multiplication von je zwei be-
rechneten Werthen hervorgegangen ist, überdies nimmt sie keine Rück-
sicht auf das Vorkommen zweikerniger Furchungselemente. Immerhin
darf man doch auch aus ihr als sicheres Ergebniss entnehmen, dass
auf die bedeutende Vermehrung der Kernmasse zwischen dem 3. und
von Knochenfischen bes. über diejenige des Salmens. »r
4. Tage in den nächstfolgenden Zeiten eine Verzögerung in deren Zu-
nahme eintritt.
Anlässlich der raschen Zunahme der Kernsubstanz in den ersten
3 Tagen erhebt sich chemischer Seits die Frage, woher das Material
hierzu stammt. Nachdem durch die MiescHuer’schen Arbeiten der
grosse Phosphorgehalt der Kerne festgestellt ist, handelt es sich darum
bei einem stattfindenden Kernwachsthum die Quellen phosphorreicher
Nahrung aufzudecken. Es liegt nahe, hierbei an die Dotterkörner zu
denken, welche noch vor Beginn der Furchung, und während der ersten
Stadien derselben in den Keim eintreten. Sollte ihnen wirklich die
Bedeutung zukommen, spezielles Nahrungsmaterial für wachsende Kerne
zu sein, so würde der in der Umgebung des Keimes so reichlich vor
sich gehende Zerfall der Rindenkerne eine besondere Bedeutung be-
sitzen, für die Möglichkeit der Zellenvermehrung im Keime selbst.
Die ersten Furchungssegmente stimmen in ihren Eigenschaften
mit dem ungetheilten Keim überein. Wie dieser bestehen sie der
Hauptsache nach aus einer höchst undurchsichtigen von kleinen Kör-
nern reichlich durchsetzten Masse. Dieselbe wird umgeben von einem
ziemlich stark lichtbrechenden durchsichtigen Substanzhofe. Wird die
Oberfläche verletzt, so breitet sich noch während der ersten 2 Tage
nach der Befruchtung das Protoplasma in verzweigten Strömen aus,
wie dies für den unbefruchteten Keim schon beschrieben worden ist.
Vom 2. Tage ab wird es möglich, in den Segmenten bis zu }/, ””
Dm. hinauf einen Kern wahrzunehmen und nun erkennt man ihn ohne
Schwierigkeiten durch alle ferneren Stadien hindurch. In den fol-
genden Tagen stellen sich die Keimzellen als glänzender Körper dar,
deren Peripherie hyalin ist, während die körnige Masse sich um den
Kern herum lagert.
In der Zeit vom 3. und 4. Tage besitzen die Keimzellen, wie
dies neuerdings auch WEIL!) besprochen hat, ein ausgezeichnetes
Bewegungsvermögen, und da sie ziemlich gross sind, und es zu ihrer
Beobachtung keiner Heiz- oder sonstigen Vorrichtungen bedarf, so
bilden sie eines der vorzüglichsten Objecte zum Studium von Zellen-
bewegungen. Zeitweise ruht ein solcher Körper während einiger Zeit,
dann treibt der hyaline Saum an einer oder mehreren Stellen buck-
lige, stets. von gerundeten Contouren umgebene, Vorsprünge. Diese
bleiben erst hyalin, dann strömen mit einem Ruck Körner in sie ein,
die gesammte Körnermasse geräth in Bewegung, nun stellt sich wie-
der Ruhe ein, und das Spiel beginnt nach einiger Zeit aufs neue.
1) Weir, Sitzungsber. der k. Ak. zu Wien III. Abth. 1872 Aprilheft.
>12 Hıs. Untersuchungen über die Entwickelung
Wie schon oben erwähnt wurde, bilden die Keimzellen ein Ge-
rüst mit zwischenliegenden Maschen, man findet sie an Präparaten, -
die durch Anstechen des lebenden Eies erhalten sind, meist noch in
Ketten beisammen liegen. Im allgemeinen ist das Gerinsel im un-
teren Theile des Keimes lockerer als im oberen. An der freien Ober-
fläche sind während des 3. Tages noch einzelne Lücken zwischen den
Furchungselementen sichtbar, theils dreieckige, da wo 3 Zellen zu-
sammenstossen, theils polygonale, da wo es deren mehrere sind).
Bis zum 5. Tage sind die oberflächlichen Lücken ganz geschwunden
oder auf schmale Spalten redueirt. Die Oberfläche ist ohne Unter-
brechung bepflastert, und die ihr zugekehrten Zellen bilden eine im
Vergleich zum übrigen Keime dichte Rinde, die sich mit ihrem Rande
eine Strecke weit an die dem Dotter aufruhende Basilarlläche fort-
setzt. Innerhalb dieses umgeschlagenen Randes nehmen vom 4. Tage
ab die an der Basis des Keimes befindlichen Lücken an Ausdehnung
zu. Durch ihre Verbindung entsteht ein grösserer spaltförmiger Raum,
welcher von einzeln stehenden, wie Füsschen dem Keime unterge-
schobenen Zellenhaufen durchsetzt wird. Von dem letzteren und von
seinem ringförmigen Rande wird der Keim getragen, der unter ihm
befindliche Raum ist die Keimhöhle der Autoren. Seine Anfänge
erkennt man zu der Zeit, da der Keim seine zweite Contractionsphase
durchmacht, d. h. noch ehe eine Scheidung von Schichten in letzterem
erkennbar ist.
In den nun folgenden Perioden der Wiederausdehnung ändert
sich das Bild und es treten Jie Vorgänge ein, die schliesslich zur
Bildung getrennter Keimschichten führen.
Wie die früher mitgetheilten Daten zeigen, erfolgt die Ausdeh-
nung der Keimscheibe sehr rasch. Beim Hecht wächst deren Durch-
messer im Laufe einiger Stunden, beim Lachs im Laufe eines Tages
auf das anderthalbfache und darüber; da überdies die Keimscheibe,
während sie sich ausdehnt, dünner wird, so kann die Ausdehnung
nicht als Folge einfachen Appositionswachsthums verstanden werden.
Eher kann man annehmen, dass die Ausdehnung und gleichzeitige
centrale Verdünnung der Scheibe in: Folge rasch eingetretener Zellen-
wanderungen entstanden sei. Es ist dies ein Gedanke, den schon
C. Vogt als naheliegend andeutet?), wogegen neuerdings GOETTE
l) Am besten constatirt man das an Flachschnitten oder an ganzen, von der
* Fläche gesehenen Keimen.
2) C. VogT, Embryologie des Salmones Neuchätel 1843. p. 38 u. p. 42.
von Knochenfischen bes. über diejenige des Salmens. 13
eine Zellenverschiebung als Folge der Theilungsvorgänge ins Spiel
treten lässt!). Die Zellen des Keimes sind zu Strängen und theil-
weise zu eigentlichen Platten verbunden, ein Verhältniss, das zwar
Contractionen einzelner Parthien oder des ganzen Keimes erlaubt, das
jedoch eine eigentliche Zellenauswanderung ausschliesst.
Ehe wir nach andern Erklärungen uns umsehen, constatiren wir
die Einzelnheiten der Beobachtung:
Im Beginn des 6. Tages?) hat der Lachskeim die Gestalt eines
leichtgewölbten Kuchens von 1.4—1.5””m Durchmesser und 0.4—
0.45=® Dicke. Die Mitte desselben ist am dicksten, der Rand
gleichmässig gerundet, die Zellen messen 22—28 u. Die an der
Oberfläche liegenden sind etwas kleiner, und bilden eine dichtgefügte
Schicht, deren freie Fläche glatt, deren innere mittelst zackiger
Fortsätze der Unterlage eingefugt ist. GöTTE nennt diese Schicht
Deckschicht, ein Name, den ich beibehalte. Sie überschreitet den
Aequator des Keimes und endigt an dessen Unterfläche mit freiem
Rande in der Umgebung der die Anfänge der Keimhöhle darstellenden
Lückenräume. Eine kleine Strecke weit berührt somit die Deckschicht
die Dotterrinde In dem Taf. II. Fig. 1 dargestellten Schnitte misst
die Deckschicht von dem einen Endpunkte zum andern 2.2” bei einem
Durchmesser des Keimes von 1.48",
Andere Schichten als die Deckschicht sind noch nicht gesondert,
gleichwohl ist es der folgenden Darstellung halber zweckmässig, am
Keime schon jetzt zwischen der Masse zu unterscheiden, welche un-
mittelbar an die Deckschicht anstösst und derjenigen, welche in der
Tiefe liegt. Ich bezeichne erstere als Gewölbtheil, letztere als
Füllungsmasse; der Gewölbtheil ist von dichterem Gefüge als die
Füllungsmasse, letztere bildet zur Zeit die Decke der Keimhöhle und
stützt sich noch mit zahlreichen Füssen auf den Boden derselben.
Im Beginn des 7. Tages ist der Keim bereits zur flachen Scheibe
umgewandelt und er lässt bei den Flächenansichten den Gegensatz
einer durchsichtigen Mittel- und einer breiten, dunkleren Randzone erken-
nen. Schnitte, die den Keim halbiren, zeigen, dass der Mitteltheil dünn,
1). GörTE, Beiträge zur Entwickelungsgesch. der Wirbelthiere. M. ScHUuLTzr’s
Archiv. Bd. IX, p. 688 u. f..
2) Die Zeitbestimmungen obiger Darstellung beziehen sich auf dieselbe Reihe
G, welche schon oben meinen Maassbestimmungen zu Grunde gelest war. Die
Entwickelung geschah bei einer Wassertemperatur von 11—120 im geheizten
Zimmer. Eier, die im Freien belassen werden, entwickeln sich erheblich lang-
samer.
14 Hıs. Untersuchungen über die Entwickelung
der Rand dagegen verdickt ist. Ersteren bezeichnen wir jetzt als Mit-
telscheibe, letztere mit der schon von C. E. v. Baer eingeführten
Bezeichnung als Randwulst. Die Keimhöhle erstreckt sich als zu-
sammenhängende flache Spalte unter der gesammten Mittelscheibe
-durch, und wird an der Peripherie von dem auf der Dotterrinde
ruhenden Randwulste des Keimes umgrenzt.
Die Deckschicht ist nur noch an der oberen Fläche des Keimes
vorhanden, sie endigt frei an dessen Rand, ja sie kann den Rand
etwas überragen.
In dem Taf. II. Fig. 2 abgebildeten Schnitte beträgt die Aus-
. dehnung der Deckschicht von einem Endpunkte zum andern 2.25 "m
also nahezu gleich viel wie bei Fig. 1, während der Durchmesser des
Keimes auf 2.16 =», d.h. beinahe um die Hälfte gewachsen ist.
Im Bereich des Randwulstes ist die Schichtung angelegt, obwohl
noch unvollkommen durchgeführt. Eine unebene Spalte trennt eine
tiefere, der Dotterrinde anliegende Schicht von der oberen, mit der
Deckschicht verbundenen. Ohne scharfe Grenze schliesst sich die
untere Fläche des Randwulstes derjenigen der Mittelscheibe an.
Beide sind gegen die Keimhöhle hin noch rauh.
Am 8. Tage ist die Mittelscheibe stark verdünnt (von 50y aut
25), der Randwulst scharf geschieden in zwei übereinanderliegende
Schichten, in deren unterer die Zellen vorwiegend horizontal, in deren
oberer sie vertikal gestreckt sind. Die Spalte, welche die beiden
Schichten trennt, ist oben schärfer und glatter begrenzt als unten,
und sie erstreckt sich bis in die Nähe des äusseren Saumes; hier hört
sie auf, und die beiden Schichten hängen unmittelbar unter einander
zusammen. Der innere Saum der unteren Keimschicht!) verjüngt
sich, und stellenweise verfolgt man seine Fortsetzung bis zur Unter-
fläche der Mittelscheibe.e Ein zusammenhängendes Blatt als Fort-
setzung der unteren Schicht des Randwulstes ist nicht nachzuweisen.
Bei Beurtheilung des Mechanismus der Keimscheibenumwandlung
ist vor Allem das Verhalten der Deckschicht zu beachten. Nach-
dem dieselbe im gewölbten Keim gegen die Basis eingebogen war,
endigt sie im abgeplatteten Keime frei am Rande der oberen Fläche,
d.h. sie hat sich mit sammt der anhaftenden Zeilenmasse aufgebogen.
1) GörTTE hat den Ausdruck Keimschicht für die noch unvollständig geschie-
denen Blätter vorgeschlagen. Der Ausdruck erscheint mir passend, denn er
kann manche weitschweifigen Auseinandersetzungen und Missverständnisse ver-
meiden helfen.
von Knochenfischen bes. über diejenige des Salmens. 15
Der Saum, der zuvor der Keimhöhle zugekehrt war, sieht jetzt nach
aussen, und dass sie dabei an Ausdehnung kaum merklich gewonnen
hat, geht aus den oben mitgetheilten Zahlen hervor.
Bei Ausführung jener Bewegung müssen zwei Widerstände über-
wunden worden sein; von welchen der eine in tangentialer, der an-
dere in radialer Richtung sich geltend machte. Der in tangentialer
Riehtung wirksame Widerstand war dadurch bedingt, dass mit Auf-
riehtung des subäquatorialen Substanzringes dessen Durchmesser zu-
nahm; die Persistenz der Spannung ist am kürzlich abgeflachten Keime
daran ersichtlich, dass die Randzellen der Deckschicht eirculär an-
geordnet sind, und dass sich überdies der äusserste Rand etwas nach
aufwärts biegt).
In radiärer Richtung musste bei der Umstülpung des Gewölb-
saumes der Widerstand überwunden werden, welcher aus dessen Zu-
sammenhang mit der Füllungsmasse und aus der Cohäsion der letzteren
resultirt. Diese Ueberwindung geschieht, laut der Beobachtung da-
durch, dass die Füllungsmasse zerreist. Letztere hört auf, einen zu-
sammenhängenden Klumpen zu bilden, rückt an die Peripherie des
Keimes und bildet nun die untere Schicht des Randwulstes.
Mit Rücksicht auf die früheren Verhältnisse haben wir somit
folgende Umlagerung:
1) die verdünnte Mittelscheibe entspricht der Kuppel des ursprün-
lichen Gewölbes;
2) die obere Schicht des Randwulstes geht hervor aus der äqua-
torialen und subäquatorialen Zone des Gewölbtheiles;
3) die untere Schicht des Randwulstes ist die zur Seite gezogene
Füllungsmasse. Kleinere Reste der letzteren erhalten sich
noch in Zellen, die theils an der Decke, theils am Boden der
Keimhöhle vorhanden sind.
Grösse und Richtung der Verschiebung finden theilweise in der
Anordnung der Zellen der unteren Keimschicht einen Ausdruck. Un-
tere und obere Schicht des Randwulstes stehn, dem Obigen zu Folge,
unter ungleichen mechanischen Bedingungen, auf die untere wirkt
ein radıär gerichteter Zug, der sie, um einen kurzen Ausdruck zu
brauchen, unter der obern Keimschicht wegzieht. Folgen dieser Ver-
1) Ueber dies Hervorragen der Deckschicht vergl. man GöTtE, 1. e. p. 694
und seine Abbildungen Fig. 6 u. 7, sowie die Abbildungen OrLLacHer’s Taf. I,
Fig. 4—6,
16 Hıs. Untersuchungen über die Entwickelung
schiebung sind: die Spalte, welche das untere Blatt vom oberen
trennt, die zunehmende Verdünnung und die Lockerung des zwischen
der unteren Randwulstschicht und der Unterfläche der Mittelscheibe
bestehenden Verbindung.
Es ist nun aber der Grund zu suchen für die Aufrichtung und
Umklappung des Gewölbsaumes. Man darf allenfalls vermuthen, dass
die Ursache dieser Veränderungen in der Deckschicht zu suchen sei.
Denken wir uns nämlich die eingerollte Deckschicht strebe vermöge
ihrer Elasticität darnach, sich aufzurollen und flach auszubreiten, so
übt sie auf die unterliegende Masse einen Zug aus, vergleichbar dem-
jenigen, den eine zusammengebogene und durch ein Band gehaltene
Uhrfeder auf dieses ausübt. Würde im letzteren Falle die absolute
Festigkeit des Bandes geringer werden, als die Spannung der Feder,
so würde das Band zerreissen, und seine beiden Enden würden von
den auseinanderweichenden Enden der Feder auseinander gezogen.
Gegen eine ausgiebige Wirkung der Art Seitens der Deckschicht
lässt sich nun aber für’s erste ihre geringe Mächtigkeit einwenden,
und ausserdem kann man die Erwägung machen, dass die auffedernde
Schicht die Verbindung mit ihrer nächsten Unterlage lockern und
sich isolirt umrollen müsste, bevor sie den gesammten übrigen Keim
umzugestalten vermöchte.
Die Abflachung des Keimes mit ihren begleitenden Erscheinungen
lässt sich vielleicht noch auf eine andere Weise verstehen: Ein Ge-
wölbe flacht sich ab, wenn seine Widerlager auseinander weichen.
In unserem Falle würden die äquatorialen und subäquatorialen Zellen-
zonen als diejenigen zu betrachten sein, welche die Stelle des Wider-
lagers vertreten. Führt nun die Substanzzunahme in deren Bereich zu
einer Ausweitung des Ringes, so kann daraus die besprochene Um-
änderung in der Construction des Gesammtgebildes hervorgehen.
Liegt die Zone grössten Wachsthums an der Peripherie der Scheibe,
so wird ferner nicht allein diese an Umfang rasch zunehmen, sondern
es muss auch der, von dem mehr und mehr sich erweiternden Rand-
wulste ausgehende Zug auf die Mittelscheibe dehnend wirken, diese
wird entsprechend der Zunahme ihres Umfanges sich verdünnen.
In Betreff der ungleichen Mächtigkeit des Randwulstes habe ich
den bekannten Angaben früherer Autoren nichts beizufügen.
Bildung des Embryo.
Im beistehenden Holzschnitte sind bei 20facher Vergrösserung 4
Figuren zusammengestellt, welche die Gestalt und Gliederung der
Embryonalanlage für 4 auf einanderfolgende Stufen darstellen. - Fig. 1,
von Knochenfischen bes. über diejenige des Salmens. 127
1, 3 und 4 stammen von derselben Beobachtungsreihe (A) des Lachs-
eies und sind vom 12., 14. und 15. Tage. Fig. 2 habe ich, wegen
einer Lücke in meiner Lachsreihe, aus einer Forellenreihe entlehnt.
Fig. 1—83 sind nach feuchten Präparaten in auffallendem, Fig. 4 nach
einem- eingekitteten im durchfallenden Lichte gezeichnet.
Bei Fig. 3 ist, der Modellirung entsprechend, das Gehirn nach-
träglich eingezeichnet.
Fig. 5 endlich stellt den Embryo von 3 im Profil dar; die über
der Bogenlinie liegende Contour ist direet mit dem Prisma gezeichnet,
das Uebrige nach Durchschnittsbildern herein construirt.
Fig. 1—3.
Vh. Vorderhirn. Mh. Mittelhirn. Hh. Hinterhirn. R. Rautengrube. Nh. Nachhirn.
Ag. Augenblase. Gh. Gehörgrube. Uw. Urwirbel. Fl. Flossenanlage. Rw. Randwulst.
Rk. Randknospe. Ch. Chordalis dorsalis.
Die erste Spur des sich abgliedernden Embryo erscheint in der
hintern Hälfte der Keimscheibe zur Zeit, da diese einen Durchmesser
von ca. 3%® erreicht hat. Es ist eine kleeblattförmige, vom Rand-
1) Bilder bei auffallendem Lichte gezeichnet theilt bekanntlich auch OEr-
LACHER mit. Von den meinigen differiren sie in erheblichem Maasse. Ob
Schrumpfung in Folge zu starker Chromsäure, ob Vertroeknung seine Präparate
verunstaltet haben, oder ob er sie bei ungenügender Beleuchtung gezeichnet
Zeitschrift f. Anatomie. Bd. I. 2
18 Hıs. Untersuchungen über die Entwickelung
wulst nach vorn sich erstreckende Platte, welche eine breite, in 3
Buchten auslaufende Grube umschliesst. Die Grube, (die Medullar-
ogrube), wird durch eine tiefe mediane Rinne in zwei. Seitenhälften
geschieden, sie ist an ihrem vordern Ende am tiefsten, nach rückwärts
flacht sie sich ab, und sie hat schon in einer Entfernung von 0.6"
vom vordern Embryonalrand gemessen, ihre scharfen Seitengrenzen verlo-
ren. Eine zweite seichte und quer gelagerte Vertiefung liegt etwas weiter
hinten, 0.8""% vom vordern Rand entfernt. Das hintere Dritttheil
der Embryonalplatte ist dem Randwulste eingefügt, und ihrer axialen
Verlängerung entsprechend, ist der Saum des letzteren leicht über den
übrigen Umkreis vorgetrieben.
3 Tage später erkennen wir eine bereits weit gediehene Gliederung
des Embryonalleibes. Das Gehirn besteht, wie Fig4 zeigt, aus Vorder-
hirn, Mittelhirn, Hinter- und Nachhirn. Das Vorderhirn ist klein.
Auf der Grenze zwischen ihm und dem langgestreckten Mittelhirne
gehen die Verbindungsstiele der Augenblasen ab; letztere legen sich dem
Mittelhirn flach an. Eine tiefe Querspalte, die Queraxe der Rauten-
orube, bezeichnet die Grenze zwischen dem schmalen Hinterhirn und
dem langgezogenen Nachhirn, neben letzterem sind die Gehörgruben
als noch offene Einbuchtungen wahrnehmbar; in einiger Entfernung
von ihnen zeigen sich die vordersten Urwirbel, deren jederseits über
20 sich zählen lassen. £
Da die 4 Figuren bei der gleichen Vergrösserung gezeichnet und
ihr vorderes Ende in eine Linie gelegt ist, ist es leicht, dieselben auf
einander zu beziehen.
Bei Fig. 1 beträgt die grösste Breite 1.75”, die geringste noch
0.92 m, Bei Fig. 4 die grösste, in der Augengegend gemessenen
Breite 0.5 "®, die Breite in der Rautengrubengegend 0.47. Die offene
Grube, die dort vorhanden war, ist hier geschwunden. Vergleichen
wir damit noch Fig. 2, so wird ersichtlich, dass die ursprünglich breite
Anlage sich zusammengelegt hat und dass die Grube zur Hirnhöhlung
und zwar besonders zu derjenigen des Mittelhirnes geworden ist. Die
breiten Seitenlappen der in der 1. Fig. gezeichneten Platte sind zu
den Augenblasen geworden, und sie stimmen auch in Betreff der Längs-
und das undeutlich Gesehene ergänzt hat, vermag ich nicht zu entscheiden.
Bilder, wie seine Fig. 9, 10, 13 sind mir bei zahlreicher Beobachtung feuchter
Präparate im auffallenden Lichte nie vorgekommen und sind mir daher un-
verständlich. Auch seine kugelförmige Abgrenzung der Randknospe vermochte
ich nicht zu beobachten. Die oben mitgetheilten Zeichnungen 1—3 und 5
habe ich bei Beleuchtung mit concentrirtem Sonnenlichte mittelst des Prisma
wiederholt aufgenommen.
von Knochenfischen bes. über diejenige des Salmens. 19
ausdehnung mit denen der nachfolgenden Figuren überein. Die hin-
tere Querbucht der Anlage 1 bezeichnet bereits den Ort der Rauten-
grube und der einspringende Winkel zwischen Randwulst und Em-
bryonalplatte, denjenigen der Gehörgrube. Der Blick auf die vierte Fig.
überzeugt uns aber ferner, dass die erste Anlage nur die Anlage des
Kopfes umfasst, dass hinter ihr Nichts vorhanden ist, das als Rumpf-
anlage sich deuten liesse. Nichtsdestoweniger entsteht und wächst
die Rumpfanlage sehr rasch und ihre Entstehung geht Hand in Hand
mit der Umwachsung des Dotters durch die Keimscheibe. Wenn die
Dotterumwachsung vollendet ist, ist auch die Rumpfanlage beisammen.
Die Masse, aus welcher die Rumpfanlage hervorgeht, ist im Rand-
wulst der Keimscheibe aufgespeichert, und sie gelangt dadurch an
ihren Ort, dass jeweilen die dem hintern Ende des bereits ab-
gegliederten Embryo zunächst liegenden Strecken an diesen sich heran-
schieben, und ihn nach rückwärts verlängern. Ist der Dotter bis auf
einen kleinen Rest umwachsen, so ist vom Randwulste nur noch ein
kleiner, das hintere Körperende bildender Ring übrig, dessen Hälften
schliesslich gleichfalls sich verbinden.
Bei der Einbeziehung des Randwulstes in die Körperanlage liefern
die äusseren, dem convexen Saume näher liegenden Zellen des Wulstes
die Axialgebilde, die des inneren concaven Saumes gehen in die
Seitentheile des Körpers über. So lange die Dotterumwachsung durch
die Keimhaut nicht vollendet ist, wird der Umwachsungsrand hinter
(der Embryonalanlage von einem kleinen gerundeten Vorsprung überragt,
welchen wir uns eben durch die Zusammenschiebung hinterer Rand-
zellen gebildet zu denken haben. OELLACHER, der ihn bereits beschrieben
‚hat!), nennt ihn Schwanzknospe, eine Be-
zeichnung, die ich mit dem unverfäng- Fig. 6.
licheren Ausdruck Randknospe ver-
tausche. Beifolgender Holzschnitt dient
zur Erläuterung des Bildungsherganges;
die Pfeile bezeichnen die Reihefolge der
in der Richtung von vorn nach rück-
wärts auf einander folgenden gleichwer-
thigen Theile. Die Uranlage des Kör-
pers ist sonach ein platter Ring, dessen
Breite und Dicke an einer Stelle, dem
zukünftigen Kopfende, ein Maximum,
am gegenüberliegenden Schwanzende ein
I) OELLACHER, Zeitschrift f. wiss. Zool. Bd. XXIII pag. 21.
o%*
20 Hıs. Untersuchungen über die Entwickelung
Minimum besitzt. Successiv legen sich die zwei Seitenhälften des
Ringes an einander, und vereinigen sich als symmetrische Körperhälften.
Dabei bedürfen das Kopf- und das äusserste Schwanzende keiner Ver-
wachsung, da ihre Seitenhälften von Anfang an verbunden sind. Beim
Fig. 7—10.
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; 1 N
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UT As ” S
Lachs vollendet sich der ganze Vorgang in 6 Tagen, beim Hecht und
ebenso bei der Aesche in etwa 24 Stunden. Wie der Kopf, so werden
Umwachsungsstadien des Lachseies-
auch die Theile des Rumpfes in einer Grösse angelest, die in der
Folge nur sehr allmählich zunimmt.
von Knochenfischen bes. über diejenige des Salmens. 91
Will man die verschiedenen Entwickelungsstadien während der
Umwachsungsperiode auf einander projieiren, so hat man vom Kopf-
ende als unbeweglichem Stücke auszugehen. Ich habe so in Fig. 11
vier Stadien des Lachseies 10 mal vergrössert dargestellt, und dabei die
genauen Maasse der beobachteten Embryonen inne gehalten. Es ergiebt
sich aus der Zeichnung, dass der vor dem Kopfe liegende Theil des
Keimhautrandes allerdings einen viel grösseren Weg zurücklest, als
der hintere Rand, allein der letztere darf nicht, wie ÖELLACHER will,
als feststehend angenommen werden. !)
Die Maasse der bezüglichen Beobachtungsreihe sind folgende:
AN. A 10. A12. A14.
Präparate. _ Beginn des | Beginn des | Beginn des | Beginn des
12. Tages. | 14. Tages. | 16. Tages. | 18. Tages.
Meridianbogen der
Keimhaut vor dem
Embryo. ..... 2.350m |83bis4.5mm [gegen 1O"m| gegen 14m
Länge des Embryo 1.4 mm 2,7 mm 3.5 mm 4.7 mm
Grösste Breite der
Embryonalanlage . rAmm Om a 0.65 m
Nach vollendeter Umwachsung des Eies durch die Keimhaut um-
schliesst der Lachsembryo etwas mehr als ein Viertheil des Eiumfanges.
Fig. 12.
Hechtei. Aeschenei.
Bei kleineren Eiern ist der umschlossene Bogen grösser, bei sehr kleinen
Eiern überschreitet er sogar 180°.
So bildet KuPFFER aus den Eiern von Gobius minutus und
1) Man vergl. OErLAcHer’s Schema p. 4 seiner 2. Abhandlung.
23 Hıs. Untersuchungen über die Entwickelung
Gobius niger Embryonen ab, welche mehr als 180° des Eiumfanges um-
fassen und die dabei sehr kurz sind.!) Ich habe zur Vergleichung mit
der obigen Figur des Lachseies in Fig.12 u.13, bei gleichfalls zehnmaliger-
Vergrösserung und unter Benutzung genauer Maasse verschiedene Um-
Fig. 14. wachsungsstadien des Hecht- und des Aescheneies dar-
gestellt.) Man ersieht daraus, dass beim grossen Lachsei
der Embryo nach Abschluss der Umwachsung eine ab--
solut beträchtlichere Länge erreicht hat, als im kleineren
Ei der Aesche, und in diesem hinwiederum eine be-
OR trächtlichere als im noch kleineren Hechtei. Die un-
ET , gleichen Längen kommen indess ausschliesslich auf
% redueirt. Kosten des Rumpfes, denn die Kopfdimensionen sind
bei den von mir untersuchten 3 Fischspezies auf derselben Entwicke-
lungsstufe nahezu dieselben.
Das Volum eines 40 mal vergrösserten Wachsmodells des Lachs-
embryo nach eben vollendeter Eiumwachsung (A 14) beträgt 47 Cub.®.
Dies ergiebt für den Embryo ein Volum von 0.73 Cubmm- Nach der-
selben Methode hatte ich Fig. 6 für die gesammte Keimscheibe im
Beginn der Embryobildung 0.78 Cubm"- erhalten. Man darf die Methode
selbstverständlich nicht als eine sehr präcise ansehen, immerhin ist,
selbst bei Voraussetzung relativ bedeutender Fehlergrenzen, der Schluss.
nicht zu umgehen, dass das Volum des Embryo nach eben vollendeter
Dotter-Umwachsung nicht sehr erheblich von demjenigen des Gesammt-
keimes im Beginn der Embryobildung differirt. Es geht daraus hervor,
dass die Bildung der formellen Körperanlage wesentlich auf Um-
gruppirung einer bereits vorhandenen materiellen beruht. Aus allen,
1) KuprFer in M. Schultze’s Archiv Bd. IV. Taf. XVII u. XVIII. Angeblich
ist KupFrEr’s Zeichnung 60 mal vergrössert, d.h. wohl, die Details seines Originals -
entsprechen denen einer 60maligen Vergrösserung. Wäre KuUPFFEr’s Angabe wört-
lich zu nehmen, so würde das Gobiusei nur 0.43% messen. Ich vermuthe, dass.
Kuprrer’s Zeichnung etwa 20mal vergrössert ist.
?) Maasse der zu obigen Figuren be- Hecht. | Aesche.
nutzten Präparate: 5, Ih. c. | a. b.
mm mm mm mm cm
Länge des Keimhautmeridians vor dem
imbryio 2... 22022 2,0 2 2, er ed 4.4 4.7 5 gegen &
VanzesdespRmbryo .. 0.0 n ler 3.5 3.7 3.9 4.65
Grösste Breite des Embryo . . . ... 1.10 | 0.8 0.6 0.8 —
An der Skizze des Aescheneies habe ich noch das Stadium eingetragen, welches
der Embryobildung unmittelbar vorausgeht. An dem betreffenden Präparate be-
trug der Durchmesser des Keimes 2.8mm, die grösste Breite des Randwulstes
0.65mm, die ihr gegenüberliegende geringste 0,35 mm,
von Knochenfischen bes. über diejenige des Salmens. 23
früheren sowohl als späteren Messungen ergiebt sich übereinstimmend,
dass die Zunahme der Keimmasse nicht in Sprüngen vor sich geht,
sondern stetig und mit verhältnissmässiger Langsamkeit. So mässig
nun aber der Betrag des Wachsthums während der in Rede stehenden
Periode ist, so muss er doch genügen, den Umformungsprozess des
Keimes einzuleiten, und in kurzer Frist zum Abschluss zu bringen;
denn ein anderes die Formung bestimmendes Agens ist in keiner
Weise zu erkennen.
So sehr man dahin gedrängt wird, Wachsthum als die Ursache der
Ausdehnung des Keimes über den Dotter und als diejenige der Embryo-
bildung anzusehen, so schwer ist es doch, sich Rechenschaft davon zu
geben, wie das Wachsthum im Keime vertheilt sein muss, um die be-
schriebenen Vorgänge zu Stande zu bringen. Wir hatten oben den
Gedanken ausgesprochen, dass sich die Abflachung des zuvor ge-
wölbten Keimes auf ein intensiveres Wachsthum in der Randzone zurück-
führen lasse, und damit konnte auch die zunehmende Verdünnung der
Mittelscheibe in Zusammenhang gebracht werden. Bleiben wir bei
dem Gedankengange stehen, so können wir annehmen, dass der Rand
des Keimes nicht allein durch rasches Wachsthum sich ausbreitet,
sondern dass er auch in Folge ungleicher Wachsthumsvertheilung sich
gegen die Mittelscheibe einbiegt und so, als eine Art abgeklemmter
Schleife die Anlage des Embryo bildet. Mit dieser Erklärung behelfen
wir uns allenfalls bis zum Aequater der Dotterkugel, dann aber lässt
sie uns völlig im Stich. Nach Ueberschreitung des Aequators nimmt
die Länge des Randwulstes rasch ab, ohne dass der Embryoleib um
gleiche Länge zunimmt.
Bedenkt man, dass der Randwulst sich dem hintern Körperende
anfügt und schliesslich ganz in dessen Körperende aufgeht, so sollte
man unter der gleichzeitigen Voraussetzung stetigen Wachsthums er-
warten, dass die Werthsumme: Länge des bereits angelegten Embryo
+ halbem Umkreis des Randwulstes stetig zunimmt. Statt dessen
wächst sie rasch bis zur Ueberschreitung des Aequators, und nimmt
dann wieder ab, um schliesslich kaum dem Anfangswerth gleich zu
bleiben. So ergiebt die Messung für die obige Figur des Lachseies:
IR | Halber Umkreis des | Summe
| Länge des Embryo. | Randwulstes. ; | ws
= mm z | mm
No; 1 | 1.4 9.7 7.1
Ei DT 94 11.8
ES! 3.5 1.9 11.4
ke: 4.7 1.— 5.7
94 Hıs. Untersuchungen über die Entwickelung
Dazu kommtnoch folgende Beobachtung: An Fischeiern, welche durch-
sichtig genug sind, um im lebenden Zustand unverletzt sich beobachten
zu lassen, wie an Hecht- und Aescheneiern überzeugt man sich, dass
der Randwulst mit Spannung den Dotter umgiebt, letzterer pflest an
den Berührungsstellen mehr oder minder erheblich eingeschnürt zu
sein, und bei den, bis über den Aequator fortgeschrittenen Umwach-
sungsstadien setzt sich der noch freie Theil des Dotters förmlich
hernienartig ab von dem bereits umwachsenen Theil der Kugel.!) Diese
Wahrnehmung, ebenso wie die von der raschen Ausdehnung und dann
wieder eintretenden Verkürzung des Randwulstes führen uns zur Vor-
stellung, dass dieser, ähnlich einem elastischen Ring über den Dotter
weggezogen wird. Wo nehmen wir aber die Kraft her, welche das
Herüberziehen des Ringes bewirkt? Man kann versuchen, die Con-
traction des Dotters in’s Spiel zu ziehen; unstreitig lässt sich mittelst
dieser ein Mechanismus denken, wonach die Keimscheibe erst sack-
artig ausgeweitet wird und später, der Elastieität ihres Randes folgend,
zur Kugel sich schliesst; allein wenn man eine solche den Keim deh-
nende Kraft einführt, wird es wieder unverständlich, wie zu derselben
Zeit der Embryo sich bildet, dessen gesammte Bildungsgeschichte das
unzweifelhafteste Gepräge einer Substanzzusammendrängung an sich
trägt. Wir stehen also hier vor einem noch ungelösten Problem ent-
wickelungsgeschichtlicher Mechanik, für das vielleicht später ver-
gleichende Untersuchungen den Schlüssel gewähren werden.
Ueber die erste Anlage des Embryo und seines Oentralnerven-
systems herrscht in den Darstellungen nichts weniger als Ueberein-
stimmung, obwohl die thatsächlichen Beobachtungen der verschiedenen
Forscher unter sich kaum abweichen. Unter den älteren Beobachtern
hat v. BAER?) zuerst die Existenz eines verdickten Randwulstes con-
statirt. Als erste Spur des Embryo erkannte er eine sehr breite seichte
Furche, deren Boden kielartig gegen den Dotter vortritt und deren be-
grenzende Ränder, die Rückenwülste, noch fast die ganze Breite des Eies
einnehmen; später sollen sie sich erheben und der Länge nach zu-
sammenschliessen, und darauf lässt v. BAER die Gehirnbildung, die
Urwirbeltheilung u. s. w. folgen. |
Grossen Werth lest v. BAER bei seiner Darstellung auf die Ueber-
einstimmung in den’ ersten Entwickelungsstadien bei Knochenfischen
1) In obiger kleinen Tabelle ist auf diesen Umstand keine Rücksicht ge-
nommen; das Ei als reine Kugel vorausgesetzt; indess ändert dies natürlich
an der allgemeinen Thatsache der Zu- und Abnahme der fraglichen Werthsumme
nichts.
2) BAER, Unters. über die Entwickelungsgesch. der Fische. Leipzig 1835, p. 10.
von Knochenfischen bes. über diejenige des Salmens. 25
und bei Batrachien, und die Beobachtungen an den letztern haben
ihn geleitet bei Interpretirung der sehr viel schwieriger verfolgbaren
Fischentwicklung.
In der grossen Vocr’schen Monographie sind die Vorgänge der
Dotterumwachsung und der Embryobildung bereits weit eingehender
erörtert; u. A. hat Vogt von der Trübung der Keime durch Säuren
Gebrauch gemacht, um die früheren Stadien desEmbryo zu verfolgen.!)
Er beschreibt die Furchung, welche v. BAER noch entgangen war, die
eintretende Abplattung des Keimes, die excentrische Stellung der
ersten Embryonalanlage und den Zusammenhang der letzteren mit
dem Randwulste. Es finden sich bei Vogr manche für die damalige
Zeit sehr bemerkenswerthe Aeusserungen. Nicht allein führt er die
Keimabplattung bereits auf eine Umlagerung der Zellen zurück, sondern
er denkt selbst an Zellenbewegungen ?) als Ursache der Umlagerung, aller-
dings giebt er dem Gedanken keine weitere Folge. Die Umgebung
des Dotterloches, d. h. also den Randwulst, sieht Vogr als den Haupt-.
sitz der zur Bildung des Embryo führenden Zellenerzeugung an. Der
Einsicht, dass der Embryo durch Zusammenrücken der zwei Ringhälften
entstehe, hat er offenbar sehr nahegestanden, immerhin ist er nicht zu
deren Formulirung gelangt.)
In zwei durch den Zeitraum von 10 Jahren von einander geschie-
denen sorgfältigen Arbeiten hat LEREBOULLET die Fischentwicklung
behandelt.*) Mit der Abplattung des Keimes sieht er die Spaltung in
zwei am Rande zusammenhängende Schichten eintreten. Auf dieser
Stufe nennt L. den Keim Keimblase (Vesicule blastodermique) und
vergleicht das Verhältniss der letzteren zum Dotter mit demjenigen
einer serösen Haut. Die im Keime auftretende Furchungshöhle, welche
hierbei LEREBOULLET beschreibt, ist in neuerer Zeit mit Unrecht an-
gefochten worden. Er versteht darunter, wie aus seiner allerdings
1) Voct, Embryologie des Salmones. Neuchätel 1842. Die Bilder undurch-
sichtig gemachter Keime geben die Figuren 121 u. £.
2) 1. c. p.42. On powrrait eroire que les cellules elles-mömes sont douees
d’un certain mouvement, qui les rend aptes, & se reunir dans un point donng,
puisque —; mais un pareil mouvement des cellules serait difüieile & expliquer dans
/etat actuel de nos connaissances.
3) La partie libre du vitellus, que nous avons appel& le trou vitellaire, est
entourde d’un anneau assez &levd, qui se dögrade insensiblement en dehors, tandis
qw& linterieur ses parois sont presque verticales. On dirait que cet anneau est
la continuation des deux carenes qui accompagnent le sillon.
4) LEREBOULLET, Embryologie compar&de du brochet, de la perche et de l’Ecre-
‘visse M&m,. des savants &trangers 1853 tom. XVII. — Annales des Sciences
naturelles, Zool. IV. Serie Bd. XVI et XVIII. Developpement de la truite.
96 Hıs. Untersuchungen über die Entwickelung
etwas schematisirten Abbildung (Fig. 27 der 1. Abhandlung) hervorgeht,
die durch neuere Arbeiten wohlbekannte Spalte zwischen der oberen
und der unteren Keimschicht. Den zuerst auftretenden Primitivstreifen
(Bandelette primitive) beschreibt L. als flaches Dreieck, das mit seiner
breiten Basis in den Randwulst übergeht. Der Streifen wird in der Folge
schmaler und verlängert sich. Ueber das Wie? giebt L. keinen klaren
Aufschluss. Das Auftreten der Rückenfurche erklärt er als einen spätern
Vorgang, und aus seiner Beschreibung geht hervor, dass er damit das
Sichtbarwerden zweier Seitenhälften des Medullarrohres in der Flächen-
ansicht meint.
KuPrrer,!) der den Vortheil gehabt hat, an den sehr durchsichtigen,
. beinahe fetttropfenfreien Eiern kleiner Fische (Gasterosteus und Gobius)
zu untersuchen, hat über den Anschluss des Randwulstes an die erste
Spur der Embryonalanlage besonders scharfe Anschauungen gewonnen.
Für Gasterosteus giebt K. im Wesentlichen folgende Schilderung:
„An einer Stelle beginnt der Keimsaum sich zungenförmig gegen den
Pol vorzuschieben, und dieser Fortsatz wächst bis zum Pol vor. Gleich-
zeitig wulstet sich der Keimsaum stärker in dem Abschnitte, von dem
jener Fortsatz seinen Ausgang nimmt, während am entgegengesetzten
Umfange die Wulstung abnimmt. Die Hauptmasse der Zellen zieht
sich nach der Stelle hin, wo die neue Bildung ihren Ausgang nimmt.“
Etwas abweichend gestalten sich die Dinge an den sehr kleinen Eiern
von Gobius. Für den Mechanismus der Keimsaum- und der Embryo-
bildung beansprucht KuUPFFER Zellenwanderungen, da er sich die
nachweisbar rasch dabei eintretenden Massenverschiebungen in an-
derer Weise nicht zu denken vermag. Auch KUPFFER kommt nicht
zum scharfen Ausdrucke der bilateralen Entstehung des Rumpfes aus
dem Randwulste. Die Entstehung der Gehirnanlage schildert K. in
einer von seinen Vorgängern wesentlich abweichenden Weise.
Von den beiden neuesten Autoren über Knochenfischentwickelung
hat OELLACHER folgende Anschauungen formulirt:
Nachdem sich zuvor schon das Hornblatt (die Deckschichte von
GOETTE) durch die Beschaffenheit seiner Zellen vor dem übrigen Keime
ausgezeichnet hat, hebt sich der Keim excentrisch vom Dotter ab, und
es entsteht die Keimhöhle, welche allmählich sich vergrössert. Nun sol-
len sich von der Decke die unteren Zellen ablösen, zum Theil auch nach-
träglich herabfallen, und in die oberflächliche Schichte des Dotters ein-
graben. Die Stelle des Keimes, wo der Embryo sich bilden wird, bleibt
1) Kurprrer, Beob. über die Entwickelung der Knochenfische. Max
Schultze’s Archiv, Bd. IV. p. 221 u. £.
von Knochenfischen bes. über diejenige des Salmens. DH,
von Anfang ab dick; von ihr aus soll die Bildung des Embryo derart
ausgehen, dass letzterer immer mehr nach vorn hervorwächst, während
das hintere, mit der Schwanzknospe versehene Ende ruhen bleibt. Durch
einen schematischen Holzschnitt veranschaulicht ÖELLACHER diese
seine Vorstellung. Darnach rückt nur der vordere dünne Theil der
Keimhaut über den Dotter weg, und trifft schliesslich wieder mit der
Schwanzknospe zusammen. Hinsichtlich des Wachsthums des Embryo
spricht OELLACHER von einer beständigen Stoffaufnahme, Vergrösserung
und Vermehrung der in der primitiven Anlage enthaltenen Zellen ;
die zusehende Verschmälerung des Embryo bereitet ihm Verlegenhei-
ten, die er zwar in anerkennenswerther Weise eingesteht, über die er
indess die geeignete Brücke nicht zu finden weiss. Das sehr bedeutende
Material, welches sich OELLACHER gesammelt hat, hätte ihn bei syste-
matischer Anwendung von Messmethoden sicherlich zur richtigen Auf-
fassung der Vorgänge führen müssen.
GOETTE?) verfolgt in dem bis jetzt veröffentlichten Theile seiner
Arbeit nur die Vorgänge, welche der eigentlichen Embryobildung vor-
ausgehen. Die Abplattung des Keimes sieht er (l. e. 684) als eine
Folge der Zellentheilung an. Die bei einer jeden Zellentheilung statt-
findenden Raumverschiebungen sollen nämlich überwiegend so statt-
finden, dass die Ausbreitung der Platte in horizontaler Richtung ge-
währleistet sei. Die Entstehung des Randwulstes erklärt GOETTE aus
einer „Anstauung der gegen die Peripherie verdrängten Zellen am
Rande der Dottergrube“. Da nun: die embryonale Hälfte der Keim-
scheibe zusehends mächtiger, die entgegengesetzte dagegen immer
dünner wird, so nimmt GOETTE an, dass im Verlauf der Keimaus-
breitung Zellen aus der dünnen Hälfte in die dickere überwandern. Mit
Recht macht G. darauf aufmerksam, dass für die Annahme einer, in
beschränkten Keimtheilen ausserordentlich verstärkten Ernährung
(i. e. Wachsthum) kein Grund vorliegt. Das Auftreten der untern,
„secundären“ Keimschicht wird, soweit es sich um die thatsächliche
Beobachtung handelt, von @. in correeter Weise geschildert, dagegen
bezeichnet er den Bildungsvorgang als „Umschlag“ der obern „primä-
ren“ Keimschicht. So, wie nämlich G. die Sache auffasst, wächst die
untere Keimschicht aus dem äussersten Rande der oberen hervor, und
verlängert sich alsdann in centripetaler Richtung. Indem obere und
untere Schicht in entgegengesetzter Richtung sich bewegen, muss die
Scheidung derselben vom Ursprung der tiefern Schicht zu deren innerem
2) GoETTE, Beiträge z. Entwickelungsgesch. d. Wirbelthiere. M. Schultze’s
Archiv, Bd. IX. p. 679 u. £.
28 Hıs. Untersuchungen über die Entwickelung
sg a nee
5 3 [Zeit nach der Länge Grösste Bump ee ae
ses Befruchtung. | des Körpers | Kopfbreite, hinter der |dem a
as n Desilane | es
[ae (gestreckt). |
im Beginn: Di nz SR ve
A 9 .|des12.Tages 1.4 . 1.4 —_ —
A1O0 Melden, DR 0.6 —
A12 a LER 3.9 0.55 — —
A14 A Koracs 4.7 0.65 — —
A15 le 4.7 0.65 0.3 —
A 16 Re 4.85 0.65 0.31 —
A1S ED, 5.4 0.5 0.4 1a
A19 MD 5.6 1.0 0.4 1e8
20:20 6.4 — — 1.9
A21 RAR 6.8 1.15 0.4 1.95
A 22 DS 7.0 — — 1.95
A 23 2. nel — — 2.0
A 24 alle 1.2 — — 2.1
A25 Er EARER 7.6 1.2 — Dal!
A 27 a 8.4 1.25 — al
A283 KRSDLTH 8.8 1.3 0.45 241
A29 SEEN 9.3 1.4 0.45 2.1
A 30 Oh, 9.6 1.5 0.45 2.1
A31 Ali 10.0 — — 2.1
AB AA, 11.4 — — 2.2
A 33 Pa Re 11.9 — — 2.3
A 34 N 12.9 2.0 0.8 2.5
A735 Im Des 13.7 2.2 0.85 2.6
IASSb a cH8 N, 14.6 2.9 0.9 DET
Bear 62... 15.8 2.4 0.9 2.9
38 | ...08, „ 17.6 2.5 0.95 Sl
A 39 SELL... 19.2 DIT 1.2 3.2
NA 10. 25.0 4.2 3.2 588
Schwanz-
länge
(vom After
zum hintern
Leibesende.)
5.2
von Knochenfischen bes. über diejenige des Salmens.
Rumpf-
länge
(berechnet).
mm
19.2
Verhältniss-
zahlen.
Kopf
zur Ge- zur
sammt- Rumpf-
länge. | länge.
318 1.47
a 1.58
3.49 1.64
3.55:| 1.65
3.40 | 1.50
3.62 1a
4.0 1.95-
A I)
4.16 | 2.47
5.17 2.14
5.16 2.62
Dan, 2.65
5.41 2.66
5.45 2.69
5.68 | 3.09
6.0 2.97
Art 1.66
29
arche ne
IIERBER ut) der hin
der messer | Gehör- | Mittel-
Urwirbel des blase. | hirn-
(vorn Augapfels. | randes
gemessen). vom vordern
Kopfende.
0.06 0.4 1. 0.9
= 0.4 1.15 —
— 0.4 1.15 | 0.9
ma 0.4 1.15 Ser
—G 0.4 1.15 Baar
= 0.45 15165, >
— 0.45 115 er
0.1 0.50 1.3 u
= 0.55 | 14 1.0.9
0.12 0.65 1.4 Ne
Pe 0.7 — 110
0.15 02 SE 1.2
u 0.7 ASE as
En 0.75 = =
— 0.77 er A
— 0.8 > aN
D.1T.,. S0kena
0.18 | 0:9 Beleg
0.19 | 1.0 2 0g
Da ae
0.19 219 Ne
0.2 1.3 a 2.8
0.25. ag
0.3 1.8 N
30 Hıs. Untersuchungen über die Entwickelung
freiem Rande hin sich entwickeln. Wenn GOETTE in seinen, offenbar
noch nicht zur genügenden Klarheit durchgearbeiteten Einzelvor-
stellungen von mir sehr wesentlich abweicht, so stimmen wir doch in
dem Bestreben überein, die Bildung der ersten Embryonalanlage auf
eine mechanisch abzuleitende Zellenumlaserung zurückzuführen.
Wachsthum und weitere Ausbildung des Fischembryo bis zur
Aufzehrung des Dottersackes.
Als Grundlage des folgenden Capitels schicke ich eine Tabelle vor-
aus. Die Messungen sind an den feuchten Präparaten einer in ver-
dünnter Chromsäure (!/, %) erhärteten, später in verdünntem Alkohol
aufbewahrten Entwicklungsreihe ausgeführt. Die Reihe A, welche ich
hier benutze, schliesst sich der Reihe G, welche den über Furchung
gemachten numerischen Bestimmungen zu Grunde lag, der Art an,
dass A9 der Stufe G9 entspricht, d. h. beide geben den Embryo in
seinen ersten Anfängen. Dagegen ist die im Zimmer zur Entwicklung
gebrachte Reihe G der im Freien entwickelten Reihe A etwas voraus-
geeilt. Die in der Reihe vorhandenen Unterbrechungen rühren daher,
dass mir einige Präparate zu Grunde gegangen sind. Zum Aufheben
der Präparate wurden die Eier erst auf wenige (2—3) Tage in Chrom-
säure gelest, und dann der Theil, welcher den Keim oder den Embryo
enthält, mit dem Rasirmesser abgetragen. Beim Härten der ganzen Eier
wirkt die Kapsel verunstaltend auf den Embryo.
Nachdem die Umwachsung des Eies vollendet ist, erscheint der
Embryo als ein schmaler Streifen, der im Bereich des Vorderkopfes
ringsumher frei ist, im Bereich des Hinterkopfes aber und des Rumpfes
dem Dottersacke aufsitzt. Der Kopf ist etwas breiter als der Rumpf
und enthält, ausser dem bereits gegliederten Gehirn, die Augenblasen
und die Gehörblasen, letztere durch leichte Anschwellung kenntlich.
Der Rumpf zeigt bis gegen das hintere Ende hin die Urwirbelglie-
derung. Neben der die Rumpfanlage bezeichnenden Leiste sind die
ersten Spuren der Brustflossen bemerkbar.
Nach einigen Tagen hat sich auch der Schwanz abgegliedert,
dessen vorderes Ende von der Zeit an bestimmbar ist, da ein After
vorhanden ist. Die Schwanzbildung und die Bildung des Afters be-
fuhen auf einer zunehmenden Abschnürung des Hinterleibes vom
Dottersacke; der Schwanz, einmal angelegt, ist ruderartis abgeplattet
und pflegt, bei gleichzeitiger Krümmung des Embryonalkörpers, auf der
einen Fläche zu liegen.
von Knochenfischen bes. über diejenige des Salmens. 31
Ueber das Volumwachsthum geben obige Zahlen natürlich keinen
Aufschluss. Das Volum eines 40fach vergrösserten Wachsmodells von
einem Fische der Reihe A vom 31. Tage bestimmte ich zu 265 Cub.®“,
was für das unvergrösserte Thierchen 4.14 Cub.”” ergiebt. Nehmen
wir das Anfangsvolum des Keimes = 0.25 Cub.”” so beträgt das
mittlere Tageswachsthum vom 1. bis 31. Tage 0.133 Cub.”®. Allein
das absolute Volumswachsthum ist während dieser Zeit nicht stetig
dasselbe, es steigt besonders in der zweiten Hälfte bedeutend an, wie
schon die grobe Besichtigung der Grössenzunahme der Fische ergiebt.
Legen wir die pg. 5 bestimmten Näherungswerthe für das Anfangs-
wachsthum zu Grunde, und setzen wir das Wachsthum des Keimes
vom 1.—9. Tage zu 0.25 Cub.””, so ergiebt dies ein Tageswachsthum
von 0.028 Cub.”®, d. h. nur etwa !/; des obigen Werthes.
Längenwachsthum. Die Tabelle, einen Zeitraum von etwas
über 4 Monaten, d. h. die gesammte Embryonalzeit bis zur Aufzehrung
des Dottersacks umfassend, zeigt ein stetig fortschreitendes Längen-
wachsthum. In den 120 Tagen, vom 20. bis 140., ist die Länge eines
Fischehens um 2%”, gewachsen, d. h. im Mittel täglich um 0.166",
Indess haben während dieser Zeit Perioden rascheren und solche
langsameren Wachsthums mit einander gewechselt. In Folge der
individuellen Unregelmässigkeiten und theilweise auch der Messungs-
fehler sind in der Tabelle die Zuwachse von einem Tage zum andern
ziemlich ungleich. Eine brauchbarere Tabelle erhält man bei Benutzung
der Differenzen von je mehreren Tagen und bei Berechnung der bezüg-
lichen Tagesmittel. Darnach beträgt:
Die Zunahme. Tassernittel,
In den: mm mm
6 Tagen v. Beginn d. 12. bis Beginn d. 18. Tages 3.3 0.55
De. I: 18. $ DA. 0.7 0.116
BE: u 24. . SNUREEE 1.8 0.30
DE. % 30. a 3DK. 5, 1.6 0.32
6, ® 35. a; Aller, 1.2 0.20
DI =.. N 41. x A 1.9 0.316
tn $ AT. .; 54. „ 1.8 0.26
BR, # 54. s, 62.0,,; 2.1 ı 0.251
15; ,, S 62. i; Tee 3.4 0.22
(Fe h 17. % 140. „ 5.8 I: 0.09
32 Hıs. Untersuchungen über die Entwickelung
Wir können dieser Tabelle zufolge 4 Perioden auseinander halten:
Die erste vom 12.—18. Tage ist die Periode der raschesten Körper-
verlängerung, allein sowohl der totale, als der Tageszuwachs dieser
Zeit sind nicht der Ausdruck wirklicher Neubildung, und können nach
den früheren Mittheilungen über die Art der Körperzusammenfügung
nicht mit den Zuwachswerthen der nachfolgenden Zeiten in eine Linie
gestellt werden.
Auf die Umwachsung des Eies folgt eine kurze Periode mit ge-
rinsem Tageswachsthum. Zeitlich fällt das Ende derselben zusammen
mit der Entstehung und der beginnenden Thätigkeit des Herzens. Von
der 4. bis zur 11. Woche folgt eine Periode regelmässigen Wachsthums,
während welcher das mittlere Tageswachsthum von 0.2 bis 0.32 7
beträgt. Später, mit zunehmender Erschöpfung des aus dem Ei mit-
gebrachten Nahrungsvorrathes nimmt das Tageswachsthum wiederum
erheblich ab.
Das Längenwachsthum vertheilt sich ungleichmässig auf die drei
Hauptabtheilungen des Körpers. Aus der Vergleichung der Kopflänge
mit der Gesammtlänge ergiebt sich, dass im Allgemeinen der Kopf
im Längenwachsthum hinter den übrigen Körperabtheilungen etwas
zurückbleibt, in der 4. Woche bildet er annähernd !/,, in der 11. nur
noch !/, der Gesammtlänge. Zu demselben Ergebnisse führt die Ver-
gleishung der Kopf- mit der Rumpflänge. Auch hier ist die Verhält-
nisszahl im Beginn der 4. Woche mehr denn noch einmal so klein,
als in der 10. und 11. Woche, sie beträgt am 24. Tage 1.47, am 77. 3",
Verhältnissmässig am raschesten wächst der Schwanz. Der Kopf ist
vom 24. Tage zum 77. auf das 1.7fache gewachsen, der Rumpf auf
das 4fache, der Schwanz auf das 5.6fache. Das Zurückbleiben des
Kopfes hängt theilweise damit zusammen, dass seine Theile eine Zeit
hindurch näher zusammengeschoben werden, ein Punkt, auf welchen
wir unten zurückkommen werden. Bemerkenswerth ist der Gang des
Wachsthums in der Zeit zwischen 77 und 140 Tagen. Da wächst,
wie man sieht, der Kopf um 2.6”“ oder um 81 %, der Schwanz
um 2.3”” oder um 34.3 %, der Rumpf aber nicht einmal um 1””
d.h. nur um wenige Prozente. Dafür holt nun der Rumpf im
Diekenwachsthum reichlich ein, was er hinsichtlich des Längenwachs-
thums versäumt. — Die Urwirbel und die aus ihnen entstandenen Mus-
kelscheiben verbreitern sich, entsprechend dem Längenwachsthum des
Rumpfes und des Schwanzes; im Allgemeinen ist ihr Durchmesser
vorne geringer als hinten. Auch gliedern sich, wie bei andern
Wirbelthieren, die hintersten Urwirbel zuletzt ab; dagegen liegt kein
von Knochenfischen bes. über diejenige des Salmens. 33
Grund zur Annahme vor, dass nach einmal abgegliedertem Schwanz
neue Urwirbel gebildet werden.
Am Schädel eilt die Schnauze im proportionalen Wachsthum den
übrigen Theilen voraus. Mit 77 Tagen misst das Kopfstück vor dem
Auge 0.4”® der Rest 2.8, mit 140 Tagen das vordere Stück 1.2,
das hintere 4.6” d. h. es nimmt jenes um 200 %, dieses um nur
64 % an Länge zu.
Auch in Betreff der Beeikehiahiid stellt sich die Sache für den
Kopf etwas anders als für den Rumpf. Der Kopf ist stets breiter als
der Rumpf (dieser wieder breiter als der Schwanz). Die grösste
Kopfbreite fällt in die Gegend der Augen. Die Bestimmung der
Rumpfbreite geschah bei meinen Messungen am hücken hinter der
Brustflossengegend. Das Verhältniss der grössten Kopfbreite zur Rumpf-
breite beträgt zwischen 19—25. Tag 2.17—2.25:1; später steigt die
Verhältnisszahl bis 2.5, ja am Ende der 11. Woche bis 3. — Dann
aber holt der Rumpf wieder einen Theil des Vorsprungs ein, den
der Kopf hatte, und mit 140 Tagen haben wir das Breitenverhältniss
ES
Die Kopfbreite steigt:
vom 19. zum 77. Tag auf das 4.15fache
LO LAU: ee s646tache,
Die Rumpfbreite:
vom 19. zum 77. Tag auf das 4fache
19.2, 1077; 165, u 8fache.
Der Augapfel wächst erst langsam, dann etwas rascher und in
der letzten Periode wiederum langsam.
Sein Durchmesser nimmt zu
”
mm mnı
In den 10 Tagen vom 19.—29. um 0.1, d.h. im Mittel täglich um 0.01
22.2 2, „ 29.—51. „ 0.4, “ 4 es 0018
20: ;, „sol 01, ©... 0.48, S; u: ns RAD:
ld. 2, „ 17.—140. „ 0.45, 5 R 5 OUUT
Vom 19. bis zum .77. Tage ist er auf das 3.37fache, bis zum
140. Tage auf das 4.ö5fache angewachsen.
Im Bereich des Kopfes finden Verschiebungen in dem Sinne
statt, dass die Theile des Hinterkopfes denen des Mittelkopfes sich
nähern. Der Abstand zwischen dem hinteren Rande des Mittelhirns
und dem vorderen Kopfende beträgt in der 4. Woche 0.93— 0.95”,
derjenige des vorderen Randes der Gehörblase von vorn beträgt in der
Zeitschrift f. Anatomie. Bd. T. 3
34 Hıs. Untersuchungen über die Entwickelung
4. Woche 1,15%®, im Beginn der 6. Woche beträgt jener 1.4, dieser
12”, d. h. die Gehörblase liegt noch immer ca. 0.2”” hinter dem
Mittelhirn. Später lassen sich wegen grösserer Undurchsichtigkeit
der Theile die Maasse nicht mehr unmittelbar nehmen, dagegen
lassen sich äusserlich, sowohl der eine, wie der andere Ort erkennen.
Das Ende des Mittelhirns und der Anfang des Cerebellum sind an
einer queren Einsenkung erkennbar, der Ort des Gehörorganes ist
bestimmt durch die äusserlich wahrnehmbaren Grenzen von Operculum
und Praeopereulum. Der bogenförmige hintere Rand des Operculums
reicht oben bis zu einer vertikal verlaufenden Rinne, die die Gränze
des zukünftigen Praeoperkels bestimmt. Im Berührungsgebiete beider
liegt das Gehörorgan (äusserlich durch eine rundliche Anschwellung
markirt). Die Rinne aber, welche den hinteren Rand des Mittelhirns
bezeichnet, liegt senkrecht darüber.
Uebrigens tritt noch auffälliger als bei der äusseren Betrachtung
der Embryonen die im Bereiche des Hinter- und Mittelkopfes ein-
tretende Verschiebung am Gehirn selbst zu Tage, wie bei dessen Be-
schreibung sich ergeben wird. In einem späteren Aufsatze gedenke
ich hierfür Abbildungen vorzulegen, und dann auch die äusseren so-
wohl, als die inneren Formumbildungen eingehender zu erörtern. Für
diesmal lasse ich nur noch meine Beobachtungen folgen über das
erste Auftreten von Nebenkeimzellen.
Vorgänge in der Rindenschicht. — Auftreten von
Nebenkeimzellen.
Die Eigenschaften der Rinde des Lachseies sind in meiner oben
eitirten Monographie beschrieben worden. Unter dem Keime und
an dessen Peripherie häufen sich, wie wir wissen, grosse farbige
Kugeln reichlich an. Die Rinde bietet in Folge dessen an senkrechten
und noch mehr an Flachschnitten ein areolirtes Ansehen. Grosse helle
Räume von 40—100 u Durchm. sind geschieden durch Brücken einer
kernreichen, nur mässig trüben Substanz; da und dort begegnet man
auch grösseren mit Kernen dicht erfüllten Kugeln. Nach Aussen zeigt
sich die Rindenschicht des Eies durch eine sehr scharfe Contour
abgegrenzt, die wohl der Ausdruck einer zarten Verdichtungs-
schicht ist.
Die Veränderungen, welche im Bereich der Rindenschicht vor
sich gehn, sind nun folgende:
1) Ein Theil der Kerne zerfällt in kleinere Körner. Besonders
von Knochenfischen bes. über diejenige des Salmens. 35
entwickelt -sich eine Schicht von solchem Kerndetritus un-
mittelbar unter dem Keime, und sie liefert dem Keime ein,
während der ersten Entwickelungszeit nachweisbar LIE
Nahrungsdepot.
In einem Theil der Kerne erscheinen Gruppen kleiner glänzen-
der Punkte, in andern sieht man helle kuglise Räume auf-
treten, theils einzeln, theils in ganzen Haufen (Taf. I. Fig. 1—4,
Taf. II. Fig. 7). Beide Formationen gehören einer und der-
selben Reihe an, und sie sind durch Zwischenglieder verbunden,
d. h. es sind die erst erwähnten glänzenden Punkte der einen
Kerne identisch mit den etwas grösseren hellen Räumen der
andern. Mit dem Auftreten der hellen Räume vergrössern
sich die Kerne. Die Formen, die sie annehmen, sind viel-
fach die von zerfliessenden Tropfen und in.der That scheinen,
die also veränderten Bildungen nach der Art zäher Flüssig-
keiten zusammenzufliessen und wiederum sich zerspalten zu
können. Offenbar handelt es sich bei den geschilderten Ver-
änderungen der Rindenkerne um Zersetzungsvorgänge regres-
siver Natur.
Ein Theil der Kerne bleibt lange Zeit hindurch frei von den
beschriebenen Veränderungen.
An der Oberfläche der Rindenschicht entwickelt sich in nächster
Umgebung des Keimes eine trübe, körnig aussehende Zone, in
welcher die Rindenkerne nur noch vereinzelt aufgefunden
werden, und welche hierdurch, sowie durch ihre grössere Un-
durchsichtigkeit sofort von der übrigen Rinde sich abhebt.
Durch Carmin und durch andere Farbstoffe wird sie intensiver
als ihre Umgebung gefärbt. Im Beginn des 2. Tages p.f. noch
fehlend, erscheint sie während dessen Verlauf; am Anfang des
3. Tages ist sie als dünne ringförmige Platte vorhanden, und
sie nimmt während der folgenden Tage an Mächtigkeit zu
(Taf. I. Fig. 1—4). Der innere Rand der Platte ist verjüngt,
und schiebt sich auf kurze Strecken unter den Keim; der
äussere endigt zugeschärft. Ihre grössere Mächtigkeit besitzt
sie in einer Entfernung von 0.9 bis 1” vom Mittelpunkt
1) Nicht zu verwechseln mit Rindenbestandtheilen sind geronnene Tropfen
des flüssigen Dotters. Dieselben können, da die gerinnende Substanz helle
Lücken umschliesst, Strueturelemente simuliren. Wer sich indess die Gerinnungs-
bilder mit ihrem eigenthümlichen Gegensatz verschieden lichtbreehender Sub-
stanzen gehörig eingeprägt hat wird der Täuschung nicht anheim fallen.
3*
36 Hr. Untersuchungen über die Entwickelung
des Keimes. - Einmal angelest erweitert sich die trübe Zone
nieht in nennensweriher Weise und sie wird daher in der
Felse von der auswachsenden Keimschebe überlagert (Taf. II.
Fie. 13).
Ich bezeichne die beschriebene Zone als Keimwall, da sie,
wenn auch nicht m allen. so doch in gewissen Hauptpunkten mit
dem Keimwall des Hühnereies übereinstimmt. Während der frühesten
Entwickelungssiufen lassen sie schen bei mässigen Vergrösserungen helle
runde Räume in ihrem Innern erkennen (Taf. L Fig. 2), später wird
ihr Gefüge dichter und nur mit Hülfe starker Systeme selanst man
zur Ueberzeusung, dass sie einerseits noch grössere Lückenräume um-
schliesst, andererseits aber aus einem Gewirre feiner Fäden sich auf-
baut, die am ehesten den Fäden seronnenen FaserstofSss zu vergleichen
sind Sobald sich überhaupt die Substanz des Keimwalles von ihrer
Umgebung geschieden hat, werdem Zellen in ihr sichtbar, erst verein-
zeit, dann aber in zunehmender Menge. Jede derselben umschliessen
einen oder mehrere helle, in der Regel ovale Kerne. und besteht aus-
serdem aus einem sehr schmalen, in kurze Zacken auslaufenden Pro-
toplasmahofe. Die Dimensionen der Zellen sind gerins, 9—15 u,
die ihrer Kerne 7—12 u, sie ändern sich nicht während der
ersten paar Tage. Dagegen findet man nach Ablauf der ersten Woche
und nach dem Auftreten der erster Embryonalanlage grössere Formen,
die nunmehr auch weit schärfer als die zuerst vorhandenen Zellen
umsäumt sind Taf IL Fie. 7 zeigt solche Zellen zum Theil bereits
in Keiien angeordnet unter der Keimscheibe eines Eies vom 13.
Tage r. £
Woher stammen nun die frasliehen Zellen? sind sie Abkömmlinge
des Keimes, oder sind sie aus Bestandtheilen der Binde hervorge-
sangen? Sehon der Ort ihres ersten Auftretens ausserhalb, ja in
emiser Entfernung vom Keime spricht dafür, dass sie der Rinde ent-
stammen. Gegen ihre Zusammengehöriskeit mit dem Keime lassen
sich überdies folsende Gründe geltend machen:
Die Zellen treten zu einer Zeit auf, wo die Furchunsskugeln noch
sehr sross sind und ein Volum besitzen, das dasjenige der Keimwall-
zellen um das 2—-400%che übersteigt. In den Figuren 5 und 6 der
Ta£ II. habe ich bei derselben Vergrösserung mit System XII eine Fur-
ehungskugel und em zellenhaltiges Stück des Keimwalles gezeichnet:
daran treten die Unterschiede in der Grösse und im sonstigen Aussehen
beider. Zellenarten ohne Weiteres zu Tage. Solken die Keimwall-
zellen nur verimte Furchungskugeln sein, so könnten sie jedenfalls
von Knochenfischen bes. über diejenige des Salmens. 37
nur Spaltungsproduete einer ganz andern Ordnung sein, als alle die
übrigen im Keime vorhandenen Elemente. Die Keimwallzellen sind abze-
sehen von der Grösse auch durchihre übrigen Charaktere von den Furehungs-
zellen völlig verschieden. Während bei diesen die äussere Abgren-
zung eine scharfe ist, ist sie bei jenen eine unbestimmte; während
bei diesen der Kern einen kleinen Bruchtheil des Ganzen bildet, ist
bei jenen der Protoplasmahof ausnehmend gering; während bei diesen
eine hyaline Aussenzone vorhanden ist, ist bei jenen Nichts der Art
zu bemerken. Während ferner bei diesen die Theilung zu einer zuneh-
menden Verkleinerung führt, sehen wir jene von ihrem ersten Auftreten
ab, innerhalb Dimensionssrenzen schwanken, die für eine Reihe von
Tagen dieselben bleiben. Auf die späteren Schicksale dieser Zellen
und auf ihre Beziehungen zur Embryonalanlage gehe ieh für diesmal
nicht ein. Das Mitsgetheilte muss genügen, den Keimwallzellen eine
selbständige Stellung anzuweisen; dann selbst dann, wenn man ihre
Abstammung von der Rinde noch in Zweifel ziehen will, bleibt es
nöthig, für sie und für ihre Producte einen besondern Namen zu
besitzen. Ich werde sie daher, im Anschluss an meine frühere Na-
mengebung parablastische oder Nebenkeim-Zellen nennen.
Die eben beschriebenen Zellen der Dotterrinde sind zu leieht zu
beobachten, als dass sie nieht schon öfters gesehen und beschrieben
worden wären Mehrere Autoren. welche dieselbe erwähnen, glauben,
dass sie zur Bildung des Darmdrüsenblattes dienen. Schon €. Vost
giebt eine Beschreibung von Zellen !), die unter dem Embryo liegen
und die keine geschlossene Fläche bilden. Indess ist aus seiner Dar-
stellung nicht mit Sicherheit zu entnehmen, ob er wirklich die oben
erwähnten Zellen meint. Sehr klar ist dagegen die Darstellung von
LEREBOULLET.?) Unter dem Namen einer Couche sous- blastodermique
führt er Zellen ein, die er, im Gegensatz zu den Keimzellen, direet
aus den kuglisen Elementen des Nahrungssdotters ableitet. Er sagf,
dass sie in Abständen von einander stehen, dass Fetttropfen mit
ihnen in derselben Schieht liegen, und dass sie im Uebrigen in eine
amerphe, durch Säuren evagulirbare Substanz eingebettet ind LE-
REBOULLET leitet von diesen Zellen das Darmdrüsenblatt ab.
Später hat KuPFFER bei seinen Beobachtungen an Gasterosteus
und Spinachia eine Schieht von Zellen aufgefunden, welche ausser-
halb des Keimes liegen, und die, wie er glaubt, frei im Dotter ent
2) VosrL e. p-. 152.
2) LEREBOTLLET, Embryelogie du brochet. M&m. des savants &irangers 1353,
p- 494. Taf. I Fig. 32.
38 Hıs. Untersuchungen über die Entwickelung
standen sind. Ob dieselben zum Darmdrüsenblatte werden, lässt er
unentschieden }).
Neuerdings hat in einem besonderen kleinen Aufsatze van BAm-
BECKE ?) die Rindenschicht unter dem Keime als Couche inter-
mediaire beschrieben. Auch er hebt hervor, dass dieselbe nicht an
der Fürchung Theil nimmt, dass sie aber gleichwohl Zellen enthält
mit ovalen Kernen, und dass diese Zellen von den Furchungselementen
durch ihre geringere Grösse sich unterscheiden. v. BAMBECKE unter-
scheidet an seiner Couche intermediaire einen Randwulst und eine dünne
Mittelplatte. Aus letzterer soll das Darmdrüsenblatt hervorgehen.
Ehenso beschreibt und zeichnet OwsJAnnıKow von Corregonus la-
varetus Zellen „des Nebenkeimes“ deren Ursprung er in den Dotter ver-
setzt, und die er ausdrücklich für entsprechend den von mir beim
Hühnchen beschriebenen Nebenkeimzellen erklärt. Der Referent im
medicin. Centralblatte (No. 13. 1875) nennt als OwsJanxıkow’s Vor-
gänger GOETTE*). Dies isf ein Irrthum, denn GOETTE, obwohl be-
kannt mit den früheren Angaben, verwirft die ausserhalb des Keimes: .
liegenden Zellen rundweg und anerkennt keine andere Grundlage der
Keimblätter, als die aus dem gefurchten Keim hervorgegangenen.
Von den Beobachtern der Wiener Schule haben sowohl Weit °):
als RiENEcK®) die Zellen der Dotterrinde übersehen.
OELLACHER?) dagegen kennt sie sehr wohl und bildet sie auch
wiederholt ab. Die Geschichte die er davon giebt beruht indess we-
niger auf Beobachtung, als auf der Voraussetzung, dass auch sie vom
gefurchten Keime abstammen müssen. Er stellt sich vor, es wären.
Furchungszellen, die bei der Bildung der Keimhöhle aus dem Keim
in den Dotter herabgefallen seien, und die sich in dessen oberfläch-
liche Schicht eingegraben hätten. Uebrigens nimmt er an, und darin
stimme ich mit ihm überein, dass sie später in den Keim einwandern.
Nach dem oben gegebenen Nachweise von dem frühen Auftreten der
Nebenkeimzellen ist die OELLACHER’sche Vermuthung nicht weiter
haltbar. An die eigentliche Entstehungsgeschichte der Nebenkeim-
I) KvupFrer in M. Schultze’s Archiv. Bd. IV. p. 217 Taf. XV. Fig. 1.
2) Comptes rendus 1872. Bd. LXXIV. p. 1056.
3) OWSJANNIKOW, Bull. de !’Acad. de St. Petersb. tom. XIX. pg. 225 u.f.
4) GÖTTE ]. c. p. 700.
S)AWerm,1.e. p.23:
6) RIENEcK, Ueber die Schichtung des Forellenkeimes.. M. Schultze’s
Archiv. Bd. V. p. 356.
7) ÖELLACHER |]. c. pag. 12; in den Figuren seiner Tafeln sind die frag-
lichen Zellen mit Z’ und Z” bezeichnet. -
von Knochenfischen u. s. w. 39
zellen vermag ich selbst Nichts beizutragen. Die Salmen- und die
Forelleneier sind bei der unvollkommenen Gliederung ihrer Rinden-
schicht kein geeignetes Material zu deren Verfolgung. Nur auf den
einen Punkt mache ich aufmerksam, dass da, wo im Keimwall die
neuen Zellen auftreten, die eigentlichen Rindenkerne schwinden.
Erklärung der Abbildungen.
Die Figuren beider Tafeln sind mit dem Hartnack’schen Zeichnungsprisma
aufgenommen. Die in Klammern beigesetzten römischen Ziffern bezeichnen
das angewendete System. Die zugehörigen Maassstäbe sind am Fusse der 2.
Tafel verzeichnet.
Fig. 1. Lachskeim, nebst einem Theile der Rindenschicht, vom ersten
Tage nach der Befruchtung. S. VII.
F Furche.
Dk Dotterkerne, in der Rindenschicht des Keimes liegend.
V helle Vacuolen.
R Rindenschieht mit Kernen und mit Vacuolen verschiedener Grösse durch-
setzt. Diese sowohl, als die im Keime liegenden Vacuolen entsprechen den far-
bigen Tropfen des frischen Eies, welche durch die vorangegangene Behandlung
des Präparates entfärbt, oder aus ihren Fächern entfernt sind.
Fig. 2. Lachskeim nebst Umgebung im Beginne des 3. Tages p. foec.
SEN IT.
Fk Furchungskugeln mit hellerem Saum und peripherisch liegenden Dot-
terkörnern.
Dk Körner aus dem Zerfall der Dotterkerne hervorgegangen.
R% Rindenkerne.
m. Fk metamorphosirte Rindenkerne.
Kw Keimwall mit hellen Räumen im Innern einer feinkörnigen Masse.
Fig. 3. Lachskeim nebst Umgebung im Beginn des 4. Tages. S. VII.
Buchstaben wie oben.
Kh Lücken unter dem Keim als Vorläufer der Keimhöhle.
Fig. 4 Lachskeim nebst Umgebung im Beginne des 5. Tages. S. VII.
Buchstaben wie oben.
Taf: II.
Fig. 1. Lachskeim nebst Umgebung aus dem Beginn des 6. Tages. S.IV.
D Deckschicht.
G Gewölbtheil.
40 His. Untersuchungen über die Entwickelung von Knochenfischen ete.
F Füllungsmasse.
Kw Keimwall.
Kh Anfänge der Keimhöhle.
R Rindenschicht mit ihren Kernen.
Fig. 2. Lachskeim nebst Umgebung aus dem Beginn des 7. Tages. S.IV.
O Obere Keimschicht.
U Untere Keimschicht.
Uebrige Bezeichnungen wie oben.
Fig. 3. Lachskeim nebst Umgebung aus dem Beginn des 8. Tages. S.IV.
Fig. 4 Frische Keimzellen.
a. Vom 3. Tage nach der Befruchtung. S. VII.
b. Vom 6. Tage, theils in Ketten zusammenhängend, theils isolirt; die un-
teren 2 Figuren D’ zeigen die bei der Bewegung vortretenden Buckel der hya-
linen Randschicht. S. VIII.
Fig. 5. Keimzelle vom Beginn des 3. Tages S. XII. Sie zeigt die hya-
line Randschicht und eine netzförmige Vertheilung der Körnermasse (Kitt-
präparat). Hauptzweck dieser Figur ist die Vergleichung mit °
Fig. 6., welche ein Stück vom Keimwall desselben Präparates und mit
demselben Systeme XII gezeichnet wiedergiebt. In der feinkörnigen Masse %
liegen ausser den Vacuolen 7 die parablastischen Zellen Z, meist mit ovalem
Kern und mit unscharf abgegrenztem körnigen Zellkörper.
Fig. 7. Ein Stück von dem Rand des Keimes mit Umgebung vom
13, Ragep. f
Rw Randwulst des Keimes mit seinen 2 Schichten.
Ms Mittelscheibe.
R% Rindenkerne.
Pb helle parablastische Zellen, theils ein- theils mehrkernig, zum Theil
in Ketten hintereinanderliegend. Auf der rechten Seite der Figur ist die ur-
sprüngliche Keimwallgegend an ihrer grösseren Durchsichtigkeit erkennbar.
Ueber das Hüftgelenk,
nebst einigen Bemerkungen über Gelenke überhaupt, insbesondere
über das Schultergelenk.
Von
Hermann Welcker in Halle.
Von dem Ideale SOEMMERRING’s, der, jenen oft citirten Worten
zufolge, ein Handbuch zu liefern wünschte, an dem man künftig, „als
einer Basis, nach Erforderniss leicht ändern, wegnehmen und zu-
setzen könnte“ — so dass mithin die Summe der descriptiven
Anatomie in gesicherter Fassung allmählich zusammen
käme — von diesem Ideale sind wir, so viele Handbücher inzwischen
erschienen sind und neue Standpunkte für die Betrachtung eröffnet
wurden, noch weit entfernt. Sieht man näher zu, so findet man häufig
genug in Angelegenheiten der gröberen Anatomie, an Stellen, wo
längst volle Sicherheit erwartet werden dürfte, erhebliche Ineongruenzen
der Schilderungen, oftmals ohne den leisesten Hinweis der späteren,
abweichenden Darstellung auf die frühere und ohne eine nähere Be-
gründung dieser Abweichungen. Ich gebe zu, dass dergleichen Hin-
weise und Begründungen leicht lästig und schleppend werden; indessen
handelt es sich doch um ein endliches Vollenden eines geschlossenen
und sicher stehenden Baues, und es ist darum scharf zuzusehen und
offen zu legen, wie jeder neu zugetragene Baustein sich zu den älte-
ren, bereits fest oder probeweise eingefügten, schicken möge.
Jenes gemeinsame, sich zusammenschliessende und zu sicherem
Abschluss führende Arbeiten der einzelnen Forscher, wie es SoEM-
MERRING vorschwebte, fehlt vielleicht nirgends so sehr, als heutiges-
tags in der gröberen Anatomie. Oftmals gehen die Handbücher an
wichtigen Angaben der vorzüglichsten Forscher ohne ein Zeichen der
42 WELCKER.
Zustimmung oder des Widerspruches vorüber; anderemale freilich
schleppen sich unrichtige Angaben decennienlang von Buch zu Buch.
Revisionen in dieser Richtung sind meist wenig dankbar. Hat man
eine unsichere Stelle in den Handbüchern entdeckt und sich auf die
Rechtstellung derselben eingelassen, eine grosse Zahl von Textstellen
verglichen, eine Reihe vielleicht umständlicher, auf den bestimmten
Punkt gerichteter Zergliederungen ausgeführt, so findet es sich nicht
selten zum Schlusse, dass das gewonnene Ergebniss, annähernd oder
ganz, in irgend einer der einander entgegenstehenden Schilderungen
bereits mitgetheilt ist, ohne dass freilich der Leser darum hätte erken-
nen können, dass gerade diese Angabe die richtige sei. Die Aufgabe
des Forschers schrumpft nun dahin zusamnıen, meist ohne eine eigene
Entdeckung aufweisen zu können, auf die Angaben der Vorgänger
referirend und kritisch einzugehen — eine für den Autor ausser-
ordentlich wenig lohnende, wenn auch für die Wissenschaft unerläss-
liche Leistung.
Das hier Gesagte findet auf mehrere Punkte desjenigen Capitels,
dessen Revision dieser kleine Beitrag gewidmet ist, volle Anwendung.
Die Kapsel des Hüftgelenkes und die sie verstärkenden Faserzüge
werden in den Handbüchern so verschieden dargestellt, dass bei der
physiologischen und chirurgischen Wichtigkeit dieses Bandapparates
eine erneute auf anatomische Untersuchung gestützte Sichtung wohl
am Orte ist. Die Bezeichnungen: Lisamentum superius, iliofemorale u.a.
werden in ganz verschiedenem Sinne gebraucht; selbst über die Rich-
tung und Ansatzweise des stärksten und mithin die Bewegungen des
Schenkelbeines wesentlich bestimmenden Faserzuges der Kapsel gehen
die Angaben auseinander. Nicht minder widersprechend sind die
Schilderungen des Ringbandes (Zona orbicularis), dessen Bedeutung
für die Gehbewegungen, wie für die Luxationen des femur, doch ohne
Zweifel eine erhebliche ist.
Wesen und Bedeutung des Lig. teres sind trotz vieler wider-
sprechender Angaben noch immer unaufgeklärt. Hier und in ähn-
lichen Fällen giebt es nur Einen zum Ziele führenden Weg: die
wiederholte, die verschiedenen Angaben im Auge hal-
tende und sie prüfende anatomische Zergliederung.
Ueber das Hüftgelenk ete. 43
I. Längsfaserzüge der Hüftgelenkkapsel.
Art und Weise der Abgrenzung der Längsbänder. — Zerlegung des We-
ber’schen „Lig. superius“ in ein Lig. iliofemorale superius und anterius. —
Irrige Angaben über Lage und Richtung der stärksten Faserzüge der Hüft-
kapsel. — Verschiedenheit der Funktion des Lig. ileofemorale superius und an-
terius. — Lig. pubofemorale. — Lig. ischiofemorale (an Stelle des ischiocapsu-
lare der Autoren). — „Torsion‘ der Hüftkapsel. —
Bewegt man an einem Hüftstücke, dessen Kapselband blossgelegt
ist, das femur hin und her, so bemerkt man, dass bei bestimmten
Stellungen einzelne Faserzüge der Kapsel sich vorzugsweise spannen
und strangartig vortreten; man erkennt, dass bestimmte Bewegungen
des Schenkelbeines durch diese Faserzüge gehemmt werden. Die Be-
srenzung dieser Hemmungsbänder, zumal die Breite derselben,
mag, indem zwischen je zweien derselben stets intermediäre Faser-
züge eingeschaltet sind, die nach Lage und Wirkung den vorigen
sich zwischenordnen, einigermaassen arbiträr sein; doch scheint es
mir, dass die Richtung und Insertion derjenigen Stränge, die den
Namen besonderer Verstärkungsbänder oder Hemmungsbänder
verdienen, wenig Streitiges haben könne. r
Zur Feststellung dieser longitudinalen Stränge verzeichnete ich
auf dem Kapselbande, indem ich dasselbe durch möglichste Streckung
des femur stark spannte, mit einem Farbstifte eine Längslinie auf
jeden der Faserzüge, welche sich am meisten spannten: ich erhielt
vier solcher Linien. Der Schenkelkopf wurde sodann bei gebeuster
und etwas abducirter Haltung des femur (sitzende Stellung mit ge-
spreizten Beinen) aus der Pfanne gezogen und die nun schlaffe Kapsel
durch Zug am femur möglichst gespannt: es erheben sich hierbei
vier mehr oder weniger stark vortretende Stränge — es sind die-
selben, welche bei dem ersten Versuche durch Linien bezeichnet
wurden. Hiernach dürften folgende vier Hemmungsbänder zu
unterscheiden sein, welche mit den von früheren Autoren beschrie-
benen in verschiedenem Grade zusammenfallen:
1. Lig. ileofemorale superius. (Obere und äussere Partie von
WeBeEr’s Lig. superius.) Vgl. Fig. 1 und 2. (Siehe dieselben nächste
Seite.)
Ursprung unterhalb der Spina ant. inf. o. ilei und etwas nach
aus- und rückwärts. Steigt nach aussen, abwärts und etwas rückwärts
und inserirt am oberen Ende der vorderen Umdreherlinie (an der Basis
des trochanter major). Es ist das kürzeste und weitaus dickste
dieser vier Bänder (gegen 60m lang, 7 bis 14mm dick). Seine Breite —
44 WELCKER.
wenn eine solche bestimmter angegeben werden kann — beträgt in
der Mitte des nach dem Schenkel hin etwas verbreiterten Bandes
ungefähr 15",
Fig. 1 und 2. Die 4 longitudinalen Faserstränge der Hüftkapsel; Vorder- und Hinteransicht.
ifs = lig. ileofemorale superius,
ifa = lig. ileofemorale anterius,
pf = !ig. pubofemorale,
isch. f = lig. ischiofemorale.
Das lig.ileofem. sup. hemmt die Streckung des Schenkels (beziehungsw.
die Rückwärtsbeugung des Rumpfes); es theilt diese Funktion mit den
drei folgenden Bändern, erfüllt dieselbe aber, als das weitaus stärkste,
am wirksamsten. Es hemmt zugleich die Auswärtsrollung und die Ad-
duction. Den höchsten Grad seiner Spannung und Elevation erlangt
dieses Band, wenn das in mittlerer Beugung befindliche femur stark
nach auswärts rotirt wird.
2. Ligamentum ileofemorale anterius. (Medialer Theil von
Weper’s Lig. superius; lig. superius bei HEnke.) Vgl. Fig. 1 und 2.
Ist das längste der vier Verstärkungsbänder und nächst dem
vorigen das stärkste. Entspringt unterhalb der spina ant. inf., un-
mittelbar neben dem vorigen. Steigt ziemlich rein senkrecht und
etwas nach rückwärts zum unteren Theile der vorderen Umdreher-
linie, da, wo diese von der inneren Firste der Schenkelröhre getroffen
wird (etwa 1 Zoll von dem trochanter minor).
Ueber das Hüftgelenk etc. 45
Dieses Band ist etwas mehr circumsceript und von seiner Um-
gebung etwas mehr abgehoben, als das vorige, so dass mit mehr Recht
eine „Breite“ (10 bis 14”m) angegeben werden kann. Länge 80"m,
In Folge von Einmischung von Fasern der zona orbicularis, welche
bei seiner Präparation schräg durchschnitten werden, ist dieses Band
in der Mitte seines Verlaufes am dicksten, doch auch hier nur 4 bis
San stark.
Ep. WEBER!) hat diese beiden Bänder sammt den dazwischen-
liegenden Fasern als ein einziges, dreieckiges Band, „ligamentum
superius“, beschrieben, dessen obere Spitze an der spina ant. inf. o.
lei, und dessen segenüberliegender breiter Rand längs der ganzen
vorderen Umdreherlinie inserirt, worin ihm die Mehrzahl der Autoren
folete?). Es lässt sich aber nicht verkennen, dass die zwischen den
beiden von mir geschiedenen Randpartien des WEBER’'schen lig. supe-
rius liegende Bandmasse ansehnlich dünner ist, als jene Randpartien .
— eine THatsache, die auch HEnLE bestätigt®); sodann aber, was
wichtiger: es wirken diese beiden Abschnitte des WEBER’schen Ban-
des zweien ganz verschiedenen Bewegungsrichtungen des Schenkels
als Hemmungsbänder entgegen: das lig. ileofemorale anterius, wie
bereits bemerkt, der Streckung; das superius der Streckung, der Aus-
wärtsrollung und der Adduction. Die verschiedene Wirkung beider
Bänder ergiebt sich schon daraus, dass die Resultanten derselben, wie
ich hervorheben möchte, zur Längsachse des Schenkelhalses sehr ver-
schiedene Lagen haben; die des oberen Bandes geht der Achse des
1) Mechanik der Gehwerkzeuge, 138.
?) Hente (Bänderlehre, 127) vereinigt unter dem Namen lieg. ileofemorale
das 'lig. superius WEBER’s und alle übrigen Bandfasern, welehe überhaupt vom
Darmbeintheile des Pfannenrandes zutreten, so dass der Hinterrand dieses
lig. ileofemorale unmittelbar bis zum „ischiocapsulare‘“ zurückgreift und die
Wirkung dieses umfänglicheren Bandes eine etwas gemischte ist (der von HENLE
hinzugezogene hintere Theil hemmt nämlich die Einwärtsrollung). Ich gebe
zu, dass diese Hinzuziehung der hinter der spina inferior entspringenden Fasern
insofern Manches für sich hat, als diese Fasern mit der hinteren Grenze unseres
lig. ileofemorale sup. innig und ohne Abgrenzung verschmolzen sind und zur
Hemmung der Extension einen erheblichen Beitrag liefern. Auf die Hemmung
‚der Abduction haben diese hinteren Fasern geringen, auf die Auswärtsrollung
absolut keinen Einfluss.
3) „Abwärts gegen die Schenkelinsertion divergiren die oberflächlichen
Bündel des lig. ileofemorale; die einen ziehen lateralwärts gegen das obere
Ende der lin. obliqua femoris, die andern medianwärts zur Wurzel des kleinen
Trochanter; zwischen beiden Faserzügen entsteht eine dreiseitige
aufwärts zugespitzte Lücke, die von den tieferen Faserbündeln ausgefüllt
wird“ (a.a.0©. 128).
46 WELCKER.
Schenkelhalses nahezu parallel; die des vorderen kreuzt dieselbe in
einem ansehnlichen Winkel (vgl. Fig. 1).
Hinsichtlich dieser beiden Faserzüge findet sich, zumal in den
physiologischen Erörterungen, manches Unklare und Widersprechende.
Da das zweite der von mir unterschiedenen Bänder vermöge seiner
senkrechten Richtung am reinsten der Streckung des Schenkels ent-
gegentritt und da es vermöge seines circumseripten Baues dem Auge
als ein für sich Bestehendes sich abhebt, so ist vielleicht hierdurch
die Meinung entstanden, nach welcher die grösste Stärke des Kap-
selbandes in mehreren Darstellungen diesem senkrechten Faserzuge
zugeschrieben und dieser senkrecht verlaufende Abschnitt des WE-
BER'schen Bandes als das ganze „lig. ileofemorale“ WEBER’s genommen
wird. Ich erwähne in dieser Beziehung nur die Angaben von HENKE,
LuscHhkA und QuAIN-HOFFMANN, denen gegenüber geltend zu machen
ist, dass das lig. superius WEBER’s seine weitaus stärkeren
Faserzüge schräg nach dem trochanter major hinübertreten
lässt, und dass das WEBER’sche Band nur in dieser Richtung jene
von WEBER hervorgehobene, die Achillessehne überragende Dicke be-
sitzt, während der mehr senkrechte, herabtretende Faserzug (lig. ileo-
femorale anterius) weitaus schwächer ist).
1) Die Angaben, welche dem herabtretenden Faserzuge die grösseste
Stärke und den Haupteinfluss auf die Fixirung des Rumpfes zuschreiben, sind
folgende:
HEnkE (Handb. d. Anatomie und Mechanik der Gelenke, 206): „Besonders
drängen sich stärkere Fasern zu festen Bandsträngen zusammen gegen das
untere Ende des vorn an der linea obliqua anterior zwischen Hals und Körper
des Oberschenkels herablaufenden Ansatzes. Die bedeutendste Masse ist
das von der spina ant. inf. o. il. gerade herablaufende lig. ileofemorale (superius,
WeBER).“ Der von Henke beigefügte Holzschnitt (a. a. ©. Fig. 47 — den ich
in dieser Abhandlung pag. 13, Fig. 7, copirt wiedergebe —) zeigt von dem WE-
BERr’schen lig. superius nur jenen herabtretenden, schwächeren Faserzug,
während der weit mächtigere, nach dem trochanter major schräg hinübertretende
Theil des Bandes (unser superius) durch keine Linie angedeutet ist. — Jener
„gerade vor dem Gelenkkopfe herabgehende starke Bandstrang“ ist nach
HENKE (pag. 208) das Hemmungsband der Schenkelstreckung, und ebenso wird
pag. 210 „der gerade von oben herunterkommende Hauptstrang‘“ in seinem
Einflusse auf Adductions- und Abductionshemmung hervorgehoben. Ganz ähn-
lich disponirt HENKE in einer spätern Mittheilung (Text zum Atlas der topo-
graph. Anat. p. 11) die Faserung der Hüftkapsel: „Ihre stärksten Fasern kommen
über dem Kopfe und Halse herab von der höchsten Stelle des Pfannenrandes
und weiter hinten herum und setzen sich am unteren Ende der linea obliqua
an, bilden also einen sie gerade vor der Mitte des Kopfes senkrecht
herab verstärkenden Strang, lig. ileofemorale.“ In allen diesen Angaben
Henke’s geschieht des querlaufenden, weit stärkeren Faserzuges keine Er-
Ueber das Hüftgelenk ete. 47
Der sehr verschieden grosse Einfluss, den beide Abtheilungen des
Weper’schen lig. superius auf die Hemmung der Schenkelstreckung
und auf die Schenkelbewegungen überhaupt besitzen, tritt sehr klar
hervor durch folgenden Versuch: An zwei vollständigen Becken, deren
femora bis zur Hälfte abgesägt sind, entferne man die Gelenkkapseln
— an dem einen mit ausschliesslicher Hinterlassung der ligg. ileofem.
superiora, während an dem anderen Becken nur die anteriora
zurückbleiben. Stellt man das erstere dieser beiden Präparate auf
einem Stative auf, welches zwei in passender Entfernung senkrecht
befestigte Eisenstäbe besitzt, auf welchen die Markröhren der femora
undrehbar niedergeschoben werden, das Becken sieh mithin in nor-
maler Aufstellung befindet!), so ändert ein sehr kräftiger senkrechter
Druck auf das Becken, oder ein Versuch, dasselbe nach rückwärts zu
. ziehen, sehr wenig an dessen Stellung, während das zweite Präparat,
da die lieg. anteriora weit schwächer sind, bei demselben Drucke
schon etwas mehr rückwärts gebogen wird.
Nimmt man die Präparate von dem Stative, so zeigt es sich,
_ dass an dem einen (Erhaltung der ligg. superiora) ein höherer Grad
von Adduction bei gestrecktem femur nicht möglich ist, während an
dem zweiten Präparate die gestreckten Schenkelheine merklich addu-
cirt werden können. (Unterlässt man es, die Aufstellung auf dem
Stative so einzurichten, dass die femora undrehbar sind, so drehen
sich bei fehlenden lisg. ileofem. superiora, wenn auf das Becken ge-
drückt wird, die Schenkelbeine in Auswärtsrotation.)
wähnung, und es wird mithin bei der Würdigung der physiologischen Leistung
des Bandapparates ein theilweise anderes anatomisches Substrat vorausgesetzt,
als in Wahrheit vorliegt.
Aehnlich LuscHkA (Anat. d. Menschen, III. 1, 269): „Der mächtigste,
9 Millim. dicke, einer Belastung von mindestens 5 Centnern fähige Faserzug
geht als lig. Bertini s. ileofemorale vom vorderen, unteren Darmbeinstachel
gegen den kleinen Rollhügel herab.“
Aehnlich Quaın-Horrmann (Lehrb. d. Anat. I, 206): „Ihr stärkster Theil
ist vorne; hier erstrecken sich ihre Fasern senkrecht vom oberen Pfannen-
rande an das untere Ende der linea intertrochanterica und werden durch
einen festen, von der spina o. il. ant. inf. herkommenden Strang, das lig. ileo-
femorale s. accessorium anterius, verstärkt.“
1) Auch beim Unterrichte erweist sich diese Aufstellung des feuchten Bän-
derpräparates des Beckens für mehrere Zwecke der Demonstration (Theorie des
aufrechten Stehens u. s. f.) sehr nützlich. Das Stativ besteht aus einem Brette,
in welches zwei hinreichend starke Eisenstäbe in passender Entfernung einge-
lassen sind.
48 WELCKER.
3. Lig. pubofemorale (vgl. Fig. 1 und 2). Hier kein nennens-
werther Widerspruch in den Handbüchern. Entspringt vom pecten
des Schambeines und jenem Vorsprunge des Pfannenrandes, in welchen
das pecten ausläuft; steigt nach abwärts, aussen und rückwärts und
inserirt etwa 1 Zoll hoch oberhalb des trochanter minor, am unteren
Ende der oberen Umdreherlinie. Dieses Band ist gegen 75”” lang
und nur 2 bis 3”” diek. Es hemmt. die Abduction.
Das lig. ileofemorale anterius liest diagonal zwischen dem ileo-
femorale superius und dem pubofemorale, mit ersterem den Becken-
ursprung, mit letzterem den Schen-
kelansatz nahezutheilend, so dassdie
drei Bänder zusammen ungefähr die
Gestalt eines N bilden (Fig. 1).
4. Lig. ischiofemorale
(vgl. Fig. 3). Entspringt hinten
am Becken zwischen Pfannenrand
und Basis des absteigenden Sitz-
beinastes (aus der Rinne, durch
welche die Sehne des m. obtu-
rator externus gleitet) und steigt,
in nahezu horizontaler Richtung
nach aussen, oben und vorn, im
obern Theile der Kollhügelorube
(unmittelbar neben den dort fest-
sitzenden Rollmuskelsehnen) in-
serirend. Die Lage dieses Ban-
Fig. 3. Die longitudinalen Stränge der Hüft- des ist ziemlich genau zwischen
Kapsel ENRENSIEN den Endpartien beider Mm. obtu-
el eolemorals SNEELS ratores. Dasselbe ist 3 bis 4 a
ifa = lig. ileofemorale anterius; B
pf = lig. pubofemorale; 5 : dick, gegen 02m lang und etwa
isch f = lig. ischiofemorale. 12 mm breit
Aber geht dieses von mir als lie. ischiofemorale bezeichnete
Band wirklich an das femur und kommt ihm eine besondere Wir-
kung zu? Da dieses Band in den Lehrbüchern theils fehlt, theils als
nicht an den Schenkelknochen, sondern nur an die Kapsel tretend,
beschrieben wird und ihm, abweichend von den auf „femorale‘“ aus-
klingenden Bezeichnungen, der Namen „ischiocapsulare“ gegeben
wurde, so könnte man vermutben, dass dasselbe sehr inconstant und
sein Schenkelansatz, wenn vorhanden, sehr unansehnlich und ohne
nennenswerthen Einfluss auf die Schenkelbewegungen sei. Dies alles
Ueber das Hüftgelenk etc. 49
ist aber nicht der Fall; ich habe dieses Band in der von mir be-
schriebenen Weise constant vorgefunden. Dasselbe ist merklich
stärker, als das pubofemorale, sein Schenkelansatz ist sehr fest und
sein Einfluss auf die Schenkelbewegungen ist ein ganz bestimmter
und energischer. Das lig. ischiofemorale spannt sich stark, wenn
man das Femur um seine Längsachse nach einwärts zu rollen sucht,
und nur nach seiner Durchschneidung kann ein höherer Grad dieser
Bewegung ausgeführt werden. Das lie. ischiofemorale ist hiernach
ein Hemmungsband für die Rotation des Schenkels nach
innen. Den sicheren Nachweis der Existenz dieses Bandes, zumal
seiner Insertion an das Femur, liefert folgende Präparation:
Man trage an einem Präparate, welches unserer Fig. 1 und 2 entspricht,
die lig. ileofemoralia und das pubofemorale vollständig ab und durchschneide
auch das lig. teres, so dass das: Schenkelbein nur noch durch das von mir
als lig. ischiofemorale angesprochene Band mit dem Becken in Verbin-
dung steht. Bringt man nun das Schenkelbein in gestreckte Lage und
macht einen Versuch, dasselbe einwärts zu rollen, so leistet das lig. ischio-
femorale einen ganz energischen Widerstand, und es gehört schon eine
ziemlich kräftige Umdrehung des Knochens dazu, das Band zu zerreissen.
In mehreren Fällen, in welchen ich diesen Versuch ausführte, riss das
Band, zum Beweise der Festigkeit seiner Schenkelinsertion, nicht dort,
sondern am Becken ab’).
5) WEBER erwähnt bei Schilderung der dünnen Stellen der Kapsel (p. 138)
zwei „Sehnenbündel“, in welchen unser lig. pubofemorale und ischiofemorale
theilweise zu erkennen sind. Doch hat WEBER den vom Sitzbein kommenden
Faserzug nicht als lig. ischiofemorale, sondern offenbar als ein ischiocapsu-
lare aufgefasst; er nennt denselben (p. 140) ein vom Pfannenrande aus an
das Ringband tretendes Verstärkungsbündel. Ganz ähnlich die späteren
Forscher:
BARKoWw, von welchem die Aufstellung des „lig. ischiocapsulare“ herrührt,
beschreibt dasselbe (Syndesmologie, 1841, p. 79) folgendermassen: „Das lig. ischio-
capsulare entspringt als ein starker, mehrere Linien breiter Fascikel oberhalb
des tuber ischii, in der Mitte zwischen ihm und dem Pfannenrande, geht
an die Kapsel und inserirt sich an die hintere Fläche derselben in
der fossa trochanterica.“
HENLE (a. a. O. 126): „In der zona orbicularis enden die longitudinalen
Fasern, lig. ischiocapsulare (Barkow), welche an dem Theile des Pfannen-
randes, den das Sitzbein trägt, — ihren Ursprung nehmen.“
Nach Quaın-Horrmann (p. 207) ziehen die Fasern des lig. ischiocapsulare
„in die Kapsel gegen die fossa trochanterica hin, ohne sie vollständig zu errei-
chen.“ — Das Band „endigt an eirculär verlaufenden Fasern, welche in der
Nähe der Trochanteren liegen und zona orbieularis genannt werden.“
Bei Langer (Lehrb. d. Anat. 147) heisst es, dass „von jenen Fasern, welche
vom Scham- und Sitzbein zur Kapsel gehen, sich ebenfalls einige am Schenkel-
beine anheften.“ Doch passt dies nicht auf unser Band, denn unmittelbar vor-
Zeitschrift f. Anatomie. Bd. I. 4
50 WELCKER.
Alle diese vier hier beschriebenen Verstärkungsbänder werden
schlaff und verlaufen nahezu parallel (von dem ileofem. anterius gilt
letzteres am wenigsten), wenn das Femur in mässigem Grade flektirt
und etwas abducirt wird, das Bein sich mithin in einer mittleren
Stellung befindet; der Schenkelkopf kann in dieser Stellung am Prä-
parate um !/, Zoll und mehr aus der Pfanne hervorgezogen werden
(vel. Fig. 5). Bringt man das Schenkelbein wiederum in Streckung
(Fig. 4), so winden die Bänder sich spiralig um den Schen-
Fig. 4. Femur in gestreckter Stellung (,‚Torsion‘‘ der Kapsel).
Fig. 5. Femur in gebeugter Stellung (Zurückwindung und Entspannung der Kapsel).
isch. f = lig. ischiofemorale. ;
Die punktirte Linie deutet die Richtung des lig. ileofem. ant. an.
kelhals, demselben um so fester sich anschmiegend und den Schen-
kelkopf um so fester in die Pfanne einpressend, je mehr das
Extrem der Streckung erreicht wird. Die Längsfaserzüge des Kapsel-
her wird von den „an den Körpern der drei Theilstücke des Hüftbeines“ ent-
springenden Verstärkungsbändern gesagt, dass sie „durchgehends vorne an
der lin. intertrochanterica“ enden. Vom Sitzbeine geht aber doch keine Band-
faser nach vorn, und das lig. ischiofemorale inserirt hinten am Femur.
Den Namen „lig. ischiofemorale“ finde ich nun: bei LuscHkA (a. a. O.
III, 1, 365), doch wird hier nur der Ursprung des Bandes am Sitzbeine,
nicht aber nachgewiesen oder auch nur erwähnt, dass und wie das Band am
-Femur inserire. Auf die bestimmte Angabe Hexre’s hin, dass dasselbe in
der „Zona ende“, habe ich das Band wiederholt sorgfältig präparirt, ehe. ich
mich zur Aufstellung eines lig. ischiofemorale berechtigt hielt.
Ueber das Hüftgelenk etc. 51
bandes bewegen sich hierbei ganz ähnlich um den Schenkelhals, wie
es die Falten eines Rockärmels thun, wenn man den unteren Rand
desselben mit den Fingerspitzen gegen den Handteller anpresst und
nun Pronation ausführt, in welchem Falle die Falten sich spiralig
um den Arm wickeln und der Aermel verkürzt wird, während sie
bei der Supination unter Verlängerung des Aermels in gestreckte
Stellung zurückkehren. Streckt und beugt man an dem Präparate
abwechselnd das Femur, dasselbe hierbei so weit von der Pfanne weg-
ziehend, als die Bänder es erlauben, so hat man den Eindruck des
Hinein- und Herausschraubens, und es ist klar, dass der Aus-
tritt des Schenkelkopfes bei der Luxation einer solchen Heraus-
schraubung entspricht. Die in Fig. 5 angedeutete Haltung des
Beines, in welcher die Kapsel möglichst entspannt ist, ist zugleich
diejenige, welche bei verschiedenen Erkrankungen des Gelenkes vom
Kranken gewählt wird).
Auf unser Präparat (Fig. 5) zurückblickend finden wir, dass das
vorn gelegene lig. ileofemorale anterius (in der Abbildung durch eine
punktirte Linie angedeutet) und das hinten gelegene ischiofemorale
bei der Schenkelstreckung (Fig. 4) in immer stärker kreuzende Rich-
tung gerathen; ersteres steigt vom Becken aus abwärts zum femur,
letzteres schräg aufwärts. Das lig. ischiofemorale erscheint hiernach
als ein Complement des lig. ileofemorale anterius und als ein noth-
wendiges Glied in der Reihe der den Schenkelhals umwindenden
Längsstränge, von welchen, behufs einer vollständigen Torsion der
Kapsel und Feststellung der Extremität, auch einer am hinteren
Theile des Schenkelbeines (des Schenkelbeines und nicht etwa blos der
Kapsel) seine Anheftung finden muss. Die hintere Insertion der Kap-
sel macht, indem der fibröse Theil derselben längs der Rollhügellinie
. bekanntlich ohne Ansatz ist, vom pubofemorale aus einen Sprung
nach oben, und die ersten Bandfasern der Kapsel, mit welchen sie
den Knochen wieder trifft, sind eben die Insertion des lie. ischic-
femorale.
1) Auf diese „Torsion‘ des Kapselbandes hat WEBER (a. a. 0. 144) zuerst
aufmerksam gemacht; ich hebe diesen interessanten und für die Bewegungen
des Schenkelbeines massgebenden Mechanismus umsomehr hervor, als ich des-
selben in anatomischen Darstellungen nur bei Langer (a. a. O. 147) gedacht
finde. — Ich vermuthe, dass die Wirkung dieses Mechanismus während des
Gehens noch in einer besonderen, unten (III) zu erörternden Weise bei jedem
Schritte zur Geltung kommt.
4*
52 WELCKER.
II. Zona orbieularis.
Widersprechende Angaben der Autoren. — Bau der Zona nach der Ansicht
des Verf. — Function der Zona. — Präparationsverfahren zum Nachweise des
Baues der Zona.
Zu einer vollen Einsicht in den Bau des Hüftgelenkes gelangt
man erst durch die genaue Kenntniss der zona orbicularis. Diese
von E. WEBER aufgestellte Zona wird indess von den Autoren so
verschieden beschrieben, dass man hier in der That eine um so
weniger klare Vorstellung gewinnt, je mehr Beschreibungen man
liest. Es ist zuzugeben, dass die Zona keine sehr manifeste Bildung
ist, deren Grenzen und Verknüpfungen schon bei einer nur beiläufigen
Präparation von selbst zu Tage treten; noch weniger aber ist sie ein
Artefact, und es scheint mir, dass, wenn man sorgfältig vorgeht, die
Präparation stets zu wesentlich demselben Ergebnisse führen wird.
Nach WEBER (a. a. O. 140) geht „nicht die ganze Bandmasse,
welche unter der spina ant. inf. ihren Ursprung nimmt, als lig. su-
perius zum Schenkelbeine hinüber, sondern sobald dieselbe den Rand
der Schenkelkopffläche erreicht hat, geht ein Theil davon auf diesem
Rande in zwei Schenkeln nach vorn und ringförmig um den
Schenkelkopf herum“; — ein „Ringband, das unter der spina ant.
inf. entspringt, und um den Schenkelkopf herum
dahin wieder zurückgeht.“ Das wäre aber
nicht sowohl eine „Zona“, als eine von der
spina inf. il. aus um den Schenkelhals gelegte
Schlinge. Das lig. superius würde von den
Fasern dieser Schlinge nirgends gekreuzt sein,
sondern es läge zwischen deren Ursprungs-
schenkeln (vgl. Fig. 6). x
Zu diesem Ringbande treten nach WE-
BER (pag. 138 und 140) „vom Pfannenrande
N shionlänisttes AB noch zwei Verstärkungsbündel“ (ihrem
beri, entworfen nach der Be- Beckenursprunge nach unsere lieg. pubo- und
ee bier ’>- ischiofemorale), welche Stränge indess nach
Weper’s Darstellung vom Becken zur Kapsel, nicht aber von dort
aus weiter zum Schenkelbeine gehen.
Sehr abweichend hiervon fasst HENKE!) die Zona auf. Liess
1) Handbuch d. Anat. u. Mechanik der Gelenke, 206. — HENxkE erwähnt
Ueber das Hüftgelenk ete. 53
WEBER die Ursprungsschenkel derselben vom obern Theile des „lig.
superius“ abtreten so zeigt uns HEnke’s Abbildung (a. a. O. Fig. 47,
die ich in Fig. 7 wiedergebe) eine Bandschlinge, deren beide Schenkel
mit dem mittleren Theile eines lie. ileofemorale (anterius) zu-
sammenhängen, den Darmbeinursprung jenes Bandes gar nicht be-
rühren und die, umgekehrt, wie
bei WEBER, von der Schen-
kelinsertion des Bandes nach
aufwärts schwenken. Ganz
entsprechend dieser Abbildung
lautet es im Texte (pag. 206):
Mit dem von der spina ant.
inf. ilei gerade herablaufenden
lig. ileofemorale „kommen von
beiden Seiten Stränge zusam-
men, die eine ganze Strecke
weiter zurück am oberen
und unteren Umfange der
Pfanne entspringen, um
den oberen und unteren Um-
fang des Halses fast kreis-
förmig herumlaufen (Zona or-
bieularis), während hier nur ein
ganz dünnes Kapselblatt sich
an denselben inserirt, endlich
aber vorn und unten in
dieselbe Insertion am un-
teren Ende der linea obli-
qua femoris eingehen.“
Fig. 7. Zona orbicularis Weberi und
„lg. ileofemorale‘ nach Henke.
— eine Zona mithin, welche aus zwei Hälften besteht, deren jede,
wenn ich HENKE recht verstehe, einen Beckenansatz und einen Schen-
kelansatz besitzen würde Wiederum eine andere Darstellung giebt
LANGER, derzufolge die Zona als ein Anhängsel des lig. pubo- und
ischiofemorale erscheint, eine von dem Scham- und Sitzbeine aus
nach vorn um den Schenkelhals geführte Schlinge ?).
nicht, dass er hier von Weger’s Beschreibung abweicht, sowie wiederum HENLE,
der eine von beiden abweichende Darstellung giebt, die Auffassung HENKE’s
nicht erwähnt.
2) „Von jenen Fasern, welche vom Scham- und Sitzbeine zur Kapsel gehen,
heften sich ebenfalls einige am Schenkelbein an; ein grosser Theil derselben
aber verwebt sich, ohne Ansätze am Schenkel aufzusuchen, mit dem Bande und
bildet eine um die engste Stelle des Halses herumgelegte, gegen die fossa
54 WELCKER.
Eine wesentlich andere Auffassung hat HEnLE!). Derselbe sieht
in der Zona nicht eine von irgend einem Knochen ausgehende Band-
schlinge, sondern einen in sich geschlossenen, mit dem Knochen
nirgends in directer Verbindung stehenden Faserring, der seinen
Zusammenhang mit letzteren nur dem Hindurchtreten von Längs-
fasern des Kapselbandes verdankt ?).
Die Mehrzahl der übrigen Autoren ist in der Beschreibung der Zona
WEBER’n gefolgt. So beruht die Bildung der Zona nach LuscHhkA°) auf der
Abzweigung starker Faserzüge „vom lig. ileofemorale“, und in der bei-
gefüsten Fig. LI entspringt die Zona vom Darmbeine. Nach HYrTL?)
erscheint die Zona geradezu als ein Theil des lig. Bertini, welches
„theils an der lin. intertroch. ant. endigt, theils mit zwei um den
Hals des femur herumgehenden --Schenkeln eine Art Halsband (zona
orbicularis) bildet.“ Man vergleiche hierzu die Fig. 156 bei HEITZz-
MANN °), woselbst die an der Rückseite des Gelenkes dargestellte Zona
die Aufschrift „lieg. Bertini“ trägt und mit allen ihren Fasern zur
spina inf. ilei hinaufsteist.
Welche Auffassung ist nun die richtige?
Ich muss wiederholten Zergliederungen zufolge im Wesentlichen
den Angaben HEnte’s beitreten. Die Zona ist ein in sich ge-
schlossener und durch ihre eigenen Fasern mit dem Knochen
nirgends in Verbindung stehender Faserring. Dieser Ring
umkreist, allwärts der Synovialhaut nahe anliegend (während die
Längsfasern der Kapsel sich mehr aussen halten) ziemlich die Mitte
des Schenkelhalses, so dass die kräftigsten Züge seiner Fasern überall
in den tiefsten Einschnitt des Halses zu liegen kommen®) Bei diesem
Verlaufe kreuzt die Zona der Reihe nach die beschriebenen Längs-
trochanterica scharf gerandete Schleife, die zona orbieularis“ (Langer, Lehrb..
d. Anat. 147).
1) Bänderlehre, 1. Aufl. 125; 2. Aufl. 130.
2) Gute Abbildungen der Zona hat HEnLE gegeben, a. a.O. 105, 107 und 110.—
In einer Note, in welcher HrNLE auf seine Abweichung von WEBER hinweist,
heisst es durch einen Druckfehler (der auch in der 2. Aufl. wiederkehrt): „WE-
BER’s zona geht nämlich von der spina superior oss. il, aus.“
3) Anat. III, 1. 365.
4) Lehrb. d. Anat. 11. Aufl. 359.
5) Descript. u. topogr. Anat. 114. i
6) Bei einem frisch aus der Kapsel genommenen Schenkelbein erkennt man
meist sehr gut die Furche, rings um den Schenkelhals, in welcher die Zona
gleitet, und oft zeigt auch der trockne Knochen, zumal an der Vorderseite des-
Halses, einen deutlichen Eindruck derselben.
Ueber das Hüftgelenk etc. 55
bänder und sie empfängt hierbei von jedem derselben (am reichlichsten
von dem pubo- und ischiofemorale) Verstärkungsfasern; dieses aber in
der Weise, dass von den Beckenursprüngen der Längsbänder einige
Randfasern zum oberen Rande der Zona, und ebenso von den Schenkel-
ursprüngen der Längsbänder einige Fasern zum unteren Rande der
Zona umbiegen. Die Zona, die in dieser Weise durch accessorische,
den eirculären sich anschliessende Fasern mehr oder weniger fest mit
verschiedenen Stellen des Beckens wie des Femur zusammenhängt,
wurde, indem die selbständigen Fasern derselben, d. i. die eigentlichen
Zonafasern, nicht nach Gebühr beachtet und bald diese, bald jene
accessorische Fasern als „Ursprünge“ der Zona in Anspruch ge-
nommen wurden, als eine von sehr verschiedenen Stellen, bald des
Beckens, bald des Femur, ausgehende Schlinge angesehen.)
Die Zona ist an verschiedenen Stellen verschieden breit und dick.
Am meisten aneinandergedrängt sind ihre Fasern am oberen Theile
des Schenkelhalses (an der Stelle der Kapsel, welche dem oberen
und hinteren Rande des lig. ileofem. sup. entspricht); hier bildet die
Zona einen 5 bis 7% breiten, 2 bis 3”" dicken Strang, der bei vielen
Exemplaren ziemlich circumseript sich hervorhebt und nach der Syno-
vialseite prominirt. Sowohl die vorne, wie die hinten am Schenkel-
halse herabtretenden und ihn umgreifenden Fasern treten mehr aus-
einander, so dass die Zona an diesen Stellen breiter und dünner wird.
Die einzige Stelle, wo die Zirkelfasern von aussen und ohne erhebliche
Präparation deutlich hervortreten, ist an der hinteren Fläche des Kapsel-
bandes, zwischen den ligg. pubo- und ischiofemorale; der Raum zwischen
diesen beiden Bändern ist fast nur durch Ringfasern geschlossen, so
dass der fibröse Theil der Kapsel hier keine Schenkelinsertion besitzt
und, sobald die Synovialmembran getrennt wird?), einen freien, der
lin. intertroch. posterior zugewendeten Rand zeigt, der (vermöge der
vom lig. pubo- und ischiofemorale zutretenden Randfasern) bogenför-
mig zwischen den Schenkelinsertionen der genannten Längsbänder aus-
!) Die von der Schenkelinsertion des lig. ileofem. anterius zum unteren
Rande der Zona umbiegenden Fasern mögen HEnkE’s, die von den Beckenur-
sprüngen des pubo- und ischiofemorale zum oberen Rande der Zona gehenden
Fasern die Langer’sche Darstellung veranlasst haben. Die Auffassung WEBER’s
mochte darin ihren Grund haben, dass die Zona mit der auf sie zutretenden
Ursprungspartie der ligg. ileofemoralia nicht sowohl durch Faserbeimischung
als durch die derbe Beschaffenheit der letztgenannten Bänder sehr unverschieblich
verknüpft ist.
2) was bei unvorsichtiger Reinigung der Kapsel hier sehr leicht unversehens
geschieht.
56 WELCKER.
sespannt ist.!) Ganz ähnlich treten von den Beckenursprüngen beider
Bänder bogenförmige Fasern an den der incisura acetabuli zugewen-
deten Rand der Zona°), und indem die Longitudinalfasern auch dort
sehr sparsam sind, gelingt es leicht, hier sichere Grenzen der Längs-
bänder und der Zona zu finden und ober- wie unterhalb der Zona je
ein Fenster in die Kapsel einzuschneiden, welches die Grenzen der
Zona und der beiden hier befindlichen Längsbänder freilest.
Beust und streckt man abwechselnd das Schenkelbein eines Prä-
parates, an welchem in der eben beschriebenen Weise der der hinteren
Rollkügellinie zugewendete Theil der Zona freigelegt ist, so sieht man,
dass die Zona von den sie hier kreuzenden Längsbändern (pubo- und
ischiofemorale) hin- und hergeschleppt wird; wenn der Schenkelhals
vorwärts rollt (Schenkelstrekung) so rollt die Zona, dem lig. ischio-
femorale folgend, nach aufwärts; umgekehrt bei Schenkelbeugung, dem
pubofemorale folgend, nach abwärts, und je mehr im ersteren Falle
die Längsbänder in spiralig umwindende Stellung zum Schenkelhalse
kommen (vol. oben pg. 50), umsomehr wird die Zona gegen den
Pfannenrand herangeführt und der Schenkelkopf somit von
einem fest anliegenden Ventil umfasst.
In weitfesterer Verbindung, als mit den eben genannten schwächeren
Hemmungsbändern, steht die Zona mit den lieg. ileofemoralia, und der
dort gelegene Abschnitt der Zona ändert bei Schenkelbewegungen seine
Lage zur spina ant. inferior o. ilei offenbar nur in sehr geringem
Grade. Doch wird man einen ‚„‚Ursprung‘‘ des Ringbandes nicht
an den Knochen verlegen, noch auch sonstwie von den ligg. ileofemo-
ralia herleiten dürfen. Zu einer Zusammenschnürung der vom
Pfannenrande in weitem Umkreise entpringenden und am Femur eben-
falls in erheblicher Ausbreitung inserirenden Längsfasern des Kapsel-
bandes (welche mithin an und für sich einen sehr weiten und mehr
cylindrischen Sack bilden würden, der solchergestalt niemals dem
dünnen Theile des Schenkelhalses ventilartig angepresst sein würde)
gehört eben nicht eine vom Darmbeine herabtretende Schlinge,
sondern es benöthigt hierzu wirklicher Ringfasern, die auf kürzestem
Wege den Schenkelhals umwinden und die Längsbänder da, wo der
verdünnte Theil des Schenkelhalses von ihnen sonst nicht berührt
würde, enge zusammenfassen. In dieser Zusammenfassung der
Längsfasern der Kapsel, so dass das mit dem labrum cartilagineum
beginnende Ventil sich mehr und mehr schliesst und für die Drehung
l) Gut dargestellt mn Hexzr’s Fig. 110 (1. Aufl.)
2) vgl. HEnLE, Fig. 107.
Ueber das Hüftgelenk etc. 57
des Schenkelhalses um seine Längsachse eine sichere Führung gegeben
ist, liegt meines Erachtens die Bedeutung der Zona.
Da 'es der Zweck dieser Darstellung ist, die über den Bau der
Zona bestehenden Controversen womöglich zum Abschluss zu bringen,
so theile ich die Präparationsweisen mit, auf welche die gegebene
Schilderung sich stützt.
Fig. 8.
Fig. 8. Rechtes Hüftgelenk, derart gespalten, dass beide Hälften des Kapselbandes nur
durch das Femur verbunden sind.
7 = vordere Wandung der Kapsel, mit anhangendem Darmbein und ÖOberhälfte des
Schambeines ;
H = hinterer Lappen, mit Sitzbein und Rest des Schambeins.
sas = spina ant. sup. ilei; — fi = tuber ischii; /mj = trochanter major; —
lc = labrum cartilagineum; — fr = lig. transversum acetabuli; fe = lig. teres.
ifs = lig. ileofemorale sup.; — p f = lig. pubofemorale.
ZU bis Z? = Zona orbicularis; dieselbe kreuzt bei 1 das lig. ileofem. sup.; bei 2 das
ileofem. ant.; bei 3 das pubofemorale; bei 4 das ischiofemorale.
In der Bahn der Zona wie der vier Längsbänder zahlreiche Pfriemenstiche, in Form
kleiner Längsspältchen hervortretend.
1. Man spalte, wie bei dem durch Fig. 8 dargestellten Präparate ge-
schehen ist, das Kapselband der Länge nach durch zwei Einschnitte, deren
einer längs des äusseren Randes des lig. ileofemorale superius, der andere
längs des medialen Randes des pubofemorale verläuft und durchsäge sodann
in fortgesetzer Richtung beider Schnitte das Hüftbein, so dass nach hinzu-
gefügter Durchschneidung des lig. teres die beiden Stücke des Hüftbeins
(das obere an der Vorderhälfte, das untere an der Hinterhälfte des Kapsel-
bandes hängend) frei auseinander geschlagen werden können. Man über-
zeugt sich, zunächst die Längsbänder feststellend, durch Zufühlen wie durch
Haltung des Präparates gegen das Licht, dass der vordere Lappen des
Kapselbandes (V) von zweien mehr oder weniger kräftig vortretenden Faser-
zügen begrenzt wird: lig. ileofemorale superius und pubofemorale, und dass
zwischen beiden ein drittes Band diagonal verläuft: lig. ileofemorale anterius.
98
WELCKER.
Weniger deutlich giebt sich in dem hinteren Lappen (H) das lig. ischiofemo-
rale durch Beleuchtungsunterschiede zu erkennen. Was nun die Zona an-
langt, so zeigt die Durchschnittsfläche des vorderen Lappens der Kapsel,
dass der Hinterrand des lig. ileofemorale superius ziemlich im dessen Mitte
(bei Z1 in Fig. 8) rechtwinklig gekreuzt wird von der Zona, die dort ein
compacter, 5 bis 7 WM breiter, 2 bis 3 WM dieker, in circumscriptem Quer-
schnitt hervortretender Strang ist. Derselbe besitzt am lig. ileof. superius
eine sehr derbe Befestigung; von einem Ausfliessen von der spina ilei
aus zeigen die in ihrem ganzen Verlaufe übersichtlichen Fasern nirgends
eine Spur. Die Bündel des lig. superius verlaufen, wie erwähnt, mehr
aussen, so dass dieser strangförmige Theil der Zona (Z1) gegen die Synovial-
haut an vielen Präparaten merklich prominirt. Im mittleren Theile des
Vorderlappens der Kapsel wird das lig. anterius von der breiter und dünner
werdenden und hier weniger deutlich hervortretenden Zona in schräger
Richtung gekreuzt (2). Der untere (laterale) Rand der Zona ist es, welcher
hier den oberen Rand der zwischen lig. superius und anterius gelegenen
dünnen Stelle der Kapsel bilden hilft. — Nun kreuzt die Zona das lig. pubo-
femorale (3) und alsbald, in den Lappen H übertretend, auch das ischiofemo-
rale (4); ihre Fasern sind allmählich so sehr auseinandergefahren und sie
ist hierdurch so breit geworden (gegen 20 bis 25 %®), dass sie ziemlich den
ganzen Raum zwischen den letztgenannten beiden Bändern erfüllt, dem
Ursprunge und Ansatze derselben ziemlich nahe kommend. Die kräftigeren
Faserzüge dieser breiten Partie der Zona liegen dem Schenkelrande der
Zona näher, als dem Beckenrande. Nachdem die Zona das lig. ischiofemorale-
gekreuzt hat, sammeln sich ihre Fasern wieder zu einem am Hinterrande des
Schenkelhalses hinaufsteigenden, zu einer Breite von 3 bis 4 WM sich zu-
sammenschliessenden Strange (Z°), und wir sind wieder zurückgekehrt zu
dem das lig. superius kreuzenden Theile, von welchem wir ausgingen.
Besonders deutlich tritt der Verlauf der Kapselbandfasern hervor, wenn
man (wie LANGER zur Ermittlung des Faserverlaufes der Haut gethan) ver-
schiedene Stellen des nach Art der Fig. 8 gespaltenen Kapselbandes mit
einem Pfriemen durchsticht und von der Synovialseite aus die Richtung
der kleinen Längsspalte mustert, welche der vollkommen drehrunde
Pfriemen hinterlässt!). Ueberall, wo eine bestimmte Richtung der Fasern
vorherrscht, hinterlässtder Pfriemenstich einen jene Faserrichtung definirenden
Längsspalt. Ich habe in Fig. 8 die erzielten Einstiche genau eingetragen
und auch hier ein mit meiner Schilderung der Längsbänder wie der Zona
übereinstimmendes Ergebniss erhalten. Auf das Bestimmteste zeigt es sich,
dass die Fasern der Zona keine Abzweigung der ligg. ileofemoralia
sind und dass sie mit der spina ilei, von welcher der wulstige Theil der
Zona (Z1) um. mehr als einen Zoll weit entfernt liegt, direct nicht
zusammenhängen.
2. Auch an einem Präparate, wie es der Fig. 1 zu Grunde liegt, übersieht.
man sehr gut die Stärke und die Verlaufsrichtung der Zona; jedes der isolir-
ten vier Längsbänder enthält den betreffenden, das Längsband kreuzenden
Abschnitt der Zona, von welcher mithin acht Querschnitte blosgelegt sind.
1) Dasselbe Verfahren lässt sich bei der Sclerotica, Cornea und anderen
membranösen Gebilden mit Erfolg anwenden.
Ueber das Hüftgelenk ete. 53
3, Bei einem Versuche, in das Kapselband Fenster einzuschneiden,
so dass nur die Zona, und von den Längsfasern nur diejenigen, welche zu
den beschriebenen vier Längsbändern ausgeprägt sind, stehen bleiben,
sollten, wie man unseren Voraussetzungen gemäss vermuthen könnte, acht
soleher Fenster entstehen (vier zwischen Becken und Oberrand der Zona,
vier zwischen Unterrand und Femur). Man erhält, sofern man nicht künstelt,
nur sechs Fenster, indem die beiden ligg. ileofemoralia am Oberrande der
Zona dicht aneinandergedrängt sind und die Schenkelinsertion des ischio-
femorale dem ileofemorale superius unmittelbar anliegt. Es ist lehrreich
ein solches Präparat auszuführen; dasselbe giebt durch die Art und Weise,
wie die einzelnen Stränge des Gitterwerkes, in welches die Kapsel zerlegt
wurde, bei den Schenkelbewegungen einander ziehen und spannen, vollen
Einblick in die Art der Ineinanderfügung der verschiedenen Faserzüge. Vor
Allem zeigt sich deutlich die Selbstständigkeit der Zona, und kein Beschauer
dieses Präparates wird sie dem oder jenem der vom Knochen zutretenden
Bänder als Anhängsel zurechnen.
4. Nachdem an einem halbirten Becken die Kapsel äusserlich gereinigt
ist, steche man mit einem schmalen Messer an irgend einer Stelle, sehr
nahe der Schenkelinse:tion, in die Kapsel ein und trenne diese ringsum,
dicht an der Insertion vom Knochen ab. Nun wird die Pfannenwandung
von der-Höhle des kleinen Beckens aus durchbohrt, diese Oefinung auf zwei
Zoll Durchmesser erweitert, der Schenkelhals durchsägt und der in der Pfanne
zurückgebliebene Schenkelkopf mit dem Meisel zertrümmert und entfernt.
Hier lässt sich die Kapsel, deren Gestalt (wesentlich vermöge der Zona)
fast genau dieselbe geblieben ist, wie bei noch darin sitzendem Femur, von
innen und aussen vollständig übersehen. Hält man das Präparat gegen das
Licht, in die eingeschnittene Knochenöffnung der Pfanne hineinblickend, so
übersieht man die Zona in ihrem ganzen Verlaufe, dazu sämmtliche longi-
tudinalen Bänder, mehr oder weniger deutlich begrenzt durch die dünneren,
durchscheinenden Stellen der Kapsel).
Wie energisch die Zona als Ringband wirkt, davon überzeugt man
sich bei der zuletzt beschriebenen Präparation, wenn man, nach Durch-
1) Greift man an diesem Präparate mit gebogenem Finger in die Schenkel-
beinlücke des Kapselbandes, den Finger auf den der unteren und hinteren Wand
der Kapsel angehörenden Theil der Zona hakenförmig einschlagend, so kann
man dieselbe wie eine Schlinge hin- und herschaukeln, und nimmt
vielleicht den Eindruck hin, dass sie, wie WEBER angab, mit zwei Ursprungs-
schenkeln zur spina inf. ilei führe. Ein genaues Zufühlen, wobei die vordere
Kapselwand zwischen zwei entgegengesetzte Finger gefasst wird, lehrt jedoch,
dass die Kapselwand unmittelbar unterhalb der Spina inf. o. ilei (woselbst die
Finger nur lig. superius und anterius zwischen sich haben) dünner ist, als
etwas weiter abwärts, wo sie jene Bänder und .die sie kreuzende Zona betasten,
welch’ letztere öfters wie ein vorspringender Wulst gefühlt wird. Da das lig.
ileofemorale sup. das stärkste der von der Zona gekreuzten und mit ihr ver-
webten Bänder ist, so hat die Zona mechanisch mit der spina inf, ilei einen
sehr festen Zusammenhang, sie wirkt wesentlich von dieser Knochenstelle aus,
aber sie „entspringt“ nicht von derselben.
60 ä WELCKER.
schneidung des lig. teres vom Becken aus, einen Versuch macht, den
Schenkelhals unzertrümmert aus der Kapsel herauszuziehen. Hier
wird es klar, dass bei jeder Luxation, wo immer die Kapsel zerreisse
und der Durchtritt des Kopfes geschehe, die Zona zerreissen muss.
Sie zerreisst aber da, wo sie durch weiten Auseinandertritt ihrer Fasern
am dünnsten ist —: unten und hinten!).
III. Ligamentum teres acetabuli.
1. Bau des lig. teres. Insertionsverhältnisse. -— Inter- und extracapsulärer
Abschnitt des Bandes. — Bewegungsmechanismus. — 2. Lig. teres nach
H. Meyer. — Hemmungsband der Adduction und der Auswärtsrollung. —
Gegengründe Hexte’s. — Desgl. des Verf. — 3. Leitband der Gefässe? —
Vascularisation des Schenkelkopfes. — 4. Beziehung des lig. teres zur Um-
treibung der Synovia. — Einrichtungen. verschiedener Art bei andern Ge-
lenken, welche den Umtrieb der Synovia befördern. — Bleiben die Gelenk-
flächen des Schulterkopfes und der Pfanne, des Schenkelkopfes und der
Pfanne, bei allen Bewegungen dieser Gelenke in gleich innigem Contacte?r —
5. Verbreitung des lig. teres in der Thierreihe. — Mangel desselben beim
Orang. — Sehr seitliche Einpflanzung des lig. teres. —
1. Ueber die Natur des lig. teres, von welchem HENLE sagt, dass
es „beide Namen mit Unrecht trage“?) und welches Azpy, gleichfalls
den Namen eines Bandes zurückweisend, als „die vielfach verkannte
innere Kapsel“ des Hüftgelenkes bezeichnet®), werde ich mich vollstän-
dig erst unten (IV), nach Würdigung gewisser Eigenthümlichkeiten
des Schultergelenkes, aussprechen können. Wiederholten Zergliederungen
zufolge, sehe ich in dem lig. teres ein von dem fibrösen Theile der
l) Die Angabe Hrxte’s (Bänderlehre: 1. Aufl. 128, 2. Aufl. 131), dass die
laterale (oder hintere) Wurzel der Sehne des, M. rectus femoris sich „nach
Ursprung und Verlauf als freigewordene ringförmige Fasern der Kapsel
betrachten lasse,“ darf nicht dahin verstanden werden, dass diese Sehne etwa
mit der „Zona“ etwas zu thun habe oder dass diese Sehne eines directen
Ursprungs vom Becken entbehre. In der That setzt sich jenes accessorische
Ursprungsbündel der Rectussehne in directem Verlaufe, etwa 3 em von der spina
inf. ilei entfernt, an den Pfannenrand, auf einer ihm angehörigen rauhen Knochen-
fläche fest, und nur der hintere, sich allmählich verdünnende Rand der Sehne
verwebt sich mit rückwärts und theilweise quer auf die Kapsel tretenden Fasern
mit deren äusserer Schicht, so dass eine Unterminirung der Sehne, falls man
jene hinteren Fasern ihr zurechnet, allerdings zu einer geringen Anschälung der
Kapsel führt. — Vortrefflich abgebildet ist die Anheftung der Rectussehne bei
HENntE in der Fig. 108, bei R f, und es zeigt diese Figur, dass jene Sehne mit
der Zona nichts gemein hat.
2) Bänderlehre, 1. Aufl. 124.
3) Bau des menschl. Körpers, 305.
Ueber das Hüftgelenk ete. 61
Kapsel und dem Pfannenrande aus in’s Innere der Gelenkhöhle treten-
des, bindegewebiges Band, welches von der incisura acetabuli aus einen
synovialen Ueberzug gewinnt. Der in dieser Synovialhülle liegende,
plattgedrückte bindegewebige Innenstrang (vgl. Fig. 9) entspringt mit
einer längeren und weitaus stärkeren hinteren Wurzel 1, von der
Aussenfläche des Kapselbandes, indem von dessen hinterem und
unterem Theile (aus dem Raume zwischen lig. pubofemorale und ischio-
femorale, zumal längs des lateralen Randes des letztgenannten Bandes)
eine Anzahl oberflächlich gelegener Fasern zu einem platten, gegen
5 © breiten und 2 bis 3 °® langen Strange zusammentreten, welcher
zwischen lig. transversum und ineisura acetabuli hindurch ins Innere
der Kapsel einbiegend und mit einer zweiten (kurzen) Wurzel sich
vereinisend, in den intracapsulären Theil des lig. teres übergeht.
(Vor ihrem Uebertritt auf das lig. transversum kreuzt die lange Wurzel
Fig. 9.
Fig. 9. Rechte Beckenhälfte; Femur abdueirt und stark gebeugt. Ursprünge des lig.
teres, an dem sonst unverletzten Kapselbande blosgelest. Trepanation des Pfannenbodens.
2 = lange Wurzel des lig. teres-
f = lig. transversum acetabuli; daneben (oberhalb der untergeschobenen Nadel) die kurze
Wurzel des runden Bandes.
in nächster Nähe des lig. ischiofemorale den zwischen diesem Bande
und dem lig. pubofemorale ausgespannten medialen Rand der Zona.)
Die kurze, nicht ganz einen °” lange, weit schwächere vordere
Wurzel des lig. teres entspringt vom Knochen (in einer Grube des
Pfannenrandes, zwischen incisura acetabuli und Vorderende der facies
lunata), dicht neben dem obern Ursprung des lig. transversum acetabuli;
dieselbe trägt zur Bildung des Vorderrandes des lig. teres bei.
Offenbar sind „lig. teres‘“ und seine lange Wurzel als ein Ganzes,
als das eigentliche lig. teres, die kurze Wurzel als ein dessen Be-
wegungen regulirendes Hemmungsbändchen zu betrachten, und wir
würden an dem lig. teres einen 2 bis 2,5 ““ langen intracapsulären,
2 WELCKER.
mit Synovialmembran umgebenen Theil, und einen meist etwas längeren
extracapsulären Theil zu unterscheiden haben. Die Bedeutung der
ineisura acetabuli ist: „Eintrittsstelle für die fibröse Grundlage des
runden Bandes ins Innere des Gelenkes“}).
Der hier beschriebene Zusammenhang des lig. teres mit der Kapsel-
wandung, auf welchen bereits HenLE und Arpy kurz hingewiesen
haben), bedingt nun aber einen Bewegungsmechanismus, welcher,
‘wie es scheint, unbeachtet geblieben ist.
Die lange Wurzel des runden Bandes, mit ihrer Unterlage (Kapsel-
wandung) meist nur sehr lose verbunden, gleitet bei Auswärts- und
Einwärtsrotirung des Femur frei hin und her, und ohne dass bei
diesen Bewegungen der aus „Band“ und Wurzel gebildete Strang eine
stärkere Spannung erlitte, befindet sich die längere Hälfte desselben
bald innerhalb, bald ausserhalb des Gelenkes, wobei der Vereinigungs-
winkel beider Wurzeln bald ein spitzer, bald ein stumpfer wird. Die
Synovialmembran, an der „Einpflanzungsstelle“ des Bandes hinlänglich
verschieblich, lässt den in das Innere des Gelenkes ein- und austreten-
den Theil des fibrösen Innenstranges ungehindert hin- und herrücken.
Zu einer eigentlichen Spannung des lig. teres kommt es unter
diesen Umständen bei keiner Stellung des Femur. Rotirt man das
gebeugte Femur nach auswärts, so dass die Fovea des Schenkel-
kopfes möglichst weit von dem Pfannenausschnitte wegrückt und
ein dort fest inserirendes Band allerdings gezerrt werden müsste,
so schleppt das lig. teres seine beiden Wurzeln möglichst weit
in's Innere des Gelenkes; die kurze Wurzel, die bei Einwärts-
rotirung dem lig. transversum dicht anliegt, schwenkt hierbei meh-
rere Millimeter weit gelenkeinwärts; die lange Wurzel, etwa 1 °”
weit ins Innere des acetabulum vorrückend, entfaltet eine nach-
1) Nicht immer ist das lig. teres und seine Wurzeln gleich vollstängig ent-
wickelt, doch habe ich den hier beschriebenen Bau in einer ansehnlichen Zahl
von Fällen vorgefunden.
2) Das lig. teres „tritt breit an der Lücke zwischen der incisura acetabuli
und dem lig. transversum in’s Gelenk —“. „Die queren Bündel des lıg. teres
grenzen nach aussen an die Fasern des lig. transversum; von den longitudinalen
Bündeln entspringt die Hauptmasse am hinteren Rande der incisura acetabuli
theils von der Aussenfläche der Pfanne, theils aus der Kapsel und gelangt unter
dem lig. transversum in die Gelenkhöhle; andere treten vom lig. transversum
und von der vorderen Ecke der incisura acetabuli hinzu.“ (HENLE a. a. O. 124).
Argy sagt von seiner „inneren Kapsel des Hüftgelenkes“, dass sie ein
„trichterförmig gegen die Pfanne’ erweitertes Rohr“ vorstelle. „Die Aussenfläche
der inneren Gelenkkapsel wird theils von Fett-, theils von Sehnenlagen über-
deckt, welche das von ihr gebildete Rohr vollständig ausfüllen und durch den
Pfanneneinschnitt frei nach aussen hervortreten.“ (a. a. ©. 305.)
Ueber das Halselerk: etc. 63
schleppende Wirkung auf den ihr als Ursprungsstelle dienenden (bei
jener Schenkelstellung erschlaffenden) Theil der Kapsel, und es wird
hierbei das lockere, fetthaltige, subsynoviale Bindegewebe, welches auf
der Vereinigungsstelle beider Bandwurzeln festsitzt und den Raum
zwischen incisura und lig. transversum ausfüllt, mehr gegen das Innere
des Gelenkes angedrängt. Diese Wirkung der Insertionsweise des lig.
teres ist bereits vor völliger Bloslegung seiner Wurzeln bei Anwen-
dung passender Schenkelbewegungen — an verschiedenen Präparaten
mit verschieden deutlichem Erfolge — wahrzunehmen; man sieht,
indem eine bestimmte Stelle der Kapselwandung während der Aus-
wärtsrotirung des Femur plötzlich nach der incisura acetabuli hin-
rückt, dass die Ursprungsstelle des lig.teres wandert. Beugt
und streckt man das Femur, so wird die zwischen lig. transversum
und incisura acetabuli befindliche Grube im Momente der Beugung
leer (eingezogen), noch mehr im Momente der Auswärtsrollung.
2. Fragen wir nun: Ist das lig. teres Hemmungsband? —
Schon unsere Schilderung der anatomischen Thatsachen macht dies
höchst unwahrscheinlich. Auch hätten bereits die von HENLE (a. a. OÖ,
131) beigebrachten Gründe diese Frage erledigen dürfen, und es scheint.
dass Hyrru jener älteren Ansicht ein zu grosses Zugeständniss macht,
wenn er neuerdings!) sich dahin ausspricht, dass die Beschränkung
der Schenkeladduction „vorzugsweise“ von der Hüftgelenkkapsel geleistet
werde, das runde Band somit „nur geringen Antheil“ an dieser
Hemmung habe. Es liest aber eine sehr viel weitergehende Angabe
eines speciell in Sachen der Gelenkmechanik ausgezeichneten Forschers,
H. MEYER, vor, welcher dem runden Bande einen sehr bestimmten
und complieirten Einfluss auf die Hemmung der Schenkelbewegungen
zuschreibt. Die Lehre Mryer’s ist kurz folgende:
Der hintere und der vordere Rand des lig. teres werden nach MEYER?)
durch stärkere Stränge („chorda anterior und posterior“) gebildet, während
der mittlere Theil eine dünnere Platte ist3). Die chorda anterior ist
nach MEYER nur Hemmungsband für die Rotation des Femur nach
innen; die chorda posterior „hat eine wichtigere und vielseitigere
Bedeutung, indem sie alle solche Bewegungen hemmt, durch welche die
fovea capitis femoris nach oben geführt wird, diese sind aber im
Stehen die Adduction und in der Beugung der Hüfte eine Rotation des
Femur um seine Längsachse. Die Bedeutung des lig. teres ist demnach
1) Topogr. Anat. II. 520.
2) Lehrbuch der physiol. Anat. 1. Aufl. 125; 2. 133,
3) Wir erkennen in diesen „chordae“ die in den Synovialüberzug ein-
geschlossenen Fortsetzungen unserer in den Vorder- und Hinterrand des runden
Bandes einfliessenden kurzen und langen Wurzel.
64 WELCKER.
die, dass es bei’m Stehen eine Fixirung des Femur in querer Rich-
tung giebt, und dass es beim Gehen den Rumpf, während er bei ge-
beugtem Hüftgelenke auf einem Beine ruht in einer Weise fixirt, welche
ihn verhindert, seiner Schwere folgend durch eine Drehbewegung hinab-
zufallen. Es hat daher in der queren Richtung beim Ruhen auf einem
Beine dieselbe Wirkung, wie das lig. ileofemorale in der Richtung von
vorn nach hinten beim aufreehten Stehen.“
Diese Angaben scheinen mir unhaltbar. Seinen Ausspruch, dass
das lig. teres in keinerlei Weise in die Bewegungen des Hüftgelenkes
hemmend eingreife, hatte HENLE auf Beobachtungen gestützt, welche
bei stehender Kapsel angestellt wurden. Ich füge hinzu, dass man
zu noch entscheidenderem Ergebnisse gelangt, wenn die Anfangs un-
verletzte Kapsel während des. Versuchs in bestimmter Weise
durchsehnitten wird. Der höchste Grad der Spannung des lig.
teres bei unverletzter Kapsel wird (wie sich an einem Präparate, an
welchem die hintere Wandung der Pfanne in weitem Umkreise ab-
gebrochen ist, constatiren lässt) erreicht, wenn das mässig gebeugte
Femur stark addueirt oder rückwärts rotirt wird. (Man bemerke wohl,
dass dies zugleich die Stellungen sind, bei welchen das unvergleichlich
stärkere lig. ileofemorale superius am meisten gespannt ist.)
Aber auch die kräftigste Ablenkung des Schenkelbeines in den ge-
nannten, wie in sonst welchen Richtungen vermag das lig. teres, wie
sich hier bequem übersehen, durch Anschlingung des Bandes prüfen
und nach der oben gegebenen anatomischen Schilderung verstehen
lässt, nicht bis zu dem Grade zu spannen, welcher offenbar erreicht
werden müsste, sofern das Band als Hemmungsband wirkte. Durch-
schneidet man nun die Insertion des lig. ileofemorale superius der
Quere nach und führt, zugleich nach Kräften auswärts rotirend (den -
Contact der Gelenkflächen aber beibehaltend) den möglichsten Grad
der Adduction aus, so vergrössert sich der Winkel, in welchem das
Schenkelbein zur Medianebene des Körpers tritt, um ein Ansehnliches.
(Derselbe betrug in einem Falle vor der Durchschneidung 30°, nach
derselben gegen 40°; in einem zweiten Falle waren die Winkel 42
und 48.) Lediglich das durchschnittene Kapselband ist es, welches
für diesen Zuwachs der Bewegung Raum gab: seine Schnittwunde
klafft im Momente der forcirten Adduction, resp. Auswärtsrotation,
um Y/,‘“, während das lie. teres nun allerdigs etwas stärker gespannt
ist, als vorher, seine Verlängerung aber nicht sowohl einer Dehnung,
als einer weiteren, auf dem oben geschilderten Mechanismus beruhenden
Verschiebung seiner Ursprungstselle verdankt. Diese und andere Ver-
suche führen, wie ich glaube, übereinstimmend zu dem Ergebniss:
„Das Kapselband der Hüfte ist so beschaffen und die Anheftungs-
Ueber das Hüftgelenk ete. 65
punkte des lig. teres sind so gelagert, der Beckenursprung dieses Bandes
auch anderweitig so eingerichtet, dass dasselbe, so lange die Kapsel
intact ist, bei keiner Stellung gezerrt wird, oder in die Lage kommt,
als Hemmungsband zu wirken, zu welch letzterem Behufe es überdies
zu schwach sein würde“).
3. Ist das lig. teres Leitband der Gefässe des Schenkel-
kopfes?
Die Art und Weise der Vascularisation des Schenkelkopfes hat
Interesse rücksichtlich der Beurtheilung der Heilerfolge bei Schenkel-
halsbruch, und ziemlich allgemein wird das Ausbleiben der knöchernen
Wiedervereinisung dem Umstande zugeschrieben, dass die Blutzufuhr
zu dem oberen Bruchstücke „nur durch das lig. teres“ vermittelt
werde und darum nicht ausreiche. Hier ist nun zunächst sicher zu
stellen, ob und inwiefern der Schenkelkopf durch das lig. teres über-
haupt Blut erhält. -
Der Angabe Hyrrr’s, durch die subtilsten Injeetionen sich über-
zeugt zu haben, dass die Blutgefässe des runden Bandes nicht in
die Substanz des Schenkelkopfes eindringen, sondern an der
Einpflanzungsstelle des Bandes schlingenförmig umbiegen (Topograph.
Anat. Il, 521), stellt LuschKA „die bestimmteste Erklärung“ ent-
gegen, dass er „im Inneren des Bandes niemals Zweigchen der art.
obturatoria vermisst habe, welche ihren Weg durch die Poren der
fovea capitis in die Substanz des Schenkelkopfes nehmen“ — (Anat.
des Menschen III, 364). Ich finde nun aber, dass in !/,-der Fälle
die fovea gar keine „Poren“ hat, in diesen Fällen also absolut
keine Vascularisation des Schenkelkopfes vom lig. teres aus Statt
l) In dem nach Abschluss meiner Versuche erschienenen Werke MEYER’s:
„Statik und Mechanik des menschl. Körpers, Leipzig 1873, wird die Funktion
des lig. teres (pag. 343), welchem die „Bedeutung eines Bandes, insbesondere
eines Hemmungsbandes zugeschrieben wird, dahin präeisirt, „dass das l. teres bei
flectirter Stellung des Femur hemmend auf die Rotation nach aussen wirkt“.
Diese Funktion des runden Bandes wird vorzugsweise aus der Gestalt der
Fovea capitis femoris erschlossen, einem rinnenförmigen Auschnitte der Fovea,
von welchem M. annimmt, dass er dem Seitendrucke des gespannten Bandes
seine Entstehung verdanke und in welchem das Band dann liegen werde, wenn
es am meisten gespannt sei,. d. i. wenn es funktionire — d. i. bei Auswärts-
rotation des flectirten Schenkels.
Auch STRUTHERS (The Lancet, Febr. 1863, „On the true function of the
round ligament of the hip-joint.“) nennt als die Funktion („the function and
the only function“) des runden Bandes: „Hemmung der Auswärtsrotation in
gebeugter Stellung“. — Ich verweise auf die Insertionsverhältnisse des lig. teres
und auf den (pag. 64) mitgetheilten Versuch mit Durchschneidung des lig. ileo-
femorale superius.
Zeitschrift f. Anatomie. Bi. I. 5
66. WELCKER.
finden konnte, während in 2/, der Fälle allerdings feine Durchboh-
rungen — ofienbar Gefässlöcher — vorhanden sind. Die Injectionen
Hyrrr's mögen sich auf Fälle meiner ersten Gruppe, diejenigen
LuschkaA’s auf Fälle der zweiten Gruppe beziehen!,. Aber die Blut-
menge, welche bei letzteren durch diese Oefinungen in den Schenkel-
kopf einzudringen vermag, muss ausserordentlich gering sein, so dass
auch in diesen Fällen die Bedeutung des Bandes als „gubernaculum
vasorum“ kaum in Anschlag kommen dürfte. Dagegen ist, wie es
scheint ziemlich unbeachtet geblieben, dass der Schenkelhals und
-kopf eine ganz ansehnliche Blutzufuhr durch Gefässe erhalten, welche
in zwei Gruppen in den Knochen eindringen — einmal auf der Höhe
des Schenkelhalses, dicht am Rande des Gelenkkopfes, woselbst man
niemals 6 bis 12 foramina nutritia von ca, 1 "® Querschnitt ver-
missen wird; sodann, in geringerer Anzahl und weniger constant, an
der vorderen Fläche des Schenkelhalses.
Die genannten Gefässe, welche als artt. colli femoris superiores und
anteriores bezeichnet werden können, entstammen den artt. circumflexae
femoris, und zwar ist der gewöhnliche Ursprung und Verlauf der supe-
riores der, dass ein Ast der a. circumflexa fem. interna zwischen m.
quadratus femoris und mm. obturatores aufwärts steigt, sodann zwischen
den Insertionsenden der mm. obturatores hindurch zur Kapsel tritt, diese
durchbohrt, um von da aus, in mehrere Aeste zerspalten, unter die Syno-
vialmembran des Schenkelhalses und in die erwähnten foramina einzu-
treten 2).
Da diese Gefässe, welchen normal die Ernährung des Schenkel-
halses und -kopfes obliegt, bei intracapsulärem Schenkelhalsbruche
1) Bereits in einer unter E. H. und Ep. WEBER geschriebenen Dissertation
(De arteriis articulationis coxae, auct. WALBAUM, Lipsiae 1855) wird Bezug auf
diese Poren genommen, welche Verfasser als constante Bildung zu betrachten
scheint: „Aliis quoque de causis vasa transire arbitror; in lamella enim tenui
foveolae capitis, praecipue in osse macerato, multa foramina subtilia videmus,
quorum per partem vasa penetrare possunt.‘“ — Dem Ausdrucke: „multa fo-
ramina“ gegenüber lasse ich einige Ziffern folgen. Unter 30 Schenkelbeinen
Erwachsener fand ich 9 ohne die erwähnten Poren. Ein bis 2 feine Löcher,
stets unter 1%” Querschnitt, fanden sich in 11 Fällen; 3 bis 6 Löcher in 8
Fällen; einmal fanden sich 10, einmal gegen 25 ausserordentlich feine Durch-
bohrungen. Bei Kindern und jugendlichen Individuen scheinen diese foramina
ganz zu fehlen. — Die Handbücher nennen die fovea cap. femoris eine „rauhe,
nicht überknorpelte Grube“; von Durchbohrungen finde ich nichts angemerkt.
2) Der Eintritt der artt. colli fem. superiores in den Schenkelhals und ihr
Vordringen bis nahe zur fovea capitis femoris findet sich abgebildet bei AstLev
CooPrEr (Abh. über Luxationen und Fracturen der Gelenke u. s. w.) und von
dort copirt in FRORIEP’s chirurg. Kupfertafeln XCII, Fig. 3. Dieselben Gefässe
hat auch WaLsaum injieirt (a.a. 0. Fig. 1).
Ueber das Hüftgelenk etc. 67
ohne Zweifel zerreissen, so fehlt nach Obigem in etwa !/, der Fälle
dem oberen Fragmente jede Blutzufuhr und in den übrigen Fällen
ist sie nicht ausreichend.
4. Umtreibung der Synovia in den Gelenken, insbeson-
dere im Hüftgelenke. Zieht man an einem’ Schenkelbeine von
der fovea capitis aus über die Wölbung des Schenkelkopfes eine
Linie, deren Verlängerung 1 Zoll vor, und eine ebensolche Linie,
welche 1 Zoll hinter den trochanter minor trifft, so bezeichnen (wie
sich an dem Präparate mit trepanirtem Pfannenboden übersehen lässt)
diese beiden Linien — ad und ac der Fig. 10 — ziemlich genau die
Lagen, welche das lig. teres während der
Streckung und bei mässiger Beugung
des Schenkels inne hat; der zwischen
beiden Linien fallende Abschnitt des Ge-
lenkkopfes ist es, über welchen das Band
bei jedem Schritte hin- und zurückge-
führt wird, so dass dasselbe eine wi-
schende Bewegung über die Gelenk-
fläche hin ausführt. Es kann nicht aus-
bleiben, dass das von der tiefsten Stelle
des Gelenkes aus mit Synovia reichlich
benetzte Band bei diesen Bewegungen die
Synovia über die Gelenkflächen hin- und
herführt, so dass hierdurch Gelegenheit
zu einer vollständigeren und fortwährend
sich erneuernden Einsalbung des Gelenkes
gegeben ist. Hierzu kommen dann noch
die oben erwähnten, von den Schenkel-
bewegungen abhängigen Verschiebungen
der an der Basis des runden Bandes ge-
legenen, mit Synovia benetzten Fett-
lappen.
Die Funktion des lig. teres, wel-
ches unserer Darstellung zufolge weder
als Hemmungsband, noch als Leitband
der Gefässe betrachtet werden kann, ist
somit, wie ich vermuthe: Umtrei-
bung der Synovia!).
Fig. 10.
Rechte Beckenhälfte ;
Femur in mässiger Beugung.
a = Insertion des lig. teres am
Schenkelkopfe.
ab und ac = Grenzlinien des-
jenigen Abschnittes des Schenkelko-
pfes, welcher bei den Gehbewegungen
am lig. teres hin und herschleift.
ac? = Grenzlinie, innerhalb wel-
cher der Kopf bei extremer Schenkel-
beugung vom runden Bande ge-
troffen wird.
!) Bei vollständiger Beugung des Schenkels trifft die Linie, welche der
Verlängerung des lig. teres entspricht (a c? der Fig. 10), in die fossa tro-
5*
63 WELCKER.
Nimmt man mit Ep. WEBER an, dass die Oberfläche des Schen-
kelkopfes und der Pfanne einander unmittelbar anliegen und dass
diese unmittelbare und allseitige Berührung bei den Gehbewegungen
strenge beibehalten bleibe, so ist es auch bei der eben mitgetheilten
Auffassung des lieg. teres immerhin schwer ersichtlich, wie (sofern
nicht noch andere, bis jetzt nicht in Betracht gezogene Einwirkungen
hinzukämen) es ausbleiben könnte, dass bei den stundenlang fortge-
setzten Gehbewegungen die Synovia aus dem capillären Zwischenraume
der Knorpelflächen gänzlich vertrieben würde und letztere sich trocken
rieben.
Ich finde nun, dass bei zahlreichen Gelenken Einrichtungen be-
stehen, welche sich auf die raschere und vollständigere Umtreibung
der Synovia beziehen, Einrichtungen besonderer und sehr verschiedener
Art, welche ihren morphologischen Verhältnissen nach längst bekannt
sind, auf diese Leistung aber seither nicht bezogen wurden. Ich
erwähne nur Folgendes:
Im Schultergelenke findet sich, ganz ähnlich wie im Hüft-
gelenke, ein sich hin und herschiebender Strang, die Bicepssehne,
welche bei den Bewegungen des Armes die Umtreibung der Synovia
auf das Wirksamste steigern muss. Der untere Theil dieser Sehne
taucht in eine trichterförmige, zum suleus intertubereularis führende
Ausbuchtung der Synovialhaut ein (vgl.pag.75, Fig.12,r), in welcher
fortwährend Synovia sich sammelt und aus welcher die bei den Arm-
bewegungen auf und absteigende und über dem Gelenkkopfe hin und
hergleitende Sehne fortwährend schöpft. Hierzu kommt, dass, wo
immer das intracapsuläre Stück der Sehne je nach der Armstellung
sich befindet, die Kapselmembran in Folge des Vorragens der Sehne
ein wenig von der Knorpellläche des Humeruskopfes sich abheben
wird, so dass zu beiden Seiten der Sehne ein capillärer, von Synovia
gefüllter Spalt offen bleibt. Sehr erheblich muss die Wirkung dieser
Vorrichtungen während der Pendelbewegungen der Arme sein; bei
jedem Vorwärtsschwingen steigt die Bicepssehne in jenes „recepta-
culum synoviae“ hinab, bei jedem Rückwärtspendeln tritt sie
mit Synovia benetzt auf die Kugel zurück. Aber nicht nur durch
Längs verschiebungen, auch mit ihren Rändern voran schleift und wischt
die Bicepssehne, gleichzeitig Längsverschiebungen ausführend (dies
chanterica, und der von dem runden Bande bestrichene Theil des Schenkel-
kopfes beträgt nahezu 1/) von dessen Oberfläche, Gleichzeitig bestreicht das
Band bei diesen Bewegungen die fossa acetabuli (zumal bei der Aus- und Ein-
wärtsrollung des femur), deren von dem Bande leergelassener Raum, wie bereits
HENLE a. a. 0. 124 bemerkt, von Synovia erfüllt ist.
Ueber das Hüftgelenk ete. 69
bei den Längsachsendrehungen des Humerus, wo ein dreieckiger Ab-
schnitt des Humerusscheitels unter dem intracapsulären Stücke der
Sehne hin und hergeschleppt wird), und es ist ferner hervorzuheben,
dass bei verschiedenen Bewegungen die Sehne in anderer, oftmals in
entgegengesetzter Richtung schiebt, als die Kapselmembran.
Die Gelenkflächen des Atlas und des Epistropheus, an beiden
Knochen unregelmässig convex, berühren einander, wie HENKE (a. a.
0. 94) auseinandersetzt, höchst unvollständig; in der Ruhestellung
(Blick nach vorn) nur mittelst einer die Mitte jeder Gelenkfläche
querdurchziehenden Firste, so dass an jedem dieser Gelenke vor und
hinter jener Berührungslinie die Gelenkflächen klaffend auseinander-
weichen. Ich zweifle nicht, dass die Leistung der von HENKE nach-
gewiesenen Vorrichtung die Umtreibung der Synovia ist. Dreht sich
der Atlas, die durch Henkz bekannt gewordene Niederschraubung des
Kopfes vollführend, so kommt je eine vordere und eine hintere Ge-
lenkflächenhälfte des einen Knochens mit einer hinteren und einer
vorderen des anderen in unmittelbare’ Aneinanderpressung; die Synovia
wird hierdurch in andere Abschnitte des Gelenkes eingetrieben, wäh-
rend sie bei der Zurückschraubung des Kopfes in die sich wieder
öffnenden Spalte zurückkehrt.
Durch HEnkE!) wissen wir, dass das Ellenbogengelenk kein
reines Charnier ist, indem die Ulna während der Beugung mittelst
einer Schraubenbewesung zur Seite geführt wird. Beträgt diese seit-
liche Ausweichung bei einer vollen Beugung, wie HENKE berechnet,
auch nicht ganz 2 Millimeter, so ist es doch klar, dass dieses seitliche
Gleiten die Einsalbung des Gelenkes begünstigen muss, ganz ähnlich,
wie die Angeln einer Thüre vollkommner eingeölt werden, wenn die
Thüre während der Drehung gleichzeitig gehoben und gesenkt wird.
Auch zu der Angabe HeEnke’s?), dass der Radius den Oberarmknochen
bei der Streekung des Armes nur theilweise berührt, bei der Beugung
dagegen in festen Contact kommt, möchte ich die Beziehung zur Ein-
salbung des Gelenkes hervorheben.
Beim Kniegelenke wird, indem die halbmondförmigen Knorpel
bei jedem Schritte zwischen den sich beugenden Extremitätenknochen
nach hinten, zwischen den sich streckenden nach vorwärts gleiten,
die Synovia in fortwährendem Umtriebe gehalten, dies umsomehr, als
zugleich das lig. mucosum offenbar eine Art umrührender Bewegung
entfalten muss. — Aehnliches bei zahlreichen anderen Gelenken.
70 WELCKER.
Finden wir in dieser Weise bei allen stärker in Anspruch ge-
nommenen Gelenken höchst wirksame Vorrichtungen für die Bewegung
der Synovia, so würde gerade das Hüftgelenk, dessen Flächen, indem
bei jedem Schritte das Eine Femur die ganze Last des Rumpfes nebst
der des anderen Beines zu tragen hat, einer sehr starken, die Synovia
westreibenden Reibung ausgesetzt sind — sofern keine anderen, als
die oben erwähnten Mittel für die Hin- und Herführung der Synovia
gegeben wären — in dieser Hinsicht allen übrigen Gelenken nachstehen.
Kommt an einem Gelenke — gewaltsam oder normal — Sub-
luxation vor, so ist wohl anzunehmen, dass die Synovia den sich
hereindrängenden Synovialfalten die Randpartien des Gelenkes über-
lässt, während sie selbst in um so dickerer Schicht auf einem kleinen
Umkreise sich zusammenzieht. Würde es sich nachweisen lassen,
dass bei gewissen, besonders häufig gebrauchten Gelenken in Öfterer
Wiederholung solche Auseinanderrückung und Gegeneinan-
derpressung der Gelenkflächen vorkäme, so würde hierin, auch
wenn jene Distanzänderungen ganz minimale wären, ein äusserst wirk-
sames Moment für die Bewegungen der Synovia gefunden sein. In
der That kennen wir beim Unterkiefergelenke eine solche Sub-
luxation, welche den Kopf des Unterkiefers bei jeder Eröffnung des
Mundes auf das tuber articulare treibt. Ich vermuthe, dass auch das
Oberarmbein bei jedem lebhafteren Vorwärtsschwingen des Armes
in einem überaus geringen Grade subluxirt wird. Indem ich hier
eine Frage berühre, mit deren experimenteller Prüfung ich bis jetzt
nicht abschliessen konnte, erlaube ich mir nur wenige vorläufige Be-
merkungen.
Im Momente der Rückwärtsbewegung des Armes wird das lie.
coracohumerale stark gespannt, die Rückwärtsbewegung geht so weit,
als eben das genannte Band diese Bewegung erlaubt, und der Ge-
lenkkopf wird durch Hebelwirkung mit grösster Festigkeit gegen
die Schulterpfanne angedrängt. Wenn aber nun die Extremität nach
vorwärts schwingt, so wüsste ich nicht, wodurch der Humeruskopf
gehindert werden sollte, sich in mässigem Grade vom unteren Theile -
der Pfannenfläche abzuheben. Die Schlaffheit des hinteren Theiles
der Kapsel dürfte trotz ihrer Verklebung mit den Sehnen der mm.
teretes es immerhin gestatten, dass eine Falte der Synovialmembran
sich zwischen den unteren Theil des Pfannenrandes und des Humerus-
kopfes eindrängte und der Synovia Gelegenheit böte, sich in dickerer
Schicht zwischen den sich etwas lüftenden Gelenkflächen zusammen-
zuziehen.
Was endlich das Hüftgelenk anlangt, so involvirt die von
Ueber das Hüftgelenk ete. all
WEBER angenommene Congruenz der Gelenkflächen von Schenkelkopf
und Pfanne, sowie die Thatsache, dass während der Streckung des
Schenkels beide Flächen sich in dichter Aneinanderpressung befinden,
keineswegs die Gewissheit, dass auch während der Beugung das-
selbe der Fall sei, und es scheint, dass dies letztere, so sehr es
ganz allgemein als feststehende Thatsache gilt, nur einfach so ange-
nommen wird. Die Möglichkeit, dass in dem Momente, wo das
Bein vorwärts schwingt — die Hemmungsbänder sich vom Schenkel-
halse abwickeln, die Zona vom Pfannenrande wegrückt, das Kapsel-
band lang und schlaf! wird — die Möglichkeit, dass in diesem
Momente die Gelenkflächen auch hier in einem geringen Grade sich
von einander abheben (der untere und hintere Theil des Schenkel-
kopfes von dem dem os ischii angehörigen Theile der facies lunata),
wird zunächst nicht abzuleugnen sein, da die Kapsel in der Gegend
des lig. transversum acetabuli schlaff genug ist, um so viel Raum-
theile lockeren (der Basis des lig. teres angehörigen) Gewebes in die
Pfanne einrücken zu lassen, als der Synovialraum durch die von mir
vorausgesetzte Lüftung der Gelenkllächen sich vergrössert.
Ich darf nicht fürchten, missverstanden zu werden. Es ist be-
sreiflich, dass bereits ein ausserordentlich geringer Unterschied in
dem Grade des Aneinandergepresstseins der Gelenkflächen während
der Momente des Vorwärtsschwingens und der Streckung des Beines
binreichen würde, den Umtrieb der Synovia erheblich zu steigern
und dass darum an auffälligere Abhebungen hier um so weniger ge-
dacht wird. Die Synovia, welche, sofern in jedem Momente der Geh-
bewegungen der Grad der Aneinanderpressung der Gelenkflächen
genau derselbe wäre, sich alsbald insgesammt an wenigen, bestimmten
Stellen (wesentlich am Schenkelhalse) ansammeln müsste, gerade die
ihrer bedürftigsten Stellen trocken lassend, würde bei dem von mir
vorausgesetzten Spiele des Femur durch eine Art Ebbe und Fluth in
beständigem Umtriebe sein, welcher dann weiterhin durch die Be-
wegungen des lig. teres wirksam unterstützt würde.
5. Die Verbreitung des lig. teres in der Klasse der Säuge-
thiere ist eine sehr alleemeine. Um so unwahrscheinlicher schien mir
die irgendwo gelesene Notiz, dass dieses Band, welches mir beim
Hunde, der Katze, hei Rind, Hase, Fledermaus — kurz, bei Thieren
der verschiedensten Ordnungen — gelegentlich aufgestossen war,
beim Orang fehle. Gespannt, wie etwa die Descendenztheorie mit
dieser Thatsache sich abfinde, habe ich in den Schriften von Huxrery
(Zeugnisse für die Stellung des Menschen), Broca (l’Ordre des pri-
mates) und Vocr (Vorlesungen) bei Besprechung der Anthropomorphen
=
723 WELCKER.
keine Angabe über das lig. teres aufgefunden, desgleichen nicht bei
Darwın und HAEcKEL; bei HyrrtL (Anat. 12. Aufl. 357) wird das
gelegentliche Fehlen des runden Bandes beim Menschen als eine ‚„‚Thier-
ähnlichkeit“ bezeichnet — mit Hinweis auf den „Elephanten“.
Inzwischen fand ich bei MEcKEL!) eine Angabe, nach welcher das
Fehlen des runden Bandes ein allgemeines Vorkommen bei den an-
thropomorphen Affen zu sein schien:
„Bei einigen Affen, namentlich dem Pongo, Orang-Utang,
Chimpanse, wahrscheinlich auch den Gibbons, fehlt (am Schen-
kelkopfe) die Vertiefung für das runde Band.“
Diese Angabe veranlasste mich, nun selbst nachzusehen, und es
mögen nachfolgende Beobachtungen zur Aufklärung dieser nicht un-
interessanten Frage beitragen oder, falls bereits anderweitige Beobach-
tungen vorliegen sollten, diese bestätigen.
An dem natürlichen Skelet eines jungen Chimpanse (Milch-
gebiss), an welchem ich die Hüftkapsel öffnete, fand ich ein vollkom-
men entwickeltes, fast central im Schenkelkopfe eingepflanztes lig. teres,
in allen Beziehungen mit dem menschlichen übereinstimmend — ein
Befund, der nun auch die Angabe Meckkr's betrefis des Orang hin-
fällig zu machen schien. Um so grösser war meine Ueberraschung,
als die Hüftkapsel des natürlichen Skelets eines jungen Orang (N0.4007
der anat. Sammlung zu Halle) nicht eine Spur eines lie. teres entdecken
Bios
a Schenkelkopf des jungen Chimpanse; d des jungen Orang (No. 4340 und 4007 der anat. Samm-
lung zu Halle); c Schenkelkopf eines erwachsenen Orang; d des Gorilla?); e des Menschen.
liess, während dasselbe, wäre es überhaupt jemals vorhanden gewesen,
innerhalb der bis dahin uneröffnet gebliebenen Gelenkkapsel des vor-
züglich gut erhaltenen Skelets nicht hätte fehlen können. (Knorpelüberzug
des Schenkelkopfes überall glatt, ohne jede Andeutung einer Einpflanzungs-
stelle eines Bandes.) Ich gebe in Fig. 11, a, d, die Abbildung der Köpfe
der sonst einander zum Verwechseln ähnlichen Schenkelbeine beider Thiere.
l) System der vergl. Anatomie, II, 2, pag. 443. ;
2) Nach einer Zeichnung, die Herr Professor Dippel zu Darmstadt nach
dem dortigen Skelette für mich zu fertigen die Güte hatte,
Ueber das Hüftgelenk etc. 73
Uebereinstimmend hiermit fand ich die Schenkelbeine eines alten
' Orang ohne fovea; ferner zeigen die vollkommen intakten femora
eines ebenfalls alten, 9, als Simia morio bezeichneten Orang keine Spur
einer fovea (Fig.11,c), zugleich ist die Abgrenzung des hier bis zum Rande
unverletzt erhaltenen Knorpelüberzuges an der Peripherie des Kopfes
derartig, dass auch an eine seitliche Einpflanzung eines lig. teres ab-
solut nicht zu denken ist. Ich habe hiernach zu constatiren, dass
dem Orang das lig. teres fehlt, während Chimpanse, Gorill
und ebenso Hylobates dasselbe besitzen. Zwei einander so nahe
stehende Thiere, wie Orang und Chimpanse, betreffs eines sonst fast
durch die ganze Säugethierreihe durchgreifenden Charakters ver-
schieden zu finden, gehört zu den mir auffälligsten Erscheinungen,
die mir jemals begegnet sind )).
Als Säugethiere, welchen das lig.teres fehle, nennt MEck&£t, ferner-
hin Bradypus, Echidna, Ornithorrhynchus; was mit der Hinzu-
fügung zu bestätigen ist, dass auch Choloepus des runden Bandes
ermangelt, während Manis, Dasypus und Orycteropus dasselbe
besitzen. MECKEL erwähnt ferner, dass bei mehreren Pachydermen,
„namentlich beim Elephanten, Nashorn und Nilpferd“ das runde
Band fehle Für die genannten Gattungen, bei welchen der Kopf der
skeletirten femora ohne fovea ist, wird dies ohne Zweifel gelten; da-
gegen finde ich bei Tapirus (indieus wie americanus) die fovea in
einer bemerkenswerthen, und, wie ich vermuthe, auf die Entwicklung
des lig. teres Licht werfenden Form. Dieselbe ist hier nicht eine
rinssumschlossene, innerhalb des Knorpelüberzuges liegende Lücke,
sondern sie ist eine von dem Rande aus in denselben einspringende
Bucht. Dieselbe findet sich dieht am medialen Rande des Knorpel-
überzuges, genau da, wo der Schenkelkopf der incisura acetabuli
anliegt — insgesammt Verhältnisse, welche auf ein sehr kurzes,
wenig entwickeltes, dem Kapselbande dicht anliegendes
lig. teres schliessen lassen. Sehr seitlich dürfte die Einpflanzung
auch bei Phoca sein, ja vielleicht fehlt das Band, worüber ich bei
dem mir vorliegenden Material nicht sicher entscheiden kann ?).
1) Erlaubt der vollständige Mangel einer fovea des Schenkelkopfes einen siche-
ren Schluss auf Fehlen des lig. teres, so liefert umgekehrt die Anwesenheit einer
fovea in der Hüftpfanne an sich keinen Beweis eines dort eingepflanzt gewesenen
runden Bandes. Die von mir untersuchten Hüftbeine erwachsener Orangs zeigen
zwischen beiden Schenkeln der facies lunata eine allerdings kleine, von der ineisura
acetabuli aus rinnenförmig in die Gelenkpfanne eindringende fovea. (Gefässeintritt.)
2) Wie weit die oben für den Menschen angegebene Bedeutung des lig.
teres bei denjenigen Thieren, welche dieses Band besitzen, zutrifft, lasse ich
74 WELCKER.
IV. Schultergelenk.
Insertionsverhältnisse des lig. coracobrachiale. — An das lig. teres der Hüfte
erinnernde Bildung der Schulterkapsel. — Wahrscheinliche Art der Entwicklung
des lig. teres. — Analogie des lig. teres acetabuli und der columna anterior des
lig. coracobrachiale. —
Nach den Angaben der Lehrbücher entspringt jener derbere Faser-
strang der Schulterkapsel, welcher die Bewegungen des sich ausren-
kenden und des zu reponirenden Humeruskopfes vorzugsweise bestimmt
— das lig. coracobrachiale — vom Rande des Schulterhakens?); die
Insertionsstelle am Armknochen wird meist nicht näher bezeichnet. —
Einige nennen das tuberculum majus?) Ich möchte geltend machen,
dass dieses Band, wie bereits SCHLEMM°) angegeben hatte, mit einer
Wurzel vom Schulterhaken, und zwar nahezu von dessen Spitze, mit
einer zweiten Wurzel an der Spitze des Gelenkpfannenrandes entspringt,
und seine Anheftung an beiden Höckern des Oberarmes findet, und
dass eben nur vermöge dieser Ursprungs- und Ansatzweise dieses Band
jenen höheren Grad von Festigkeit gewinnt.
Das lig. coracobrachiale, welches an der blosgelesten Schulter-
kapsel als eine selbstständige Bildung weniger deutlich hervortritt und
über seine Begrenzung Zweifel lassen könnte, ist dennoch in zwei-
facher Hinsicht eine sehr greifbare Bildung: es ist derjenige ver-
stärkte Theil der Schulterkapsel, welcher von den durch den processus
coracoideus getrennten und getrennt zu den Armhöckern ziehenden Mm.
subscapularis und supraspinatus unbedeckt bleibt; es ist ferner der-
jenige verstärkte, nach innen leicht rinnenförmig gehöhlte Theil der
Kapsel, welcher der Länge nach die das Gelenk durchziehende Biceps-
dahingestellt; die sehr gewöhnliche Erscheinung, dass anatomisch identischen
Bildungen innerhalb der Thierreiche sehr verschiedene Leistungen zufallen,
könnte sehr leicht auch hier vorliegen.
1) —,, Vom lateralen Rande des Schulterhakens, unter dem lig. coracoacro-
miale‘“ (HentE, Bänderlehre, 70). — „Vom lateralen Rande der Wurzel des
Schulterhakens‘“ (LuscHkA, Anat. III, 126). — „Vom Aussenrande des proc.
coracoideus“ (Aeßy, Bau des m. K., 278). — „An der Wurzel des Schulterhakens“
(QUAIN-HOFFMANN, Anat. ], 186).
2) — „An den grossen Höcker des Oberarmes“ (Laute, Anat. I, 106). —
„Steigt vom proc. coracoid. zum tub. majus herab“ (Krause, I, 304). — „Ein
breites Band, welches vom Rande des Schulterhakens — — entspringt und in
die obere und hintere Wand der Kapsel ausstrahlt“ (Hexe, Bänderlehre, 70).
3) MÜLLER’s Arch. 1853, p. 45. Zwei andere von SCHLEMM unterschiedene
Verstärkungsbänder (lig. glenoideo-brachiale internum und inferius) dürften
morphologisch wie physiologisch ein geringeres Interesse besitzen. SHLEMM’s
Angaben über das lig. coracobrachiale haben, soweit ich weiss, nur in der
neuesten Ausgabe von Hortstein’s Anatomie (5. Aufl. p.217) Beachtung gefunden.
Ueber das Hüftgelenk etc.
sehne deckt.
75
Dieses Band, isolirt gedacht ein Strang von etwa 1 bis
1?/, °® Breite, wird sehr demonstrabel durch folgende Behandlung:
Fig. 12.
An einem Schulterstücke, dessen Muskeln
mit Ausnahme des langen Kopfes des Biceps
sämmtlich entfernt und dessen Kapselband nebst
dem lig. coracoacromiale rein präparirt ist,
wird die Kapsel durch zwei parallele, das lig.
coracobrachiale zwischen sich einschliessende
Schnitte (deren hinterer von der oberen Spitze
der Scapularpfanne zur Mitte des tub. majus
und deren vorderer von der Spitze des proc.
coracoldeus zum tub. minus führt) gespalten.
Der obere Ursprungsrand des gesammtenübrigen
Theiles der Kapsel wird mit der Scheere dicht
am labrum cartilagineum abgeschnitten und
manchettenartig auf den OÖberarmknochen hinab-
geschlagen.
An diesem Präparate (Fig. 12) sieht man
bei 1 die von dem Endtheile des Schulter-
hakens kommende obere (längere) Wurzel
des lie. coracobrachiale; daneben die mit der
Bicepssehne von der Spitze der Pfanne ent-
springende untere (kürzere) Wurzel. (Zwischen
beiden Wurzeln eine Lücke der Kapsel, durch
welche dieselbe mit dem unter der Sehne des
m. subscapularis liegenden Synovialsacke com-
municirt.) Das durch den Zusammentritt
dieser Wurzeln gebildete Band ist zur Auf-
nahme der Bicepssehne scheidenartig gehöhlt;
die zu den Armhöckern herabtretenden Rand-
fasern des Bandes” (ca und cp) springen
beiderseitig columnenartig in’s Innere des
Gelenkes vor, während die mittleren Fasern
den sulcus intertubercularis überbrücken.
Oberhalb dieses letztern, zwischen den beiden
columnae, befindet sich der oben (page. 68) er-
wähnte trichterförmige recessus (r), dessen Be-
deutung für die Einsalbung des Gelenkes dort
erörtert wurde. — Für die untenfolgende Be-
trachtung ist es erheblich, dass (wie auch
unsere Abbildung zeigt) die Fasern beider
Wurzeln des lig. coracobrachiale vorzugsweise
in die vordere Randcolumne (ce a) einfliessen.
——
12. Lig. coracobrachiale
der rechten Schulter.
Fig.
? = obere oder vordere (lange),
vom Schulterhaken kommende
Wurzel des lig. coracobrachiale ;
daneben die mit der Bicepssehne
vom Pfannenrande kommende hin-
tere (kurze) Wurzel.
ca und cp = vordere und hintere
Randeolumne des Bandes. Zwischen
beiden das zum suleus intertuber-
eularis führende receptaculum
synoviae.
f = tuberculum majus.
db Bicepssehne.
r = receptaculum synoviae.
76
WELCKER.
Diese vordere, zum tub. minus gehende Randcolumne (c a) des
Bandes erregt noch in einer besonderen Beziehung unser Interesse. Es
scheint nämlich, dass in ihr, zumal in einzelnen individuellen Abän-
derungen derselben,
das Analogon des runden Bandes des
Schenkelkopfes zu suchen ist. In nicht allzuseltenen Fällen rückt,
wie ich finde, die Insertionsstelle dieser columna anterior, die normal
nur dicht an den Rand des Glenoidalüberzuges des Schulterkopfes an-
rührt, mehr in’s Innere der Knorpelfläche, so dass der Contour der
letzteren einen mehr oder minder tiefen Einschnitt erhält. Einen
ziemlich hohen Grad dieses Zustandes zeigt das von mir conservirte
Präparat, Fig. 13, und es gleicht die in dem Humeruskopfe befindliche
- Grube nach Gestalt und Lage auffallend der oben erwähnten seitlich
eingepfianzten Fovea des Schenkelkopfes verschiedener Säugethiere.
Eine Steigerung dieses Zustandes der Schulterkapsel würde im Gefolge
haben, dass die nach dem Inneren der Gelenkhöhle hin mehr und
mehr Relief gewinnende, den Synovialüberzug nach innen vordrängende
Columna schliesslich die Synovialhaut mesenteriumartig hinter sich
Fig. 13.
Fig. 13. Kopf eines rechten Ober-
armbeines mit weit in's Innere des
überknorpelten Theiles hereinge-
rückter Einpflanzung der vorderen
Columne (ca) des ig.
brachiale,
öb = Bicepssehne.
coraco-
nachschleppte, um endlich, nach Wegfall dieser
Verbindungsfalte, genau nach Art des lig. teres
der Hüfte, die Gelenkhöhle frei zu durch-
ziehen.
Ich vermuthe, dass die Entwicklung
des lig. teres femoris diesen Gang einschlägt,
was durch Schnitte an hinlänglich gehärteten
Embryonen sehr früher Entwicklungsstadien
unschwer zu ermitteln sein würde. Leider
fehlt es mir zur Zeit an passendem Material,
um hier ein sicheres Ergebniss zu erzielen.
Bei einem Embryo der 12. Woche fand ich
das lig. teres bereits ringsum frei. Bei Eröff-
nung der Schenkelpfanne eines „Embryo der
10. Woche“, bei welchem die Stelle der zu-
künftigen Fovea capitis femoris (entsprechend
der stark auswärtsrotirten und gebeugten
Schenkelhaltung der Embryonen) der in-
cisura acetabuli sehr dicht anlag, schien es
allerdings, als ob das lig. teres nicht rings-
um frei, sondern wandständig sei, ähnlich
der oben beschriebenen columna anterior des lig. coracobrachiale; leider
waren die Theile dieser Hüftkapsel für Fertigung mikroskopischer
Ueber das Hüftgelenk etc. MT
Schnitte allzuwenig gehärtet, und’ ich darf es zunächst nur als eine
sehr wahrscheinliche Annahme aussprechen:
„Das lig. teres des Hüftgelenkes ist eine Weiterent-
wicklung der columna anterior des lig. coracobrachiale der
Schulterkapsel, welche columna anterior sich am menschlichen
Arme in einzelnen Fällen thatsächlich zu einer Art wandständigen,
nicht losgelösten, sondern extra saccum membranae synovialis ver-
harrenden lig. teres umwandelt.“
Fig. 14.
Die von mir behauptete Analogie tritt durch beistehende, nach
meinen Präparaten entworfenen Abbildungen, Fig. 14 A und B, sehr
augenfällig hervor:
Am Schultergelenke:
(Fig. 14. A)
f eolumna anterior des lig. coraco-
brachiale Ba
ce lig. coracoacromiale .
b kurze, der Schulterpfanne sehr
nahe gerückte Wurzel der columna
anterior .
I
II
Am Hüftgelenke:
(Fig. 14. B)
Ff lig. teres acetabuli.
ce lig. „ischiopubicum1)‘‘ (lig. trans-
versum acetabuli).
b kurze, der Beckenpfanne sehr
1) Ich fügte obige Bezeichnung bei, um die Analogie beider mit c be-
zeichneten Bänder anzudeuten.
18 “ — WELCKER.
nahe gerückte und am Becken ver-
harrende Wurzel des lig. teres.
! lange, von der Pfanne sich ent-
fernende, zum lig. coracoacromiale tre-
tende Wurzel der columna anterior = l lange, vom Becken sich loslösende
und über das lig. transversum sich
werfende Wurzel des lig. teres}).
x Verlängerung, welche die lange
Wurzel der columna auf der Aussen-
fläche der Schulterkapsel besitzen
müsste, um en nn. imiteel, derlangen Wurzeledeszlioteres,
auch hinsichtlich des extracapsulären
Verlaufes dieser letzteren überein-
zustimmen.
Arpr's Angaben über das lig. teres enthalten meiner Meinung
nach eine sinnreiche Beschreibung dieses Bandes, nicht aber eine
Würdigung desselben nach seinen morphologischen Beziehungen; sie
geben keinen Fingerzeig über die mögliche Art der Entwicklung
dieser sonderbaren Bildung, ja dieselbe erscheint bei jener Auffassung,
so prägnant jene Beschreibung das Aeussere des Baues darlegt, nach
der entwicklungsgeschichtlichen Seite noch räthselvoller als zuvor.
AEBY sagt (a. a. O. 305): |
„Die Ringform der Gelenkflächen?) bedingt eine ganz eigenthüm-
liche Anordnung der Gelenkkapsel. Sie wird zu einer doppelten und
begrenzt die Gelenkhöhle nicht blos, wie gewöhnlich an einer, sondern an
zwei einander gegenüberliegenden Seiten. In unserem Falle sind die beiden
Kapseln einander freilich so unähnlich, dass man nur der einen, der äusseren,
diese Bedeutung zugestanden hat, die andere dagegen unter dem durchaus
unzutreffenden Namen des runden Bandes (lig. teres) als eine Bildung ganz
eigner Art glaubte hinstellen zu sollen. Richten wir unsere Aufmerksam-
keit vor allem auf diese vielfach verkannte innere Kapsel (lig. capsulare
int.). — — Ihr Umfang entspricht dem Innenrande der beiden Gelenkflächen,
und sie stellt demnach ein trichterförmiges gegen die Pfanne er-
weitertes Rohr vor. An dieser umspannt sie den Pfannengrund, indem
sie nach unten an den frei über dessen Einschnitt hinweggehenden Theil
des labrum gleroidale sich anheftet; am Kopfe folgt sie dem inneren Knor-
pelsaume. Ihre obere Wand ist so tief nach unten ausgestülpt, dass sie an
die untere fast unmittelbar sich anlegt und mit ihr scheinbar ein einfaches,
glattgedrücktes Band (eben das fälschlich sog. lig. teres) erzeugt, das von
l) Die Ursprungsstelle derselben wurde in der Zeichnung, während sie am
Präparate auf der abgewendeten Seite der Kapsel liegt, etwas nach vorn gerückt,
so dass wir das Band bei X auf der Aussenfläche der Kapsel entspringen sehen.
2) „Ringförmig“ nennt Azgy die Gelenkfläche des Schenkelkopfes, weil der
Knorpelüberzug die Fovea nach Art einer Insel ringförmig umkreist; ebenso ist
die Gelenkfläche der Pfanne ringförmig, wenn man der Facies lunata die Innen-
fläche des lig. transversum hinzufügt.
Ueber das Hüftgelenk etc. 79
der incisura acetabuli steil zur Grube des Gelenkkopfes emporsteigt. Die
Aussenfläche der inneren Gelenkkapsel wird theils von Fett-
theils von Sehnenlagen überdeckt, welche das von ihr gebildete Rohr
vollständig ausfüllen und durch den Pfanneneinschnitt frei nach Aussen her-
vortreten.“
ArBy betont bei dieser Schilderung die Synovialmembran und
deren Insertionsränder; ich sehe das Treibende bei der Bildung des
lig. teres in den einrückenden Fasern der äusseren, fibrösen
Schicht der Kapsel. Und offenbar ist die Ringform der Gelenk-
flächen, welche nach Arpgy die Anordnung der Gelenkkapsel bedingen
soll, nicht das Primäre — (die AzprY’sche Doppelkapsel wäre
eine ganz unerklärliche, einzig dastehende Bildung) — sondern sie
ist das Secundäre; ‘die Fovea des Schenkelkopfes ist das Erzeugniss
der Einwanderung der extracapsulären Bandfasern, und es schliesst
unsere Bildung, so aufgefasst, sich ohne Zwang anderen Bildungs-
vorgängen an, wie sie aus der Entwicklungsgeschichte wohl bekannt
sind. Frei durch einen Hohlraum ziehende Stränge kommen im Säu-
- gethierkörper allerdings nur als seltne Ausnahmen vor: in der Bauch-
höhle liegen Ureteren, vasa deferentia u.s. w., im Herzbeutel die vena
cava inf. an die Wandung angeheitet, und wo sich ein Theil stärker
ins Innere vordrängt, da schleppt er die serosa hinter sich her, die ge-
wöhnlich erhalten bleibt. Als eine jener Ausnahmen würde das lig.
teres der Hüftkapsel dastehen; aber diese Ausnahme verliert ihr Auf-
fälliges, wenn wir dieselbe auf die geschilderte Entwicklung zurück-
führen dürfen.
Ueber die Muskeln der menschlichen Zunge
von Dr. Hesse.
Assistent am anatomischen Institute in Leipzig.
Die sorgfältige Untersuchung der Zungenmusculatur macht sehr
bald andere Hülfsmittel erforderlich, als die der gewöhnlichen Präpa-
ration. Der Grund hierfür liegt in einer Eigenthümlichkeit des Baues
der Zungenmuskeln, wodurch sich dieselben von andern völlig unter-
scheiden. Während wir nämlich z. B. bei den Muskeln der Extremi-
täten sehen, dass die von ihnen entwickelten Kräfte eine im Verhältniss
sowohl zum bewegenden, als zum bewegten Theile sehr kleine Angriffs-
fläche erhalten, vertheilen sich hier ganz entgegengesetzt die einzelnen
Angrifispunkte auf eine grosse Fläche. Im Zusammenhange mit dieser
Einrichtung steht es, dass sich die Zungenmuskeln nicht an einen
starren Hebel ansetzen, sondern dass sie als Zugkräfte nur auf ihren
Angrifispunkt wirken und diesen die grösste Excursion machen lassen.
Den Uebergang von denjenigen Muskeln, die sich an Knochen inseriren,
zu den hier zu besprechenden, finden wir überall da, wo Muskeln sich
in sehnige Häute festsetzen, wie die breiten Bauchmuskeln und die
geraden und schiefen des Auges. Indess bei allen diesen bleibt die
breite Endsehne noch ein mit der Muskelmasse zusammenhängendes
Ganze, während sich die Zungenmuskeln durch die Divergenz ihrer
Bündel in sehr zahlreiche räumlich getrennte Sehnen auflösen. Die
srosse Anzahl dieser Angrifispunkte macht nun die Zunge zu dem so
überaus viel und leicht beweglichen Organ und es wird nur an Inner-
vations-Einrichtungen liegen, dass sich die zahlreichen Einzelbewegungen,
die wir durch isolirte Contraction der einzelnen Bündel erhalten würden,
zu einer geordneten Totalbewegung addiren. Nicht ohne Bedeutung ist
es fernerhin jedenfalls für die Mechanik der Zungenmuskeln, dass die
Mehrzahl derselben nicht geradlinig sondern in Bögen verlaufen. —
Wir können nun in Rücksicht auf diese Eigenthümlichkeit 3
Gruppen von Muskeln an der Zunge unterscheiden: 1. solche, die in
Dr. Hesse. Ueber die Muskeln der menschlichen Zunge. sl
ihrem ganzen Verlaufe sich nie zu einer compacten Muskelmasse
sammeln (Transversus, ein Theil der oberen Längsmuskeln, und der
selbständigen perpendiculären Fasern); 2. solche die an ihrem fixen
Punkte als compacte Muskeln entspringen, und sich dann in Faser-
systeme auflösen (alle an knöchernen Theilen entspringenden: Genio-
glossus, Hyoglossus, Styloglossus und Chondroglossus) und 3. solche,
die in einzelnen Faserbündeln sowohl beginnen als endigen, sich aber
in ihrem Verlaufe einmal zu einer grösseren Masse vereinigen (Lingualis).
Da nun die verschiedenen Muskelsysteme in der Zunge im Allge-
meinen senkrecht zu einander stehen, müssen sie sich gegenseitig
kreuzen, und diese Durchkreuzung ist es, welche auch der geübtesten
Hand für die Darstellung mit dem Messer unüberwindliche Schwierig-
keiten entgegenstellt, die nicht überwunden werden, auch wenn die
einzelnen Muskelbündel gross genug blieben um für das blose Auge
erkennbar zu sein.
Wir finden daher auch die zuverlässigen Beschreibungen über den
Gegenstand von denjenigen Forschern gegeben, welche jene Unter-
suchungsmethode mit der durch’s Mikroskop vertauschten. Dies ge-
schah zuerst in ausführlicher Weise von KÖLLIKER. Seine mikro-
skopische Anatomie, eine fast unerschöpfliche Quelle histologischer
Beobachtungen, liefert uns auch für den fraglichen Gegenstand ganz
Vorzügliches.
Dass durch Isoliren der Muskeln auf chemischem Wege (langes
Kochen ete.) gute Resultate erreicht worden wären, ist mir nicht be-
kannt, und die Versuche, die ich damit selbst anstellte, fielen mir
nicht genügend aus, um mich zu weiterer Uebung zu ermuthigen.
Da ich das aus den anatomischen Lehrbüchern Bekannte voraus-
setzen darf, so erlaube ich mir, den Leser in den Gang der Unter-
suchungen einzuführen, den ich eingeschlagen habe, und den ich auch
im Folgenden beibehalten werde:
Als ich anfangs das Bild, welches ich durch Lectüre gewonnen
hatte, mit demjenigen verglich, welches mir ein Schnitt durch die
Zunge lieferte, fand ich oft gegen meine Vermuthung grosse Schwie-
rigkeiten in der Deutung der erhaltenen mikroskopischen Bilder.
Hier lag eine Gruppe von Muskel-Querschnitten, deren Zugehörig-
keit zu einem der bekannten Muskeln nichts weniger als einleuchtend
war, dort verliefen parallel ihrer Richtung getroffene Muskelfasern,
deren Ursprung durch diesen Schnitt sich auf keine Weise ermitteln
liess. — Ich wurde so allmählich zu der Ueberzeugung gebracht, dass
es nur einen sichern Weg gebe, zum Ziele zu gelangen, nämlich den:
die ganze Zunge der Reihe nach in Schnitte zu zerlegen und nun
Zeitschrift f. Anatomie. Bd. ]. 6
32 Dr. Hesse.
einen Schnitt nach dem andern der Betrachtung zu unterziehen. Nach-
dem ich dies in frontaler Ebene gethan-hatte, erkannte ich bald das
Werthvolle der Arbeit, doch blieb mir für viele Punkte die Kenntniss
noch ungenügend. Erst nachdem ieh auch in den beiden andern senk-
rechten Ebenen des Raumes mir vollständige Serien angelegt hatte,
gelang es mir, die Zweifel zu beseitigen.
Bei der Beschreibung der Serien, die ich vorausschicke, werde ich
selegentlich schon das vollständige Bild des betreffenden Muskels mit
besprechen. Es werden sich daraus schon hier die plastischen Formen
und die topographischen Verhältnisse der einzelnen Muskeln gewinnen
lassen, sodass ich zum Schlusse nur noch kurz hierauf eingehen
werde. —
In technischer Beziehung bemerke ich noch, dass ich die kind-
lichen Zungen, die ich zur mikroskopischen Untersuchung benutzte,
in Chromsäure (anfangs !/,°/,, dann 1°/,) erhärtete und dann ohne
weitere Färbung einlegte. Die Färbung, wie sie durch die einfache
Chromsäure-Behandlung entsteht, ist für die Untersuchung von Muskeln
eine sehr günstige, und ist schon der Kürze wegen vorzuziehen. Da-
zu kommt, dass die kindlichen Leichen selten frisch genug sind, um
noch eine gute Carmin-Tinction zu ermöglichen. Nur empfehle ich
zur Aufhellung der Schnitte Terpentinöl, nicht Kreosot zu benutzen.
Letzteres erfordert zwar weniger Sorgfalt in der Entwässerung und in
der Anfertigung dünner Schnitte, doch bekommt der in Chromsäure
gehärtete Muskel dadurch leicht eine zu dunkle Farbe. —
Ich benutzte in der Regel eine 90fache Vergrösserung; für manche
Dinge genügte schon die Loupe; starke Vergrösserungen brauchte ich
nur selten (so bei Untersuchung des Septum).
Die beigefügten Abbildungen _ habe ich zum Theil unter dem
Zeichnungsprisma, zum Theil sind sie nach photographischen Ab-
bildungen meiner Präparate gefertigt.
Herrn Professor Hıs bin ich für die mannichfachen Unterstützungen,
die er mir bei der Arbeit und bei Herstellung der photographischen
Abbildungen zu Theil werden liess, zum grössten Dank verpflichtet.
I. Frontale Schnitte. (Taf. III. Fig. 1. Taf. IV. Fig. 4.)
Das Bild, welches ein in frontaler Ebene etwa durch die Mitte
der Zunge geführter Schnitt giebt, ist folgendes:
In der Mitte des Schnittes steht das Septum, von dem aus die
Fasern des transversalen Systems nach beiden Seiten hin ausstrahlen.
Diese Fasern kreuzen sich mit denen des perpendiculären Systems,
Ueber die Muskeln der menschlichen Zunge. 83
welche hier ebenfalls parallel ihrem Faser-Verlaufe getroffen sind und
die von der unteren zur oberen Zungenfläche gehen. Endlich treffen
wir überall unter der Schleimhaut eine verschieden mächtige Schicht
von senkrecht durchschnittenen Muskelfasern, welche wir also vor-
läufig als zu dem longitudinalen System gehörig bezeichnen werden.
1. Das erste System, das der transversalen Fasern, präsen-
tirt sich auf diesem Schnitte am klarsten. Vom Septum als ziemlich
compactes, hohes und schmales Blatt entsprungen, gehen die Fasern
radienförmig zur Peripherie ihrer Zungenhälfte; während aber am Sep-
tum ein solches Blatt völlig ununterbrochen erscheint, so treten je
näher der Peripherie um so grössere, zahlreiche, parallel dem Verlaufe
der Muskeln gestellte Spalten darin auf, die ihre Entstehung dem
Umstande verdanken, dass die Transversusfasern eines Blattes sich zu
einzelnen über einander liegenden Bündeln gruppiren und als solche
die Peripherie erreichen. —
Die zunächst unter der Zungenrücken-Schleimhaut liegenden Trans-
versusbündel laufen mit geringer Concavität nach aufwärts, erst ein
Stück unter den Bündeln der senkrecht durchschnittenen oberen Längs-
muskellage hin und treten dann, indem sie nach aufwärts umbiegen,
etwa an der Grenze des inneren und mittleren Drittels einer Zungen-
hälfte, in Gemeinschaft mit Bündeln des perpendiculären Systems,
durch die Bündel der oberen Längslage hindurch um zur Schleimhaut
der oberen Zungenfläche zu gelangen. Die tieferen setzen sich successive
immer weiter nach aussen zu fest; auch gesellen sie sich nicht mehr
den perpendiculären Bündeln bei, sondern kreuzen sich mit ihnen an-
fangs unter kleinen, dann unter grösseren spitzen Winkeln, und bilden
mit ihnen Schlingen, in denen die Längsbündel liegen. Die tiefsten
transversalen Fasern endlich laufen nur schwach nach abwärts. Ihre
Riehtung ist fast horizontal nach auswärts, sodass also die mensch-
liche Zunge transversale Fasern, die vom Septum zur untern Zungen-
fläche gehen, nicht enthält, während wir solche bei vielen Säuge-
thieren in grosser Anzahl finden.
2. Die perpendiculären Fasern, die uns der Frontalschnitt
zeigt, können recht wohl in 2 Partien zerlegt werden, eine innere und
eine äussere. Die innere liegt dicht neben dem Septum; ihre Fasern
kommen aus dem in der Mitte des Zungenbodens liegenden, leicht als
Genioglossus erkennbaren Muskel; sie steigen vertical von unten nach
oben in die Höhe, treten zwischen zwei benachbarten Transversus-
blättern hindurch und vereinigen sich an der unteren Fläche der oberen
Längsmuskellage zu Bündeln, welche durch die der letzteren hindurch-
gehen, um in der Schleimhaut des Zungenrückens zunächst der
6*
84 Dr. Hesse.
Mittellinie zu endigen. Dabei fällt es auf, dass die Fasern dieser
inneren Partie des perpendiculären Systems je weiter lateralwärts, um
so mehr ihre verticale Lage verlieren, die sie in der Nähe des Septums
haben. Sie divergiren hier vielmehr von unten nach oben, sodass ihr
oberes Ende einen grösseren Abstand von der Mittellinie hat, als ihr
unteres. Es kreuzen sich in Folge dessen diese äusseren Bündel eines
Genioglossusblattes mit den zunächst liegenden perpendiculären Fasern
der äusseren Partie. — Gewöhnlich sieht man zu beiden Seiten des
Septums, dass ausser den senkrecht aufsteigenden Genioglossus- und
den horizontal nach auswärts strebenden Transversusfasern, noch einige
schief von unten herauftreten, um sich in sehr spitzem Winkel an’s
Septum zu setzen. Sie sind in den Genioglossus zurückzuverfolgen.
Unter- und oberhalb des Septum sieht man ferner in dem mittleren,
und noch etwas häufiger am hinteren Theile der Zunge die innersten
Genioglossusfasern beider Seiten sich kreuzen und je zur andern Seite
herübertreten. Zwischen den unter dem Septum sich kreuzenden endlich
finden sich hinten reichlicher als vorn, einzelne, zerstreute Querdurch-
schnitte von längsverlaufenden Muskelbündeln. —
Die äussere Partie eines perpendiculären Blattes ist zwar die un-
mittelbare Fortsetzung der inneren, insofern als sie im selben Inter-
stitium zwischen den gleichen Transversusblättern liest, unterscheidet
sich aber von dem inneren Theile erstens dadurch, dass die Richtung
ihrer Fasern schief von unten nach oben und innen geht, sodass also
die entsprechenden Fasern beider Zungenhälften sich in der Verlängerung
über der Mittellinie des Zungenrückens schneiden würden. Zweitens
verfolgt man diese Partie nicht mehr in den Genioglossus hinein, son-
dern zwischen die quer durchschnittenen Muskelbündel, welche sich
nach aussen an den Genioglossus anschliessen. Ob sie aus diesem
ihren Ursprung nehmen, lässt sich bei dieser Ansicht nicht bestimmen,
doch muss es auffallen, dass man in der grossen Masse perpendiculärer
Fasern, die sich über jenen querdurschschnittenen Längsmuskeln finden,
verhältnissmässig wenige dieselbe ganz durchsetzen sieht, um zur unteren
Schleimhaut zu treten.
Die Grösse der perpendiculären Bündel nimmt nach dem Seiten-
rande zu allmählich ab, auch verlaufen sie nicht ganz geradlinig, son-
dern sind schwach concav nach auswärts gebogen. Nach oben durch-
brechen sie die Bündel der oberen Längslage, um sich am Zungen-
rücken auswärts von den Genioglossusfasern zu inseriren. Nur die
innersten setzen sich etwas näher dem Septum fest, als die äussersten
Genioglossusfasern.
3. Ueber die Fasern des längsverlaufenden Systems erhalten
Ueber die Muskeln der menschlichen Zunge. 85
wir durch den Frontalschnitt den wenigst genügenden Aufschluss.
Dieselben sind überall scheinbar senkrecht durchschnitten und man
darf nicht hoffen, etwa aus der Form des Querschnittes noch ein Ur-
theil zu gewinnen, welche prägnantere Richtung sie an dieser Stelle
gehabt haben. Indessen fällt sofort in’s Auge, dass an der ganzen
Peripherie der Zunge, soweit sich Schleimhaut findet, unter derselben
eine verschieden mächtige Lage von Querschnitten längsverlaufender
. Muskelbündel liest. Am prägnantesten gilt dies für den Zungenrücken.
Wir sehen hier die Längslage zu schmalen und hohen, neben einander
stehenden Bündeln geordnet, die schmale Räume zwischen sich frei
lassen für den Durchschnitt der oberen Enden der perpendiculären und
der erwähnten Transversusfasern. Ueber dem Septum erreicht diese
Lage ihre grösste Höhe, indem sich hier einige Bündel besonders tief
hinabschieben, und so einen spitzen, einspringenden Winkel bilden.
Nach dem Seitenrande zu werden die Längsbündel immer kleiner und
spärlicher, um an der untern Fläche wieder zuzunehmen. Da wo
keine Schleimhaut mehr ist, erhalten wir an der untern Fläche die
Querschnitte ziemlich dicker Längsmuskeln, von denen es .leicht ist,
sich zu überzeugen, dass sie dem Lingualis, Hyoglossus und Stylo-
glossus angehören; an ihnen ist häufig sehr auffällig, dass namentlich
ihre obersten Partien nicht quer, sondern schief durchschnitten sind.
Die unter dem Septum befindlichen, spärlichen und zerstreut liegenden
Längsbündel-Querschnitte erwähnte ich schon bei Betrachtung der
inneren, sich kreuzenden Genioglossusfasern. —
Während diese Beschreibung für den grössten (mittleren) Theil
der Zunge gilt, erfährt das Bild des Frontalschnittes nach der Spitze
sowohl als auch nach der Basis hin, nicht unbeträchtliche Verän-
derungen.
Je weiter nach der Spitze zu, um so mehr nehmen alle Muskel-
lagen an Mächtiskeit ab. Die transversalen Fasern steigen vorn etwas
tiefer nach abwärts als im hintern Theil der Zunge. Der Mantel der
Längsmuskeln verliert namentlich an der untern Zungenfläche bedeutend
an Dicke, während dies an der oberen Fläche allmählicher geschieht.
Im vordersten Theile der Spitze treffen wir endlich nur noch spär-
liche, senkrecht getroffne Bündel, die sich aber immer noch in eine
obere, sehr schwache, und eine aus zahlreichen Bündeln bestehende
untere Gruppe trennen lassen. — Mit der Abnahme der unteren Längs-
lage geht Hand in Hand eine Zunahme von solchen perpendieulären
Fasern, die wir durch die unteren loneitudinalen Bündel hindurch bis
in die Schleimhaut der unteren Zungenfläche verfolgen können. End-
lich erhalten wir in der Spitze immer reichlichere transversale Fasern,
s6 Dr. Hesse.
die von einer Seite zur andern gehen, ohne durch das Septum unter-
brochen zu werden.
Am hintern Drittel der Zunge liefert der Frontalschnitt ein be-
trächtlich anderes Bild. Wenn auch der Grundtypus der Muskelan-
ordnung derselbe ist, wie im Vordertheile der Zunge, so herrschen
doch hier die Muskeln, die wir querdurchschnitten erhalten, die also
an dieser Stelle wenigstens einen sagittalen Verlauf haben müssen,
stark vor. Es sind dies der Lingualis, Hyoglossus und Styloglossus, .
die wir als mächtige Muskelmassen am Boden und dem Seitenrande
der Zunge erblicken. Die obere Längsmuskellage dagegen verliert sehr
an Regelmässigkeit. Sie besteht nur noch aus zahlreichen Bündeln,
die sich überall zwischen die dicht bei einander liegenden Drüsen der
Zungenwurzel einschieben.
Zu einer Täuschung kann man durch den Frontalschnitt im hintern
Zungendrittel leicht veranlasst werden in Betrefl der Beurtheilung der
transversalen Fasern. Man trifft nemlich auf solchen Schnitten den
Transversus nicht mehr als ein von unten nach oben zusammenhäng-
endes Blatt, sondern er ist hier immer durch schmale, horizontal ge-
stellte Streifen von senkrecht durchschnittenen Muskelbündeln unter-
brochen, welche ebenfalls vom Septum bis zum Seitenrande reichen,
sodass man statt eines zusammenhängenden etwa 5 bis 6 niedrige, über
einander stehende Transversusblätter erhält. Man könnte nach diesem
Bilde leicht meinen, dieselben würden hier von longitudinal verlaufen-
den Blättern durchbrochen, doch klärt ein Sagittalschnitt den Irrthum
leicht auf und ich werde bei Beschreibung dieser darauf zurückkommen
(pag. 88). Vorläufig füge ich nur hinzu, dass man ganz entsprechende
Bilder wie in.der Mitte auch hier erhält, wenn man den Schnitt nicht
senkrecht, sondern in schiefer Ebene von hinten nach vorn und unten
führt. — Uebrigens strahlen die transversalen Fasern hier weniger nach
aufwärts aus, sondern laufen unter den Drüsen der Zungenwurzel
horizontal nach aussen. Die Fasern des perpendiculären Systems können
auch nur bei der eben angegebenen, veränderten Schnittrichtung in
ihrem Verlaufe gesehen werden. An verticalen Schnitten liefern sie die
eben erwähnten Streifen querdurchschnittener Muskelbündel. Endlich
verfolgt man an Frontalschnitten dieser Gegend leicht transversale
Fasern ohne Unterbrechung in den Musc. Glossopalatinus. —
II. Sagittalschnitte. (Taf. II. Fig.2.3u.4. Taf. IV. Fig. 1.2.)
Da die Sagittalschnitte durch die Zunge sehr verschiedene Bilder
geben, je nachdem sie der Mittellinie näher oder entfernter von ihr
ee
Ueber die Muskeln der menschlichen Zunge. 57
angelegt sind, so wird es auch nothwendig, die Schnitte in diesen
einzelnen Gegenden besonders zu beschreiben. Ihr wesentlichster Un-
terschied besteht darin, ob sie im Bereiche des Genioglossus, des
Lingualis, oder noch weiter nach aussen geführt sind.
1. Nahe der Mittellinie, also durch den Genioglossus geführt,
erhalten wir einen Schnitt, der schon für’s blose Auge in drei über
einander liegende Abtheilungen zerfällt. Wenn man nämlich den Ur-
sprungspunkt des Genioglossus an der Innenfläche des Unterkiefer-
körpers als Mittelpunkt betrachtet, von dem aus man drei concentrische
Kreisbogen gezogen hätte, so ist der äusserste, grösste dieser Bögen
die Rückenfläche der Zunge, der folgende kleinere wird durch den
oberen und der innerste durch den untern Rand der transversalen
Blätter gebildet. Zwischen diesen drei Bogenlinien und ihrem Mittel-
punkte erhalten wir nun die drei übereinander liegenden Zonen, welche
von der Spina mentalis nach dem Rücken zu an Dicke (Höhe) ab-, an
Umfang (Länge) aber zunehmen. In der innersten Zone strahlen die
Fasern des Genioglossus fächerförmig gegen die Substanz der Zunge
hin, ohne dass man hier noch einen andern Muskel erblickte. In der
mittteren Zone werden die Genioglossusstrahlen ganz regelmässig unter-
brochen von den hohen, schmalen Querschnitten der transversalen
Blätter und in der äussersten erhalten wir unregelmässig wechselnd
kleine Strecken von perpendiculären Genioglossusfasern und sagittal
verlaufende vom Longitudinalis superior.
Die perpendiculären Fasern gehören in diesen Schnitten
auschliesslich dem Genioglossus an. Die tiefsten derselben gehen dicht
über dem, zwischen Innenfläche des Kinns und Zungenbein ausge-
spannten Musc. Geniohyoideus, von ihm nur durch eine dünne Fascie
‚getrennt. Einige zarte Sehnen derselben besetzen noch den obersten
Rand des Zungenbeins (M. geniohyoid. superior). Die nächsten gehen
hart über dem oberen Rande des Zungenbeins in das feste Gewebe
über, welches die Vorderfläche der Epiglottis umgiebt und hierauf erst
treten die Genioglossusbündel in die Substanz der Zunge ein, um erst
zwischen den transversalen Blättern, dann zwischen den Bündeln der
obern Längslage sich in der ganzen Ausdehnung des Zungenrückens
in der Schleimhaut desselben festzusetzen. An der Zungenspitze, die
der Genioglossus übrigens nicht völlig erreicht, biegen seine vordersten
Fasern in einen nach vorn convexen Bogen um, und gehen dicht über
dem Frenulum nach vorn und oben. Doch gewahrt man hier leicht,
dass es ausserdem hier noch selbständige perpendiculäre Fasern giebt,
die direct von der obern zur untern Schleimhautfläche verlaufen. Auf
ihrem Wege durch die transversalen Blätter tauschen je 2 benachbarte
88 | Dr. Hesse.
Genioglossusblätter nicht selten kleinere Bündel unter einander aus,
wie man schon mit schwacher Vergrösserung sieht. Es hat dies auf
die Blätter des transversalen Systems den Einfluss, dass eine Anzahl
derselben in 2 bis 3 übereinander stehende Abtheilungen getrennt wird.
Die Zahl der Blätter des transversalen Systems, die na-
türlich mit denen des Genioglossus, mit welchen sie ausgenommen im
vordern Theil der Spitze immer alterniren, fast übereinstimmen muss,
fand ich nach 3 Zählungen im Mittel 105. Das höchste Blatt in der
Mitte des Schnittes (beim Neugebornen) maass 6,0 Mm., das letzte,
über dem Zungenbein liegende 4,0 Mm. — Die Dicke der Transversus-
wie der Genioglossusblätter ist sehr ungleich. An der Zungenspitze
sind die ersteren 2 bis 3 Mal so dick als die Genioglossusblätter,
während in der Mitte beide ziemlich gleiche Dicke haben. Dann
übertreffen die Genioglossusfasern jene an Dicke, und im hintersten
Zungenabschnitte überwiegen wieder die transversalen Blätter (bis
0,5 Mm. dick). Im Vergleiche zu den Sagittalschnitten, die näher am
Seitenrande geführt sind, erscheinen hier die Querschnitte der
transversalen Blätter ziemlich compact. Ausser den erwähnten
Trennungen, welche sie durch die, zwei benachbarte Genioglossusblätter
verbindenden Fasern erfahren, finden sich nur noch ganz schmale
Lücken, welche einen solchen Querschnitt in eine Anzahl dicht bei-
einander liegender Felder unterabtheilen.
Die Ebenen der transversalen Blätter stehen nun keineswegs fron-
tal. wie man es sich vorzustellen geneigt ist. Dies gilt nur für die
Mitte der Zunge. Je weiter nach rückwärts, um so mehr nehmen die
Blätter eine schiefe Richtung nach hinten und oben ein und das letzte
transversale Blatt liegt fast horizontal, sodass es sich mit dem ersten
(in der Zungenspitze) unter Rechtem oder einem noch grösseren Win-.
kel schneiden würde. Es ist dies ganz selbstverständlich, wenn man
berücksichtigt, dass jedes transversale zwischen zwei Genioglossusblättern
liegt, und von diesen ist uns die Divergenz ihrer Ebenen gegen den
Zungenrücken hin ganz geläufig. — Denkt man sich nun durch einen
Sagittalschnitt im hintern Theile der Zunge wieder einen Frontal-
schnitt gelegt, so erklärt sich auf den ersten Blick, dass nur die
andere Stellung der Ebenen der Blätter es ist, welche veranlasst, dass
wir hier im frontalen Schnitte die transversalen Blätter von Streifen
querdurchschnittener Muskeln unterbrochen finden. Wir haben eben
nicht ein transversales Blatt getroffen, sondern eben so viele, als solcher
Querstreifen vorhanden sind. Es wird nun verständlich, dass man die
Schnitt-Richtung in der auf pag. 86 angegebenen Weise verändern muss,
um ein unversehrtes transversales Blatt zu erhalten.
Ueber die Muskeln der menschlichen Zunge. 89
Die Längsmuskellage ist die oberste schwächste von den 3
Zonen des Sagittalschnittes. Sie bildet eine 3 bis 4 Mm. dicke Lage
längs der ganzen Ausdehnung des Zungenrückens, dicht unter der
Schleimhaut. Nur an der Spitze wird sie schmäler. — Sie wird von
den senkrecht zum Zungenrücken aufsteigenden Genioglossusfasern ge-
kreuzt; diese sehen wir nämlich in dem Augenblicke, wo sie aus den
Transversusblättern heraustreten, sich in sagittaler Richtung etwas ver-
breitern, sodass sie nun die Zwischenräume mit ausfüllen, welche sie
früher für die Transversusblätter frei lassen mussten. So treten diese
oberen Enden der Genioglossusblätter wieder zu Blättern zusammen,
die aber jetzt durch die sagittalen Bündel gtrennt, also auch selbst
sagittal gestellt sind. —
Die longitudinalen Fasern laufen nun nicht einfach von vorn nach
hinten, wie ich es vorläufig angab, vielmehr sehen wir, dass zwei
Systeme longitudinaler Fasern sich in der ganzen Ausdehnung der
oberen Längslage fortwährend unter spitzen Winkeln kreuzen. Will
man einen solchen Zug nach vor- oder rückwärts verfolgen, so wird
es leicht passiren, dass man sein vorderes oder hinteres Ende, wohl
auch beide verliert; indessen gelingt dies doch noch häufig genug.
Alsdann gewahrt man, dass ein solches longitudinales Bündel von
einem Punkte der Rückenschleimhaut seinen Ursprung nimmt, in einem
ziemlich langen, nach abwärts schwach convexen Bogen nach vorn
verläuft, auf diesem Wege wohl auch bis auf den oberen Rand der
transversalen Blätter zu liegen kommt, um dann in einem weiter vorn
gelegenen Punkte der Schleimhaut zu endigen. — Denkt man sich
nun, dass solche Bogen in grosser Anzahl von hinten nach vorn
immer neu entstehen, so werden sich die vorderen aufsteigenden Enden
mit den hinteren, absteigenden Enden weiter vorn entspringender
Bogen immer kreuzen müssen. Und fügt man noch hinzu, was die
Flachschnitte erst deutlich zeigen, dass diese Bogen nicht immer in
rein sagittaler Richtung verlaufen, sondern häufig nach rechts oder
links abweichen, so wird man begreifen, warum diese obere Längs-
muskellage häufig ein scheinbar unentwirrbares System darstellen kann.
— An der Zungenwurzel sieht man die Fasern aus dem Gewebe zwischen
und unter den Drüsen hervorkommen. — Die Concavität der einzelnen
Bögen wird dadurch wesentlich gemindert, dass der ganze Zungen-
rücken gerade die entgegengesetzte Krümmung besitzt. Die vordersten
Bündel des Longitudin. superior biegen dicht unter der Schleimhaut
der Zungenspitze mit nach vorn gerichteter Convexität zur untern
Zungenfläche herab, von wo ihnen perpendiculäre Fasern aus der untern
Längslage in gleicher Krümmung entgegenkommen. Eine Vereinigung
90 ; Dr. Hessz.
beider Fasern findet hier nicht statt; ich konnte sie stets zur Schleim-
haut verfolgen, doch reichen hier die vordersten oberen Längsbündel
tiefer herab, als die Enden der vordersten unteren. —
Geht man jetzt in der Betrachtung der Saeittalschnitte weiter
nach dem Seitenrande zu, so trifft man sehr bald (etwa nach 7—8
Schnitten) und noch völlig im Gebiete des Genioglossus eine auffällige
Veränderung im hinteren Theile des Longitudinalis superior. Es tritt
nemlich zwischen den hintersten transversalen Blättern und den Drüsen
der Zungenwurzel ein anfangs mässig starker, ‚aber sehr rasch an
Mächtigkeit zunehmender Faserzug auf, der parallel der Krümmung
der Zungenwurzel von der Gegend des Zungenbeins her unter dem
Drüsenlager nach vorn geht. Schon an den 2 oder 3 nächsten Schnitten
ist dieser Zug als eine circa 2 Mm. dicke Lage für das blose Auge
erkennbar, und man erhält ihn dann auf einer Anzahl von Schnitten.
Unter dem Mikroskop sieht man die Fasern dieses Bündels mit Hülfe
von kurzen Ursprungssehnen an die vordere Fläche des kleinen
Zungenbeinhorns und den anstossenden Theil des Körpers des Zungen-
beins treten. Von hier gehen sie in starkem Bogen nach auf- und
vorwärts, um sich den übrigen Fasern der oberen Längslage beizuge-
sellen, die ihren Ursprung von der Schleimhaut nehmen. Die tiefsten
und am weitesten nach vorn reichenden Fasern dieses Muskels!)
setzen sich dann in der Mitte der Zunge an die Schleimhaut an. An
‚den Serien, die ich vor mir habe, sehe ich übrigens nicht, dass der
Ursprung dieses Muskels die Spitze des Cornu minus erreicht. Das-
selbe scheint zuweilen, wie auch hier, sehr lang und stark nach aussen
gerichtet zu sein, so dass ich an einer Reihe von Schnitten noch über
dem Zungenbeine den Durchschnitt des kleinen Horns erhalte, aber
ohne dass noch Muskeln von ihm entspringen.
2. Die wesentlichste Veränderung erfahren die Bilder des Sagittal-
schnittes, je weiter sich derselbe dem Seitenrande der Zunge nähert,
durch das Auftreten eines neuen, an der unteren Fläche der Zunge,
aussen vom Genioglossus gelegenen Muskels, das M. lingualis. Die
übrigen Muskelsysteme verleihen dem Schnitte kein auffällig andres
Gepräge und die etwaigen Aenderungen sollen dann nachgeholt werden.
Den Namen „Lingualis“ ziehe ich vor dem ebenfalls gebräuchlichen
„Longitudinalis inferior“ vor, weil den letztern Namen andre Muskeln
mit demselben Rechte beanspruchen können. —
Der erste Ausdruck für das Auftreten eines unteren Längsmus-
kels fällt schon in die sub 1 besprochene Schnittreihe, doch habe ich
1) M. Chondroglossus, Kölliker mikr. Anat. p. 17.
Ueber die Muskeln der menschlichen Zunge. 91
mir der Uebersicht wegen ihre Beschreibung bis hierher verspart.
Dicht neben der Mittellinie wird man stets einen oder zwei Schnitte
erhalten, welche keinen unteren Längsmuskel zeigen, ausser die stark
vorbiesenden vordersten Genioglossusbündel. Dann aber treten sehr
bald an der untern Fläche der Spitze Längsbündel auf, die nicht in
den Genioglossus zurück zu verfolgen sind und die sich zum grössten
Theile an die Schleimhaut der unteren, freien Fläche der Spitze fest-
setzen. Von ihrem hinteren Ende sind diese Längsbündel abgeschnit-
ten, doch verfolgt man sie in jedem neuen Schnitte weiter nach
rückwärts. Gleichzeitig sieht man in der vorderen Hälfte des Genio-
‚glossus, bevor derselbe in das Gebiet der transversalen Blätter eintritt,
dass seine Fasern hin und wieder von zarten Bündeln gekreuzt wer-
den, welche, von hinten nach vorn gehend, horizontal oder in spitzen
Winkeln über sie hinlaufen, sich auch gelegentlich in sanfteren Bogen
erheben und dann stark aufwärts biegen, um mit einem Genioglossus-
bündel gemeinschaftlich als perpendiculärer Muskel zum Zungenrücken
empor zu steigen. Wenn auch sehr spärlich, so findet man doch auch
schon hier zuweilen noch einzelne zarte Bündel, welche umgekehrt aus
einem perpendiculären Blatte des Genioglossus heraustreten und nach
vorn umbiegend, sich der unteren Längslage der Spitze beigesellen.
Ist man aus dem Gebiete des Genioglossus herausgekommen, so
ändert sich das Bild dadurch, dass wir an der untern Fläche der Zunge
in der ganzen Ausdehnung, in der wir früher den Genioglossus sahen,
jetzt den von hinten nach vorn verlaufenden, parallel seiner Faser-
Richtung getroffenen Lingualis finden. An den perpendiculären Blät-
tern lässt sich mit Ausnahme der vorher erwähnten, noch eine Aen-
derung finden, die man sogleich verstehen wird, wenn man sich dessen
erinnert, was ich bei der Beschreibung der Frontalschnitte über die
äussere Partie der perpendiculären Fasern sagte. Wir konnten die-
selben nemlich wohl in die Substanz des zum grössten Theil quer-
durchschnittenen Lingualis verfolgen, nur spärlich aber noch bis in
die untere Hälfte desselben und keine darüber hinaus. So be-
kommt man auch jetzt im Sagittalschnitte den grössten Theil der
perpendiculären Fasern mit ihrem unteren Ende noch ein Stück
in den untern Längsmuskel hineinragend und dann durchschnitten.
Dass sie nicht in grösserer Anzahl in ihrem Zusammenhange
mit dem untern Längsmuskel erscheinen, liest an der Ebene des
Schnittes, welche die der perpendiculären Fasern schneidet. Hat man
das Glück Sagittalschnitte genau in der schiefen Ebene anzulegen,
welche der Richtung der perpendiculären Fasern entspricht, so wird
man das Umbiegen der Lingualisfasern in perpendieuläre Blätter häufig
92 Dr. Hessr.
sehen. Immerhin ist dies oft noch recht schwer und zwar deshalb,
weil die Ebenen, in denen diese Lingualisbündel verlaufen, gegen die
verticale, von hinten nach vorn gerichtete Ebene nicht nur um eine
sagittale, sondern auch noch um eine verticale Axe gedreht sind, d.h.
mit andern Worten, weil die Lingualisbündel Schlingen bilden, die
von hinten, oben und aussen erst schief nach vorn, unten und innen
ab- und dann noch vorn oben und innen wieder aufsteigen.
Für den Ursprung des hinteren weitaus beträchtlichsten Theiles
des Lingualis liefern die Sagittalschnitte die vortrefflichsten Bilder.
Es treten nemlich ganz in derselben Weise, wie wir weiter einwärts
von vornher die Genioglossusblätter zur Schleimhaut der Rückenfläche _
der Zungenwurzel ausstrahlen sehen, hier ebensolche Bündel auf, die
nur den umgekehrten Weg machen, wenn man will, und die sich an
der untern Zungenfläche zum Lingualis sammeln. Die senkrecht durch-
schnittenen transversalen Blätter liegen genau so zwischen ihnen, wie
zwischen den tiefsten Genioglossusblättern, so dass diese und die hin-
tern Lingualis-Enden sich vollständig gleichen. Man verfolgt dieselben
leicht durch die Drüsenlage der Zungenwurzel hindurch zur Schleim-
haut, und ich glaube, dass ein Theil der Bündel von hier hinten bis
zur Spitze, also durch die ganze Länge der Zunge hindurchgeht. Von
den weiter vorn aus den perpendiculären Blättern neu hinzukommen-
den Verstärkungsbündeln unterscheiden sich die hinteren besonders -
dadurch, dass sie in einem Bogen mit viel grösserm Krümmungsradius
verlaufen; ja die tiefsten treten fast horizontal aus den tiefsten trans-
versalen Blättern hervor und treten ziemlich gradlinig in die Substanz
des Lingualis ein. Eine ziemlich mächtige Lage schickt der Lingualis
nach vorn, die sich namentlich in den seitlichen Theil der unteren
Fläche der Zungenspitze festsetzt.
Je weiter nach vorn, um so zahlreicher werden dann auch selb-
ständige perpendiculäre Fasern, welche die des Lingualis senkrecht
kreuzen und sich in der Schleimhaut der unteren Fläche festsetzen.
3. Mit den nun folgenden Schnitten treten wir in das Gebiet
des Hyoglossus ein, und zwar fallen hier die wesentlichsten Ver-
änderungen in den hinteren Theil der Zunge. Es treten hier nemlich
Fasern auf, welche die hinteren Enden des Lingualis kreuzen und
die sich sehr bald zu dem längsdurchschnittenen Cornu majus des
Zungenbeins verfolgen lassen. Hier entspringt der Hyoglossus com-
pact und löst sich nun strahlenförmig in eine Anzahl Bündel auf,
welche sich als schmale Blätter zwischen die des transversalen Systems
einschieben, um zur Schleimhaut des Zungenrückens zunächst dem
Seitenrande zu gelangen. Die hintersten Bündel sind die mächtigsten;
Ueber die Muskeln der menschlichen Zunge. 95
sie biegen ziemlich steil unter der Drüsenlage der Zungenwurzel nach
aufwärts, während die vorderen in viel sanfterer Steigung nach vorn
gehen, um sich dann nach aufwärts zu erheben. Der Hyoglossus
bildet somit für diesen Theil der Zunge einen wesentlichen Bestand-
theil des perpendiculären Systems, an dem aber auch hier noch
selbständige von der obern zur untern Schleimhaut gehende Fasern
participiren. Seine vordersten Bündel sehe ich etwa bis zum hintern
Ende des vorderen Zungendrittels sich erstrecken.
Auf die Gestalt der hintersten transversalen Blätter hat der Hyo-
glossus einen sehr auffälligen Einfluss. So lange er sich nemlich noch
mit Lingualisbündeln kreuzt, ehe diese aus dem Gebiete der transver-
salen Blätter heraustreten, wird er auch die den Lingualisbündeln
parallel stehenden transversalen Blätter durchkreuzen müssen, und
diese verlieren in Folge dessen ganz ihre Eigenschaft als Blätter. Die
Querschnitte ihrer Muskelbündel füllen die Maschen des Netzes aus,
welches durch Kreuzung des Lingualis und Hyoglossus entsteht. Mehr
lateralwärts aber, wo der Lingualis nicht mehr hinreicht, stellen sich
wieder transversale Blätter zwischen den Hyoglossusbündeln her, aber
die Ebenen derselben stehen nicht mehr schief mit dem höchsten
Ende nach oben und hinten, sondern fast rechtwinklig dagegen, mit
dem höchsten Punkte nach oben und vorn. Auf die transversalen
Blätter in den drei vorderen Vierteln der Zunge übt der Hyoglossus
diesen Einfluss nicht, da er hier erst an der unteren Zungenfläche
hinläuft und von hier in verticale Bündel nach auf- und einwärts
umbiest.
Die Schnitte endlich, die noch näher dem Seitenrande geführt
sind, zeigen den parallel seiner Faserrichtung getrofinen M. Stylo-
glossus, welcher anfangs noch die hintersten Fasern des Hyoglossus
kreuzt. Dann fällt letzterer ganz aus dem Schnitte und wir erhalten
nur Styloglossusfasern, welche dicht unter der Mundhöhlenschleimhaut,
wo diese in die der Zungenwurzel übergeht, in die Zunge eintreten
und dann fast parallel dem Seitenrande derselben nach vorn verlaufen.
Mit schwacher Neigung nach abwärts gesellen sie sich dann zum
Lingualis, dessen vordern Theil sie wesentlich verstärken. Auch aus
ihrer Masse erheben sich Bündel nach auf- und einwärts, welche als
perpendiculäre Fasern zwischen die Enden der transversalen Blätter
treten. —
Es erübrigt nun noch zur Vervollständigung einiges über die
Querschnitte der transversalen Blätter nachzuholen, deren ich bisher
nur bei Beschreibung der im Gebiete des Genioglossus geführten
Schnitte und bei Besprechung des Hyoglossus gedacht habe. Dass die
94 Dr. Hesse.
transversalen Blätter fächerförmig gegen die Oberfläche der Zunge hin
ausstrahlen, spricht sich in den Sagittalschnitten dadurch aus, dass die
Lücken und Spalten zwischen den Querschnitten der Bündel eines
transversalen Blattes je weiter nach dem Seitenrande zu, um 0
grösser und zahlreicher werden (Taf. III. Fig.3u.4). — Endlich fällt esauf,
dass wir den Styloglossus, soweit er sagittal verläuft, von transversalen
Bündeln nicht mehr, oder doch nur sehr spärlich durchsetzt finden.
Für seinen vorderen Theil ist das leicht verständlich, da hier der
grösste Theil zur unteren Fläche biegt, wohin nur spärliche trans-
versale Fasern gelangen. Für den hinteren Theil aber, wo der Stylo-
glossus noch ziemlich hoch liest, muss dies um so mehr auffallen,
als wir hier besonders mächtige Querschnitte transversaler Bündel
treffen. Man kann schon hierdurch zu der Vermuthung geführt wer-
den,. die dann die Flachschnitte bestätigen, dass diese hintersten
transversalen Blätter aus dem Styloglossus selbst kommen.
III. Flach-Schnitte. (Taf.II. Fig.5. Taf. IV. Fig. 3.)
Bei der Convexität des Zungenrückens wird die Wahl der Ebene
für Flachschnitte nicht ganz ohne Willkür sein. Ich benutzte als
Führungslinie die längste Linie, die ich von der Spitze der Zunge
nach der Zungenwurzel ziehen konnte und legte die Schnitte parallel
der Ebene an, welche diese Linie enthält.
Ich kann mich bei Besprechung dieser Schnitte kürzer fassen, da
sie nur über den Styloglossus und Longitudinalis superior noch Neues
zeigen, während sie für die übrigen Muskeln im wesentlichen nur
bestätigen, was durch die Frontal- und Sagittalschnitte uns schon
bekannt ist.
Die Fasern des transversalen Systems werden durch Flachschnitte
zum grössten Theil parallel ihrem Verlaufe getroffen. Sie erscheinen,
vom Boden der Zunge angefangen erst im Schnitte, nachdem derselbe
bis in die Höhe des Septum gekommen ist. In Folge der Convexität
. der Zunge tritt dies sowohl am vordern als am hintern Ende des
Schnittes früher ein als in der Mitte. Was früher die. sagittalen Schnitte
über die wechselnde Mächtigkeit der perpendiculären und der trans-
versalen Blätter in den verschiedenen Abschnitten der Zunge zeigten,
bestätigt sich auch hier. Ueber die Richtung der transversalen Blätter
erhalten wir noch den neuen Aufschluss, dass sie in der vorderen
Zungenhälfte nicht ganz senkrecht stehen, sondern nach dem Seiten-
rande zu liegen sie ein wenig nach rückwärts. Es erklärt dies die
Schwierigkeit, einen Frontalschnitt zu erhalten, in welchem ein ganzes
Ueber die Muskeln der menschlichen Zunge. 95
Transversusblatt enthalten sei. — Im hintersten Abschnitte der Zunge
erhält man auffällig mächtige, breite transversale Bündel. Doch würde
man einen Fehler begehen, wenn man die Mächtigkeit derselben nur
nach diesem Schnitte beurtheilen wolltee Man muss sich vielmehr
erinnern, dass diese Blätter wegen ihrer fast horizontalen Lage eher
in ihrem grössten Höhendurchmesser getroffen werden, während die
mittleren in ihrem kürzesten in den Schnitt fallen. Verfolst man
nun diese hintersten transversalen Blätter nach dem Seitenrande der
Zungenwurzel, so gelangt man in den Styloglossus, dessen kleinere
vordere Portion dem Zungenrande parallel nach vorn läuft.
Die transversalen Bündel des Styloglossus biegen in einem nach
aus- und vorwärts convexen Bogen um, und treten durch die schief
durchgeschnittenen Hyoglossus- und die längsverlaufenden Lingualis-
bündel hindurch zur Mittellinie Hier setzt sich eine sehr grosse
Anzahl derselben nicht ins Septum fest, sondern wir verfolgen ganz
starke Bündel ohne alle Unterbrechung über die Mittellinie hinweg
zur andern Seite. Ganz eben solche, die Mitte überschreitende Bündel
finden sich übrigens auch noch in der Zungenspitze; endlich treten
sie in der ganzen Ausdehnung von vorn nach hinten auf, sobald man
die Schnitte ganz dicht unter der oberen Längslage angelegt hat.
Für das System der longitudinalen Fasern zeigen die
Flachschnitte noch den Ursprung der Lingualisbündel in der Zungen-
wurzel recht schön, sowie die Endigung vorderer Lingualis- und Stylo-
glossusbündel in der Zungenspitze. Von dem inneren Rande des
Lingualis sehe ich in der vorderen Zungenhälfte einige Bündel nach
einwärts umbiegen, und indem sie sich zu einem transversalen Blatte
gesellen, den Weg zum Septum einschlagen; doch sind sie sehr
spärlich.
An den obersten ‘Schnitten erscheint endlich noch der Longi-
tudinalis superior. Seine Bündel haben im Allgemeinen die Richtung
von vorn nach hinten, doch geben sie nach rechts und links häufig
starke Bündel ab, welche zu einem benachbarten Längsbündel treten.
Es entsteht dadurch ein Netz, dessen schmale langgestreckte Maschen
annähernd parallel dem Septum stehen. In diesen Maschen finden
sich die quer durchschnittenen Enden der perpendiculären Blätter.
Dieselben haben demnach ihre erst frontalen Ebenen jetzt in sagittal
gestellte umgewandelt.
96 Dr. Hesse.
Es wird nun die Aufgabe sein, aus dem Material, welches die
bisher beschriebenen Schnitte liefern, sich den Verlauf der einzelnen
Binnen-Muskeln der Zunge darzustellen und daraus die Combination
derselben zur ganzen Zunge zu gewinnen. Anstatt aber die einzelnen
Muskeln der Reihe nach zu detailliren, wie es bisher in den anato-
mischen Lehrbüchern geschehen ist, scheint es mir zweckmässiger,
die Trennung in der Beschreibung nur bis zu der in die drei Systeme
vorzunehmen. Die einzelnen Muskeln, welche zur Bildung eines
Systems beitragen, werden hierbei immerhin genügende Erörterung
finden, und, wo sie bereits früher ausführlicher behandelt sind, werde
ich der Kürze wegen auf jene Stellen verweisen.
Die Muskeln der Zunge sind symmetrisch zu beiden Seiten des
Septum angeordnet. Durch die Verschiedenheit der Verlaufsrichtung
ihrer Fasern bilden sie drei Systeme, von denen die Fasern des
transversalen im allgemeinen eine horizontale Richtung in frontaler
Ebene, die des perpendiculären einen verticalen Verlauf und die des
sagittalen eine horizontale Richtung in sagittaler Ebene haben. Be-
merkenswerth ist, dass einmal keines dieser Systeme von nur einem
einzigen Muskel gebildet wird und andererseits auch kein einziger
Muskel nur einem einzigen Systeme angehört. Vielmehr sind es stets
mehrere Muskeln, welche zur Bildung eines Systems beitragen und
ebenso gehören die Fasern eines jeden Muskels zu zwei Systemen,
sei es nun, dass sie sich sogleich in zwei Gruppen theilen, von denen
die eine sich in dieses, die andere in jenes System füst (Styloglossus),
oder dass sie erst eine Strecke in dem einen Systeme verlaufen, um
dann in ein anderes umzubiegen, wie die Mehrzahl von ihnen es thut.
Durch die Kreuzung der Fasern dieser drei Systeme wird der
Bau der Zungenmusculatur ein sehr verwickelter, sodass ihn die an
Untersuchungsmethoden ärmeren, älteren Anatomen geradezu als unent-
wirrbar hingestellt haben!). Indessen ist doch durch ein einfaches
Mittel noch eine grosse Regelmässigkeit in die Anordnung gebracht.
An den meisten Stellen sind es nemlich nicht sowohl die einzelnen
Fasern, die sich mit einander kreuzen, und wodurch allerdings ein
unentwirrbares Flechtwerk entstehen würde, sondern es bleiben immer
noch Gruppen von Fasern zu einem Ganzen vereinigt, indem dieselben
lange und schmale Blätter bilden. Diese lassen regelmässige Spalten
zwischen sich frei und durch diese treten nun ebensolche Blätter aus
einem Systeme, dessen Fasern senkrecht gegen diese gerichtet sind.
Nur an einigen wenigen Stellen kommt es vor, dass in der That sich
1) Blandin, Trait€ d’anatomie topographique (Bruxelles 1837) pag. 124.
Ueber die Muskeln der menschlichen Zunge. 97
die kleinsten Bündel der drei Systeme direct durchkreuzen. Im
Uebrigen aber kann im Innern der Zunge von einem Verflechten oder
Verfilzen der Fasern nicht die Rede sein‘). Ob diese Einrichtung einen
unmittelbaren Werth für die Mechanik der Zungenmuskeln besitzt,
oder ob sie es zunächst nur ermöglichen soll, eine Innervation von zu-
. sammengehörigen Gruppen herzustellen, lasse ich dahingestellt.
Septum linguae.
Ich habe bisher den Namen Septum ebenso gebraucht, wie es
bisher üblich war?), da es mir zunächst nur auf die Beziehungen an-
kam, in denen die Muskelfasern mit demselben stehen. Doch ist hier
der Ort, Einiges Genauere darüber zu sagen.
Ganz abgesehen von den Beschreibungen in älteren anatomischen
Lehrbüchern, finde ich auch in den neusten dem Septum eine Selb-
ständigkeit eingeräumt, die ich ihm nicht zuerkennen kann. Es wird
als eine Faserlamelle beschrieben, die am Zungenbein inserire und den
Sehnen namentlich des Transversus zum Ursprunge diene. Ich finde,
dass das Septum der menschlichen Zunge, wovon man sich an Frontal-
und Flachschnitten leicht überzeugt, ausserordentlich schmal ist.
Zweitens zeigt es ein Flachschnitt nie als ein geradlinig verlaufendes
Gebilde, sondern der schmale Saum, den wir hier in der Mitte des
Schnittes erblicken, bildet von hinten bis vor eine Zickzacklinie mit
sehr zahlreichen und oft recht grossen Zacken. Drittens sind Binde-
gewebsfasern mit der Richtung von hinten nach vorn sehr spärlich
darin, und endlich giebt es überall mehr weniger zahlreiche Muskel-
bündel, welche ohne Unterbrechung von einer Zungenhälfte zur andern
gehen. Die Orte, wo sich solche besonders häufig finden, sind schon
bei den Flachsehnitten mit erwähnt worden.
Es scheint mir gerechtfertigt, aus diesen Gründen das Septum
identisch mit dem aufzufassen, was wir bei einem andern Muskel als
Raphe bezeichnen, und wie wir sie z. B. die beiden Hälften des Mylo-
hyoideus vereinigen sehen.
Der Hauptbestandtheil dieser Zungen-Raphe sind zarte Binde-
gewebsstreifen, welche von dem inneren Ende einer transversalen
Faser abstammen und dieselbe Richtung beibehalten. Mit starken
Vergrösserungen sieht man an einem feinen Flachschnitte das innere
Ende einer transversalen Faser sich zuspitzen; dann hört plötzlich die
1) Vergl. dagegen Henle, Eingeweidelehre II. Aufl. pag. 109.
2) Conf. Arnold, Anatomie des Menschen, II. 2. p. 1143 (Freiburg 1851).
Zeitschrift f. Anatomie. Bd. I. (
98 j Dr. He&sse.
quergestreifte Substanz auf und es tritt an ihre Stelle ein Büschel
feinster Fasern, in denen der Richtung der Fasern parallel gestellte,
kleine, längliche Kerne liegen. Ausserdem trifft man zwischen den
Bindegewebs- und den anstossenden Muskelfasern Fettzellen in ziem-
licher Menge, sowie spärliche elastische Fasern. Nachdem ich mich
nun fernerhin noch oft davon überzeugt habe, dass zahlreiche Muskel-
fasern des transversalen Systems ohne sehnige Unterbrechung durch
die Raphe hindurch zur andern Seite zu verfolgen sind, halte ich es
für nieht unwahrscheinlich, dass auch ein grosser Theil derjenigen
transversalen Fasern, welche in Sehhnen übergehen, sich durch diese
Sehnen unmittelbar in eine entsprechende Faser der andern Seite
fortsetzen. Trotzdem ist es mir nicht gelungen, eine einzelne Faser
in dieser Weise zu isoliren.
1. Das transversale System.
Das .transversale System wird aus zahlreichen, hinter einander
liegenden Blättern gebildet, welche senkrecht zum Zungenrücken
stehen, und welche, da letzterer stark gekrümmt
ist, ihre Ebenen entsprechend ändern müssen. Das
— Ausführliche über Zahl, Grösse und Gestalt dieser
Blätter s. auf pag. 9. — Die Form eines solchen
transversalen Blattes kann man sich am besten dar-
stellen, wenn man von einem Blatte Papier vom
Rande her spitze Streifen ausschneidet.
oo Die Muskeln, welche sich an der Bildung des
transversalen Systems betheiligen, sind: der Trans-
versus, Palatoglossus, Styloglossus (und Lingualis).
Die Befestigungs-Punkte des Transversus nehmen die ganze Fläche
des Zungenrückens ein, mit Ausnahme des mittleren Drittels. Am
freien Theil der Zunge bleibt die untere Fläche frei davon, während
der Zungenrand überall mit Fasern von ihm versorgt wird. Die ober-
sten Transversusfasern biegen, nachdem sie ein Stück horizontal nach
auswärts liefen, nach aufwärts um, und treten durch die obere Längs-
lage hindurch. Ein grosser Theil derselben läuft ohne Unterbrechung
von einer Seite zur andern. Und zwar sind solche Fasern am reich-
lichsten’ an der Spitze vorhanden, ferner in der ganzen Länge der
Zunge zunächst unter der oberen Längsmuskellage, und endlich stellen
die vom Styloglossus abstammenden transversalen Bündel noch ein
beträchtliches Contingent dazu.
Die letzteren verlassen den Stolyglossus da, wo er an den Seiten-
Ueber die Muskeln der menschlichen Zunge. 99
rand der Zungenwurzel tritt. Während der eine Theil des Stylo-
glossus nach vorn geht, durchbohren sie den Hyoglossus, kreuzen sich
mit den hinteren Enden des Lingualis und treten horizontal nach
einwärts. Der Styloglossus bildet also gerade
einen grossen Theil der hintersten horizental
liegenden transversalen Blätter, und wir erhal-
ten in ihm ununterbrochene, ziemlich breite
Schlingen, die von einem processus styloideus
durch die Zungenwurzel hindurch zum Griffel-
fortsatz der andern Seite treten. Die sämmt-
lichen transversalen Styloglossusblätter bilden
demnach eine Art Schleuder, die beistehende schematische Figur ver-
deutlicht, und es ist leicht sich die Functionen derselben beim Schling-
acte vorzustellen.
Aehnliche kleine Schleifen erhalten wir durch die im vorderen
Gaumenbogen enthaltenen Muskelfasern, welche ebenfalls zum Septum
treten und in den Mm. glossopharyngei').
Von dem Lingualis abstammende transversale Fasern konnte ich
nur im vorderen Theile der Zunge finden. Sie sind sehr spärlich,
lösen sich vom innern Rande des Lingualis ab, und treten zum unteren
Rande einiger vorderer transversaler Blätter.
2. Das perpendiculäre System.
Das perpendieuläre System bildet ebenfalls Blätter, und zwar
gleichen dieselben den transversalen vollständig ihrer Zahl nach und
in Bezug auf die Richtung ihrer Ebenen. Dagegen ist die Form des
einzelnen Blattes eine etwas andere, und der Verlauf der Muskelfasern
schneidet die Richtung der transversalen unter rechtem und spitzem
Winkel. Ein perpendiculäres Blatt hat im vordern Theile der Zunge
ganz die Form des Frontalschnittes an dieser Stelle, höchstens fehlt
daran ein kleiner Saum am Seitenrande. Die näheren Details siehe
page. 4 u. 5.
Gehen wir die Muskeln der Reihe nach durch, welche ein solches
perpendiculäres Blatt zusammensetzen, so ergiebt sich, dass dies am
nächsten nach dem Septum zu der Genioglossus, theilweise auch einige
Bündel des Transversus, dann der Lingualis, Hyoglossus, Styloglossus
und ausserdem selbständige perpendiculäre Fasern thun, welche von
der obern zur untersten Schleimhautfläche der Zunge verlaufen. Ueber
1) Luschka, Schlundkopf des Menscher, Tübingen 1868, pag. S6 u. Taf. XI.
*
-
4
100 Dr. Hesse.
den Genioglossus ist hier noch zu erwähnen, dass seine Ursprungsstelle
am Unterkiefer jedenfalls viel zu klein ist, um für die Masse dieses
mächtigen Muskels zu genügen. Es entspringt daher von der Mitte
der Spina mentalis interna ein sehniges Blatt, das etwa bis zum Ende
des vordern Drittels des ganzen Muskels reicht, dessen Ebene parallel
zwischen den Genioglossusfasern nach rück- und ein wenig aufwärts
gestellt ist und von dessen oberer und unterer Fläche überall neue
Genioglossusfasern unter sehr spitzem Winkel entspringen. Es wird
sonach der Genioglossus zu den doppelt gefiederten Muskeln zu zählen
sein. Was übrigens sonst über den Ansatz von Genioglossusbündeln
am Zungenbein!), sowie über Bündel, die zur Vorderfläche der Epi-
glottis gehen?), gesagt ist, kann ich nur bestätigen. Auch dass ein
Theil der innersten Genioglossusfasern unterhalb der Raphe zur andern
Seite tritt, und wieder andre zur Raphe selbst gelangen, habe ich
früher erwähnt (pag. 5). Ob dieselben hier endigen, oder ob ihre
Fasern durch die Raphe hindurchtreten, um zur Rückenschleimhaut
zu gelangen, konnte ich nicht entscheiden, doch ist mir das erstere
wahrscheinlicher. — Schliesslich erwähne ich nochmals, dass die
‚äussersten Genioglossusfasern schief nach aussen und oben gehen und
sich folglich mit den benachbarten perpendiculären Fasern kreuzen.
Da die äusseren Enden der obersten Transversusfasern nach auf-
wärts umbiegen, so sind auch sie als Bestandtheile des perpendiculären
Systems zu erwähnen. —
Der Lingualis liefert meiner Ueberzeugung nach nächst dem Genio-
und Hyoglossus die reichlichsten perpendiculären Fasern. Indem ich
über seine Einzelheiten auf pag. 11 ff. verweise, will ich nur kurz
recapituliren, dass der Lingualis ein System von Schleifen bildet,
welche, ähnlich dem Styloglossus, bei ihrem Verlaufe nach vorn in zwei
Theile zerfallen, einen, der perpendiculäre, den andern, schwächeren,
der längsverlaufende Fasern liefert. Die Bündel des Lingualis ent-
springen in weniger regelmässigen Blättern in der Schleimhaut der
Rückenfläche der Zungenwurzel, nach aussen vom hintern Ende des
Genioglossus. Sie laufen hier zwischen dem dicken Drüsenpolster,
dann zwischen den hinteren transversalen Blätten und den inneren
Hyoglossusbündeln hindurch und sammeln sich an der untern Zungen-
fläche zu dem zwischen: Genio- und Hyoglossus leicht präparirbaren
Muskelbauche.
1) Theile, in Sömmering’s Anatomie, Muskellehre, Leipzig 1841. pag. 86.
2) Baur in Meckel’s Archiv VII. Bd. (1822) p. 354. — Luschka, Anatomie
des Kopfes (Tübingen 1867) p. 324 ff. u. a. a. O. — Luschka, der Schlundkopf
des Menschen (Tübingen 1868) p. 14 u. Tafel 3).
Ueber die Muskeln der menschlichen Zee 101
Die grösste Masse des Muskels wird von Fasern gebildet, welche
in dieser Weise etwa aus dem hintern Viertel der Zunge entspringen,
doch erhält derselbe auch noch von weiter vorn her Verstärkungs-
bündel, welche aus perpendiculären Blättern herabtreten. Schon an
der Grenze des letzten und vorletzten Zungenviertels sieht man seine
tiefsten hintersten Bündel sich nach aufwärts erheben, um, zwischen
zwei transversalen Blättern schwach nach oben und innen geneigt zur
Rückenschleimhaut zu gehen. Dies sieht man dann weiter in der
Weise bis zur Spitze. Der andere Theil des Lingualis aber unterlässt
die Biegung nach aufwärts, verläuft geradlinig nach vorn, indem er
sich auch hier der Mittellinie etwas nähert, und endet an der untern
Schleimhaut des freien Theils der Zunge. Ganz so verhält sich auch
dicht am Seitenrande die vordere Portion des Styloglossus, nur dass
er keine neuen Verstärkungsfasern aus perpendiculären Blättern er-
hält. Zwischenvbeiden Muskeln liefert der Hyoglossus für die hinteren
zwei Drittel noch starke perpendiculäre Blätter. Aus seiner auf pag.
13 f. gegebenen Beschreibung hebe ich hier noch hervor, dass nament-
lich die hintersten Hyoglossushlätter eine wesentlich andere Richtung
haben, als die hintersten Genioglossusblätter. Die Ebenen beider
würden sich unter fast rechtem Winkel schneiden. Weiter nach vorn
aber, wo die Hyoglossusfasern viel sanfter aus ihrer anfänglichen Längs-
richtung in die Höhe biegen, liegen beide fast in derselben Ebene und
es gilt hier vollständig der Ausspruch KÖLLIKER’S!), dass sich der
Hyoglossus für den Seitentheil so verhalte, wie der Genioglossus in
der Mitte. Beim Durchtritt durch die obere Längslage ändert sich die
Stellung der Ebenen der Hyoglossusblätter ebenso wie die der Genio-
glossusblätter. —
Den selbständigen perpendieulären Fasern endlich, die direct von
der obern zur untern Schleimhaut gehen, muss ich ein häufigeres Vor-
kommen zuerkennen, als es KÖLLIKER?) thut. Ich finde dieselben
allerdings am reichlichsten am freien Theile der Zunge und hier wie-
der besonders in der Nähe des Seitenrandes. Aber auch längs des
Seitenrandes der übrigen Zunge sind sie immer in ziemlicher Anzahl
vorhanden.
3. Das longitudinale (sagittale) System.
Bei Beschreibung. des vorigen Systems ist gezeigt worden, dass
die meisten perpendiculären Fasern auf einer Strecke ihres Verlaufs
1) Mikroskopische Anatomie 2 pag. 16.
2) Ebendaselbst pag. 18.
102 Dr. Hesse.
sagittal sind. So galt dies für den grössten Theil der Genioglossus-
bündel, so für den Lingualis, Stylo- und Hyoglossus. Man wird also
auch als sagittale Muskeln im weiteren Sinne diese mit bezeichnen
können. — Sucht man aber nach sagittalen Muskeln, die nicht in ein
anderes System übergehen, so zeigt sich, dass sie das schwächste
System von allen bilden. Sie finden sich nemlich nur unter der
Rückenfläche und in ganz geringer Zahl dicht unter dem Septum }).
Die übrigen querdurchschnittenen Muskeln, welche wir auf dem Fron-
talschnitte erhalten, und welche sich unmittelbar an jene anschliessen, so
dass sie mit ihnen einen peripherischen Mantel um die Zunge bilden,
der nur die Eintritsstelle des Genioglossus frei lässt, gehören dem Hyo-
slossus, Styloglossus und Lingualis an. Von diesen drei Muskeln aber
liefert allerdings der Styloglossus und Lingualis Fasern, welche sagittal
bleiben. Sie vereinigen sich nemlich beide vor dem Hyoglossus und
während nun auf ihrem Wege nach vorn immer Fasern perpendiculär
aufbiegen, werden die Muskeln dadurch doch nicht völlig erschöpft;
es bleibt vielmehr noch eine nicht unbedeutende Lage von Fasern
übrig, welche sich in die Schleimhaut der untern Fläche und des
Seitenrandes des freien Theils festsetzen. Weiter nach rückwärts giebt
nur der Styloglossus Fasern zum Seitenrande.
Die oberere Längslage besteht aus einer Summe von Schlingen,
welche von einem hinteren zu einem weiter vorn gelegenen
Punkte der Schleimhaut der Rückenfläche verlaufen?). Eine sehr
beträchtliche Unterstützung erhält dieses System aber durch einen
Muskel, der vom kleinen Horn des Zungenbeins und dem anstossenden
Theile des Körpers entspringt (Chondroglossus s. pag. 11). Ueber die
weiteren Details dieses Systems vergleiche pag. 6 und pag. 10 f£. 14.
Es würde nun mehr die Aufgabe physiologischer Untersuchungen
sein, zu erforschen, wie weit wir im Stande sind, die Contraction
eines einzelnen Muskels der Zunge auszuführen und welche Wirkung
diese Contraction hervorbringen müsste; oder ob nicht vielmehr immer
eine bestimmte Gruppe von Muskelbündeln berufen ist, gleichzeitig zu
arbeiten, wobei vielleicht dasselbe Bündel je nach Bedarf einmal mit
dieser oder jener Gruppe Hand in Hand geht.
Hieraus würde es sich dann ableiten lassen, welche Muskeln zu
irgend einer gegebenen Bewegung der Zunge in Thätigkeit kommen.
Von der anatomischen Untersuchung der peripherischen Endverbreitung
der motorischen Nerven der Zunge steht dieser Aufschluss nicht .zu
1) Vergl. Henle, Eingeweidelehre II. Aufl. pag. 106 Anm.
2) Theile, Muskellehre, Leipzig 1841, pag. 93.
Ueber die Muskeln der menschlichen Zunge. 103
erwarten, da wir alle Zungenmuskeln vom Hypoglossus innervirt
sehen.
Ich füge zum Schlusse noch einige Data der Untersuchungen von
thierischen Zungen bei, deren Vergleich mit der menschlichen nicht
ohne Interesse sein dürfte Für eine Anzahl Details im Bau der
menschlichen Zunge erhielt ich ein viel besseres Verständniss, nach-
dem ich gesehen hatte, dass bei gewissen Thieren diese oder jene
Muskeln analog, andere in viel stärkerem Grade und noch andere ganz
abweichend von der unsrigen entwickelt sind.
Die Katze ist, wie für viele andre Organe, so auch für die
Zunge mit besondern Vorzügen begabt, die sie zum histologischen
Untersuchungsobject geeignet machen. Nirgends fand ich eine so
klare, leicht übersichtliche Anordnung der drei Systeme.
Die Grösse dieser Zunge, namentlich beim noch nicht ganz aus-
gewachsenen Thier, ermöglicht auch für den Ungeübten, gute Schnitte
durch die ganze Zunge zu führen. Man wird dabei, wegen der starken
Hornpapillen auf dem Rücken der Schleimhaut, gut thun, den Schnitt
an der unteren Zungenfläche zu beginnen und das Präparat nach der
Einlagerung in Canada-Balsam ein bis zwei Tage unter das Compres-
sorium zu bringen. Die Lagerung der transversalen Blätter, sowie die
Anordnung der sagittalen Muskeln zu einem peripherischen Mantel,
demonstriren diese Schnitte in überraschend schöner Weise (Tafel I.
Fig. 4. Tafel III. Figg. 2, 3 u. 4).
Fast eben so schöne Bilder liefern Schnitte durch die Zunge des
Hundes.
Kaninchenzungen sind für gewisse Zwecke gut zu verwenden;
so für die Demonstration des Genioglossus im Sagittalschnitt.
Beim Maulwurf (Tafel II. Fig. 5) finden sich als Analogon der
sagittalen Muskelbündel, die beim Menschen dicht unter der Raphe ver-
laufen, solche in viel grössrer Anzahl; und zwar sind dieselben in eine
Art Kapsel von musculöser und bindegewebiger Wand eingeschlossen,
sodass man das kleine runde Gebilde schon mit blosem Auge leicht
sieht. Die Kapsel kommt dadurch zu Stande, dass die untersten
transversalen Fasern nicht schief nach aussen und unten steigen, son-
dern sie beschreiben einen nach aussen convexen Halbkreis und bilden,
indem sie sich unten in der Mittellinie wieder vereinigen, eine mus-
culöse Röhre. Auf diese folgt nach innen zu eine zweite, aus feinen,
parallel und kreisföormig neben einander gelagerten Bindegewebsfasern,
und in diese sind, getrennt durch lockeres Bindegewebe und Gefässe,
die sagittalen Muskelbündel eingelagert. Da sich das ganze Organ
nur im vordern Theil der Zunge findet, so ist es mir am wahrschein-
104 Dr. Hzsse.
lichsten, dass diese sagittalen Bündel dem stark nach vorn umbiegen-
den Genioglossus angehören. |
Ganz ähnlich verhalten sich gegenüber den mittelsten Bündeln
des Longitudinalis superior die obersten transversalen Fasern, nur dass
sie sich hier nicht zu einer vollständigen Röhre abschliessen, sondern
es kommt nur zur Bildung einer stark concaven Hohlrinne.
Ein ganz ähnliches Gebilde findet sich in der Zunge des Igels.
In den Zungen verschiedner Mäuse zeigen sich zwei und selbst
drei senkrecht übereinander stehende Transversi, von denen jeder nach
oben und unten ausstrahlt. Es kreuzen sich folglich in der Nähe des
Zungenrandes immer die Fasern des untern Randes des höher stehen-
den mit denen vom obern Rande des tiefern Transversus. Zwischen
diesen drei Transversi, von denen jeder seine eigne Raphe hat, ziehen
‚spärliche transversale Fasern horizontal von einer Seite zur andern.
Der Hamster zeigt einen sehr breiten Mantel von sagittalen
Bündeln um die ganze Peripherie der Zunge. Derselbe erleidet hier
auch am Zungenrande keine merkliche Verschmälerung.
Erklärung der Abbildungen.
Taf. II.
Fig. 1. Sagittalschnitt durch die menschliche Zunge in einiger Entfernung
von der Mittellinie. Vergrösserung 10.
(Wegen der Grösse des Objectes konnte nur die hintere Hälfte des Schnittes
auf die Platte gebracht werden.)
Li Muse. lingualis.
Z Zungenbein schief getroffen.
Fig. 2. Sagittalschnitt durch die menschliche Zunge nach der Mittellinie.
Vergrösserung 12.
(Auch hier konnte nur die hintere Hälfte abgebildet werden).
E Epiglottis.
Gg Musc. Genioglossus.
Ueber die Muskeln der menschlichen Zunge. 105
Gh Musc. Geniohyoideus.
Ls obere Längsmuskellage.
S das am Unterkiefer entspringende Sehnenblatt des Musc. Genioglossus.
Z Zungenbein.
Fig. 3. Flachschnitt durch die menschliche Zunge (hinterer Theil, nur
eine Hälfte).
Stg der von hinten her in die Zunge eindringende Muse. Styloglossus. Der-
selbe theilt sich in zwei Portionen, von denen die eine nach vorwärts geht, die
andere dagegen nach einwärts zur
R Raphe, die als heller Saum erscheint.
Fig. 4. Frontalschnitt durch die Zunge der Katze am Ende des vordern
Drittels. Vergrösserung 10.
Gg Musc. Genioglossus.
ZLs Longitudinalis superior.
Li Untere Längsmuskellage.
Im Uebrigen ist das Bild mit Hülfe der Fig. 1 auf Taf. III. leicht zu ver-
‘stehen.
Fig. 5. Frontalschnitt durch die Zunge des Maulwurfs, Vergrösserung 15.
Taf. III.
Fig. 1. Frontalschnitt am Ende des vordern Drittels der menschlichen
Zunge (vom Neugebornen). Vergrösserung 7.
R Raphe.
Gg Musc. Genioglossus.
pr. Art. profunda linguae.
Die Querschnitte der longitudinalen Fasern bilden einen Mantel um die
Peripherie der Zunge, welcher durchsetzt wird von den Enden der von der
Raphe entspringenden Transversusfasern und von einem Theile der perpendicu-
lären. Letztere sind in der untern Längslage nicht in dem Maase bis zur
Schleimhaut zu verfolgen, wie die transversalen Fasern, sondern sie scheinen
grossentheils zwischen den querdurchschnittenen unteren Längsfasern zu endigen.
Fig. 2. Schnitt durch die menschliche Zunge (halbsagittal, in der Richtung
der perpendiculären Fasern), Vergrösserung 25.
HG Bündel vom Musc. Hyoglossus, welches nach aufwärts umbiegt und
sich einem perpendieulären Blatte beigesellt.
Ls obere, Li untere Längsmuskellage; 7r Querschnitte der transversalen
Blätter,
Fig. 3 u. 4. Sagittalschnitte durch die Katzenzunge (freier Theil). Ver-
grösserung 71).
Fig. 3 nahe dem Seitenrande, Fig. 4 nahe der Mittellinie. — Zur Demon-
stration der Ausstrahlung der Transversusbündel.
Ls obere Längsmuskellage.
106 Dr. Hzsse. Ueber die Muskeln der menschlichen Zunge.
Li untere Längsmuskellage.
Tr Querschnitte der transversalen Blätter, zwischen denselben die perpen-
dieulären.
Fig. 5. Flachschnitt durch die Katzenzunge, vorderes Drittel. Vergrösse-
rung 10.
Ls obere Längslage.
Tr transversale Blätter.
P Querschnitte der perpendiculären Blätter.
In der oberen Längslage stellen sich die Querschritte der perpendiculären
Fasern zu sapittalen Blättern hinter einander, übrigens aber zu frontalen
Blättern neben einander.
Die oberen und unteren Muskeln der Lippen.
Von
W. Henke, Professor in Prag.
Hierzu Tafel V.
Die Muskeln des Gesichts, deren bedeutendster Theil sich rings
um die Mundspalte zusammenschliesst, sind nach ihren Ursprüngen,
d. h. ihren Anheftungen an Knochen von Alters her ebenso wie die
des Skeletes charakterisirt und ihre Beschreibung in diesem Sinne ist
noch neuerlich von HENLE in seinem grossen Handbuche gründlich
und mit vortrefflichen Abbildungen revidirt. Viel unbestimmter sind
in der alten und neuen Literatur die Angaben über die Endigung
dieser Muskulatur an der Haut, welche ihr im Gegensatz zu den
Skeletmuskeln eigenthümlich ist, und besonders fehlt es noch so gut
wie ganz an Abbildungen, welche diese ihre Endigungen an-
schaulich machen. Man verfolgt sie als Einheiten bis dahin, wo
sie sich nicht mehr einfach von einander trennen lassen, und hier
gehen sie dann in die unbestimmten Schichten eines Zusammenhanges
mit der Oberfläche oder zuvor einer Durchflechtung mit einander
über. Eine Analyse der einzelnen Faserzüge von hier an, wie sie
ähnlich für die Durchdringung der Muskeln in der Zunge bereits
vorliegt, wird erst ein vollständiges Bild von ihnen geben und nament-
lich kann nur eine anschauliche Vorstellung von diesen ihren Endigun-
gen auch zu einem richtigen Verständniss ihrer Wirkungsweise die
anatomische Grundlage abgeben.
LANGER!) hat schon vor einer Reihe von Jahren einmal mit einer
kleinen dahin zielenden Arbeit mitten in den Zusammenhang des so-
genannten Orbicularis oris hineingegriffen, von dem es längst bekannt
ist, dass er keine in sich abgeschlossene Einheit darstellt, da von
allen Seiten her Fortsetzungen anderer an Knochen entspringender
Muskeln in ihn eintreten. Er hat nachgewiesen, dass andererseits
1) Ueber den Musculus orbieularis oris. Medicin. Jahrbücher, Zeitschrift
der k. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien. 1861.
108 W. Hosen,
innerhalb der dadurch zusammengesetzten Masse die Fasern nicht
ununterbrochen fortlaufen, sondern um die Mitte der Lippen aus der
zusammenhängenden Masse austreten und an der Haut endigen, so
dass also der ganze unter dem Namen ÖOrbicularis begriffene Complex
in zwei Seitenhälften (oder vier Seitenhälften der Ober- und Unterlippe)
zerfällt, welche nicht eigentlich in einander übergehen und also auch
unabhängig von einander wirken können, welche dagegen über die
Grenzen des Complexes hinaus mit andern Muskeln in continuirlicher
Verbindung sind. Ich habe von den letzteren ausgehend seit längerer
Zeit wiederholt untersucht, wie sie sich beim Eintritte in die Lippen
verhalten, namentlich wie die von oben und unten kommenden theils
direct an die Haut treten, theils erst in den Orbicularis eingehen.
Ich habe mich dabei gar keines wesentlich neuen Verfahrens
bedient, sondern nach alter Weise erst die Haut und dann die Muskeln
selbst schichtenweise abgetragen. Ich habe nur die eine alte Pro-
sectorenmanier verlassen, nach Entfernung der Haut über alle Theile
der blosgelegten Muskeloberfläche so mit dem Finger hinzustreichen,
dass sie einander und einem reinpräparirten Skeletmuskel möglichst
ähnlich werden, sondern mich im Gegentheil befleissigt, den Unter-
schied möglichst deutlich darzustellen, im Präparate und dessen Ab-
bildung zwischen solchen blosgelegten Muskelstücken, die sich in der
That bei ihrer Bloslegung glatt in sich geschlossen wie ein Skelet-
muskel darstellen, und solchen, welche dagegen nach Entfernung der
Haut eine zerrissene Oberfläche mit lauter abgeschnittenen hervortreten-
den Faserbündeln zeigen; denn dies sind ja die Ansätze an die Haut, also
das, worauf es in erster Linie ankommt. Das Zweite ist dann die
Zerlegung der sich durchkreuzenden Faserzüge durch successive Auf-
deckung. Besonders gut ist mir dies an der Gesichtsmaske eines Ent-
haupteten, die längere Zeit in Spiritus gelegen hatte, gelungen, woran
ich es vor drei Jahren auf der Naturforscherversammlung in Rostock
demonstrirt habe. Indem ich nun die Abbildungen dieser Präparate
in auf einander folgenden Schichten als ein Paradigma hier vorlege
und die Ergebnisse der Untersuchung an der Hand derselben berichte,
glaube ich zugleich ein etwas neues Schema der Hauptmuskeln der
Lippen, besonders der oberen und unteren aufstellen zu sollen, auf
welches sich auch eine einfache Definition ihrer Wirkung, sowohl
einzeln als in ihrern Combinationen gründen lässt.!)
1) Eine grobe Abbildung dieser Art und eine etwas eigenthümliche Be-
schreibung dieser Muskeln habe ich bereits in der ersten Auflage meines Atlas
der topogr. Anatomie 1867, Fig. 1 auf Tafel LXIX u. S. 268 gegeben.
Die oberen und unteren Muskeln der Lippen. 109
Die Grundlage der Muskulatur in den Lippen, den grössten, zu-
sammenhängendsten Theil des sogenannten Orbieularis bildet bekannt-
lich die Fortsetzung des Buccinator, indem die horizontalfaserige
glatte starke Ausbreitung desselben, der Schleimhaut anliegend aus
der Backe in die Lippen ohne viel Veränderung, nur mit einigen
Durchkreuzungen der Bündel vorher, oberhalb und unterhalb der
Mundspalte weitergeht. Man hat deshalb auch diese ganze zusammen-
hängende Muskeldecke der Wand des Vorhofes der Mundhöhle bereits.
ganz passend als Buccolabialis zusammengefasst. Denn zwischen dem
gespaltenen Theile in den Lippen und dem zusammenhängenden in
den Backen ist gar keine bestimmte Grenze zu finden, wenn man sie
von der Schleimhautseite bloslest. Von aussen aber wird nur dadurch
das Vorderende des Buccinater scheinbar abgeschlossen, dass er unter
dem Rande der oberflächlichen Muskeln der Lippen verschwindet.
Aus diesen nun ist in der hergebrachten Systematik der Antheil,
welcher in den Lippen selbst, mehr oder weniger die Spalte derselben
umkreisend verläuft und der Fortsetzung des Buccinator in derselben
fest aufliegt, noch mit ihr. als Orbicularis zusammengefasst, davon
aber noch solche Muskeln unterschieden, die mit deutlichen Ursprün-
gen. von beiden Kiefern herkommen, Anfangs isolirbar wie Skelet-
muskeln verlaufen und glatt herauspräpärirt werden können, dann
aber in die Lippen eintreten. Dies sind die oberen und unteren
Muskeln, deren Endisung wir aufsuchen wollen.
Wir können dieselben wesentlich in zwei für beide Lippen ana-
loge Arten, für welche auch thbeils von HENLE, theils von mir bereits
analoge Bezeichnungen gebraucht worden sind, gruppiren: 1) solche,
welche die Grenze beider Lippen nicht überschreiten, sondern vom
Oberkiefer einfach in die Oberlippe, vom Unterkiefer in die Unter-
lippe übergehen. Sie stellen breite parallelfaserige Platten von Bün-
deln dar, welche in langer Reihe an schmalen Linien beider Kiefer
entspringen und sich in beiden Lippen breit an die Haut inseriren,
daher der Name Quadratus, welcher für den unteren von Alters her in
Gebrauch, von HENLE auf den oberen übertragen worden ist, um die
von der alten Systematik getrennten Theile desselben (Levator labii et
alae nasi, Levator labii proprius und Zygomaticus minor) zusammen-
zufassen; 2) solche, welche nicht in die ihrem Ursprunge zunächst
liegende Lippe eintreten, sondern vom Ober- und Unterkiefer zunächst
gerade nach ab- und aufwärts laufen, um sich in einer Durchflechtung
mit einander und mit den oberflächlichen Schichten des Orbieularis
am Mundwinkel zu begegnen. Wenn wir sie nur bis hierher ver-
folgen, so passt auf beide der Name Triangularis, der ebenfalls für
110 Ä ee
den unteren althergebracht, von mir seiner Zeit auch schon auf den
oberen (Levator anguli oder Caninus) übertragen ist. Denn beide
stellen kleine dreieckige Platten von Bündeln dar, welche von einem
ausgebreiteten Ursprunge am Knochen zu dem Eintritte in jene Durch-
flechtung convergiren. Zwischen diesen beiden Arten der Muskeln
oben und unten besteht nur der topographische Unterschied, dass der
obere Quadratus den Triangularis von Anfang an als oberflächliche
Schicht deckt, bis er in der Lippe endigt und jener dann unter ihm
zum Vorschein kommt, der untere dagegen umgekehrt von dem
Triangularis von Anfang an bedeckt wird und erst unmittelbar vor _
seiner Insertion an die Lippe unter dem vorderen Rande desselben
hervortritt, so dass dieser eben dadurch eine so einfach deutliche, so
vollkommene Abgrenzung gegen die nächsten Parthien des Orbicularis
und dessen Anhänge (Mentalis und Incisivi) erhält, wie sie zwischen
dem oberen Triangularis und dem Seitenrande des Orbicularis (nebst
Ineisivi und Nasalis) erst nach Aufhebung des Quadratus künstlich
dargestellt werden kann. Endlich schliessen sich allen diesen Muskeln,
oberen und unteren, von der Seite her die isolirteren länglichen Bün-
del, oben des Zygomatieus, unten der Ausläufer des Subeutaneus colli
(Risorius) an.
Was nun zunächst die Quadrati betrifft, so werden dieselben nach
Entfernung der Haut mit ihren Insertionen an dieselbe sogleich voll-
ständig aufgedeckt (Fig. 1.), sind leicht zu Ende zu verfolgen, da sie
sich mit anderen nicht verflechten und ihre Ansätze sind daher auch
meist, namentlich von HENLE schon richtig beschrieben. Besonders
gilt dies von den oberen, weil er, wie schon berührt, in seiner ganzen
Ausdehnung oberflächlich vorliegt. Es mag trotzdem nicht überflüssig
scheinen auch ihren Verlauf und Ansatz an der Hand der Abbildung
hier auch erst noch einmal kurz imZusammenhang darzustellen.
Der obere kommt mit breiter glatter Vorderfläche von den Ur-
sprüngen seiner verschiedenen Portionen am Nasenrücken (Levator
labii et alae nasi) und vom Rande der Orbita unter dem des Orbieu-
laris palpebrarum hervor (Levator labii proprius) und lässt sich von
da abwärts sehr leicht und rein abpräpariren. Seine Fasern laufen
hier meist parallel schräg ab- und vorwärts gegen die Mitte des Mun-
des; nur die medialsten legen sich über die nächsten etwas über.
Dann fängt er am hintern Rande des Nasenflügels und in der ganzen
schrägen Linie, welehe von da nach der Seite und unten etwas, ober-
halb des Mundwinkels gegen die Backe hin ausläuft, an, sich
sogleich mit den dicht zusammengedrängten Enden aller seiner ober-
Die oberen und unteren Muskeln der Lippen. 111
flächlichen Fasern an die Haut zu inseriren. Weiterhin breiten sich
dann die übrigen, die darunter noch hervortreten, abwärts in einem
dreieckigen Gebiete zuletzt ziemlich dünn verlaufend aus, welches
sich mehr oder weniger dem Lippenrande parallel ziemlich unbestimmt
abgrenzt, ungefähr aber die Ausdehnung hat, in welcher die Haut in
der Peripherie der Oberlippe seitwärts vom Nasenflügel herab meist noch
keinen starken Bartwuchs zeigt. Man kann daher etwa sagen, das
Hautstück, unter welchem die Imsertion des oberen Quadratus aus-
gebreitet ist, wird begrenzt durch den Schnurrbart, den Nasen-
flügel und die Falte, welche von letzterem schräg abwärts verlaufend
eine Grenze von Backe und Lippe bildet, und in ihrer Ausprägung,
wie wir sie deutlich beim Lachen sehen, spricht sich die Wirkung
des Muskels als Angriff auf seine Insertion deutlich aus. Er hebt die
Oberlippe, wie es die alten Namen seiner Theile schon ausdrücken,
indem er die auf ihm angewachsene Hautparthie derselben in toto fest
anfasst und nach oben und der Seite zieht, wobei der Nasenflügel
zugleich etwas gedreht wird. Dadurch wird dann aber zugleich die
Haut oberhalb der Insertion, welche an der glatten Vorderfläche des
Muskels lose aufliest, rein passiv vor ihm, wenn er-sich verkürzt,
hervorgebaucht, wie die des Ulnarrandes vom Handteller vor dem
Talmaris brevis.
Der untere Quadratus hat. bekanntlich überhaupt keine solche
frei präparirbare glatte Vorderfläche, da der Verlauf seiner Fasern vom
Ursprung zur Insertion nicht offen unter der Haut liest, sondern vom
Triangularis bedeckt wird, vor dessen vorderem Rande sie erst hervor-
treten, um sich dann von da an sogleich zu inseriren. Die Richtung
und Anordnung des Verlaufs aber und die Insertion sind ganz analog
wie beim oberen. In parallelen Zügen verlaufen alle Bündel der
breiten Platte des Muskels auf- und medianwärts gegen die Mitte des
Mundes hin und vertheilen sich allmälig zu der ausgebreiteten Inser-
tion an die Haut des Seitentheiles der Unterlippe, wie die des oberen
an die der Oberlippe, nur in weiterer Ausdehnung vom Rande des
. Triangularis bis hart an den der Lippenspalte, mit dem Seitenende
auch näher an den Mundwinkel heran, mit dem medialen Rande die
Hautprominenz des Kinnes streifend, wie am oberen den Nasenflügel.
Dazu kommt die äusserliche Aehnlichkeit, dass auch hier die Haut
über der Stelle weniger Bartwuchs hat als die ringsumgebende. Bei
der Wirkung des Muskels, der Herabziehung der Unterlippe, wird
diese Hautparthie ebenfalls in toto und fest zusammengehalten, gegen
den Ursprung desselben herabgezogen, dagegen markirt sich keine so
scharfe Seitengrenze dieser Hineinziehung gegen Hervorwölbung der
112 W. Henke.
Haut jenseits derselben, weil die letztere hier, wo sich der Triangu-
laris zwischenschiebt, eben nicht, wie oben, lose vor dem Quadratus
liest und sich abheben kann.
Das wesentlich gemeinsam Charakteristische beider Quadrati be-
steht also in der ausgebreiteten Insertion, ähnlich der der Muskeln in
der Zunge an die Schleimhaut, auf der Unterfläche von Hautstücken,
die ihnen fest anhaften. Hier existirt demnach in nicht geringer Aus-
dehnung so entschieden wie an keiner andern Körperstelle gar kein
lockeres Unterhautbindegewebe (selbst nicht auf den Nackenmuskeln,
wo es freilich in weit grösseren Stücken auch sehr kurzfaserig ange-
löthet ist). Daher erklärt es sich wohl aus diesem rein anatomischen
- Grunde, dass subcutane Abscesse an diesen Stellen, wie bekanntlich
namentlich an der Unterlippe so leicht einen karbunkelartigen,; die Haut,
in vielen Gängen unterminirenden Charakter annehmen (wie ähnlich
auch am Nacken), weil sie nicht wie sonst im lockeren Gewebe zu
einer Eiterhöhle zusammenfliessen können. Präpariren wir die Haut
an diesen Stellen von den Muskeln ab, so sind dieselben eben damit
von ihrer Insertion abgeschnitten und dies abgeschnittene Ende ihrer
Fasern erscheint als ein zerrissenes abgebrochenes Endstück ihrer Ober-
flächen, welches sich durch sein ruppiges Ansehen von den glatt
präparirten Stücken deutlich unterscheidet, wie es auch hier in den
Abbildungen (Fig. 1, etwas stärker beschnitten auch noch in Fig. 2 für
den oberen) angedeutet ist. Es liegt noch an Stelle der Haut, die
daran befestigt war und deckt einen Theil der Vorderfläche des Orbi-
cularis in beiden Lippen. Ein Eintreten von Fasern der Qnadrati in
den Orbicularis, von dem in vielen Büchern noch geredet wird, findet
durchaus nicht statt. Diese Muskeln sind also zunächst vollständig
für sich ohne Durchkreuzung mit andern von ihren Ursprüngen an
beiden Kiefern bis zur Insertion an die Haut der gleichnamigen Lippen
zu verfolgen und zu übersehen. Ebenso einfach stellt sich auch für
sich allein ihre Wirkung dar, die übereinstimmend darin besteht, die
Oberlippe nach oben, die Unterlippe nach unten vor den Zähnen aus- .
einander zu ziehen.
Die Triangulares dagegen sind von ihren Ursprüngen am Ober-
und Unterkiefer an, getrennt nur bis dahin zu verfolgen, und zwar bis
dahin auch ganz leicht, weil ganz glatt frei präparirbar, wo sieam Mund-
winkel mit spitzen, durch Convergenz ihrer Bündel formirten Enden
auf einander stossen und sich zugleich mit den Seitenrändern der ober-
tlächlichen Schichten des Orbicularis, welche zu derselben Stelle hin
convergiren, eng zusammenschliessen. Hier ist denn auch für die alte
Die oberen und unteren Muskeln der Lippen. 113
Systematik ihr Ende erreicht. Hexte!) lässt sie hier zum Theil
wirklich endigen, indem er ein Ligament der Lippencommissur beschreibt,
einen Sehnenstreifen, der sich vom Mundwinkel seitwärts erstreckt
und eine Art Rendez-vous der verschiedenen Muskeln darstellen würde,
die hier zusammenstossen. Daran ist etwas Wahres. Es giebt im
Innern des Wirbels, den die Convergenz der Muskeln hier bildet, An-
deutungen von Verknüpfung oder Unterbrechung der zu ihr heran-
tretenden Muskelbündel durch bindegewebige Inscriptionen. Aber über-
wiegend hat doch diese Vereinigung convergirender Bündel in einer
festen Commissur der von oben und unten herantretenden, welche
hier zwischen Haut und Schleimhaut einen starken Fleischstrang
bilden, den Charakter einer Durchkreuzung, in welcher dieselben ziem-
lich direet gegenseitig in einander übergehen. Die Analyse dieser
Durehkreuzung, die Verfolgung der von oben und unten herantreten-
den Bündel durch dieselbe hindurch zu ihrer jenseitigen Fortsetzung
war die Hauptaufgabe, die ich bei meiner Präparation verfolgte.
Hier kann nun zunächst eins ausgeschlossen werden, was in ver-
schiedenen Beschreibungen angeführt wird, nämlich ein directer
Uebergang von Bündeln des oberen und unteren Triangularis (Levator
und Depressor anguli oris) in einander, wodurch sie sich zu einer
directen Verbindung zwischen Ober- und Unterkiefer, einer Art von
zartem Kaumuskel vereinigen würden. Es kann allerdings an gewöhn-
lichen frischen Präparaten leicht so scheinen. Die Seitenwände beider
Muskeln bilden neben dem Mundwinkel vorbei einen vereinigten star-
ken Wulst, hinter dem der Buccinator in die Lippen hinein verschwin-
det und wenn die Bündel, die hier am Rande liegen, sich etwas weich
in einander hinein schmiegen, kann es wohl so aussehen, als liefen
sie zusammenhängend an demselben herunter. Bei genauer Bloslegung
wird es aber doch wohl immer gelingen, nachzuweisen, dass dieser
Rand gerade da, wo er am stärksten ist, in der Höhe des Mundwinkels
nicht mit Bündeln abschliesst, die ihm entlang ziehen, sondern ähn-
lich wie der von der Brust zum Arm überspringende des Pectoralis
major seine Rundung einer Aufwickelung verdankt, in welcher jedes
Bündel etwas schräg um ihn herumbiegt, um auf- oder abwärts, nach
hinten oder vorn über die nächst angrenzenden hinweg weiter zu ver-
laufen. Auf diese Art gehen alle Fasern beider Triangulares aus
der steil ab- oder aufwärts vom Ursprunge her kommenden Richtung
bei der Kreuzung in einen jenseits derselben medianwärts ge-
richtetenWeiterverlauf über. Der obere tritt in die Unterlippe, der
1) Muskellehre $. 146, 147.
Zeitschrift f. Anatomie. Bd. I. RS
114 W. Henke.
untere in die Oberlippe ein. Und zwar liegen in der Kreuzung
zuvorderst unter der Haut der Commissur oberflächliche Bündel des obe-
ren und ziehen schräg ab- und medianwärts über die des unteren weg,
welche ebenso schräg auf- und medianwärts hinter ihnen verschwinden
(Fig. 1). Dringt man tiefer ein, so wechseln Lagen von beiden mit
einander ab. In ihrer ganzen Dicke ist also die Verbindung beider
Muskeln ein gekreuzter Verlauf ihrer Bündel zwischen einander durch,
wodurch sie hier auch mit einander verknüpft sind.
Daraus geht nun zunächst in den oberflächlichen Lagen (Fig. 1)
ein nach oben und unten vom Mundwinkel gegen die Lippen hin aus-
strahlendes Büschel von Faserbündeln hervor, welches die in die Kreu-
zung eintretenden Theile des Orbicularis deckt und sich ähnlich wie
die Quadrati in der Richtung gegen die Seitenenden von den Inser-
tionen der letzteren ebenfalls an die Haut ansetzt. Insbesondere die
aus dem oberen Triangularis (Levator anguli s. Caninus) stammende
Ausstrahlung abwärts vom Mundwinkel schliesst sich eng an die
lateralen Bündel des unteren Quadratus an, wo diese unter dem Rande
des unteren Triangularis hervortreten, und schiebt sich ihnen sogar
mit einem schmalen, an diesem Rande herablaufenden Streifen vor.
Sie bewirkt offenbar die vom Mundwinkel nach unten ausgehende ein-
gezogene Falte, und diese geht demnach in die Seitengrenze des
Hautgebietes, welches von der Wirkung des untern Quadratus nach
unten eingezogen wird, mit directem Zusammenhange über. Nach
oben dagegen erreichen die direct an die Haut ausstrahlenden Bündel
des unteren Triangularis keinen so dichten Anschluss an die des
oberen Quadratus und die Einbiegung der Haut, welche als Ausdruck
ihres Angreifens auch nach oben vom Mundwinkel ausgeht, hat keinen
bestimmten und ununterbrochenen Zusammenhang mit jener, welche vom
hinteren Rande des Nasenflügels als Grenze von Lippen und Backen
herabzieht, sondern das obere Ende der ersteren und das untere der
letzteren verlieren sich ziemlich unbestimmt und mit vielen indivi-
duellen Schwankungen gegen einander hin. Im einzelnen hängt dies
auch von den zerstreut hinzutretenden Insertionen des Zygomaticus
ab, auf die ich hernach noch komme.
Decken wir nun weiter auf, indem wir die oberflächlichen Bündel
der gekreuzten Enden beider Triangulares mit ihren Insertionen an
der Haut auf- und abwärts vom Mundwinkel abtragen (Fig. 2 u. 3),
so finden wir darunter lagenweise über einander andere, welche gleich-
falls sich in der Art kreuzen, dass die aus dem oberen und unteren
Triangularis herkommenden an einander vorbei und nach der Kreuzung
medianwärts weiter laufen. Hier liegen nun ihre Fortsetzungen zunächst
Die oberen und unteren Muskeln der Lippen. 115
unter jenen in der Nähe der Mundwinkel an die Haut inserirten
Büscheln und ebenso im weiteren Verlaufe unter den Hautinsertionen
beider Quadrati. Hier ziehen sie, nach der Kreuzung wieder diver-
girend ausgebreitet, zu der Mitte der beiden Lippen. Hier bilden sie
mit Einem Worte den grössten Theil der oberflächlichen Lagen des
Orbieularis, welcher sich, wie LANGER schon beschrieben hat, in der
Mitte beider Lippen an die Haut inserirt, und also in der Oberlippe
die Fortsetzung des unteren, in der Unterlippe die Fortsetzung des
oberen Triangularis ist.
Es ist klar, dass die Kreuzung beider Triangulares in der Com-
missur der Lippen zunächst für beide eine Verknüpfung ihres Verlaufes
mit einander ebenso gut bedeutet, als wenn sie sich hier beide an
einem gemeinsamen Ligament oder sonstigen Vereinigungspunkt inse-
rirten, dass also ihre Wirkung auf diesen Punkt, bis zu dem sie von
jeher anatomisch verfolgt waren, ganz die sein muss, wie sie die
alten Namen Levator und Depressor anguli oris ausdrücken, dass, wenn
der eine oder andere sich verkürzt, der Mundwinkel herauf- oder herab-
gezogen werden wird. Diesem Zuge müssten auch schon von selbst
die an demselben- Knotenpunkte angehefteten Theile der Lippen mit
ihren Muskeln folgen, die Unterlippe nach oben dem des obern Triangu-
laris (Levator), die Oberlippe nach unten dem des untern folgend.
Der entgegengesetzte muss dabei nachgeben und das kann er auch,
weil sie ja, wie wir gesehen haben, unter einander nicht wirklich als
Fortsetzungen in einander übergehen. Dagegen ist nun ebenso klar,
dass die Fortsetzung beider in die jenseitigen Lippen, die wir eben
verfolgt haben, sich regelmässig zugleich mit ihnen contrahiren und
also die Oberlippe, wenn sie mit dem Mundwinkel herab-, die Unter-
lippe, wenn sie mit ihm hinaufgezogen wird, gleichzeitig in ihrer
sanzen Breite in sich zusammenziehen und nach oben oder unten an-
ziehen wird. So stellt jeder Triangularis mit dem gegenüberliegenden
oberflächlichen Theil des Orbicularis zusammen einen als Einheit
wirkenden zweibäuchigen Muskel und jeder derselben von der linken
und rechten Seite zusammen eine in der Mitte zusammenhängende
Schlinge dar, durch welche die Oberlippe gegen den Unterkiefer hinab,
die Unterlippe gegen den Oberkiefer hinauf gezogen wird, wo die
Enden der Schlinge befestigt sind.
Tragen wir nun endlich den ganzen Rest der in der Lippen-
commissur mit einander durchflochtenen Enden beider Triangulares
ab, so kommt unter ihnen der Eintritt des Buceinator als Buccolabi-
alis in die Lippen zum Vorschein (Fig. 4). Diese seine Fortsetzung ist
von den ihr aufliegenden Theilen des Orbicularis, welche, wie wir
S*
116 W. HENKE,
gesehen haben, die Fortsetzung der von ihnen abgeschnittenen Trian-
gulares darstellen, nicht ganz bedeckt. Dieselben halten sich nicht
dicht an den Lippensaum, namentlich in der Oberlippe weniger als
in der unteren. Hier tritt also Buccolabialis unter ihnen hervor
oberflächlich zu Tage. Daneben bemerkt man nun jetzt eine kleine
Spur auch directer Anknüpfung von einem Bündel oberer und unterer
Orbicularisfasern an einander oder Verknüpfung derselben mit einander
in dem der Commissur der Lippenränder zunächst anstossenden Theile
des von HENLE- beschriebenen Ligaments derselben. Ferner abwärts
vom Mundwinkel ein dünnes Blatt Buecinatorfasern, die nicht als
Buecolabialis in die Lippen mit übergehen, sondern unter dem media-
len Rande des unteren Triangularis hervortreten und sich an die Haut
inseriren; hier sieht man sie in Fig. 3 hervorkommen. Man sollte
dies. eigentlich ebenso auch schon in Fig. 2 sehen können; aber in
diesem Stadium der Präparation muss ich es noch nicht bemerkt haben
und wollte es dann hernach nicht aus dem Kopfe noch in die Zeich-
nung eintragen.
Sodann haben wir nun noch der Endigung der Nebenmuskeln
nachzugehen, welche sich den Seitenrändern der oberen und unteren
Muskeln, Quadrati und Triangulares, nebenanschliessen, namentlich des
Zygomaticus. So bestimmt wie er schon für den Anfänger im Prä-
pariren durch seinen deutlich isolirten Ursprung am Jochbein charakteri-
sirt ist, so unbestimmt verhält er sich am Ansatz. In unserem Falle
wenigstens sind fast alle Möglichkeiten, wie er zuletzt auslaufen
könnte, zu sehen, nur eins wieder nicht, was man ähnlich wie beim
oberen Triangularis auch bei ihm angegeben findet, nämlich Ueber-
gang von Fasern aus ihm in den Seitenrand des unteren Triangularis,
also in letzter Instanz Endigungen am Unterkiefer. Oberflächlich
schliesst er sich ganz dem oberen Quadratus an und demgemäss inse-
riren sich auch versprengte oberflächliche Bündel zur Seite des un-
teren, dünn verlaufenden Endes der Anheftungen des Quadratus da, wo
jene Grenzlinie der letzteren sich vom Nasenflügel herab gegen die
Backe verliert (Fig. 1). Dahinter aber tiefere, welche sich hinter die
Commissur der Triangulares hineinschieben und indem sie sich der
Kreuzung derselben am Mundwinkel anlegen, theils an derselben be-
theiligen und wie die des oberen Triangularis im Orbicularis der
-Unterlippe, theils aber auch noch oberhalb derselben, in flachem Bogen
nach oben und der Mitte hin umwendend in der Oberlippe auslaufen
(Fig. 3 u. 4).
Ueber den Risorius habe ich auf Grund des vorliegenden Materiales
wenig zu sagen, da er an dem hier durchgearbeiteten Kopfe nur durch
Die oberen und unteren Muskeln der Lippen. #17
wenige Bündel vertreten war, welche sich über das obere Ende des
unteren Triangularis hinwegziehend dem Verlaufe und Ansatze des
Quadratus in die Unterlippe anschliessen. Dies dürfte indess auch
wohl ein regelmässig wiederkehrendes Verhalten sein und übrigens
die Endigung dieses Muskels im Einzelnen ebenso variabel sein, wie
die des Zygomaticus, da sich ja dieser ganze laterale obere Ausläufer
oder Anhang des Subcutaneus colli im Gesichte im Ganzen mehr dem
Quadratus als einer Art Fortsetzung seiner ganzen Anordnung, zugleich
aber doch fast ebenso nahe auch dem Seitenrande des Triangularis
anschliesst, wie der Zygomaticus den entsprechenden oberen Muskeln.
Ueberhaupt liegt auf der Hand, dass wir mit jedem weiteren Ein-
gehen auf Einzelheiten in das Gebiet des freien Spielraumes indivi-
dueller Variabilitäten gerathen würden, das gerade an den Gesichts-
muskeln ofienbar sehr gross ist und nur durch Zergliederung eines
sehr zahlreichen Materials einigermassen erschöpfend zu behandeln
wäre. Ich habe dazu bisher keine Zeit und Lust gehabt und auch
die Analyse der Theile des Orbicularis noch nicht bis zu einer Nach-
weisung der Wege, welche die kleineren Zuzüge und Anhänge dessel-
ben, die Ineisivi, Nasalis, Mentalis in ihm einschlagen, durchgeführt;
ich habe mich aber dadurch nicht abhalten lassen wollen, das mit
jener Rostocker Präparation gewonnene Resultat, wie es ist, vorzu-
legen. Und ich glaube es genügt, um in der Hauptsache die Muskeln
in den Lippen nach ihrer Herkunft und Endigung zu ordnen und
ein neues Schema für die Beschreibung derselben aufzustellen,
welches auch für das Verständniss ihrer Wirkungen bequem zu Grunde
zu legen sein wird.
Ich unterscheide also ausser dem Buccolabialis, der zusammen-
hängenden Horizontalfaserschicht, welche als Fortsetzung des Pharynx
aus der Enge zwischen den Backzähnen und dem Unterkieferaste her-
vor, der ganzen Schleimhaut des Vestibulum direct aufliegend durch
Backen und Lippen verläuft, nur zwei Arten von Muskeln, die vom
Ober- und Unterkiefer her dazu kommen und in den Lippen endigen.
Die einen treten ohne Kreuzung in die gleichnamigen Lippen und
inseriren sich in den Seitentheilen derselben ausgebreitet an der Haut,
die Quadrati der Ober- und Unterlippen; die anderen gehen von 'oben
und unten her mit Kreuzung in der Lippencommissur an einander
vorbei in die ungleichnamigen Lippen und inseriren sich an der Mitte.
Sie stellen zweibäuchige Muskeln dar, gebildet aus je einem Triangularis
und einem Viertheil der oberflächlichen Schicht des Orbicularis. Wir
wollen sie Circumflexi nennen; der der Oberlippe kommt vom Unter-
kiefer, der der Unterlippe vom Oberkiefer.
118 W. Hkxeer.
Die Art, wie sie mit ihren Contractionen an ihren Insertionen
angreifen, ist im Einzelnen oben bei ihrer Beschreibung schon erörtert.
Wir haben uns also nur noch klar zu machen, wie ihre Wirkungen sich
bei den gewöhnlichen Arten des Gebrauchs, sowohl des physiologischen
als des mimischen, combiniren werden. Ein näheres Eingehen auf
die Feinheiten der Modellirung des Gesichtsausdruckes würde ebenso
wie eine speciellere Verfolgung des individuell verschiedenen anatomi-
schen Verhaltens hier zu weit führen und letztere schon voraussetzen.
Jeder Quadratus hebt offenbar die Lippe, an der er sich inserirt,
von den Zähnen ab, indem er ihren Seitentheil gegen seinen Ursprung:
heranzieht. Alle vier zusammen sind die Oefinungsmuskeln des Mun-
des, dabei wirken ihnen Buccolabialis und Circumflexi in verschiede-
ner Weise entgegen. Ersterer hält gleichmässig Lippen und Backen
gegen die Zähne angedrückt. Letztere dagegen drängen, wenn sie zu-
sammen wirken, die Lippen von allen Seiten um die Spalte zwischen
ihren Rändern zusammen, indem der eine, Circumflexus labii superio-
ris (Triangularis menti mit Orbicularis in der Oberlippe) die Oberlippe
gegen den Unterkiefer herab, der andere, Circumflexus labii inferioris
(Levator anguli s. Caninus mit Orbicularis in der Unterlippe) die
Unterlippe gegen den Oberkiefer hinaufzieht, und beide oder vielmehr
alle vier zusammen die Mundwinkel, wo sie sich kreuzen, nach der
Mitte hin drängen, da auf diese Weise jeder für sich in eine gerade
Verkürzungslinie zwischen seinem Ursprung und Ansatz gespannt
wird. Wirken sie mit dem Buccolabialis zusammen, so bleibt der
Mund fest geschlossen. Erschlafft aber der Buccolabialis und die
Quadrati wirken dagegen mit den Circumflexi zusammen, so werden
die Lippen mit dem freien Rande von den Zähnen abgehoben, mit
den peripheren Theilen aber, in welchen die Circumflexi nach der
Kreuzung verlaufen, und mit den Commissuren des Mundwinkels von
allen Seiten zusammengedrängt. Der Mund wird rüsselförmig vor-
gestreckt.
Einfach wie in diesen Hauptacten des physiologischen Gebrauches
der Lippen das Zusammenwirken der gleichnamigen oberen und unte-
ren- Muskeln ist die Combination des Angreifens nur der vom Ober-
kiefer oder Unterkiefer entspringenden bei den beiden bedeutendsten
mimischen Bewegungen in der Umgebung des Mundes, beim Lachen
und Weinen. Denn beim ersteren wird offenbar die Oberlippe geho-
ben (Quadratus labii superioris), zugleich ebenso der Mundwinkel und
mit ihm aber noch auch die Unterlippe emporgezogen und gespannt
an die Zähne angehalten (Cireumflexus labii inferioris), beim Weinen
umgekehrt ziehen die Circumflexi labii superioris die Oberlippe und
Die oberen und unteren Muskeln der Lippen. 119
den Mundwinkel herab, während die Unterlippe durch ihren Quadratus
von den Zähnen abgehoben wird. Man kann sagen: beim Lachen
wird die Oberlippe geöffnet, die untere wie zum Schliessen angezogen;
beim Weinen wird die obere fest angehalten, die untere losgelassen,
dass sie zitternd herabhängt.
Wie man es sich erklären soll, dass diese Bewegungen gerade den
heiteren und trüben Gemüthsstimmungen zum Ausdruck dienen, wie
sie dies factisch thun, ist schwer zu sagen. Wollte man sich daran
halten, dass die Erhebungen beider Lippen eine erhobene innere Be-
wegung andeuten und umgekehrt, so wäre dies nur ein Wortspiel.
Eher könnte man daran denken ihren tieferen Sinn in einer Analogie
mit ursprünglich physiologischen Acten zu suchen. Eine solche halbe
Oefinung des Mundes, wie sie die Abhebung der einen Lippe von den
Zähnen, die Andrückung der anderen an dieselben darstellt, kommt
auch vor beim Aufnehmen von Nahrung und zwar isolirte Vorstreckung
der Unterlippe verbunden mit der des Unterkiefers beim Beissen, da-
gegen die der Oberlippe mit zurückgehaltener unterer beim Schlürfen.
Daraus ergäbe sich, wenn jenes hernach symbolisch eine gedrückte,
dieses eine aufgemunterte innere Verfassung des Menschen ausdrückt,
ein innerer Zusammenhang des Essens mit der niederen Bedürftigkeit,
des Trinkens mit dem höheren Aufschwunge des Lebens. Denken wir
also auch an den weisen Spruch: „Das Essen, nicht das Trinken bracht
uns ums Paradies“, und trinken wir mit lächelndem Munde auf das
Gedeihen der neuen Zeitschrift für Anatomie und Entwickelungs-
geschichte!
Erklärung der Abbildungen.
%
Fig. 1. Erste Schicht. nur die Haut abpräparirt. Man sieht die Insertionen
beider Quadrati an die Lippen und die oberflächlichen Lagen beider Triangu-
lares nach der Kreuzung oberhalb und unterhalb des Mundwinkels mit freien
Enden blosgelegt.
Fig. 2. Zweite Schicht, die Insertionen beider Quadrati, namentlich des
unteren schon zurückpräparirt, von der Durchkreuzung der Triangulares die
oberflächlichen Lagen mit ihren Insertionen an die Haut in der Nähe des Mund-
winkels abgetragen. Man sieht die tieferen Bündel des oberen Triangularis in
den unteren Orbicularis übergehen.
120 W. Henke. Die oberen und unteren Muskeln der Lippen.
Fig. 3. Dritte Schicht, die Quadrati ganz kurz abgeschnitten, der obere
Triangularis ebenfalls oberhalb der Kreuzung ganz durchschnitten und sein unteres
Ende von der Kreuzung und der Verbindung mit dem Orbieularis der Unter-
lippe abgetragen und getrennt. Man sieht nun den unteren Triangularis in den
Orbieularis der Oberlippe übergehen.
Fig. 4. Vierte Schicht, die ganze Kreuzung bis auf den Buecinator und
Orbicularis abgetragen. Man sieht die Fasern des ersteren in die dem Rande
der Lippen zunächst blos liegenden des letzteren übergehen, indem sie hinter
den noch darüber liegenden mehr peripheren, von denen die Kreuzung ab-
getrennt ist, hindurch verlaufen.
Zur endgültigen Heilung der Brüche am obern Ende
des Oberschenkelknochens.
Von
Dr. L. Rabe,
Assistent der chirurgischen Klinik zu Halle.
Für die neuerdings von mehreren Seiten besprochene Frage nach
dem schliesslichen Heilungsergebniss der Schenkelhalsbrüche scheint
mir ein Präparat von gewisser Bedeutung zu sein, das unter alten
Leichentheilen der anatomischen Anstalt zu Leipzig vorgefunden wurde
und welches Herr Professor BRAUNE mir zur Verfügung zu stellen die
Güte hatte. Dasselbe gehört der linken Hälfte eines erwachsenen muskel-
starken männlichen Beckens an, über welches weiteres nicht mehr er-
mittelt werden kann. An demselben fällt in Bezug auf die äussere
Form sofort die rechtwinklige Stellung des Halses zum Schaft auf,
der Höherstand der Spitze des grossen Trochanters über dem höchsten
Punkt des Kopfes, die Verkürzung des Halses, sowie endlich die Ver-
diekung der Trochantergegend, besonders auf der vordern Seite, an welcher
(s. Fig. A. auf umstehender Seite) sich nach Entfernung der dicken auf- und
zwischen gelagerten Periostschichten eine Reihe unregelmässiger, jedoch
an den Kanten abgestumpfter, innig mit der Knochenoberfläche zusam-
menhängender Schollen von der Mitte der Aussenseite des grossen
Trochanters bis zum untern Rand des kleinen Trochanters zeigt; auf
der hintern Seite des Schenkels sind diese Ungleichheiten (Fig. A) an
entsprechender Stelle ebenfalls vorhanden, jedoch bei weitem nicht so
hervorspringend; der obere Theil des grossen Trochanters und die Grube
hinter demselben mit ihren Muskelansätzen, sowie Hals und Kopf er-"
scheinen in ihrer Oberfläche normal, sie sind bei der ehemaligen
Fractur, welche durch den untern Theil der beiden Trochanteren ging,
nicht in Theilnahme gezogen worden. Nach der Durchsägung des
122 RıAgBE. Zur endgültigen Heilung
Knochens frontal in der Mitte zeigte sich ein höchst auffallendes Bild:
Die untere Seite der Rindenschicht des oberen Bruchstücks, tief in das
untere eingedrungen, ist durch compacte Substanz breit mit der Bruch-
fläche der Rinde des letztern vereinigt; von der Stelle der Einkeilung
steigt im Kopfe der starke Stützstrahl ziemlich steil zum oberen Theil
der Gelenkfläche, während die Gegend um den Ansatz des runden
Bandes herum in weiterem Umfang von grösseren Marklücken durch-
setzt ist; das Innere des Halses ist in eine grosse unregelmässige
Markhöhle verwandelt, bis auf den obern Theil, in welchem die Züge der
Knochenbögen vom Kopfe zum lateralen Theil des untern Bruchstücks
hinüberziehen: diese Höhle des Halses ist von dem grossen Markraum
des Schaftes völlig getrennt durch eine Schicht spongiöser Substanz,
in welcher sich die alte Bruchlinie noch verfolgen lässt; auch im
Fig. A. Fig. B.
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grossen Trochanter tritt eine grössere für sich bestehende Markhökle
hervor.
Ein mit der Bogensäge frontal aus der Mitte herausgeschnittenes
und durch kochende Kalilauge gereinigtes Plättchen stellt die Photo-
lithographie Tafel XVI, Fig. 1 dar, zur Vergleichung als Normale diene
das aus entsprechender Stelle eines kräftigen männlichen Oberschen-
kels gewonnene Fournierblatt, welches ähnlich jener Bruchlinie durch-
schnitten und in seinen Bruchstücken wie in unserm Präparat ge-
lagert, der Fig. 2 der Tafel zu Grunde liegt, also eine Vorstellung der
Fractur bei ihrem Entstehen giebt. Die Vergleichung wird ziem-
lich genau gestattet durch Aufeinanderlegen der von beiden Schnitten
gewonnenen Pausen und ist so sorgfältig wie möglich durch die Ueber-
der Brüche am obern Ende des Oberschenkelknochens. 123
deckung der Originalphotographie des einen mit dem Präparat des
andern Schnittes ausgeführt worden. Dabei ergiebt sich nun, dass die
grossen Verschiedenheiten im Haupttheil des obern Bruchstücks nur auf
Veränderungen quantitativer Natur beruhen, es sind einzelne Bälkchen-
systeme, welche infolge der Veränderung ihrer Lage mehr in Anspruch
genommen wurden, verstärkt, andere, welche an Bedeutung verloren,
atrophirten oder räumten selbst völlig dem Markgewebe den Platz,
aber nirgends findet sich eine nachweisliche Veränderung in der Richtung
der Züge. Bei dem ersten Anblick fanden wir die Masse der im Kopf
aufsteigenden Stützbälkchen sich steiler von der untern Rindenschicht
ablösen, aber eine genaue Betrachtung zeigt, dass die einzelnen Bälk-
chen nicht parallel laufen mit der Richtung der ganzen Masse, dass
sie vielmehr eins nach dem andern auf der medialen Seite derselben
austreten und atrophiren, nur vereinzelt die dünne, dem Knorpel
unterliegende Rindenschicht erreichen; dieselben Züge aber, welche
sich zu dem obern lateralen Theil der Peripherie dichtgedrängt be-
geben und lateralwärts mit einer sanften S-förmigen Schwingung ab-
schliessen, finden sich auch am normalen Schenkel, nur nicht so scharf
hervortretend, verdeckt besonders durch die noch weiter nach aussen
sich von der untern Wand des Halses ablösenden geraden Strahlen, welche
aber an dem Fracturpräparat atrophirt sind. Es ist also nur die Ge-
sammtmasse, welche steiler aufsteigt, nicht die einzelnen Bälkchen;
allerdings löst sich auch jedes einzelne Bälkchen in einem etwas
grösseren Winkel von der untern Rindenschicht in Fig. 1 wie in 2,
aber dieser geringe Unterschied ist ganz bedeutungslos, weil er inner-
halb der normalen Schwankungen liest und beide Schnitte ja nicht
derselben Person entstammen. Was die Zugbälkchen betrifit, so müssen
wir bei der Vergleichung berücksichtigen, dass in unserm Normal-
schnitt zufällig der Lauf einer von oben eintretenden Arterie etwas
störend auf einen Theil der Schichtung einwirkt, dann aber finden wir
nur, dass ihre Masse zum Theil etwas durchsichtiger, die Bälkchen
etwas schwächer geworden scheinen, wir vermissen aber im Bereich
des Kopfes und des Halses jede Veränderung ihrer Richtung. Auch
in dem Bälkchensystem des grossen Trochanter ist trotz bedeutender
Resorptionsvorgänge keine Richtungsveränderung vorhanden. Wir
stehen damit nahe der Bruchstelle und würdigen diese vom untern
Fragment beginnend. An diesem fällt nun vor allem auf, dass die
mediale Wand, welche den Träger des obern Bruchstücks darstellt,
sich durch compacte Bildung verdickt und medialwärts ausgebogen
hat, sowie dass die laterale Wand von ihrer Convexität verloren hat,
also gleichfalls etwas nach innen abgewichen ist; von dieser sehen wir
124 Rabe. Zur endgültigen Heilung
noch die alten Zugblättchen in derselben Richtung sich abblättern und
unverändert bis zur Bruchlinie ziehen. Die ursprüngliche, durch den
Bruch entstandene dreieckige Lücke auf der Aussenseite hat sich völlig
wieder ausgefüllt und zwar grösstentheils mit bogenförmigen Zügen
welche die Verbindung zwischen den unteren Bruchstücken der Zug-
bälkehen .und den vorher erwähnten Bogenstücken im Halse herstellen,
zwar ohne eckiges Aufeinanderstossen, vielmehr durch Abweichen der
zugewendeten Enden besonders des oberen Fragments im Sinne einer
vermehrten Concavität, aber doch nicht also, dass eine jede ursprüng-
liche Bogenlinie zur Wiedervereinigung käme, sondern mehrere Mark-
lücken, deren eine auf dem Bild erscheint, unterbrechen den Zug, da-
durch entstehend, dass eine Zahl von Bälkchen sich schräge dem dich-
tern innern Streifen oder dem schmälern Bogen an der Epiphysen-
linie des grossen Trochanters anschliessen. Der mittlere Theil des
Zugbälkchenbogens wird senkrecht durchsetzt von einer Reihe von
Strahlen, welche von den normalen an dieser Stelle insoweit abweichen,
als sie sehr bedeutend atrophirt sind; den äussern Theil durch-
schneiden andere senkrechte Strahlen, welche von dem eingekeilten
Ende des obern Rindenstücks divergirend zur lateralen Rindenschicht
des untern Fragments hinüberziehen und sich durch ziemliche Stärke
auszeichnen. An letzter Stelle mache ich noch auf die Bogen auf-
merksam, welche mit medialer Concavität den Winkel zwischen der
eingekeilten Rinde und der ausgewichenen medialen Rinde des untern
Bruchstückes ausfüllen.
Vergleichen wir nun unseren Schnitt mit den neuerdings in
dieser Frage bekannter gewordenen Präparaten von WOLFF (Arch. £.
kl. Chir. 14. Bd. Tafel V), und Kornıe (D. Ztschr. f. Chir. 2. Bd.
Tafel V), so finden wir eine geringe Aehnlichkeit mit letzterem,
aber sehr wenig Verschiedenheit von ersterem. Gleichwohl weiche
ich in manchen Punkten in Bezug auf die Auffassung meines Prä-
parates von der Deutung ab, welche WoLrr gegeben hat. Umso-
mehr bedaure ich, nichts über die Länge der Zeit in Erfahrung bringen
zu können, welche von dem Entstehen des Bruches bis zum Tode ver-
floss, sowie über die sonstigen Verhältnisse der Person; den Schluss
ziehe ich aber aus dem Zustand der Muskulatur und aus der Festig-
keit der Knochen, dass es sich um einen Mann handelt, welcher in
ziemlich frühem Alter eine Fractur durch beide Trochanteren erlitt,
und welcher nach guter Heilung in ausgedehntem Masse das Bein
lange, vielleicht über ein Jahrzehnt, benutzen konnte. Eine so lange
Zeit anzunehmen bestimmt mich der abgeglättete Zustand der Rinden-
splitter, sowie der Umfang der Veränderungen in dem innern Bau;
der Brüche am obern Ende des Oberschenkelknochens. ‚125
vor allem beziebe ich mich auf das Abweichen der Rinde des untern
Bruchstücks nach innen, dann aber auf das steilere Aufsteigen des
Stützstrahls im Kopfe bezüglich seiner ganzen Masse, dadurch bewirkt,
dass an die Stelle des Punktes, der bei aufrechtem Stand den Haupt-
druck der Körperlast zu tragen hat und der durch den normalen Stütz-
strahl eben unterstüzt wird, bei der durch den Bruch veränderten Lage
des Kopfes eine andere, weiter lateral gelegene Stelle trat, unter
deren Belastung die sparsam hierher ziehenden Druckbälkchen zu einer
Verstärkung genöthigt wurden, während das periphere Ende des ur-
sprünglichen Stützstrahls der Atrophie anheimfiel. Ebenso atrophirten
auch die Bälkchen nahe der Oberfläche der untern Kopfhälfte, weil
sie auch bei starker Adduction nicht mehr in Wirksamkeit traten, und
wahrscheinlich steht auch der Schwund der Spongiosa des grossen Tro-
chanters in Zusammenhang damit, dass eine weitere Abduction durch
den Muskelzug nicht mehr ausgeführt werden konnte. Im Hals und
Kopf konnten aber überall nur Veränderungen in der Stärke der Bälk-
chen, nirgens in ihrer Richtung festgestellt werden, soweit nicht die
Fractur directen Einfluss ausgeübt hatte; die wirklichen Richtungs-
änderungen erstrecken sich nur auf einen ziemlich beschränkten Strich,
welcher aber auch vielleicht beim Entstehen des Bruches selbst durch
die Gewalt mit’ Zertrümmerung betroffen wurde und wo wir es dann
auch nur mit Bildung neuer Knochensubstanz mit dem Ganzen an-
gepasster Architeetur an Stelle der breiten Callusmasse zu thun haben
-würden, da die frische Bruchstelle auf dem Durchschnitte nicht eine
Linie sondern ein mehrere Cm. breites Band bei solcher Einkeilung
bildet. Zu diesem Bereich gehören die Stücke der Zugbögen, welche
sich doch nur ziemlich unvollständig in der dreieckigen Lücke und
deren Umgebung wieder gebildet haben, zu ihm die Balken, welche
den Winkel zwischen der eingekeilten Rinde des obern und der medi-
alen Rinde des untern Bruchstückes ausfüllen, zu ihm auch die starken
Strahlen, welche von dem eingekeilten Ende zu der lateralen Rinde
hinüber ziehen, wenn es sich bei diesen letztern zum Theil auch noch
um eine vermehrte Ausbildung der normal in dieser Richtung ziehen-
den und mit der eingekeilten Rinde in Verbindung getretenen Druck-
bögen handelt. Medialwärts von diesen durchschneiden die Zugbögen
senkrecht eine Reihe sich spitzwinklig von der untern Rinde ab-
blätternder Bälkchen, von denen WoLFF angiebt, dass sie nach defini-
tiver Heilung senkrecht auf der eingekeilten Rinde ständen; ich habe
schon oben bemerkt, dass ich keine Veränderung in dem Verlauf dieser
Züge gegenüber den normalen Verhältnissen habe finden können und
hebe dies um so mehr hervor, da ich auch an WoLFF's photographirtem
126 RABE. Zur endgültigen Heilung
Schnitt mich nicht von diesem Umstand überzeugen kann, denn die
entfernteren Theile dieser Bälkchen stehen überhaupt normal schon
ziemlich senkrecht und die näheren Theile sind an demselben völlig
geschwunden, an meinem Schnitt zum kleinern Theil wenigstens
noch so weit erhalten, dass ihre spitzwinklige Stellung zu der einge-
keilten Rinde noch festgestellt werden kann. Diese Strahlen bilden
nach Wourr die Fortsetzung der Bögen, welche sich im Winkel
zwischen der eingekeilten und der medialen Rinde des untern Frag-
ments befinden (siehe seine Fig. 3 der Tafel VI); diese letzteren ziehen
jedoch in dem von mir abgebildeten Schnitt in gerade umgekehrter
Richtung wie die einstigen normalen, sie sind medialwärts concav und
zwar zeigen sie diese Coneavität nach innen noch schärfer an einigen
anderen Schnitten wie gerade an dem photographirten; aber auch an
dem von WoLrr abgebildeten Schnitt verlaufen diese Bogen nicht so
wie er sie auffasst, nicht medial convex, sondern medial concav, sie
können also nicht die Fortsetzung der oberen Strahlen sein, davon ganz
abgesehen, dass doch kein Grund ersichtlich ist, weshalb Bälkchen,
welche durch ihre Atrophie beweisen, dass sie nicht in Anspruch ge-
nommen werden, aus physiologischer Ursache eine Riehtungsänderung
eingehen sollten. Auch der eingekeilten Rinde kann ich nicht die
untergeordnete Bedeutung beilegen, zu welcher WOLFF geneigt scheint,
im Gegentheil glaube ich, dass dieselbe noch eine Hauptfunetion in
der Unterstützung der Körperlast ausübt, dass auf sie und durch sie
der Hauptdruck auf die mediale Rinde des untern Bruchstücks über-
tragen wird, welche in Folge des Druckes gleichsam ausgewichen ist
und sich verdickt hat; auf dieser eingekeilten Rinde baut sich der
starke Stützstrahl des Kopfes auf, während dieselbe von unten her
durch die neugebildeten Zugbälkchen noch mehr an die mediale
Rinde des Schaftes befestigt wird, als es schon durch die breite Ver-
wachsung geschehen ist; die Bedeutung der von dem eingekeilten Ende
zur lateralen Rinde ziehenden Strahlen ist freilich nicht klar, aber dem
Bogen der Zugbälkchen im obern Theil, so gut er sich auch wieder
hergestellt hat, kann ich keine ausserordentliche functionelle Wichtig-
keit zuschreiben, denn die Verminderung seiner Stärke gegenüber den
starken Zügen im normalen Schenkel deutet doch wohl darauf, dass
er weniger bei den veränderten Verhältnissen in Anspruch genommen
wird; es könnte freilich die verminderte Convexität der lateralen Rinde
des untern Bruchstückes als Wirkung eines solchen Zuges angesprochen
werden, wenn nicht das Bedenken wäre, dass es sich um individuelle
Verschiedenheiten hier handeln könnte. Auf jeden Fall ist aber auch
das vorliegende Präparat ein Beweisstück dafür, dass die durch die
der Brüche am obern Ende des Oberschenkelknochens. ıladrc
Fractur veränderte Lage der einzelnen tragenden Bestandtheile des
Knochens unter dem längeren Gebrauch des Gliedes eine tiefgreifende
quantitative Umänderung in weiterem Bereich und eine wohlmotivirte
Architeetur an Stelle des zuerst gebildeten rohen Callus hervorruft, es
zeigt aber überdies, dass eine weitere sorgfältige Beobachtung des
einschlagenden Materials nothwendig ist, um die Gesetze der endgültigen
Heilungsvorgänge völlig klarzulegen, und dabei eine Vergleichung der
obern Hälfte des gesunden Schenkels derselben Person als Normale
wünschenswerth ist, um von den individuellen Schwankungen unab-
hängig zu sein.
Ueber die Entdeckung des Lymphsystems.
Von
‘Wilhelm His.
Die Milchsaftgefässe nebst ihren Drüsen sind von allen Abschnitten
des Lymphsystems zuerst zur Beobachtung gelangt. Sie sind schon
im Alterthum von den Begründern der alexandrinischen Schule von
Hrrormmus und ERASISTRATUS wahrgenommen worden. Beider Ana-
tomen Schriften sind uns nicht erhalten, und so wissen wir nicht
genau, wie weit ihre Kenntniss von der Bedeutung ihrer Entdeckung
sich erstreckt hat. Von ersterem berichtet GALEN!), dass er im Ge-
kröse ausser den zur Leber tretenden Venen auch solche unterschieden
hätte, die zu drüsigen Körpern hingehen; über ErAsıstrarus?) dagegen
lautet der gleichfalls nur kurze Bericht, er gebe an, im Unterleibe
junger, ncch saugender Böckchen Gefässe (angeblich Arterien) gefunden
zu haben, welche Milch, zeitweise aber auch Luft führten, (eine Be-
obachtung die weiterhin von den Anhängern des ErAsISTRATUS mit
für den allgemeinen Luftgehalt der Arterien verwendet worden ist).
Des Erasıstrarus Beobachtung hat GALEN so wenig verstanden,
dass er sie geradezu als grobe Täuschung darzustellen suchte. Wie
GALEN, so sind natürlicher Weise auch seine Nachfolger und Inter-
pretatoren nicht zum richtigen Verständniss des wirklichen Verhaltens
gelangt.
Die Wiederentdeckung geschah im Jahre 1622 (d. 23. Juli) durch
CASPAR ASELLI in Cremona. Die Geschichte der Entdeckung erzählt
Aseırı also: In der Absicht, einigen Freunden die Bewegungen des
Zwerchfells zu zeigen, eröffnete er einem lebenden, wohl genährten
und frisch gefütterten Hund die Bauchhöhle und, im Begriffe die Ein-
geweide zur Seite zu drängen, ward er einer grossen Zahl feiner
1) De usu part. Buch IV. Editio Charterii IV. pag. 392.
2) De administr. anatom. Buch VII am Schluss und liber an Sanguis in
arteriis contineatur editio Charterii III. pag. 159.
Hıs. Ueber die Entdeckung des Lymphsystems. 129
weisser Stränge gewahr, die am Darm und im Gekröse sich aus-
breiteten, und die er erst für Nerven hielt. Bald aber erkannte er
seinen Irrthum, indem er die Nerven neben jenen Strängen herlaufen
sah, und als er nun, einen Einstich in diese machend, eine milchige
Flüssigkeit hervortreten sah, wurde ihm sofort die Bedeutung seines
Fundes klar, und erfüllte ihn mit der grössten Freude. Nicht lange
indess genoss er des Schauspieles; der Hund starb unter dem Experi-
mente, und sofort entleerten sich die weissen Gefässe auf das voll-
ständigste, so dass kaum Spuren derselben wahrnehmbar blieben. Am
folgenden Tage sollte ein zweiter Hund zur Wiederholung des Ver-
suchs dienen, aber wie gross war Aseurrs Enttäuschung, da er hei
diesem keine Spur jener, früher wahrgenommenen Gefässe auffinden
konnte. Nach 2 Tagen der Entmuthigung erst kam er auf den glück-
lichen Gedanken, es möge wohl der Mangel an Nahrung der Grund
gewesen sein, weshalb der zweite Hund nicht die Erscheinungen des
ersten zeigte, und in der That vermochte er schon am 4. Tage nach
seinem ersten Funde die Wahrheit dieser Vermuthung experimentell
festzustellen, und bei einem kürzlich gefütterten Thiere die Gefässe
wieder aufzufinden. Nunmehr warf er sich auch mit vollem Eifer auf
das umfassende Studium der von ihm gemachten Entdeckung und
legte nach vier Jahren gründlicher Arbeit seine Resultate in einer
kleinen, von gelehrten Citaten strotzenden und mit vier guten Tafeln
versehenen Schrift nieder (de lactibus sive lacteis venis, quarto mese-
raicorum vasorum genere dissertatio, Mediol. 1627). Es wiederholt
sich in dieser Entdeckungsgeschichte eine Erfahrung, die in kleinen
und grösseren Dingen gewiss mancher Beobachter mit durcherlebt
hat, dass nämlich auf die erste freudige Aufregung eines neuen, oft
durch irgend einen Zufall begünstigten Fundes fast constant ein Sta-
dium des Nichterfolges und der daherigen Depression folgt, das nur
durch beharrliches weiteres Nachsinnen sich überwinden lässt. Meistens
nämlich übersieht man in der ersten Aufregung alle die nebensäch-
lichen Bedingungen, die mit nöthig waren, um den Erfolg zu erwerben,
und indem man nur allzurasch die Allgemeinheit des ersten Fundes
nachweisen zu können glaubt, erfährt man ein Scheitern, das die
Entmuthigung rascher noch steigert, als der erste Erfolg den Freude-
taumel.
ASELLI war nicht mehr im Stande, das Schicksal seiner Publikation
zu erleben, denn kurz nachdem er seine Schrift geschrieben, starb er,
(erst 45 J. alt im Jahre 1626) und dieselbe kam erst ein Jahr nach
seinem Tode heraus.
Um die Art, wie AserLı seine Entdeckung verwerthete, zu ver-
Zeitschrift f. Anatomie. Bd.I. S
130 Hıs.
stehen, muss man sich klar machen, in welche Zeit dieselbe fiel und
welches die damals herrschenden Vorstellungen über Säftecirculation
und Blutbildung überhaupt waren. Noch waren die durch GALEN
endgültig formulirten Lehren des Alterthums über diese Dinge allgemein
in Kraft, denn wenn auch schon 1619 Harvey zum ersten Mal in
England die richtige Lehre vom Blutkreislauf vorgetragen hatte, so
machte er sie doch erst 9 Jahre später, also erst nach Aseurr's Tode,
durch den Druck bekannt, und auch da dauerte es noch an zwei Jahr-
zehnte, ehe sie zu allgemeiner Anerkennung kam.
GALENS, noch bis in den Anfang des 17. Jahrhunderts hinein
gültige Vorstellung von der Bildung und Vertheilung des Blutes, war
aber folgende!): :
Im Magen und im Darm wird durch die besondern Kräfte dieser
Organe die aufgenommene Nahrung gröblich gesichtet und das brauch-
bare in Chymus verwandelt. Von da wird es durch die Mesenterial-
venen gesammelt und nach der Leber gebracht, in welcher nunmehr,
unter dem Einfluss der hier vorhandenen Wärme, die eigentliche Blut-
bereitung, die Concoctio sanguinis erfolgt. Allerdings bereiten schon
Magen und Darm, sowie ‘die Mesenterialvenen die Hämification vor,
allein erst in der Substanz der Leber erreicht diese ihre eigentliche
Entwicklung und als Resultat der innern Arbeit erscheint das rothe
Blut, das von der hintern Leberfläche an die Hauptader des Körpers,
die Vena cava abgegeben wird?) Als Abfall- und Reinigungsschlacken
kommen einestheils die gelbe Galle und anderntheils die schwarze
Galle (atra bilis sive succus melancholicus) zur Ausscheidung, von
denen jene gewissermassen den Schaum (leve et flavum superfluum)
darstellt, und in der Gallenblase sich sammelt, während diese den
dicken Bodensatz bildet, der durch die Milzvenen nach der Milz ab-
fliesst, diese ernährt, dann aber durch besondere Venenkanäle wiederum
in den Magen drinst. Die allzureichlichen wässrigen Bestandtheile
des frisch gebildeten Blutes aber werden von den benachbarten Nieren
angezogen und zur Ausscheidung gebracht. Die Porta Hepatis ist
also, wie dies auch schon das früheste vor-hippokratische Alferthum
1) Vergl. hauptsächlich: De usu partium Buch IV: ausserdem B. VI und
B. XVII. Beinahe wörtlich dieselbe Darstellung findet sich wieder bei VEsAL,
Buch V, Cap. I, nur betreffend den Ursprung der Vena cava aus der Leber,
weicht er von GALEN ab.
2) Ipsum autem hepar postquam id nutrimentum accepit a famulis jam prae-
paratum et veluti rudem quandam delineationem obseuram speciem sanguinis
referrens, inducit ei postremum ornatum ad sanguinis absoluti generationem. —
De usu part. IV.
Ueber die Entdeckung des Lymphsystems, 131
durch Ertheilung des bezeichnenden Namens ausgedrückt hat, die
wirkliche Pforte, durch welche alle Säfte und Materien dringen müssen,
bevor sie im Dienst des Organismus Verwendung finden können. Die
Vena cava aber erscheint als der Ausgangspunkt, von dem aus allen
Körpertheilen die nöthige Nahrung zugetheilt wird (das Vehiculum
nutrimenti). Von der Leber aus geht ein Venenast zur oberen, ein
anderer zur unteren Körperhälfte und sie ist das Centrum des Venen-
systems in gleicher Weise, wie das Herz dasjenige des Arteriensystems
und das Hirn das der Nerven ist. Von diesen 3 Centren aus wird
überhaupt das gesammte Leben des Körpers regiert. Die obere Hohl-
ader setzt sich nach GAuen’s Darstellung im Vorbeigehen an das rechte
Herz an, aus welchem die mächtige, zur Ernährung der Lungen be-
stimmte Vena arteriosa (unsere Lungenarterie) entspringt. Die Arteria
venosa dagegen (unsere Lungenvene) nimmt in den Lungen die nöthigen
spiritus salutares auf, und bringt sie nach dem linken Herzen, von
wo aus dieselben mit Blut vermengt über sämmtliche Arterien des
Körpers sich ausbreiten. Die aus den Lungen aufgenommenen Spiritus
sind indess keineswegs identisch mit der durch die trachea in die
Lungen gedrungenen Luft, sondern sie sind aus dieser durch die Sub-
stanz der Lungen erst vermöge einer weiteren Umwandlung bereitet
worden!), und der Nutzen der Lungen liest zum Theil in der Berei-
tung jener Spiritus, zum Theil in der Abkühlung des durch Herz und
Leber erwärmten Körpers.
Wir haben heutzutage, wo der Gang des Kreislaufs und das
Wesen der Athmung so klar vor uns liegen, einige Mühe, uns in die
merkwürdig complicirten Vorstellungen der Alten über diese Dinge
hineinzuleben, und besonders wird es uns schwer zu verstehen, wie
die Alten sich das Zustandekommen der vielen, vom Herzen unab-
hängigen Hin- und Herbewegungen des Blutes dachten; allein dieselben
waren in der Wahl ihrer Transportmittel durchaus nicht verlegen,
bald liessen sie den Organen eine treibende, bald eine anziehende
Kraft inne wohnen, je nach Bedarf, und auch den Gefässen selbst
wurde vielfach ein activer Antheil an der Flüssigkeitsbewegung zu-
geschrieben.
Wenn wir uns den einen Hauptsatz, der noch zu Aseıurs Zeit
geltenden physiologischen Lehre gegenwärtig halten, dass aller Nahrungs-
stoff den Weg durch die Leber nehmen muss, so dürfen wir uns nicht
wundern, dass Aseruı, der Herrschaft einer so mächtigen Lehre folgend,
!) De usu part. Buch VII.
9*
132 Hıs.
auch seine Milchsaftgefässe zur Leber treten liess; er verfolgte die-
selben nämlich bis zu dem bei den Fleischfressern an der Wurzel
des Gekröses liegenden Drüsenpaket, das er wie manche Anatomen
vor ihm als Pankreas!) bezeichnete und das noch heute nach ihm den
Namen des Pankreas Aselli führt; in dieses sah er sie mit vielen
gewundenen Zweigen einmünden; dann aber treten sie, ihm zufolge,
wieder zu grossen Stämmen zusammen, welche zur Porta Hepatis
emporsteigen und in die Substanz der Leber sich einsenken. Diese
Stämme, welche Aseııı für die Fortsetzungen der Chylusgefässe hält,
sind aber nichts anderes, als die Lymphgefässe der Leber selbst, und
völlig richtig giebt AseLrı von ihnen an, dass sie eine blasse, oder
allenfalls blassröthliche Flüssigkeit führen. Zwar kennt AserLı schon
die Klappen, scheint aber gerade für jene oberen Gefässe deren Stellung
nicht beachtet zu haben. Seine weiteren physiologischen Vor-
stellungen waren folgende: die Mesenterialvenen sollten nur zur Er-
nährung der Gedärme dienen, die Milchsaftgefässe aber die eigentlichen
Organe der Chymusaufnahme sein, letztere sollten in den Gedärmen
mit offenen Mündungen, ähnlich Blutegelmünden anfangen und von
schwammigen Anfangstheilen (a spongiosis capitulis) umgeben sein.
Die Fortbewegung der Flüssigkeit in ihnen lässt er eine Folge sein,
theils von der Treibkraft der Därme, theils von der Saug- und Treib- -
kraft der Milchsaftgefässe selbst und vor Allem von der Zugkraft der
Leber. In Letzterer liege auch der Grund, weshalb unmittelbar nach
dem Tode die Gefässe so rasch sich entleeren. In der Porta angelangt,
dringt der Milchsaft aus den geschlossenen Enden der Gefässe in die
Lebersubstanz ein und wird nun zur Blutbildung verwendet.
Die grossen Fortschritte, die durch Aseuurs Entdeckung trotz der
noch anhaftenden Irrthümer eingeleitet waren, leuchten ein, nichts-
destoweniger konnten sie nicht ohne Kampf zur Anerkennung gelangen.
Dieselben Männer, welche am lebhaftesten gegen Harvry’s Neuerung
auftraten, RıoLan, Prempius und PRIMEROSE, zogen auch gegen AsELLI
zu Felde. Weit befremdender aber ist es, dass Harvey selbst, anstatt
seiner grossen Reformatorrolle getreu zu bleiben, und den neuen Fort-
schritt mit in seine Lehre aufzunehmen, mit seinen eigenen Gegnern
Hand in Hand ging, um denselben zu verdammen. Er blieb für die
Verkennung der Milchsaftgefässe so zähe, dass er noch kurz vor seinem
Tode im Jahre 1655 dieselben als eigenthümliche Organe verwarf,
wie dies aus den Unterredungen hervorgeht, die der bereits 77 Jahre
1) Das eigentliche Pankreas bildet er Taf. 11 ab und nennt es pars quaedam
carnosa, glandulosa, adiposa, canibus peculiaris.
Ueber die Entdeckung des Lymphsystems. 133
alte Greis mit M. Bocpan und mit Dan. Horst über den Gegen-
stand hatte)).
Trotz dieser Opposition machte die Entdeckung gleichwohl ihren
Weg. Schon im Jahre 1628 wurde es möglich die Milchsaftgefässe
auch beim Menschen nachzuweisen, bei dem sie AseuLı noch nicht
hatte zeigen können. Der Nachweis geschah in Aix auf Veranlassung
von PEIRESc, einem für die Fortschritte der Wissenschaft warm sich
interessirenden Rathsherrn. Derselbe hatte nämlich durch GassennI
von Aserrr’s Entdeckung gehört, er kaufte sofort eine Anzahl von
Exemplaren der Aseuur'schen Schrift auf und vertheilte sie unter be-
freundete Aerzte; zugleich sorgte er dafür, dass diesen zum Behuf der
Auffindung der Milchsaftgefässe ein hingerichteter Verbrecher über-
geben wurde, welchem 1!/, Stunden vor seinem Tode eine reichliche
Mahlzeit dargereicht worden war?).
Die erste Abbildung der menschlichen Chylusgefässe gab VESLING
heraus in seinem Syntagma anatomicum°). Die Abbildung ist sehr
hübsch, besonders ist der verschiedenartige Verlauf der Chylusgefässe
und der Blutgefässe gut dargestellt, dagegen sind jene Gefässe, wie
übrigens auch in der Aserur'schen Abbildung, ohne die Klappen-
anschwellungen gezeichnet; sie treten sämmtlich zum ächten Pankreas,
zu welchem anderseits auch solche von der Leber ausgehend dar-
gestellt sind. Selbst in der spätern Ausgabe vom Jahre 1647 kannte
VesLıng den Unterschied des Aserrr'schen Pankreas vom ächten nicht,
sondern liess dieses nebst seinem mittlerweile entdeckten Gang zur
Ausscheidung der scharfen Säfte des hindurch tretenden Chylus dienen.
Uebrigens vermuthet er, dass ein Theil der Chylusgefässe von dem
Pankreas aus zur Milz trete, weil jenes Organ so dicht an dieses
angelagert sei.
Die Angabe des Aszırı über das Verhalten der, aus seinem
Pankreas hervortretenden Chylusgefässe scheint überhaupt verschiedene
Anatomen der folgenden 2 Jahrzehnte nicht recht befriedigt zu haben,
so schreibt auch Jon. Waräus 1640 in seinem berühmten Briefe an
BArTHoLıy de Motu Chyli et Sanguinis®): Per has venas lacteas chylus
sursum vergit, quo id modo, res non satis expedita est. Id nobis
1) Bartholin epistol. II, pag. 604 u. 606. Bartholins Antwort an Horst in
d. opusc. nov. 1670, p. 384.
2) Vergl. u. A. Pequet in cap. VI seiner unten citirten Schrift.
3) Die erste Ausgabe ist laut HALLER vom Jahre 1641; ich kenne indess
blos eine spätere von 1647, sowie die Ausgaben von GERARD BLas, in welch
letzterer die Abbildung bedeutend verschlechtert ist.
4) Abgedruckt in Tr. BarTHoLIn’s Anatome reformata.
134 Hıs.
maxime verisimile videtur, quod in magnis macilentisque canibus
venaticis animadvertimus, venarum lactearum quasdam ab intestinis
uno et continuato ductu in ramum mesentericum, quasdam in ipsam
portae venam, in cavam hepatis quasdam, paucissimas quandoque in
venam cavam prope emulgentes desinere !).
Ein mächtiger neuer Schritt in der Erkenntniss von der Bedeu-
tung der Chylusgefässe geschah im Jahre 1647 mit der Entdeckung
des Milchbrustganges durch JoH. PEcQuEr?) aus Dieppe. Allerdings
ist PEcQuEr nicht der erste, der jenen Gang gesehn und beschrieben
hat, denn schon 80 Jahre vor ihm hat der grosse Anatom EusTAcHtus °)
denselben aufgefunden und von seinem Durchtritte durch das Dia-
phragma bis zur Einmündung in die Vena subelavia verfolgt, allein
die Bedeutung des Kanales ist EusracHı völlig unklar geblieben, er
hielt ihn für eine zur Ernährung der Brusthöhle dienende Vene und
die späteren haben hiernach EvsrtAcaıs Fund wiederum ganz aus den
Augen verloren.
Prcauer, geb. 1622, war zur Zeit seiner Entdeckung Studirender
der Medicin in Montpellier und wie AseLLı, so ist auch ihm ein
Zufall günstig geweser zur Erreichung der neuen Spur. Munus est,
fortunae cum inscio ludentis, sagt er mit grosser Bescheidenheit.
Nach Eröffnung eines lebenden Hundes und Herausnahme des Herzens
fiel ihm nämlich der Ausfinss einer weisslichen Flüssigkeit aus der
Oeffnung der Vena cava auf. Anfangs glaubte er es mit einem ver-
borgenen Abscess zu thun zu haben, allein bald überzeugte er sich
von der Abwesenheit eines solchen und als er nun die Hohlvenen
der Länge nach, vom Diaphragma bis zum Jugulum gespalten, fand
er, dass die weissliche Flüssigkeit besonders im oberen Theil sich
finde und dass sie in jeder Hinsicht mit dem Mesenterialchylus die
grösste Aehnlichkeit darbiete. Bald zeigt sich auch, dass der still-
stehende Ausfluss der weissen Flüssigkeit durch Druck auf das.
Mesenterium wieder reichlich sich herstellen lässt und endlich erblickt.
er die mit Klappen versehenen Einmündungsstellen für jenen Saft,
1) Pag. 535 der Ausgabe von 1660. — Auf diesen Angaben beruhen wohl
auch diejenigen RıoLan’s in der Ausgabe des Encheiridion von 1649.
2) J. Pzcgurrı, Dieppaei experimenta nova anatomica in quibus incogni-
tum Chyli receptaculum et ab eo per thoracem usque in ramos usque subelavios
vasa lactea deteguntur. Paris 1651. Abgedruckt in HEMSTERHUYS Messis aurea.
3) EustacHıı opuscula anatomia.
Ueber die Entdeckung des Lymphsystems. 135
Nachdem ihn einmal die erste Untersuchung soweit geführt hat, wird ein
zweiter Versuch an einem wohlgenährten Hund unternommen, um
die Bahnen der Chylus in der Brusthöhle zu ermitteln. Nach eröff-
neter Brusthöhle und zur Seite gezogener rechter Lunge findet PEcquEr
im obern Theil der Brusthöhle einen weissen, einem Chylusgefäss
ähnlichen Strang und die anfänglichen Zweifel über dessen nervöse
Natur werden bald beseitigt durch Anlegung einer Ligatur, auf welche
hin der untere Theil des Stranges mächtig anschwillt und mit Flüssig-
keit sich erfüllt. Nach Auflösung der Ligatur sieht PrcauEr die
Flüssigkeit in die Vena Cava einströmen. Er verfolgt nunmehr den
neuen Gang nach abwärts, findet die erweiterte Einmündungsstelle,
das Receptaculum, und führt den Nachweis, dass der Chylus einzig
und allein nach diesem und nicht nach der Leber abströmt. Mit
dieser Entdeckung erscheint mit einem Schlage jene mächtige alte
Lehre von der Blutbereitung durch die Leber gestürzt, welche noch
Aserrı und seine Nachfolger von der wahren Bahn des Chylus ab-
gelenkt hatte. PEcQuETSs Schrift über den neuen Gang erschien gleich-
zeitig mit einer vortrefflichen Arbeit über Blut- und Chylusbewegung
im Jahre 1651. Nobile opus, nennt sie HALLER, et inter praecipua
saeculi decora. Uebrigens bietet die Entdeckungsgeschichte des
PECQUET, wenn auch in anderer Weise als die des Aserrı reiches
Interesse, sie vermag nämlich deutlich zu zeigen, in welcher Art wir
uns beim Zustandekommen wichtiger Entdeckungen den oft ange-
schuldigten Zufall thätig zu denken haben. Es ist ganz richtig, dass
ohne die erste Beobachtung Prcaurr vielleicht nicht auf seinen Fund
gekommen wäre, allein eben so sicher ist es, dass wohl hundert
Andere die Section desselben Hundes hätten machen, ja selbst die-
selbe weissiiche Flüssigkeit hätten wahrnehmen können, ohne entfernt
zu demselben Schlussresultate zu gelangen wie Prcover. Dadurch
erweist er sich gerade als ächter Forscher, dass er die flüchtig zur
Beobachtung gelangende Erscheinung sofort in ihrer Wichtigkeit er-
fasst, sie methodisch verfolgt und in dieser Verfolgung nicht eher
ruht, bis er sie ihrem eigentlichen Wesen nach erkannt hat.
Die Bahnen des Chylus und die Stellung der Leber zu denselben
beschäftigen übrigens als eigentliche Tagesfrage fast alle Anatomen
jener Zeit!) und so dürfen wir uns nicht wundern, wenn zum Theil
1) Wie sehr die Chylusgefässe in jenen Zeiten die Gedanken beschäftigten,
ersieht man u. A. auch daraus, dass die Entdecker des Pankreasganges MorITZ
HOFFMANN und J. G. Wırsung den im Jahre 1641 aufgefundenen Gang für ein
grosses Chylusgefäss ansahen und in ihm die Flüssigkeit vom Darm gegen das
136 Hıs.
unabhängig von PEcquErs Entdeckung und noch bevor diese publicirt
worden war, die eigentlichen Lymphgefässe aufgefunden und in ihrer
Beziehung zu den Chylusgefässen erkannt worden sind. Diese Ent-
deckung wird von drei Anatomen beansprucht, vom Engländer JoLYFrF,
vom Dänen Tu. BARTHOLINUS und vom Schweden OLAus RUDBECK.
Die Geschichte hat den Streit zu Gunsten des letzteren entschieden.
Ausgangspunkt der neuen Entdeckung waren für RupBEck jene Lymph-
gefässe der Leber, welche Aseurı fälschlich für die Fortsetzung seiner
Chylusgefässe gehalten hatte, und welche schon verschiedenen Ana-
tomen der nachfolgenden Zeit zum Stein des Anstosses geworden
waren. Als 21jähriger Jüngling mit Arbeiten über die soviel dis-
cutirten Milchsaftgefässe beschäftigt, fand er nämlich wiederholt, dass
nach Anlegung einer Ligatur an den Gefässstrang der Leberpforte die
vermeintlichen Chylusgefässe über der Ligatur anschwollen, unterhalb
derselben einsanken; mit Wegnahme der Ligatur aber entleerten jene
ihren Inhalt nach abwärts. Diese Beobachtung führte ihn zunächst
zu Zweifeln an der Aseutr'schen Deutung jener Gefässe, er glaubte
Anfangs, dieselben dienten zur Ableitung eines überflüssigen Saftes
nach dem Pankreas, von wo aus derselbe durch den Wirsung’schen
Gang weggeschafit werde!), und bezeichnete sie daher als ductus
Hepatiei aquosi. Mittlerweile gelang es ihm im Jahre 1650 unab-
hängig vom PrcquEr, bei einem Kalb den ductus thoracicus und das
Receptaculum oder, wie er es nannte, die Vesicula Chyli aufzufinden
‘ und durch abwechselndes Anlegen und Auflösen von Ligaturen beim
frisch getödteten Thiere den richtigen Lauf des Chylus nachzuweisen.
Er gab davon im April 1652 eine öffentliche Demonstration in Gegen-
wart der Königin Christine, bei welchem Anlass er erst durch deren
Aerzte von der mittlerweile erschienenen Schrift des PEcqvEr erfuhr.
— Bei dieser Demonstration liess er zwar die Leberlymphgefässe noch
im Pankreas enden, bald darauf jedoch gelang es ihm zu zeigen, dass
ihr Inhalt gleichfalls nach dem Receptaculum Chyli ausgeführt wird 2).
Von anderweitigen Lymphgefässen, die er Vasa glandularum
serosa nannte, kannte RUDBECK zu jener Zeit bereits diejenigen des
Diekdarms und Mastdarms, diejenigen des Plexus spermaticus, die-
Pankreas strömen liessen, ein Irrthum, der erst durch BArtHoLın berichtigt
worden ist.
1) Oraı RupBEeck Nova exercitatio anatomia exhibens ductus hepaticos
aquosos et vasa glandularum serosa in Hemsterhuys. Mess. aurea — (Die 1.
Originalpublication erschien 1653 in Arolsen, nachdem R. schon 1652 eine dissert.
de circul. sanguinis herausgegeben hatte.)
2); 1. c. p. 266.
Ueber die Entdeckung des Lymphsystems. 137
jenigen der Lenden, und die der Brusteingeweide und vordern Brust-
wand): ihren Ursprung verlegte er mehrentheils in die Lymphdrüsen,
von denen er sie abgehen sah, obwohl es ihm nicht entging, dass
auch ein Theil derselben nicht von diesen entspringe. In seiner im
Jahre 1653 erschienenen Schrift machte er ausserdem bereits den
Versuch, die neue Entdeckung auch pathologisch, insbesondere zur
Erklärung des Ascites zu verwerthen.
RupBEck gerieth wegen seiner neuen Entdeckung bald mit
Taomas BarTHoLınus in Conflict, der dieselbe Entdeckung für sich in
Anspruch nahm. Ta. BarrHouım, geboren 1614, somit 14 Jahre älter
als Runpgeck, war der Sohn des Caspar BARTHOLINUS, eines vielseitig
gebildeten Mannes, der durch Herausgabe eines Compendiums und
anderer Schriften sich auch als Anatom einen Namen gemacht hatte.
Nach gründlichen und vielseitigen Studien, nach reichlichen
Reisen durch einen grossen Theil von Europa, sowie nach Erlangung
des Doctorhutes in Basel (1645), war B. 1646 nach seiner Vaterstadt
Copenhagen zurückgekehrt und hatte hier Anfangs die Professur der
Mathematik und bald darauf (1648) auch die der Anatomie versehen.
Seine grosse Gelehrsamkeit und ausserordentliche Arbeitskraft, sowie
seine zahlreichen durch umfängliche Correspondenz unterhaltenen
persönlichen Verbindungen, und die bald heranwachsende Schülerzahl
hatten seinen Namen rasch gehoben und in kurzer Zeit erwarb er
sich den Ruf des ersten Anatomen seiner Zeit. Es entsprach diesem
Namen ein nicht geringes Selbstbewusstsein, welchem er, zum Theil
allerdings der Sitte der Zeit folgend, in seinen zahlreichen Schriften
und insbesondere in seinen Vorreden auf beinahe komische Weise Luft
zu machen gewusst hat?).. Nachdem er sein anatomisches Schrift-
1) Vergl. auch die gute schematisirte Abbildung.
2) In der Vorrede zur Gesammtausgabe seiner Schriften über das Lymph-
system Hafn. 1670, heisst es z. B. Nihil vero unguam majori vel invidia vel
acclamatione in publieum prolatum memini quam Lymphatica nostra, quae
novitate sua et utilitate orbem in se eruditum converterunt. Universis enim
facem majoris in re medica et naturali luminis praetulerunt, posteritatis encomio
non indigna, ni mea me fallit imago. Seculi ea est felieitas, ut insolita inveni-
antur, nostra, quod inquirendi non fatigamur studio. Cum sole quotidiano nova
nascuntur, sed omnia lymphis innituntur, quarum fecunda scaturigine irrigati
euriosi plus perficiunt, quam egerunt veteres. Laudis pars nobis servata qui
fontem salutarem apperuimus ete. — In der kleinen Schrift: Vasa lymph. nuper
inventa, gratulirt er seinem Vaterland Dänemark zu den vielen von ihm ge-
machten Entdeckungen. „Africa quotannis novam procreat feram, veteri Anaxilae
verbo ferabatur. Jam in Daniam Africa migravit et laudem illi ambiguam cessit.
— Ab ostentatione semper fui alienissimus, sed sincere dico, quia laureolam in
hoc mustaceo non quaero, rerum mortalium satur et contemtor, si aliis laudum
138 Hıs.
stellerthum damit begonnen hatte, das anatomische Compendium seines
Vaters (die Institutiones anatomicae) wiederkolt neu aufzulegen, und
einige Schriften über pathologische Raritäten zu schreiben, gab er im
Mai 1652 seine erste Schrift über die Chylusgefässe heraus‘). Durch
seinen Bruder Erasmus war er nämlich mit der‘ neuen Entdeckung
Prcquers bekannt geworden, und er beschrieb nunmehr nach eigenen
Untersuchungen einlässlich den ductus thoracicus in seinem ganzen
Verlauf und mit seiner Einmündung in die linke Subeclavia. In
letzterer Hinsicht berichtigte er Prcqauers Angabe, welcher eine
doppelte Einmündung des ductus thoracicus als Regel angesehen und
abgebildet hatte. BArrHoLm hatte Gelegenheit den neuen Gang auch
beim Menschen zu beobachten und gab davon eine Abbildung, die
übrigens hinter der fast gleichzeitig erschienenen des vortrefflichen
Leydner Anatomen J. v. Horx&£?) an Werth zurücksteht.
In den gesammten, oben erwähnten Schriften BARTHOLINS ist von
einer Kenntniss der Lymphgefässe noch keine Spur, zwar sieht er an-
gebliche Chylusgefässe am Uterus und an den Lenden, allein er kennt
ihre Bedeutung nicht, und hinsichtlich der Leberlymphgefässe ist er
noch soweit von einem richtigen Verständniss entfernt, dass er den
Chylustrom sich spalten lässt in eine nach der Leber, und eine zweite,
nach dem ductus thoracicus (od. den Vasa lactea thoracis) abfliessende
Hälfte®). Dem entsprechend lässt er noch die Leber aus dem Chylus
Blut bereiten und in diese Rolle mit dem Herzen sich theilen, und
er tritt gegen die allzu radikalen Bemühungen PEcqvErs auf, der ver-
sucht habe, jene ihres Purpurs völlig zu entkleiden. In der fraglichen
Schrift wird ferner noch die Frage einlässlich erörtert, ob Chylusge-
fässe zur weiblichen Brust treten; und da über einen derartigen Ver-
lauf keine anatomischen Beobachtungen vorliegen, sucht BARTHOLIN
durch einige wunderbare Krankengeschichten, sowie durch physio-
logische Raisonnements dessen Nothwendigkeit zu beweisen.
Schon ein Jahr nach dem Erscheinen der genannten Schrift gab
BARTHOLIN eine zweite Abhandlung heraus unter dem Titel: Tu. BAR-
THOLINI vasa Ilymphatica nuper Hafniae in animantibus inventa et
aucupatoribus haec scribendi oblata fuisset et inveniendi materies, non aliena
inventa tantopere aut excoluissent, aut pro suis venditassent.
1) De lacteis thoracis in homine brutisque nuperrime observatis Hafniae
1652. Ueber die Chylusgefässe des Gekröses findet sich ein Brief von TH. BARTH.
an Ol. Worms vom Jahre 1638 in Epist. cent. I. p. 4.
2) Joh. v. Horve Novus ductus Chyliferus nune primo delineatus. Lug-
dun. Batav. 1652.
3) De lact. thor. cap. XV.
Ueber die Entdeckung des Lymphsystems. 139
hepatis exsequiae; sie ist dem alten RıoLanus gewidmet, dessen Oppo-
sition der Autor vergeblich durch ein vom 15. Mai 1653 datirtes, vor-
bauendes Begleitschreiben zu entwaffnen sucht!). In dieser Schrift
tritt BARTHOLIN als völlig selbständiger Entdecker der Lymphgefässe
auf, und zwar ist auch er seiner Angabe zufolge von den Leberlymph-
gefässen zuerst ausgegangen. Nachdem er nämlich schon früher durch-
sichtige Gefässe an der Leber gesehen aber für Chylusgefässe gehalten,
giebt er an, mit seinem Freunde MıcHAru Lyser zum ersten Mal den
28. Febr. 1652 gesehen zu haben, dass bei einem Hunde, dessen Chy-
lusgefässe mit weissem Inhalt erfüllt waren, die früher für Chylusge-
fässe gehaltenen Kanäle der Leber wasserklaren Inhalt führten; ähnliche
Gefässe sieht er auch längs der Vena cava inferior verlaufen, er kann
sie einerseits zu den Nebennieren, anderseits zum Becken herab ver-
folgen, ja beim Ablösen der Glieder trifft er auf gleichartige Gefässe
in der Umgebung der Axillarvenee Nunmehr kommt er auch darauf,
ein Band um die von der Leber kommenden Gefässe zu legen und
überzeugt sich dabei von der Anschwellung der Gefässe oberhalb der
Ligatur. Nachdem dies einmal ermittelt, wiederholte er natürlich seine
Versuche bei anderen Thieren und kommt zu demselben Resultat.
Beim Menschen ist ihm der Nachweis der fraglichen Gefässe zur Zeit
seiner Publication zunächst noch nicht gelungen; von demjenigen der
sie finden werde, sagt er aber, ei tantum nos debebimus quantum
nobis Prcqurrus. Hinsichtlich des Namens, der den neuen Gefässen
zu ertheilen sei, ist er Anfangs noch unsicher. Vasa serosa will er
sie nicht genannt wissen, weil die von ihnen geführte Flüssigkeit
kein eigentliches Serum sei, dagegen könnte man sie Vasa Lymphatica
sive aquosa oder auch Vasa cerystallina‘ heissen. Auch über den Ur-
sprung der Gefässe ist er unsicher. Exortus est ab extremis partibus
seu artubus et visceribus, hepati nempe, vesicula fellis etc. Qua parte
v. ex artubus prodeant an a venarum extremis, vel musculis necdum
oculus assequi potuit, ob vasorum subtilitatem. Conjecturae si quis
locus, a partibus nutritis debent emergere ob usum postea aperendum,
quanquam, nec a venis capillaribus impossibilis sit exortus. Den In-
halt der Gefässe hält er für das Wasser, welches in den Körperorganen
durch deren Kochung vom Blute abgespalten und zur Enährung un-
brauchbar befunden worden sei. Es sind dies für jene Zeit gerecht-
fertigte Vorstellungen, die BARTHOLIN in späteren Schriften noch mehr
präeisirt hat. Nachdem sich BarrHoLım über diese Dinge ausgesprochen,
1) Von diesem kampfsüchtigen alten Herrn sagt HALLER irgendwo: experi-
menta ratiocinus volebat evertere, ut nostro etiam aevo fieri solet.
140 Hıs.
kommt er endlich an die Leber, der er noch das Jahr zuvor die Rolle
der Blutbereitung gelassen hatte. In einem äusserst drolligen Kapitel, Ex-
sequiae hepatis überschrieben, wird der Leber der solange geleistete Dienst
in ehrenvoller Weise verdankt, ihr selbst aber das fernere Leben ab-
gesprochen, und, um sich nicht der Respectlosigkeit PrcQuers und
seiner Anhänger schuldig zu machen, welche die Leber ohne Sang und
Klang um ihre Herrschaft hatten bringen wollen, errichtet ihr B. die
bekannte Grabschrift!). Siste Viator, Clauditur hoc sub tumulo, qui
tumalavit plurimos, princeps corporis tui cocus et arbiter, Hepar,
notum saeculis sed ignotum Naturae, quod nominis majestatem et dig-
nitatem fama firmavit, opinione conservavit. Tamdiu coxit donee cum
cruente imperio se ipsum decoxerit. Abi sine jecore viator bilemque
hepati concede ut sine bile bene tibi coquat, illi preceris.
Die erste Auflage der eben besprochenen Schrift BARTHOLINS er-
schien in Copenhagen; im gleichen Jahr erschien noch eine 2. in
Paris und da BARTHoLm in der Zwischenzeit durch W. Worm (Sohn
des Olaus) Rupgecr’s Publication kennen gelernt hat?), so schiebt
er seiner neuen Auflage einige Datumangaben ein, welche der ersten
Ausgabe gefehlt hatten; er lässt nämlich seine erste Wahrnehmung der
Leberlymphgefässe in den December 1651 und die der übrigen Lymph-
gefässe auf den 28. Februar 1652 fallen. Es ist dies allerdings auf-
fallend, da in seiner im Mai herausgegebenen Schrift der neuen Ge-
fässe nicht allein keine Erwähnung geschieht, sondern, da er in ihr,
wie wir oben gesehen, noch die Leberlymphgefässe für wirkliche Chylus-
sefässe ausgiebt. RUDBECK beschwert sich nun bitterlich über dies
Verfahren in einem vom 23. December 1653 datirten ‚Brief an
HEMSTERHUYS, den Herausgeber der Messis aurea, und er versucht
geradezu nachzuweisen, dass BARTHOLIN diese nachträglich eingescho-
benen Datumangaben gefälscht haben müsse, um für seine eigene Ent-
deckung die Priorität zu erhaschen. Hierauf antwortet BARTHOLIN
nicht selbst, dagegen tritt einer seiner Schüler Marrın BoGDAanus für
ihn in die Schranken und überschüttet Rupsgzck mit den heftigsten
Vorwürfen aller Art: Er schreibe schlechtes Latein, wisse Nichts von
den Alten, und Alles, was er über seine serosen Gefässe behaupte,
sei nur einzig und allein dem BARTHOLIN°®) abgeschrieben. RuDBECK‘)
I) SPRENGEL, Gesch. d. Medie. 3. Aufl, IV. 171 setzt irrthümlich diese
Grabschrift in die defensio laeteorum ete. contra Riolan.
2) Cf. BartH. Epistol. Cent. II, cap. 34 vom 3. Nov. 1653 aus Leyden
datirt, wohin mittlerweile auch RUDBECK gekommen war.
3) Insidiae structae BARTHOLINO vasis ab OLAo RupgeEck. Hafn. 1654.
4) Insidiae structae aquosis ductibus OLar Ruppeckı a Tu. BARTHoLINo.
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Ueber die Entdeckung des Lymphsystems. 141
adressirt seine Antwort auf diese Schmähschrift an BarrHouLın selbst,
für dessen Werk er sie hält und weist darin die Unrichtigkeit der
ihm gemachten Vorwürfe nach, allein noch einmal wird er von dem
BarrtHouiv’schen Klopffechter Bocpanus misshandelt und als Klügerer
schweigt er endlich, wie es ihm v. Horse schon das erste Mal ge-
rathen hatte. Lis utrinque inciviliter gesta est, sagt HALLER von dem
ganzen Handel, eine Bemerkung, welche für manchen seitdem geführten
Prioritätsstreit ihre Wahrheit behält.
In dem ganzen Streit hatte BARTHOLIN vor dem erst 22jährigen
Rupseck den grossen Vorsprung des bereits gemachten Mannes und
des mächtigen Lehrers. Ohne sich persönlich zu vergeben, konnte er
seine Schüler für sich ins Gefecht schicken und in der That hörten
diese nicht auf, des Meisters Lob zu verkünden und noch nach Jahren
den Gegner in der plumpsten Weise herabzusetzen. So z. B. schrieb
noch 1658 G. SEGER in einer Schrift de quidditate et materia Lymphae
Bartholinianae (Hafn. 1658) von RuDBEcK, er sei egregius inventi
Bartholiniani transseriptor, qui in barbara exereitatione sua nullam
exactam quidditatis aut materiae mentionem fecisset. Erst wird er
verhöhnt, dass er auf die 2. Schrift des Bo@pawus nicht gewagt hätte
zu antworten, und dann droht ihm SEGER, es würden die treuen
Schüler BarrHouıw’s die Angriffe auf ihren Meister niemals ungerächt
lassen, id quod ei candide praedicimus, ut modeste experimentalem
quam crepat, Philosophiam corradat.
RupgEck hat nach seinen ersten beiden Schriften nicht mehr
viel über Lymphgefässe geschrieben, ein Brief an BArTHoLIN de vasis
serosis vom Jahre 1657 wird zwar citirt, dagegen scheint er wenig
bekannt, da ihn sogar HALLEerR nur aus dem Citate kennt. Dafür er-
schien 1661 eine unter seinem Präsidium gearbeitete Disputation von
Or. FrogErivs!), in welcher ausser den bereits bekannten Localitäten,
an welchen Rupgzck Lymphgefässe schon früher beschrieben hatte
(der Leber, den Bauchmuskeln, der Umgebung der Schenkelgefässe,
dem Mediastinum und Pericardium, dem Oesophogus, dem Herzen,
den Lungen, dem ligam. susp. hepatis, dem Magen, der Milz, den
Hoden und Eierstöcken, dem Uterus und den Lenden), noch als neue
Localitäten hinzugefügt werden die Zunge, die Halsdrüsen, das Dia-
Das wichtigste Actenstück dieser Schrift ist wohl das Schreiben des allgemein
geachteten Anatomen v. HoRNE, das allerdings ganz zu Gunsten RUDBECcK’s ge-
halten ist.
) De sero ejusque vasis. Abgedruckt in HaLLEr’s disputat. anatom. select.
Bde VII: p. 285.
142 Hıs.
phragma und die Intereostalräume). Hierüber werden auch Abbil-
dungen mitgetheilt und einige Bemerkungen über die physiologische
Bedeutung der Lymphe, sowie über ihr Verhalten in Krankheiten bei-
gefügt, diese letzteren sind indess ziemlich unbedeutend. Noch fehlt
bei RuDBECK wie bei seinen Zeitgenossen überhaupt die auf chemisches
Verhalten begründete Unterscheidung der verschiedenen wässerigen
Flüssigkeiten des Körpers. Speichel, Schweiss, Lymphe u. s. w. werden
als gleichwerthige Flüssigkeiten behandelt. Aeusserst eifrig erweist
sich BArTHoLIN in Vertheidigung der neu entdeckten Gefässe; ein im
Jahre 1670 herausgekommenes Bändchen ?) umfasst nicht weniger als
14 auf den Gegenstand Bezug habende Aufsätze, welche er von
1652—1670 hatte erscheinen lassen. Trotz ihrer grossen Zahl ent-
halten sie nur weniges von neuen anatomischen Untersuchungen. Es
finden sich nämlich einmal in der Schrift de lacteis thoracis Mit-
theilungen über die Milchgänge und über die Lymphgefässe der Brust-
drüse und dann in der Schrift vasa lymphatica in homine nuper de-
tecta (1654 zuerst erschienen), eine mit gewohnter Selbstgefälligkeit
gegebene Darstellung von der Wahrnehmung der Leberlymphgefässe
bei einer menschlichen Leiche. Die übrigen von 1654 an erschienenen
Aufsätze Barruoums über Chylus- und Lymphgefässe sind Streit-
schriften gegen RıoLan, Harvey, Guisson und Andere und vor allem
gegen den unglücklichen Freiherrn von Brus, welcher unter dem
Vorgeben von allerlei schwindelhaften Entdeckungen die Leber wieder
als blutbildendes Organ hatte restituiren wollen. Diese Streitschriften
enthalten viele physiologische Bemerkungen, indess kennt auch Bar-
THOLIN keine Unterscheidung der farblosen Körpersäfte.e Noch im
Jahre 1660 hält er den von Wuarton entdeckten Speicheldrüsengang
für ein Lymphgefäss und spricht von der aus ihm auspressbaren
Lymphe. Von Interesse ist die genauere Präcisirung der Ansicht, die
sich BArtHoLın von der Bildung der Lymphe macht. Im Spieilegium I
gegen GLisson spricht er sich nämlich dahin aus: es müsse das
arterielle Blut die Lymphe bereits präexistent enthalten, unter anderen
minder gewichtigen Gründen führt er auch den an, dass das durch
Arteriotomie entleerte Blut beinahe doppelt soviel Serum abscheide,
als das venöse. Igitur aqua in arteriis praeexistet, licet tam pura
non sit et limpida, servat tamen aquae conditionem hie et ibi. Purior
1) Für seine Erweiterung der Lymphgefässkenntnisse wird RUDBECK sogar
von BArTHoLIn becomplimentirt. Spieileg. II, cap. VI (1660).
2) Tu. BARTHOLINI opuscula nova anat. de lacteis thoracis et lymphatieis
vasis. Hafn.
-
Ueber die Entdeckung des Lymphsystems. 143
et defaecatior cernitur in Lymphae ductibus, quia percolata fuit per
viarum anfractus, per parenchymata, per vasorum anastomoses, sicut
per arenosam terram et saxa in puteis fluminibusque dulcescit et
clarior decurrit aqua.
Zum Schlusse müssen wir noch des 3. Anatomen gedenken, der
als selbstständiger Entdecker der Lymphgefässe genannt worden ist.
Es ist dies ein englischer Arzt JoLyrr, der zwar selber nichts ge-
schrieben hat, von welchem aber seine Landsleute WHARTON, GLISSON
und CHARLETON behaupten, dass er noch vor RUDBECK und BARTHOLIN
die Lymphgefässe gekannt hätte. WHrarTon nämlich in seiner 1656
erschienenen Adenographie !) giebt ganz beiläufig an, sein College
JOLYFF hätte die Lymphgefässe schon 1650 gefunden, wogegen GLISSON
in etwas einlässlicherer Weise meldet ?), es hätte ihm im Juni 1652
JOLYFF die fraglichen Gefässe an der Leber zuerst gezeigt und zugleich
mitgetheilt, ein mit farbloser Flüssigkeit gefülltes Gefässsystem finde
sich in den meisten Theilen des Körpers®). Es ist schwer, sich auf
die etwas unbestimmte Angabe hin ein Urtheil zu bilden, wie weit
die Kenntnisse JoLYFFs gegangen sind; soviel ist jedenfalls sicher,
dass er seine Entdeckung nicht weiter zum Nutzen der Wissenschaft
verwerthet hat und insofern ist diese auch völlig berechtigt, ihn
RuDBEcK und BARTHOLIN hintanzusetzen.
1) WaaArton, Adenographia. London, 1656, p. 97 und 98.
2) F. Glisson Anatomia hepatis ed. Hagae Com. 1681, p. 819.
3) Addebat porro se in compluribus animalibus eorundem ductum investi-
gasse, in artubus scil. testiculis, utero, aliisque partibus certoque sibi constare,
liquorem in iis versus mesenterium tendere, et particulatim ad initium sive ra-
dicationem ejus.
Drusk von Metzger & Wittig in Teipzig.
Zur Mechanik des Brustkastens.
Von
A. W. Volkmann.
Die Mechanik des Brustkastens ist schon oft, und auch von sach-
kundigen Männern, bearbeitet worden, gleichwohl findet sich in diesem
Abschnitte der Physiologie noch so viel Unfertiges, dass es nicht über-
flüssig sein dürfte, auf den Gegenstand zurück zu kommen. Bekannte
und unbestrittene Verhältnisse sollen nur, wo es der Zusammenhang
der Darstellung erfordert, kurz berührt werden.
Die Bewegungen des Brustkastens beruhen zunächst auf einer
abwechselnden Hebung und Senkung der Rippen. Jedes zusammen-
gehörige Rippenpaar bildet einen mehr oder weniger vollständigen
Ring, welcher an der Wirbelsäule beweglich befestigt ist. Genügte
es, von der Lage und Bewegung der Rippen eine ungefähre Schilde-
rung zu geben, so könnte man sagen, jeder Rippenring liegt in einer
nach vorn und unten geneigten Ebene und dreht sich um eine durch
die Köpfchen beider Rippen geleste Querachse derartig, dass die Ebene,
in welcher er liegt, sich beim Einathmen mehr einer wagerechten,
beim Ausathmen mehr einer senkrechten Ebene nähert.
Schon diese oberflächliche Darstellung macht begreiflich, dass
sich der Hohlraum, welchen die Rippenringe einschliessen, beim Ein-
athmen erweitere und beim Ausathmen verengere.
Untersucht man die Einlenkung der Rippen genauer, so findet
sich, dass man bei der Annahme einer einfachen Drehachse für einen
Rippenring nicht stehen bleiben könne, vielmehr besitzt jede der beiden
zusammengehörigen Rippen eine besondere Achse, deren Richtung von
hinten und aussen, nach vorn und innen geht.
Hieraus ergiebt sich ohne Weiteres, dass, wenn der Rippenring
ein starres Ganze bildete, überhaupt jede Athembewegung unmöglich
sein würde, indem gerade die Bewegung, welche die eine Achse forderte,
Zeitschrift f. Anatomie. Bd. 1. 10
146 VOLKMANN.
die der anderen Körperseite verhindern müsste. Indess besteht der
Rippenring nicht aus einem starren Ganzen, sondern aus verschiedenen,
beweglich verbundenen, und, was die Knorpel- anlanst, biegsamen
Theilen.. Aus dem Allen erhellt, wie HELMHOLTZ zeigte, dass die
Bewegung des Brustkastens sich nicht auf ein einfaches Heben und
Senken der Rippenringe beschränke, sondern wesentlich auf Gestalt-
veränderungen derselben beruhe.
Sollen die Vorgänge der Athembewegung auf mechanische Prin-
cipien zurückgeführt werden, so müssen die Drehachsen des Rippen-
ringes gegeben sein, doch bestehen über die Lage derselben noch
Meinungsverschiedenheiten. Die Mehrzahl der Anatomen nimmt an,
dass die Richtung der Achse nahezu der Richtung des Rippenhalses
entspreche. Als anatomische Grundlage dieser Annahme hat man die
doppelte Gelenkfläche der Rippe, an deren Köpfchen und Höcker,
betrachtet. Diese Flächen sind offenbar nur kleine Bruchstücke der
Rotationsfläche, um deren Achse die Rippe sich dreht, und würde also
der anatomische Nachweis der Achsenlage davon abhängen, dass aus
den gegebenen Bruchstücken der Gelenkfläche der fehlende Rest er-
mittelt würde.
Unzweifelhaft bildet der in Rede stehende Rotationskörper einen
Kegel, dessen Spitze im Scheitel des Rippenköpfchens und dessen Basis
im Querschnitt des Höckers liegt. Fraglich ist nur die Grösse seiner
Basis, für deren Bemessung keine festen Anhaltspunkte vorliegen.
MEISSNER hält dieselbe für sehr klein, H. MEyER für sehr gross. Nach
Ersterem könnte die Achse des Kegels, mit der des Rippenhalses zu-
sammenfallen, nach Leizterem liest sie vor dem Halse, und bildet mit
diesem einen ansehnlichen Winkel.
Ich habe den misslichen Versuch, die Lage der Achse aus anato-
mischen Untersuchungen abzuleiten, ebenfalls gemacht, und möchte,
in Folge derselben, mich der üblichen Vorstellung anschliessen, dass
die Richtung derselben sich von der des Rippenhalses nicht erheblich
entferne. Die Versuche sind in folgender Weise angestellt worden.
Ich befestige einen Wirbel in der Lage, welche ihm bei aufrechter
Stellung des Körpers zukommt, auf einem Tische, und spanne über
demselben zwei feine Fäden in der Weise aus, dass jeder Faden den
Mittelpunkt der fovea costalis am Wirbelkörper, und das scheinbare
Centrum der Basis des kegelförmigen Rotationskörpers schneidet. Diese
Fäden kreuzen sich über dem Wirbelkörper, bald mehr im hinteren,
bald mehr im vorderen Theile desselben, und bilden einen leicht mess-
baren Winkel. Halbirt man diesen, so erhält man den Winkel, unter
welchem die Drehachse die Medianebene schneidet. Eine Versuchs-
Zur Mechanik des Brustkastens. 147
reihe, welche nach dieser Methode ausgeführt wurde, ergab folgende
Resultate:
Winkel
\ unter welchem beide unter welchem die Drehachse
Rippe. Achsen sich kreuzen. die Medianebene kreuzt.
1 162° & 81°
2 128° 64°
b) 1252 G2730%
4 111° 590.304
5 108° 54°
6 109° 94930%
7 109° 54° 30°
8 88 44°
9 3 46°
10 88° 44°
Die grosse Unsicherheit solcher Messungen liest auf der Hand,
doch will ich bemerken, dass in allen meinen Versuchen die Grösse
der Kreuzungswinkel von der 1. Rippe gegen die 10. auffallend ab-
nahm, ungefähr um das Doppelte. Eine solche Abnahme der Winkel
von oben nach unten beobachtete auch MEISSNER!), welcher, wie ich
glaube, mit vollem Rechte die Veränderung in der Lage der Drehachse
von der veränderten Richtung der Querfortsätze, und also auch der
Rippenhälse ableitet.
In Uebereinstimmung mit diesen Ergebnissen sind die wichtigen
Versuche von HENKE?), welche ich bestätigen kann. Wenn man in
die Rippe eines frisch präparirten Brustkastens, transversal durch die-
selbe, einen Stift steckt, so beschreibt derselbe bei künstlicher Respi-
ration, eine bogenförmige Bewegung, den einzigen Fall ausgenommen,
wenn man ihn im tuberculum costae in der Richtung des Rippenhalses
einführt. Gelinst es dem Stifte diese Richtung zu geben, so steht
er bei der Athembewegung fast vollständig still, ein Beweis, dass er
ganz nahe der Drehachse, und diese selbst im Halse der Rippe liege.
Unter diesen Umständen kann ich mich der Meinung H. Meyer’s
nicht anschliessen, dass man, vorläufig ohne bemerkenswerthen Fehler,
die Achse zweier auf gleicher Höhe liegenden Rippen, als ein con-
1) Zeitschrift für ration. Mediz. 1857. Jahresbericht über die Fortschritte
der Physiolog. im Jahre 1856 $. 486.
?) Handbuch der Anatomie und Mechanik der Gelenke. Leipzig und
Heidelberg 1863 S. 78,
10*
148 VOLKMANN.
tinuum ansehen könne, welches gradlinig und in frontaler Richtung
durch die Köpfchen derselben hindurchsetze').
Meines Erachtens sind Versuche, wie die von HENKE angestellten,
allein schon ausreichend zu beweisen, dass die Drehachsen der Rippen
unter spitzen Winkeln die Medianebene schneiden, und dass die
Kreuzungswinkel von oben nach ‚unten, entsprechend der veränderten
Lage der Querfortsätze und Rippenhälse, immer spitzer werden. Es
bleibt nur noch übrig, die Grösse dieser Winkel genauer, als die bis-
herigen Versuchsmethoden erlaubten, zu bestimmen.
Um diesen Zweck zu erreichen, habe ich Versuche angestellt, zu
deren Verständniss einige Vorbemerkungen nöthig scheinen.
Man denke sich das Object der Beobachtung sei ein menschlicher
Körper in aufrechter Stellung. Eine Rippe sei frei gelegt, und auf
derselben ein Punkt bezeichnet, dessen Bewegung während des Athmens
beobachtet werden soll. Da dieser Punkt um die Drehachse rotirt, so
wird das Auge des Beobachters, wenn es sich in der Fortsetzung der
Rotationsebene befindet, nicht eine bogenförmige, sondern eine grad-
linige Bewegung wahrnehmen. Fügen wir hinzu, dass die gradlinige
Bewegung eine senkrechte sein müsste, wenn die bezügliche Drehachse
in einer wagerechten Ebene läge.
Gesetzt nun, es gelänge die Versuchsbedingungen in der eben
angegebenen Weise zu gestalten, so würde sich die Lage der Drehachse
in dem beobachteten Individuum auf folgende Weise bestimmen lassen.
Der Beobachter verzeichnet auf der Tafel eines vor ihm stehenden
Tisches seine Visirlinie, und zieht durch diese rechtwinklig eine zweite
Linie, welche offenbar der Richtung der gesuchten Drehachse entspricht.
Denn da die Visirlinie in der Fortsetzung der Rotationsebene liegt,
welche ihrerseits rechtwinklig von der Drehachse geschnitten wird, so
muss eine Linie, welche rechtwinklig die Visirlinie schneidet, der
Drehachse parallel sein. Ist der Versuch so weit eingeleitet, so braucht
man der Zeichnung nur noch eine dritte Linie hinzu zu fügen, welche
der Medianebene parallel läuft und die eben erwähnte zweite Linie
schneidet. Man erhält dann den Winkel, welchen die Drehachse mit
der Medianebene einschliesst, einen Winkel, den ich kurz den Kreu-
zungswinkel der Drehachse nennen und im Folgenden mit ww bezeich-
nen werde.
Dies die Grundidee meiner Versuche, die nun ausführlich beschrie-
‚ben werden sollen.
I) Die Statik und Mechanik des menschl. Knochengerüstes 1873 8. 258.
Zur Mechanik des Brustkastens. 149
Die Beobachtungen wurden an der Leiche eines kräftigen Mannes,
selbstverständlich nach dem Verschwinden der Todtenstarre, angestellt.
Durch Entfernung der Haut und der oberflächlichen Muskeln waren
(die echten Rippen frei gelegt. Den Kopf hatte ich, unter dem zweiten
Halswirbel, abgeschnitten. Die Leiche wurde auf einem Stuhle mit
hoher, senkrechter Lehne in aufrechter Richtung zum Sitzen gebracht,
und mittels Stricken, welche um die Oberschenkel des Cadavers und
(den Sitz des Stuhles gewunden waren, unverrückbar befestigt. In die
Halswirbel war ein hölzerner Stab mit Gewalt eingezwengt, welcher
zur weiteren Befestigung der Leiche, und namentlich zur Sicherung
der graden Richtung des Rumpfes dienen sollte. Die senkrechte Lehne
des Stuhles, welche dem Rücken des Körpers zur Stütze diente, war
nämlich galgenartig gestaltet, so dass ein horizontaler Arm derselben
einige Zolle über dem durchschnittenen Halse zu liegen kam. Dieser
horizontale Arm war nach vorn hin gäbelförmig gespalten, und der in
die Halswirbel eingezwengte Stab liess sich in die Oeffnung der Gabel
einklemmen. Durch diese Vorkehrungen war die Stellung der Leiche
eine so feste, dass sie durch Verrücken des Stuhles, und durch Stösse
an denselben, nicht im mindesten verändert wurde.
In einer Entfernung von ungefähr acht Fuss von der Leiche, halb
vor ihr, halb neben ihr, sass der Beobachter, einen Tisch vor sich.
Auf der mit weissem Papiere beklebtem Tischplatte war eine Visir-
linie verzeichnet, in welcher ein Diopter und ein Bleiloth angebracht
waren. Die Stärke des Lothfadens betrug 0,18”", seine Entfer-
nung vom Auge reichlich 1 Fuss. Auf die Rippe, deren Achse
bestimmt werden sollte, klebte ich eine weisse Marke, von der Grösse
eines Groschens, in deren Mitte ein runder schwarzer Punkt, von
3” Durchmesser, angebracht war. Die auf dem Stuhle sitzende
Leiche wurde nun so gestellt, dass diese Marke in die Visirlinie zu
liegen kam.
Um Athembewegungen hervorzubringen, war in die trachea eine
Röhre eingebunden, welche mit Hülfe eines Hahnes beliebig geöffnet
und geschlossen werden konnte. Die Inspirationsbewegungen wurden
dadurch hergestellt, dass ein Assistent die Lunge des Cadavers kräftig
aufblies, und, nachdem dies geschehen, den Hahn der Röhre schloss.
Die mit dem Verschlusse entstehende Ruhe begünstigte die Genauigkeit
der Beobachtungen, welche constatiren sollten, ob das Centrum des
schwarzen Punktes, auch nach dessen Aufsteigen, genau vom Pendel-
faden geschnitten werde. Nachdem dies ermittelt worden, wurde der
Hahn geöffnet, und hiermit Gelegenheit gewonnen, den Versuch bei
absteigender Rippenbewegung zu wiederholen und zu controfliren.
150 VOLKMANN.
Die Herstellung einer solchen Richtung der Leiche, dass der auf
der Rippe angebrachte schwarze Punkt genau in der Visirlinie liest,
hat keine Schwierigkeit. Da nämlich jeder Punkt der knöchernen
Rippe um die Drehachse rotirt, so kann man, wenn die der Rippe
angeheftete Marke nicht genau in die Visirlinie fallen sollte, die Marke
so verschieben, dass das Centrum des schwarzen Punktes genau vom
Lothfaden geschnitten wird. Dagegen ist es ungemein schwierig, der
Leiche die Stellung zu gehen, in welcher der fixirte schwarze Punkt
beim Auf- und .Absteigen der Rippe die Richtung des Lothes genau
einhält. Es sind mir Fälle vorgekommen, wo der fixirte Punkt fast
um 1 ““ nach links oder rechts vom Lothe abwich, und können
100 und mehr Correcturen, in der Stellung der Leiche, erforderlich
sein, ehe man die rechte Lage trifft. Die letzten und feinsten Correc-
turen liessen sich nur dadurch herstellen, dass mit einem Hammer
mässige Schläge an das eine oder andere Stuhlbein gegeben wurden,
um auf diese Weise minimale Drehungen der Leiche hervorzubringen.
In allen Fällen gelang es schliesslich eine Stellung zu beschaffen,
bei welcher der fixirte schwarze Punkt in grösster Genauigkeit der
Richtung des Lothes folgte. Dies beweist aber, dass die Drehachse in
allen von mir untersuchten Fällen, nämlich in der 1., 3., 5. und 7.
Rippe eine horizontale Lage hatte.
Dies Resultat ist sehr überraschend. Da die Wirbelsäule im Brust-
kasten sich nach vorn concav gestaltet, so neigen die Körper der obern
Wirbel nach unten, während die der unteren eine Richtung nach oben
haben. Dies hat zur Folge, dass die Querfortsätze der oberen Brust-
wirbel etwas aufwärts, die der unteren etwas abwärts gerichtet sind,
und sollte man meinen, dass die Rippenhälse und mit ihnen die Dreh-
achsen, sich dieser Richtung der Querfortsätze anschliessen müssten).
Die vorerwähnten Versuche widersetzen sich dieser Annahme, und
ist es, bei der Wichtigkeit des in Frage stehenden Gegenstandes, noth-
wendig, die Zuverlässigkeit meiner Beobachtungen genau zu prüfen.
In meinen Versuchen verlange ich nicht nur, dass der fixirte
Punkt der Rippe der Richtung des Lothes folge, sondern ich verlange
auch, dass der feine Faden des letzteren das Centrum dieses Punktes
schneide. Mit anderen Worten, ich verlange, dass von dem schwarzen
Punkte, während der ganzen Dauer seines Aufsteigens, der zur Linken
l) MEIssneR hat angenommen, dass die Drehachsen von hinten und oben
nach vorn und unten neigen, und dass diese Neigung von den oberen Rippen
gegen die unteren zunehme. Conf. Jahresberichte für die Fortschr. der Physiolog.
im Jahre #856 S. 487. Für diese Annahme wüsste ich keinen Grund zu finden.
Zur Mechanik des Brustkastens. 151
”
des Fadens liegende Theil, mir eben so gross erscheine, als der zur
Rechten liegende. Ich will nun zeigen, in wie weit solche subjective
Gleichschätzung zweier gegebenen Grössen, im vorliegenden Falle, zu
einem falschen Schlusse führen könne.
Da die Entfernung des fixirten schwarzen Punktes acht Mal grösser
ist, als die des Lothfadens in der Visirlinie, so müsste der Punkt,
wenn er vollständig vom Faden gedeckt werden sollte, acht Mal grösser
im Durchmesser sein, als letzterer. Er müsste einen Durchmesser von
8x0,18%0 — 1,44”” haben; er hat aber einen Durchmesser von
zum, Hieraus ergiebt sich, dass, wenn der Faden das Centrum des
schwarzen Punktes schneidet, zu jeder Seite desselben 0,78" des
Punktes unbedeckt bleiben. Gesetzt also, der Punkt wiche, bei schein-
bar senkrechten Aufsteigen !/,”"® vom Lothe ab, so würde auf der
einen Seite des Fadens ein schwarzes Object von 0,28”, auf der
andern ein solches von 1,28”® Durchmesser gelesen haben. Nach
meinen früheren Versuchen, über die Unterscheidbarkeit von Grössen-
differenzen, ist es ganz unmöglich, zwei so verschiedene Grössen für
gleich zu schätzen. Aber selbst wenn man annehmen wollte, dass ein
Abweichen des fixirten Punktes um !/,””" vom Lothe mir hätte
entgehen können, würden die aus meinen Beobachtungen abgeleiteten
Schlüsse wesentlich dieselben bleiben. In meinen Versuchen erhob
sich nämlich der fixirte Punkt um 10—20"®%,. Nehmen wir den
für mich ungünstigsten Fall, er habe sich um 10"® erhoben, so
würde, wenn wir den Winkel, welchen die von mir für senkrecht
gehaltene Linie mit dem Lothe einschliesst, mit x bezeichnen,
-
0.5 3 5
jo m = tang x, und x nur — 2° 51‘ sein.
Die horizontale Lage der Drehachsen muss ich hiernach für erwiesen
halten, obschon ein so gründlicher Sachkenner wie FREUND ein anderes
Lagenverhältniss speciell beschrieben hat!).
Zu bemerken ist noch, dass die oben erwähnte Richtung der
Querfortsätze, welche in den drei oberen Rückenwirbeln eine aufstei-
gende, in dem sechsten bis neunten eine absteigende ist, nicht über
die Richtung des Rippenhalses, und noch weniger über die der Dreh-
achse entscheide. Da nämlich die beiden kleinen Gelenkflächen der
Rippe zu einem konischen Rotationskörper gehören, und da die Basis
des conus im Querschnitte des Rippenhöckers liegt, so muss die Lage
!) Dr. W. A. FREUND in seiner sehr beachtenswerthen Schrift: Der Zu-
sammenhang gewisser Lungenkrankheiten mit primären Rippenknorpelanomalien.
Erlangen 1859.
152 VOLKMANN.
je
der Drehachse, als zusammenfallend mit der Kegelachse, davon abhängen,
ob der Rippenhöcker mehr am unteren oder am oberen Rande des
Querfortsatzes schleift. Im ersten Falle würde die Achse tiefer, im
zweiten höher liegen müssen, als der Querfortsatz, und durch solche
Differenzen in der Lage der schleifenden Stelle, mag der horizontale
Parallelismus der Drehachsen trotz der Divergenz der Querfortsätze
erhalten werden. In der That verändert die am Querfortsatze befind-
liche ineisura tubercularis in auffälliger Weise ihre Lage. Die Con-
cavität derselben ist in den obersten Rückenwirbeln nach vorn und
unten, im sechsten bis neunten Rückenwirbel auffällig nach oben ge-
richtet, morphologische Unterschiede, welche zur Herstellung horizon-
taler Drehachsen sehr gut passen.
Ich kehre nun zur Beschreibung meines Versuches zurück. Vor
dem Cadaver ist ein grosser Tisch aufgestellt, genau so hoch wie der
Tisch, hinter welchem der Beobachter sitzt, und an denselben anstossend.
Auf diesem Tische liegt ein Parallellineal von zwei Meter Länge, mit
beweglichen Verbindungsstücken von ein Meter Länge. Das grosse
Instrument wird so gerichtet, dass das eine Lineal in die Fortsetzung
der Medianebene des Cadavers zu liegen kommt, worauf seine Lage
durch aufgesetzte Gewichte gesichert wird. Ist dies geschehen, so
wird das andere, also bewegliche Lineal, auf den vor dem Beobachter
befindlichen Tisch hinübergeschoben, um mit Hülfe desselben eine der
Medianebene Parallele zu ziehen, welche die auf der weissen Tafel
verzeichnete Visirlinie schneidet. Da nun, wie oben erörtert, eine
Linie, welche rechtwinklig zur Visirlinie verläuft, der Lage der Dreh-
achse entspricht, so braucht man schliesslich nur eine solche Linie zu
ziehen, und bis zu der eben besprochenen Parallele der Medianebene
zu verlängern, womit man den Winkel erhält, welchen die
Drehachse der Rippe mit der Medianebene des Körpers
einschliesst.
Das Resultat meiner Beobachtungen war folgendes:
Grösse des Kreuzungswinkels der Dreh-
achse mit der Medianebene =
Rippe.
beobachtet. im Mittel.
1 Oo ıı 73°, 30°
3 65°, 64° 64°, 30°
5 63°, 580, 581,0 599, 50°
N 45°, 50°, 52°, 53° 50°
Diese Werthe entfernen sich von denen, welche ich aus der Ge-
stalt und Lage der Gelenkflächen abgeleitet habe (S. 147) kaum mehr,
Zur Mechanik des Brustkastens. 153
als dies in Folge individueller Verschiedenheiten erwartet werden
durfte.
Ich will noch bemerken, dass die in der vorstehenden Tabelle
verzeichneten einzelnen Beobachtungen überall auf einer neuen Fest-
stellung des Cadavers, gegenüber dem Beobachter und seiner Visirlinie,
beruhen. Nur in solchen umgestalteten Versuchen schwanken die
gefundenen Winkelwerthe. Schien die richtige Stellung der Leiche
gefunden, so wurden wieder verschiedene Beobachtungen gemacht, nicht
nur bei Inspiration und Exspiration, sondern auch von verschiedenen
Beobachtern, nämlich von mir und meinem sehr scharf sehenden
Assistenten. In diesen Beobachtungen kamen Differenzen überhaupt
nicht vor.
Im Allgemeinen hat sich also ergeben:
1. Die Drehachsen der Rippen liegen höchst angenähert in
Horizontalebenen.
2. Die Drehachsen verlaufen von hinten und aussen nach vorn
und innen, so dass sie sich von der Frontalebene bedeutend
entfernen.
3. Der Kreuzungswinkel der Drehachsen mit der Medianebene,
wird von oben nach unten auffallend kleiner.
In Bezug auf diese drei Punkte findet zwischen den Resultaten
der anatomischen Untersuchung und des physiologischen Experimentes
eine sehr befriedigende Uebereinstimmung statt. In wie weit die von
mir gefundenen Mittelwerthe der Kreuzungswinkel als normale gelten
können, werden wiederholte Versuche zu entscheiden haben. Die
Differenzen der von mir selbst beobachteten Werthe beruhen wahr-
scheinlich auf zwei Fehlerquellen, deren vollständige Umgehung kaum
möglich sein dürfte. Nämlich einmal ist die Erhebung der Rippen
zu gering, um die Richtung ihrer Bewegung mit absoluter Genauigkeit
zu beurtheilen, und andrerseits beruht die Einstellung des Parallellineales
in die Medianebene auf einer zu unsicheren Schätzung.
Ist die Richtung der Drehachsen der Rippen einmal festgestellt,
so ergeben sich gewisse Schlussfolgerungen auf die Mechanik des
Brustkastens ganz von selbst.
1. Da die Drehachsen der Rippen weder eine frontale noch
sagittale Lage haben, so können auch die Rotationsebenen ihrer
Sternalenden weder eine sagittale noch frontale Richtung, sondern nur
eine zwischen diesen liegende schiefe haben. Hieraus ergiebt sich
sofort, dass mit der Hebung der nach unten hängenden knöchernen
Rippen, gleichzeitig eine Entfernung ihrer Sternalenden von der hin-
teren Rückenwand, und eine Entfernung von der Medianebene des
154 VOLKMANN.
Körpers verbunden sein müsse, also Vertiefung und Verbreiterung des
Brustkastens.
2. Da die Richtung der Drehachsen in den oberen Rippen relativ
mehr frontal, in den unteren relativ mehr sagittal ist, so müssen die
Sternalenden der oberen Rippen sich relativ mehr nach vorn, die der
unteren Rippen relativ mehr seitwärts bewegen. Mit anderen Worten
die oberen Rippen werden vorwiegend die Vertiefung, die unteren
vorwiegend die Verbreiterung des Brustkorbes vermitteln.
3. Da die knöckernen Rippen durch die ungleiche Lage der
Drehachsen zu verschiedenen, und durch ihre Verbindungen mit dem
Brustbeine zu gleichzeitigen und gleichartigen Bewegungen genöthist
werden, so müssen in den nachgiebigen Knorpeln Torsionen entstehen,
Spannungen, die, obschon von vorn herein verschieden nach Art und
Grösse, doch zu einer elastischen Ausgleichung gelangen müssen, so
dass eine bestimmte Widerstandsgrösse entsteht, welche die Bewegungen
des Brustkastens im Ganzen behindert.
4. Da jeder Punkt einer Rippe, so weit die Bewegung dieser
von ihrem Charnier abhängt, sich im Kreise um deren Drehachse
bewegt, so kann die Grösse und Geschwindigkeit der Bewegung an
verschiedenen Punkten der Rippen nicht dieselbe sein, vielmehr müssen
beide sich verhalten wie die radii vectores der betreffenden Punkte,
d. h. wie deren senkrechte Abstände von der Drehachse. In Betracht,
dass die Rippe einen Bogen, ihre Drehachse dagegen eine Gerade
darstellt, müssen die radii vectores, vom Rippenhalse an bis zum Brust-
beine, eine Zeit lang wachsen und nachmals wieder abnehmen. Dieses
für die Mechanik des Brustkastens fundamentale Gesetz musste so
lange verkannt werden, als man den Drehachsen der Rippen eine fron-
tale Richtung zuschrieb, und demgemäss ein stetiges Wachsen jener
Radien mit einem Maximum im Brustbeine anzunehmen genöthigt war.
5. Die Bewegungen des Brustkastens können nicht einfache
Consequenzen der Achsendrehung der Rippen sein. Denn da die Dreh-
achsen sich kreuzen, indem sie von der rechten Körperhälfte zur linken,
und umgekehrt von der linken zur rechten sich fortsetzen, so ist ein-
leuchtend, dass, wenn es sich einfach um Achsendrehung handelte,
mehr als der halbe Rippenring um eine Achse rotiren müsste. Um
die Achse der rechten Rippe, beispielsweise, müsste auch das Brustbein
und die Knorpel der linken Körperhälfte, und um die Achse einer
linken Rippe gleichermassen das Brustbein und die Knorpel der rechten
Körperhälfte rotiren, also dieselben Körpertheile in entgegengesetztem
Sinne. Auf die Frage, was aus diesen sich widersprechenden Bewe-
gungen resultire, werde ich später zurückkommen.
Zur Mechanık des Brustkastens. 155
6. Die mit der Rotation verbundene Bewegung der Rippen nach
aussen, also wegwärts von der Medianebene, bedingt eine Verlängerung
der Knorpel, welche sie an das Brustbein heften. Diese Verlängerung
kann nur in sehr geringem Masse von einer Dehnung derselben in
die Länge abhängen, beruht vielmehr darauf, dass in den bogenförmig
gestalteten Knorpeln, durch Abilachung des Bogens, die Sehne desselben
vergrössert wird. Erst mit der dritten oder vierten Rippe beginnt
diese bogenförmige Gestaltung, und sind daher die oberen Rippen,
besonders aber die erste, viel weniger zu einer Auswärtsbewegung
geeignet, als die unteren, was in Uebereinstimmung mit der Lage der
bezüglichen Drehachsen ist, welche in ‘den oberen Rippen eine viel
geringere Bewegung nach aussen bedingen, als in den unteren.
Schon der Bau des Brustkastens führt also zu dem Schlusse, dass
die oberen Rippen mehr der Vertiefung, die unteren mehr der Ver-
breiterung desselben dienen, ich glaube indess beweissen zu können,
dass die Richtigkeit dieses Schlusses sich auch mathematisch begrün-
den lasse.
Zur Ausführung der erforderlichen Rechnungen müssen folgende
Masse gegeben sein:
1. Die Grösse des Kreuzungswinkels der Drehachse mit der
Medianebene = w.
2. Die Grösse des Winkels, welchen die nach unten hängende
.Rippe, mit einer durch ihre Drehachse gelegten senkrechten
Ebene einschliesst. Ich werde diesen Winkel den Neigungs-
winkel der Rippe nennen und mit ® bezeichnen.
3. Alle diejenigen Masse, welche erforderlich sind, um den Ort
eines Punktes der Rippe zu bestimmen, nach dessen Bewegung
geiragt wird.
Ich habe gefunden, dass das Sternalende der knöchernen Rippe,
als der von der Drehachse entfernteste Punkt, die ausgiebigsten Rota-
tionen macht, und wird es mir im Nachstehenden nur darauf ankom-
men, den Ort dieses Punktes zu bestimmen.
Um möglichst genaue Masse zu bekommen, habe ich folgendes
Verfahren eingeschlagen. Ich durchbohre den Wirbel des in Betracht
zu ziehenden Rippenringes, in der Richtung der Drehachse, und führe
durch das Bohrloch einen geraden, relativ starken Stahldraht, welcher
also eine solide Verlängerung der Achse abgiebt. Um das Rippen-
gelenk zu schonen, wurde die Durchbohrung des Wirbels oberhalb des
Rippenhalses vorgenommen und lag nun die künstliche Achse um etwa
10 ®® zu hoch, eine Ungenauiskeit, die nachmals bei den Massbe-
Stimmungen in Rechnung gebracht wurde.
156 VOLEMANN.
Von der stählernen Achse geht unter rechten Winkeln ein schmaler,
in Millimeter getheilter Papierstreifen ab, welcher, obschon an die
Achse befestigt, doch in der Längenrichtung derselben bequem ver-
schiebbar ist. Wird dieser papierene Massstab an seinem unteren
Ende mit einem Gewichte verbunden, so dient er als Bleiloth, und
giebt die Richtung einer durch die Drehachse gelegten senkrechten
Ebene an.
Hiernach hatte es keine Schwierigkeit, den Abstand des Sternal-
endes der Rippe von der eben erwähnten senkrechten Ebene zu
bestimmen, und eben so wenig seine Entfernung von einer durch die
Drehachse gelegten Horizontälebene zu messen. Weiter aber konnte
der biegsame Massstab auch in schiefer Richtung durch die Brusthöhle
gezogen werden, in der Weise, dass der geradlinige Abstand des
Sternalendes von der Drehachse selbst, also dessen radius vector ge-
messen wurde.
Bei den mancherlei Schwierigkeiten, welche die von mir unter-
nommenen Messungen darbieten, ist eine Controlle der letzteren sehr
wünschenswerth. Wenn man die vorerwähnten drei Abstände in
Linien darstellt, so erhält man rechtwinklige Dreiecke, für welche die
Formel gilt: a@ +5? =c? wo a und d die Katheten und c die Hypote-
nuse bedeuten. Ich habe mich überzeugt, dass die von mir gemessenen
Grössen dem pythagoräischen Lehrsatze recht wohl entsprechen. So
befriedigend dies auch ist, so wäre doch noch wichtiger ‚gewesen,
beweisen zu können, dass die von mir gewählte us: der künstlichen
Drehachse die rechte sei.
Tabelle der gefundenen Masse.
1. Der Abstand des Sternalendes der knöchernen Rippe von einer
durch die Drehachse der Rippe gelegten senkrechten Ebene.
In der 1. Rippe 45
ER U ERRNTE, NZ 7%
a ee 0
2. Der Abstand des Sternalendes der knöchernen Rippe von
einer. durch die tubercula costarum des bezüglichen Rippenringes
gelegten senkrechten Ebene.
In der 1. Rippe 54 "”
ln
Ne Non
3. Der Abstand zweier horizontalen Ebenen, deren eine durch
das Sternalende, die andere durch das Köpfchen der Rippe gelegt ist.
Zur Mechanik des Brustkastens. 157
In der 1. Rippe 55
A RIO ;;
ee ne loan,
4. Der Abstand des Sternalendes der Rippe von der Medianebene
des Körpers.
In der 1. Rippe 50 ""
Mei 260,
ee NE a
5. Die Länge einer Linie, welche vom Sternalende der Rippe
normal auf die Drehachse gefällt ist, also radius vector des Sternalendes.
Inader 1. Rippe 70T
dal 2199,
” „ T. „ 207 ”
„
Bestimmung des Neigungswinkels der Rippen.
Vergl. S. 155 Nr. 2.
In beistehender Figur 1 bedeutet DD’ den
Durchschnitt der durch die Drehachse gelegten Fig. 1.
senkrechten Ebene; A das Sternalende der Rippe
und Ac den radius vector desselben. Hiernach
ist x der gesuchte Neigungswinkel.
T
4a c die drei Seiten, es entspricht nämlich
Aa dem in der Tabelle unter Nr. 1 bemerkten ,
Abstande; ac repräsentirt die unter Nr. 3 ge- v
messene Höhe, und Aec ist gegeben durch die - „a
unter Nr. 5 gemessene Länge. ”
Gegeben sind in dem rechtwinkligen Dreieck R
; |
en = sin x, und ergiebt sich x A 2 |
für die 1. Rippe = 40° »
46016 |
nee kn on)
Nun ist a
C
r
!) Die im Obigen ausgeführte Berechnung des Neigungswinkels ist ratio-
neller als die von H. Mrver (a. a. O. 259) angestellte, welcher den Winkel, den
die Rippe mit einer durch die capitula costarum gelegten senkrechten Ebene
einschliesst, als den Neigungswinkel betrachtet. Soll der Neigungswinkel zur
Berechnung der Rippenbewegungen dienen, ‘welche im Kreisbogen um die Dreh-
achsen erfolgen, so ist einleuchtend, dass nur der Winkel, welchen der radius
veetor des rotirenden Punktes mit einer durch die Drehachsen gelegten senk-
rechten Ebene bildet, verwerthbar sei.
158 VOLKMANN.
Fussend auf den in der Tabelle verzeichneten Massen und den so
eben gefundenen Neigungswinkeln, habe ich die Grösse der Athembe-
wegungen, welche sich durch Erhebung, Vertiefung und Verbreiterung
des Brustkastens kennzeichnen, unter Voraussetzung einer Achsen-
drehung von 10°, trigonometrisch berechnet.
Diese Voraussetzung ist zwar willkürlich, da es sich aber nicht
um Gewinnung absoluter Werthe, sondern nur um Ermittelung des
gegenseitigen Verhältnisses jener drei Bewegungsrichtungen handelt,
so ist ein Fehler in der Voraussetzung ohne Bedeutung. Die Zahlen-
werthe, auf welche meine Berechnung führt, scheinen mir etwas zu
gross, da ich für die Verbreiterung des Brustkastens im ersten Rippen-
ringe 5,6 ”® erhalte (siehe unten) und nach der Dicke, Kürze und
Festigkeit des ersten Rippenknorpels, selbst diese geringe Verbreiterung
noch für zu gross erachte. Hiernach wäre möglich, dass ich die bei
der Inspiration erfolgende Vergrösserung des Reizungswinkels mit 10°
etwas überschätzt hätte. Indess liesse sich auch annehmen, dass die
Winkelbewegung der ersten Rippe etwas geringer sei, als die der tiefer
liegenden, eine Annahme, welche durch die stärkere Befestigung der-
selben begünstigt wird. Die oben mitgetheilten Versuche mit künst-
licher Respiration ergaben für die erste Rippe ungefähr 10 "®, für
die siebente Rippe ungefähr 20 "® Erhebung. Hieraus berechnet
sich die Vergrösserung des Reizungswinkels für die erste Rippe zu
9° 25° für die siebente auf 8° 17‘.
Es sei gestattet, zunächst eine allgemeine Darstellung des Rechnungs-
Verfahrens zu geben.
Berechnung der senkrechten Erhebung der Sternalenden
der Rippen beim Einathmen.
In Fig. 2 bezeichnet DD‘ den Durchschnitt einer durch die
Drehachse gelegten senkrechten Ebene.
4 das Sternalende der Rippe während der Exspiration.
A‘ dasselbe während der Inspiration.
c Durehschnittspunkt der zur bezüglichen Rippe gehörigen
Drehachse.
4c = A4'‘c der radius vector der Rippe.
x der Neigungswinkel der Rippe, während der Exspiration.
y der Winkel, um welchen sich die Rippe während der Inspira-
tion erhebt.
Aa und A'D zwei Linien, welche von den Sternalenden 4 und 4°
normal auf die Ebene DD’ gefällt sind.
Zur Mechanik des Brustkastens. 159
Ad normal auf A'2, und also = ab, die durch die Inspiration
bewirkte senkrechte Erhebung des Sternalendes 4.
4'd der durch die Inspiration vergrösserte Abstand des Sternalendes
der Rippe von der durch die Drehachse gelegten senkrechten Ebene DD‘.
Gegeben sind ausser den Winkeln
x und y, die Seiten da, nach Tabelle Fig. 2. h
Nr. 1; ac nach Tabelle Nr. 3; A4e
— 4’e nach Tabelle Nr. 5. |
Nun ist berechenbar
be= cosin («e+y). Ace
also ab = ac— be
und folelich auch Ad = ace—be.
womit die senkrechte Erhebung gege-
ben ist.
Ferner ist berechenbar
Adb=sin (ea +y). 4e
und 4’d= A'b — Aa
womit also die Raumgrösse bemessen
ist um welche sich das Sternalende
der Rippe während der Inspiration 2
von der durch die Drehachse gelegten h
senkrechten Ebene entiernt hat.
Berechnung der Vertiefung und der Verbreiterung des
Brustkastens während des Einathmens.
Unter Tiefe des Brustkastens soll hier verstanden werden: der
Abstand des Sternalendes der Rippe von einer durch die tubercula
costarum gelegten senkrechten Ebene, so dass die in Frage gestellte
Vertiefung die von der Inspiration abhängige Vergrösserung dieses
Abstandes bedeutet.
Anlangend die durch das Einathmen verursachte Verbreiterung
des Brustkastens, so ist sie dadurch bedingt, dass sich bei der Rotation
der Rippe das Sternalende derselben von der Medianebene des Körpers
entfernt. Diese Entfernung verdoppelt ist also das Mass der Verbrei-
terung des Brustkastens im Ganzen.
Zur Berechnung der Vertiefung und Verbreiterung des Brustkastens
im angegebenen Sinne dient Fig. 3, welche, wie die Darstellung des
Wirbels schon andeutet, auf einen Querschnitt des Brustkastens zu
beziehen ist.
Es bedeutet in Fig. 3
160 VOLKMANN.
wu
a
AN J
ie | P
m’ M
DD‘ die durch die Drehachse geleste senkrechte Ebene.
EE*' die durch die Rippenhöcker geleste senkrechte Ebene.
MM' Durchschnitt der Medianebene.
A Sternalende der Rippe, bei Exspiration.
4' Sternalende der Rippe, bei Inspiration.
Aa Entfernung des Sternalendes A von der Ebene DD; in Fig. 2
durch Aa dargestellt.
4A‘a Entfernung des Sternalendes 4’ von der Ebene DD’ in Fig. 2
durch 4’b gegeben.
4'4= A'a— Aa, die in Folge der Inspiration vergrösserte Ent-
fernung des Sternalendes von der Ebene DD‘, in Fig. 2 dargestellt
durch A’d, und also bekannt.
4o Entfernung des Sternalendes 4 von der Medianebene.
A'p Entfernung des Sternalendes 4° von der Medianebene.
A'n= A'p— 4Ao die in Folge der Inspiration vergrösserte Ent-
fernung des Sternalendes von der Medianebene.
»n' Durchschnitt einer senkrechten Ebene, welche in der bekann-
ten Entfernung A4o der Medianebene MM‘ parallel läuft.
ı Kreuzungswinkel der Drehachse = w‘.
yw= yw!' bekannt als Complement des ya zu 90°.
Zur Mechanik des Brustkastens. 161
Offenbar entspricht in dem rechtwinkligen Dreieck A’An die
anliegende Kathete A» der Vertiefung und die gegenüberliegende
Kathete A'n der einseitigen Verbreiterung des Thorax.
Nun ist An = cosin w’.4’A
und Aa sin 09, AIR.
Nach dieser ausführlichen Darstellung meines Rechnungs-Verfah-
rens wird es genügen, die von mir gefundenen Werthe ohne Weiteres
anzugeben.
Es fand sich:
Bewegungsrichtung. Rippe 1. Rippe 4. Rippe %.
Peshlebungsze #:5.10,03:22 20. mE Dale
2. Vertiefung . 946 „ a9) <- IKCHSal De
3. Verbreiterung 5,60 „ I98% 31.24,
wobei zu bemerken, dass diese Verbreiterung sich auf den ganzen
thorax bezieht, also = 2 4'n ist.
Streng fest zu halten ist, dass sich die vorstehenden Werthe nur
auf die Sternalenden der Rippen beziehen, die ich wegen ihrer leichten
Bestimmbarkeit und ihrer grossen Bewegungen, vor anderen Rippen-
punkten glaubte bevorzugen zu müssen.
Wenn nun schon aus der sichtlich verschiedenen Lage der Dreh-
achsen entnommen werden konnte, dass die oberen Rippen vorwiegend
der Erhebung und Vertiefung, die unteren dagegen vorwiegend der
Verbreiterung des Brustkastens dienen müssten, so entscheidet die
Rechnung hierüber mit Zahlen.
Berechnet man die Verhältnisse der drei in Frage gestellten
Bewegungsrichtungen und setzt die Hebung = 1, so erhält man:
als relativen Werth. Rippe 1. Rippe 4. Rippe 7.
der Vertiefung . . 095 0,71 0,68
der Verbreiterung . 0,56 0,75 1,15
Setzt man dagegen die Verbreiterung = 1 so erhält man
als relativen Werth. Rippe 1. Rippe 4. Rippe 7.
dersHebung 2... 1,18 1,32 0,36
der Vertiefung . . 1,69 0,94 0,59
Nur die Bewegungen der knöchernen, also starren Theile der
Rippe, gestatten Berechnungen, wie die eben vorgelegten. Die mit
Gestaltveränderungen verbundenen Bewegungen der Knorpel beruhen
auf so complieirten Bedingungen, dass eine mathematische Begründung
derselben kaum möglich sein dürfte.
Schon oben wurde in der Kürze angegeben, dass die Bewegung
eines Rippenringes um zwei verschieden gelagerte Achsen, gewisse
Zeitschrift f. Anatomie. Bd. I. 11
162 VOLKMANN.
Gestaltveränderungen desselben voraussetze; es wird nun näher zu
zeigen sein, was jede dieser Achsen zur Gesammtbewegung beitrage,
und wie der zwischen ihnen bestehende Widerspruch sich auflöse.
Die Drehachsen verlaufen von hinten nach vorn in der Weise,
dass sie eine Rippe der entgegengesetzten Körperseite schneiden, aber
nicht die Rippe desjenigen Brustringes, zu welchem die Achse zunächst
gehört, sondern eine höher liegende. So streift die Drehachse der
sechsten rechten Rippe, den unteren Rand der dritten linken Rippe,
und liest in senkrechter Richtung- 14 ® über der sechsten Rippe der
linken Körperseite. Der Punkt der linken sechsten Rippe, welcher
von einer, durch die rechte Drehachse gelegten senkrechten Ebene ge-
schnitten wird, lag nah am Sternalende, kaum 1 °® rückwärts vom
Knorpel.
Fig. 4.
M
ill : Ü
gt
a
In wie fern nun von den Drehachsen und ihrer Lage, die Bewe-
gungen aller der Theile des Brustkastens abhängen, welche in Folge
ihres solidarischen Zusammenhanges mit der Achse um diese rotiren
müssen, insofern muss jede der beiden Drehachsen, die Bewegung von
nahezu ?/, eines Rippenringes bedingen, und muss folglich nahezu die
Zur Mechanik des Brustkastens. 163
Hälfte des Brustkastens, nämlich die zwischen den vorderen Durch-
schnittspunkten der- Achsen (?P und @ in Fig. 4) gelesene, doppelt
bedingt sein, sowohl von der rechten als von der linken Drehachse.
Zur näheren Verständigung hierüber diene Fig. 4, in welcher man
den Wirbel, die Rippen, die Knorpel und das Brustbein, auch ohne
Buchstaben - Bezeichnung leicht erkennen wird. MJ7' bezeichnet den
Durchschnitt der Medianebene, Dr die rechte Drehachse, mit ihrem
vorderen Durchschnittspunkte bei /, und D/ die linke Drehachse, mit
ihrem vorderen Durchschnittspunkte bei @. Um anschaulich zu
machen, welche Theile des Rippenringes unter der Herrschaft der
einen oder der anderen Drehachse stehen, habe ich Normale von der
Peripherie zu den Achsen gezogen, welche die zu densölben gehörigen
radii vectores darstellen.
Anlangend die rechte Achse Dr, so entspricht die Linie «5 dem
radius vector für den Punkt d, ebenso cd dem radius vector für d,
eQ für Q, fg für 9, hi für z, %2 für 2. In entsprechender Weise sind
die radii vectores für die linke Drehachse angegeben, nämlich a’d’ für
bc. fur -d‘ u. Ss. w.
Die Figur zeigt, dass die Bewegungen aller Theile des Brust-
kastens, welche zwischen den vorderen Durchschnittspunkten der Achsen
(zwischen ? und @) liegen, nicht minder von der linken, als von der
rechten Drechachse abhängen.
Man denke sich nun, die linke Rippe würde am Durchschnitts-
punkte der rechten Drehachse, bei ? durchsägt, so würde nicht nur
die knöcherne Rippe und der Knorpel der rechten Körperseite, sondern
auch das Brustbein, der linke Rippenknorpel und das Sternalende der
linken knöchernen Rippe, in ihrer Rotationsbewegung von der rechten
Achse abhängen. Analoger Weise aber würde das Brustbein, der rechte
hippenknorpel und das Sternalende der rechten Rippe, unter dem
Einflusse der linken Drehachse stehen, wobei sich sofort die Bemerkung
aufdrängt, dass die, für dieselben Rippenpunkte von zwei verschiedenen
Achsen geforderten Bewegungen, sich widersprechen.
Gesetzt nämlich, die Durchsägung der linken Rippe bei P wäre
ausgeführt, und das Auge eines Beobachters, welcher den Thorax von
vorn beschaute, befände sich in der Fortsetzung der rechten Drehachse,
so würde beim Heben der Rippe eine Rotationsbewegung in der Rich-
tung eines Uhrweisers eintreten. Würde dagegen die rechte Rippe
bei Q durchsägt, und man experimentirte nach demselben Principe,
so würde eine Rotationsbewegung von genau entgegengesetzter Richtung, .
wie beim Rückwärtsstellen eines Uhrweisers eintreten.
1
164 VOLKMANN.
Es fragt sich nun, was aus diesem Widerspruche der Bewegungen
resultire, oder vielmehr, es fragt sich, ob das, was wir aus einem
Widerstreite der Bedingungen hervorgehen sehen, auf mechanische
Gesetze zurückführbar sei. Ich will diese Frage zunächst mit Bezug-
nahme auf Figur 4 zu beantworten suchen.
Da die Rotationen der Rippe Bewegungen in der Richtung der
Höhe, Tiefe und Breite des Brustkastens zu Componenten haben, so
ist zunächst zu bemerken, dass ein Widerspruch zwischen den Rotations-
bewegungen um die rechte und linke Drehachse nur in so fern besteht,
als es sich um Bewegungen in der Richtung der Breite handelt. Die
rechte Drehachse bedinst eine Lateralbewegung des Rippenringes nach
rechts, die linke eine solche nach links, dies ist der einzige Wider-
spruch, auf dessen Lösung es ankommt.
Wenn zwei Bewegungen sich widersprechen, so ist die Resultante
derselben die algebraische Summe der Oomponenten.
Hiernach würden wir für jeden Rippenpunkt, die von der einen
und von der anderen Drehachse bedingte Lateralbewegung zu consta-
tiren, und aus der Differenz beider die Resultirende zu berechnen
haben. Da aber nicht nur die Grösse der von der Rippe vollzogenen
Rotationsbewegung im Ganzen, sondern auch die Grösse der vorer-
wähnten drei Componenten im Einzelnen, der Grösse des bezüglichen
radius vector proportional ist, so ist es einfacher mit den Grössen
dieser zu rechnen, wenn man das Gesetz der resultirenden Bewegungen
zu ermitteln beabsichtigt.
Fig. 4 lehrt nun erstens, dass jeder Rippenpunkt zwischen ? und
Q zwei radii vectores besitzt, und zweitens, dass von P nach Q hin
die radii veetores der rechten Drehachse wachsen, und umgekehrt, die
der linken abnehmen. Im Punkte z, in der Mittellinie des Brustbeins,
sind die Radien beider Achsen 47 und 4‘: von gleicher Grösse, folg-
lich sind die von beiden Achsen bedingten und sich widersprechenden
Lateralbewegungen auch gleich gross, heben sich gegenseitig auf, und
belassen das Brustbein in der Medianebene, in welcher es seine Bewe-
gungen nach oben und vorn ausführt. !
Im Durchschnittspunkte © der linken Drehachse ist dagegen der
radius vector eben dieser Achse gleich Null, während der radius veetor
der rechten Drehachse annäherungsweise seinen höchsten Werth erreicht,
woraus sich ergiebt, dass die von der rechten Drehachse geforderte
Lateralbewegung nach rechts hier in vollem Masse wirksam ist. In
dem Punkte y-.der rechten Körperseite ist der radius vector der rechten
Achse ‚fg viel grösser, als 49 der linken, und prävalirt also die La-
teralbewegung nach rechts, währerd in dem correspondirenden Punkte
Zur Mechanik des Brustkastens. 165
/, der linken Körperseite, der Radius #2 der rechten Achse viel kleiner
ist, als der Radius // der linken Achse, aus welchem Grunde an diesem
Punkte die Lateralbewegung nach links das Uebergewicht haben muss.
Freilich ist die Figur, auf welche die vorstehende Betrachtung
sich stützt, nur eine schematische, und gestattet keine mathematische
Beweisführung, da die radii vectores keine bestimmten Werthe haben.
Um Solche zu beschaffen, habe ich eine Reihe von Beobachtungen
angestellt, welche im Nachstehenden vorgelegt werden soll.
Der bis auf die Bänder rein präparirte sechste Rippenring, wurde
auf einem Holzklotze so angenagelt, dass Wirbel und Rippen sich
anscheinend in der natürlichen Lage eines aufrecht stehenden Men-
schen befanden. Auf der oberen Fläche des Wirbelkörpers war eine
in Centimeter getheilte, schmale und dünne Leiste so befestigt, dass
ihre Lage der Drehachse entsprach. Die Leiste lag nämlich in einer
Horizontalebene, und ihre vordere, scharfe Kante in der Richtung
des Rippenhalses. Der Nullpunkt des Massstabes war da angebracht,
wo in Fig. 4, an der rechten Achse, der Buchstabe a steht, das will
sagen so, dass eine von dem Nullpunkte rechtwinklig abgehende Linie,
den äusseren Rand der Rippe streifte (bei 4 in Fig. 4). Die eben
erwähnte Leiste diente nun als Abscissenachse für die als Ordinaten
auf derselben aufzuführenden radii vectores. Es wurde von Öentimeter
zu Centimeter an dieser Abseissenachse rechtwinklig. ein Massstab
angelegt, welcher den Abstand des oberen scharfen Randes der Rippe
von der Drehachse und somit die Grösse der radii vectores bestimmte.
Am Brustbeine wurde auf dessen Innenfläche, von dem Insertionspunkte
des einen Rippenknorpels bis zum anderen eine Bleistiftlinie gezogen,
und dadurch ein Anhalt für die Messung der radii vectores hergestellt.
Die Resultate der Messung sind in der nachstehenden Tabelle ange-
geben.
Tabelle
über die Längen der radii vectores, welche zu den ver-
schiedenen Punkten des sechsten Rippenringes gehören.
Angabe Länge
der rechten der als Ordinaten behandelten Lage
Drehachse aufgetra- 2 BER: des Rippenpunktes.
genen Abscissen. absolute Grösse relative Grösse.
or Ole 1 angulus costae.
1, 13,4 „, 3,62 naha. Scheitel d.Rippe.
2 15,0% 4,05
3 Rh} 16,2 „ 4,38
166 VOLKMANN.
Länge
der als Ordinaten behandelten Lage
radıı vectores
Angabe
der auf der rechten
Drehachse aufgetra- us) des Rippenpunktes.
genen Abscissen. absolute Grösse relative Grösse.
A Hal ANn 4,70
RD: Lee 5,05
DR LOSE 5,35
Tee 2039, 5,49
SUN 240; 5,67
ges ZUR De., 5,81
IOERRE, 22.0, 5,94
el = 2202,, 5,94 Sternalende der 6. Rippe rechts.
KOySE DD 6,00
on, 220, 5,94
1414 20 5,67 Rippenknorpel
157; 20,0 „ 5,41 der rechten Seite.
16205; Lsro® 5,05
Me Bu) 2ER 4,70
en Ri ; . Brustbein.
20.6, IS DNS
ale 14,3 „ 3,36
22; 14,6 „ 3,94 Rippenknorpel
Dar; 15.08 4,05 der linken Seite.
DAR; DD. 4,19
2 E:, [4:50 4,03
25,5 „ 1407, 3,178 nah am Sternalende
der 6. Rippe links,
Dass im letzten Falle der radius vector- von. 14°® Länge eine
senkrechte Lage haben muss, ergiebt sich schon ‘aus dem Zusammen-
hange des Vorhergehenden, ist indess S. 162 ausdrücklich bemerkt
worden.
Unter der vollkommen zulässigen Voraussetzung, dass in einem
normal gebauten Körper die sich correspondirenden radii veetores der
rechten und linken Körperseite von gleicher Grösse sind, kann man
aus vorstehender Tabelle die radii vectores entnehmen, welche, obschon
von der rechten und von der linken Drehachse ausgehend, sich doch
zu einem und demselben Punkte des Rippenringes begeben. Ich be-
zeichne die Rippenpunkte, für welche die Grösse der beiden entgegen-
gesetzten Radien bestimmt werden soll, mit den Zahlen 1, 2, 3 u. Ss. w.,
“
Zur Mechanik des Brustkastens. 167
womit gemeint ist, dass eine Normale, welche von einem dieser Punkte
auf die rechte Drehachse geführt wird, die Ordinate zu einer nu-
merisch entsprechenden Abscisse, nämlich zu 1, 2, 3 ete. abgiebt.
Tabelle.
Grössenbestimmung der radii vectores, durch welche
sewisse Punkte des sechsten Rippenringes, einerseits mit
der rechten, andererseits mit der linken Drehachse in
Verbindung stehen.
Grösse der radıı vectores
Angabe
5 Differenz.
des Rippenpunktes. zurrechten Drehachse zur linken Drehachse.
11 (Sternalende rechts) 22,0 14,0” 80
12 DD 14,9 „ 1.925
15 22.0 15:55, 6:9,
14 21,05 150% 6,0 „
15 20,0.,, 14,6 ,; Hd,
16 NS. 148.,; 4,4 „
17 17.2 INaktern 34,
18 14,5 „ ia IR27%
18,5 (interpolirter Fall) 19.9, 18:92, 007,
Mitte des Brustbeins. -
19° 19,92% 4.9 — 12,
20 13,8, Nr — 9,4 ,„
21 143, 18:7 ,; le
22 14,6 „, 20,0 , — 5,4 „
23 130% 21:02, — 6,0 „
24 15,5 „ 320, ae
25 N 14:97, DE — 13.
25,9 (Sternalende links) 14,0 „ 22,0 „ —80,.-
Die Columne der Differenzen stellt das Gesetz dar, nach welchem
aus dem Widerstreite entgegengesetzter Rotationen, die Lateralbe-
wegungen der kippen resultiren. Der Einfluss einer Drehachse, auf
die nach ihrer Seite gerichtete Lateralbewegung, nimmt nämlich
nach der Medianebene hinwärts, durch die Gegenwirkung der anderen
Drehachse, stetig ab, gleicht sich in der Medianebene selbst mit dieser
Gegenwirkung derartig aus, dass im Brustbeine jede Lateralbewegung
aufhört, und geht jenseits der Medianebene in negative Werthe über,
die abwärts von hieraus stetig wachsen. Dieses Anwachsen der nega-
168 VOLKMANN.
tiven Werthe, entspricht dem überwiegenden und zunehmenden Einflusse
der gegenseitigen Achse, welche eine Lateralbewegung von entgegen-
gesetzter Richtung fordert und nach Massgabe ihrer Präponderanz zu
Stande bringt.
Die vorstehenden Untersuchungen über die Kreuzung und Länge
der radii vectores, werden, wie ich hoffe, einen brauchbaren Beitrag
zum Verständniss der Lateralbewegungen des Thorax liefern, aber frei-
lich ist die Lateralbewegung nur die eine Componente der Athembe-
wegungen, und bleibt also noch die Frage übrig, wie resultiren aus
den entgegengesetzten Achsendrehungen, die Bewegungen in der Rich-
tung der Höhe und Tiefe.
Zur Beantwortung dieser Frage scheint es angemessen, sich zu-
nächst an das Brustbein zu halten, welches, weil es an den Lateral-
bewegungen nicht Theil nimmt, die Vorgänge, um deren Erklärung
es sich noch handelt, ganz rein darstellt.
Fig. 5.
M’
Dass zwischen den Bewegungen des Brustbeines und der Sternal-
enden der knöchernen Rippen ein Causalnexus bestehe, kann nicht
Zur Mechanik des Brustkastens. 169
bezweifelt werden. Mag immerhin eine von den Intercostalmuskeln
bewirkte Bewegung des Brustbeines von den Rippen unabhängig sein,
so muss doch die Bewegung dieser, auf die ihnen anhaftenden Knorpel
und im weiteren Fortgange, auf das Brustbein übertragen werden. Nun
handelt es sich aber gerade um diese übertragene Bewegung. Die
Sternalenden der Rippen rotiren nämlich in entgegengesetztem Sinne,
und die Frage, die gegenwärtig vorliegt, ist eben die, was aus diesen
entgegengesetzten Bewegungen, und wie es resultire.
Ich glaube nachweisen zu können, dass die Beantwortung dieser
Frage sich aus den Prineipien einer einfachen Geradführung ergebe.
Es sei in Fig. 5 MM' die Senkrechte, in welche die Bewegung
zweier Räder übertragen wird, welche in der Figur durch die beiden
Kreise dargestellt sind. Beide Räder drehen sich mit gleicher Ge-
schwindigkeit, aber in entgegengesetzter Richtung, wie dies die neben
den Rädern verzeichneten Pfeile andeuten.
An jedem Rade ist, mittels eines Kurbelzapfens, eine nach oben
gerichtete Stange a2 und c/ angebracht. Sie sind Beide von gleicher
Länge, convergiren gegen einander, und sind bei /, im Verlaufe der
Senkrechten, durch ein Charnier verbunden. Diese Stangen haben die
Bedeutungen von Leitstangen, welche einen bei / befindlichen Gegen-
stand, in der Richtung der Senkrechten, abwechselnd heben und senken
sollen.
Wenn sich die beiden Räder in entgegengesetzter Richtung um
90° drehen, so kommt der Punkt a des linken Rades nach e, der
Punkt ce des rechten Rades nach ‚f zu liegen, und nehmen die beiden
Leitstangen die Lage em und fm an. Dabei erhebt sich der Punkt
} in senkrechter Richtung auf », während die Radpunkte z und e,
welche diese Hebung verursachen, sich in senkrechter Richtung um
gr, also viel mehr erheben‘).
Würden sich dagegen die Räder um 180° drehen, so würden die
Leitstangen die Lage 42 und d» annehmen. Der Punkt Z müsste
sich dann auf z erheben, und /» wäre =gs, d. h. der zu bewegende
Punkt Z, erhöbe sich in senkrechter Richtung um ebensoviel, als die
Punkte a und c, von welchen die Bewegung ausgeht.
l) Zur Bestimmung der senkrechten Erhebung, sowohl des Punktes /, als
des Radpunktes, an welchem die Leitstange befestigt ist, lässt sich am bequem-
sten. die Senkrechte MM’ selbst benutzen. Man braucht nur von den Rad-
punkten aus Normale auf Letztere zu ziehn, wie ag, er, so hat man in gr die
Grösse der Erhebung, welche mit der von Zm sofort vergleichbar ist.
170 VOLKMANN.
Der Grund, warum sich bei einer Bewegung von 90° oder weniger,
das obere Ende der Leitstange (2) in geringerem Masse erhebt, als das
mit dem Rade verbundene untere Ende (a und ce) liest offenbar darin,
dass letzteres nicht blos gehoben, sondern auch seitlich, von der Senk-
rechten wegwärts, geführt wird, und dass die Bewegung in senkrechter
Richtung durch die Seitenbewegung einen Abbruch erleidet. Zur
mechanischen Vermittelung dieser Abhängigkeit der Höhenbewegung
von der Seitenbewegung, dient aber die Leitstange mit ihrer unver-
änderlichen Grösse.
Wenn, in Folge der Raddrehung, der Punkt a nach e rückt, so
verwandelt sich das rechtwinklige A a/y, in das rechtwinklige emr,
in welchen beiden die sich selbst gleiche Leitstange, a! = em, die
Hypothenuse bildet. Betrachten wir die Abstände des Fusspunktes
der Leitstange von der Senkrechten, also ag und er, als die anliegen-
den Katheten, dagegen die Höhen g/ und vr» als die gegenüber liegen-
den, so ist klar, dass die durch Lateralbewegung bewirkte Vergrösse-
rung der anliegenden eine Verkleinerung der gegenüber liegenden
bedinge.e Nun ist aber die grössere Höhe gl=rl-+gr, und die
kleinere Höhe rm = rl + !m, folglich ist qr >, d. h. die Erhebung
im Fusspunkte der Führungsstange grösser, als die Erhebung an
deren oberem Ende.
Hier haben wir nun den Umsatz zweier entgegengesetzten, bogen-
förmigen Bewegungen in eine gerade und senkrechte, also eben das,
was wir zum Verständniss der resultirenden Bewegung des Brustbeines
brauchen. Die Analogie zwischen unserer mechanischen Geradführung
und den Verhältnissen des Brustkastens, in seinem vorderen Abschnitte,
ist unverkennbar.
Die Sternalenden der Rippen, welche um die Drehachse rotiren,
entsprechen den Punkten z und e der Räder, die Rippenknorpel ent-
sprechen den Leitstangen, der Durchschnitt der Medianebene entspricht
der Senkrechten MM‘, und das Brustbein dem Punkte Z}). |
!) Die Angabe, dass die Sternalenden der Rippen den Punkten a und e
der Räder entsprechen, sollte nur zur ersten Orientirung dienen, und ist nicht
buchstäblich zu nehmen. Man theile den Kreis, in welchem die Rippe um ihre
Achse rotirt, in vier Quadranten, und bezeichne den abseits der Medianebene
und unter der horizontalen Drehachse gelegenen Quadranten als den ersten
(in Fig. 5 die Quadranten A und 4°), so muss das Sternalende der Rippe, da
der Neigungswinkel derselben ungefähr 450 beträgt, während der Exspiration
im ersten Quadranten liegen, und muss, da die Drehung der Rippe sich auf
ungefähr 100 beschränkt, auch während der Inspiration in demselben verbleiben.
Man übersehe nicht, dass bei Verwerthung der in Fig. 5 dargestellten Mechanik,
zur Erklärung der Athembewegungen, dies von wesentlichem Belang ist.
Zur Mechanik des Brustkastens. ikral
Um jeden Zweifel zu beseitigen, dass die senkrechte Erhebung
des Brustbeines nach dem Principe der Geradführung erfolge, habe ich
an die Ausführung eines entscheidenden Versuches gedacht, Nach der
früheren Ansicht, welche die Bewegung der kippenringe aus frontal
liegenden Drehachsen ableitete, müsste das Brustbein unter allen
Theilen des Thorax die grössten Rotationsbewegungen machen, weil
weder die Sternalenden der knöchernen Rippen, noch auch die Rippen-
-knorpel so grosse radii vectores haben würden, als das am weitesten
nach vorn gelegene Brustbein. Dagegen verlangt die in Fig. 5 dar-
gestellte Mechanik, dass die senkrechte Erhebung des Brustbeines
merklich kleiner sei, als die der Sternalenden der knöchernen Rippen.
Wir haben nämlich den Punkt / in Fig 5 mit dem Brustbeine,
die Punkte « und ce aber mit den Sternalenden der Rippen verglichen,
und haben erwiesen, dass bei einer Rotation von weniger als 90° der
Punkt /, welcher gehoben wird, nicht so hoch steigen kann, als die
rotirenden Punkte « und c, welche die Hebung veranlassen. Ob nun
den Ansprüchen der Mechanik genügt werde, hat der Versuch zu
entscheiden.
Zur Anstellung eines solchen benutzte ich wieder eine Leiche,
welche in derselben Weise präparirt und aufgestellt war, wie die in
dem oben beschrieben Versuche (S. 149) zur Ermittelung der Lage der
Drehachsen. Auch die künstliche Respiration wurde in derselben
Weise ausgeführt, wie a. a. OÖ. angegeben. Ausdrücklich mag bemerkt
werden, dass das Einblasen von Luft in die Lungen, welches die Er-
weiterung und Hebung des Brustkastens bewirkte, immer mit der
grösst möglichen Kraft ausgeführt wurde.
Am Sternalende der siebenten Rippe und am untern Ende des
Brustbeinkörpers, war eine horizontale schwarze Linie eingerissen,
welche bei Beobachtung des Aufsteigens als Merkmal diente. Zum
Messen der Hubhöhe diente folgendes Instrument. An einer senkrecht
stehenden Latte war mittels eines Schiebers ein horizontaler Arm
angebracht, welcher in eine feine Metallspitze auslief, und also in senk-
rechter Richtung beliebig verschoben werden konnte. Die aufrecht
stehende Latte war mit einem Massstabe versehen, und liess sich daher
die. Grösse der Verschiebung bis auf 0,5 Mm. ablesen. Nun wurde
die Grösse der Verschiebung gemessen, welche sich ergab, wenn die
Metallspitze einmal während der Exspiration, und das zweite Mal bei
der Inspiration, auf den als Merkmal dienenden, horizontalen Strich
einspielte. Das Resultat der Versuche war folgendes:
17% VOoLKMANNn. Zur Mechanik des Brustkastens.-
Mass der Hebungen.
Versuch. m Differenz.
7. Rippe. Brustbein. >
1 20 mm 15 mm 2,0 mm
2 20,5 „ ID 4 DD 5%
3 2108 a TROEN
4 220% 16 6,0 „,
5 30 16 DO
6 20,0 „ Ta 6.0
7 U 5 14 „, A
Summa 142 mm 107 mm 3,5 um
Mittel 20 „ 15 5
Die Hebung des Brustbeines ist also in Uebereinstimmung mit
der Theorie kleiner, als die der Rippen. Dass der Unterschied ziem-
lich gering ausfällt, kann bei der Art, wie die Geradführung im Brust-
kasten ausgeführt ist, nicht befremden, und erklärt sich zum Theil
schon daraus, dass die gekrümmten Rippenknorpel, welche die Leit-
stangen vertreten, bei der Inspiration sich strecken und etwas ver-
längern.
Versuche, die ich allerdings nur an einem Modelle ausgeführt
habe, zeigen, dass auch die Bewegung des Brustkastens nach vorn,
beträchtlich hinter dem Vorstoss der Sternalenden zurückbleibt, und
es würde sich beweisen lassen, dass auch dieser Unterschied der Be-
wegung aus dem Principe der Geradführung begreiflich ist. Ich ver-
zichte indess auf diesen Beweis näher einzugehen, da ich fürchte, dass
die umfänglichen Erörterungen, die er beansprucht, den Leser mehr
ermüden als fördern würden.
Beiträge zur Myologte.
(Conjugatio musculorum. — Ueber Muskelvarietäten. — M. tibialis anti-
cus, M. extensor carpı rad. longus, Mm. interossei manus et pedis. —
Platysma myoides.)
Von
Hermann Welcker in Halle.
I. Conjugatio musculorum.
Begriff. — I. Muskelvarietäten, auf conjugatio beruhend. — II. Conjugatio
musculorum im Kreise der normalen Bildung.
Läuft neben einem Muskel, der zwischen den Punkten « und 5 des
Skeletes ausgespannt ist, ein zweiter, dem vorigen nach Lage und Wir-
kung verwandter Muskel cd (vel. Fig. 1), so ist es
eine in manniefacher Weise sich wiederholende An- Fie.
ordnung, dass von dem Bauche des erstgenannten Mus-
kels eine Anzahl Fasern sich loslöst, um sich oder ihre
Sehne der Sehne des zweiten Muskels zuzugesellen. Der
hierdurch entstandene Zwischenmuskel ad, welcher
seinen Ursprung mit dem ersterwähnten, seine In-
sertion mit dem zweiten Muskel gemeinsam hat, wird
in der gebräuchlichen Terminologie bald als ein be-
sonderer Muskel aufgeführt, bald als ein zweiter Kopf
zu dem einen oder dem anderen der erstgenannten
Muskeln geschlagen. Es ist klar, dass der Zwischen-
muskel, als socius des einen wie des andern, die Wir- a2 una ca, zwei Mus-
kung beider verstärkt und stetiger macht und, falls *eln, verbunden dureh
einen Zwischenmuskel
der eine derselben ohne den andern thätie ist, dessen ad.
Wirkung in bestimmter Weise modificirt.
Auf diesem Structurverhältniss, welches ich als „conjugatio muscu-
lorum“ bezeichnen möchte, beruhen zahlreiche z. Th. complieirte Bil-
174 WELCKER.
dungen im Gebiete der Myologie, und dieselben werden sofort verständ-
‚lich und übersichtlich, wenn man sie unter diesem Gesichtspunkte auf-
fasst. Zugleich beruht eine grosse Zahl der Muskelvarietäten — ein
Gebiet welches, rein casuistisch behandelt, dem wissenschaftlichen Inte-
resse sich grösstentheils entzieht — einfach auf conjugatio musculorum,
und wir kennen somit für eine grössere Zahl von Einzelfällen das
gemeinsame Bildungsprinzip eines sonst regellos erscheinenden Natur-
spiels. !)
Die Gestalt der-durch conjugatio entstehenden Muskeleomplexe gleicht
sehr gewöhnlich einem N oder einer ähnlichen Figur: A: da jedoch
die verbundenen Muskeln keineswegs immer parallel laufen, ihre Ver-
wandtschaft auch nicht immer die allernächste ist und auch ausserdem
mancherlei complieirende Verhältnisse sich geltend machen, so ist das
äussere Bild der Mm. conjugati bei an sich gleichem Wesen ein immer-
hin wechselnde. Der Umstand aber, dass conjugatio im Gebiete der
Muskelvarietäten so ausserordentlich häufig ist, sodass einzelne auf con-
Jugatio beruhende Formen nahezu als normale Bildungen erscheinen, be-
rechtigt uns, diejenigen normalen Muskelverknüpfungen, welche ihrem
Habitus nach jenen Varietäten gleich sind, als auf eben demselben Bil-
dungsprinzip beruhend aufzufassen. Nach allem diesem darf ich hoffen,
dass die hier versuchte Zusammenfassung äusserlich ziemlich verschiedener
Gestaltungen innerhalb der normalen und teratologischen Entwicklung
unter Einen morphologischen Begriff, zumal für die vergleichend-anato-
mische Discussion nicht ganz ohne Nutzen sein werde. ?)
!) Auch bei den Bändern begeenen uns Fälle, in welchen, ähnlich wie in
der Technik, neben der Länge nach angebrachten Schnüren gleichzeitig diago-
nale oder kreuzende Richtungen gewählt werden und somit das Prinzip der Con-
jugation zu Tage tritt. So liegt das lig. ileofemorale anterius schräg zwischen
lig. ileofem. superius und pubofemorale, in seinen beiden Insertionen mit je einem
der beiden letzteren Bänder verschmolzen (s. in dieser Zeitschrift 8. 44, Fig. 1).
?) Eine verwandte Betrachtung findet sich bei FE. Scuurze in einer der
vergl. Anatom. der Fusszehenbeuger gewidmeten Abhandlung (Zeitschr. f. wissen-
schaftl. Zool. Bd. XVII, 1. 1866). „Wo im Wirbelthierkörper“, so heisst es dort,
„vielgliedrige Systeme von zueinander beweglichen festen Theilen wie ein Gan-
zes oder in gleichem Sinne bewegt werden sollen, findet sich als einfaches Mittel
häufig eine Verbindung der zu diesen einzelnen Theilen hinführenden Muskeln,
sei es in ihren Bäuchen, wie bei den Mm. serrati, den langen Rückenstreckern
ete., sei es in ihren Sehnen, benutzt.“ Dass hier indess die Sache anders ge-
fasst, und der Begriff der „conjugatio“ nicht gegeben, vielmehr von Muskelver-
knüpfungen in weiterem Sinne die Rede ist, zeigt die Anführung der Mm. ser-
rati, deren ihrer ganzen Länge nach miteinander verknüpfte Zacken dem
Begriffe der conjugatio nicht unterfallen.
Beiträge zur Myologie, 175
I. Betrachten wir, indem ich mich auf eine kleine Auswahl aus der
Reihe der von mir beobachteten und im Präparate conservirten Fälle be-
schränke, zunächst einige Muskelvarietäten, die unserer Form zu-
gehören.
Ein typischer Fall der conjugatio ist die Verdopplung der Sehnen der
Mm. extensor carpi radialis longus und brevis. Bald ist es der
brevis, von dessen Bauche sich ein Muskelbündel loslöst, um eine Sehne,
meist erheblich schwächer als die normale, zur Sehne des longus zu sen-
Fig. 2.
M. carpi radialis longus (2) und brevis (b), in verschiedenen Formen der Conjugatio,
den (Fig. 2, A), bald geschieht der Austausch umgekehrt vom longus zum
brevis hin (Fig. 2, 5). Die Verschmelzung der Doppelsehnen ist bald
sehr nahe am Metacarpus, bald weiter oben.
Diese so häufig vorkommende Varietät !) ist, näher betrachtet, nicht ohne
interessante Besonderheiten, welche möglicherweise Licht werfen auf gewisse
allgemeine Verhältnisse der ersten Entwieklung der Muskulatur. Fast durch-
I) Beide Arten derselben erwähnt Hexte (Muskellehre 1. Aufl., 201 und 203).
176 WELCKER,
gehends beobachtete ich, dass das conjungirende Bündel von der abgewendeten
Seite her (also auf einem Umwege — vgl. Fig. 2 A und B) zu dem Nebenmuskel
hintritt. Das vom brevis sich loslösende Bündel schiebt seine Sehne wie es
scheint constant über der Hauptsehne dieses Muskels hinweg zum longus (Fig. A);
umgekehrt lässt das vom longus wegtretende Bündel seine Sehne unter der
Hauptsehne durchschlüpfen (2, Fig. 2). Mehrmals beobachtete ich wechselseitigen
Umtausch (Fig. 2, ©) — also den Fall A und B an einem und demselben Arme
— ein Bau, welcher frappant an die Anordnung der Zügel eines Pferdegespannes
erinnert !). Es tritt diese Varietät in mehrfachen Modificationen auf; immer
aber fand ich beide zum Mittelfinger gehende Sehnen gedeckt von den zum
index gehenden Selmen, so dass alle dem Zeigefinger angehörigen
Fleisch- und Sehnenfasern (wie die’in der Fig. eingezeichneten Nadeln
zeigen) eine hohe Lage, allezum Mittelfingertretenden Fasern eine
tiefe Lage haben. In einem Falle sah ich die conjungirenden Sehnen wie-
derum unter sich durch Fasern zweiten Ranges verbunden.
Ausserordentlich häufig findet
sich unsere Verknüpfung zwischen
m. brachialis internus und dem
medialen Rande des biceps brachii
— sie ist die häufieste Veran-
lassung des „dreiköpfigen biceps“.
Das fragliche Zwischenbündel löst
sich von erstgenanntem Muskel oft
so unmerklich ab und mischt sich
dem Endtheile des biceps so innig
zu, dass dasselbe vom brachialis aus
sich ein gutes Stück weit wie zu
diesem gehörig, vom biceps auf-
wärts wie zu letzterem gehörig, prä-
pariren lässt. 2).
Als eine gleichfalls sehr gewöhnliche Varietät spaltet sich vom teres
major ein zur Latissimus-Sehne gehendes Bündel ab, so dass der breite
Rückenmuskel seinen lateralen, von den Rippen kommenden Zuschüssen
einen von der scapula kommenden hinzugesellt (Fig. 3). Die physiologische
Verwandtschaft beider Muskeln wird durch diese Variation bekräftigt.
Latissimus dorsi und teres major, durch ein
Zwischenbündel verknüpft.
1) Es ist wohl derselbe Fall, den HEntE (a. a. ©. 203) mittheilt: „An einem
Arme, in welchem der M. extensor rad. longus dem 2. und 3. Mittelhandknochen
Sehnen gab, sah Brramann (handschr. Notiz) auch den rad. ext. brevis in zwei
Sehnen enden, ebenfalls zum 2. und 3. Mittelhandknochen“.
2) Unhaltbar scheint mir die Annahme Mrcxers (Handb. d. Anat. II, 503),
nach welcher dieser dritte Bicepskopf „eine Wiederholung des am Öber-
schenkel normalen kleinen Kopfes des zweiköpfigen Beugers ist,“
durch dessen zuweilen vorkommenden „Zusammenfluss“ mit dem coracobrachialis
die Zahl der langen Beuger des Vorderarmes der Zahl derselben Muskeln des
Beiträge zur Myolosgie. 177
Eine sehr zierliche Form von Conjugatio (vgl. Fig. 4) beobachtete ich
an dem Hinterhaupte eines Mannes, dessen Mm. recti capitis poste-
riores sich gegenseitig austauschten. Auf der rechten Seite verhielten
sich beide Muskeln normal, während linkerseits der rectus major ein con-
jungirendes (mediales) Bündel (etwa ?/, seiner Muskelfasern) auf die Schä-
delinsertion des minor wirft und um-
gekehrt der minor ein laterales Bün-
del unter die Insertion des major
schiebt.
In einem anderen Falle löste sich
der obere Rand des M. obliquus
cap. inferior ab und ging, unter dem
obl. superior durchtretend, als con-
jungirendes Bündel an den Hinterrand
des rectus cap. lateralis, mit diesem
gemeinsam am processus jugularis
inserirend.
Ausserordentlich häufig sind ver-
schiedene Formen der conjugatio bei
den Rückenmuskeln, sowie ganz
besonders bei den vielköpfisen Muskeln des Vorderarmes und des
Untersehenkels. Hervorzuheben ist eine Verknüpfung zwischen der
Sehne des flexor pollicis long. und der Zeigefingersehne des flexor
dig. comm. profundus, die an der oberen Extremität denselben
Zustand in Form einer Muskelvarietät erzeugt, der an der Unter-
extremität (sehnige Verbindung zwischen flexor hallueis long. und dig.
comm. pedis long.) die Regel ist.!) Sehr gewöhnlich tritt von der Anhef-
tungsstelle der Sehne des peroneus tertius ein conjungirender Sehnenstreifen
zur 4. Sehne des extensor dig. comm. longus; sehr gewöhnlich lässt der
peroneus longus einen Theil seiner Sehnenfasern in den langen Kopf des
adductor hallueis einfliessen. Der „M. extensor die. comm. manus ano-
malus mit 5 Sehnen“ zu allen Fingern und des M. extensor dig. long. pedis
anomalus mit 5 Sehnen, die GRUBER beschreibt (REICHERT’s Arch. 1875,
Gegenseitige Conjugation des recetus capitis
postiecus major und minor.
Unterschenkels gleichgesetzt werde. Dagegen zeigen nachfolgende Schilderungen
späterer Forscher, dass gerade bei dieser Muskelvarietät die Idee der conjugatio
auch anderen Autoren sich aufgedrängt hat: „Am gewöhnlichsten kommt (beim
biceps) ein supernumerärer Kopf vor, welcher sich als abgelöste, gleichsam dem
biceps assimilirte Portion des brachialis internus darstellt“ — (Luschka, Anat.
d.M. III, 1. 164); ferner: „der überzählige Kopf ist ein vom brachialis internus
losgerissenes und dem biceps attachirtes Muskelbündel“ (Hyrrr, topogr. An. II, 353).
1) Erwähnt von F. E. Schuzze a. a. ©. p. 20 und abgebildet ebenda,
Taf. 1, Fig. 5.
Zeitschrift f. Anatomie. Bd. I. 12
178
WELCKER.
p- 204), beruhen auf conjungirenden Zwischensehnen zwischen dem gemein-
samen Strecker und dem extensor pollicis (resp. hallueis) longus.
Aber auch zwischen weniger geleichartigen und zwischen einander
weniger nahe verwandten Muskeln findet sich conju-
eatio nicht allzuselten, und es gewinnt in diesem
Falle das conjungirende Bündel oftmals das. Ansehen
einer verirrten oder verworfenen Portion des einen der
beiden Muskeln. Drei Fälle seien erwähnt:
Zwischen dem vorderen Bauche des digastri-
cus und dem mylohyoideus findet man conju-
gatio nicht selten in der Art, dass von ersterem
M. digastrieus und mylohyoi- eine Anzahl Muskelfasern sich medianwärts zur
da mi versenden Zwi- raphe schlägt (Fig. 3).
sehenbündel.
In mehreren Fällen fand cn und zwar auf
beiden Seiten des Thorax, einen rundlichen Muskel, welcher, vom Rippen-
ursprunge des subclavius sich ablösend, nach dem Scapularende des
Zwischennmiuskel zwischen sub-
clavius und peetoralis minor.
Zwischenmuskel zwischen
flexor pollieis brevis und
lumbriealis I.
pectoralis minor hinübertrat und mit die-
sem verschmelzend am proc. coracoideus inse-
rirte (Fig 6). Der Muskel, welcher bei Be-
sinn der Präparation den Eindruck eines am
proc. coracoideus inserirenden subelavius
machte, hatte die halbe Dicke eines subclavius und
lag mit diesem innerhalb der fascia coracoidea,
welche indess nach dem pectoralis hin so dünn war,
dass sie dem Ende des Zwischenmuskels kein Hin-
derniss bot, sich mit der Sehne des pectoralis
zu vereinigen )).
Eine eigenthümliche Form der conjugatio
beobachtete ich bei einer weiblichen Leiche, bei
welcher zugleich an beiden Armen der brachialis
internus mit dem biceps, der extensor carpi ra-
dialis longus mit dem brevis durch conjugatio ver-
bunden ist. Es findet sich hier, an beiden Hän-
den, ein von der Insertionspartie des äusseren
Kopfes des flexor pollieis brevis sich abzwei-
gendes, zur Sehne des lumbricalis I übertretendes
und mit ihr verschmelzendes Muskelbündel
(Fig. 7), welches 4 Millim. dick ist, den habitus
eines lumbricalis zeigt und bogenförmig inner-
!) Variationen des subelavius, nach Angaben von HALLER, BOEHMER und
ROoSENMÜLLER, die sich alle mehr oder weniger auf diese durch Conjugation be-
Beiträge zur Myologie. 179
halb der zwischen Daumen und Zeigefinger ausgespannten Hautfalte
verläuft.
I. Verfolgen wir nun innerhalb des normalen Vorkommens
diejenigen Muskeln, welche nach dem Prineip der conjugatio gebildet
sind. Es begegnen uns hier zunächst die zweiköpfigen Beuger beider
Extremitäten, deren nähere Betrachtung nieht uninteressante Ergebnisse
bietet.
Am ÖOberarme sind der glenoradialis (Fig. Sa) und der coraco-
brachialis (d) durch den Zwischenmuskel z (coracoradialis s. caput breve
bieipitis) verbunden. Am Öberschen-
kel findet sich zwischen dem caput
breve bieipitis (@)) und dem semi-
tendinosus (3) der Zwischenmuskel z’
— hier caput longum bieipitis ge-
nannt. Dass die einzelnen Abschnitte
dieser Muskelcomplexe beider Extre-
mitäten in dieser Weise einander
homolog sind — also: (db, 2)
coracobrachialis=semitendinosus; (a,
a) cap. longum bieip. brachi =
cap. breve bieip. femoris; homolog
ferner die beiden conjungirenden
Stränge: cap. breve des oberen und
lonsum des unteren biceps (z 2’ der
Fig. 8), — dies werde ich an einer
andern Stelle näher zu begründen
suchen; was ich hier nachweisen
möchte, ist zunächst dies, dass bei
beiden Beugern die in Fig. 8 als
zz bezeichneten Abschnitte (cap. M. ee an und ENDE
- is der rechten Seite von vorm;
breve bieip. brachii und longum fe- vieeps femoris und semitendinosus
moris) „gonjungirende Bündel“, ee tan
resp. secundäre Bildungen sind.
. Der kurze Kopf des oberen biceps dürfte als eim wesentlich dem
coracobrachialis zugehöriger und von ihm aus sich entwickelnder
Theil zu betrachten sein; dass auch der m. „biceps“ des Beines keine
rechte anatomische Einheit ist, indem m. E. das cap. longum dem semi-
tendinosus viel mehr, als dem cap. breve angehört, darauf deutet schon
dinste Form beziehen dürften, erwähnt Hrxte (Muskellehre 88). Der Abbildung
in dem Handatlas von Bock, woselbst der subelavius am proe. eoracoideus inse-
rirt, scheint diese Abnormität vorgelegen zu haben.
12*
En
150 WELCKER.
die Innervation unserer Muskelgruppe hin, indem semitendinosus und cap.
longum, wie ich in einer grossen Zahl von Fällen gleichmässig fand, von der
pars tibialis n. ischiadici, das cap. breve von der pars peronea innervirt sind.
Aber man könnte geneigt sein, den Bau der in Rede stehenden
Muskelgruppen, statt auf conjugatio beruhend, auch folgendermassen zu
interpretiren. Von einem günstig gelegenen Skeletpunkte (proc. cora-
coideus und tuber ischii) gehen, nach zwei Punkten divergirend, Muskel-
fasern ab (am Arme 5 und z, coracobrachialis und coracoradialis,
am Beine d’ und z’, semitendinosus und cap. longum bicipitis). Zur Ver-
stärkung je des letztgenannten Schenkels und um seine Zugwirkung zu
eorrigiren, tritt zu ihm, von je einem anderen Skeletpunkte (Schulter-
pfannenrand und Schenkelbeinmitte) ein dem Strange 5 parallellaufender
Strang (a, a’): glenoradialis und cap. breve bicipitis, so dass also diese
letzteren die accessorischen Theile wären. Indess scheint die ver-
gleichende Anatomie für die oben mitgetheilte Auffassung zu sprechen.
Die bekannt gewordenen Fälle der Variation des menschlichen
biceps geben hier keinen Aufschluss. Allerdings beobachtete MEcKEL !)
einen Fall, wo auf der einen Körperseite der kurze Kopf des biceps
„ohne irgend eine Spur seiner Anwesenheit‘‘ fehlte, und Mecker’s Dar-
stellung lässt keinen Zweifel, dass neben dem langen Kopfe des biceps brachü
der coracobrachialis in sonst normaler Weise vorhanden war, die Ab-
normität mithin einfach in dem Fehlen unseres Zwischenmuskels z be-
stand. Doch kenne ich für den Menschen nur diesen einen Fall von
Mangel des caput breve, während ich das cap. longum in drei Fällen
vermisst finde). Bei den Säugethieren dagegen, wo der „lange
Beuger“ des Armes meist kein biceps, sondern durch Mangel des cap.
breve einköpfig ist, (m. glenoradialis), während daneben in der Regel
ein gleichfalls einfacher coracobrachialis vorkommt, dürften sich die An-
fänge eines biceps per conjugationem mit Bestimmtheit nach-
weisen lassen, und das Ebengesagte schliesst bereits die für unsere An-
sicht schwerwiegende Thatsache in sich ein, dass — wenigstens an der
oberen Extremität — die Muskeln « und 2, d.i. glenoradialis und coraco-
brachialis, nicht aber der Zwischenmuskel z, als die primären Glieder
unseres Muskeleomplexes anzusehen sind. Es entsprechen dieselben den
I) Mecke£r’s Archiv, VIII, 587.
2) Der lange Kopf „fehlte durchaus“ am linken Arme (Orro, Seltene Beob.
II, 40). Er fehlte an dem einen Arme (Lavru, Handb. d. Anat. I, 204). „Mangel
des ganzen langen Kopfes des biceps“ am linken Arme eines Mannes beobach-
tete GRUBER (REICHERT’s Arch. 1863, p. 401); „der allein vorhandene kurze Kopf
war spindelförmig, nur so gross, wie derselbe Kopf des Muskels der anderen
Seite.“
Beiträge zur Myologie. 181
„nebeneinander herlaufenden“ Muskeln « 5 und ce d (Fig. 1), von
welchen unsere Betrachtung ausging.
Unter den Fleischfressern ist nach MEckeL!) der glenoradialis
bei Hyäne, Hund, Katze, Coati, Dachs, Waschbär, Seehund, Marder „ganz
einfach“ (d. i. ungetheilt); ein gleichfalls einfacher coracobrachialis
kommt nach demselben Forscher u. a. vor bei Cetaceen, Faulthier, Hase,
Maulwurf, Hund, Katze, Nasua, Dachs. Dagegen geht beim Bären
„von dem sich spaltenden Haken-
armmuskel ein Zipfel“ (ohne Zweifel
unser Zwischenbündel z) „an den gewöhn-
liehen einfachen Kopf“ (den glenoradialis);
also biceps, wie beim Menschen ?).
Diese Angabe schien mir interessant
genug, um sie näher zu prüfen. Ich hatte
Gelegenheit, die Oberarmmuskeln eines
nahezu geburtsreifen Embryo des Eisbären
zu präpariren, und was ich hier sah, zu-
sammen mit weiteren Angaben MEcKEr’s
(s. folg. S. Note 1), berechtigt zu der An-
nahme, dass der den menschlichen biceps
nachahmende Muskel des Bären wirklich
auf eonjugatio beruht, die N-förmige Mus-
kelgruppe wirklich nur die. weitere Ent-
wicklung unserer ursprünglich einfachen
und getrennt verlaufenden Elemente « und
b ist. Besonders instructiv ist es, dass wir
bei dem Bären (bei welchem der „biceps“
möglicherweise nur die Bedeutung einer
häufigeren Muskelvariation besitzt) unseren
Muskelecomplex in verschiedenen Phasen
der Entwicklung antreffen, und gerade die- Rechte Oberextremitit eines Em-
ses häufige Varüren scheint anzudeuten, dass Rryom OB U aim.
S € ! 5 a M. glenoradialis.
Seichhrer um die Herausbildung :‘, der vom nermus perforana dureh.
eines neuen, der Mehrzahl der Säu- bohrie &oracobrachialis.
gethiere fremden Bautypushandelt. N rg
Bei dem von mir präparirten Bärenfötus fand sich ein an den radius
inserirender, einfacher glenoradialis (Fig. 9a), daneben ein vom Schulter-
I) System der vergl. Anatomie, III, 522,
2) Gleichfalls mehr oder weniger in zwei Bäuche getheilt, die jedoch beide
am Humerus verharren, wäre der coracobrachialis nach MEckEL beim Pferde, Schna-
belthier, Murmelthier, Marder, Igel, Simia inuus u. A.
182 WELCKER.
haken kommender, -n zwei Bäuche gespaltener coracobrachialis. Der
längere dieser beiden Bäuche, 5, welcher in der Nähe des cond. internus
humeri an den Knochen inserirt, giebt sich — vom nervus musculo-
cutaneus durchbohrt, der von da aus in den glenoradialis eintritt — als
M. coracobrachialis des. Menschen zu erkennen; der obere, in unserem
Falle nicht zum glenoradialis übergehende (dies an beiden Extremitäten),
sondern hoch oben am humerus inserirende Bauch 2 ist als Rudiment
des coracoradialis anzusehen, das Ganze als ein Fall von incompleter con-
jugatio musculorum, die, wie nach den Angaben MEckEr’s angenommen
werden darf, bei anderen Exemplaren des ‚Bären allerdings zu Stande
kommt }).
Fig. 10.
F = flexor dig. quinti, als Zwischenmuskel zwischen opponens
(0) und abductor dig. quinti (4)
a in situ, d nach Exartieulation der 1. Phalanx und Ablösung
des gemeinsamen Ursprungs des flexor und Abductor vom
hamulus.
Ein zweiter für unsere Auffassung wichtiger Muskel ist der M. fle-
xor brevis dieiti quinti manus (Fig. 10), der durch sein häufiges
1) Bereits MEckEL fand es „merkwürdig“ dass „gerade dieser Muskel hier
mehreres Unbeständige“ zeige. Zu seiner Angabe, dass bei dem Bären von dem
sich spaltenden Hakenarmmuskel ein Zipfel an den gewöhnlich einfachen Spei-
chenbeuger zu gehen pflege, fügt MEckEL (a. a. O.p. 522) hinzu: „Ich fand ein-
mal bei einem braunen Bären auf der linken Seite blos den gewöhnlichen, ein-
fachen Kopf, ohne diesen Zipfel, auf der rechten dagegen ein oben sehniges,
ganz oben vom Hakenarmmuskel zu dem Hauptmuskel gehendes Bündel. Bei
einem weissen Bären spaltete sich dagegen auf der linken Seite der Hakenarm-
muskel auf die beschriebene Weise; auf der rechten war ausser dem gewöhn-
lichen, sehr starken langen Kopfe ein eigner kleiner kurzer vorhanden, der neben
dem Hakenarmmuskel entsprang, erst in der Mitte des Oberarmes einen Zipfel
an den langen Kopf schiekte, und sich dann am unteren Ende des Oberarmes
mit diesem völlig verband.‘ — Einige der von MEckEL verzeichneten vergleichend-
Beiträge zur Myolosie. 183
Fehlen oder durch rudimentäres, gleichsam versuchsweises Auftreten sich
wohl unzweifelhaft als auf conjugatio beruhend erweist. Nach meiner
Ansicht ist derselbe ein conjungirendes Bün-
del, welches von der vom hamulus o. hamati Fig. 11.
kommenden Ursprungspartie des M. oppo-
nens sich loslöst, um sich mit der zur 1.
Phalanx des 5. Fingers gehenden Sehne des
M. abductor die. V. zu vereinigen.
Was man an der Hand als „Sehne
des M. extensor digitorum communis
für den fünften Finger“ beschreibt, ist
meist nichts anderes, als ein von der Sehne
des vierten Fingers aus nach der Sehne
des extensor die. V. proprius übertretendes
Bündel. Eigentliche „Sehnen“ besitzt der
extensor die. comm. manus (dem die Be-
schreibungen kurzerhand vier Sehnen zu-
theilen), in der Regel nur für drei Finger
— für den zweiten, dritten und vierten.
‘Was endlich die Muskeln des Rückens
anlangt, so wird der longissimus dorsi
(und Aehnliches gilt von mehreren anderen
Muskeln dieser Gruppe), der wegen seiner
„Verwachsungen“ mit dem m. spinalis und
semispinalis dorsi einige Schwierigkeit macht,
sofort verständlich, seine Präparation sehr
leicht, wenn man den spinalis als con-
jungirenden Zwischenmuskel zwischen
loneissimus und semispinalis auffasst. Es
wird hierdurch ein bestimmtes Bild der Form Schema der medialen Befestigungen
und der Verlaufsriehtungen gewonnen, wäh- "tun „asssinus 12), spinalis
(Sp) und semispinalis (,8s).
rend die überaus schwankende Zahl der Ibis VI Dornfortsätze der Hals-
o e 6 wirbel, 1 bis 12 der Brust-, und I
Ursprungszipfel und die Wirbelnummern en
wenig Anhalt geben. Die fraglichen Muskeln
dürften hinsichtlich jener Verknüpfungen so aufzufassen sein:
Io
anatomischen Data scheinen Andeutungen zu enthalten, dass bei einzelnen
Thieren die Conjugation vom glenoradialis aus beginne. Es kann sich
indess hier nicht darum handeln, diese älteren Angaben im Einzelnen nach
unserer Auffassung zu interpretiren, sondern es würde die letztere durch eine
erneute Umschau am anatomischen Material zu prüfen und durchzuführen sein.
184 WELCKER,
Aus der Ecke zwischen Darmbeinschaufel und Lendenwirbel-
säule schiebt sich eine Muskelmasse nach aufwärts, mit derben Sehnen-
strähnen von der erista ilei, dem Heiligenbein und den Dornen der Lenden-
wirbelund der 2 bis 3 unteren Brustwirbel entspringend (4 im Fig. 11). Die
‚anfangs völlig gleichartigen und ihre Zugehörigkeit zu zwei verschiedenen
Muskeln nicht verrathenden Bündel schlagen nach oben verschiedene
Wege ein; der untere, laterale Theil (alles das, was nach aufwärts bis
zum 2. Lendenwirbel, öfters auch bis zum 1. Lenden- oder 12. Brust-
wirbel entspringt) wirft sich als longissimus (Z) auf Rippen- und Wirbel-
querfortsätze; der obere, mediale Theil, 5» (vom 2. oder 1. Lendenwirbel
und den 2 bis 3 unteren Brustwirbeln entspringend), schwenkt als m.
spinalis medianwärts, um sehnig an den Dornfortsätzen des 8. (7.) bis
3. (2.) Brustwirbels zu inseriren. Präparirt man nun aber von oben,
so steigt schräg abwärts von den Dornfortsätzen der 6 unteren Hals-
wirbel und der 6 bis 8 oberen Brustwirbel eine bündelige Muskelmasse
(5). Der obere Theil derselben — alles das, was etwa bis zum 2. Brust-
wirbel herab seinen Ursprung nimmt — wendet sich seitlich, zu Quer-
fortsätzen: „semispinalis“ (Ss); der untere Theil von 3 aber schwenkt
medianwärts: es ist dies der obere Theil desselben Muskels, den wir vor-
her in ganz ähnlicher Weise vom longissimus sich loslösen und aufwärts
steigen sahen — „spinalis“.
Der spinalis dorsi ist hiernach nichts anderes, als eine vom longis-
simus abschwenkende und dem medialen Rande des semispinalis sich an-
schliessende Sehnen- und Fleischmasse.
Bei der Präparation des sacrospinalis ist es gerade dieser Zwischen-
muskel, welcher ein Hinderniss zu bieten pflegt. Derselbe liegt mit
seinem lateralen Rande auf dem medialen des longissimus, innig ver-
klebt, und er muss durch sorgfältige Scheidung medianwärts umge-
klappt werden. Gleich Anfangs bei der Freilesung und Seitwärtsschie-
bung des medialen Randes des longissimus und der Präparation seiner
inneren Zacken stören gewisse dünne, abgeplattete Fleischbündel — gleich-
falls conjungirende Fasern zwischen semispinalis und longissimus — welche
vom 4. oder 5. bis 8. oder 9. Brustwirbeldorne aus schräg absteigen
und sich auf die dorsale Sehnenfläche des longissimus aufheften. Sie
sind einfach zu durchschneiden.
Ich füge hier betreffs des Baues des longissimus dorsi eine berich-
tigende Bemerkung bei. Oftmals ist es nicht der Dornfortsatz eines und
desselben Wirbels, an welchem longissimus und spinalis sich trennen,
sondern siegreifen sich gegenseitig in ihr Gebiet (Fig. 11), indem der spinalis
einige Wirbel weiter herabreicht (z. B. bis zum 2. lumbaris), als der
Ursprung des longissimus heraufreicht, den ich häufig bis inclusive. dor-
Beiträge zur Myologie. 185
salis 12 entspringen sehe. Spaltung beider Muskeln bis auf die Dorn-
fortsätze stellt dies leicht, ohne Faserverletzung, in’s Klare.
Da mehrere Autoren dem longissimus an den Lendenwirbeln nur
Ursprünge „von den 3 unteren“ oder den „2 bis 3 untersten“ zusprechen
(in welchem Falle ein Zusammenhang mit dem spinalis eine Unmöglich-
keit sein würde), so bemerke ich, dass ich fast ausnahmslos die Dorn-
fortsätze aller Lendenwirbel — immer aber mindestens die vier unter-
sten. — von Ursprüngen des longissimus besetzt gefunden habe.
Auch bei dem longus colli beruht das Complieirte des Baues
grossentheils auf conjugatio.
Nicht überall freilich liegt das geschilderte Bildungsprineip so augen-
fällig zu Tage, wie etwa bei den levatores costarum, deren „longi“
sich sofort als conjungirende Bündel, eingeschoben in die Reihe der breves,
zu erkennen geben.
II. Ueber Muskelvarietäten.
Hauptarten der Muskelvarietäten. — Seltene Varietät des M. biceps brachii. —
M. extensor digitorum comm. brevis manus.
Die in Vorstehendem betrachtete Form der Muskelvarietäten, welche
uns mehrere in ihrer normalen, fertigen Gestalt einfach als fait accompli
dastehende Bildungen in ihrer Entwicklung zeigt und dadurch ver-
ständlich macht, besitzt, wie es scheint, noch ein weiteres Interesse. Fasst
man das gesammte Gebiet der Muskelvarietäten näher in’s Auge, so zeigt
es sich, dass weitaus der grösste Theil aller Einzelfälle auf diese Haupt-
form der Variation, auf conjugatio, zurückzuführen ist. Sieht man von
denjenigen Bildungen ab, welche
1) auf Abnormitäten der Grösse, auf Verdopplung und Vermehrung
(die vielfach selbst nichts anderes ist, als conjugatio), oder auf Ausfall
und Defeet beruhen; oder welche
2) in mancherlei Gestaltveränderungen bestehen: — Verschie-
bung des Ursprungs oder des Ansatzes, Umtausch der Stellen von Sehne
und Muskelbauch u. del.; sieht man
3) ab von mancherlei ziemlich regellos auftretenden „besonderen“
Muskeln, die meist dadurch entstehen, dass Muskelfasern an Orten sich
einmischen, wo sonst nur Bindegewebe, Fascien sind; oder
4) von gewissen Muskeln, welche auf einer Art von Versetzung
oder Wiederholung beruhen, indem sie, normal bei anderen Thier-
gattungen oder an einer anderen Körperstelle heimisch, nun an fremdem
Orte erscheinen —
so unterfällt mit wenigen Ausnahmen Alles, was im Gebiete der
156
WELCKER.
Muskelvariationen vorkommt, der in voriger Abhandlung beschriebenen
conjugatio. Zahlreiche „supernumeräre“, mit langen Namen-geschmückte
Muskeln gehören einfach unter diesen Gesichtspunkt: der „Musculus bra-
chialis internus minor lateralis“ ist wohl nichts anderes, als ein con-
Jungirendes Bündel zwischen triceps und brachialis internus; der „musculus
cubito-radius“ ein eonjungirendes Bündel zwischen pronator quadratus
und Muskeln des Daumenballens; der „musculus radio-cubito-carpeus
biceps“ dasselbe in etwas anderer Form — und ähnlich zahlreiche andere.
Es ist nicht meine Absicht, die Casuistik der Muskelvarietäten durch
ausführlichere Beiträge zu vermehren, und ich beschränke mich auf Mit-
Fig. 12,
Z = caput longum bicipitis,
ohne Zusammenhang mit
der scapula, am humerus
entspringend.
B = das normale caput breve.
theilung nur zweier Formen, beide der oberen
Extremität und der 2. und 4. der oben erwähnten
Gruppen angehörig.
I. Biceps brachii.
Mehrere Variationen, die ich an diesem
Muskel beobachtete und deren eine mit einem
Defecte, die andere mit einem Ueberschusse der
Bildung einhergeht, haben das Interessante, dass
beide sich als zusammengehörige Erscheinungen,
als verschiedene Phasen eines und desselben Bil-
dungsprocesses, erkennen lassen.
1) Caput longum ohne Zusammenhang mit
der scapula, vom humerus entspringend.
Eine auffällige Varietät des biceps be-
obachtete ich vor Jahren in dem Secirsaale zu
Giessen. An dem einen Arme einer sonst normal
entwickelten Leiche fand ich den langen Kopf
des biceps (Fig. 12, L) ohne jeglichen Zusammen-
hang mit der scapula. Statt aus der Gelenk-
kapsel hervorzutreten, entsprang die Sehne mit
dünnen, sich allmählich zu einem platten Strange
sammelnden Fasern an beiden Rändern des sehr
flachen sulcus intertubereularis humeri (vorzugs-
weise von der spina tub. majoris), sowie von
dem unteren Rande des Kapselbandes. Der
Muskelbauch dieses abnormen cap. „longum“ war kräftig und in der ge-
wöhnlichen Weise entwickelt.
Diese Versetzung eines Sehnenursprungs auf einen anderen Knochen
Beiträge zur Myologie. 187
schien mir, zumal bei der Beziehung, welche die Bicepssehne unter nor-
malen Verhältnissen zum Schultergelenke hat, so befremdlich, dass ich
zunächst an das ‚Erzeugniss irgend eines pathologischen Vorganges dachte.
In der That ist eine heihe von Fällen bekannt geworden, in welchen
durch chronische Entzündung des Schultergelenkes der intracapsuläre
Theil der Sehne verloren ging, während das freigewordene Ende, einen
Sehnenursprung nachahmend, mit dem tuberculum majus verwuchs.
Einen Fall dieser Art hat GRUBER !) mitgetheilt; die Aehnlichkeit, welche
der biceps in der von ihm gegebenen Abbildung (a. a. O. Taf. X, Fig. 3)
mit dem von mir beobachteten zeigt, ist auf den ersten Anblick eine
sehr grosse.
Unter diesen Umständen, und da ein primäres Entspringen des
langen Kopfes am Oberarme m. W. bis jetzt nicht verzeichnet wurde,
dürfte zunächst auch der Leser Bedenken tragen, ob der von mir be-
obachtete abnorme Ursprung wirklich ein primärer gewesen. Ich glaube
dieses bestimmt bejahen zu dürfen. Innerhalb des Gelenkes fand sich
an dem unter jenen Zweifeln untersuchten Präparate keine Spur einer
Sehne, die betreffende Stelle des labrum cartilagineum war glatt und
ohne Defeet und Anhang, der suleus intertubereularis ausserordentlich
seicht ?), so dass, wenn man überhaupt an ein Abreissen einer ursprüng-
lich interartieulären Sehne denken wollte, man letzteres mindestens in
das fötale Leben zurückverlegen müsste. Aber ich glaube (s. p. 189) ein
Argument beibringen zu können, nach welchem auch diese Vermuthung
hinfällig wird.
Würde somit diese Abnormität sich als em „biceps mit ursprüng-
lich vom humerus entspringendem cap. longum“ erweisen, so
1) REicHErT’s Archiv, 1863, p. 380 und 398. — Ein Fall, in welchem nach
veralteter Continuitätstrennung das untere Ende der Sehne ohne Verwachsung
mit dem Knochen in der Scheide verharrte, während das intracapsuläre Stück
faserig zerfranste, ist abgebildet in: „Usur der Sehne — — des biceps“, diss.
auct. Rapp, praes. LuscHkAa, Tübingen 1866.
2) Eine seichte Furche findet sich auch bei noterisch von Haus aus fehlen-
dem biceps, wie folgende Beobachtungen lehren: „Bei einer Frau fehlte am linken
Arme der lange Kopf des biceps durchaus; sein kurzer Kopf schien dafür nicht
stärker zu sein; am Oberarmknochen war der semicanalis Albini kaum an-
sedeutet, nieht überknorpelt und die Kapselmembran hatte keine Oeffnung“
(Otto, selt. Beobachtungen, II, 40). Laurn (Handb. d. Anat. I, 204) sah den
biceps „nur mit Einem, vom Hakenfortsatz kommenden, aber die gewöhnliche
Dicke um das Doppelte übertreffenden Kopfe —. Die Rinne, worin sonst der
lange Kopf liegt, war sichtbar, aber seichter, als gewöhnlich. Auf
dem anderen Arme war der Muskel normal.“
188
WELCKER.
dürfte dieselbe eine ebenso interessante als seltene und, wie es scheint,
bis jetzt unbekannt gebliebene Varietät darstellen )).
Die Beobachtung, welche auf die eben beschriebene Form des m.
biceps Licht. wirft, betrifft eine zweite, gleichfalls nieht uninteressante,
aber nicht allzu seltene Varietät. Ich selbst habe sie oftmals beobachtet
und beschreibe sie nach zweien von mir conservirten Präparaten:
2) Biceps dreiköpfig, durch Spaltung des cap. longum und
Ursprung des überzähligen Kopfes am humerus.
Am rechten Arme einer männlichen Leiche hat sich von der me-
dialen Seite des langen Kopfes ein ansehnliches Muskelbündel (Z a, Fig. 15)
Fig. 13.
Biceps dreiköpfig.
La der vom cap. longum
abgespaltene ,
halb der Kapsel ent-
springende dritte Kopf.
ausSSer-
Biceps vierköpfig.
B= caput breve.
La der vom cap. longum
abgespaltene, accesso-
rische Kopf.
L= Rest des cap. longum.
C = vierter Kopf, vom
brachialis internus zu-
tretend.
abgespalten und sendet eine
besondere, abgeplattete, 2 Li-
nien breite Sehne nach auf-
wärts, welche, weiter oben
die normale Sehne des cap.
longum deckend, theils seit-
lich an der spina tub. majo-
ris inserirt, theils in die Kapsel-
membran des Schulterkopfes
übergeht. Ein Zug an dieser
Sehne bewirkt eine schwache
Herabschiebung des unteren,
vorderen Theiles des Kapsel-
bandes; auf das Schulterblatt
wirkt derselbe nicht. Etwa
°/, der Muskelfasern dieses
biceps gehören dem cap. breve
an, °/, dem normalen Ab-
schnitte des cap. longum, !/,
dem accessorischen Kopfe.
In einem zweiten Falle
fand sich bei einer sehr mus-
kelschwachen (??) Leiche am
linken biceps (den ich im
Fig. 14 rechtseitig umzeichne)
dieselbe Varietät, mit der Hin-
zufügung eines durch conju-
gatio vom brachialis internus
!) Bei HEnLE, der in s. Muskellehre (177 und 178) eine sehr reiche Zu-
sammenstellung der beobachteten Varietäten giebt, werden der „Rand des sulcus
Beiträge zur Myologie. 189
kommenden vierten Kopfes (C), sowie der weiteren kleinen Abände-
rung, dass die Spaltung innerhalb des langen Kopfes so weit nach
_ abwärts läuft, dass der accessorische Kopf (Za) hierdurch auf das cap.
breve übertragen wird. Auch in diesem Falle deckte der vom hume-
rus kommende Theil des langen Kopfes die durch die Kapsel tre-
tende Sehne, und diese obere Lage des accessorischen Kopfes ist bedingt
durch die Art seines Ursprungs, welcher von den beiden spinae aus auf
den Unterrand -des zum Durchtritt der langen Sehne dienenden Aus-
schnittes der Kapsel läuft.
In einem dritten Falle schien der biceps auf den ersten Anblick
zweiköpfig und völlig normal. Bei genauerer Prüfung sah man, dass
eine sehr kleine Anzahl oberflächlicher Muskelfasern des langen Kopfes,
statt mit der Bicepssehne in den sulcus einzuschlüpfen, sich loslöste und
mit einer ganz dünnen, sehnenartigen Fascie sich an die spina tub. ma-
joris anheftete.
Offenbar ist diese durch Fig. 13 und 14 erläuterte Varietät des
biceps eine typische Form; genau in derselben Weise sah sie bereits
Moser !) und wie ich vermuthen darf, SOEMMERRING ?).
Bei dieser unter 2 beschriebenen Varietät des biceps verhält sich
nun die Ansatzweise des überzähligen, von den spinae tuberculorum
und dem Kapselbande kommenden Kopfes nach Localität des Ansatzes,
Art des Zusammentrittes der Ursprungsfasern, Form der Sehne — kurz
nach allen Beziehungen, genau ebenso, wie bei dem unter 1 beschrie-
benen zweiköpfigen biceps die Ansatzweise des „cap. longum“ sich ver-
hält, und es ist gar nicht anzunehmen, dass, was in dem zweiten Falle
offenbar als eine Form der Muskelvariation sich entwickelte, in dem ersten
Falle als ein pathologisches Erzeugniss sich genau ebenso gebildet habe.
Die beiden Muskeln unterscheiden sich eben nur dadurch, dass in dem
ersten Falle die ganze Summe der. das cap. longum repräsentirenden
intertubereularis“, sowie die „äussere Fläche der Kapsel des Schultergelenkes,“
als Ursprungsstellen überzähliger Köpfe genannt, als Ursprungsstelle des
gesammten langen Kopfes nirgends.
l) (Mecker’s Arch. VII, 227): Bei einem dreiköpfigen biceps (bei welchem
die Spaltung des langen Kopfes übrigens weit tiefer nach abwärts zu gehen
schien) verlief der untere der durch diese Spaltung entstandenen Muskelbäuche
„regelmässig als langer Kopf mit seiner oberen Sehne durch das Kapselband zur
Gelenkfläche des Schulterblattes, der über ihm liegende aber heftete sich an das
Kapselband des Oberarmknochens, und zwar an der Stelle, wo dieses die Sehne
des langen Kopfes hindurchlässt.“
2) „Bisweilen kommt eine kleine Portion von der Oberarmröhre zum langen
Kopfe“ (Vom Baue d. m. K. II, 221), Auf den vom brach. int. kommenden Zu-
schuss, der ja auf der Seite des cap. breve zutritt, passt dies nicht,
190 WELCKER.
Fasern einen abnormen Ursprung wählte, während in dem zweiten Falle
nur ein Theil der Fasern sich auf den humerus übertrug, ein anderer
die normale Ursprungsweise bewahrte. Den allerersten Anlauf zu der
in Fig. 13 abgebildeten Variation zeigt jener letzterwähnte Fall, in wel-
chem die Zahl der an die spina tretenden Fasern des langen Kopfes so
gering ist, dass der Muskel auf dem ersten Anblick normal erschien.
Es wäre von Interesse, einen zweiten Fall der unter 1 geschilderten
Form des biceps nachzuweisen und die Richtigkeit unserer Auffassung an
ihm zu prüfen. Eine Notiz, die ich zunächst bei Laura!) finde: „In
einer anderen Leiche, wo der lange Kopf ebenfalls fehlte, fand ich statt
seiner einen vom oberen Viertheile des Oberarmknochens kom-
menden Kopf“ — giebt kaum Sicherheit, wie weit die Aehnlichkeit beider
- Fälle etwa gegangen. Verwandt mit dem meinigen dürfte ein solcher
sein, dessen Hykru?), gleichfalls in allzu kurzer Mittheilung, gedenkt:
„Ich sah den langen Kopf gänzlich fehlen und zweimal durch eine
Sehnenschnur, die von der Kapsel des Schultergelenkes entsprang,
ersetzt werden.“ Aber sollte bereits Moser an derselben Stelle, wo er
diejenige Varietät beschreibt, die meines Erachtens den Schlüssel für die
Erklärung der unter 1 mitgetheilten, auffälligen Form enthält, eben
dieselbe (allerdings mit zwei unwesentlichen Modificationen verknüpft)
vor sich gehabt und (a. a. O. Taf. III, Fig. 7) abgebildet haben? Die von
M. gegebene Beschreibung dürfte dies kaum erwarten lassen, aber die
Abbildung spricht dafür. Es heisst (a. a. ©. p. 227):
An einem linken Oberarme bestand der zweiköpfige Beuger aus vier ge-
trennten Köpfen, „den beiden normalen“ (sie!) — (1 und 2 der Fig., beide
am proc. coracoldeus entspringend), „einem dritten“ (dem Texte nach der vom
brachialis int. per conjugationem zugetretene; 3 der Fig.) „und einem vierten,
eigenthümlich gebildeten starken Muskelbauch“ (offenbar das von M. verkannte
und als „überzähligen Muskelbauch“ bezeichnete caput longum). „Die
beiden ersteren,“ so heisst es weiter, „der lange und der kurze Kopf des
Muskels, unterschieden sich jedoch nicht in Hinsicht ihrer Länge und Befesti-
gungsweise, da der, welcher der lange sein sollte (P), sich mit seiner Sehne
ebenfalls an den Hakenfortsatz des Schulterblattes heftete. Auf diese Weise
fehlte die Befestigung des Vorderarmbeugers an die Gelenkfläche des Schulter-
blattes ganz; doch ward sie z. Th. dadurch hergestellt, dass vom oberen Rande
der genannten Gelenkfläche an starke Faserbündel des Kapselbandes des Ober-
armgelenkes zusammentraten, so eine mit ihm verwachsene Sehne bildeten, welche
über das Kapselband, jedoch mit ihm verwachsen hinweggehend, zwischen den
vorderen und hinteren Winkel des Oberarmbeines an denselben herabstieg, bei-
nahe bis zu dessen Mitte an den Knochen ebenfalls angewachsen, und hier An-
heftepunkt für die beiden überzähligen Muskelbäuche wurde,. besonders für
I) Handb. d. Anat. I, 204.
2) Lehrb. d. Anat. XII. Aufl. 451.
Beiträge zur Myologie. 191
den vierten“ — — „an Dicke des Muskelfleisches den drei beschriebenen zu-
sammengenommen gleich. Nach oben .entsprang er sehnigt von der vom Kapsel-
bande herabkommenden Sehne, welche ihm ganz auzugehören schien, und auf
diese Weise ward der eigentliche lange Kopf des Beugers ersetzt, nur mit dem
Unterschiede, dass der Muskelbauch um die Hälfte kürzer, dieker und dass seine
Sehne nicht frei, sondern angeheftet an sie spina tub. majoris neben dem An-
heftpunkte des grossen Brustmuskels nach oben das Kapselband erreichte, und
nun nicht unter demselben, sondern über dasselbe sich wegwerfend und mit ihm
verwachsen den oberen Rand der Gelenkfläche des Schulterblattes erreichte.“
Ich finde hier, nach Herausschälung des wirklichen Sachverhaltes —
abgesehen von der Verdopplung des cap. breve (1 u. 2 der Fie.) und dem
angeblichen Zusammenhang des vom brachialis int. stammenden Kopfes mit
der rudimentären Sehne des „vierten“ Kopfes — meinem Falle gegen-
über wesentlich nur den Unterschied, dass der extracapsuläre Ursprung
des cap. longum sich hier nicht auf die spina tub. majoris und den un-
teren Rand der Schulterkapsel beschränkte, sondern äusserlich auf die-
selbe hinaufgriff — ein Verhalten, welches den primär extracapsulären
Ursprung noch entschiedener nachweisen würde, als die Ursprungsweise
der Sehne in meinem Falle.
U. M. extensor digitorum comm. brevis manus.
Bei Versuchen, die Muskulatur der oberen Extremität auf die der
unteren zurückzuführen, haben Manche den extensor dieitorum commo-
nis brevis des Fusses in den extensoribus digitor. propriis der Hand-
finger wiederzufinden geglaubt). Dass diese Muskeln keine geschlossene
Reihe bilden, dass sie auf das antibrachium zurückgreifen, während der
fragliche Muskel des Fusses nur vom tarsus kommt, würde kein Hinder-
niss sein; kommen ja bei der so verschiedenen Entwicklung, welche die
einander entsprechenden Gelenke beider Extremitäten einschlagen, ähn-
liche Verschiedenheiten auch bei anderen, mit voller Sicherheit homologen
Muskeln vor. Aber die Frage löst sich mit Bestimmtheit von einer an-
deren Seite her.
In nicht allzu seltenen Fällen tritt auf dem Handrücken ein über-
zähliger Muskel auf, der — obwohl in der Regel nur aus einem ein-
zigen Kopfe bestehend, dessen Sehne bald an den Mittelfinger, bald an
den index geht — ganz augenfällig eine Wiederholung des extensor
dieitorum communis brevis des Fusses ist und welcher als „M. ex-
tensor dig. communis brevis“ der Hand bezeichnet werden muss.
1) So Mecke£L, welcher in dieser Beziehung den indicator und seine Ver-
_ dopplungen mit derjenigen Neubildung, die wirklich die Wiederholung der am
Fusse normalen Bildung darstellt, zusammenwirft (Handb. d. Anat., II, 520
und 521).
er;
192 WELCKER.
Die neueren Lehrbücher haben’ diesen --bereits von ALsınus und
SOEMMERRING richtig gewürdigten Muskel )), welchen ich in Fig. 15 nach
der Abbildung Augm’s und in Fig. 16 nach’ einer von mir beobachteten
vollkommneren Entwicklung vorführe — wenig beachtet, und nur bei
Hrxue ?) finden sich (nach Beobachtungen von Moser und OrrTo, sowie
einer neueren von Dursy und HENLE) einige Angaben. Doch erscheint
der Muskel hier nicht in seinem rechten Lichte, indem derselbe, einer
Angabe Moser’s zufolge (welcher den Muskel als eine „Hemmungs-
bildung“ des in seiner normalen Form fehlenden (?) M. indieator
zu deuten suchte) als Stellvertreter des indicator genannt wird. Auch in
M. extensor digitorum manus brevis nach M. extensor dig, comm. brevis manus
Albin, l. c. Fig. II. (Präparat der anat. Sammlung zu Halle.
No. 3837).
>
einer zweiten Erwähnung (a. a. 0. 216), in welcher HrstE sehr richtig
hinzufügt, dass ein solcher Muskel „an den m. extensor dig. comm. bre-
vis des Fusses erinnere“, wird derselbe als eine „Varietät des m. ext.
1) Arsınus (Annotat. academ. IV, Cap. 6, p. 28). „De extensore brevi di-
sitorum manus“ — — „quo natura pedem imitata est.“
SOEMMERRING (V. Baue des m. K. II, 239) führt neben dem M. indieator
als einen „seltenen“ aber selbständigen Muskel, den „Extensor brevis digiti in-
dieis vel medii“ auf, „der dem auf dem Rücken des Fusses für die Zehen alle-
mal vorhandenen ähnlich ist.“
2) Muskellehre, 213.
N
Beiträge zur Myologie. 193
indieis proprius“ bezeichnet. In ähnlicher Weise hatte bereits MEckEL
(a. a. 0. 520) unseren Muskel missdeutet, indem er ihn innerhalb der Reihe
der Variationen des m. indicator aufführt und in ihm nicht ein zu
den typischen Muskeln der Oberextremität hinzugetretenes Novum, son-
dern nur „eine weitere Entwicklung des Ursprungs des m. indicator mit
zwei Köpfen“ sieht.
Die mir bekannt gewordenen Beobachtungen unseres Muskels beziehen sich, °
den einzigen Fall von HENLE ausgenommen, sämmtlich auf ein Vorkommen des
Muskels an nur einem Finger, bald dem zweiten, bald (der häufigere Fall) dem
dritten. Der meist am Boden derjenigen Rinne des lig. carpi dorsale, durch
welchen die Sehnen des langen gemeinsamen Streckers treten, sehnig entspringende
Muskel (als dessen Ursprungsstellen auch das Köpfchen der ulna, der radius,
das os capitatum und hamatum — in einem Falle auch das os metacarpi IV. ge-
nannt werden), schiebt seinen abgeplatteten, auf den Mm. interossei liegenden
Muskelbauch vorwärts, während die Insertionssehne mit der betreffenden Sehne
des langen Streckers oder des indicator, sowie dem das Metacarpophalangeal-
gelenk deckenden Bandapparate, verschmilzt. Was den Ort der Insertion näher
anlangt, so sah
Aırsın den Muskel einmal an den index („in utraque manu“), einmal an den
Mittelfinger gehen;
SANDIFORT !) zweimal an den Mittelfinger;
MAYER?) einmal, an den index;
Orro 3) sah zweimal den „indicator annomalus brevis,‘“ zweimal den „exten-
sor annomalus brevis des Mittelfingers;‘“
Der von Moser beobachtete Muskel ging zum index,
und in einem der von mir beobachteten Fälle ging der Muskel ausschliess-
lich zum Mittelfinger.
Hatte AuLsın das Richtige getroffen, wenn er die nur getrennt ge-
sehenen Fragmente als Musculus extensor „digitorum“ brevis bezeichnet,
so war den vorhandenen Beobachtungen gegenüber allerdings auch
SOEMMERRING im Rechte, wenn er den Muskel als „extensor brevis dig.
indieis vel. medi“ aufführt. In dem einen der von mir beobachteten
Fälle nun (Fig. 16), fand ich (an der rechten Hand eines Weibes) den
Muskel zweiköpfig; der in seinem fleischigen Theile hier schon weit
breitere und abgeplattete und auch hierin ganz an den analogen des Fusses
erinnernde Muskel inserirt mit der Sehne seines inneren Kopfes an den
ulnaren Rand der Sehne des indicator proprius, mit der äusseren an den
ulnaren Rand der langen Sehne des Mittelfingers.
i) Exereitationes academicae p. 94. (Der von SANDIFORT und von SOEM-
MERRING bei dem extensor brevis indicis vel medii eitirte Fall von PETSCHE, der
einen ächten, mit einer zweiten Sehne versehenen indicator betrifft, gehört nicht
hierher.)
2) Beschreibung des m. Körpers, III, 553.
3) Seltene Beobachtungen. p. 91.
Zeitschrift f. Anatomie. Bd I]. j 13
194 WELCKER.
„Noch grösser war die Analogie‘ (wie HEnLE gegenüber den Fällen
von Orro und Mos£r bemerkt) in dem von ihm und Dursy beobachteten
Falle, in welchem ‚‚mit längeren und kürzeren Sehnen vier Muskelbäuche“
an den Köpfchen des radius und der ulna entsprangen; doch waren auch
hier nur zwei Finger von Sehnen besendet, indem „drei zusammenfliessend
an die Strecksehne des Mittelfingers, einer an die Sehne des Zeigefingers“
"sich ansetzten !).
Nach diesen beiden Beobachtungen von HrxLEe und mir (zu welchen
dann, mit mehr oder weniger Recht noch die in Note 1 berührten kom-
men dürften) muss. der Muskel auch in seiner gewöhnlichen, einfachen
Form nicht als ein extensor brevis indieis vel medii, sondern als ext.
dieitorum communis — der allerdings in der Regel nur als einfachstes
Rudiment auftritt — betrachtet werden.
Da der extensor - brevis pedis an die Kleinzehenseite der langen
Sehnen inserirt, so muss die Analogie beider Muskeln um so vollständiger
erscheinen, je häufiger unser Muskel seine Sehne an die Ulnarseite der
betreffenden langen Sehne sendet. Und wirklich scheint dies das gewöhn-
liche Verhalten zu sein: die Insertion betraf die Ulnarseite der langen
Sehnen in 3 Fällen Orro’s?), in 2 Fällen von SANDIFORT und HEnLE,
sowie in beiden meinen neueren Fällen, während Insertion an die Ra-
dialseite nur dreimal angegeben wird (je ein Fall von AuBInus, OTTO
und Moser) °?), und es fällt wohl besonders ins Gewicht, dass in den bei-
den Fällen, wo der Muskel sich in vollkommnerer Entwicklung zeigte,
1) Aus früherer Zeit erinnere ich mich, leider ohne das Präparat aufbe-
wahrt oder eine Zeichnung gefertigt zu haben, drei Sehnen gefunden zu haben,
welche an den 2., 3. und 4. Finger inserirten (wie dies in Fig. 17 dargestellt ist).-
Einen zweiköpfigen, zu index und dig. med. gehenden Muskel, neben dem
normalen indicator, eitirt — auch dies als Variation des letztgenannten — MECKEL
nach BRUGNONE (opusc. anat. select.?) p. 168 — eine Stelle, die ich nicht nach-
sehen konnte.
Mecxer giebt ferner an, von dem von ihm mehrmals gesehenen „Mittel-
fingerstrecker“ „eine kleine Sehne zur Wurzel des ersten Gliedes des Ring-
fingers“ gehend gesehen zu haben (wobei mir unklar blieb, ob dieser „Mit-
telfingerstrecker“ der ‚„extensor brev. dig. medii‘“ SOEMMERRING’s, oder nur die
von MEcker oben erwähnte Verdoppelung des indicator ist, in welch letzterem
Falle die Form nicht hierhergehören würde.
2) Wenn O. als Insertionsstelle die Ulnarseite der ‚1. Phalanx“ nennt, so
betraf der genauere Ansatz wohl auch hier die Sehne und deren membranartige
Ausbreitung auf dem Zehengelenke.
3) In drei anderen Fällen von AugIn, SANnDIFORT und MAYER wird über die
Seite der Insertion nichts bemerkt,
Beiträge zur Myologie. 195
jede der beiden Sehnen an die Ulnarseite (des indieator und der langen
Sehne des Mittelfingers) inserirte.
An keiner der beiden von mir präparirten Hände, die unter
Nr. 3887 der anat. Sammlung zu Halle conseryirt werden, vermisse ich
den regelmässigen M. extensor indieis proprius; HEnLE bemerkt für seinen
Fall ausdrücklich, dass derselbe nicht gefehlt habe, und da Aupmus,
SANDIFORT u. A. einen - derartigen Defeet nicht anmerken, so darf
man wohl annehmen, dass er nicht statt fand. Der von Moser
für seinen Fall angegebene Defect erscheint hiernach als ein Accidens,
das an der Sache nichts ändert und den Muskel keinesfalls als einen „Ver-
treter“ des indieator, oder als die durch Hemmungsbildung abgeänderte
Form dieses Muskels, stempeln kann. Ebensowenig beruht derselbe auf con-
-jugatio (etwa zwischen einem interosseus und einer langen Strecksehne)
oder auf einer Muskelzerspaltung, sondern er ist ein „supernumerärer
Muskel“, der letzten der oben erwähnten Gruppen angehörig — eine
Wiederholung eines an einer andern Körperstelle heimischen Muskels. »
III. M. tibialis anticus und M. extensor carpi rad. longus;
Mm. interossei manus et pedis.
Nach stillschweigender und ausgesprochener Annahme sind die Mm.
tibialis anticus und extensor carpi rad. longus, ingleichen tibialis posticus
und flexor carpi radialis, homologe Muskeln.
Dass die genannten Muskeln des Armes zum humerus hinaufragen,
während diejenigen des Beines sich auf das crus beschränken, würde auch
hier, Angesichts der tiefgehenden Verschiedenheiten des Knie- und Ellen-
bogengelenkes, kein Hinderniss bedingen. Aber die Sehnen der zur Ho-
mologie herangezogenen Muskeln heften sich an verschiedene Finger,
die Mm. tibiales an den 1., die radiales an den 2. Dies dürfte eme
Schwierigkeit sein, über welche nicht ohne Weiteres hinweszukommen ist.
Wir begesnen ähnlichen Differenzen bei anderen Muskeln, deren
Homolosie trotzdem, und gewiss mit Recht, angenommen wird, so bei
den Mm. interossei beider Extremitäten. Zunächst von diesen.
Mit ALBIN, SOEMMERRRING und HEnteE im Wesentlichen, mit KRAUSE,
LuschkA, Quam-Horrmann vollständig übereinstimmend, nehme ich für
Hand wie für Fuss vier Mm. interossei externi s. bicipites, sowie drei
interni s. simplices an, deren erstere an die Grundphalangen der drei
13*
196 WELCKER.
inneren Finger inseriren, dies aber mit dem Unterschiede, dass an
der Hand der dritte Finger, am Fusse der zweite zwei bicipites trägt.
Es besitzt mithin an der Hand der Zeigefinger den 1. biceps und den
1. volaris, der Mittelfinger die beiden folgenden biecipites; während an
dem Fusse der 2. Zehe zwei bieipites zufallen, die Mittelzehe aber den
1. plantaris und den 3. biceps erhält. Zum Theil „um diese Ungleich-
heit zu beseitigen“, wie mir scheint aber ohne ein anderes Ergebniss zu
erreichen, als die Präparanten zu verwirren, hat man an diesem Schema
vielfach gekünstelt.
Die Abweichungen der Schilderung beziehen sich wesentlich auf folgende
Punkte:
Arsın (Tab. museulorum XX und XXV) unterscheidet an der Hand 4 ‚„in-
terni“ und nur 3 „bicipites“, indem er unseren interosseus dorsalis primus, dessen
Bäuche in Folge der freien Stellung des Daumens vollständiger getrennt sind,
in einen „abduetor indieis“ und „internus primus‘“ zerlegt — offenbar kein Ge-
winn, da in diesem ‚„internus primus“, der doch ohne Zweifel abdueirt, ein Ab-
ductor den Namen eines internus tragen würde, während die übrigen interni
Adductoren sind.
HENLE bezeichnet ein sonst dem flexor pollieis brevis zugerechnetes, zur
Grundphalanx des Daumens gehendes Bündel als „interesseus volaris primus“,
sodass die Zwischenmuskeln der Hand auf 8 kommen. Im Uebrigen ist sein
Schema das unsrige.
Wesentlichere Differenzen der Auffassung betreffen den auf der Grosszehen-
seite gelegenen Zwischenmuskel der 2. Fusszehe, unseren interosseus dor-
salis s. biceps pedis Il, der von SOEMMERRING (vom Baue d. m. K. II, 321)
als eiriköpfiger dorsalis, von Anderen (THEıLE, HyeıL, HErıtzmans) als inter-
nus s. plantaris aufgefasst wird. — Dass dieser Muskel (wie die bicipites pedis
überhaupt) eine mehr plantare, als dorsale Lage besitzt, ist ohne Weiteres zu-
zugeben. Aber festzuhalten ist, dass derselbe, wie die übrigen ‚dorsales“, ein
gefiederter, zweiköpfiger, vom zweiten und ersten Metacarpus entspringender
Muskel ist.
Müsste dieser Muskel wirklich aus der Reihe der bieipites gestrichen und
als plantaris primus bezeichnet werden, so ergäbe sich zugleich das Ungeschickte,
dass ein plantaris primus mit den bicipites die Abduction besorgte, während
die übrigen plantares Adductores sind — eine Inconvenienz, die dadurch nicht
sehoben wird, dass Hrıtzmann (Anatomie, I, 208) setzt: „vier Museuli inter-
ossei interni — „Adductores.“ Denn die Achse für die seitliche An- und
Abziehung der Fusszehen liegt wirklich in der zweiten Zehe.
Wo dem interosseus biceps I. pedis der vom hallux kommende Ursprungs-
schenkel fehlt, was meiner Erinnerung nach durchaus kein häufiges Vorkommen
ist, da ist dieser Mangel als Varietät aufzufassen. Nach HextE (Muskellehre,
1. Aufl., 302), unterscheidet sich unser Muskel von den übrigen bicipites durch
einen mehr rückwärts (auf die Basis des metatarsus I. und das 1. Keilbein)
verlegten Ursprung des medialen Kopfes, „doch besitzt er einen medialen Kopf“;
LuscHkA (Anat., III, 435) sagt von den vier bieipites pedis: „alle bestehen aus
je zwei Köpfen.“
Beiträge zur Myologie. 197
Eine grössere Annäherung der Vertheilung der Zwischenmuskeln des Fusses
zu denen der Hand, als bei dem von uns adoptirten Schema, kommt bei allen
‚jenen Deutungen und Annahmen, die überdies theils gezwungen, theils gerade-
zu unwahr sind, nicht zu Stande.
Die bei den Mm. tibiales und ihren oberen Vertretern, wie die
bei den Mm. interosseis hervorgehobenen Schwierigkeiten verschwinden,
wie mir scheint, wenn man sich überzeugt, dass es eine ganze Reihe
Bie. 17.
Homologe Muskeln an Hand und Fuss. Halbschematische Zeichnung.
1! und 1=M. tibialis antiecus und extensor carpi radialis longus.
2! und 2= Insertion der am meisten medialen Sehne des ext. dig. comm.
brev. pedis et manus.
31 und 3 = Finger, welcher die Adductionsachse des Extremitätenendgliedes,
sowie z wei interossei bieipites trägt.
von Muskeln ist, welche sich zum 2. Finger der Hand genau
so verhalten, wie ihre Homologa zum 1. Finger des Fusses.
Dies aber wohl darum, weil den das Vorderende der Extremitäten be-
wegenden Muskeln nicht der bewegliche Daumen, sondern der feste Zei-
sefinserrand des Handskelets ähnliche Bedingungen bietet, wie ihren
Analogis der Grosszehenrand des Fusses. Alle die hier in Frage
kommenden Muskeln der Oberextremität liegen zur Linie rr (Fig. 17)
198 WELCKER.
genau so, wie die entsprechenden des Fusses zur Linie r'r‘. Die Ver-
lesung des dem M. tibialis homologen Muskels auf den 2. Finger beruht
nach meiner Annahme auf einer Anpassung behufs des Gebrauches.
Würde der flexor und der extensor carpi rad. longus den Metacarpal-
knochen des Daumens ergreifen, so würden diese Muskeln nicht den car-
pus, sondern zunächst den Daumen bewegen. An dem Fusse dagegen,
wo der hallux in festerem Schlusse- den übrigen Zehen anliegt, wenden
sich die den Fuss seitlich ablenkenden Muskeln wirksamer an die in-
nerste Zehe }).
Fanden wir die Insertion der Mm. tibiales an der Randzehe des
Fusses, die Insertion ihrer Analoga aber einen Finger weiter in’s
Innere der Hand gerückt (1’, 1, Fig. 17), so finden wir genau das Ent-
sprechende betreffis der Lage der Ab- und Adductionsachse der Zehen und
der Finger (3°, 3): sie liegt bei'm Fusse bekanntlich im 2. Finger, bei
der Oberextremität einen Finger weiter im Inneren der Hand, also im
3. Finger. Dort ist es die 2. Zehe, hier der Mittelfinger, welcher zwei
m. interossei bieipites trägt, und wir finden nun durchaus keinen Grund,
der 2.. Zehe das Recht, zwei bicipites zu tragen, zu bestreiten, um so
weniger, als sie dieselben thatsächlich besitzt.
Blicken wir zum Schlusse auf den M. extensor dig. comm.
brevis pedis und den in der vorigen Abhandlung betrachteten oberen
Vertreter desselben (2’, 2), so zeigt es sich, dass ersterer seine am meisten
medial gelegene Sehne an die erste Zehe schiebt, während die innerste
Sehne des ext. dig. brevis manus einen Finger weiter im Innern
der Hand zurückbleibt: am Zeigefinger. Dort wurde dieselbe in einer
verhältnissmässig grossen Zahl von Fällen beobachtet, am Daumen
niemals.
IV. Platysma myoides.
Zu einer Musterung des in den Handbüchern über diesen Muskel
Gesagten veranlasste mich die von Schülern immer und immer wieder
1) Ich lege auf diese etwas teleologisch klingende Argumentation umso-
weniger den Hauptaccent, als ich die Verhältnisse nicht bei den mit frei beweg-
lichem hallux versehenen Säugern verfolgen konnte und berufe mich vorzüglich
darauf, dass es mehrere oflenbar einander homologe Muskeln sind, welche von
Beiträge zur Myologie. 199
vorgebrachte Angabe, dass das Platysma „von der Fascie des grossen
Brustmuskels“, oder dass es „von der clavicula“, oder „von den
Rippen“ entspringe.
In der That enthalten die Bücher über den Ursprung des platysma
fast durchweg theils unbestimmte, theils unrichtige Angaben, nach welchen
der „in der Gegend der clavieula oder den oberen Rippen entstehende“
Muskel leicht als „von der clavicula oder den Rippen entspringen de“
verstanden wird, während mehrere, zumal die neueren Lehrbücher (Hykrz,
Hrnte, Luschxa, QuAam-Horrmann), den Muskel ausdrücklich „von
der Fascie des grossen Brustmuskels“ entspringen lassen ').
Hand zu. Fuss gegen die Ordnung der Fingernummern in völlig gleichmässiger
Weise verstossen.
Den Angaben Mecker’s (Syst. d. vgl. Anat. III, 536) und theilweise eigener
Anschauung entnehme ich, dass der M. extensor carpi rad. long. bei zahlreichen
Säugern, wie beim Menschen, den 2. Finger besetzt, bei anderen aber den
ersten, hier also völlig mit dem tibialis anticus übereinstimmt. An den 2.
Mittelhandknochen geht der. ext. carp. rad. long. beim Schweine; bei dem
Murmelthier, Biber, der Ratte und bei vielen anderen Nagern sind beide exten-
sores carpi radiales vorhanden und sie inseriren am 2. und 3. Metacarpus. Eben-
so bei Didelphis. Insertion am 1. Metacarpus dagegen findet sich bei
folgenden Thieren: beim Daman, wo beide extensores radiales vorhanden sind,
gehen dieselben an die BISE ersten Mittelhandknochen; bei Ai, Ameisenfresser
und Tatu geht der rad. long. mit zwei Sehnen an die beiden ersten Mittelhand-
knochen;, bei den nen geht der anfangs einfache Muskel mittelst drei
Sehnen an die drei ersten Mittelhandknochen; ähnlich bei den Fledermäusen.
1) Die erste jener zu Missverständnissen Veranlassung gebenden Angaben
findet sich bei Arsınus: „Principium (m. latissimi colli) e tenuibus magnamque
partem sparsis fasciculis constans, quo in pectore infra claviculam et in
humero ineipit“ (Tabulae museulorum, XI, Fig. XVI, a) „— besteht aus dünnen,
langen, in der Fetthaut liegenden Muskelfassern.‘‘“ (SOEMMERRING, Muskellehre,
pag. 93). „— liegt unmittelbar unter der Fetthaut, an die er genau angeheftet
ist; entsteht in der Brust- und Schultergegend mit einzelnen Bündeln etwas un-
terhalb dem Schlüsselbeine —“ (Mecker, Hndb. d. Anat. II, 470). „— ein sehr
dünner Muskel, — — welcher schräg vom Schlüsselbein bis in das Gesicht hinauf-
steigt —. Er entsteht mit zerstreuten Bündeln unterhalb des Schlüsselbeines —“
(Krause, Hndb. d. Anat. I, 374). „Ursprung: die Brust- und vordere Schulter-
gegend, vor dem M. pectoralis maj. und der 2. und 3. Rippe“ (Bock, anat.
Taschenbuch 1851, p. 154). „Die Fasern übergehen unten in das subeutane
Bindegewebe —“ (Langer, Lehrb. d. Anat. 194). „— Lage von Muskelbündeln,
welche — — über das Schlüsselbein und auf die Brust treten“ (Meyer, Lehrb.
d. Anat., 248).
Von den Angaben, welche das Platysma ausdrücklich von der Muskel-
fascie entspringen lassen, führe ich nur an: „— liegt dicht unter der Haut und
entspringt — — an der vorderen Fläche der Brust in dem Zellgewebe vor dem
200 WELCKER.
[4
Ich habe mich bemüht, ein Präparationsverfahren ausfindig zu machen,
welches hier unzweideutigen Aufschluss giebt. Das Platysma entspringt
vom Unterrande des Unterkiefers '); sein unteres Ende heftet sich, wie
ich den vorstehenden Angaben gegenüber berichtigen möchte, nicht etwa
an das Unterhautzellgewebe, noch weniger an die Muskelfascie, sondern
es inserirt dasselbe im eigentlichsten Sinne des Wortes an. die Haut
der Infraclavieular- und Schultergegend. Die Sehnenfasern der
einzelnen Bündel und Strähne, in welche das Platysma an der Insertions-
grenze sich zerspaltet, fliessen in die Bindegewebsbündel des corium ein,
mit ihnen sich innig vermischend. Hierbei ist zu bemerken, dass der
Muskel, indem seine obere (vordere) Fläche mit der sie bedeckenden Haut
innig und unverschieblich verwachsen ist, nicht einfach vom Ursprunge
nach der Ansatzstelle hin wirkt, sondern es wirkt derselbe auf die ge-
sammte, dazwischenliegende Haut, dieselbe runzelnd und verschiebend ?).
Dass dem so ist, zeigt sich bei folgendem Präparationsver-
grossen Brustmuskel“ (HILDEBRAND-WEBER, II, 370). „— entspringt vom subeu-
tanen Bindegewebe der Brust und von der Fascie des grossen Brustmuskels in
der Gegend der 2. Rippe —“ (Hyrrr, Lehrb. d. Anat. 11. Aufl., 400). „— ent-
springt aus den Bindegewebsfaseien des pectoralis und deltoides“ (Hyarı, Zer-
gliederungskunst, 210). „Die Hauptmasse der Fasern entspringt aus der Fascie
des M. pect. major und des M. deltoideus —“. „Die vom pectoralis entspringen-
den Bündel liegen dicht zusammen, die vom deltoideus entspringenden mehr
zerstreut —“ (HENLE, Muskellehre, 105). „Die meisten seiner Bündel hängen
mit der Binde zusammen, welche den M. pectoralis major und den vorderen Ab-
schnitt des deltoideus überzieht“ (LuscHrA, Anat. des Halses, 161). „— ent-
springt am oberen Theil der Brust von der Fascie der Mm. pect. major und del-
toideus“ — (HoLLstein, Lehrb. d. Anat., 5. Aufl. 286).
Nur in Einer Angabe scheint der Muskel in der von mir gegebenen Weise
aufgefasst zu werden, dies in einem älteren Werke, bei LautH (Handb. d. pract.
Anat, I, 1835, p. 154): die breiten. Halsmuskeln „verlieren sich endlich in der
Haut, welche den oberen Theil des grossen Brustmuskels und des Deltamuskels
bedeckt.“ Ich zweifle nicht, dass hier der jene Muskeln deckende Theil der
äusseren Haut, und nicht etwa die Fascie gemeintist. Alle übrigen Autoren
welche von einer „Anheftung“ des Platysma an die Haut sprechen (Krause,
HEntE, LuscHkA) meinen damit nur die bekannte dichte Verklebung der vorde-
ren Fläche des Muskels mit der Haut, und derselbe ist ihnen nur durch diese
Beziehung ein „Hautmuskel“; sie lassen die weit kräftigere Anheftung der
Endfasern (die eigentliche Insertion) nicht an die Haut, sondern an die Muskel-
fascie treten.
l) Gut dargestellt bei Hrrrzmann, Anat. I, Fig. 39.
2) Eine gute Abbildung des thätigen (die Halshaut vom Kinne bis zum Iu-
gulum in Querrunzeln ziehenden) Platysma giebt, nach einer Photographie
DucHENNE’s, DarwIn (Ausdruck der Gemüthsbewegungen, deutsch von V. Carus, 312).
Beiträge zur Myologie. 201
fahren: Man durchschneide die Haut längs des Unterkieferrandes, das
Platysma selbst nicht verletzend, und führe zwei weitere Hautschnitte
längs des medialen und lateralen Randes des Muskels. Präparirt man
nun den durch diese drei Schnitte umgrenzten Hautlappen nach abwärts
sorgfältig vom Platysma los, so kommt man unterhalb der clavicula an
eine nicht ganz geradlinige Grenze, längs welcher die Haut sich
nicht weiter lüften lässt, falls nicht die Insertion des Mus-
4. Schematisches Profil des oben beschriebenen Präparates. abc Kinn-,
Hals- und obere Brusthaut, an welcher das Platysma bei d (Infraclaviculargegend) inse-
rirt. Der obere Pfeil deutet die Richtung des ersten, sich möglichst auf dem Platysma
haltenden Präparationsganges an; der untere Pfeil die Richtung des zweiten ‚Ganges,
welcher, die Fascie möglichst unberührt lassend, hinter das Platysma führt.
B. Platysma myoides der rechten Seite nebst der Haut des Halses; Ansicht auf
die hintere Fläche.
C. Insertionsende des Platysma, p, durch den panniculus adiposus der Brust hin-
durch zur Haut tretend.
kels, dessen Uebertritt zur Haut bei diesem Verfahren nicht
zu verkennen ist, durchschnitten würde. Verlängert man nun
die beiden Längsschnitte der Haut über das Gebiet des Platysma hinab,
— den lateralen bis auf die Schulter, den medialen bis zur 4. Rippe —,
die Enden beider Schnitte durch einen Querschnitt verbindend, und prä-
parirt .diesen Hautlappen nach aufwärts, das subceutane Bindegewebe
möglichst vollständig auf der Muskelfascie sitzen lassend, so geräth
man, sobald die Grenze erreicht ist, bis zu welcher bei der
202 WELCKER.
ersten Präparation die Haut von oben her gelöst wurde, unter
oder hinter das Platysma, und das nun losgelöste Präparat (vgl.
Fig. 18) gabelt nach oben in eine vordere Lamelle: Haut, und eine
hintere Lamelle: Platysma. Ein vorzügliches Schulpräparat erhält man,
wenn nun noch das obere Ende des Muskels bis zum. Unterkiefer auf
beiden Flächen sorgfältig gereinist und die am Platysma hangende Kiefer-
hälfte vom Schädel gelöst wird (Fig. 18, B).
Dass das untere Ende des Platysma nicht etwa künstlich von der
Muskelfascie weg- und auf die Haut hinüberpräparirt wurde, erkennt
man an diesem Präparate, sofern noch ein Zweifel bestehen sollte, aus
der scharfen Einbiegung, welche der Muskel längs seiner Insertionsgrenze
an der Haut erzeugt, wenn man ihn von dem straff gespannten Haut-
lappen rechtwinklig abzieht (man halte die Haut horizontal ausgespannt,
bei frei herabhängendem Muskel und Unterkiefer); kleine Grübchen, in
welche die Haut sich einzieht, demonstriren sehr deutlich die genauen
Insertionsenden der einzelnen straff gespannten Sehnenbündel.
Die Insertion des Platysma an die Haut ist eine so feste, dass ein
ansehnliches Gewicht an die Haut angehängt werden kann, ohne dass das
auf semen beiden Flächen bis zu den feinsehnigen Insertionsenden
der Bündel vollkommen rein präparirte Platysma abreisst. Bei
den von mir angestellten Versuchen trug das einer kräftigen Mannes-
leiche entnommene Platysma nach einander 6, 8, 10, schliesslich 20 Pfunde,
ohne dass die Sehnenenden von der die Gewichte tragenden Haut ab-
rissen. Da weitere Gewichte nicht zur Hand waren, schüttelte ich wieder-
holt das mit 10 Kilo belastete Präparat, bis endlich durch den erzeugten
Ruck das in der Hand gehaltene Oberende des Muskels Noth litt, wäh-
rend die Insertion unverletzt blieb. Man sieht hieraus, dass der von mir
behauptete Uebertritt an die Haut eine Insertion im eigentlichsten
Sinne des Wortes ist }).
Aber auch ohne jede Präparation lässt sich unter günstigen Verhält-
nissen erkennen, dass das Platysma nicht an die Faseie inserirt. Setzt
man bei einer mageren Leiche mit recht verschieblicher Haut die Finger-
1) In der 2. Auflage seines Lehrb. d. Anat., p. 272, sagt Meyer von den Haut-
muskeln (zunächst der Thhiere), dass sie „zum Theil einen freien Anfang und ein
freies Ende haben, zum Theil auch von Knochenpunkten entspringen und nach
längerem Verlaufe frei enden“; für das Platysma des Menschen, welches als
eine flache Lage von Muskelbündeln unter der Haut liege, giebt M. keinen be-
sonderen Ursprung, resp. Insertion, an. — Dass das Platysma des Menschen nicht
etwa „frei endet“, beweist obiger Versuch.
Beiträge zur Myologie. 203
spitzen in der Infaclavieulargegend auf die Ansatzgrenze des Platysma
und rückt die Haut hin und her, so folgt das Platysma der letzeren,
ohne dass die Muskelfascie sich irgend mit bewegt oder ein Hinderniss
für die Hautverschiebung abgiebt. Auch sieht man nicht ab, wie das
Platysma überhaupt nennenswerthe Bewegungen machen könnte, wenn
dasselbe gleichzeitig (wie z. B. Krause es schildert, a. a. 0. 374) „an
seiner inneren Fläche mit dem oberflächlichen Blatte der Fascia cervi-
calis, an semer äusseren Fläche mit der Fascia superficialis und dem
pannieulus adiposus genau verbunden“ wäre.
Untersucht man bei fettreichen Personen, so findet sich das
Platysma, welches sonst der Haut unmittelbar anliegt, nun durch die
grössere Mächtiekeit der subeutanen Schicht von der Haut weggerückt;
das Platysma liest unterhalb des Fettpolsters des Halses (wie ja auch
bei den Thieren die Hautmuskeln unterhalb des pannieulus liegen). Aber
keineswegs behält das Sehnenende des Platysma diese hintere Lage
bei, etwa zur Fascia pectoralis tretend, sondern die Sehnenbündel durch-
brechen das Fettpolster, nach vorm, zur Haut tretend. Das Fett-
polster des Halses geht hiernach, soweit das Unterende des Platysma
concurrirt, mittelst einer theilweisen Unterbrechung in das Fettpolster
der Brust über, und es schiebt sich, wie €, Fie. 18 zeigt, der panniculus
_ des Halses, nach unten zu immer dünner werdend (und zwischen den
Sehnenbündeln des Platysma nach rückwärts durchgreifend), in den In-
sertionswinkel des Platysma hinab, während der pannieulus der Brust,
ebenfalls dünner werdend, in gleicher Erstreckung hinter die an die Haut
tretende Sehne hinaufsteigt.
Was die Wirkung des Platysma anlangt, so wird dasselbe von
verschiedenen Anatomen als „Herabzieher des Unterkiefers“ auf-
geführt, und die allgemein gebräuchliche Bezeichnung der unteren Partie
des Muskels als „Ursprung“ scheint den Unterkiefer als punctum mo-
bile vorauszusetzen. Man sieht indess bei der Eröffnung des Mundes
durchaus nichts von der jede Zusammenziehung des Platysma beglei-
tenden Runzelung und Emporhebung der Haut, und der aufgeleste Finger
findet das Platysma vollkommen ruhig. Anders bei lebhafter Einathmung
oder beim Oeffnen des durch äussere Gewalt zusammengehaltenen Mundes,
wo das Platysma in Mitbewegung eintritt. Die normale Wirkung des
Muskels, bei welcher der Unterkiefer als punctum fixum dient,
bezieht sich, wie dies Hrxte (Muskellehre 108), nach der Angabe von
Forız in Erinnerung bringt, auf die Emporhebung der Haut des
Halses und ihrer Unterlagen, resp. auf die Spannung der Hals-
204 : WELCKER.
venen — mithin auf die Regulation der Blutbewegung unter besonderen
Verhältnissen (bei'm Singen, Echauffement, lebhaftem Athmen). !)
Zu berichtigen ist eine Angabe Darwım’s?), nach welcher das Pla-
tysma myoides (im Gegensatz zu anderen, „in einem noch wirksamen
Zustande“ vorhandenen Resten des Hautmuskels der Thiere) „nicht will-
kürlich in Thätigkeit gebracht werden“ könne. Bei mir und mehreren
Personen, die ich darauf prüfte, bewirkt die willkürlich sehr leicht erfol-
gende Zusammenziehung des Platysma eine deutliche Runzelung und
Emporhebung der Halshaut. Die freie Beweglichkeit des Platysma scheint
jedenfalls viel häufiger zu sein, als etwa die der Ohren oder der Kopfhaut.
1) Vgl. m. Angabe über die Wirkung des M. sartorius (REICHERT’s und D
Boı1s’ Archiv, 1875, p. 38). -
2) Die Abstammung des Menschen, deutsch von V. Carus, I. 16.
Halle, im August 1875.
Die Bursae phrenico-hepatiea anterior und posterior.
Von
Dr. A. von Brunn,
Prosector in Göttingen.
(Hierzu Tafel VII.)
In einer vorläufigen Mittheilung (Göttinger Nachriehten 1874,
No. 19) beschrieb ich eine an der unteren Fläche des Zwerchfelles
linkerseits gelegene Tasche, die ich für völlig abnorm hielt. Die
Untersuchung von vierzig auf hiesiger Anatomie vorgekommenen
Leichen und von vierundzwanzig bezüglichen Präparaten, die mir Herr
Prof. WALDEYER aus Strassburg zuzusenden die Güte hatte, hat mich
indessen belehrt, dass diese Tasche ziemlich häufig vorkommt und ihre
Entstehung der bis jetzt nicht genügend beschriebenen Form des
Ligamentum triangulare hepatis sinristrum verdankt. Ich werde dem-
nach zunächst diese Bauchfellfalte näher beschreiben und dann auf die
Entstehung und Verhältnisse jener Tasche übergehen.
Das Lig. triangulare sinistrum wird in den Handbüchern aus-
nahmslos als eine directe Fortsetzung des Lig. coronarium beschrieben,
welche dadurch, dass der hintere Rand des linken Leberlappens sich
nach links hin vom Zwerchfell mehr und mehr entferne, die Form
einer dreieckigen Falte erhalte. Der obere Rand derselben wäre dem-
nach an das Zwerchfell, der untere, unter spitzem Winkel mit dem
oberen zusammenstossend, an der Oberfläche der Leber in der Nähe
des hinteren Randes befestigt; — der linke Rand sei scharf und
schliesse den von den vorigen beiden gebildeten Winkel zum Dreieck;
er verlaufe vertical von der äussersten linken Ecke der Leber nach
oben. Diese Beschreibung trifft nun aber nur für den Fötus zu: be-
merkenswerth für das Folgende ist besonders, dass sich der untere
206 A. von BRURNN.
Rand des Bandes beim Fötus nicht an den hinteren Rand, sondern
an die obere convexe Fläche der Leber ansetzt, so dass der vordere
sowie der hintere Leberrand frei in die Bauchhöhle hineinragen.
In den Leichen erwachsener Individuen ist dagegen die Form mit
seltenen Ausnahmen eine ganz andere. Der linke Rand des Bandes
geht nämlich von der linken Ecke der Leber aus nicht senkrecht in
die Höhe, so dass nur der dreieckige Raum zwischen Leber, Zwerch-
fell und Lig. coronarium von ihm durchzogen würde, sondern zieht
sich nach links am Zwerchfell hin und hat oft eine Länge von
10—12 cm., so dass er erst über der Milz endet. Die Höhe des
Bandes, vom Ansatz am Zwerchfell gemessen, nimmt vom Leberrande
nach links hin allmälig ab. Der beim Fötus linke Rand desselben,
der dort mit dem unteren in einem dem rechten sich nähernden
spitzen Winkel zusammenstiess, kommt daher jetzt gegen den unteren
in einen sehr stumpfen Winkel zu stehen und liest mehr nach unten
als nach links hin. Dieser Rand also, den man als unteren des links
von der Leber gelegenen Theils des Lig. triangulare sin. bezeichnen
darf, ist nicht scharf, sondern breit, er stellt in Fällen, wo die später
zu beschreibenden Taschen nicht da sind, eine 0,5—3 cm. breite
Platte dar, auf deren oberer Fläche das eigentliche vertical stehende
Lig. triangulare befestigt ist und deren vorderer und hinterer Rand
als direste Fortsetzungen der entsprechenden Ränder der Leber zu
betrachten sind (Fig. 2). Die vor der Verwachsungslinie mit dem
eigentlichen Lig. triangulare gelegene Partie ist, entsprechend dem
Ansatze des Bandes an die Leber, die grössere. Der Querschnitt des
linken Theiles des Bandes hat demnach die Form eines umgekehrten
T (1), dessen senkrechtem Schenkel das eigentliche Lig. triangulare,
dessen querem die genannte Platte entspricht. Nicht in allen Fällen.
reicht diese letztere von der Leber bis an das linke Ende des Lig.
triangulare, — oft nur bis zu dessen Mitte, oft noch weniger weit. '
Ist sie in ihrer vollsten Entwickelung vorhanden, wie in Fig. 2, so
verbreitert sie sich am Ansatz an das Zwerchfell ein wenig; ist also
im Ganzen einen langen Rechteck ähnlich, dessen beide lange Seiten
frei und ein wenig concav, dessen kurze an der Leber und dem
Zwerchfell befestigt sind. Reicht die Platte dagegen nicht bis an das
Zwerchfell, dann convergiren die beiden freien Ränder nach links unter
einem spitzen Winkel und sie stellt ein gleichschenkliges Dreieck
mit an der Leber angewachsener Basis dar.
Wie hat man sich nun das Zustandekommen dieser verschiedenen
Formen zu erklären? Wir müssen, um darüber Aufschluss zu erhal-
ten, die Entwicklung der Leber berücksichtigen.
Die Bursae phrenico-hepatiea anterior und posterior. 207
Schon während des Fötallebens und noch lange Zeit nach der
Geburt verkleinert sich bekanntlich der linke Leberlappen sehr be-
deutend nicht nur relativ, sondern absolut — nach HILDEBRAND ist
der Schwund desselben so bedeutend, dass derselbe beim Neugeborenen
doppelt so schwer ist als beim einjährigen Kinde, — und zieht sich,
so zu sagen, aus seinem Bauchfellüberzuge nach rechts zurück. Dieser
selbst resp. der linke obere Winkel des Lig. triangulare ist nun beim
3— 4monatlichen Embryo etwa in der Höhe der 10. bis 11. Rippe
am Zwerchfell angewachsen und es muss also ceteris paribus das Lig.
triangulare stets von da aus zur Leber gehen und um so länger wer-
den, je mehr der linke Lappen sich verkleinert und je mehr das
Zwerchfell selbst an Grösse zunimmt. —
Diese Verkleinerung erfolgt nun nicht gleichmässig an allen
Theilen der Leber: an ihr direct betheiligt ist nur die Masse der
Leberzellen, — die Gefässe dagegen, Blut- sowohl wie Gallengefässe,
bleiben zurück und stellen die Vasa aberrantia des Lig. triangulare
dar. Auch geht in manchen Fällen der Schwund der Lebersubstanz
nicht gleichmässig am linken Rande hin, sondern erfolgt so, dass
grössere oder kleinere Partieen zunächst vom Ganzen sich ablösen,
also vorerst isolirt zwischen den beiden Platten des sonst leeren Peri-
tonealüberzuges liegen bleiben und dann erst allmälig der Resorption
anheimfallen. Solche isolirte Leberkrümchen finden sich nicht selten
zwischen den beiden Lamellen der horizontalen Platte des Lig. trian-
gulare sowohl bei Embryonen aus den letzten Monaten, wie bei Er-
wachsenen. Besonders instructiv ist in der Hinsicht Fig. 1 von einem
Smonatlichen Fötus, bei dem ein 2 mm. im horizontalen Durchmesser
haltendes plattes Leberstück auf der Kante des Lig. triangulare auf-
sitzt, mit seinen Flächen horizontal gestellt.
Die Form, welche der leere Bauchfellüberzug des linken Leber-
lappens nach dem Schwunde der Lebersubstanz hat, müsste, wenn der-
selbe starr wäre und seine frühere Form beibehielte, die einer leeren
Tasche sein, deren Höhlung sich zwischen die beiden Blätter des Lig.
triangulare hinein erstreckte. Er ist nun aber weich und zart: daher
lesen sich zunächst die beiden Blätter aneinander und bilden so eine
senkrecht auf dem eigentlichen Lig. triangulare aufstehende Platte.
Die Weichheit und Zartheit des Bauchfells ist aber beim Fötus zu
gross, um auch nur diese Platte fortbestehen zu lassen; dieselbe wird
vielmehr völlig eingezogen, das Lig. triangulare nimmt sie vollständig
in sich auf. Es bleibt nur das ursprüngliche Ligament mit linearem
Querschnitt übrig. So ist der Vorgang beim Fötus, dessen Bauch-
fell sich im Ganzen durch seine Zartheit auszeichnet: es findet sich
208 A. von Brunn.
trotz der Verkleinerung des linken Leberlappens bei ihm immer nur
jenes einfache, eingangs beschriebene Lig. triangulare, nur wird in den
späteren Monaten die Verlängerung desselben nach links hin wahr-
nehmbar. — Ebenso verhält sich diese Falte bei Thieren während
des ganzen Lebens, da ihr Peritoneum immer in seinem ursprüng-
lichen zarten Zustande verbleibt: auch hier ist die Beschaffenheit
stets die früher geschilderte.
Nach der Geburt erhält sich nun aber beim Menschen jene zarte
slashelle Beschaffenheit der Bauchfellüberzüge überhaupt und speciell
der stellenweise frei durch Theile der Bauchhöhle ziehenden Falten
mit Ausnahme weniger Fälle nicht mehr lange; dieselben werden
weisslich trübe, dicker, härter, weniger nachgiebig, starrer. Daher
findet sich in den Leichen Erwachsener das Lig. triangulare von
der vorhin geschilderten Form: auf dem linken resp. vordern
Rande desselben liest eine horizontale Platte auf, deren
Ränder in die des linken Leberlappens übergehen.
Die Platte nun wird, entsprechend der Form dieses Lappens,
dreieckig sein müssen: der besprochene Modus der Entwickelung reicht
also nur zur Erklärung der einen Art der Platte hin. Die Ausbil-
dung der viereckigen Form hat als Ursache eine etwas andere ur-
sprüngliche Anheftung des Lig. triangulare.e Man sieht nämlich ab
und zu schon beim Fötus, dass der untere Rand dieser Falte sich nicht
nur an der oberen Fläche der Leber ansetzt, sondern dass seine Insertion
sich am vorderen oder hinteren Rande der Leber, und dem entspre-
chend auch der Ansatz des hinteren Randes am Zwerchfell nach vorn
oder hinten eine kleine Strecke weit hinzieht. Der betreffende Theil
des Bandes stellt dann eine schmale, horizontal liegende, mit dem
einen langen Rande an das senkrecht stehende Lig. triangulare an-
gewachsene, mit dem anderen freien Rande nach vorn resp. hinten
schauende Platte dar, deren Vergrösserung beim Zurückweichen der
Leber jene zweite Form (Fig. 2) liefert.
Diese beiden Arten des Lig. triangulare bilden bei Weitem die
Regel. Ich habe unter 43 Präparaten die vierseitige Form der Platte
1Smal mehr oder minder deutlich, die dreiseitige 21mal, ausgebildet
vorgefunden, — nur in 4 Fällen konnte ich keine von beiden nach-
weisen, — in diesen zeigte das Ligament die Form, die gewöhnlich
als seine regelmässige angesehen wird.
Besonders bei vierseitiger, in geringem Grade auch bei dreiseitiger
Gestalt der horizontal stehenden Platte, wird vor wie hinter dem senk-
rechten Theil des Lig. triangulare je eine Furche gebildet (f und f£,
in Fig. 2), die vordere wesentlich tiefer als die hintere: sie sind nach
Die Bursae phrenico-hepatica anterior und posterior. 209
vorn resp. hinten offen, ihre untere Wand gebildet von der horizon-
talen Platte des Lig. triangulare, dessen senkrechte Platte zugleich
als Scheidewand auftritt (in Fig. 2 punktirt), — die obere vom Zwerch-
fell. Die Tiefe der beiden Furchen richtet sich nach der Breitenaus-
dehnung der horizontalen Platte, ihre Länge nach der Längenausdeh-
nung derselben, — in jeder Hinsicht am grössten sind sie also bei der
vierseitisen Form der Platte. Nach rechts hin setzen sich ‘die Hohl-
räume beider in den Raum zwischen Leber und Zwerchfell einerseits
und den zwischen Leber und kleinem Netz andererseits fort.
Durch Verklebung der freien Ränder der horizontalen Platte mit
dem Bauchfellüberzuge des Zwerchfells können nun aus diesen beiden
Furchen Taschen entstehen, welche ich als Bursa phrenico-hepa-
tica anterior und posterior bezeichne. Es ist bei der verschie-
denen Form des Lig. triangulare natürlich, dass die Taschen in Grösse
und Gestalt sehr variiren, dass sie desto grösser sind, je ausgebildeter
jene Furchen waren, je weiter sich also die dreieckige Platte nach links
erstreckt, und dass sie am grössten sein werden, wenn jene Platte
viereckig war. Was die Häufigkeit der beiden Taschen betrifit, so
kam bei den von mir untersuchten Leichen die vordere etwa in der
Hälfte aller Fälle vor — unter 64 Leichen 31mal, — die hintere da-
gegen nur 2mal, eine Differenz in der Häufigkeit, die jedenfalls ihren
Grund darin hat, dass entsprechend dem Ansatze des Lig. triangulare
in der Nähe des hinteren Randes der Leber der vorn über die senk-
rechte Platte des Bandes überstehende Theil der horizontalen durch-
sängig der bei Weitem grössere ist. — Es scheint mir indessen fast,
als ob ich mit den mir vorgelesenen Fällen viel Glück gehabt habe
und die Procentzahl für die vordere Tasche im Ganzen eine weit
kleinere sei. Herr Dr. C. LAUENSTEIN, Assistenzarzt am städtischen
Krankenhause in Hamburg, hat die Freundlichkeit gehabt, bei den
dortigen Sectionen auf die betreffende Gegend speciell zu achten und
hat unter 100 Fällen nur 10mal die vordere Tasche gefunden und
zwar immer nur von ganz mässiger Grösse, — nie von annähernd so
grossen Dimensionen, wie die von mir beobachteten, sogleich zu be»
schreibenden 5 grossen.
Eines der 5 grössten Exemplare, die mir vorgekommen sind, ist
das in Fig. 3 a und b abgebildete, dasselbe, das ich in meiner oben
erwähnten vorläufigen Mittheilung beschrieb. Die Tasche erstreckt
sich vom linken Rande der Leber 13 em. weit nach links und hinten,
wie das Lig. triangulare selbst, hat ein cylindrisches Lumen von
3,5 cm. Durchmesser und fasst 60 ccm. Flüssigkeit; — die Weite ist
nicht überall genau dieselbe; zwei geringe Einschnürungen verengern
Zeitschriit f. Anatomie. Bd. 1. 14
210 A. von Brunn.
sie in einiger Entfernung von einander. — In einem anderen Falle
fand sich eine noch grössere Tasche. Dieselbe fasste 100 cem. Wasser
und hatte eine Länge von. 17 cm. Ihre Form war der vorigen auf
Fig. 3 a. b abgebildeten ähnlich, nur lief sie am linken Ende kegel-
förmig aus und erstreckte sich dadurch, dass der vordere Rand des
linken Leberlappens in einer Strecke von 3 cm. an das Zwerchfell
fest angelöthet war, bis auf die obere Fläche des ersteren.
Von ähnlich bedeutenden Dimensionen, — 6, 10, 16 cm. Länge
und 3 cm. Durchmesser fanden sich ausserdem noch 3 Exemplare.
In allen diesen lagen zwischen den Platten der unteren Wand Leber-
krümchen in grosser Menge und ausserordentlich zahlreiche lang-
gestreckte Blut- und Gallengefässe, — wie dies in Fig. 3 a dargestellt
ist. — Diese 5 am deutlichsten ausgesprochenen Fälle sind offenbar,
wie dies aus dem Durchmesser der Taschen, namentlich an ihrem
Grunde, hervorgeht, durch Vermittlung der vierseitigen Form der ho-
rizontalen Platte des Lig. triangulare entstanden.
Sämmtliche übrigen 26 Fälle zeigten sehr viel kleinere, nament-
lich sehr viel engere Taschen, mit einem Durchmesser von 1,0—0,5 em.
Durchmesser und darunter, mitunter waren sie so eng, dass sie
nur eben eine feine Sonde passiren liessen. Auch die Länge variirte
ganz ausserordentlich: sowohl solche von S cm. Länge kamen vor,
wie andere, die eben nur einen Stecknadelknopf aufzunehmen im Stande
waren. — Offenbar können es drei Momente sein, welche die Weite
und Länge der Tasche auf so geringe Maasse reduciren; einmal die
geringe Breiten- resp. Längenausdehnung der horizontalen Platte des
Lig. triangulare, und zweitens, — falls jenes erste Moment fehlt, —
die Anheftung nicht nur des freien Randes, sondern auch der oberen
Fläche jener Platte an das Zwerchfell in geringerer oder grösserer
Ausdehnung, — oder drittens die Anlöthung des freien Randes nur
in geringer Ausdehnung vom linken Ende an. Man findet Fälle, die
alle drei Entstehungsarten, der eine die, der andere jene, beweisen.
Bei den Fällen der ersten Art liegt die Einganssöffnung über dem
linken Rande des linken Leberlappens, die Wände sind genau diesel-
ben, wie bei den ausgebildeten Exemplaren, aber alle Dimensionen
sehr viel kleiner. Bei der zweiten Art kann die horizontale Platte
mächtig entwickelt sein, sie liegt aber, wie aufgeleimt, fest auf dem
Zwerchfell und der Eingang in die Tasche befindet sich in einiger
Entfernung vom freien Rande, welchem letzteren parallel, aber mehrere
Millimeter von ihm entfernt, die enge Tasche sich in bald grösserer,
bald geringerer Ausdehnung erstreckt. Endlich ist im dritten Falle
der vordere Rand der Platte bis auf eine kleine Strecke am linken
Die Bursae phrenico-hepatica anterior und posterior. 211
Ende frei, so dass also der Tascheneingang mehrere, — bis 10 cm.
weit vom Leberrande entfernt liegen kann.
Die hintere Tasche scheint, wie gesagt, nur sehr selten zu finden
zu sein, auch die beiden von mir beobachteten Fälle zeigten sie nur
sehr unbedeutend entwickelt. Der eine fand sich an dem Präparate,
welches zugleich die grösste vordere enthielt, der andere an einem,
bei dem jene nur schwach war.
Die Verklebung des freien Randes der oftgenannten horizontalen
Platte des Lig. triangulare mit dem Bauchfellüberzuge des Zwerch-
felles muss wohl durch Vermittlung eines entzündungsähnlichen Pro-
zesses vor sich gehen, der aber nicht Theil einer weiter verbreiteten
Peritonitis zu sein braucht: denn die Tasche existirt in 4 von meinen
5 bestentwickelten Fällen ohne alle sonstigen abnormen Adhäsionen
der Peritonealüberzüge. Der Vorgang mag etwa derselbe sein, wie
derjenige, welcher die Verlöthung der Platten des grossen Netzes so
oft herbeiführt. — In vielen Fällen ist die Löthungslinie als verdick-
ter weisslicher linearer Streifen zu sehen. Ab und zu finden sich
Fälle, in denen die Verlöthung an einer oder einigen Stellen unter-
brochen ist, so dass das Wasser, welches man in die regelmässige
Oeffnung eingiesst, theilweise wieder ausläuft, — doch scheint ein
solehes Vorkommen selten; — ich habe es nur zweimal beobachtet.
In welchem Lebensalter die Bildung der Bursae phrenico-hepaticae
erfolst, ist mir bei meinem geringen Material an Leichen jugend-
licher Individuen zu entscheiden nicht möglich gewesen: ich hatte
nur zwei Präparate von einem 3jährigen und einem 2jährigen Kinde
zur Untersuchung; im ersteren fand sich eine Tasche von 3 em. Länge
und 0,5 em. Durchmesser. Denkbar ist, dass die Entstehung, ebenso
wie es bei der Verkleinerung des linken Lappens der Fall ist, in die
ersten Jahre nach der Geburt fällt. Bestimmte Angaben könnte na-
türlich nur Jemand machen, der Kinderleichen in grosser Zahl zu
untersuchen Gelegenheit hat.
Klinisches Interesse werden die besprochenen Bildungen jedenfalls
weniger, als die übrigen Bauchfelltaschen und -gruben beanspruchen
dürfen. Zur Entstehung retroperitonealer Hernien werden sie, da der
Eingang, namentlich in die häufigere vordere Tasche, durch die Leber
verdeckt ist, kaum Veranlassung geben können; und wenn sie es thun
sollten, — absolut unmöglich ist es ja nicht, da nach den Angaben
von EnGEen (Wiener medicinische Wochenschrift 1861, No. 36) sich
Darmschlingen zwischen Leber und Zwerchfell mitunter einschieben,
— wird es aus Mangel an contractilen Elementen und irgend welchen
14*
312 A. von Brunn. Die Bursae ‚phrenieo-hepatica anterior und posterior.
einer Verkürzung fähigen soliden Strängen an der Eingangsöffnung
zu einer Incarceration keinesfalls kommen können.
Erklärung der Abbildungen.
Taf. VII.
Dieselben stellen sämmtlich die Spitze des linken Leberlappens Z/, sammt
einem Stück der linken Zwerchfellshälfte, d, dar.
Fig. 1. von einem achtmonatlichen Fötus, — doppelte natürliche Grösse.
v vorderer, % hinterer Rand des linken Leberlappens; — Zr. Lig. triang. sin.
Li* abgetrenntes Stück des linken Leberlappens, horizontal auf dem freien Rande
des Lig. triang. aufsitzend.
Fig. 2. Zr. p. senkrechte, Zr. h. horizontale Platte” des Lig. triang. (vier-
seitige Form); v und % vorderer und hinterer Rand der letzteren. Zr. p. h. An-
satzlinie der senkrechten an die horizontale Platte. f und fi — vor und hinter
der ersteren gelegene Furche, bei f am linken unteren Ende eine kleine Tasche,
Fig. 3a und b. B.p. h. a. — Bursa phrenico-hepatica ant. g Gefässe.
zwischen den Platten der unteren Wand gelegen; Z/* Leberkrümchen, eben-
daselbst. % hintere Abtheilung der horizontalen Platte des Lig. triang. ir. p. A.
wie in Fig. 2. — f. v. c. foramen venae cavae. A. oe — hiatus oesophageus.
Beobachtungen über die Befruchtung und Entwicklung
des Kaninchens und Meerschweinchens
von
Dr. V. Hensen in Kiel.
(Hierzu Tafel VIII bis XII.)
Die aphoristische Form der folgenden Mittheilungen und der
Umstand, dass mehr Fragen aufgeworfen als abschliessende Beobach-
tungen gegeben werden, erfordert eine kurze Erklärung. Diese Unter-
suchungen sind vor eilf Jahren begonnen und haben seit vier Jahren
vollständig geruht, auch bezogen sie sich zuletzt nur auf die Befruch-
tung. Der Grund, weshalb sie abgebrochen wurden, lag theils in der
Nöthigung, andere Dinge zu studiren, theils in dem steten Misslingen
des Versuchs, die Eier des Meerschweinchens vom 8. Tage nach der
Befruchtung aufzufinden, ein Versuch, an den ich mich jetzt zum
letzten Male wage. Der Anstoss zu der hier unternommenen Ver-
öffentlichung ward dadurch gegeben, dass mein verehrter Freund und
Lehrer v. KOELLIKER einige Zeichnungen für seine demnächst erschei-
nende Entwicklungsgeschichte glaubte benutzen zu können und daher
vor Kurzem meine Zeichnungen zu näherer Durchsicht erhielt. Später
hat er dann selber die Säugethiere untersucht und kann eigene Ab-
bildungen geben. Bei dieser Sachlage musste es uns erwünscht sein,
den Embryologen die anliegenden Tafeln vorzuführen, da, abgesehen
von persönlichen Motiven, auf diese Weise sogleich eine breite Basis
für eine eingehendere Ausarbeitung der Keimblattlehre der Säugethiere
gewonnen wird. Man wird nämlich erkennen, trotzdem eine Verglei-
chung mit der Entwicklung anderer Wirbelthiere den Erwägungen
der so rüstigen Mitarbeiter auf diesem Gebiet vorbehalten ist, dass
die Säuger erheblicher, als man vor wenig Jahren erwarten konnte,
214 V. Hrnsen. Beobachtungen über die Befruchtung
von den Beschreibungen der Entwicklung der anderen Wirbelthier-
klassen abweichen.
Hätte ich mit meiner Arbeit so hervortreten können, wie ursprüng-
lich meine Absicht war, so würde, mit Ausnahme einiger Mittheilungen
über die Befruchtung nichts gegeben worden sein, als was noch ein-
mal eine Bestätigung erhalten hätte. Diese Durcharbeitung musste
jetzt definitiv aufgegeben werden und so ist diese Arbeit in erster
Linie als eine Anregung zur Verfolgung der mitgetheilten Thatsachen
zu betrachten. Dabei wird allerdings gebeten, alles was die Zeich-
nungen bieten als eine möglichst treue Wiedergabe meiner derzeitigen
Präparate betrachten zu wollen.
Von diesem Gesichtspunkte aus glaubte ich mir erlauben zu
dürfen dem Leser meine Studien, den Herausgebern meine alt gewor-
denen Zeichnungen anzubieten.
I. Die Befruchtung.
Es dürfte im Allgemeinen die Ansicht herrschen, dass die Lehre
von der Befruchtung, als Theil der Zeugung in ziemlich befriedigen-
der Weise abgeschlossen sei. Mit Ausnahme eines Punktes, nämlich
des definitiven Verbleibs der Samenfäden und was sich daran knüpft,
scheint mir diese Ansicht begründet, jedoch daneben bleiben eine
Anzahl kleinerer Räthsel zu lösen, deren Beantwortung, obgleich mit
der Species, ja zuweilen schon mit dem Individuum sich ändernd,
doch für die Lehre von der Befruchtung wichtig ist. Ich habe viele
Thiere, Meerschweinchen und Kaninchen, zur Bearbeitung dieser
Dinge, die hauptsächlich in die ersten 20 Stunden nach der Copula-
tion fallen, verwendet, die Zahl, über 70 'Thiere, scheint etwas gross,
aber trotz der grossen Fruchtbarkeit der Arten fällt doch so häufig
eine Unregelmässigkeit vor, dass die Versuche füglich gerne hätten
vermehrt werden können.
Folgende Fragen habe ich zu lösen versucht:
A. weiblicher Theil.
Lässt sich mit Sicherheit der Eintritt der Ovulation voraussehen ?
Wie sind Follikel und Ei unmittelbar vor dem Bersten des
Graaf’schen Bläschens beschaffen ?
Finden sich besondere Verhältnisse beim Eiaustritt?
Wann tritt das Ei aus?
Wie gelangt es in die Eileiter?
Welches ist das Schicksal des unbefruchteten Eies?
und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 215
B. männlicher Theil.
Welche Momente führen zur Copulation ?
Wie gelangt das Sperma in den Uterus?
Wie gelangt es in den Eileiter?
Ist ein Weg für den Samen vorgebildet?
Wie dringt der Same ins Ei?!)
Was sind seine weiteren Schicksale?
Was ist die Wirkung der Befruchtung?
Ehe vorstehende Fragen zur Erörterung kommen, muss über das
Verfahren berichtet werden.
Die Thiere wurden stets zum Zweck der Untersuchung durch
den Nackenstich getödtet, doch wäre eine Variation dieses Verfahrens
oder Vivisection für gewisse Einzelheiten vielleicht lehrreich und
räthlich. Die betreffenden Thiere wurden stets in besonderen
Behältern gehalten und von mir täglich controllirt. Die Zeitangaben
für die Kaninchen sind genau, weil die Copulation beobachtet wurde.
Bei den Meerschweinchen erfolgt letztere in der Regel 0 bis 3 Stun-
den nach dem Gebären und die Ovulation richtet sich nach letzterem.
Die Copulation der Kaninchen, von Th. BIsCHOFF?) beschrieben, ver-
läuft so charakteristisch, dass die Beobachtung derselben als Anhalts-
punkt für die Zeitbestimmung bequem ist. Bei Meerschweinchen kann
dagegen die Geburt als solcher dienen, doch wurde sehr häufig die
Copulation auch dieser Thiere beobachtet und für die Altersbestim-
mung benutzt. Beobachter war ich oder der als zuverlässig erkannte
Diener des Instituts.
BiscHOFF°) bediente sich beim Meerschweinchen der mikrosko-
pischen Untersuchung des Scheideninhalts, um die Vollbringung der
Copulation zu constatiren. Anfänglich folste ich diesem Verfahren,
jedoch um sicher zu gehen, muss man sehr gründlich die Scheide ent-
leeren und macht den Thieren viel Schmerz. Wo es auf die Zeit der
Copulation genau ankam, ward daher diese beobachtet, im übrigen
l) Das Eindringen des Sperma ins Ei bezeichne ich mit dem lateinischen
Ausdruck: Impraegnatio. Das Wort wird gleichlautend im Englischen und Fran-
zösischen gebraucht und scheint mir zweckmässig, um den Vorgang des Ein-
dringens von demjenigen der. Befruchtung so zu trennen, wie die Erfahrung dies
fordert.
2) Entwicklungsgeschichte des Kaninchen-Eies. Braunschweig 1842 (a)
Seite 41.
3) Entwicklungsgeschiehte des Meerschweinchens. Giessen 1852 (b) Seite 12.
216 V. Hessen. Beobachtungen über die Befruchtung
von der Geburt an gerechnet und die Fälle, wo eine Copulation nicht
erfolgt war, wurden zum unvermeidlichen Verlust geschrieben.
Eintritt der Ovulation.
Das Aussehen der Vulva der Kaninchen belehrt, wie schon BIsCHOFF
bemerkt, obgleich in der Brunst eine Injection der Theile stattfindet,
doch nicht genügend über den Zustand des Thieres.
Wenn man die Weibchen den Winter durch vom Bock getrennt
hält, kann man, wie ich bei 9 Thieren fand, darauf rechnen, dass sie
vom April bis Juli (für Kiel) zum qualificirten Bock gesetzt, sogleich
copuliren. Wenigstens, geschieht dies unter 9 von 7 und von den
beiden anderen am folgenden Tage. Auch hier werden Ausnahmen
vorkommen. Alle diese Thiere ovuliren dann auch. Gleich nach dem
Gebären nehmen die Thiere (gewöhnliche Race) zwar auch den Bock
an,!) wenigstens bis zum August, aber dann erfolgt die Ovulation nicht
sicher und zwar je später im Jahre, oder vielleicht je mehr Geburten
vorangingen, desto unsicherer. In dieser Weise habe ich 7mal eine
unfruchtbare Copulation constatirt, 4mal durch Autopsie der Thiere
(keine Eier, keine Corp. lutea 2 bis 7 Tage später), 3mal dadurch,
dass keine Trächtigkeit erfolete.e Zwei Kaninchen, welche 30 Tage
getragen hatten, wurden gleich nach der Geburt erfolglos belegt, blie-
ben in der Nähe des Bocks, wurden dann nach 35 und 37 Tagen
wieder belegt und entwickelten Embryonen.
Auch bei den Meerschweinchen ist der Eintritt der Ovulation
nicht völlig sicher.
„Ein Thier 1. Sept. 1868 hatte in der Nacht vor 61/, Morgens ge-
boren, ward 5 Uhr Nachmittags getödtet, also gewiss über 11 Stunden
nach dem Gebären. In keinem Eierstock ein Corp. luteum oder ein
Follikel dieht vor der Berstung, im Uterus kein Sperma, aber die
Rückenhaare voll davon. In Bezug auf letzteren Befund habe ich
mehrere derartige Fälle mit Ovulation beobachtet, zuweilen ist die
Scheide nach der Geburt schmerzhaft und geschwollen.
„15. Mai 1868. Das Thier hatte am 3. Mai mit zwei Jungen ab-
ortirt, damals fand sich Sperma in der Scheide, ward am 15. getödtet,
im rechten Horn fand sich ein nahezu reifes lebendes Junges, linkes
Horn leer, kein frisches Corp. luteum links, rechter Eierstock leider
nicht untersucht.“
Wenn nach der Geburt die Ovulation resp. Embryobildung nicht
erfolete, fand die nächste Ovulation (mit Befruchtung) statt nach
l) Dies hat auch Weit: Beiträge zur Kenntniss d. Befruchtung u. Entwickl.
d. Kanincheneies, med. Jahrbücher 1873 (bb) gefunden. Von 1] Thieren ovulirten 9.
und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 917
17, 18, 35 und 37 Tagen. BıscHorr!) giebt 38, 43 und 44 Tage. Bei
meinen Zahlen ist die Trächtigkeitsdauer, welche zwischen 9 Wochen,
5!/, und 9 Wochen 2 Tagen schwankt, zu 66 Tagen gerechnet. Es
scheint also die Brunstzeit der Meerschweinchen nicht scharf periodisch
zu sein. Nehmen wir 15 Tage an, so stimmt damit der 36. Tag. Die
3. Periode würde dann rascher folgen. Die Brunst der Weibchen ist
übrigens wenig energisch, mehrjährige isolirt aufgewachsene Thiere
wurden nicht belegt.
Ich kann im Allgemeinen sagen, dass man bei Kaninchen bei
Vermeidung der Zeit nach der Geburt sehr sicher auf die Befruchtung
rechnen kann, bei Meerschweinchen wird man kaum 10°/, Verlust
zu erwarten haben.
Ich bestätige die Erfahrung, dass die Ausstossung der Eier nicht
in einem sehr directen Zusammenhang mit der Brunst d. h. der
Turgescenz der äusseren Genitalien und der leichten Erregbarkeit
- resp. fortdauernden Erregung ihres Nervenapparates steht. Aehnliches
lässt sich für das Pferd aus Haussmann’s?) Mittheilungen ent-
nehmen.
Der Follikel vor der Berstung.
Ueber die Lage des Eies vor dem Bersten des Follikels und
über das Verhalten des Discus proligerus zu dieser Zeit bleiben
nach dem Studium der Autoren noch Zweifel bestehen. Das Verhal-
ten des übrigen Follikelinhalts sowie des Dotters in dieser Pe-
riode erfordert gleichfalls eine Besprechung.
Am häufigsten hat wohl MArTın BARRY?) die Follikel dicht vor
dem Austritt des Eies verfolet, weil er in diesen Zeitraum die Im-
prägnation verlegte. Er®) giebt an, dass das Ei mit Hülfe der Reti-
nacula seinen Ort verändere. Zunächst ist zu erörtern, welche Merkmale
den Follikel, welcher bestimmt ist demnächst zu platzen, charakteri-
siren. Die Grösse des Follikels allein ist nicht maasgebend, man findet
in den betreffenden Stunden bei den Meerschweinchen, die ich in
dieser Angelegenheit vorwiegend untersucht habe, theils mehr grosse
Follikel, als nach sonstiger Erfahrung platzen werden, theils sind
Dieb: S. 12.
2) Ueber die Zeugung und Entstehung des wahren weiblichen Eies. Hanno-
ver 1840 (c) 8. 52 u. f.
3) Researches in Embryology. First a. Second Serie Philosophical Trans-
actions ss u. 39 (d) (e).
andeS 325.
218 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung
Follikel, welche das Ei liefern sollen, nicht so vorragend und gross
wie in anderen Fällen. Die Leichtigkeit des Berstens dagegen gab
ein brauchbares Criterium, das ich rathen würde für fernere Unter-
suchungen durch exacte Apparate auszunutzen. Ich habe mich aller-
dings nur einer Präparirnadel (Nähnadel im Stiel) bedient; wenn
durch den Druck mit der Fläche derselben der Follikel sich öffnete,
war er jedenfalls nahe vor dem Bersten, denn andernfalls brach die
Nadel ab ohne ihn zu sprengen, zuweilen genügte ein geringer Druck,
häufiger war ein stärkerer erforderlich. Für die auf solche Weise als
reif erkannten Follikel (notirt habe ich als besonders leicht zu spren-
gen, Fälle aus der 2!/,, 7!/, und 9. Stunde nach dem Belegen) habe
ich protokollirt, dass die Follikel trübe erschienen seien. Diese Trü-
bung rührte, wie fernere Untersuchung ergab, von einer starken Quel-
lung und Lösung des Follikelinhalts her, der Liquor follieuli bleibt
dabei jedoch klar. Das Zeichen scheint jedoch nicht unbedingt sicher
zu sein, denn ich habe einen Fall erlebt, wo ein entschieden reifer
Follikel nicht trübe erschien, trotzdem das Ei Zeichen der völligen
Reife darbot. Die Ursache der Verschiedenheit wird davon abhängen,
ob der Cumulus proligerus dicht an der Oberfläche liegt oder nicht.
Oft liegen neben den reiferen Follikeln grössere klare Bläschen. Diese
platzen. nicht, denn man findet sie häufig neben den frischen Corpora
lutea. Barry, BiscHörr und SCHROEN!) haben schon die Atrophie
solcher Follikel constatirt.
Ueber die Lage der Eier im gefüllten Follikel finden sich die
Angaben, dass das Ei an dem freien Pol des Follikels, BAER, Barry,
CostE?), an dem inneren Pol, PoucHET, HENLE?), SCHROEN, ohne
constante Lage, WALDEYER®), sich finde. Der zum Bersten reife
Follikel ist unbequem zu erhärten, doch wünschte ich gerade in ihm
Lage und Zustand der Eier zu erforschen. "/, Stunde nach der Ge-
burt fand sich bei einem Meerschweinchen ein Eierstock mit noch
ungeplatztem aber etwas trübem Follikel. Ich liess ihn auf einer
Platinschaale frieren, schnitt mit kaltem Messer und brachte ihn noch
völlig hart auf den Objectträger. Eins der Präparate liegt mir in
ausgeführter Zeichnung vor, das Ei in breit gestieltem Cumulus pro-
ligerus sitzend, liest fast genau am freien Pol, dagegen in einem an-
deren nicht so sicher reifen Follikel seitlich. In einem anderen Falle
!) Beiträge zur Kenntniss d. Anatomie u. Physiologie des Eierstocks.
Zeitschrift f. wiss. Zoologie Bd. XII. S. 409 (f).
2) Histoire du Developpement des corps organises Paris. 47. p. 165 (g).
3) Anatomie Bd. II. S. 487 (h).
#) STRICKER, Gewebelehre Cap. XXV. 8. 551 ().
und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 219
9 Stunden nach der Geburt mit 3 reifen Follikeln hatte ich in Os-
miumsäuredampf, der den Liquor follieuli zur Gerinnung bringt, er-
härtet. Dabei wird doch die Flüssigkeit nicht so fest, um kleine Ab-
lösungen beim Schneiden zu verhindern, zwei Eier lagen seitlich, eins
am vordern Pol. Meiner Ansicht nach trifit also WALDEYER’s Be-
schreibung der Lagerung des Eies das Richtige.
Die Entdeckung BArrY’s, die Retinacula, welche CostE fürs
Kaninchen bestätigt, sind von BISCHoFr!) bestritten worden. Die
graphische Darstellung Barry’s?) und mehr noch diejenige (oste's?)
geben das wieder, was ich gesehen habe. Es wurden ausserdem Durch-
schnitte des erhärteten reifen Follikels gemacht, das Ei sass mit den
Retinaculis nahe am vorderen Pol. Es macht den Eindruck, als wenn
durch Auflockerung und Quellung der Granulosazellen, welche unter
dem Discus und an dessen Seite liegen, sich Lücken bilden und beim
Fortschreiten des Processes die Retinacula als Verbindungsbrücken
zurückbleiben. Eine erhebliche Bedeutung dürfte diesen Bildungen
nicht zukommen.
Auch vom Meerschweinchen zeichnet Barry schwach entwickelte
Retinacula. Ich habe dort solche nicht gefunden. Das Ei liegt in
einem 0,3 mm. dicken Cumulus proligerus, der ungestielt ist, so dass
man ihn kaum glatt entfernen könnte, ohne das Ei selbst zu streifen.
Durch einen schwachen Contour war der Discus in den Eiern 9 Stun-
den nach dem Gebären von der Membrana granulosa geschieden.
BiscHoFrr hat es als Regel aufgestellt, dass an reifen Eiern die
Zellen des Discus sich spindelförmig gestalten. C. B. REICHERT‘)
hat das Faktum bestritten und das spindelförmige Aussehen für ein
Trugbild erklärt. Ich hatte mich davon überzeugt, dass spindelförmig
ausgezogene Zellen schon im Follikel am Ei sich finden, denn an
Durchschnitten erhärteter Follikel des Meerschweinchens habe ich,
wie mir vorliegende Skizzen ergeben, an zu diesem Zweck frei ge-
machten Eiern, die langgestielten, erhärteten Zellen mehrfach unter-
sucht. Eine Darstellung dieser Zellen ist Fig. 4 vom Kaninchen,
14'/, Stunde nach der Copulation gegeben. Das Ei war in der Be-
fruchtung, zeigte aber ausnahmsweise (gewöhnlich haben sich die Dis-
euszellen um diese Zeit abgelöst und abgerundet) einzelne langgestielte
Zellen. Obgleich es häufig so aussieht (und nicht in Abrede gestellt
) 2.8.38.
2) e, Fig. 93 u. 96.
3) g. Lapin Pl. I.
4) Beiträge zur Entwicklungsgeschichte des Meerschweinchens. Abhandl.
der k. Akademie d, Wissenschaften Berlin. 1861 (k) $. 105,
220 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung
sein soll) als gingen die Stiele dieser Zellen durch die Eihaut und ich
eben deshalb solchen Eiern die Aufmerksamkeit zuwandte, zeigte die
genauere Untersuchung, dass die vorliegenden Streifen Reste und Fal-
ten der Membranschicht der Zellen sind, welche sich zwischen Ei und
Zelle zu einem Stiel deshalb ausziehen, weil ursprünglich die Zelle
mit breiter Basis aufsass und durch Schleimbildung zwischen den
Zellen von der Eifläche abgedrängt ward, ohne sich doch gleich von
derselben zu lösen.
Fig. 1 zeigt einen Discus, welcher einem Follikel des Meer-
schweinchens, welcher dicht vor dem Bersten war, entnommen ist.
Die Zellen sind auch spindelförmig und ich habe dazu bemerkt, sie
seien es vielleicht durch den Druck beim Herausnehmen geworden.
Das Ei in dem Durchschnitt des halbstündigen gefrorenen Follikels
s. O. zeigt runde Discuszellen. Meine Ansicht ist, dass die Discus-
zellen sich allerdings so umwandeln, wie BiscHorr dies beschreibt,
dass aber: die Spindelform der Zellen auch zuweilen nach dem Eiaus-
tritt eintreten kann. Findet sich also im Follikel ein Ei mit Spindel-
zellen, so würde ich glauben, dass man es als völlig zur Befruchtung
vorbereitet ansehen kann. VERNEUIL (Canstatt Jahresber. 52 S. 209)
bestätigt für die Kuh das strahlenförmige Aussehen des Discus.
Es ist schliesslich noch ein Punkt zur Besprechung zu bringen.
Die Folgen der Befruchtung schildert LruckArT!) mit folgenden
Worten: „Die erste Veränderung, die der Dotter nach der Befruchtung
erleidet, ist eine Verkleinerung seines Volumens. Zwischen ihm und
der Dotterhaut entsteht ein Zwischenraum mit einer farblosen Flüssig-
keit, die sonder Zweifel (da sich der Durchmesser des Eies im Ganzen
nicht verändert) aus dem Inneren der Dotterkugel hervorgetrieben ist.
Wenn diese erste Furchungskugel sich zur Theilung- anschickt,
dann dringt sehr allgemein aus ihrer Oberfläche.... ein kleiner rund-
licher Körper hervor, dem mitunter noch ein zweiter und dritter nach-
folgt.“ Diese Darstellung findet man ähnlich in KoELLIKER’s Ent-
wicklungsgeschichte?). Für die hier in Rede stehenden Thiere ist
die Auffassung dieses Processes als Folge der Befruchtung nicht
zulässig, weil die genannten Processe vor der Imprägnation ablaufen.
Als Beleg für diese Behauptung sind folgende Fälle anzuführen. Ein
Meerschweinchen ward 19. Mai 1869 zwei Stunden nach dem Gebären
(8 Uhr Morgens war das zweite Junge noch feucht, 9'/, getödtet)
untersucht. In einem Eierstock zwei trübe vorragende Follikel, im
l) Wesner’s Handwörterbuch der Physiologie. Artikel Zeugung (l) S. 927.
2)E(m)SE ara. 288
und Entwieklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 291
anderen einer. Ersterer ward durch leisen Druck geöffnet, mit einer
Nadel der Follikelinhalt vom Eierstock abgenommen und ohne Deck-
glas und Zusatz von Flüssigkeit untersucht. Das Ei ward gleich ge-
funden. Es schien auf den ersten Augenblick in Schleim eingebettet
zu sein, jedoch bestand seine Hülle aus sehr klaren und wie wohl
ungenau protokollirt war „verflüssigten“ Zellen des Discus. Die
Dottermasse war etwas contrahirt, neben ihr lag ein helles
Richtungskörperchen und an der Stelle, wo dasselbe anlag, sah |
der Dotter aus, als ob ein zweites eben in der Entstehung begriffen
sei. Ausserdem fanden sich an der Oberfläche des Dotters eingezogene
Stellen, die sich jedoch später ausglichen. Sowohl Dotter wie Rich-
tungsbläschen zeigten langsame, als Contraction zu deutende, Form-
veränderungen. Die Discuszellen, welche spindelförmig waren,
traten später deutlich hervor, sie schienen durch eine schwache
Schleimschicht vom Ei getrennt. Das Ei ward gezeichnet Fig. 1.
Das zweite Ei zeigte wesentlich dasselbe Verhalten, das dritte hatte
auch den Richtungskörper, war aber verletzt. Derselbe Eierstock
zeigte noch einen ebenso grossen aber wasserhellen Follikel. Das
Ei aus demselben zeigte keine Retraction, kein Richtungsbläschen,
auch waren die Discuszellen nicht spindelförmig.
In einigen anderen derartigen Fällen war der Dotter noch nicht
zurückgezogen, ich habe jedoch die Beobachtungen nicht häufen wollen,
weil mir das Aussehen einer Reihe spontan entleerter, aber noch
nicht befruchteter Eier mindestens ebenso beweiskräftig schien.!) Für
nicht befruchtet halte ich Eier der Fimbrien oder des Anfangs der
Eileiter, an deren Dotter oder Eihaut keine Samenfäden sich finden
und bei denen die Eihaut nach Entleerung des Dotters auch keine
Spur von Sperma entdecken lässt. Ich halte diese Art, die Abwesen-
heit von Samen zu constatiren, für zuverlässig, nur muss die Zona
pellucida gereinigt der Untersuchung vorliegen.
In diesen Fällen habe ich stets den Dotter zusammengezogen
gesehen und‘ ein oder häufig zwei Richtungsbläschen vorgefunden.
Bei einem Meerschweinchen vom 5. Juli 1869 20 Stunden nach dem
Gebären fand ich es so, während in beiden Uterushörnern Reste alter
Eier sich befanden und das Lumen völlig versperrten. Ebenso 10. April
1868, 9 Stunden nach dem Gebären (Meerschweinchen). Links lagen
3 Eier auf den Fimbrien, 2 dicht neben einander. Jedes hatte an
einer Stelle ein plattes Protoplasmakügelchen
1) Uebrigens giebt auch CostE g. die Zeichnung eines dem Eierstock ent-
nommenen Eies vom Kaninchen mit Richtungskörper.
2993 V. Hessen. Beobachtungen über die Befruchtung
Eins der Eier ist Fig. 2 gezeichnet. Ebenso 19. Mai 1869. Meerschwein
6!/, St. n. d.C. Ein Ei contrahirt mit Richtungskörper, frei von
Samenkörpern, die auch in der Tuba nicht zu finden waren. Im
Uterus bewegungsloses Sperma, wahrscheinlich in Folge eines Experi-
ments getödtet. Noch einige andere derartige Beobachtungen sind
notirt, doch können, glaube ich, die vorstehenden genügen.
Es sind also die Ausscheidung von Flüssigkeit, die Ausstossung
eines Richtungskörpers, die Contraction des Dotters nicht Folgen
der Befruchtung. Die Contraction des Dotters habe ich häufig ge-
sehen, auch das Richtungskörperchen, welches in der ersten Zeit aus
einer gleichmässigen, wie Protoplasma sich verhaltenden Masse besteht,
contrahirt sich, so dass ich an einem Ei dreimal hinter einander das-
selbe rings vielfach gekerbt und dann wieder mit glatter Oberfläche
gesehen habe. Später werden die Körper mehr wasserklar, etwas
kleiner und verschwinden meiner Nachforschung, wenn etwa 16 Fur-
ehungskugeln gebildet sind.
Die Verhältnisse beim Eiaustritt.
Da ich keine Vivisectionen gemacht habe, konnte es mir nicht
gelingen, die Eier im Austritt zu beobachten. Es führt jedoch die
künstliche Entleerung durch Druck mit schwacher Nadel zu einer
erwähnenswerthen Beobachtung. Es spritzt dabei zunächst ein Tropfen
einige Millimeter weit fort, dann quillt der Follikelinhalt hervor. In
dem Tropfen finden sich einzelne Zellen, das Ei dagegen liegt in der
Ziellenmasse, welche dem Eierstock anklebt. Da ich dies Verhalten in
mehreren Fällen, 2 Kaninchen, 4 Meerschweinchen, so beobachtet habe,
glaube ich, dass es stets so sein wird und auf diese Weise den Bauch-
schwangerschaften z. Th. vorgebeugt ist.
Nur einmal beobachtete ich an einem Meerschweinchen, bei wel-
chem zwei Eier auf den Fimbrien lagen, in dem Eierstock derselben
Seite einen Follikel, welcher trübe war und sich sehr leicht entleerte,
so dass ich ihn als zu derselben Ovulationsperiode gehörig betrachten
musste. Man findet im Eileiter, in dem man beim Meerschweinchen
die Eier liegen sehen kann, dieselben meistens nur 1 mm. oder we-
niser von einander getrennt. Dies scheint dafür zu sprechen, dass sie
ziemlich gleichzeitig ausgestossen werden, jedoch der Weg, welcher
vom Ovarium in den Eileiter führt, gestattet so starke Vorschiebun-
sen in der Reihenfolge der Eier, dass der obige Schluss sehr un-
sicher ist. BıscHorr!) hält dafür, dass alle Follikel nahezu gleich-
1) a. 8. 35.
und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 223
zeitig platzen. BarryY!), dem in dieser Sache die reichste Erfahrung
zu Gebote stand, fand einmal 2 Eier entleert, zwei noch im Ovarium,
aber ohne allen Zweifel auf dem Punkt sich zu entleeren. Cosre?)
hat einen solchen Fall ausführlich besprochen, er fand ein Ei auf dem
Ovarium „au moment ou la vesicule, qui le renfermait, venait de se
rompre“, eins auf den Fimbrien, eins mit dem Richtungskörper endlich
in einem noch uneröffneten Follikel, aber mit einer kleinen Blutextra-
vasation unter dem Peritonaeum in ihm. Möglicherweise, wenn gleich
nicht währscheinlich, war es also abnorm.’)
Nach diesen Beobachtungen wird man schliessen müssen, dass
die Eier zwar nahe, aber nicht absolut, gleichzeitig entleert werden.
Damit verlieren meines Erachtens die Ansichten, welche auf an sich
richtige Beobachtungen gestützt, die Dehiscenz der Follikel durch
äussere directe Einwirkung erklären wollen, an Wahrscheinlichkeit.
Hıs®): Contraction, ROUGET?): Schwellkörper. Denn wenn ein Folli-
kel separat entleert worden ist, hat ein Mechanismus, welcher auf die
Spannung des ganzen Ovariums basirt ist, zunächst seinen Einfluss
verloren; werden nicht alle Eier zugleich entleert, so können sie
schwerlich rasch nach einander durch Schwellung oder Contraction
des Parenchyms entleert werden, weil der Eierstock zunächst nach-
siebig geworden ist. Ich komme also auf die alte Ansicht zurück,
dass Vermehrung des Follikelinhalts die Berstung herbeiführe. Es
wäre gewiss lohnend, den Gegenstand einmal mit Hülfe von Vivi-
sectionen zu verfolgen. Anhaltspunkte dhfür gewähren folgende
Zeitbestimmungen der Ovulation.
Meerschweinchen hatten nach der Copulation (circa 1 St. nach
dem Gebären) noch nicht ovulirt 6'/,, 7!/,, 9 und 9!/, Stunden, Eier
auf den Fimbrien sind zweimal nach 9 Stunden gefunden, 2 mm. im
Eileiter waren sie nach 6!/, St., 4, 7, 10 und 15 mm. in der 12. bis
15. Stunde, ohne genaue Angabe des Orts traf ich sie dort nach 8
und 11!/, Stunde, 1 Zoll in der Tuba nach 20 Stunden. (Die Eileiter
I) e._S. 311.
2) g. Explication des Planches, nn IRig. 1.
3) era s Bemerkung b. S. 17 gleich nach dem Austritt zeige der Folli-
kel eine von einem zarten Gefässkranz umgebene Oeffnung, fand ich stets »
bestätigt.
4) Bau des Säugethiereierstocks (n). Archiv f. mikr. Anatomie Bd. I S. 172.
5) Recherches sur les organes &rectiles de la femme. Journal de la Physio-
logie 1858 (0).
294 V. Hessen. Beobachtungen über die Befruchtung
messen nach BISCHOFF 60 mm.) Nach diesen Beobachtungen erfolet
also die Ausstossung zwischen der 6. und 10. Stunde nach der Co-
pulation. BiscHorr!) spricht von einem Ei, das nach 2 Stunden im
ersten Drittel der Tuba gelegen habe, wahrscheinlich soll das nach
21 Stunden heissen. REICHERT?) nimmt die 12. bis 14. Stunde als
Zeit des Austritts, hat aber keine Beobachtung darüber beigebracht.
Für das Kaninchen bedarf es kaum weiterer Angaben, die meinen
treffen den Zeitpunkt nicht genau. Angemerkt finde ich hier, dass
die Eier nach 8!/, und 11?/, St. nicht entleert waren, dagegen 6mal
nach 12 resp. 12!/, Stunden schon 2 und 4 cm. in den Tuben vor-
gerückt waren, einmal nach 14 St. schon abnormer Weise im Ende
der Tuben.und Anfang des Uterus sich fanden. Von diesen 9 Fätlen
sind zwei abnorm. BaArrY°) findet in zahlreichen Fällen als Austritts-
zeit 9 bis 10 Stunden post coitum. CostE giebt die 10. Stunde an.
REICHERT*®) fand nach Versuchen an 10 Kaninchen, dass die Zeit
des Austritts zwischen der 9. und 10. Stunde liege.
Die Regelmässigkeit, mit welcher der Eiaustritt beim Kanin-
chen nach Verlauf einer gewissen Zeit auf die Copulation folgt, hat
Anlass zu einer Streitfrage zwischen REICHERT und BISCHOFF gegeben.
REICHERT schreibt’), es gehe daraus hervor, „dass die Begattung mit
ihren aufregenden Wirkungen auf das Mutterthier, insbesondere auf
den Zudrang des Blutes zu den Geschlechtstheilen, einen sehr wesent-
lichen Antheil an dem Bersten des Graaf’schen Follikels.... haben
kann und haben muss“ und weiter, „sonst müsste man annehmen
wollen, dass die Kaninchen jedesmal mit einem gewissen Vorgefühl
von der Zeit des Platzens der Graaf’schen Follikel zu dem Begattungs-
act getrieben würden.“ BiscHoFF®) betont dagegen (wie er dies nach
seinen Untersuchungen: Beweis der von der Begattung unabhängigen
periodischen Reifung u. s. w. zu thun so sehr berechtigt ist), dass die
Copulation keine nothwendige Bedingung zur Ovulation sei. Bei dem
Menschen lehre tausendjährige Erfahrung, dass die Begattung keinen
Einfluss auf die Menstruationsperiode habe. Es seiihm, sagt er ferner, ganz
unerklärlich, wie C. B. REICHERT erkennen wolle, dass die Begattung
einen Einfluss auf den Aufbruch des Follikels habe. Die REICHERT’sche
17.
113.
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6) Neue Beobachtungen zur Entwicklungsgeschichte des Meerschweinchens.
Abhandlungen d. k. bayr. Akademie II. Cl. X. Bd. (p) S. 121 (7).
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und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 235
- Versuchsmethode sei vollkommen unzuverlässig. Aus der darüber
gegebenen Deduction würde ich jedoch zu einer anderen Schluss-
folgserung kommen, wie diejenige BiscHorr's ist. Er sagt nämlich ),
„der Bock wird alle Tage eine Stunde zu dem Weibchen gesetzt und
während dessen beohachtet. Es liegen also 23 Stunden dazwischen.
Dieses ist eine sehr lange Zeit für den bei verschiedenen Thieren zu
verschiedenen Zeiten möglicher Weise beginnenden Reifungs - Process
der Eier und Follikel. Bei dem einen Weibchen kann möglicher
Weise dieser Process schon in der nächsten Stunde nach der Tren-
nung so weit vorgeschritten sein, dass das Weibchen jetzt die Begat-
tung zulassen würde. Bei dem anderen dagegen ist möglicher Weise
erst unmittelbar vor der nächsten Vereinigung von Weibchen und
Männchen dieser Höhepunkt des Reifungs-Processes eingetreten. Die
Eier beider Weibchen sind 23 Stunden in ihrem Reifungszustand von
einander verschieden, und demgemäss wird auch ihr Austritt aus dem
_ Graaf’schen Follikel zu einer verschiedenen Zeit stattfinden. Denn
hierüber entscheidet eben der Reifungszustand und’ nicht die Begat-
tung. Der Versuch kann also in solcher Weise gar nicht angestellt
werden.“
Hiergegen ist offenbar öiniuwerdeh, dass trotzdem der Versuch
von REICHERT beschrieben wird und glückte. Dies führt denn doch
zu dem Schluss, dass der Einfluss der Copulation auf die Ovulation
proportional der Häufigkeit des Befundes wahrscheinlich wird. Hier-
her gehört dann noch die von mir oben gemachte Angabe, dass isolirt
gehaltene Weibchen stets zur Copulation und damit zur Ovulation zu
bringen sind. Coste?) erzählt, dass bei einer isolirten Katze die Brunst
sich auf 40 Tage verlängert und sie ganz heruntergebracht habe, so
dass er, um sie zu retten, ihr eine Nacht den Kater zusetzte. Sie hatte
am folgenden Morgen die Brünstigkeit verloren „et, plus tard, &leva
sespetits“. Besonders deutlich spricht Weır's?) Erfahrung, dem es
glückte, durch gewaltsam erzwungene Copulation die Ovulation hervor-
zurufen.
Es wird also doch bei einzelnen Species die Ovulationsperiode
und zwar in doppelter Weise von dem äusseren Genitalapparat aus
modifieirt. Die starke Brunst verzögert den Austritt der Eier, die
Copulation hebt, vielleicht durch erschlaffende Wirkung, jene
Hemmnisse auf.
1) p. 8. 12 (126).
? g. 8. 229.
bb. 8. 4. d
Das f. Anatomie. Bl. 1. Dal)
926 V. Hansen. Beobachtungen über die Befruchtung
Die Aufnahme der Eier in den Eileiter.
Es scheint nothwendig zu sein, dass die Fimbrien, in Folge ihrer
Bekleidung mit Flimmerzellen, deren Härchen nach dem Ostium tubae
hinschlagen, stets, so oft sie auch vom Eierstock herabgeschoben wer-
den mögen, wieder sich über denselben hinziehen. Meine Beobach-
tungen entsprachen dieser Forderung nicht unbedingt; obgleich ich
in einer grossen Anzahl von Fällen die Fimbrien auf den Ovarien
fand, habe ich doch auch häufig den Fall verzeichnet, dass die Fim-
brien neben den Ovarien lagen und bei längerem Warten nicht die-
selben überzogen. Nun kann allerdinss beim Tödten und Oefinen
des Thieres, selbst wenn- letzteres mit grosser Vorsicht geschieht, eine
Verschiebung der Fimbrien eintreten, und es lähmt die Kälte der Luft
dann sehr bald die Kraft der ihrem Einfluss ausgesetzten Flimmer-
epithelien, ich bin jedoch zur Zeit nicht im Stande, nach dem was ich
gesehen habe, ein festes Urtheil auszusprechen.
Die Aufnahme des Eies erfolet, so weit ich beobachten konnte,
zunächst auf Grund einer anderen Mechanik. RougEr!) hat auf
anatomischem Wege Muskeln im Lig. latum nachgewiesen, welche
die Fimbrien bewegen können. KEHRER?) sagt: „Wenn man die Be-
wegungen des Trichters und seines Gekröses bei einem frisch getödte-
ten Thiere untersucht, so sieht man allerdings Bewegungen derselben
zu Stande kommen, man überzeugt sich, dass der Trichter, nament-
lich auf angebrachte Reize, sich langsam über die Oberfläche
des Ovariums herschiebt. Diese Ortsbewegungen sind doppelter Art:
1) führen sie zu einer vollkommenen Bedeckung des Eierstocks, einer
Entfaltung des Pavillons über die Ovarialfläche; 2) bestehen sie in
einer Retraction des Pavillons von dem Gipfel des Ovariums gegen
dessen Basis. Ich habe bei Kaninchen, Rindern und Schafen oft ge-
nug den Trichter vorsichtig gegen den Eierstocksrand verschoben.
Bald blieb er nun hier ruhig liegen, bald breitete er sich nachträglich
wieder über die Oberfläche des Eierstocks aus. Wenn man also auch
zugeben muss, dass Muskelkräfte den Trichter auszubreiten vermögen,
ja selbst durch Verschiebung der Fimbrien erratische Ovula secundär
wieder aufgefangen werden können, so muss man doch festhalten, dass
in einer Reihe von Fällen sich eine für die Zwecke des Auffangens
der Eiervortheilhafte Locomotion des Pavillons nicht demonstriren lässt.“
K. E. v. Baer, Entwieklungsgeschichte Prs. II S. 182 findet, dass
Do.
2) Ueber den Pank’schen tubo-ovarialen Bandapparat und den Mechanis-
mus der Einwanderung des Ovulum in den Fransentrichter. Zeitschrift für ratio-
nelle Mediecin, dritte Reihe, XX. Bd. (q) 8. 37.
und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 997
der Eileiter längere Zeit den Eierstock umfasse und sich an denselben
wirklich ansauge. Da ich die von ihm beobachteten Thiere (Schaf
und Schwein) nicht untersucht habe, ist mir sein Beweis für das An-
saugen unverständlich geblieben.
Bei einem Meerschweinchen, dessen Eier auf den Fimbrien ange-
troffen wurden, beobachtete ich, dass dieser Apparat in der lebhaf-
testen Bewegung‘ war. Unaufhörlich glitten die Fimbrien auf der
Oberfläche des Eierstockes hin und her, jede Bewegung in einer Se-
kunde vollführend, und wenn man sie abzog, schlüpften sie doch gleich
wieder hinauf. Diese Bewegungen waren so kräftig, dass der Einfluss der
Flimmerung dagegen vollständig gleichgültig sein wird. Die, mit
schleimig-metamorphosirten Zellen. aus dem Follikel umgebenen Eier
waren von dem Eierstock abgestreift und wurden auf den Fimbrien
gefunden, denen sie also fester sich anheften, als dem glatten Eier-
stock. Diese Beobachtung machte grossen Eindruck auf mich. Aehn-
liches habe ich nur noch einmal einige Stunden nach dem Gebären
bei noch uneröfinetem Follikel gesehen, sonst sind die Fimbrien zwar
nicht in völliger Ruhe, aber nur in sehr schwacher Bewegung, etwa
so wie es KEHRER beschreibt oder schwächer. Ich halte den beob-
achteten Vorgang für den normalen Mechanismus bei der Ovulation,
aber er scheint nur beschränkte Zeit einzutreten und bedarf der Be-
stätigung durch Vivisectionen.
Dass die Eier, wie KussmAuL (Monatsschrift f. Geburtskunde
Bd. 20 S. 301) will, durch Flimmerung weiter befördert werden, habe
ich in Folge von Thuıery’s Entdeckungen beim Frosch als selbstver-
ständlich angesehen und daher auf diesen Punkt nicht geachtet.
Schicksal der unbefruchteten Eier.
Unbefruchtete Eier nehmen im Ende des Eileiters ein dunkles
krümliches Aussehen an und werden, wie ich mehrfach gesehen, bei
Kaninchen nicht so stark mit der accessorischen Schaalenmasse bedeckt,
wie die befruchteten Eier.
In einem Falle fand sich beim Kaninchen die Tuba vom Uterus
getrennt, an diesem Ende verwachsen und mit gegen 100 unbefruch-
teten Eiern gefüllt. Ich habe über diesen Fall bereits anderweit ziem-
lich ausführlich berichtet!). Die Eier schienen fortzuleben, nahmen
an Volumen zu und wuchsen in Fäden aus, die an das Keimen von
Alsensporen erinnerten. Fig. S zeigt den Anfang dieses Processes.
1) Medieinisches Centralblatt 1869 S. 403: Ueber eine Züchtung unbefruch-
teter Eier (r).
152
2938 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung
Bemerkenswerth ist die Hülle des Kies, man unterscheidet die Grenze
zwischen Zona pellueida und der vom Eileiter herrührenden Auflage-
rung, letztere scheint von dem Keimfaden durchbrochen zu werden.
Diese Eier veranlassen eine innere und äussere Membran oder ver-
dichtete Schicht an der Zona pellucida anzunehmen; die Einschnürun-
gen, welche an den Eiern entstehen, lassen sich durch Ansammlung
der Substanz der Zone an ringförmigen Stellen unter Vorbuchtung der
inneren Schicht der Zona erklären. E. van BENEDEN!) hat beim
Säugethierei eine Membrane vitelline beschrieben, die vielleicht iden-
tisch mit dieser Schicht der Zona sein kann. Ich bedaure seine An-
gabe erst kennen gelernt zu haben, nachdem meine betreffenden Un-
tersuchungen sistirt waren, so dass ich im Uebrigen eine Ansicht
über BENEDEN’S Befund nicht aussprechen kann.
Durch OÖELLACHER?) ist in sehr hübscher Weise nachgewiesen,
dass unbefruchtete Hühnereier eine Reihe von Furchungsstadien durch-
laufen. Meine Beobachtungen sind jenen insofern nicht ähnlich, als
es nicht unbedingt sicher erschien, ob der Dotter abgesehen von einer
Quellung selbstständig in formative Thätigkeit kam. Allerdings tra-
ten durch Karmin kernartige Gebilde im Dotter auf, aber in solchen
Fällen, wo man über die physiologische Dignität der Masse in Zwei-
fel sein kann, genügt die mikroskopische Untersuchung nicht, um von
Kernen zu sprechen. Darin möchte ich GoETTE®) beistimmen.
Männlicher Antheil.
Die Copulation.
Zu BıscHorr's Beschreibung der Copulation des Kaninchens‘)
darf ich noch hinzufügen, dass am Ende beide Thiere auf die Seite
zu fallen pflegen, den Sprung des Männchens nach rückwärts, von
welchem er spricht, erinnere ich mich nicht beobachtet zu haben.
Nach Weır's Beschreibung (bb) ist der Copulationsmodus der wiener
Kaninchen wiederum anders. Beim Meerschweinchen geht die Co-
pulation weniger activ vor sich und zeigt keine Besonderheiten.
Aus den betreffenden Beobachtungen beim Kaninchen hat sich
mir eine, in gewissen Grenzen befriedigende, Erklärung desjenigen
l) Recherches sur la composition et la signification de Poeuf. M&moire cou-
ronne par l’Academie royale de Belgique 1870 p. 184 (s).
2) Veränderungen des unbefruchteten Keims des Hühnereies im Eileiter,
Zeitschrift f. wiss. Zoologie Bd. XXII Heft 5 (t).
3) Entwicklungsgeschichte der Unke. Leipzig 1875 8. 77 (u).
4) a.8. 41.
und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 2939
Instinkts ergeben, welcher den Mechanismus der Copulation sichert, und
da ich über diesen Punkt bisher keine Aufklärung finden konnte,
theile ich, auf die Gefahr hin, schon Bekanntes oder Selbstverständ-
liches zu geben, meinen Gedankengang mit. Ich kann mir nämlich
nicht denken, dass das Zustandekommen der Copulation lediglich auf
zufällige Erfahrungen und Beobachtungen, resp. Mittheilungen basirt
sei. Man beobachtet an brünstigen Weibchen, dass dieselben, sobald
ein anderes Kaninchen zu ihnen gesetzt wird, die Genitalien an irgend
einem Theil z. B. dem Kopf des Neulings zu reiben beginnen, voraus-
gesetzt, dass sich nicht gleich Feindschaft entspinnt. Dieser Trieb,
die Genitalien zu reiben, der sich aus der Turgescenz der Geschlechtstheile
und dem erresten Zustand des zugehörigen Nervensystems herleitet,
wohnt sowohl dem Weibchen wie dem Bock inne. Er wird beiden
Betheiligten aber nur dann gleichzeitig befriedigt werden kön-
nen, wenn die Genitalien sich berühren.
Dies sehr einfache Verhältniss dürfte für die höheren Wirbel-
thiere die Copulation in letzter Instanz sichern; es reicht jedoch
keineswegs für die niederen Thiere aus. Wir haben zwar, namentlich
durch DArwın, mancherlei Anlockungsmittel für die verschiedenen
Geschlechter kennen gelernt, aber es bleibt der angeregte Gegenstand
doch noch recht sehr im Dunkeln. Um ein derartiges Beispiel anzu-
führen: wie kommt es, dass die Drohne (vor kurzem ausgeschlüpft
und sicher ohne jede Erfahrung) die vor wenig Tagen ausgeschlüpfte
Königin in der Luft trifit, um in Copulation mit ihr den Tod zu
finden ?
Diese Räthsel scheinen mir übrigens kein Hinderniss gegen die
Richtigkeit obiger Erklärung für Säugethiere zu sein.
Eindringen des Spermas in die Genitalien.
Betreffend das Eindringen des Spermas in die Genitalien habe
ich vorzugsweise am Meerschweinchen Untersuchungen gemacht.
REICHERT!) bestreitet die von LEUCKART?) und von BISCHOFF?)
gemachten Beobachtungen, dass nach der Copulation die Scheide mit
einem Pfropf von Samenblasensecret angefüllt sei. Jedoch die Sache
ist, wie schon BiscHoFrrF erwidert hat, zweifellos. Ich finde die Masse
hart, in concentrirter Schwefelsäure und in Natron schwer löslich, in
. DK S. 118.
2) Anatomisch-physiologische Uebersicht des Thierreichs S. 567. Ich habe
das Buch nicht einsehen können.
DIEDMSEL2.
230 V. Hrnsen. Beobachtungen über die Befruchtung
Kochsalzlösung von 10 °/, quellend. Sie enthält in Lücken ihrer
Substanz Sperma, erstreckt sich aber nicht, als hart gewordene Masse
in den Uterus. Der Pfropf wird bald ausgestossen, 9, 9'/, und 41),
Stunden nach.dem Belegen fehlte er schon. Da ich über seine Bil-
dung nicht ins Reine gekommen bin, dürfen hier folgende Protokolle
wohl Aufnahme finden.
12. April 1868. Eine Stunde nach dem Belegen füllte festweiches
Sperma die Scheide halb aus und ragt ein wenig in den Uterushals
vor, hier im Zerfall begrifien.
30. Mai 1868. 1'/, Stunde nach dem Belegen. Die Scheide mit
einem Pfropf gefüllt, der noch im Erstarren begriffen scheint. Im
Centrum ist er schon ziemlich hart, an der Peripherie und auf der
Scheidenschleimhaut findet sich klare Flüssigkeit, in der flockige Aus-
scheidungen sich zu bilden scheinen.
14. Mai 1869. Junges läufiges Thier. Um 12!/, Uhr zwei Pra-
vatz’sche Spritzen voll feuchten Russ in die Scheide ziemlich hart
eingepresst, ward dann gleich belest und um 7 Uhr getödtet. Der
Pfropf ragt nach Vulva und Uterus hin vor, sein Kern ist rein weiss,
seine Rinde aber führt eine dicke Lage kohlenhaltiger Pflasterepithe-
lien. Der Kern besteht aus poröser homogener Masse, in den grösse-
ren Poren finden sich Spermatozoiden dicht angehäuft, die Grund-
substanz enthält deren keine.
Häufig habe ich, entgegen den Angaben der Autoren, die Scheide
ansserhalb der Brunst unverlöthet gefunden.
Eindringen des Spermas in den Uterus.
Beim Meerschweinchen wird das Sperma bekanntlich als fast feste
Masse ejaculirt, ein Theil desselben liegt unmittelbar nach der Copu-
lation im Cervix uteri. Hier verflüssigt es sich und bröckelt los. Ich
habe in mehreren Fällen (3 finde ich notirt) bei vorsichtigstem Ver-
fahren im Tubarande des Uterus Cubikmillimeter grosse Stücke Sper-
mas gefunden, von denen, wie sich bei mikroskopischer Untersuchung
zeigte, nach allen Richtungen hin die Schwänze der Samenfäden her-
vorragten. Daneben fanden sich viele kleine Klümpchen, aus Sperma-
tozoen mit noch verklebten Köpfen bestehend. Durch eigene
Bewegung konnten diese Dinge also nicht den ca. 7 cm. langen Ute-'
rus durchlaufen. (Es ist mir missglückt todte Theile z. B. Russ zu-
gleich mit dem Sperma in den Uterus zu bringen) Man könnte
glauben, dass im Uterus eine Flüssigkeitscireulation sich bemerk-
lich mache, mächtig genug, um das Sperma zu befördern. Es findet
sich stets ein Flüssigkeitsfaden in demselben; da die Flimmerhärchen
und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 231
[4
die Flüssigkeit nach aussen treiben, wird der Effeet bei verstopftem
Muttermund entweder eine Anhäufung der Flüssigkeit vor demselben
mit Leere des übrigen Theils sein müssen, letztere findet sich jedoch
nicht, oder eine beständige Flüssigkeitscireulation. Es finden sich je-
doch stets kleine Uteruscontractionen und der Effect derselben muss
denjenigen der Flimmerbewegung so sehr überwiegen, dass ich mit
BiscHoOFF und LEUCKART annehmen muss, dass es die Uteruscon-
tractionen seien, welche die Spermastücke so rasch vorwärts treiben.
CosrE!) macht in Betreff des Kaninchens sehr präzise Angaben
darüber, dass das Sperma zunächst nicht in den Muttermund gelange.
Da in dieser Sache eine Bestätigung nöch von Werth sein dürfte,
theile ich folgende Fälle mit.
30. Juli 1868. Ein Kaninchen wurde in 10 Minuten dreimal be-
lest und 5 Minuten darauf getödte. Tuben in leichter Bewegung,
links 5, rechts 1 reifer Follikel. Im Uterus kein Sperma, nur auf
dem Os uteri und im Anfang des Cervix einzelne Spermatozoren. Die
Scheide voll Flüssiekeit mit Sperma.
24. Mai 1868. Kaninchen seit 2°/, Stunden belegt. Linke Tube
ein wenig in Bewegung, auf beiden Eierstöcken Sperma, in der Scheide
braune Flüssigkeit mit todtem Sperma. Aus dem eingeschnittenen
Uterus quellen einige Tropfen klarer Flüssigkeit hervor. In ihnen be-
wegen sich die Samenfäden lebhaft, sie sind aber zum Theil noch mit
den Köpfen verklebt. Einige Eifollikel stark geschwollen mit weissem
Punkt, Ei, nahe der Oberfläche u. s. w.
Dieser Befund scheint darauf hinzudeuten, dass noch nachträglich
vom Uterus Sperma aufgesogen oder von der Scheide in ihn eingepresst
wird, es käme darauf an, dies experimentell festzustellen.
Auch beim Hunde dringt nach BiscHorr?) das Sperma rasch in
den Uterus; er fand es im Uterus einer Hündin, der er unmittelbar
nach der Copulation das eine Uterushorn exstirpirte, ich denke also
nach !/, Stunde.
Das Vordringen des Spermas in die Tuben.
LEUCKART und BiscHoFr°) haben beobachtet, dass der Samen des
Meerschweinchens schon !/, Stunde nach der Copulation „bis gegen
die Mitte“ des Eileiters vorgedrungen war, ich habe nach 1 bis 2
I) g. Tom II. S. 59.
2) Entwicklungsgeschichte des Hundeeies 1845. 8. 14. (v.) Dort findet man
die Angaben aus der älteren Literatur über diesen Gegenstand.
SEES 319:
232 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung
Stunden Samenfäden mehrfach im ersten Drittel der Tuben angetroffen.
Ich erinnere mich nicht, verklebte Spermatozoiden hier angetroffen zu
haben, höchstens einmal zwei Köpfe aneinander (Meerschw.).
Den 27. Febr. 69 machte ich 4!/, Stunde nach der Copulation
Messungen über die Schnelligkeit der Spermatozoiden (d. Meerschweins)
in Uterusflüssigkeit auf erwärmtem Objectglas. Das erste machte in
23 Sekunden 0,45mm. Das zweite in 22 Sekunden 0,35 mm. Da ich
nicht sogleich weitere Fäden mit freier Bahn finden konnte, fielen
die folgenden Messungen schon erheblich geringer aus. Die Uterus-
flüssigkeit ist von ziemlich beträchtlicher Zähigkeit, es werden dadurch
wohl die Bewegungen verlangsamt, aber es ist gerade von Interesse zu
wissen, wie rasch in dieser die Bewegungen sind. Nach Messungen
Hente’s!) bewegten sich menschliche Samenfäden 2,7 mm. pr. Minute,
nach KRAMER nur 2,2mm. in maximo. Nach meinen obigen Bestim-
mungen 1,2 mm. pr. Minute. Da die Tuben nach BiscHorr zu 60 mm.
gerechnet werden können, würden die Samenfäden sie in 50 Minuten
durchlaufen können und würden demnach in 15 Minuten wohl „bis
gegen die Mitte“ des Eileiters gelangen können, wenn sie sogleich
nach der Copulation schon am Ende des Uterus waren. Ich neige
mich in der That der Ansicht zu, dass die Samenfäden durch eigene
Kraft in den Tuben vordringen. Die Bahn ist eine enge, nicht zu
verfehlende und die Bewegung der Flimmereilien hindert schwerlich
ihr Vorrücken. Die Gestalt der Samenfädchen ist einer mechanischen
Vorwärtsbewegung durch die Contractionen des Eileiters nicht günstig,
und da die Körper sich gegen den Strom zu richten pflegen, würde
dem einzelnen Samenkörperchen gegenüber auch eine Flüssigkeits-
strömung von zweifelhaftem Nutzen sein. Fände etwas derartiges statt,
so müssten viele Spermatozoiden auf den Eierstock kommen, bei meinen
Versuchsthieren war dieser Befund jedoch selten, beim Hunde scheint
allerdings, nach BıscHorrF?), die Bedeckung des Eierstocks mit Sperma
zuweilen sehr reichlich zu geschehen.
Die Imprägnation.
Die Frage, ob die Spermatozoiden in das Ei eindringen, ist seit
ziemlich geraumer Zeit gelöst, aber über den Process des Eindringens
sind die Beobachtungen noch recht sparsam. Die Priorität der Be-
obachtung von Spermatozoiden in der Eihöhle gebührt bekanntlich
1) 1. 8. 823.
A NG S6 1108
und Entwicklung des Kaninchens und Meerschw£inchens. 233
M. Barry), der sie im Ei des Kaninchens von 24 Stunden und etwas
früher nach der Copulation sah. Nach ihm ist dann dieser Befund an
etwas reiferen Eiern von MEISSNER?), -. BISCHOFF?) und E. vAn BEnt-
DEN®) gemacht worden. WEIL (bb) hat eine Reihe sehr hübscher Beob-
achtungen über das Verhalten der Spermatozoiden im Ei gemacht, und
die Bewegung derselben dort 4 Stunden lang gesehen. Auf seine, so
wie BAMBEKE’'S und NEwPorT'’s Beobachtungen komme ich zurück.
Ich habe zwei Serien von Untersuchungen gemacht, die erste am
Meerschweinchen, einem leider wenig günstigen Objeet, die zweite am
Kaninchen.
Mein Verfahren war zunächst darauf gerichtet, das Ei, welches
sich in dieser Periode im äusseren Drittel der Tuben befindet, mög-
liehst rasch zu erhalten. Es ist nothwendig, die Tuben rein zu ent-
wickeln, was jedoch mit Hülfe der Scheere in einer Minute geschehen
kann. Wenn dann die Tuben sogleich auf einen warmen Objectträger
sebracht werden, kann man in ihnen mit guter Loupe die Eier liegen
sehen. Ich schneide in deren Nähe die Tube durch und drücke dann
etwas jenseits der Eier beginnend, mit starker Nadel oder dem Messer-
rücken über sie hinstreichend, den Inhalt aus. Die Eier treten mit
etwas Flüssigkeit und allem Tubenepithel heraus und werden zunächst
ohne Flüssigkeitszusatz oder Bedeckung untersucht. Es sind mir auf
diese Weise einige Meerschweincheneier verloren gegangen, aber stets
1) Philosophical. Transactions 1843. p. 33 (w).
2) Beobachtungen über das Eindringen der Samenelemente in den Dotter
No. 1. S. 246. Zeitschr. f. wissen. Zoologie Bd. VI (x).
3) Bestätigung des von Dr. NewProrT bei den Batrachiern u. Dr. Barry bei
den Kaninchen behaupteten Eindringens der Spermatozoiden in das Ei. Giessen
1854 (y). Ich konnte dies Buch nicht einsehen, der Jahresbericht enthielt nicht,
was ich wissen musste, und erst FunkE giebt in seiner Physiologie genauere
Angaben. Ich möchte mir die Bemerkung erlauben, dass eine polyhistorische
und kritische ausführliche Physiologie, wie die von WAGNER-FUuxkt, der sich immer
rascher anhäufenden Literatur gegenüber sehr hülfreich ist. Wenn ein solches
Werk eines Verfassers etwa alle 7 Jahre erneuert würde, mit Nachweis des aus
früheren Auflagen Fortgelassenen, würde man, da der Standpunkt des Verfassers
in seiner Kritik klar vorliegen würde, sich immer vor schweren literarischen
Auslassungen hüten können und würde zugleich verhältwissmässig mühelos in
die Lage der derzeitigen wissenschaftlichen Ansichten und ihre Begründung ein-
geführt. Die Jahresberichte können offenbar ein solches Werk nicht ersetzen
und die Lehrbücher müssen sehr Vieles fortlassen oder kurz berühren, was FunkE
aufgenommen hat. Ich möchte glauben, dass ein Partikelchen von den jährlich zu
Preisaufgaben u s. w. ausgeworfenen Summen gut angewandt wäre, wenn damit die
Herstellung eines derartigen eyklisch erscheinenden Werks gesichert würde.
4) s. 8. 183. Beobachtung der Fledermaus.
234 V. Hessen. Beobachtungen über die Befruchtung
durch meine Schuld, d. h. durch Unfälle, die ich hätte vermeiden
können und sollen. Die Methode von BiscHorr, den Eileiter aufzu-
schneiden, ist viel zeitraubender und mir weniger bequem und sicher,
Nachdem die Eier beobachtet worden sind, werden sie je nach
‘ Bedarf freier gelegt, in Kali bichromicum oder besser Osmiumsäure-
dampf gehärtet oder okne Weiteres mit scharf geschliffener Nadel, vor
oder nach Färbung mit Karmin, präparirt. Also von dem Discus, wenn
nöthig, befreit, gedreht und gewendet, die Dotterhaut angestochen und
der Dotter entwickelt. Letzteres geht selbst bei unerhärteten Eiern
ohne Verletzung, d. h. Ausfliessen des Dotters, jedoch hier ist es ein
Kunststück, meistens wird die Zone irgendwo auf den Dotter drücken
und ihn dadurch zum Ausfliessen bringen. Bei erhärteten Eiern glückt
es in der Mehrzahl der Fälle, die Zona von dem Dotter abzuziehen,
ohne ihn zu quetschen,
Mikropylefrage.
Ich habe mich selbstverständlich sehr bemüht, eine Mikropyle zu
finden. PFLUEGER’S!) Befunde an jungen Eiern zeigen ja, dass zu einer
gewissen Zeit eine Oeffnung in der Zona ist. ‘Der ältere Befund von
MEISSNER?), der neuere von VAN BENEDEN?) sprechen in demselben
Sinne.
Wenn eine Mikropyle vorhanden ist, müsste sie jedenfalls am sicher-
sten dicht vor oder während der Imprägnation zu finden sein. Ein
Hervorquellen des Dotters bei Druck macht sich nach einigen Ver-
suchen nicht in der Art, dass man auf das Vorhandensein einer Mi-
kropyle schliessen könnte, die Zona bekommt einen glatten grossen
Riss und der Dotter schiesst hervor. Ueberhaupt habe ich nur einmal
eine, MEISSNER’sS Beschreibung conforme, Mikropyle gesehen. Meer-
schwein 10. August 1870 belest 9!/, Uhr, untersucht 4 Uhr (61/, St.).
Tuben in Ruhe, kein Ei entleert. Ein Follikel trübe, entleerte sich
auf leichten Druck. Durch verstärkten Druck wurden noch mehr Fol-
likel entleert. Eins der so entleerten Eier zeigte einen zapfenför-
migen Fortsatz des Dotters in die Zona pellucida hinein, ein
gleichzeitig entleertes war zerrissen, es dürfte daher die Gestaltung des
anderen Eies durch mechanische Einwirkungen erzeugt sein.
1!) Ueber die Eierstöcke der Säugethiere und des Menschen. Leipzig 1863
(z). 8. 84.
2) x. 8. 248.
3) 5. 8. 147,
und Entwicklung des Kaninchens und: Meerschweinchens. 235
Ich wollte dies Protokoll nicht unterdrücken, obgleich ich kein
Gewicht darauf legen kann, denn eine grosse Menge von Riern aus
dem Anfang des Eileiters sind nicht nur in verschiedenen Lagen auf
eine Mikropyle angesehen, sondern es ward die Zone auseinander gelegt,
und isolirt auf derartige Oeffnungen untersucht. Wäre eine trichter-
förmige Oefinung vorhanden, wie es BENEDEN will, oder eine merk-
liche Schwächung der Hülle in irgend nennenswerther Ausbreitung,
so, meine ich, hätte ich sie wahrnehmen müssen.
Gegen eine Mikropyle sprechen aber auch positive Thatsachen. Die
Spermatozoen dringen von allen Seiten in die Zona ein und bewegen
sich darin mit einiger Leichtigkeit. Dies ergiebt sich ganz abgesehen
von meinen directen Beobachtungen schon aus den verschiedenen La-
gerungen, welche sie nach den Zeichnungen BISCHOFF’s und Anderer
in der Zona einnehmen. Sie können doch nur an diese Orte kommen,
weil sie in die Zona hineinzudringen vermögen. Fraglich könnte meines
_ Erachtens nur sein, ob die Samenfädchen durch die innerste Grenz-
schicht der Zona dringen können. Ein feines Loch dort könnte der
Beobachtung entgehen. Dagegen spricht jedoch die Massenhaftigkeit der
Spermatozoen des Kaninchens in der Eihöhle, die schon von ver-
schiedenen Beobachtern angegeben worden ist. An einer mir vor-
liegenden Zeichnung eines Eies des Maulbeerstadiums (73 Zellen), dem
die Zona abgezogen ward, zähle ich im optischen Querschnitt 22 Sperma-
tozoen und da der Eikugel überall die Körperchen anklebten, muss
ihre Zahl doch gegen 50 betragen! welche hineingekommen sein müssen,
ehe die Eiweissumlagerung begann. Die Fälle von Meissner und
BENEDEN erfordern also wohl eine andere Erklärung und PFLuEGER’S
Beobachtungen hängen wohl nicht (was er selbst auch nicht sicher
behauptet hat) mit einer Mikropyle zusammen.
Das Eindringen in die Eihöhle.
Mit Hülfe systematischer Studien hat sich die Zeit des Eindrin-
gens der Spermatozoiden beim Kaninchen auf die dreizehnte Stunde
nach der Copulation festsetzen lassen. Natürlich finden davon Aus-
nahmen statt. Es ist der Fall vorgekommen, dass um 11°/, Stunde
die Eier noch nicht entleert waren, dass nach 12 Stunden das Sperma
noch nicht zu den 2 cm. in die Tuben vorgedrungenen Eiern gelangt
war, dass ebenfalls nach 12 Stunden 3 Eier 4 cm. in die Tuben vor-
gedrungen waren, davon 2 abortiv mit deformirtem Dotter, eins mit
S Furchungskugeln, alle Eier mit Sperma versehen; aber ob auch nur
das letzte wirklich befruchtet war, konnte ich nicht ganz sicher wissen.
236 V. Hrnsen. Beobachtungen über die Befruchtung
(Das Thier war zunächst nicht willig, ward dann später dreimal belegt.) 14
und 14!/, Stunde nach der Conjugation ist die Imprägnationsperiode vorüber
gewesen, jedoch waren einmal nach 14'/, Stunden die Spermatozoiden
noch in lebhafter Bewegung, wenigstens in einem von drei Eiern. Vier
Fälle, zwei von 12, zwei von 12!/, Stunden, zeigten den Process in
vollem Gang. Es wird daher sieher richtig sein, die genannte Zeit
vielleicht !/, Stunde früher als Ausgangspunkt der Beobachtungen zu
wählen. Die Versuche fielen in den April (1870), die Thiere mussten
am Abend zwischen 6 u. 7 Uhr copuliren und wurden am folgenden
Morgen untersucht. WeıL, der Kaninchen nach dem Gebären copu-
liren liess, beobachtete die Bewegung der Spermatozoiden in der 14.
bis 17. Stunde.
- In Ermanglung eines heissen Objecttisches wurden Mikroskop und
Objeetträger mit einem Wasserbad auf Körpertemperatur gebracht. Bei
einem Kaninchen von 12!/), Stunde n. d. B. wurden 6 Eier rasch aus
den Tuben herausgebracht. Ueberall war der Dotter zurückgezogen
und in dem so entstandenen Raum fanden sich Spermatozoiden in leb-
hafter, - aalartiger Bewegung (eigentlich etwas lebhaftere Bewegungen,
wie die des Aals. In dem gezeichneten Ei Figur 5!) zählte ich
20 Samenfäden, welche noch 1/, Stunde lang in Bewegung blieben. Ich
beobachtete eine Weile eins, welches auf den Dotter gerichtet stand,
aber nicht hineinkam, die anderen umkreisten den Dotter, an welchen
sie häufig anstiessen. Zeitweise rotirte der Dotter in Folge dessen.
Die Zellen des Discus waren rundlich, zwischen ihnen fanden sich
Samenfäden, deren Bewegung rasch erlosch. Ebenso fanden sich deren
überall in der Zona, hier bewegen sie sich weniger frei, mehr krie-
chend; diejenigen, welche senkrecht zum Centrum des Eies stehen,
1) Ernst HAEcKEL, Anthropogonie 1874. S. 142 u. 143 giebt eine Figur über
Imprägnation und Befruchtung des Säugethiereies. Die Ueberschrift der Seiten
lautet:
Der Mensch im Moneren-Stadium. Die befruchtete Eieytode oder Monerula.
Die Erklärung besagt: Fig. 14. Die befruchtete Eizelle des Säugethieres
(Monerula). Rings um die. Eizelle sind viele Spermazellen zu bemerken, einige
derselben sind durch die Porenkanäle der Hülle in das Innere eingedrungen und
haben sich in dem Dotter aufgelöst. Der Keim oder das Keimbläschen ist in Folge
dieses Befruchtungsactes verschwunden. Der kernlose Dotter (nunmehr eine Cy-
tode) hat sich verdichtet und zusammengezogen, wodurch zwischen ihm und der
Eihülle ein (mit heller Flüssigkeit erfüllter) Zwischenraum entstanden ist. „Die
Figur stimmt zwar mit dieser Erklärung weniger überein, wie nothwendig, immer-
hin versinnbildlicht sie den Ansturm der Spermatozoen deutlich. Diese Darstellung
reiht sich den von Hıs (Unsere Körperform 8. 169) gerügten Fällen an, die er als
leichtfertiges Spiel mit Thatsachen bezeichnet. Die Rüge mildert sich m. E.
nicht, wenn nachträglich das in der Phantasie Gesehene sich theilweise bewahrheitet.
und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 337
scheinen durchzudringen, wenigstens meine ich, einige mit dem Kopf
in der Flüssigkeit, dem Schweif noch in der Zona gesehen zu haben,
Während man sonst die Spermatozoiden in der Zona stets nahe pa-
rallel der Oberfläche gelagert fiüdet, blieben hier viele definitiv
in radialer Stellung (in Folge der Abkühlung). In den anderen Eiern
fanden sich weniger Samenfäden in Bewegung, je 2 und 3, aber ich
habe nicht alle genau untersucht, da natürlich die Aufmerksamkeit
rasch auf eines concentrirt werden müsste.
Ein zweites Kaninchen von 12 Stunden n.d.B. hatte 5 Eier, die
nicht ganz rasch herauskamen. In allen fanden sich einige Samen-
fäden in nicht sehr lebhafter Bewegung, auch war die Zone nicht sehr
voll davon. Ich glaube, findet sich notirt,. das lebendigste Stadium
ist schon vorüber. Von einem folgenden Kaninchen von 12!/, St. n.
d. B. ist in dieser Beziehung nur angemerkt: Eier gut heraus, fast
genau wie bei dem vorigen Thier. Das vierte Kaninchen (12!/, St.)
hatte Eier mit einigen Spermatozoiden im Inneren, die meisten dem
Dotter scheinbar anklebend, bewegten sich noch mit den Schwänzen
ziemlich lebhaft.
Der erste Fall, den ich beobachtete und der mir die Zeitbestim-
mung sehr erschwerte (Kaninchen 141/, St. April 1869) war folgender.
Die Eier, eins davon Fig. 6, fanden sich 4 cm. tief in den Tuben. In
der Eiflüssigkeit waren viele Samenfäden, davon manche ruhend, an-
dere beweglich und „wie ein Fisch“ das Ei umkreisend. Der Dotter
war in leichten Schwankungen begriffen. In der Zona fanden sich
viele Spermatozoiden in den verschiedensten Richtungen. Die Discus-
zellen sitzen z. Thl. noch fest, sie sind dann gestielt, aber nur noch
locker befestigt, Fig. 4. Die anderen Eier, welche 5 und 15 Minuten
später entleert wurden, enthielten unbewegliches Sperma.
Bei diesen Untersuchungen hätte die Durchdringung der Zona de-
taillirter beobachtet werden können, aber mir lagen andere Dinge am
Herzen. 3
Beim Meerschweinchen fanden sich regelmässig viel weniger
Spermatozoiden in den Tuben, wie beim Kaninchen, auch waren die-
selben hier auffallend häufig unbeweglich und schienen empfindlicher
gegen Abkühlung zu sein. Ich habe in der Regel nur wenige ins
Ei eingedrungene Körperchen gefunden. Was die Zeit der Impräg-
nation und die Durchdringung der Zona betrifit, kann ich nur Fol-
gendes angeben. Ein Thier von 16 Stunden nach der Geburt hatte
ein Ei mit 3 Richtungskugeln (eine kernhaltig), Sperma fand sich in
der Zona, im Ei dagegen nicht. Ein zweites (27. Aug. 1870), von 12
bis 15 Stunden hatte 3 Eier 4 mm. vom Tubenanfang, in allen dreien
238 V. Hessen. Beobachtungen über die Befruchtung
war ein unbewegliches Spermatozoid, wie sich bei nachträglicher Heraus-
nahme des erhärteten Dotters bestätigte. Ein Meerschwein von 15 Stunden
n. d. G. hatte rechts drei Eier. In der Zone des einen fand sich ein
Spermatozoid im Einbohren, die anderen Eier zeigten nichts. Ein
Thier von 15!/, Stunden enthielt in einem Ei in oder an dem Dotter
ein Spermatozoid, das erst nach der Herausnahme des Dotters sich
vorfand. Noch in einem Fall von 16 und einem von 15 Stunden n. d.
G. habe ich 1 und 2 Spermatozoiden an dem Dotter gesehen, doch
ward die Bewegung derselben nicht ausreichend sicher wahrgenommen.
Hierzu kommen noch einige der weiter unten referirten Fälle, im
Ganzen war die Ausbeute nicht befriedigend.
Die Spermatozoiden im Dotter.
Die sehr schönen Beobachtungen von NEwPORT!) mit horizon-
tal gestelltem Mikroskop haben bewiesen, dass einige Samenfäden in
den Dotter des Froscheies dringen. Auch BAMBERE’S?) trous vitel-
lins scheinen sehr deutlich auf denselben Vorgang hinzuweisen. Die
grosse Anzahl von Samenfäden im Kaninchenei kleben zwar dem Dotter
an, bleiben aber Tage lang unverändert und lassen sich ablösen. Wenn
nachgewiesen werden kann, dass andere Spermatozoiden in den Dotter
eindringen und sich dort rasch erheblich verändern, so bleibt es zwar
möglich, dass auch erstere bei Befruchtung oder Vererbung eine Rolle
spielen (MEISSNER°) geht von diesem Gesichtspunkt aus), aber man
wird nicht anstehen können, die eingedrungenen Samenfäden als
die bei weitem wichtigeren zu betrachten.
Der wirkliche Nachweis des Eindringens der Samenfäden in den
Dotter hat mich bei den betrefienden Untersuchungen hanptsächlich
beschäftigt. Es war im Grunde wohl eine undankbare Aufgabe, denn
die allgemeine Ansicht war schon vorausgeeilt. Ich bin zu dieser
Untersuchung theils durch die so vortrefflichen und präzisen Arbeiten
PRINGSHEIM’S über die Befruchtung der Algen, theils durch die von
Hıs*) bezüglich der Lagerung und Anzahl der Samenfäden verfolgten
Ideen angeregt worden. WEIL, dessen Untersuchungen später gemacht
wurden, wie die meinen, hat unzweifelhaft Sperma im Dotter nachgewiesen,
Leider habe ich niemals ein Samenfädchen in den Dotter hinein kriechen
1) Researches Third Series. Philosophical Transactions 1854. p. 232. (a. 1.)
2) Sur les trous vitellins, que presentent les oeufs fecondes des Amphibiens.
Bulletins de ’Academie roy. de Belgique tom. XXX. No. 7. 1870. (b. 1.)
3) x. 8. 255.
4) Ueber die erste Anlage des Wirbelthierleibes. Fortsetzung $. 20. Mit-
getheilt der naturf. Gesellschaft in Basel. 1867. (ec. 1.)
und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 239
sehen, habe dagegen häufig bemerkt, dass diese Körperchen, sei es
ganz, sei es nur mit dem Kopf, in dem Dotter sassen. Die einfache
Beobachtung konnte indess nicht genügen, sondern weitere Zergliede-
rungen haben die Beobachtungen bestätigt.
An 2 frischen Eiern vom Meerschweinchen habe ich constatirt,
dass ein, resp. zwei Spermatozoiden nach dem Anstechen des Eies mit
dem Dotter herausflossen, sie lagen darauf so in der Dottersubstanz,
dass Dotterkugeln über und unter ihnen lagen. Der Kopf war etwas
ausgedehnt und an der Peripherie etwas körnig. Beim Versuch, einen
Körper zu isoliren, löste sich der Kopf ab.
Bei dem anderen, in Kali bichromicum erhärteten. Ei constatirte
ich, dass die Schwänze der beiden Samenfäden, deren Köpfe im Dotter
sassen, sich durch kein Umherwälzen des nackten Dotters oder durch
sonstige Manipulationen aus demselben herausziehen liessen. Die Be-
funde bei dem Thier vom 27. Aug. waren folgende: In jedem der
3 Eier war ein Samenfaden, in dem einen sah der Schwanz aus dem
Dotter, etwa !/, Kreisbogen von den Richtungskugeln entfernt, der
Kopf war nicht deutlich erkennbar; im zweiten ging der Schwanz
neben resp. über der Richtungskugel in den Dotter; beim dritten
sass er der Richtungskugel fast gegenüber, bis über die Mitte des
Mittelstücks im Dotter. In diesem Ei war das Keimbläschen sichtbar,
aber nichts von den Spermatozoen darin oder daran. Nach dem Er-
härten ward der Dotter aus allen drei Eiern unverletzt entwickelt. Das
eine Ei ward nach einigem Rollen, wobei der Schwanz ungelöst blieb,
als weniger günstig, nicht weiter untersucht. Das zweite Ei liess den
Kopf ziemlich tief im Dotter und zwar schräg eingebohrt, erkennen,
jedoch man sah ihn nicht recht klar und er war nicht heraus zu be-
kommen. Das dritte (erste) Ei war an der Stelle, wo der Schwanz
sass, ein wenig hervorgebuckelt. Man sah daran den Kopf, aber der-
selbe war vergrössert und enthielt eine kuglige, körnige Masse, die
sich von der Wand (Contour des Kopfes) zurückgezogen hatte. Das
Ei ward zerstückelt und es ward versucht, aus der betreffenden Partie
den Kopf zu isoliren, er sass sehr fest und ging schliesslich bei den
Versuchen zu Grunde.
Dies sind die besten Beobachtungen beim Meerschweinchen, das
Ei Fig. 3 ist einem anderen Thier von 16 Stunden entnommen.
Folgende Beobachtung glaube ich ihrer Eigenthümlichkeit wegen
nicht unterdrücken zu dürfen. Meerschweinchen 17 St.n.d.G@. Es
ward ein Ei gleich in der Tube gesehen und rasch entleert. Es fanden
sich 10 Samenfädchen in der Zone, noch in verschiedensten Richtungen
gelagert. An der körnigen dunkleren Seite des Eies fanden sich zwei
240 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung
Richtungskugeln, an der einen ein ruhender Schwanz, dessen Kopf in
dem Bläschen zu stecken schien, doch war er nicht zu erkennen. Das
vielfach gedrehte Ei liess nichts weiter erkennen, auch nicht, nachdem
der Dotter auf Zusatz der Mwerrer’schen Lösung sich noch mehr
zusammenzog. Später entleerte sich der Dotter gut, wobei sich jedoch
die Richtungsbläschen von ihm trennten. Das eine hatte den Schwanz
behalten, über dessen Basis sich eine dicke körnige Umhüllung aus-
geschieden hatte. Bei stärkster Vergrösserung‘ erkannte ich in dem
trüben Inhalt nichts vom Kopf, beim Zerdrücken trat jedoch eine
bläschenförmige Bildung, ähnlich der so eben als Metamorphose des
Samenfädchenkopfes geschilderten, auf, doch war sie nicht so deutlich!
Was soll man dazu sagen?
Das Kaninchen vom 7. April 1871 mit 6 Eiern. Eines davon
Fig. 5. Alle Eier zeigten sich -durch feinkörnige, etwas bräunliche
Häufchen stark gefleckt. Diese Flecken scheinen von zersetztem Sperma
herzurühren, häufig glaube ich eine Hülle und Schweif daran wahrzu-
nehmen. An anderen Stellen sieht man Spermatozoidenköpfe gebläht
mit körniger Masse im Centrum, Fig. 7, wie das oben vom Meer-
schweinchen beschriebene. Andere sind nicht vergrössert, sondern nur
körnig getrübt.
Das Kanichen vom 9ten 12 St. nach der Copulation, gab wesentlich
denselben Befund, eines von 121/, Stunden, gleich darauf untersucht
ergab, als die frische Dottermasse aus zwei Eiern entleert wurde, dass
der Dotter auffallend stark zusammenhielt. Sie enthielt, namentlich
in dem einen Fall sehr deutlich, mehrere Spermatozoiden, welche mit
körnigem Kopf versehen, aber noch nicht gequollen waren.
Darauf fand ich bei einem Kaninchen von 11?/, St. n. d. B. die
Eier noch im Eierstock. Dieser entleerte nach dem Erhärten in Osmium-
säuredampf durch körnige Massen gefleckte Eier. BiscHorr hat
auch solchen Falls erwähnt.
Die Eier eines anderen T'hieres von 12 St. n. d. B. wurden, nach-
dem sie frisch denselben Befund ergeben hatten, wie die beiden erst-
erwähnten, über Osmiumsäure erhärtet, von der Zona befreit und sorg-
fältig geprüft. Die Dotter waren innerhalb der kugligen Zona platt,
ein Fall, der mindestens nicht selten vorkommt. Es scheint mir, habe
ich notirt, dass denn doch nicht alle Flecke mütterlichen Ursprungs
sein können, denn ich finde deutlich in einigen Spermatozoenköpfen
im Dotter Körnchen entwickelt und diese Bilder zeigen Uebergänge zu
den Flecken.
Bei einem darauf untersuchten Kaninchen von 14 Stunden mit
6 Eiern, zeigte sich der Dotter in eine dunklere äussere und hellere
und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 241
innere Masse veschieden. Das Keimbläschen schien in einzelnen
Eiern vorhanden zu sein, doch war es nach Erhärtung und Färbung
mit Karmin resp. Rosanilin, trotzdem die herausgenommenen Dotter
schliesslich zerdrückt wurden, nicht zu finden. Die Eier waren nach
der Erhärtung abgeplattet, diesmal lag die Zona dabei den Flächen
auch an, war also auch abgeplattet. In dem Dotter fanden sich viele
Bläschen mit kernartigem Körper, zu denen in der Regel ein Schwanz
hinführte und die den oben beschriebenen Bildungen sehr glichen. Die
Fig. 7a ist einem dieser Eier entnommen. Weitere Reactionen sind
nicht gemacht worden, da die hübschen Untersuchungen MiEscHer’s !)
noch nieht bekannt waren.
Die Verhältnisse liegen hier so schwierig, dass ich mir nach einer
einzelnen Untersuchung kein Urtheil erlauben würde. Wenn ich aber
alle Untersuchungen überblicke, so glaube ich mit Wahrscheinlichkeit
den Sachverhalt dahin präcisiren zu können, dass bei den untersuch-
ten Säugethieren mehr wie ein Samenfaden in den Dotter eindringen
kann), dass er dort unter bestimmten formellen Veränderungen des
Kopfes sich auflöst und auf diese Weise der Zustand der Befruch-
tung im Ei herbeigeführt wird. Es würde mich freuen, wenn meine
Versuche zu neuen Beobachtungen anregen sollten.
In Bezug auf das Keimbläschen war mein Verfahren im Anfang
nicht tadellos, erst später erkannte ich, dass man färben und dann
den Dotter entleeren muss, um der Sache sicher zu sein. Ich habe
daher meine Befunde nur ausnahmsweise mitgetheilt, doch will ich
hier noch eine Beobachtung niederlegen.
Ein Kaninchen hatte 25 Stunden nach dem Belegen links 5 Eier,
alle mit 2 Furchungskugeln, rechts 4, davon eins mit 2 Furchungs-
kugeln, 3 noch ungetheilt. Von letzteren hatte, wie sich nachträglich
durch leichte Erhärtung und Färbung mit Karmin bestätigte, eins
einen Kern, die beiden anderen keinen. In allen Eiern fanden sich
ruhende Samenfäden.
1) Die Spermatozoen einiger Wirbelthiere. Verhandl. der naturf. Gesellschaft
ın Basel. VI. Heft. 1874 (di).
2) Ich würde mich weniger vorsichtig aussprechen, wenn ich die veränder-
ten Samenkörper hätte isoliren können. Uebrigens weist PrivesuEm: Ueber
die Befruchtung der Algen. Bericht der preuss. Akademie. 1854. S. 145 und
Fig. 23 (el) für Fucus das Eindringen mehrerer Samenkörper unzweifel-
haft nach. Auch nach Wert (bb), der noch in Furchungskugeln Spermatozoiden
sah, würde der gleiche Schluss zu ziehen sein.
Zeitschrift f. Anatomie. Bd.-I. 16
242 V. Hessen. Beobachtungen über die Befruchtung
Die Befruchtung.
Es drängt mich, in Folgendem meine Ansicht über die von der
Zeugung zu separirende Befruchtung niederzulegen, sowie ich
dieselbe, wenn auch weniger präcise, seit einer Reihe von Jahren vor-
getragen und verfolgt habe. Obgleich sich auf diesem Gebiet absolut
Neues kaum sagen lässt, bin ich bis jetzt doch nicht auf einen ähn-
lichen Gang der Betrachtungen gestossen.
Der Ausgangspunkt, von welchem die verschiedenen Beobachter
sich ihren Gedankengang entwickeln, ist häufig so gründlich verschie-
den, dass ich zunächst den meinen in einigen Worten andeuten muss.
Die Möglichkeit einer Reihe von Lebensvorgängen ist in klarer
Weise abhängig von den terrestrischen Verhältnissen. Wir finden
empirisch, dass alle Organismen stark wasserhaltig sind, genauer ge-
sagt zum grösseren Theile aus salzem Wasser bestehen. Demnach
kann ein Stoffwechsel bei solchen Wesen nur unter den Bedingungen
stattfinden, unter welchen solche Lösungen flüssig sind. Diese Bedin-
sungen liegen für die Erdoberfläche klar vor; wir Biologen sind mit
dieser Erkenntniss, die das Leben von physikalisch-chemischen Gesetzen
abhängig macht, zufrieden, denn wir sind damit an die Grenze unseres
Gebietes angelangt und unser Bestreben kann nur dahin gehen, unsere
Erfahrungen auf die Gesetze der Physik und Chemie zu basiren. In
ähnlicher Weise kann man auch in Bezug auf die lebengebende Ver-
brennung der Organismen räsonniren, sie hängt von der Zusammen-
setzung der Körper aus oxydirbarem Material und von dem Vorkom-
men des Sauerstofigases auf der Erde ab.
Es giebt aber andere Dinge, die auch im freiesten Gedanken-
sprunge nicht auf physikalisch-chemische Gesetze direct zurückzuführen
sind, ich nenne die Vermehrung der Organismen. Diese aus dem
Wachsthum abzuleiten und das Wachsthum auf die Crystallisation zu
redueiren, ist zum Mindesten sehr gewagt, und man wird sich nicht
dadurch befriedigt fühlen. Wenigstens liegt die Sache noch zu unklar,
um sich darauf zu stützen.
Dennoch gewährt der empirische Satz: alle Organismen!) vermeh-
ren sich, Befriedigung, und zwar nicht nur als empirisch gesicherte
Thatsache, sondern als logische und nothwendige Schlussfolgerung aus
den natürlichen Verhältnissen. Aus diesem Grunde gewährt es mir
1) Dass auch die Männchen sich, jedoch indirect, vermehren, braucht wohl
nicht erst gesagt zu werden.
und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 9243
also auch Befriedigung, wenn ich die Befruchtung aus diesem Satz
aufbauen kann.
Fragen wir, weshalb müssen die Organismen sich vermehren, so
lautet die Antwort, weil dieselben sonst in Folge von Todes-
ursachen in kürzester Frist aussterben müssten. Erörten wir weiter,
weshalb Todesursachen da sein müssen, so kommen wir wohl schliess-
lich auch hier auf das physikalisch-chemische Gebiet. E
Ich schlage jedoch einen anderen, empirischen Weg ein und ver-
suche, indem ich auf alle Fälle die für die Befruchtung wichtigen
Thatsachen zusammenstelle, meinen Schluss zu ziehen.
Sind wirklich für alle Organismen Todesursachen vorhanden?
Man kann ein weites, hier nicht genauer zu verfolgendes Gebiet
der zufälligen Todesursachen abtrennen, von durch meteorologische
Verhältnisse und von durch innere Gründe, d. h. Organisationsfehler,
bedingten Todesursachen. Wo erstere sich nicht eingefunden haben,
treten die beiden letzteren in Wirksamkeit. Der Organisationsfehler
z. B. des Menschen wird in der Altersschwäche, d. h. wol in der In-
crustirung seiner Gewebe, kund. Diese sichere Todesursache kennen
wir empirisch auch für viele Thiere und es ist nicht anzunehmen,
dass irgend ein Thier der Altersschwäche nicht solle anheimfallen
können, es sei denn, dass es sich durch Theilung fortwährend er-
neuere.
In diesem Falle und bei vielen Pflanzen (bei letzteren aus we-
sentlich demselben Grunde) wird die Altersschwäche vermieden.
Allerdings geht selbst der zäheste Baum schliesslich dadurch zu
Grunde, dass die in ihm liegenden abgestorbenen, verholzten Theile
nicht genügend geschützt werden können, vermodern und Todesursache
werden. Der Keim kann aber, und dies ist ein wichtiges Fac-
tum, durch Wurzelsprossen, also durch ungeschlechtliche Zeugung,
fortleben. Unsere Erfahrungen weisen entschieden darauf hin, dass
auf diese Weise die Species oder eigentlich das Individuum (künstlich)
in infinitum fortleben kann, dass also von einer Erschöpfung der
Lebenskraft in diesem Fall nicht die Rede sein kann. Dennoch
ist in der Wildniss der Bestand eines solchen Individuums und da-
mit auch der Species nicht ausreichend gesichert. Denn da die Ver-
breitung durch Sprossen ohne Hülfe des Menschen nur eine be-
sehränkte Ausdehnung des Standes bewirken kann, so wird, sei es
z. B. durch Insekten, sei es durch meteorologische oder tellurische,
im Laufe der Jahrtausende einmal eintretende Ereignisse, kurz im
Kampfe ums Dasein, der Bestand endlich unterliegen. Während also
das Individuum überhaupt nicht zu schützen ist, kann die Erhaltung
16*
244 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung
der Species allerdings durch weite Verbreitung gesichert werden,
und diese Verbreitung erfolgt durch die geschlechtliche Zeugung,
also die Befruchtung, wie in vielen Fällen stark markirt hervortritt.')
Das bei den höheren Pflanzen etwas schwierige Verhältniss zwi-
schen geschlechtlicher und ungeschlechtlicher om nie musste im Vor-
aus besprochen werden.
Man kann im Allgemeinen sagen, die Bund sei ein so weit
verbreiteter Process, es werde für ihre Erreichung in der Natur ein
so grosses Opfer gebracht, eine so grosse Zahl künstlicher Mechanismen
in Bewegung gesetzt, dass dem entsprechend die Function eine funda-
mentale sein, durchgehends wenigstens etwas Allgemeines, allen be-
treffenden Wesen Nothwendiges, dadurch erreicht werden müsse. Dies
Durchstehende zu finden ist also die Aufgabe! Bei den zahlreichen
Variationen des Processes, bei der Menge von Gleichungen also, die
gegeben sind, darf immer wieder versucht werden, diese Function zu
finden.
Ob die Befruchtung bei allen Organismen sich finde oder nicht,
ist dabei kaum von grosser Bedeutung. Uebrigens kann ich nicht
zugeben, dass sie bei den niedersten Formen aufhöre. Die neueste
Zeit hat noch wieder gelehrt, wie lange die geschlechtliche Zeugung
bei höchst zugänglichen Pflanzen, den Hutpilzen, verborgen bleiben
konnte, wie viel weniger dürfen wir erwarten von den Moneren schon
Alles zu wissen! Uebrigens hat ja HAECcKEL?) Verschmelzungen von
Moneren (Protomyxa) beobachtet und die Deutung dieses Vorganges
als Conjugation ist zum mindesten durch seine Beobachtung nicht
verboten.
Die Befruchtung kann von der geschlechtlichen Zeugung, d. h.
von der Neubildung der Individuen aus dem Ei, getrennt betrachtet
werden. Der Beweis für die Nothwendigkeit dieser Trennung wird
durch die Erfahrungen über die Parthenogenesis®) geliefert.
1) Ich will gerne zugeben, dass in einzelnen Fällen dieser Art die ge-
schlechtliche Zeugung geradezu unnütz sein mag, hier wird gewiss gesagt
werden können, solcher Fall erkläre sich durch den Typus, d. h. die erbliche
Verwandtschaft. Wird aber dieser Grund allgemein vorgeschoben, dann würde
ich, aus späterhin hervortretenden Gründen, lieber gar keine Erklärung haben,
als diese.
2) Biologische Studien. Heft I. 1870. 8. 27 (fl).
3) Ich kann hier nicht alle die Schriften a welche die Parthönosenasie:
lehre gefördert haben, sondern beschränke mich möglichst. In Broxs, Classen
und Ordnungen des Thierreichs, Bd. V. S. 164, findet man eine historische Be-
sprechung (81).
und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens, 245
Unser vortrefflicher und liebenswürdiger C. Th. v. SıssoLn hat
unter dem Namen Thelytokie, die hauptsächlich hier in Betracht kom-
menden Thatsachen sehr sicher begründet. Er!) hat nachgewiesen,
dass Psyche helix unabhängig von der Befruchtung durch lange Zeit
hindurch unbefruchtete Bier legt, welche sich zu Weibchen entwickeln,
die fort und fort ohne Hülfe von Sperma fruchtbare Generationen von
Weibchen zu zeugen vermögen. Dasselbe Verfahren hat er, wenn mög-
lich noch schlagender, für die Krebsthiere Apus cancriformis?) und
Artemia salina®) nachgewiesen. Ferner steht fest, dass die Bombyeiden
fruchtbare, unbefruchtete Eier legen können, aus denen dann Männ-
chen und Weibchen „ganz regellos‘“ hervorgehen. Dies gilt insbeson-
dere für den Seidenspinner, über den sich GERSTAECKER®) eingehender
äussert als SIEBOLD, ferner von Liparis dispar?).
Kür diese, namentlich die letzteren Fälle, lautet der bündige
Schluss dahin, dass die Befruchtung mit der Zeugung direct
gar nichts zu thun habe. Man wird also in Bezug auf die Fun-
damentalfunction der Befruchtung so lange von der Zeugung absehen
müssen, bis entweder zwingende Gründe dafür beigebracht werden,
dass hier ein Ausnahmefall vorliege, dann fällt aber die Ansicht, dass
die Befruchtung eine fundamentale Function sei, fort, oder bis sich
eine versteckte Täuschung in jenen Beobachtungen nachweisen lässt.
Dass in anderen Fällen die Befruchtung evident mit der Zeugung zu-
sammenhänst, ist kein Grund gegen die gewonnene Anschauung, denn
diese Erfahrung beweist nur, dass sich unter Umständen noch weitere
Wirkungen an die Befruchtung knüpfen, das wird aber keineswegs
durch obige Schlussfolgerung ausgeschlossen.
Ich geselle mich zu denen, welche den Fundamentalvorgang
der Befruchtung für eine Mischung von Stoffen halten. Die Form
des Sperma kann schon deshalb nicht von fundamentaler Bedeutung
sein, weil bei den Phanerogamen das Sperma als ungeformte, flüssige
Masse in das Ei eintritt. Ferner giebt der Vorgang der Conjugation,
wie wir denselben von den Conjugaten, den Diatomeen und Desmi-
diaceen, den Pandorinen und (wenigstens kenne ich keinen Grund da-
gegen) in dem Plasmodium der Myxomyzeten sehen, keinen Anlass,
!) Wahre Parthenogenesis bei Schmetterlingen und Bienen. 1856. $. 36 (h1).
2) Beiträge zur Parthenogenesis der Arthropoden. 1871 (i1).
3) Sitzungsberichte der bayr. Akademie d. Wissenschaften, math.-phys. Classe.
7. Juni 1873 (k1).
4) @1. 8. 165.
5) H. WEIENBERGH jr-, Quelques observations de Parthenogenise chez les
Lepidopteres. Arch Neerland des Sciences mat. et nat. V. No. 3. $, 258.
946 V. Hessen. Beobachtungen über die Befruchtung
eine besondere Formung des Spermas anzunehmen, da es schwierig
oder unmöglich ist, hier Geschlechter zu unterscheiden. Mir scheint
im Gegentheil die grosse Gleichwerthigkeit der betheilisten In-
dividuen ein weiterer wichtiger Hinweis auf den Fundamentalvorgang
der Befruchtung zu sein.
Die Function der Samenmasse kann nicht in einer reinen Öon-
tactwirkung bestehen, weil sein Stoff sich dem Ei: bei-
mischt. Im übrigen steht nach dem bis jetzt vorliegenden Material
nur fest, dass eine Mischung, und sobald es sich um geformte Ele-
mente handelt, eine alsbaldige Lösung in .der Eimasse stattfindet.
Die Beantwortung der Frage, ob weiterhin oder nebenher eine dyna-
mische Wirkung!) irgend welcher Art stattfinde, muss noch offen bleiben.
Die Bedingungen der Befruchtung werden noch etwas erläutert
durch die Erfahrungen über Bastardirung, bei welcher vorzugsweise
das Fortpflanzungsvermögen geschlagen wird.
Es wird dadurch einerseits illustrirt, dass nur innerhalb sehr
zarter Differenzen die Befruchtungskörper variiren dürfen, um einen
vollkommenen Effect zu erzielen, andererseits tritt eine Einrichtung her-
vor, welche sehr kräftig für die Erhaltung der Constanz der Species
wirkt. Beide Schlüsse lassen sich wiederholen in Bezug auf den un-
günstigen Erfolg der Inzucht und die der Parthenogenese so nahe-
stehende, zuweilen direct giftige, Selbstbefruchtung. LEUCKART?) macht
als Hinweis auf die hohe Bedeutung der geschlechtlichen Fortpilan-
zung darauf aufmerksam, dass eine Fortpflanzung unter Verhältnissen,
bei denen sich die körperlichen Schwächen und Gebrechen der Eltern
allmälig summiren, schliesslich bis zur vollkommenen Entartung hin-
führt. Es ist jedoch Factum, dass die Inzucht viel rascher zerstört
als es solcher, oft kaum merkbaren Anhäufung der Fehler entspricht,
dies habe auch ich bei Meerschweinchen zu beobachten Gelegenheit
gehabt. Dann aber könnte es sehr wohl sein, dass die abweichenden
Eigenschaften der Eltern einmal Vervollkommnungen seien. Die
sicher richtigen Ausführungen Darwıy’s, dass das Unvollkommene
im Kampfe um das Dasein vernichtet werde, würde die Inzucht viel-
leicht an Leben kostbar, aber doch nicht für die dem Anschein nach
gesetzliche Fortentwicklung der Organismen, unbrauchbar erscheinen
lassen. Es tritt dagegen klar hervor,’) dass auch diese Einrichtung die
1) „Steigerung der Lebenskraft“ vergl.: JAEGER, Ueber Urzeugung und Be-
fruchtung. Zeitschr. f. wiss. Zoologie. XIX, S. 503 (m1).
2) 1. S. 962.
3) L. Acassız weist (Der Schöpfungsplan, übersetzt von GIEBEL) bereits auf
dies Verhältniss hin,
und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 247
Erhaltung der Species durch Ausgleich der elterlichen Abänderungen
sichert, wogegen man über den Grad, bis zu welchem diese Sicherung
geht, verschiedener Meinung!) sein kann.
Bemerkenswerth für die Würdigung der Befruchtung scheinen
noch die Erfahrungen über den Austausch zwischen Edelreis und
Unterlage zu sein. P. Magnus?) hat darüber neuerer Zeit Unter-
suchungen angestellt, aus denen z. B. sich ergiebt, dass mit verschie-
denen Kartoffelsorten Pfropfversuche gemacht und dadurch Mischlings-
kartoffeln erzielt wurden. Jedoch im Allgemeinen ergiebt sich eine
so ausserordentliche Schwierigkeit, abgesehen von Panachirungen,
Umänderungen der Organisation der Theile nachzuweisen, dass
‘sich als grosse Regel die Nichtbeeinflussung ergiebt. Wenn
aber zwischen zwei benachbarten Zellen der respectiven Theile ein
annähernder Austausch der in ihnen enthaltenen differenten Sub-
stanzen einträte, müssten Mischbildungen auftreten, aus dem Man-
gel derselben folgt, dass unter diesen, scheinbar den innigsten Aus-
tausch erheischenden Bedingungen, derselbe nicht eintritt. Bei
der Imprägnation wird eine Mischung der lebenden Bestandtheile
differenter Zellen gleichsam erzwungen und zwar unter Anwendung
eines im Ganzen gewaltigen Apparates.. Man sollte denken, dass die
weissen Blutkörperchen zu solchen Imprägnationen sehr bequem sein
müssten, dennoch finden wir dieselben nirgends zu diesem Zwecke
verwendet. n
In das Resultat der Mischung und Lösung der Geschlechts-
produete gewähren folgende Thatsachen einigen Einblick.
In einer Reihe von Fällen tritt als erste augenfällige Folge der
Befruchtung eine Membranbildung um das Ei auf. So geschieht es
namentlich, wie u. a. PRINGSHEIM’S zahlreiche Untersuchungen lehren,
bei vielen niederen Pflanzen, so auch, nach den übereinstimmenden
Befunden von ÜLAPAREDE?), MUNK‘) und SCHNEIDER®), bei den Ne-
matoden. In diese Kategorie scheinen auch die Wintereier der Räder-
1) Die Bezeichnung „Species“ wünsche ich nicht so aufgefasst zu sehen, als
wenn ich Darwın’s (Entstehung der Arten, Cap. VIII.) (n1) Bestimmungen über
die Ausdehnung der Fruchtbarkeit bei Bastarden nicht zustimmte. Der Ausdruck
Species dürfte jedoch immerhin noch am vollständigsten die Grenze bezeichnen,
bis zu welcher fruchtbare Kreuzungen sich zu erstrecken pflegen.
2) Sitzungs-Ber. d. Gesellsch. naturforschender Freunde zu Berlin. 1870.
S. 33..1871. 8. 82 und Botanische Zeitung, 1870. 8. 581. 1871. S. 114 (ol).
3) Zeitschrift f. wiss. Zoologie. Bd. IX. S. 106 (pl).
4) Ibid. 8. 365 (q1).
5) Monographie der Nematoden. Berlin 1866 (r1).
248 V. Hessen. Beobachtungen über die Befruchtung
thiere zu gehören, aber da v. SıeBOLD für Artemia salina den Nach-
weis geliefert hat, dass sowohl Sommer- wie Wintereier partheno-
genetisch erzeugt werden, wird für diese Art Schalenbildung die Ab-
hängigkeit von der Befruchtung unsicher. Die durch die Befruchtung
gebildete Eihülle gewährt einen verlässlichen Schutz gegen meteoro-
logische und manche andere Todesursachen!), dient also zur Erhaltung
des Eies und alles dessen, was sich daran knüpft.
Nach den Beobachtungen von PRINGSHEIM?) bildet sich so rasch
nach dem Eindringen des Spermatozoids eine Hülle, dass den Nach-
folgern bald der Zugang in den Dotter verschlossen wird. Man könnte
demnach glauben, dass auch bei den Eiern von Säugethieren etwas
Aehnliches sich finde. Davon habe ich mich jedoch nicht mit Be-
stimmtheit überzeugen können. Leider aber habe ich im Eifer,
eine falsche Ansicht über die ersten Folgen der Befruchtung zu zer-
stören, mich nicht genügend damit beschäftigt, die wirklichen nächsten
Folgen der Befruchtung aufzufinden. Da Wein unveränderte Sperma-
tozoiden in Furchungskugeln sah, kann ein Abschluss gegen Sperma
nicht erste Folge der Befruchtung sein.
Für diesen Fall und die so sehr zahlreichen ähnlichen Fälle an
Pflanzen und Thieren lässt sich wohl nur aussagen, dass die Befruch-
tung die Erhaltung der Species bewirke, indem sie den Todesursachen,
welche dem Ei und einigen Entwicklungsstufen desselben drohen,
entgegenwirkt.
Dass sie dies für das Ei thue, ist für die meisten hierher gehö-
rigen Fälle sofort klar. Wenn Oben von Kanincheneiern berichtet
wurde, die dem Anschein nach unbefruchtet fortlebten, so erklärt
sich dieser Fall daraus, dass eine Todesursache (die Entleerung in
den Uterus und weiter) hier durch die besondere Abnormität fort-
genommen war, dass die Eichen in dem geschlossenen Ende der
lebenden Tuba Schutz fanden. Es soll ja nicht behauptet sein, dass
nur die Befruchtung den Todesursachen entgegenwirken könne, son-
dern dass auch sie dies, und zwar, wie ich glaube, in besonders
ausgezeichneter Weise zu thun vermöge.
Dass die Befruchtung einer Entwicklungsstufe des Eies Schutz
gewährt, lässt sich nur indireet nachweisen. Die Thatsache, dass manche
Körner ausdauernder ihre Keimfähiskeit bewahren, wenn sie durch
1) HELLER macht auf die grosse Widerstandsfähigkeit der Eier von Taenia sagi-
nata in fauligen Substanzen neuerdings aufmerksam, Zıemssen, Handbuch. Bd. VII.
2) (el) und Jahrbücher der Botanik, Bd. I. u. II., vergl. auch Bd. IX.
Juranyı, Beitrag zur Morphologie der Oedugracen, und Bd. VII. STRASSBURGER,
Die Befruchtung bei den Farrenkräutern,
und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 249
Fremdbefruchtung, als wenn sie durch Inzucht erzeugt wurden, weist
nach, dass die Vollkommenheit der Befruchtung für diese Entwicklungs-
stufe von Bedeutung ist. Daraus darf wohl der Schluss gezogen werden,
dass überhaupt die Befruchtung jenen Todesursachen, welche dem pflanz-
lichen Embryo in dem genannten Stadium drohen, entgegenwirkt.
Der Generationswechsel hängt in den gesicherten Fällen, so viel
mir bekannt, von der geschlechtlichen Zeugung ab.!) In vielen Fällen
wird durch die geschlechtlich erzeugte Larve die Todesursache besei-
tigt, welche den Geschlechtsthieren droht. Die Akalaphen und deren
Sprossen (z. B. Sarsia) würden den meteorologischen Einflüssen und
dem damit verknüpften Nahrungsmangel unterliegen, aber die Polypen
vermögen dem auszuweichen. Bei den Trematoden und Radiaten
kommt eine ungeschlechtliche Zeugung des Mutterthiers, so viel mir
bekannt, nicht vor. (Ich umfasse nicht die Thatsachen zur Genüge,
aber die wissenschaftliche Arbeit ist eine gemeinsame und wenn meine
Darlegungen Gegner erwecken sollte, werden sich auch hoffentlich
Freunde derselben finden, welche die nöthigen Correcturen anzubringen
vermögen.) In solchen Fällen ist der Generationswechsel nicht we-
sentlich verschieden von anderen Arten der geschlechtlichen Zeugung.
Es wird die weite Verbreitung des Keims bewirkt und zugleich ver-
mieden, dass derselbe, sei es in der Keimungszeit zu Grunde gehe,
oder auf ungünstigen Boden falle.
Eine besonders werthvolle Auskunft über die Befruchtung scheinen
die Vorgänge der Parthenogenesis liefern zu müssen, weil hier das Schick-
sal des befruchteten und unbefruchteten Eies deshalb vorzüglich vergleich-
bar ist, weil das unbefruchtete Ei den Entwicklungscyelus durchläuft.
Wenn man Fälle der exceptionellen Parthenogenesis (GERSTAECKER)
ins Auge fasst, sollte man glauben, dass die Wirkung der Befruchtung
sich einfach verfolgen lasse. Der Sachverhalt war z. B. bei Liparis
dispar nach WEIJENBERGH?) folgender. Die Befruchtung ward im
Herbst 1868 beobachtet, aus den Eiern krochen im April 1867 die
Raupen aus, im August 1867 legten die Schmetterlinge, von denen
bereits die Männchen im Puppenstand, hier wie später, separirt worden
waren, parthenogenetische Eier I. April 1868 krochen die Raupen
aus, im August wurden wieder die unbefruchteten Eier II. gelegt.
Diese gaben Raupen im April 1869 und Schmetterlinge im August.
1) Hazckzr’s Alloeo genesis ist durch Fr. E. Schutze: Ueber die Cuninen-
Knospenähren. Mittheilungen des naturwissenschaftl. Vereins zu Graz. 1875. wi-
derlegt.
2) 11.
950 V. Hessen. Beobachtungen über die Befruchtung
Die von letzteren gelegten Eier III. waren im Frühling 1870 ohne
Ausnahme vertrocknet, was früher nur vereinzelter zur Beobachtung
kam. Die Zahl der Männchen gegenüber den Weibchen änderte sich
in diesen Beobachtungen nicht merklich. Dagegen ward eine Beob-
achtung von M. Tarpy von demselben Thier (egger moth) erwähnt, der
in der dritten Generation, die also bei WEIJENBERGH ausblieb, lauter
Männchen erhielt. Die gleiche Beobachtung machte CARLIER (h. S. 131.)
Man würde nach Obigem geneigt sein von einer Erschöpfung der
Lebenskräfte der Individuen oder von deren Eierstöcken zu sprechen,
aber abgesehen davon, dass, wie eingangs ausgeführt, eine solche .Vor-
stellung für gewisse Pflanzen nicht erlaubt ist, muss auch die sehr
bemerkenswerthe Beobachtung von TArpy (selbst wenn sie nicht das-
selbe Thier träfe) Bedenken erregen, denn, wo nur Männchen ent-
stehen, kann sich die Erschöpfung der Lebenskraft höchstens durch
Unfruchtbarkeit des Samens äussern. Diese ist aber mindestens nicht
erwiesen und es ist sehr möglich, dass gerade solcher Same sehr frucht-
bar ist. Wenn übrigens der Tarpy’sche Fall, der sich vielleicht an
die Verhältnisse bei den Aphiden anlehnt, richtig ist, dann scheint
eine regelmässige Stufenfolge in der Parthenogenesis vorhanden zu
sein. Es giebt Thiere, welche fast unbeschränkte Generationen hin-
durch Weibchen erzeugen, Apus, Artemia, Psyche helia, Solenobia tri-
quetrella u. s. w., andere welche gemischt oder in einer gewissen
Folge Weibchen und Männchen, dann Männchen erzeugen, Liparis dis-
par, die Blattläuse, endlich solche, welche parthenogenetisch nur noch
Männchen erzeugen, Bienen und Wespen. Die Richtigkeit dieser
Stufenfolge!) wird bestätigt durch.die Erfahrung, dass bei den erst-
genannten Thieren an gewissen Orten Männchen untermischt vorkom-
men, ja dass sogar ganze Triquetellen-Säcke gewisser Gegenden?) nur
Männchen enthalten... Dazu kommt, dass O. HARTMANN?) nach einer
Begattung, nach der leider die Eier nicht auf Sperma untersucht wor-
den sind, von S. triquetrella nur Weibchen ausschlüpfen sah, von
einem Thier, das fast absolut sicher auch ohne Begattung nur Weib-
chen geliefert hätte. v. SIEBOLD glaubt zwar diesen Fall so deuten
zu müssen, dass die Copulation zu einer Befruchtung nicht geführt
habe, aber wie man aus dem ausführlich gegebenen Citat?) ersehen
1) Nach PrinGsHEIMm, Weitere Nachträge zur Morphologie und Systematik
der Saproleguceen. Jahrbücher der Botanik Bd. IX. (s1), ist die Folge der Par-
thenogenese bei Zwitterpflanzen die, dass die Pflanzen rein weiblich werden,
dies würde also die erste Stufe obiger Reihe sein.
2) i1. 8. 149.
3) Ich füge hinzu, schreibt SteBorv, il. S. 224, dass da, wo etwa eine Aus-
nahme dieser Gesetzmässigkeit störend in den Weg getreten ist, sich ein Grund
und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 351
wird, kommt er zu diesem Schluss lediglich aus theoretischen und
nicht voll ausgearbeiteten Gründen. Er wird mir daher um so mehr
Recht geben, wenn ich hier der, wenngleich unvollkommenen, Beob-
achtung mehr Glauben beimesse als der Theorie, weil die letztere
weiter verfolgt zu schwer annehmbaren Schlüssen führen würde.
Wenn nämlich die Befruchtung zur Bildung von Männchen führen
würde, so wäre dadurch die grösste Gefahr für das Fortbestehen der
Species gesetzt und das kann nicht angenommen werden.')
Nimmt man zu diesen empirischen Thatsachen die naheliegende
Hypothese, dass das notorische Auftreten von Männchen in der
Thelytokie ebenso mit den Folgen mangelnder geschlechtlicher Mi-
schung zusammenhänge, wie dies bei der Arrenotokie stets der Fall
ist, so kommt man zu einem Schluss, der demjenigen ähnlich ist,
welchen A. PAGENSTECHER?) gelegentlich der Kritik von Tmury's
Gesetz aus der Parthenogenese gezogen hat. Bei den meisten Thieren
sind die unbefruchteten Eier so sehr dem Verderben ausgesetzt, dass
sie sich nicht entwickeln können, bei den thelytokischen ist dies zwar
durchaus nicht der Fall, aber theils nach vielen ungeschlechtlichen
Generationen (Hypothese!), theils durch die Stufenfolge der Bombyces
und Bienen hindurch geht diese vollkommene Entwicklungsfähigkeit
in jene Unfähigkeit der Entwicklung über, welche sich bei den meisten
findet. Der Untergang geht also durch ein Stadium hindurch, wo die
Unfähigkeit sich parthenogenetisch zu erhalten kund wird durch die
ausschliessliche Erzeugung von Männchen durch die unbefruchteten
Eier. Dieser Fall stellt sich also als Vorstufe gänzlicher Entwick-
lungsunfähigkeit dar. Da das Ei der Säugethiere nach einer gewissen
für das Fehlschlagen des erwarteten Geschlechts herausfinden lässt. So hätte in
dem oben erwähnten, von Hırrmann beobachteten, Fall, jenes Weibchen der So-
lenobia triquetrella, welches mit einem Männchen eine Begattung eingegangen
war, nur männliche Nachkommenschaft liefern sollen, und doch waren aus den
von diesem Weibchen abgesetzten Eiern gegen alles Erwarten nur Weibchen
zum Vorschein gekommen. Diese Anomalie dürfte indessen nur eine scheinbare
gewesen sein, wenn man sich daran erinnert, dass das im erwähnten Fall be-
theiligte Weibchen nach dem Absetzen der Eier keiner genaueren Untersuchung
unterworfen worden ist, bei welcher es sich wahrscheinlich herausgestellt haben
würde, dass die vorausgegangene Begattung nicht vollständig vollzogen worden
ist und mithin keine Befruchtung zur Folge haben konnte. LEuckArT, Zur
Kenntniss des Generationswechsels, scheint (S. 109) SızBorv’s Ansicht zu theilen.
I) Dass bei einer arrenotokischen Solenebia nach der Befruchtung gar keine
‘ Männchen auftreten dürfen, ist damit nicht gesagt, der Same hat vielleicht
Bar Eiern gegenüber nicht mehr Kraft genug, um daraus Weibchen zu
ilden.
2) Zeitschr. f. wiss. Zoologie, Bd. XIII. S. 269 (t1).
252 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung
Zeit das Vermögen durch die Befruchtung entwicklungsfähig zu wer-
den verliert, so sieht man, wie allerdings in der Parthenogenese der
Trury’sche!) Satz leise anklingt. Es können übrigens Umstände ge- -
nug vorhanden sein, welche es verhindern, dass diese Regel überall
hervortrete.
Noch eine zweite Folge der Befruchtung lässt sich aus den Er-
fahrungen über die Parthenogenesis ableiten. Die unbefruchteten Eier
von Bombyx mori lassen sich nicht gut durchwintern, entwickeln sich
aber, wenn sie sogleich nach dem Legen bebrütet werden. Da eine
Abänderung der Eischale seitens der Mutter bei der Legung des un-
befruchteten Eies nicht beobachtet und auch unwahrscheinlich ist,
findet sich, dass in Folge der Beimischung des Sperma das Ei resi-
stenter gemacht wird. Da die Erfahrung lehrt, dass die Befruch-
tung in dieser ersten Generation keinen Einfluss auf das Geschlecht
hat, so kann auch nicht die grössere Resistenz mit der Geschlechtlich-
keit des Eies in directen Zusammenhang gebracht werden und wir
sind daher berechtigt hier eine andere Art der Wirksamkeit der
Befruchtung zu erkennen, welche nur indirect mit der Wirkung auf
das Geschlecht zusammenhänst.
Fragen wir endlich, welche fundamentale Function die Befruch-
tung nach den vorliegenden Thatsachen habe, so lautet die Antwort
noch wieder anders, wenn gleich nicht besonders befriedigend.
Durchstehende Regel ist es, dass die Befruchtung der
Erhaltung der Species dient: und dass sie dafür nothwen-
dig ist. Indem sie für das Individuum die Mittel zur Fortpflanzung
abgiebt, bewirkt sie häufig noch ein Weiteres wie nur die Erhaltung
der Species, namentlich dient sie zur Erhaltung der betreffenden In-
dividuen selbst, aber nicht in einer abgezweigten, sondern in neu-
gemischter, neuerschaffener Form.?)
l) M. Tuvury, Ueber das Gesetz der Erzeugung der Geschlechter. Leipzig.
1863 (ul).
2) Für diese Auffassung bereitet die Selbstbefruchtung nicht unerhebliche
Schwierigkeit. Ich betrachte dieselbe als ein Mittel, den Zeitpunkt, wo die
Fremdbefruchtung zur Lebensbedingung wird, möglichst zu verzögern, rechne
sie also in diesem Sinne der Parthenogenesis zu. Nach einer entgegenstehenden
Ansicht würde dagegen dadurch die ungeschlechtliche Zeugung in die geschlecht-
liche übergeführt. Es sei z. B. nach PriwGsHEM nicht einzusehen wie die band-
förmig wachsenden Diatomeen (Melosiren ete.) mit fremden Individuen in Copu-
lation treten könnten. Von der Unmöglichkeit solehen Vorganges vermag ich
mich jedoch nicht zu überzeugen, aber ich gebe zu, dass die Thatsachen mehr
für letztere Ansicht sprechen, falls man überhaupt die Angelegenheit schon ent-
scheiden will. Ich erkenne bei der letzten Ansicht nicht recht die ratio der ge-
und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 253
Die Art, durch welche mit Hülfe der Befruchtung die Species
(um Mutter, Vater und Sprösslinge allein kann es sich wegen der
Unfruchtbarkeit der Inzucht nicht handeln) erhalten wird, scheint
verschiedenartig zu sein. Im Allgemeinen kann nur gesagt werden,
dass die Todesursachen durch die Befruchtung vermieden oder hinaus-
geschoben werden. Bei den Einen werden die Keime befähigt zu
durchwintern oder in den fauligsten Massen sich lange zu erhalten,
bei den Andern wird durch die Befruchtung bewirkt, dass der normale
Entwicklungsgang, z. B. die Furchung und ihre Folgen, sich vollenden
kann. Bei Dritten wird die Form des Zeugungsproducts so abgeän-
dert, dass es selbst wieder zeugungsfähig wird, bei Vierten wird nur
die Gefahr, welche nach einer Reihe von Generationen durch Erzeu-
sung von lauter Männchen droht, weiter hinausgeschoben, bei Fünften
endlich wird theils in manniefaltiger Art der Embryo mit der Fähig-
keit sich den drohenden Gefahren zu entziehen und sich neue Gebiete
- zu erobern, begabt, theils unmittelbar der Keim vor dem Absterben
bewahrt.!)
Das Wenige hier Gegebene gewinnt, wie ich hoffe, etwas mehr
positiven Inhalt, wenn es einigen neueren HErörterungen der Zeugung
gegenübergestellt wird.
Am wenigsten weicht meine Auffassung von der JAEGER’S?) ab.
Dieser Autor geht jedoch von einer durchaus hypothetischen, elektro-
dynamischen Erklärung der Lebenskraft aus und bespricht zunächst
die Urzeugung, während ich mich auf rein empirische Basis stütze.
Für gewisse, übrigens naheliegende Schlüsse, wie die über Inzucht und
Bastardzeugung, gebührt JAEGER vor mir die Priorität. Wenn JAEGER
als Wirkung der Befruchtung die Steigerung der Lebenskraft nennt,
ich die Entfernung der Todesursache, so ist der Unterschied in man-
chen Fällen ein rein formaler; in anderen jedoch nicht, wie ich über-
haupt glauben möchte, dass der von mir gewählte Ausdruck für die wis-
senschaftliche Behandlung des Themas geeigneter ist.
schlechtlichen Zeugung, denn das Prineip der Arbeitstheilung scheint mir zu
niederer Art zu sein, um daraus die Zweigeschlechtiskeit zu erklären,
1) Es können die Gesetze der Befruchtung, speciell die der Inzucht zum
Aussterben der Species führen, wie es z. B. wohl bei Alka impenis, bei der die
Species freilich gewaltsam auf eine Familie reducirt worden war, der Fall gewe-
sen ist. Es sind überhaupt trotz Befruchtung ungezählte Species ausgestorben.
Darin liegt ebenso wenig ein Einwand gegen obige Ansichten, als etwa gegen
die Zweckdienlichkeit des Blutkreislaufs fürs Leben eingewandt werden könnte,
dass aus ihm zuweilen Gefahr für das Leben erwächst.
2) ml.
954 V. Hessen. Beobachtungen über die Befruchtung
GOETTE!) fordert von der Befruchtung nur eine Verdichtung der
Dotterrinde und entwickelt aus dieser die Furchungskugeln und ihre
Folgen mit Hülfe endosmotischer Strömungen. Dieselben würden
zunächst eine Verflüssigung im Centrum der Eikugel hervorrufen. Schon
diese Annahme scheint mir nicht statthaft, weil die Lösung im Ei
unter der festgewordenen Rinde eintreten müsste. Ueberhaupt darf
man, wie ich noch weiter unten darlegen werde, die Entwicklung
wohl nicht so unmittelbar auf die Befruchtung beziehen und daher
glaube ich mich hier damit begnügen zu dürfen auf SEMPER’S?) ein-
gehende Besprechung von GoETTE’S bezüglichen Ansichten zu ver-
weisen.
E. van BENEDEN®) hebt hervor, dass das Sperma im Ectoderm,
das Ei im Entoderm entstehe, und legt Gewicht darauf, dass bei der
Befruchtung beide einen Augenblick verschmelzen, um sich dann bei
der Furchung alsbald wieder zu trennen. Es ist jedoch nicht abzusehen,
wie dieser Fingerzeig als allgemein gültig sich bewähren könnte,
denn weder bei der Parthenogenese noch bei den Pflanzen scheint diese
Anschauung eine Base für unser Verständniss abgeben zu können.
Hıs hat in mehreren Mittheilungen *) und zuletzt in seinen em-
bryologischen Briefen?) eine scharf formulirte Ansicht über die Zeugung
ausgesprochen. Die Sätze‘ lauten:
1) Der mütterliche Keim oder das Ei im engeren Sinne des Worts
ist eine zum Wachsthum erregbare Substanz.
2) Unter bestimmten, vorerst nicht allgemein feststellbaren Be-
dingungen kann, wie die Parthenogenesis zeigt, das Ei seine Wachs-
thumserregung aus inneren Ursachen bekommen und demgemäss sich
entwickeln ohne vorangegangene Befruchtung.
3) Wo keine Parthenogenesis besteht, da bedarf das Ei, damit es
zu wachsen beginnt, des Contactes mit männlichem Samen.
Hıs betrachtet also die Zeugung als eine Wachsthumserregung,
welche, abgesehen von speciellen Fällen, durch die Befruchtung gesetzt
werde. . Es ist jedoch meines Erachtens nicht nachweisbar, dass die
Wachsthumserregung die eigentliche und unmittelbare Folge der Be-
DRUrS19:
2) Ueber die GorrTE’sche Discontinuitätslehre des organischen Lebens.
Arbeiten aus dem zool.-zootom. Institut in Würzburg. 1875 (v1).
3) De la distinetion originelle du testicule et de l’ovaire. Essai d’une theorie
de la Fecondation. Bruxelles 1874 (w1).
#) Die Theorien der geschlechtlichen Zeugung. Archiv f. Anthropologie.
Br NG 6 (2 (ei)
5) Unsere Körperform. Leipzig 1875 (y1) S. 152.
und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 955
fruchtung sei. Die Belege dafür sind aus der Vergleichung des be-
fruchteten und unbefruchteten Eies zu entnehmen. Dass die Drohnen
längere Zeit zur Entwicklung gebrauchen wie die weiblichen Bienen,
kann nicht massgebend sein, denn es ist die Nahrung beider Ge-
schlechter verschieden, und alle Eier schlüpfen am dritten Tage aus.
Dagegen wissen wir, dass die befruchteten Eier der Blattläuse und
Seidenspinner überwintern, sich also nicht sogleich entwickeln, die
unbefruchteten dagegen entweder sogleich die Entwicklung beginnen
müssen oder nicht ausdauern. In den geschlechtlich erzeugten Algen-
sporen ruht in vielen Fällen die Entwicklung geraume Zeit, und
PRINGSHEIM!!) sagt von den Saprolegnien ausdrücklich, „es ist sicher,
dass die parthenogenetischen Oosporen früher keimen, als die befruch-
teten.“
Andererseits steht fest, dass in gewissen Fällen die Furchung auch
ohne Befruchtung beginnt, dafür giebt LEUCKART?) eine sehr präcise
Darstellung von Froscheiern, und den gleichen Befund hat wie schon
erwähnt ÖELLACHER®) vom Hühnchen beschrieben. Nun würde mit
einigem Recht gesagt werden können, die Furchung sei kein Wachs-
thum, aber da die Wirkung der Befruchtung schon in der Furchung
selbst deutlich zu Tage tritt, weil letztere ohne Befruchtung in den
Anfängen stehen bleibt, so würde die Anschauung von Hıs durch
solche Begrenzung nur noch schwieriger. Dass die Verschmelzung
der männlichen und weiblichen Geschlechtsproducte die Wachsthums-
fähigkeit des Eies beeinflusst und meistens nachweisbar erhöht, ist un-
zweifelhaft, aber einen so directen Zusammenhang, wie es sich aus
dem Satze von Hıs ergiebt, dürfen wir, glaube ich, nicht annehmen.
Hıs fährt fort:
4) Das Wachsthum als ein nach Raum und Zeit normirter Vor-
sang setzt voraus, dass auch die Wachsthumserregung eine Function
von Raum und Zeit ist.
ö) Soll eine erbliche Uebertragung durch Vermittlung. des Samens
möglich sein, so muss die Wirkung, die der Same auf das Ei ausübt,
eine En von Raum und Zeit sein.
) Ist für die einzelnen Samenfäden das Gesetz gegeben, nach
E. ihre anregende Wirkung zeitlich und räumlich sich ausbreitet,
ist ferner Ort und Zeit ihres Eintritts in das Ei gegeben, und für das
Ei das Gesetz, nach welchem seine Erregbarkeit räumlich sich ver-
1) s1. S. 200 und vor ihm BiscHorr von Säugethiereiern.
2) 1. 8. 958.
Et:
256 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung
theilt, so bestimmt die Combination dieser Bedingungen das Wachs-
thumsgesetz des Keimes, und damit dessen gesammte nachfolgende
Entwicklung.
Weil vorstehende Sätze nicht mehr unbedingt sicher basirt sind,
da die Prämissen Zweifel gestatten, muss man die Thatsachen, welche
auf dieselben Anwendung finden können, aufsuchen. Es scheint an
sich sehr wahrscheinlich, dass Ort und Zeit des Eindringens der Samen-
fäden im Verein mit nicht völlig gleicher Beschaffenheit des Eies einen
Effect haben werden, aber die Thatsachen sprechen nicht dafür.
Es ist keine sehr häufige, aber doch relativ nicht seltene Erfah-
rung, dass menschliche Zwillinge einander von der Geburt an bis zu
einem Alter von 15 Jahren und darüber so vollständig ähnlich sind,
dass nicht nur Fernestehende sie sicher verwechseln, sondern dass selbst
bei intimerem Verkehr eine sichere Unterscheidung nicht gelingt.)
Kann diese Aehnlichkeit durch Raum und Zeit bei der Befruch-
tung erklärt werden? Angenommen es stammten in solchem Fall
beide Eier aus demselben Follikel, seien sich also möglichst ähnlich,
so würde doch die weitere Forderung hinzutreten müssen, dass die
Spermatozoiden nach Zahl, Zeit und Lagerung im Ei sich nahezu
gleich zu verhalten hätten. Sind meine Befunde über Eindringen und
Anzahl der Spermatozoiden ins Ei richtig, so ist die Wahrscheinlich-
keit, dass dieselben sich in beiden Eiern nahe gleich verhalten eine
weit geringere, als dies der Häufigkeit jener Aehnlichkeit der Zwillinge
entspricht.
Nehmen wir dagegen an, die Befruchtung geschähe durch einen
Samenfaden, der nur durch eine Mikropyle eindringen könne. Dabei
wäre, weil der Dotter contractil ist, wenig für eine constante Lage-
rung im Ei gewonnen. Ausserdem lehrt die Erfahrung, dass die Eigen-
schaften eines Mannes in seinen Kindern in sehr grosser Mannigfal-
tigkeit hervortreten können, demnach denn doch das Spermatozoid sehr
muss nach Ort und Zeit variiren können. Es ist also auch für diese
Hypothese schwierig die Identität der Formen abzuleiten.
Leichter verständlich scheint es mir, wenn man in der chemischen
Mischung die Erklärung der vererbten Eigenschaften der Form sucht.
Sind die betreffenden Samenfäden gleich alt, etwa demselben Samen-
kanälchen oder gar, was bei den mechanischen Verhältnissen der Ent-
leerung des Samens wohl annehmbar ist, aus derselben Zelle enstan-
den, so würde auch ihre stoffliche Zusammensetzung so sehr identisch
sein, dass die Identität der Form sich daraus sehr wohl erklärte und
1) Kommen solche Fälle auch bei Drillingen vor?
und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 257
so weit ich zu erkennen vermag, ist die Wahrscheinlichkeit, dass diese
Identität des Spermas stattfinde, nicht geringer, als die, dass ge Zwil-
linge einander vollständig gleichen.
Bisher ist von der Vererbung durch die Befruchtung nicht die
Rede gewesen.
Nachdem uns Hıs, dem ich dafür sehr dankbar bin, durch seine
mechanische Auffassung der Entwicklungsgeschichte von der Nothwen-
digkeit befreit hat, jeden einzelnen Entwicklungsvorgang als nur durch
die Erblichkeit erklärbar anzusehen, seitdem man glauben kann, dass
‘ein dem befruchteten wie dem unbefruchteten Ei, sowie anderen proto-
plasmatischen Gebilden zukommender, in verschiedener Richtung ver-
schieden starker Wachsthumstrieb die Embryonenformen abzuleiten
gestatte, drängt sich die mysteriöse Erblichkeit viel weniger störend
auf. Es kann ja gerne zugegeben werden, dass in jedem einzelnen
Falle die Deductionen von Hıs nur unvollkommen wahr sind, denn
solche Untersuchungen können nicht von einem Einzelnen zu befrie-
digender Sicherheit gelöst werden, sie bedürfen durchaus eines ein-
gehenden und läuternden Kampfes. Ich muss aber sagen, dass einige
Punkte, beispielsweise die Magenbildung und die Gliederung des Ver-
dauungsrohres, so hübsch ausgearbeitet sind, es so deutlich zeigen,
wie zarte und minimale Biesungen und Faltungen unmerklich aber
unvermeidlich und mit eiserner Consequenz zu den wichtigsten Umbil-
dungen führen, dass ich glauben muss, es sei hier der wirkliche Natur-
vorgang sehr glücklich erfasst worden. Sollte dies aber eine Täuschung
sein, so ist es mir doch undenkbar, dass eine Nachuntersuchung eine
andere Correctur anbringen werde als eine solche, welche die Dar-
lesung von Hıs nur feiner ausbaut.
HAECKEL!) citirt die Ansicht von Hıs, dass die Gliedmassen aus
der Kreuzung der vier die Embryonalscheibe abtheilenden Falten resul-
tire, als das Beispiel einer rohen und oberflächlichen Auffassung, die
in der morphologischen Literatur ohne gleichen sei. Ich sehe nicht
ein, weshalb diese mechanische Auffassung, welche wahrscheinlich
richtig ist, so getadelt wird, denn wenn bei den Cephalopoden die
Extremitäten auch aus radiären Falten resultiren werden, bei den Ar-
tikulaten aus Querfaltungen in Folge eines überwiegend raschen Längen-
wachsthums, so ist die daraus entnommene Homologie doch schwerlich
roher, wie die bisherigen Entwicklungen des Begriffs der Extremitäten.
HAECKEL hat in letzter Zeit das Dossier, welches die Wissenschaft von
l) Die Gastreatheorie. Jenaer Zeitschr. f. Naturwiss.. 1874. Bd. IX.
819, (a2).
Zeitschrift f. Anatomie. Bd. 1. Rd
258 V. Hessen. Beobachtungen über die Befruchtung
den Organismen in der Erblichkeit zu tragen hat, immer nur vermehrt,
ich darf seinen Büchern gegenüber um so mehr das Verdienst auch
der kürzesten Mittheilung, die uns vor der Herrschaft der Erklärungen
durch die Erblichkeit zu retten versucht, hervorheben, als ich selbst in
den nachfolgenden Untersuchungen diese Frage kaum berühre.
Wenn man nur jene kleinen Eigenthümlichkeiten, welche sich in
einer sehr vorgeschrittenen Embryonalperiode oder noch später zu er-
kennen geben, und welche auf gleiche Eigenthümlichkeiten der Erzeuger
oder früherer Vorfahren zurückdeuten, betrachtet, so handelt es sich
dabei um ganz accessorische Dinge, die freilich schon im befruchteten
Ei oder früher virtuell vorhanden sein müssen.
Ich möchte sie in ganz geringen Nüancirungen der chemischen
Massenverhältnisse resp. in minimalen Beimischungen sehen. Aus
einer solchen kann ich mir nicht weniger die Entstehung z. B. des
Pulls des Huhns erklären, als aus einer im Anfang vorhandenen
Formveränderung. Die letztere müsste doch so äusserst klein gedacht
werden, dass die Moleküle, welche das Mehr oder Minder bewirken,
an Grösse wenig differiren könnten von den chemischen Atomen oder
Atomeomplexen. Ich bin daher geneigt zu glauben, dass man in
Bezug auf diese Erblichkeit kaum zu discutiren braucht, ob formelle
oder chemische Abänderungen der Zeugungsstoffe als die Ursache an-
zusehen sind.
Schliesslich habe ich noch auf die sehr lesenswerthen „physiolo-
gischen Bemerkungen“ von MiESCHER (d1. S. 54) einzugehen. Zu-
nächst wendet er sich gegen den Gedanken, dass besondere Ferment-
stoffe im Sperma eine Rolle spielen könnten denn abgesehen davon,
dass er nichts dergleichen gefunden habe, sei im Ei nicht für die
Verbreitung des Ferments genügend gesorgt. (Dieser Einwand würde
sich wohl durch die Beobachtungen der Dottereontractionen wider-
legen.) Es enthalte das Ei die gleichen Stoffe wie das Sperma, wie
könne also das Hinzutreten von einem Minimum einer Substanz, die in
reichlicher Menge bereits vorhanden sei, so entscheidend in den gan-
zen Haushalt des Eies eingreifen ?
Nicht in einer bestimmten Substanz könne das Räthsel der Be-
fruchtung verbergen liegen, nicht ein Theil, sondern das Zusammen-
wirken aller Theile sei das Wirksame. Dies ergebe sich auch aus
dem verhältnissmässig grossen Antheil, den der Vater, trotz der klei-
nen Masse, welche er zum Ei gebe, an der Vererbung habe. (Wie
gross die Masse ist, welche in der Form von Sperma in den Dotter
dringen kann, ist, wie ich einer mündlichen Mittheilung von KUPFFER
und Entwicklung «des Kaninchens und Meerschweinchens. 259
über die Befruchtung der Heringseier entnehme, ‚gar nicht so sicher
abzugrenzen.)
Specifische Befruchtungsstoffe gebe es nicht. Die chemischen
- Thatsachen hätten secundäre Bedeutung, es handle sich, bildlich ge-
sprochen, um einen Apparat, der eine Bewegung irgend einer Art er-
zeugt oder umsetzt. Die Auffassung der Befruchtung als eines phy-
sikalischen Bewegungsvorganges ist die einzige, welche nicht mit fest-
stehenden Thatsachen sich in Widerspruch befindet. Molekulare Vor-
sänge der Art, wie die bei der Nervenerregung, werden als Paradig-
men der Befruchtungsvorgänge hingestellt, ausserdem aber könne die
Bewegung des Spermatozoids auch noch von Einfluss sein.
Ich halte die Basis, von welcher MIESCHER ausgeht, die Gleich-
heit der chemischen Zusammensetzung von Ei und Sperma, die von
ihm durch exacte Untersuchungen festgestellt wurde, für völlig richtig.
In seinen Schlussfolgerungen geht er jedoch nicht so weit, wie dies
erforderlich zu sein scheint. .Er stellt nämlich einen reizenden Stoff
einem reizbaren gegenüber, von zwei völlig gleichen Substanzen kann
aber nicht wohl die eine die Eigenschaft haben die andere zu reizen
resp. durch die andere gereizt zu werden.
Die Thatsache, dass es sich um völlig gleiche Stoffe bei der Be-
fruchtung handeln könne, konnten wir schon lange mit aller wünsch-
baren Schärfe erschliessen, seitdem wir nämlich die Vorgänge der
Conjugation kennen gelernt haben. Die conjugirenden Individuen
können so gleich sein, wie nur möglich ist und fruchtbar con-
jugiren, so weit wir wissen. Hier werden .also in gewaltsamer Weise
die Massen, die chemischen Körper, vermehrt und durch Flüssigkeits-
ausscheidung etwas verdichtet, Reizungs- oder Fermentations- Vorgänge
anzunehmen, haben wir keinen objectiven Grund. Dass auch für an-
dere Fälle der Befruchtung dieser Process stattfinde, das, scheint mir,
ist die sichere Folgerung aus den Untersuchungen von MIESCHER.
Dagegen scheint mir nach dem Gesagten die Möglichkeit nicht
vorhanden, als Fundamentalvorgang eine „Reizung“ anzunehmen.
Allerdings zwingen uns die Erfahrungen über Inzucht etc. weiter
zu suchen, aber dabei handelt es sich um Dinge, die vorläufig der
chemischen Analyse nicht erreichbar erscheinen und da MIESCHER in
diesem Sinne nicht weiter gegangen ist, glaube auch ich mich eines
Eingehens auf dieselben enthalten zu dürfen.
Eine Zusammenfassung der dargelegten Verhältnisse führt etwa
zu folgenden Sätzen:
1) Die Befruchtung des Eies ist ein Vorgang für sich, der nicht
unmittelbar mit der Weiterentwicklung desselben zusammenhängt.
ri
260 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung
2) Der Grundvorgang ist die Verschmelzung zweier bis dahin ge-
trennter Complexe organischer Substanzen. Sind diese Substanzen aus
sehr vollkommen ähnlichen oder auch aus sehr verschiedenen Säften
entstanden, so hat der Vorgang nur unvollkommen oder gar nicht den
beabsichtigten Erfolg.
Der allgemeine Erfolg ist die Erhaltung der Species, welche durch
die geschlechtlich erzeugten Individuen, sowohl vor zu beträchtlichen
Variationen, als auch, in sehr verschiedener Art, vor Todesursachen ge-
schützt wird.
Der specielle Erfolg ist die Fernhaltung der Todesursachen vom
Keim und dessen Producten. Dieser Erfolg manifestirt sich in den
einzelnen Fällen in verschiedener Weise.
11. Entwicklung des Kaninchens.
Die Eier.
Die Furchungsstadien wurden mit Bezug auf die Frage untersucht,
ob sich etwa Andeutungen eines Einstülpungsprocesses wahrnehmen
liessen, es fand sich jedoch nichts Derartiges.
Der Dotter nimmt in den Tuben an Volumen nicht zu. Die ge-
ringfügige Vergrösserung, welche der Durchmesser der ungefurchten
Dotterkugel gegen den gefurchten Dotter zeigt, ist wohl lediglich
auf Flüssigkeitsansammlungen zwischen den Furchungskugeln zu be-
ziehen. Obgleich alle Stadien der Furchung durchmustert worden
sind, wurde die nach BiscHhorr in einem bestimmten Stadium auf-
tretende Verschmelzung der Furchungskugeln nicht beobachtet. Dies
beweist natürlich nicht viel, soll die Angelegenheit sicher entschieden
werden, wird man versuchen müssen Reheier frisch in der Mitte des
December zu bekommen. Da ich selbst schwerlich die Gelegenheit
zu einer solchen Untersuchung finden werde, erlaube ich mir darauf
aufmerksam zu machen, dass eine erneute Untersuchung jenes Thieres
ein Desiderat ist.
Im Uterushorn angelangt bleiben die Eier einige Stunden in der
Spitze desselben liegen und es beginnt, indem sich die Keimblase ent-
wickelt, das Stadium rascher Vergrösserung des Eies. Der Dotter ist
im Anfang dieser Periode noch recht undurchsichtig, so dass es schwie-
rig wird die erste Spur der Keimhöhle zu erkennen. Sie beginnt
peripher zwischen einer einfachen äusseren Zelllage und dem Rest der
Dottermasse, als im Querschnitt halbmondförmiger Raum. Dies Stadium
und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 261
ist von BARRY!) abgebildet worden, die weitere Entwicklung ward
durch die Abbildungen E. van BENEDEN’S?), dann von Cosrte?), Bı-
SCHOFF*) und MEISSNER?) dargestellt.
Nachdem die Keimhöhle entstanden ist und dadurch die Eier ein
wenig gewachsen sind, beginnen sie zu wandern und zwar dicht an
einander liegend. In einem Falle, den ich für normal halte, fand ich sie
alle dicht am Cervix uteri, es scheint, dass sie einmal hier angelangt,
sich zu vertheilen beginnen, denn vorher liegen sıe stets dicht bei einan-
der. Der Eintritt in den Uterus erfolgt etwa in der 70. Stunde (3 Tage).
Das Festsetzen in der 142. bis 148. Stunde (5 Tage 2—8 St.). 8 Eier
von 96 Stunden massen 0,134 bis 0,2 mm. inneren Durchmessers,
5 Eier von 111 Stunden 0,997, 1,26, 1,29, 1,30, 1,33 mm.; 7 Eier von
106 Stunden 0,865 bis 1,13 mm.; 5 Eier von 123 Stunden 2,26 bis
2,19 mm.; von 128 Stunden 3,75; von 142 Stunden 4,26 mm. Nach
BiscHoFF, dessen Zeitangaben nicht so eingehend sind, messen die
Eier von 0,18 bis 4,75 mm. im freien Zustand. Uebrigens sind die
Eier, namentlich im letzten Theil dieser Periode und darüber hinaus
an Grösse so verschieden, dass man präcisere Angaben nicht leicht ge-
winnen wird. Das Festsetzen der Eier scheint mit deren Grösse zu-
sammenzuhängen, die Zeitangabe, welche ich darüber gemacht habe, ist
daher nicht verlässlich. In den folgenden Stunden setzen sich die
Eier fest, so dass es immer schwieriger wird, sie intakt zu erhalten.
BISCHOFF ist darin geschickter gewesen, wie ich, er hat sie von
5,4 mm. bis zu 10mm. Grösse noch gelöst, während ich nur bis 8 mm.
gekommen bin.
Man kann alle diese Eier vortrefllich conserviren. Zunächst: legt
man sie mit etwas Serum in sehr geringe Mengen MUELLER’scher
Flüssigkeit und vermehrt die letztere nach Verlauf einiger Stunden.
Es gelingt meistens, ein Zusammenfallen der Keimblase zu verhüten.
Man lässt dann das Ei einige Monate in der Lösung und bringt es
endlich in Spiritus. Lässt man es in der Lösung, so zerbricht das
Ei in 5 bis 6 Jahren, legt man es gleich in Spiritus, so gerinnt die
Flüssigkeit in der Keimblase vollständig.
Die Eihaut (Zona pellueida und Eiweiss), die wohl füglich als Pro-
chorion bezeichnet werden könnte, bekommt nach BiscHorrF vorüber-
!) M. Barry Researches Third Series. Philosoph. Transactions 1840. Fig. 234
(b 2.).
SSSPL XII. Eis. 10.
2) 8.
4) a.
5) x.
262 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung
gehende Zotten. LIEBERKUEHN!) findet dieselben nicht an den Eiern
des Maulwurfs. Die Bildungen auf dem Kaninchenei bestehen, wie
auch mir scheint, aus Auflagerungen homogener Masse.
Von einem Auswachsen aus der Eihaut habe ich mich nicht über-
zeugen können. Das Prochorion wird nicht resorbirt, sondern man
kann es, als freilich sehr feines Häutchen, noch am 20. Tage nach
der Befruchtung nachweisen.
Die Bildung der Keimscheibe.
BiscHorr?) drückt sich zweifelnd über die Abstammung der Keim-
scheibe (Fruchthof) aus, es könne sein, dass sie von dem Dotterrest
abzuleiten sei, den er beim Entstehen der Keimblase im Ei sah. Nach
Coste’s Abbildungen verhält sich die Sache unzweifelhaft in dieser
Weise. Ueber Barrr’s Angaben muss ich im Allgemeinen BiscHorr’s
Ansicht theilen, ich -kann dieselben für die Entwicklung nur aus-
nahmsweise zur grösseren Sicherstellung der Thatsachen verwerthen.
In Fig. 9 ist ein Ei gezeichnet, welches neben der Keimscheibe
einen Dotterrest enthält. Die daneben gefundenen 4 Eier waren sämmt-
lich etwas grösser und hatten nichts Derartiges. Ich habe auch nicht
wieder, obgleich dieselben Stadien später noch einmal erhalten wurden,
solche Bildungen gesehen. Ich nehme an, dass in diesem Fall eine
kleine Abweichung vom gewöhnlichen Gange stattgefunden habe. Durch
irgend einen Zufall mag es vorkommen, dass einzelne Furchungs-
kugeln ihre Dotterkörner nicht ganz auflösen und dann nicht in die
Keimhautbildung eingehen. Nach allem, was sonst vorlag, halte auch
ich es für sicher, dass die centralen Furchungskugeln nicht in die
Keimhaut aufgehen, sondern als innere Schicht an einer Seite des
Eies liegen bleiben und hier die von Anfang an zweischichtige Keim-
scheibe entstehe.
Die durch eine wohlabgerundete Umgrenzung, dicke und gerin-
gere Durchsichtigkeit charakterisirte Keimscheibe entwickelt sich lang-
sam aus Vorstadien, die mit dem ins Innere des Eies vorspringenden
„Dotterrest“ beginnen und etwa durch den Namen Keimhügel von der
vollendeten Keimscheibe unterschieden werden können. Wenn das
Ei die Grösse eines halben Millimeters und darüber erreicht hat (Fig. 9
und 10), zeigt es sich in einem Quadranten innen von einer Lage
I) Ueber die Keimblase der Säugethiere. Sitzungsberichte der Gesellschaft
für Beförderung der gesammten Naturwissenschaften zu Marburg. No. 5 und 6
1875. 8. 66 (e2).
2) 82.92.
und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 263
etwas undurchsichtiger Zellen ausgekleidet, welehe so vertheilt liegen,
dass sie im Centrum dicht und z. Thl. mehrschichtig lagern, nach der
Peripherie zu dagegen mehr und mehr verstreut auftreten. So weit
die einzelnen Stadien, welche ich gesehen habe, ein Urtheil erlauben,
ist das Centrum dieses Keimhügels der Ort der zukünftigen Keimscheibe.
Das Aussehen dieses Centrums zeigt an einer Falte des zusammen-
gefallenen und von dem Prochorion befreiten Eies die Fig. 11 A. Die innere
Lage lässt sich von der bis jetzt einschichtigen Keimhaut als ein
Stratum abziehen, ob ohne jede Zerreissung, vermag ich nicht zu
sagen. An den isolirter liegenden Zellen erkennt man, dass sie durch
ein anastomosirendes Netz von Ausläufern mit einander zusammenhängen.
Fig. 11 B.
In späteren Stadien häufen sich diese Zellen mehr im Centrum
an; es findet also, wie auch Coste’s Figuren ergeben können, zu-
nächst eine diffuse Verbreitung des Keimhügels statt, dann, unter be-
trächtlicher Vergrösserung des Eies, ein Zusammenziehen derselben.
Theilweise mag dies die Folge des Wachsthums sein, doch verstehe
ich die Ursache der vorübergehenden Vertheilung nicht ganz, da das
Einfachere zu sein scheint; dass die Masse der Furchungskugeln zu-
sammenhalte.
Wenn die innere Zellenmasse sich zusammenzieht, geschieht dies
zunächst in einer etwas unregelmässigen Form, so dass man das Bild
Fig. 13 u. 16C. erhält. Dies Ei lag neben anderen, z. B. dem Ei Fig. 14
im Uterus. In allen übrigen Eiern war die Keimscheibe völlig gerundet,
so dass dies gelappte Stadium als ein sehr rasch vorhergehendes an-
zusehen ist. Während der Ausbildung der Keimscheibe werden die
inneren Zellen rasch durchsichtig, so dass sie jetzt weit weniger in
die Augen springen als vorher. Leider habe ich den Keimhügel
Fig. 16C. nicht weiter präpariren können, jedoch von den Eiern dieser
Stadien glaube ich angeben zu können, dass das, was ich an ihnen
suchte, nämlich Einstülpungen, oder Vorgänge, die sich irgendwie an
die Entwicklungsvorgänge beim Amphioxus hätten anschliessen lassen,
nicht auffindbar schienen.
Als ziemlich allgemeines Verhalten finden wir wohl nur, dass die
Zellen des unteren Keimblattes sichunmittelbarer aus den Furchungs-
kugeln entwickeln, wie diejenigen des äusseren.
Verhalten der Keimscheibe.
Eine sehr nahe folgende Stufe, Ei Fig. 14, wurde genauer
zergliedert. Die Scheibe erscheint kreisrund und dunkler und
264 V. Hessen. Beobachtungen über die Befruchtung
dicker wie die anderen Theile der Keimhaut. Dieses rührt jedoch
nicht davon her, dass sich unter dem äusseren Keimblatt noch das
innere befindet, denn letzteres kann über die Keimscheibe hinausgreifen;
ohne dass dieser Habitus beeinträchtigt wird, sondern daher, dass die
Zellen des äusseren Keimblatts begonnen haben, cylindrisch und
(daher?) trüber zu werden. An einem dieser 124 St. alten Eier. habe
ich versucht, die beiden Blätter in der Keimscheibe zu trennen. Fig. 16
Au.B. Ich hatte mich zunächst an einem nicht gezeichneten Querschnitt
von der angegebenen Beschaffenheit der Zellen überzeugt. Die Tren-
nung ging mit Hülfe von Nadel!) und Pinsel leieht vor sich, nur in
der Mitte hielten die beiden Scheiben fest zusammen und obgleich es
schliesslich, nachdem sie rings getrennt waren, gelang, sie von ein-
ander abzuziehen, so liess sich nicht nur aus ihrem mechanischen
Verhalten die Ueberzeugung gewinnen, dass sie hier verwachsen seien,
sondern auch das Präparat wies nach, dass ein Punkt, welcher in der
Mitte des inneren Blattes, Fig. 16 B., sich zeigte, nichts anderes war, als
ein, dem äusseren Blatte angehörendes Zellstück.
Ich habe hier einzuschalten, dass die Vergrösserung klein genom-
men worden ist, weil es nicht anging, von allen diesen Verhältnissen
grosse und namentlich für die Drucklegung kostbare Zeichnungen zu
machen. Dies war häufiger eine Verlegenheit für mich. Die Zellcon-
touren waren bei stärkerer Vergrösserung deutlich an dem Präparat
zu erkennen, dagegen entsteht bei dieser Vergrösserung des gefärbten
Präparats der Eindruck, als seien keine Zellen vorhanden. Ich be-
merke daher hier ein für alle Mal, dass ich die Zellcontouren nir-
gsends in dafür geeigneten Präparaten vermisste, treten sie nicht ge-
nügend hervor, so liegt der Grund theils in der Vergrösserung, theils
darin, dass es die Zeichnungen unglaublich erschwert, wenn an solchen
embryologischen Präparaten für jeden Kern die zugehörende Zellcon-
tour ermittelt werden soll. Es sind nur einige Zeichnungen letzterer
Art mitgetheilt worden.
Ein etwas weiter entwickeltes Ei desselben Uterus zeigt (Fig. 14)
die Umwachsung des Eies durch das innere Keimblatt. BıscHorr’s
Darstellung dieses Verhaltens kann ich nur bestätigen; dass die Ab-
lösung der Keimhaut von der structurlosen Eihaut, welche er zeichnet,
ein Kunstprodukt ist, versteht sich von selbst, wenn er es auch kaum
ausdrücklich angab, — die Keimhaut liegt immer dicht an der Zona.
!) Für angehende Mikroskopiker bemerke ich, dass man sich dafür nicht der
Nadeln, Messer und Pincette, welche z.B. noch heute Hartnack und PrAzMowskI
ihren guten Mikroskopen beigeben, bedienen darf. Ich lobe den Anfang, welcher
damit beginnt, diese Dinge ins Meer zu versenken, wo es am tiefsten ist.
und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens, 265
Die Umwachsung geschieht mit Hülfe von ramificirten Zellen,
Fig. 15. Die Zellen sind platt und das Bild der Ausläufer ist in na-
tura ein sehr hübsches. Diese innere Keimhaut lässt sich an der Peri-
pherie überall ohne Zerreissungen abheben und löst sich zuweilen
spontan. Während also in der Keimscheibe, nach den derzeitigen
Vorstellungen, denen auch ich anhänge, die weitere Ausdehnung da-
durch hervorgebracht wird, dass die Zellen an Dicke zunehmen, sich
theilen und wiederum an Dicke zunehmen, auf solche Weise die pe-
ripher gelegenen Zellen der Scheibe immer weiter von dem Centrum
abdrängend, waltet bei der Umwachsung des Eies ein anderer Vor-
sane. Die Zellen senden Ausläufer ab, welche centrifugal (Keim-
scheibe als Centrum genommen) innen auf dem äusseren Keimblatt
vordringen. In den verschmelzenden Ausläufermassen entsteht alsdann
ein neues Zellencentrum, in welcher Art, habe ich nicht studirt. Jeden-
falls liegt zunächst ein Zellennetzwerk vor, das sich dann mit der
Zeit so verdichtet und zusammendrückt, dass daraus das Bild eines
Zellenstratums entsteht.
Umwandlung der Keimscheibe in den Embryo.
a. Aeussere Form.
In Bezug auf die Entstehung des Embryo komme ich zu erheb-
lieh anderen Resultaten wie BıscHorr. Ich finde nämlich, dass der
Embryo nicht in der Keimscheibe angelegt wird, sondern mit ihr
identisch ist, also die ganze Keimscheibe zum Embryo wird. Sobald
die Keimscheibe vollendet ist, haben wir also im Ei eine Zweitheilung
in 1) Embryo = Keimscheibentheil des äusseren (animalen) Blattes
und ganzes innere (vegetatives) Blatt und 2) accessorischer Eitheil, d.h.
die nur aus dem äusseren Keimblatt gebildete, einschichtige Keim-
blase!). Alle späteren accessorischen Theile, also mittleres Keimblatt
in Amnios und Chorion, der ganze Dottersack und die Allantois sind
vom Embryo gebildete Theile.
Der Unterschied in der Darstellung von BıscHoFF und mir ist
auffallend, namentlich wenn man die betreffenden Figuren vergleicht.
Eine Area pellucida, welche den Abbildungen BıscHorr'’s ein charak-
teristisches Gepräge verleiht, konnte ich nicht finden, die Area opaca
1) Ich bemerke schon hier, dass die Gefässbildung nicht bis zu den ersten
Anfängen verfolgt worden ist. Aus diesem Grunde ist die obige Abgrenzung
aicht ganz sicher, denn wenn ich auch nichts weiter wie die genannten Theile
sesehen habe, so kann Sicherheit erst dann gewonnen werden, wenn man alle
späteren Bildungen von der ersten Spur an kennt.
\
266 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung
ergiebt sich als eine Umwachsung des Eies durch das mittlere, Keim-
blatt mit Verdickungen in der Nähe der Keimscheibe, nicht aber als
Theil der letzteren.
Unsere Figuren kommen eigentlich erst wieder bei Fig. 53 Bı-
SCHOFF’S zusammen, wo dessen Area pellucida verschwunden ist. Seine
Entwicklung des Hundeembryo widerspricht weniger meiner Darstel-
lung, nur seine Fig. 43c. steht nicht damit im Einklang.
Ich kann die Unterschiede nicht ganz erklären, jedoch dürften sie
theilweise in der Schwierigkeit der Untersuchung ihre Begründung
finden. Wenn man BıscHhorr’s Beschreibung!) liest und seine Me-
thode anwendet, ergiebt sich, dass die Darstellung der betreffenden
Stadien nicht ohne den Verlust eines erheblichen Materiales gelingt. Dieser
Verlust trifft namentlich die Stadien Fig. 22 bis 29, welche in der
That in Bıscnorr’s Tafeln fast ganz fehlen. Bekommt man eine
Keimscheibe frisch heraus, so pflegt sie doch so sehr gelitten zu haben,
dass man nicht überzeugt sein kann, ein richtiges Bild der Verhält-
nisse bekommen zu haben, es musste daher das Verfahren geändert
werden. Ich fixire den Uterus unter MuELLer’scher Flüssigkeit,
schneide die Eier von der freien Seite des Uterus aus ausgiebig auf,
und hindere durch das Einstechen von Nadeln die Wände des Uterus
daran, sich zu contrahiren. Nach ca. 24 Stunden lässt sich dann die
Keimscheibe mit einiger Vorsicht loslösen und man findet sie in der
Regel glatt und wohlerhalten.
Die Umformung der Keimscheibe in den Embryo ist ein so ein-
facher Process, dass sich derselbe, wie ich meine, schon aus der Reihen-
folge meiner Abbildungen ablesen lässt. K. E. v. Baer?) hat das
Verhalten völlig richtig angegeben, obgleich seine Untersuchungen wohl
nicht ausgereicht haben dürften, um die eingehenderen Angaben Br-
SCHOFF’S zu widerlegen. Der Embryo zeige sich zuerst in Form
eines verdickten Schildes: „Dieses ist anfangs rundlich, wird dann
länglich, zeigt einen Primitivstreifen, der mir, beim Schwein wenig-
stens, das eine Ende des Schildes fast zu erreichen schien. Diese
Stelle ist das hintere Ende des Thieres. Dagegen erreicht das vor-
dere Ende des Primitivstreifens lange nicht den vorderen Rand des
Schildes. Die Spaltung in ein animalisches und ein vegetatives Blatt
tritt hier noch früher auf, als sich die Rückenwülste erheben, und
wirkt so kräftig, dass die Seitenränder des Schildes sich nach oben
krümmen. Nur am Primitivstreif bleibt die Anheftung.
a8. 101 f£.
2) Ueber Entwicklungsgeschichte der Thiere. Königsberg 1837, Prs. 1.
S. 184 u. 208 (d 2). Das Citat auf letzterer Seite.
und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 267
Prevost und Dumas!) betrachten nicht die Keimscheibe als den
eigentlichen Embryo, sondern die Medullarplatte. Sie geben für den
Hundeembryo eine Area pellucida an, wahrscheinlich werden Quellun-
sen daran Schuld sein.
Dass BAER von dem Schilde in einem hellen Fruchthof
spricht, wie BIscHoFF (a. S. 109) angiebt, finde ich nicht, und kann
nur sagen, dass ich überhaupt keinen hellen Fruchthof sehe, von dem
auch LIEBERKUEHN (c. 2) nicht spricht. Nach BıscHorr würde die
Area pellueida in späteren Stadien rings um den Embryo verschwinden
und nur am Kopfe allein sich erhalten. In diesem Stadium findet
man sie auch auf meinen Abbildungen. Hier sieht man eine starke
Aufhellung, welche mit einer Abplattung der betreffenden Zellen zu-
sammentrifft. Dieser Theil wird zur Kopfkappe, welche sich also ihrer
Structur nach schon ausbildet, ehe die entsprechenden Falten sich ent-
wickeln. An dieser Stelle muss sich die Wandung des Dottersacks
zuerst abspalten.
Die Keimscheibe geht in der Zeit bis zur Bildung der Urwirbel-
platten verhältnissmässig wenige Aenderungen ein, sie bleibt flächen-
haft, wächst jedoch rasch. Die ursprünglich nur wenige tausendstel
Millimeter ‘messende runde Keimscheibe wächst bis 0,89 mm. Dann
wird sie oval und erreicht bis zur Urwirbelbildung (in 24 Stunden)
die Länge von 4,9 mm.
Im Ganzen sind die Flächenansichten der verschiedenen Stadien
nicht sehr präcise. Es handelt sich, abgesehen von der primitiven
Medullarrinne und der Umgrenzung der Scheibe um so feine Schat-
tirungen, dass das Auge leicht irre geht. Auch gelingt es nicht
immer, die Scheibe vor jeder Faltenbildung zu bewahren, wie sich
denn eine solche in Fig. 21 eingefunden hat und sobald Derartiges »
entstanden ist, hört die Zuverlässigkeit der Beobachtung auf.
Sobald die Keimscheibe beginnt eiförmig zu werden (Fig. 17 A
und B), ist das hintere Ende in der Mittellinie etwas dunkler und
springt dort, namentlich von der Mitte bis zum letzten Viertel, etwas
vor. Dieser dunkle Streif persistirt fortan, er rückt jedoch fortdau-
ernd etwas nach hinten und setzt sich seitlich nicht scharf ab, son-
dern reicht dünner und durchsichtiger werdend bis nahe an den Rand.
Er ist der Primitivstreif und entspricht in manchen Stücken der
Schilderung, welche Dursy?) fürs Hühnchen von ihm gegeben hat.
1) De la generation dans les Mammiferes. Annales des seiences naturelles
Tom. III (e 2).
2) Der Primitivstreif des Hühnchens 1866. (f 2)
268 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung
Nach Vorne bildet sich ein scheibenförmiges Ende an ihm aus, wel-
ches ich als Knoten bezeichnen werde. Fig. 25 C, Fig. 22, 23 u. 26.
Letztere Bildung entwickelt sich gleichzeitig mit einer Rinne, welche
von ihm äus bis in die Nähe des Vorderrandes verläuft. Dieselbe
entsteht zuerst als helle Grube dicht vor dem Primitivstreif, geht dann
aber rasch bis zum Vorderende hin. Sie bildet einen Theil dessen,
was die Autoren als Primitivrinne beschrieben haben, jedoch man hat
hierzu auch, sei es den Primitivstreifen selbst, sei es eine kleine Längs-
rinne in diesem, die jedoch nur ganz im Anfang auftritt und nicht so
hell, überhaupt wenig markirt ist (Fig. 20 B), gezogen. Ich schlage
daher vor, die Rinne bis zum Primitivstreif als primäre Medullarrinne
zu bezeichnen. In der That findet man sie noch in später Zeit als seichte
Einbuchtung an Querschnitten des vorderen Theils der Medulla wieder.
In dem vordersten Theil der Keimscheibe findet sieh die Rinne
nicht mehr, im Gegentheil ist das ganze vordere Ende rings etwas
verdickt, da sich dort das Herz anlegt, Fig. 23Hz. Um die Keim-
scheibe, am wenigsten vorne, am weitesten hinaus hinten, entwickelt
sich die Area opaca als Folge des Auswachsens der Lagen des mitt-
leren, und Trübung des äusseren Keimblatts.
Bei jüngeren Keimscheiben genügt die Beobachtung von oben
nicht, um die Gestalt der Oberfläche zu erkennen. Von einer Keim-
scheibe, welche der Fig. 21 genau glich und demselben Thier ent-
nommen war, 178 Stunden alt, 1,408 mm. lang, 1,163 mm. breit war,
habe ich daher eine Reihe von Querschnitten gemacht und auf der
vorher gezeichneten Keimscheibe den Ort bemerkt, woher diejenigen
der 8 Schnitte genommen sind, welche gezeichnet wurden. Dieselben
liegen mir vor, doch habe ich geglaubt, ihre Veröffentlichung unter-
lassen zu dürfen. Aus ihnen ergiebt sich, dass in diesem Sta-
dium dicht am Vorderende eine schwache Längsrinne sich in beiden
Blättern findet, im breitesten Theil findet sich keine Rinne oder Ver-
dünnung, eher eine schwache Verdickung, in der Mitte zeigt sich
eine flache, rinnenförmige abgerundete Verdünnung des äusseren Blat-_
tes, dann zwischen zweitem und drittem Drittel ein flacher, aber deut-
lich ausgesprochener Höcker, ?/,, der Breite der Keimscheibe an dieser
Stelle, nämlich die Strecke von 0,027 mm. einnehmend. Dahinter
folgt dann eine nicht tiefe, aber ziemlich scharf eingeschnittene Rinne
auf dem Primitivstreif, welche sich noch weiter hinten rasch abflacht.
Dabei wird die ganze Scheibe dieker und stärker eonvex. Am Schnitt
durch die Endspitze der Keimscheibe, ragt diese als knotige Ver-
diekung aus der dünnen Keimhaut heraus. In späterer Zeit schwindet
die Rinne im Primitivstreif vollständig.
und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 269
Hier muss ich auf eine Lücke meiner Beobachtungen aufmerksam
machen. Es frast sich, ob die an der ganz jungen Keimscheibe oben
besprochene Yernachsume zwischen innerem und äusserem Blatt con-
tinuirlich in die Bildung des Primitivstreifs eingreift oder nicht?
Wäre ersteres der Fall, so müsste sich diese ursprünglich im Centrum
der Scheibe liegende Stelle rasch nach hinten verschieben. Ich glaube
zwar, dass dies so sein wird, aber ich bekam jenes Präparat erst spät
und bin daher nicht dazu gekommen, die Stadien der ovalen Keim-
scheibe so genau zu durchsuchen, wie dies erforderlich ist. BISCHOFF
zeichnet die Blätter der runden Keimscheibe getrennt, aber auch bei
der eiförmigen Keimscheibe zeichnet er die Blätter im Primitivstreif
getrennt. Letzteres lässt sich aber nicht ohne Zerreissungen machen,
so dass ich glauben muss, die unerhärtete Keimscheibe eigne sich
nicht für den Nachweis von Verwachsungen.
Es ist noch die Bemerkung nachzutragen, dass die Keimscheibe
dem Prochorion besonders fest anliegt. Meine Angabe weicht hier von
derjenigen BiscHorr’s ab, jedoch ich habe Fälle gehabt, so z. B. das
Ei Fig. 17, wo sich die Keimhaut nach einigem Manipuliren überall
ablöste, aber die Keimscheibe alle Drehungen des Eies ertrug, ohne
sich abzulösen und erst nach energischeren Versuchen sich glatt von
der Zona trennte.
b. Innere Struetur.
Wir können nunmehr die inneren. Umwandlungen in dem gege-
benen Zeitabschnitt verfolgen.
Der Schnitt Fig. 18 geht durch ein Ei mit runder Keimscheibe,
und zwar durch das Ei Fig. 14, in welchem die Umwachsung des
inneren Keimblattes schon begonnen hat. Der Schnitt ist nicht über-
all gleich fein, so dass theilweise die Keimhautfläche vorliegt. Die
innere Keimhaut geht nur über das obere Drittheil des Kies; wenn an
anderen Stellen die Keimhaut zweischichtig erscheint, so möge man
dies aus der Drehung beim Uebergang von der Flächen- in die Kanten-
ansicht erklären. Die Keimscheibe ist, so weit ich gesehen habe, nur
zweischichtig, es ist jedoch möglich, dass ein Zusammenhang der
Blätter ausserhalb des Schnitts sich gefunden habe. Drei Blätter
treten deutlich in dem Ei (Fig. 17) auf, ein Längsschnitt durch die
Keimscheibe desselben liegt Fig. 19 vor. Hier sieht man deutlich am
hinteren Ende des Schnitts ein mittleres Keimblatt auftreten. Die
Länge der Keimscheibe betrug schon 0,894 mm. Ich konnte nicht
finden, dass das mittlere Keimblatt sich viel weiter nach vorn er-
streckte, als dieser Schnitt angiebt. An diesen Längsschnitt schliessen
270 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung
sich einige Querschnitte (Fig. 20) eines wenig grösseren Eie. Die
Keimscheibe war 1,14mm. lang, der Primitivstreif 0,4mm. An diesen
Präparaten sieht man, dass die Zellen des äusseren Keimblatts sich
etwas cylindrisch gestalten, die Zellen des inneren sind im Ganzen
sehr flach; nach hinten zu werden sie ein wenig dicker und bilden
hier nach der Keimhöhle zu keine glatte Grenze, sondern jede Zelle
ragt als kleines Höckerchen in die Eihöhle vor. Die Entstehung des
mittleren Keimblattes geht nach meinen Beobachtungen, die natürlich
zunächst nur für das Kaninchen gelten, wie folgt vor sich. In dem
vorderen Theil der Keimscheibe (Fig. 20 A) fehlt es völlig. Seitlich
in der Nähe des Primitivstreifs verlängern sich die Zellen des äus-
seren Keimblattes und bekommen, wie ich an einer Zeichnung, die ich
leider zurückbehalten habe, sehe, zwei Kerne übereinander. Es ge-
winnt daher das Ansehen, als wenn das Blatt mehrschichtig werden
wollte. In der Mittellinie zeigt sich dagegen der Contour des oberen
Blattes so verwischt (Fig. 20B,C), dass selbst der feinste Schnitt
nichts davon erkennen lässt, sondern ein Uebergang in die ramifi-
cirten, ein wenig intensiver Karmin absorbirenden Zellen so vor sich
geht, dass eine sichere allseitige Begrenzung der hier liegenden
Zellen nicht zu gewinnen ist. Dagegen findet sich zwischen ihnen ein
inniger, wahrscheinlich durch dicke Ausläufer vermittelter, Uebergang.
Aber auch das innere Keimblatt geht in den Verwachsungsprocess mit
ein, nur ist dies schwieriger nachzuweisen. Die Zellen werden bald sehr
platt und man glaubt, wenn gleich stets unsicher, eine Grenze gegen das
mittlere Blatt ziehen zu können. Versucht man jedoch das Blatt ab-
zutrennen, so bemerkt man, dass es in der Mitte des Querschnitts sehr
fest anhaftet und bei gewaltsamer Trennung entweder zerreisst, oder
Zellen des mittleren Blattes ausreisst, wie dies in Figur 35 geschah.
Bei älteren Keimscheiben ist die Verwachsung dieses Blattes nur
ganz lokal, nämlich auf den Knoten beschränkt.
(Fortsetzung folgt im nächsten Heft.)
V.89
und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 974
Erklärung der Abbildungen.
Taf, VIII.
Fig. 1. A Ei des Meerschweinchens, einem trübe aussehenden Follikel
2 bis 3 Stunden nach der Geburt entnommen. a spindelförmige Zellen des Dis-
eus. 300fache Vergr. B isolirte Zellen des Discus. 300fache Vergr.
Fig. 2. Ausgetretenes Ei des Meerschweinchens, den Fimbrien entnommen.
Der Dotter stark eontrahirt, aber unbefruchtet. Bei @ noch birnförmige Zellen
des Discus, jedoch finden sich an den übrigen Zellen des Eies in dieser Lage
keine Stiele. 300fache Vergr.
Fig. 3. Ei in der Befruchtung aus der Tuba. Meerschweinchen. «a ein
Spermatozoid, unbeweglich am Dotter haftend, b wahrscheinlich ein zweites Sper-
matozoid in der Einbohrung, den Kopf desselben konnte ich jedoch nicht finden.
800 fach vergr.
Fig. 4. Ein Theil der Zona pellueida von einem befruchteten Kaninchenei
aus dem Anfang der Tuba. Man sieht die gestielten Zellen mit ramificirter
Basis der Zona anhängend. 500mal vergr.
Fig. 5. Ei eines Kaninchens, 12 Stunden nach der Conjugation, in der Tuba
sefunden. Die Spermatozoiden waren in voller Bewegung. Die Discuszellen
rings rundlich. Der Dotter ist gefleckt und enthält ausserdem an zwei Stellen
ein Bläschen mit einer körnigen Kugel im Innern, welche ein metamorphosirtes
Spermatozoid zu sein scheint. Vergr. 250.
Fig. 6. Ei des Kaninchens aus der Tuba 141/, Stunden nach dem Belegen.
Die Spermatozoiden sind im Eindringen, doch scheint der Process erst im Beginn
zu sein. 8300fach vergr.
Fig. 7. A Eiinhalt von einem andern Ei 14 Stunden nach der Conjugation
sewonnen und: 24 Stunden in verdünnter Müller’scher Lösung macerirt. Derselbe
enthält’ theils unzersetzte Spermatozoiden a, theils metamorphosirte b. 350 fach
vergr.
B ein Stück desselben Dotters zerzupft. 400fach vergr.
C zwei Stadien der Metamorphose der Spermatozoiden, aus A herausgezeich-
net. 600 fach vergr.
Fig. S. Ein altes unbefruchtetes Ei, der geschlossenen Tuba eines Kanin-
ehens entnommen. a Zona pellueida, b Eiweissumhüllung.!)
Fig. 9. Ei von etwa 100 Stunden nach der Conjugation. Der Keimfleck
besinnt sich zu bilden. Bei « findet sich ein Dotterrest. Die Zona entfernt
öder nicht mitgezeichnet (ich erinnere mich dessen nicht mehr). Vergr. 50fach.
Fig. 10. Ein etwas grösseres Ei aus demselben Uterus. Der Keimfleck ist
etwas grösser und gleichmässiger. 50fache Vergr.
Fig. 11 A. Keimfleck von einem Ei aus demselben Uterus. Die Zona ist
entfernt, das Ei angestochen. Die dunkeln Zellen gehören dem innern Keim-
blatt an. Vergr. 200.
1) Alle folgenden Figuren sind dem Kaninchen entnommen,
272 V. HEnsEn. Beobachtungen über die Befruchtung
B. Zellen von dem inneren Keimblatt desselben Eies, isolirt und 400 mal
vergr. Als die Zellen isolirt waren, machten sie bei weitem nicht mehr den
dunklen Eindruck, wie zuvor, der Unterschied ist kein Fehler der Zeichnung.
Fig. 12 A. B. ©. D. Eier von 5 Tagen 4 Stunden (124 St.) von der Grösse
1, 1,9, 2,1, 3,5 mm. E ein Ei von 175 Stunden (7 T. 7 St.) stark in der Ent-
wicklung retardirt, 4,5 mm. im Durchmesser.
Fig. 13. Ei Fig. 12 A. Bei auffallendem Licht, 20mal vergr. Der Keim-
fleck von etwas unregelmässiger Gestalt.
Fig. 14. Ei Fig. 12 D. Smal vergrössert, bei auffallendem Licht gesehen.
Die Keimhaut ist von der Zona ein wenig zurückgezogen. Die Keimscheibe tritt
als kreisrunder heller Fleck nur schwach hervor. Die innere Keimhaut ist dar-
über hinaus schon eine Strecke weit am Ei hingewachsen.
Fig. 15. Die Peripherie an der Keimscheibe des Ries Fig. 14 bei 200facher
Vergr. von innen gesehen. Man sieht die Verzweigung der Zellen des inneren
Keimblattes. & Rand der Keimscheibe, 5 äusseres, ce inneres Keimblatt.
Fig. 16 A u. B. Keimscheibe des Eies Fig. 12 B. Die innere Keimhaut
war nur wenig über die Keimscheibe hinausgewachsen. A halbe äussere Keim-
scheibe von der inneren B abgehoben. In B sieht man im Centrum die Ver-
wachsungsstelle mit der äusseren Keimscheibe. a äussere, 5. innere Keimhaut.
90fach vergr.
Fig. 16 C. Keimfleck von dem Ei Fig. 13. 150mal vergr. Das innere
Blatt ist noch ganz unregelmässig und gelappt.
Fig. 17 A. Das Ei Fig. 12 E Smal vergr. Die Keimscheibe ist birn-
förmig, aber noch ohne Hof.
B. Die Keimscheibe von der Seite gesehen, 12mal vergr. Die Zona pellu-
cida ist fortgelassen. Grösse der Keimscheibe 0,894 mm.
Fig. 18. Durchschnitt durch das Ei Fig. 12, entweder C’oder D, ich habe
dies nicht genau genug notirt. 300mal vergr. Die Zona entfernt. «@ inneres,
b äusseres Blatt der Keimscheibe, e inneres Blatt der Keimhaut,
TafrzıIX.
Fig. 19. Längsdurchschnitt durch die Keimscheibe des Eies Fig, 12 E.
Vergr. 400. «K äusseres, iK inneres, m_K mittleres Keimblatt, letzteres im
Entstehen begriffen. Nach vorne werden die Zellen des inneren Keimblattes
zahlreicher und mehr quadratisch. mpr vielleicht die erste Anlage der Membrana
prima.
Fig. 20. Querdurchschnitt durch eine 7 Tage alte Keimscheibe, fast iden-
tisch mit Fig. 21, nämlich 1,41 mm. lang, 1,16 mm. breit.
A Durchschnitt dnreh die breiteste Stelle, 3 etwas hinter der Mitte,
C am Hinterende. Bezeichnungen wie in der vorigen Figur. Vergr. 400.
Fig. 21 bis 34 sind Keimscheiben und Embryonen von der Fläche gesehen.
Die Reihenfolge der Zahlen entspricht dem verschiedenen Alter, jedoch können
in Bezug darauf Zweifel entstehen. Fig. 21, 26 und 29 wurden gleichzeitig dem-
selben Uterus entnommen. Fig. 29 war nicht sehr günstig erhärtet, so dass
mir vielleicht die Urwirbel entgangen sein könnten, obgleich ich dies nur durch
Alteration ihrer Form erklären könnte; dann würde die Figur älter zu setzen
sein. Auch Fig. 22 bis 25 wurden einem Uterus entnommen. Wohin Fig. 24
seinem Alter nach gehört, ist mir zweifelhaft, ob vor oder nach Fig. 23. Ebenso
!
und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 273
geht es bei dem Embryo Fig. 31, er war kleiner wie 30, aber in seiner Ent-
wieklung doch wohl weiter voraus.
Fig. 21. Keimscheibe eines 192 Stunden (8 Tage) alten, sehr klein ge-
bliebenen Eies. 1,14 mm. lang. 10mal vergr. Der Fleck in der Mitte ist ein
durch die Erhärtung entstandener Fehler. Ar. op. Area opaca. KH Keimhaut.
Fig. 22. Keimscheibe mit Area opaca, 189 Stunden (7 Tage 21 St.) alt.
Länge 2,23 mm. in Müller’scher Flüssigkeit, aber fast frisch. 7mal vergr.
Fig. 23. Keimscheibe desselben Alters. Länge 2,755 mm. 4 fast frisch.
B nach 24stündiger Erhärtung in Müller’scher Lösung. X» Knoten. Pr Pri-
mitivstreif. Vergr. Tmal.
Fig. 24. Eine ganz ähnliche Keimscheibe von mehr ovaler Form mit stär-
kerer Andeutung der Medullarrinnen. Länge 2,75 mm. Vergr. Tmal.
Fig. 25. Keimscheibe derselben Länge, ein wenig weiter entwickelt. A fast
frisch. B erhärtet. MR Medullarrinne. Pr Primitivstreif. Tmal vergr. C der
Knoten bei 25facher Vergr.
Fig. 26. Keimscheibe S Tage nach der Copulation. Länge 3,36 mm.
Fig. 27. Keimscheibe eines gleich lange belegten Thieres, etwas weiter ent-
wickelt. Länge 4,9, Medullarrinne 2,45, Primitivstreif 1,71 mm. 7Tmal vergr.
7 mal vergr.
Fig. 25. Embryo aus demselben Thier mit 2 Urwirbeln und der hufeisen-
förmigen Anlage des Herzens. 7mal vergr. 42 Herz. KH Keimhaut.
Fig. 29. Keimscheibe von 4,13 mm. Länge. Gleichaltrig mit Fig. 21.
Hz Herz. Ar. pl. Erste Andeutung der Area pellucida, resp. der Amniosbildung.
Vergr. Tmal.
Es scheint, dass die absoluten Grössen relativ zu der inneren Entwicklung
in diesen Stadien variiren können.
Fig. 30 u. 31. Embryo aus demselben Uterus wie Fig. 17. Tmal vergr.
Fig. 32. Embryo von 200 Stunden (8 Tage 8 Stunden) mit 8 Urwirbeln
vom Bauch gesehen. Ar. pl. Area pellucida. -Zz Herzschläuche. Das Gehirn
bereitet die Entwicklung der Augenblasen vor. Die Kopfkappe überzieht den
Kopf, die Schwanzkappe beginnt sich zu bilden. Tmal vergr.
Fig. 33. Embryo von 204 Stunden mit 9 Urwirbeln, vom Rücken aus ge-
sehen. Die Kopfkappe As ist in der Entwicklung bedeutend fortgeschritten, die
Augenblasen sind gebildet, das Herz Hz ist dabei weiter nach abwärts gerückt
und tritt in Form zweier, durch den Körper durchscheinender Schläuche auf.
Die Zeichnung dieses Verhaltens ist nicht völlig geglückt, die Schläuche schei-
nen zu deutlich durch.
Fig. 34. Embryo von fast 11 Tagen mit zwei Kiemenspalten. Der Herz-
beutel liegt noch frei vor. Die in der Area opaca gebildeten Gefässe sind nicht
eingezeichnet. AZ Allantois. Am Amnios: Ar. pl. Rest der Area pellueida.
Derselbe zieht sich bis zur Stelle, wo der Amniossack sich schliesst, er bezeich-
net die ursprüngliche Lage des Kopfes. Tmal vergr.
Fig. 35. Durchschnitt durch den Primitivstreif von einer zwischen Fig. 21
u. 22 stehenden Keimscheibe. Das innere Keimblatt @X ist künstlich getrennt
worden und es blieben dabei Zellen des mittleren Keimblattes m K an ihm sitzen.
Vergr. 400.
Zeitschrift f. Anatomie. Bd. I. 18
Der Keimwall des Hühnereies und die Entstehung
der parablastischen Zellen
von
Wilhelm His.
(Hierzu Tafel XIII.)
Nach der Darstellung, welche ich in meinen Untersuchungen über
die Entwicklung des Hühnchens gegeben habe, betheiligt sich weisser
Dotter an der Bildung des Embryo und der embryonalen Häute. Er
liefert nämlich die Anlagen der endothelialen Gefässröhren und des
Blutes, mittelbar diejenigen sämmtlicher Bindesubstanzen. Das Herein-
wachsen dieser Anlagen von der Peripherie her in den Embryo und
das allmälise Vordringen derselben in dessen verschiedene Spalt-
räume ist eine Sache so einfacher Beobachtung, dass ich verzichte
darauf zurückzukommen. Die Ueberzeugung, dass jene Anlagen einen
durchaus selbstständigen Theil des sog. mittleren Keimblattes und
überhaupt des Keimes bilden, wird sich ihre Bahn brechen, denn es
wird schliesslich unmöglich sein, die Eigenthümlichkeiten zu verkennen,
die dieselben hinsichtlich des Ortes ihres ersten Auftretens und hin-
sichtlich der Art ihrer Ausbreitung darbieten. Die Frage aber, ob jene
Anlagen aus den Elementen des weissen Dotters abzuleiten sind, ist
von derjenigen ihrer örtlich gesonderten Entstehung wohl zu unter-
scheiden. Die von mir darüber gegebene Darstellung hat eine nahezu
einstimmige Verurtheilung erfahren.) Konnte ich mich anfangs da-
1) Es gilt dies wenigstens für das Vogelei. Für das Ei der Knochenfische
stimmen meine Beobachtungen in Betreff der Bildung von Zellen ausserhalb des
gefurchten Keims überein mit denen von LEREBOULLET, KUPFFER, v. BAMBECKE
‘und OwsJanıkow, meine Angaben über Eintritt derselben mit denen von OEL-
LACHER, und die über ihre Verwendung zur Blut- und Gefässbildung mit denen
von RomIti (s. WALDEYER, Jahrbr. f. 1874 p. 149). Auch auf die Erfahrungen
von Ray LANKESTER am Üephalopodenei kann hier hingewiesen werden (Annals
and Magaz. Nat. hist. 1873 und Philos. Transact, 1875 part. I.)
W. Hıs. Der Keimwall des Hühnereies und die Entstehung ete. 275
mit trösten, dass die verwerfenden Urtheile mehr auf dogmatische
Gründe, denn auf eingehende Nachuntersuchungen sich stützen, so hat
sich die Sachlage geändert, nachdem auch ein Beobachter wie
KOELLIKER!) gegen mich aufgetreten ist. Eine Revision meiner
Beobachtungen ist mir zur Nothwendigkeit geworden, und je nach deren
Ergebniss muss sich entweder die von mir eingenommene Position
verstärken, oder ich habe aus derselben den Rückzug anzutreten.
Nach meinen früheren Darlegungen liest der Rand?) der Keim-
scheibe nach Ablauf der Furchung auf einer Schicht weissen Dotters,
dem von mir so genannten Keimwall auf. Während der ersten Zeit
der Bebrütung entsendet die untere Schicht jenes Randtheiles Fort-
sätze zwischen die Elemente des Keimwalles, so dass diese grossentheils
in ein Gerüst archiblastischen Protoplasmas eingeschlossen werden. °)
Was vom weissen Dotter ausserhalb des Durchwachsungsgebietes ver-
bleibt, fällt binnen kurzem dem Zerfall anheim. In den Dotterkugeln
dagesen, welche in den Keim sind aufgenommen worden, entstehen
Zellen, theils einzeln, theils in Haufen. Sie treten zu gefässbildenden
Netzen zusammen, und aus grösseren Haufen derselben entwickeln sich
die, schon älteren Beobachtern bekannten Blutinseln.
Ohne in die Kritik der abweichenden Darstellungen neuerer Be-
obachter einzutreten, beschränke ich mich im vorliegenden Aufsatz
auf die erneute Feststellung der folgenden beiden Punkte:
1) Verhandl. der Würzburger phys.-med. Ges. N. F. VIII. Zur Entwicklung
der Keimblätter im Ei.
2) GOETTE hat den von ÖELLACHER und von ihm selbst nachgewiesenen Ver-
diekungsrand der Keimscheibe als Randwulst bezeichnet. KOELLIKER, einen
neuen Namen vorziehend, nennt ihn Keimwulst und substituirt dies Wort auch
der von mir gegebenen Bezeichnung des Keimwalls. Keimwall und Rand-
(Keim-)wulst sind nieht identische Bildungen; wenigstens für den Anfang sind
sind sie scharf auseinander zu halten. Unter dem Keimwall verstehe ich (Unters.
pag. 1 u. pag. 7) am unbebrüteten Ei die weisse Substanzschicht, auf welcher der
Keimscheibenrand, d. h. also der Randwulst aufliegt. Ist meine Darstellung von
der Hereinnahme weissen Dotters in den Keimrand richtig, dann kann das com-
binirte Gewebe den Namen des organisirten Keimwalls (l. e. 76) beibehalten, hat
dagesen KOELLIKER recht mit der Angabe, dass eine Aufnahme weissen Dotters
in den Keim nicht erfolge, dann erlischt für mich die Berechtigung, den verdick-
ten, an das Darmdrüsenblatt peripherisch sich anschliessenden Wulst als Keim-
wall zu bezeichnen.
3) Während des Druckes von obigem Aufsatz wird die No. 7 der dies-
jährigen Verhandl. der naturf. Ges. in Leipzig ausgegeben. Darin bestätigt
A. RauBEr (ohne Namenserwähnung) meine Angaben über die Aufnahme weisser
Dotterkugeln in die untere Schicht des Keimes und die Bildung eines dieselben
einschliessenden Protoplasmanetzes. Ueber das weitere Schicksal der in den
Keim aufgenommenen Dotterkugeln spricht er sich nicht aus.
18*
276 W. Hıs. Der Keimwall des Hühnereies
1) die Aufnahme weisser Dötterelemente in den Randtheil der
Keimscheibe,
2) die Bildung von Zellen innerhalb der also-aufgenommenen
Elemente.
Es sind dies die Punkte, deren Nachuntersuchung von keinem
der Späteren genügend vorgenommen worden ist, in denen gleichwohl
der Angelpunkt der gesammten Entscheidung liegt.!).
1) Ein Hauptargument, das gegen mich gebraucht wird, liest in der abwei-
chenden Deutung der weissen Dotterelemente. Diese sollen keine Zellen sein und
daher auch bei der Neubildung; von Zellen keine Rolle spielen können. Nachdem
ich die angebliche Fettnatur ihrer Inhaltskörper widerlegt und gezeigt habe, dass
diese letzteren wie gewöhnliche Zellenkerne durch Karmin sich färben, dass sie
wie gewöhnliche Zellenkerne Körner (Kernkörper) in ihrem Innern führen, dass
ihre dunkeln Contouren, durch Aether behandelt in blasse überführbar sind, nach-
dem ich darauf hingewiesen, dass mit den weissen Dotterelementen identische Bil-
dungen ausserhalb des Eies zwischen den Zellen der Membr. granulosa auftreten,
hat MiEscHER den entscheidenden Nachweis geliefert, dass die Inhaltskugeln gleich
den Kernen farbloser Blutzellen aus einer phosphorreichen Nucleinsubstanz be-
stehen. Zum ersten Male erfahren wir durch die MırscHer’schen Untersuchungen,
welches die Anforderungen sind, die an einen Kern gestellt werden müssen, denn
darüber wird man billigerweise nicht streiten können, dass die Feststellung der
chemischen Grundlage eines solchen Gebildes bei seiner Charakteristik die erste
Stelle behauptet. KORrLLIKER, der sich mit der Zellennatur der weissen Dotter-
elemente immer noch nicht auszusöhnen vermag, legt auch neuerdings wieder
das Hauptgewicht auf den Nachweis, dass deren Inhaltskörper von den Kernen
der Keimzellen differiren. ,‚.toto coelo“ nennt er sie von einander verschieden
und betont dabei insbesondere der ersteren Färbbarkeit durch Ueberosmiumsäure.
So vielen Anlass wir aber haben, uns in der histologischen Technik der Farbereactio-
nen, denen wir so bedeutende Förderung verdanken, zu erfreuen, so sind diesel-
ben doch zu Entscheidungen tiefereifender Art nur sehr behutsam verwendbar.
Die Osmiumfärbung, ähnlich anderen Metallreaetionen, weist auf die Existenz leicht
oxydirbarer Substanzen hin. Welcher Art diese und in welcher Menge sie vor-
handen seien, erfahren wir nicht, und eine nebensächliche Beimengung kann zum
Auftreten der Farbereaction genügen. Um ein Beispiel anzuführen, so sind ja
auch die Spermatozoenköpfe stark lichtbrechend und färben sich durch Ueber-
osmiumsäure braun, und doch wird Niemand deren Abstammung aus Zellenkernen
in Abrede stellen.
Die Anwesenheit von Kernkörpern in den weissen Dotterkernen zu läugnen,
wie dies Hans VırcHow thut (Ueber das Epithel des Dottersackes im Hühnerei
In. diss. 1875 8. 16), ist nicht erlaubt, denn kernkörperähnliche Flecke sind in
deren Innern stets vorhanden. Wollte man sagen, dass dies keine echten typi-
schen Kernkörper seien, müsste zuerst die Natur von solchen eruirt und ein
Nichtübereinstimmen jener bewiesen werden. Auch die „nie fehlende absolute
Kugelgestalt“ muss als Gegenargument ausser Spiel gelassen werden, einmal, weil
man den Kernen das Recht kuglig zu sein, nicht absprechen darf, und dann, weil
unter den weissen Dotterkernen auch andere als Kugelformen zu beobachten sind.
und die Entstehung der parablastischen Zellen. ORT,
Was meine diesmalige Untersuchungsmethode betrifft, so habe ich,
wo nicht ausdrücklich das Gegentheil bemerkt wird, mit frischem
Material und 0,7 °/, Kochsalzlösung gearbeitet. Vom anhaftenden
weissen, oder gelben Dotter sind die isolirten Keimscheiben jedesmal
durch Abspülen mit Kochsalzlösung und eventuell durch Schütteln in
solcher” sorgfältig gereinigt worden. Um bei der weiteren Unter-
suchung vom Deckglasdrucke unabhängig zu sein, bediente ich mich
der aus dem Genfer Atelier stammenden Ross’schen Büchsen, einer
Vorrichtung, bei welcher das Deckglas vermittelst einer Messinghülse
fixirt ist und beliebig vom Objectglas entfernt, oder ihm bis zur Be-
rührung entgegengerückt werden kann.
Wir nehmen im Hochsommer eine Keimscheibe von 18—24stün-
diser Bebrütung: der Durchmesser beträgt 8—12 mm., der Embryo
ist im 3. oder 4. Entwicklungsstadium, die Area pellucida scharf um-
srenzt und von langgestreckter Form. In der Area opaca scheiden
sich bereits deutlich zwei Zonen, deren innere nach der üblichen Ter-
minologie als Gefässhof, deren äussere als Dotterhof zu bezeichnen ist.
Die Färbung beider sticht ins gelbliche, aber viel ausgeprägter beim
Gefäss- denn beim Dotterhof.
Von der unteren Fläche her betrachtet zeigt sich der Keimwall
gleich einem schlechten Strassenpflaster aus kugligen Körpern unregel-
zusammengefügt (Fig. 1). Wir bezeiehnen diese Körper vorläufig als
Keimwallkugeln, ein Name, dessen Berechtigung aus dem Nach-
folgenden sich ergeben wird.
Die Keimwallkugeln sind glänzend, grossentheils durchsichtig,
ihr Durchmesser beträgt von 0,02 bis 0,08 mm., die mittleren messen
zwischen 0,025 und 0,03 mm. Zwischen ihnen findet sich jedoch eine
trübe, von feineren und gröberen Körnern reich durchsetzte Masse, die
die interglobuläre heissen mag. Bei auffallendem Lichte erscheinen
die Keimwallkugeln dunkel innerhalb des helleren Netzes, und die
im Gefässhof so ausgesprochene gelbe Färbung kommt dem letzte-
ren zu.
An solehen Umschlagsfalten der Keimhaut, bei welchen der freie
Rand von der Unterfläche gebildet wird, treten die Keimwallkugeln
als ebenso viele einzelne Buckel vor, allein nicht frei, sondern über-
zogen von einer dünnen Schicht, welche als Endausbreitung der inter-
slobulären Masse sich erweist (Fig. 2). »
Keimwallkugeln und interglobuläre Substanz lassen sich mecha-
nisch von einander sch®iden. Zu dem Behuf wird ein Stück des
Gefässhofes über Nacht in Salzlösung gelegt und dann in einem
Reagenzglase leicht geschüttelt. Die Keimwallkugeln zerfallen, und es
\
278 W. Hıs. Der Keimwall des Hühnereies
verbleibt ein körnerreiches Gerüst übrig, dessen Maschen die Orte
zeigen, wo die Kugeln gelegen haben (Fig. 3). Wird das Gewebe
nach kürzer andauernder Maceration geschüttelt, so isoliren sich Stücke
des Interglobularnetzes, deren Maschen theilweise frei, theilweise noch
mit inneliegenden Keimwallkugeln besetzt sind (Fig. 4).
Obige Erfahrungen bestätigen das aus Schnittbildern früherhin
schon gewonnene Ergebniss, dass innerhalb der Area opaca helle Ku-
geln einem zusammenhängenden und gegen den Dotter sich ab-
schliessenden Netzwerke eingefüst sind. Man vergl. die Fig. 8 Taf. VI
meiner Untersuchungen, bei welcher das interglobuläre Netz, wohl in
Folge zusammenschrumpfender Reagenzwirkung, als fadenförmiges sich
darstellt.
Auch Färbemittel lassen sich zur Demonstration der beiden
Keimwallbestandtheile herbeiziehen. Hämatoxylin z. B. färbt das
interglobuläre Netz rasch und intensiv, während die Färbung der
Keimwallkugeln langsam und in geringem Maasse erfolgt. Nur deren
Kerne und inneliesende körnige Massen erfahren lebhafte Färbung.
Besonders guten Erfolg hat mir die nachfolgende Methode gegeben:
Die in gewohnter Weise isolirte Keimscheibe wird mit Salzlösung zu-
sammengebracht, welcher einige Tropfen einer Lösung von Diamant-
fuchsin zugesetzt sind. Das Präparat nimmt bald eine rothe Färbung
an. Wird nun der Keimwall untersucht, so zeigt sich in ihm das
interglobulare Netz roth gefärbt, die Keimwallkugeln dagegen nicht.
Die ungleichmässige Vertheilung der interglobulären Substanz tritt
dabei sehr deutlich hervor. Stellenweise nur schmale Brücken zwischen
den Kugeln bildend, häuft sie sich anderwärts in etwas dickeren
Klumpen an, hier und da tritt sie auch in Form kugliger Vor-
sprünge gegen die Unterfläche vor.
Die interglobuläre Masse ist ein weiches, leicht verschiebbares
Protoplasma. Vorbeifliessende Flüssigkeitsströme genügen, um es in
Fäden von mehrfacher Gesichtsfeldlänge auszuziehen. Aus der Länge
und Feinheit der letzteren erschliesst sich die grosse Dehnbarkeit des
interglobulären Protoplasma. In grösseren Klumpen angehäuft zeigt
es den Gegensatz hyaliner Rand- und trüber Innenmasse. Schon ohne
Anwendung von Wärmevorrichtungen vermag man in der warmen
Jahreszeit die lebhaftesten Bewegungen jener Masse zu veriolgen, wie
denn auch isolirte Keimzellen Formveränderungen in rascher Reihen-
folge erfahren. |
Kerne ovaler Gestalt lassen sich in blassen Stücken des inter-
globulären Protoplasma wahrnehmen (Fig. 5), in körnerreichen sind
sie aus ihrer Umgebung heraus nicht zu erkennen.
und die Entstehung der parablastischen Zellen. 279
‘Die trübenden Körnermassen des interglobulären Protoplasma
sind zum Theil Kerne und Körner aus zerfallenen weissen Dotter-
kugeln, als solche an ihrer Lichtbrechung und an ihren Inhaltsflecken
leicht erkennbar, zum Theile sind es Fetttröpfchen aus dem gelben Dotter
stammend. Letztere verleihen dem interglobulären Protoplasma seine
dottergelbe Färbung. Werden Stücke der Area vasculosa in einem
engen Cylinder mit viel Flüssigkeit geschüttelt und wird alsdann das
Gemenge stehen gelassen, so tritt eine Scheidung ein zwischen Bestand-
theilen, welche zur Oberfläche emporsteigen und solchen, welche zu
Boden sinken.
Auf den Boden sinken die Keimwallkugeln, oder deren durch
Zertrümmerung frei gewordene Kerne Auch fettarme Protoplasma-
stücke, sei es einzeln, sei es in Verbindung mit Keimwallkugeln, sen-
ken sich. Dagegen schwimmen an der Oberfläche Protoplasmafetzen
mit eingelagerten kleineren oder. grösseren Fetttropfen. In früheren
Stadien fehlen die fettreichen Protoplasmastücke und es bildet sich beim
Aufschwemmen keine Oberflächenschicht. Dasselbe gilt zum Theil
in späteren Stadien auch vom Dotterhofe.
Die Keimwallsubstanz im Dotterhofe ist lockerer als im Gefäss-
hofe verbunden. Isolirte Fetzen bestehen jedoch auch hier aus Keim-
wallkugeln und aus Interglobularsubstanz und das Verhalten der Com-
plexe bei Druck und bei Zerrung zeigt wiederum, dass die letztere
Substanz dehnbar und elastisch ist. An der Peripherie des Dotter-
hofes ist der Zusammenhang der Keimwallmasse so gering, dass sie
beim Abspülen leicht sich entfernt und man findet daher in der Re-
sel am abgespülten Keim einen 1—1!/, mm. breiten durchsichtigen
keimwalllosen Saum. Ebenso fehlt die Bindung der Keimwallkugeln
im frisch gelegten Ei und während der ersten Bebrütungsstunde. Es
selingt daher zu der Zeit leicht den Keimwall durch Abspülen von
der Keimscheibe zu trennen (S. 7 meiner Unters.)
- Keimwallkugeln. Wir isoliren einen Keim von etwa Sstün-
diser Bebrütung, reinigen ihn sorgfältig. so lange bis keine Reste von
äusserlich anhaftendem Dotter mehr von ihm sich entfernen lassen
und breiten ihn flach aus. Die glänzenden Kugeln, welche im Be-
reiche der Area opaca die Hauptmasse der unteren Schicht bilden,
zeigen, mag man sie in ihrer natürlichen Lage, oder isolirt betrachten,
die bekannten Eigenschaften weisser Dotterkugeln, d. h. sie enthalten
einen oder mehrere kuglige Inhaltskörper und einen klaren, durch
Wasser sofort sich trübenden flüssigen Inhalt. Die Inhaltskörper be-
sitzen die bekannten kernkörperartigen Flecken im Innern. An den
grösseren Keimwallkugeln dieser Zeit eonstatirt man mit Leichtigkeit
280 W. Hıs. Der Keimwall des Hühnereies
die Eigenschaften von mit Flüssigkeit gefüllten Säcken. Druck bringt
sie augenblicklich zum Platzen und ihren Inhalt zu freier Vertheilung.
Schwimmen sie aneinander vorüber, so ändern sie fortwährend ihre
Gestalt, indem sie nach den Engpässen sich modeln, durch die sie
durchgetrieben werden. Dabei fliessen die Körner und Kugeln in
ihrem Innern von einer Seite zur andern und wiederum zurück, gerade
so wie ich dies früher für grössere weisse Dotterkugeln im Allgemeinen
beschrieben habe (Unters. S. 6).")
1) Es ist mir nicht verständlich, aus welehem Grunde KoELLIKER die Auf-
nahme weisser Dotterbestandtheile in den Randtheil des Kernes leugret. Der
Nachweis derselben ist, wie man aus obigem sieht, leicht zu führen. KOELLIKER
glaubt die ihm entgegenstehenden Angaben dadurch erklären zu können, dass
Dotterkugel- und Dotterkernähnliche Gebilde im Innern der Keimwulstzellen
auftreten. Sie sollen hier als „Product der energischen Stoflaufnahme dieser
Zellen“ entstehen und von den eigentlichen Dotterkugeln durch ihr Verhalten
gegen Essigsäure sich unterscheiden. In Bezug auf letzten Punkt decken sich
meine Erfahrungen nicht mit denen von KoELLIKER. Wenn ich KoELLIKER recht
verstehe, betrachtet er die Keimwallkugeln überhaupt für die Zellen seines
Keimwulstes, oder nach meiner Terminologie für archiblastische Zellen, das in-
terglobuläre Protoplasma hat er nicht beachtet.
BALFOUR, welcher im Gegensatz zu KOELLIKER das Vorhandensein von
weissem Dotter im Keimwulst oder Keimwall richtig erkannt hat, hat sich durch
Silberbilder verleiten lassen, den Uebergang der weissen Dotterkugeln in Hypo-
blastzellen anzunehmen (Journal of microscop. Science, Juli 1873). Auch er hat
dabei das interglobuläre Protoplasma übersehen.
Eine eigenthümliche Geschichte des Keimwalls giebt GoETTE. Der Keim
ruht nach ihm nicht auf weissem Dotter, sondern auf einer körnigen Substanz
auf. Eine theils körnige, theils homogene Substanz liegt auch am Boden der
Keimhöhle und erfüllt den Dotterkanal. Durch eine Art von secundärer Furchung
entstehen sodann aus ihr die „Dotterzellen“. Später klärt sich der Keimwall
durch Lösung seiner Körner auf und zerklüftet sich in zellenartige Körper, dann
aber treten die untersten seiner Bestandtheile aus dem Gefüge der übrigen her-
aus und lösen sich auf. Es entstehen buchtige Höhlen, in dieselben werden die
auf dem Boden der Keimhöhle entstandenen Dotterzellen durch eine von der
Keimhöhle gegen den Keimwall hin stetig stattfindende, durch die aufsaugende
Thätigkeit des letzteren bedingte Strömung hinein geschwemmt. Einmal in den-
Maschen des Keimwalls angelangt, zerklüften sie sich und bilden die bekannten
Blutinseln. Die von der Einschmelzung verschonten Keimwallmassen verbleiben
als „interstitielles Bildungsgewebe.“ Dass man über so leicht constatirbare Dinge,
wie über das Vorhandensein weisser Dotterkugeln unter dem Keim,. am Boden
der Keimhöhle und im sog. Dotterkanal streiten kann, Dinge, deren Feststel-
lung zum Theil schon auf PuURKINJE und von BazR, d. h. auf nahezu ein halbes
Jahrhundert zurück reicht, erscheint wunderbar. Es erklärt sich indess aus
GoETTE’s einseitiger Präparationsweise. Bei Untersuchung frischer Eier hätte
GOoETTE die Zusammensetzung der fraglichen Localitäten aus weissen Dotter-
und die Entstehung der parablastischen Zellen. 281
Die Charaktere weisser Dotterkugeln tragen auch die Keimwall-
kugeln, welche während späterer Entwicklungsstadien im äusseren
Dotterhofgebiete dem Keim verbunden sind. Dies gilt bis zur Ver-
wachsung des Dotters.
Im Gefässhof dagegen und in den nächst daran stossenden
Dotterhofzonen erfahren die Keimwallkugeln Umwandlungen, die
einer besonderen Beschreibung bedürfen. Bevor wir darauf eingehen,
ist es nothwendig noch einmal genau die Charaktere kennen zu lernen,
wodurch Keimwallkugeln unter allen Umständen von echten, d.h. von
archiblastischen Keimzellen können unterschieden werden. Das Vor-
handensein oder Nichtvorhandensein von Kernen und Körnern weisser
Dotterkugeln kann nicht als Unterscheidungsmerkmal dienen, weil
diese auch von archiblastischem Protoplasma bez. von archiblastischen
Zellen können aufgenommen werden.
Keimwallkuseln sind .stets von einer starken (selbst doppelten)
kugeln nicht entgehen können. Derselbe scheint jedoch unter Verschmähung
anderer Controllen seine Ueberzeugung ausschliesslich nach Schnittpräparaten
gebildet zu haben, wobei er Werth darauf lest, dass die ganzen Dotter gehärtet
werden. Seine Härtungsmethode giebt er nicht an, indess wird man kaum irre
sehen, wenn man annimmt, dass er, wie allgemein üblich, Chromsäure oder
chromsaure Salze benutzt hat. An Chromsäurepräparaten habe ich ähnliche Suc-
eessionen von hellen und körnigen Schichten am Boden der Keimhöhle gesehen,
wie sie GoETTE abbilde. Bringt man unter dem Mikroskop weissen
Dotter mit einer schwachen Chromsäurelösung, Y3 — Ya %, zusam-
men, so sieht man sofort dichte feinkörnige Gerinsel entstehen
und ein grosser Theil der Kugeln, vorweg die grossen körner-
reichen Formen, lösen sich unter den Augen des Beobachters auf
und ergiessen ihre Kern- und Körnermassen in die Umgebung.
Ein ähnliches Resultat ergeben Lösungen von chromsaurem Kali: Bringt man
Tropfen von Müller’scher Lösung zu weissen Dotterkugeln, so gerinnt deren In-
halt sofort zu einer undurchsichtigen gelben Masse. Die Hülle hebt sich anfangs
selbstständig ab, dann aber schmilzt sie gleichfalls ein und nach einiger Zeit
hat die geronnene Kugel an ihrer Oberfläche zahlreiche ungefärbte, stark licht-
brechende Tropfen (wahrscheinlich aus der Zersetzung des Lecithins stammendes
Fett) ausgepresst. Nach alledem sind Härtungen mit Chromsäure
oder mit chromsaurem Kali schlechterdings unbrauchbar zur Be-
urtheilung der Verhältnisse des weissen Dotters.
Hätte GortTs erkannt, dass der Keimhöhlenboden seiner Präparate Nichts
anderes als einen Trümmerhaufen darstellt, würde er auch nicht versucht haben,
diesem einen besonderen „secundären“ Furchungsmodus zuzuschreiben.
Die Folgen der Chromsäurehärtung finden sich übrigens auch in anderen
Beschreibungen und Abbildungen wieder, so zeichnet Hans VIRCHoW in seiner
Fig. 1 den Keimwall als trübes körniges Gemenge. Ich erinnere ferner daran,
dass auch WALDEYER in seinem Eierstockswerke (8. 59), entgegen allen früheren
Angaben, den Inhalt des Dotterkanales als körnige Masse beschrieben hatte.
2892 W. Hıs. Der Keimwall des Hühnereies
dunkeln Contour umfasst, welche im auffallenden Licht glänzt. Der
hyaline Saum dagegen, welcher kuglig abgesränzte Massen archiblasti-
schen Protoplasmas umgiebt, ist weit blasser und in auffallendem
Licht kaum ausgeprägt. Liegt eine Keimzelle vor mit reichem
körnigen Inhalt, so glänzt im auffallenden Licht dieser letztere, wäh-
rend der Saum verschwindet. In archiblastischen Zellen verschieden-
ster Grösse sind nach dem Erlöschen der spontanen Bewegungen die
Körner in andauernder Molecularbewegung begriffen, deren Charakter
abweichend ist von der Molecularbewegung freier oder in weissen
Dotterkugeln eingeschlossener Körner.!)
Die oben erwähnte Färbung mit Fuchsin giebt gleichfalls ein
Mittel, rasch die Keimwallkugeln von Keimzellen zu unterscheiden.
Fuchsin färbt, wie wir sahen, das archiblastische Protoplasma, nicht
aber die Keimwallkugeln. Dafür werden letztere rasch und durch
ihre ganze Dicke von auch nur schwachen Jodlösungen tingirt.
Besonders belehrend für die Diagnose sind solche Isolations-
Präparate, bei welchen eine vollständige, mit ihren Inhaltskörpern ver-
sehene Keimwallkugel von archiblastischem Protoplasma umschlossen
ist. In Fig. 6, 7 und S sind solche Präparate dargestellt, bei Fig. 6
und 7 vollständig, bei Fig. 8 theilweise umschlossene Kugeln. Bei
letzterer machte ich den Färbversuch: es färbte sich die archiblastische
Hälfte des Gebildes, während die andere ungefärbt blieb, und beide
setzten sich durch scharfen Saum von einander ab. Wird bei solchen
Präparaten der Spiegel abgeblendet, so glänzt die Contour der inneren,
d. h. der Keimwallkugel, und die äussere bleibt im Schatten.
Entstehung der parablastischen Zellen. Von der 2. Hälfte
des 1. Bebrütungstages ab zeigen die Kugeln des inneren Keimwalls
eine Reihe von Eigenthümlichkeiten, wovon zur Zeit ihrer Ein-
schliessung nichts vorhanden war, und welche an freien Kugeln des
weissen Dotters überhaupt nicht beobachtet werden. Es treten näm-
lich in deren Innerem abgegrenzte Haufen einer feinkörnigen, schwach
gelbroth gefärbten Substanz auf, in welcher weiterhin helle Flecke
und schärfer abgegrenzte Kerne wahrnehmbar werden. Wir haben
mit anderen Worten eine Zellenneubildung innerhalb der Dotterkugeln.
!) Es ist schwer. diesen Character genau zu definiren, doch ist er offenbar
durch die Natur des Mediums bedinst, in dem die Theilchen schwingen. Ausser
den Partialbewegungen der einzelnen Theilchen sind schwankende oder zuekende
Bewegungen ganzer Complexe vorhanden, die, sei es auf Reste vitaler Contrac-
tionen, sei es auf Erschütterungen eines gallertartigen Mediums hinweisen. In den
grösseren Randzellen jüngerer Keime zeigen sich die Körner des Saumes in ra-
diäre Reihen gestellt.
und die Entstehung der parablastischen Zellen. 9835
Die also gebildeten Zellen sind die Anlagen für das Blut und für die
endothelialen Gefässröhren.
Wie ich dies schon in meinen Unters. S. 96 hervorgehoben habe,
so begegnet man unter den zellenbildenden Keimwallkugeln Formen von
verschiedener Entwicklung. Es finden sich solche, bei welchen das
Innere der Kugeln völlig erfüllt ist von körnigem Protoplasma (Fig. 9).
In anderen ist der Raum wenigstens überwiegend von Protoplasma ein-
genommen (Fig. 10 und 11); letzteres ist in manchen Kugeln in
mehrere Ballen zertheilt, die sich gegenseitig aneinander abplatten
(Fig. 12). Eine grosse Zahl der Kugeln enthält einen oder zwei
kleinere Protoplasmakörper (Fig. 13 u. 14) und ihr übriger Raum ist von
klarer Flüssigkeit erfüllt und kann einzelne grössere Dotterkerne oder
Körner mit enthalten. Gelingt es Formen der letzteren Art in fliessende
Strömungen zu bringen (z. B. durch Ansaugen der Flüssigkeit vom
Rande her mittelst Filtrirpapier), so überzeugt man sich, dass der Pro-
toplasmaballen im Innern der Keimwallkugel seinen Zusammenhang,
nicht aber seine Form und seine Stellung bewahrt, und dass er, ebenso
wie die Dotterkerne und Dotterkörner im Binnenraum der Kugel sich
frei hin und her bewegt. Die gegenseitigen Verschiebungen, der
vorhandenen Theile finden so statt, als ob in einem Flüssigkeit
führenden Sacke feste Kugeln (die Dotterkerne) und eine weiche ela-
stische Masse (das Protoplasma) hin und her geschüttelt würden. Die
beiden Arten von Bestandtheilen verschieben sich gegen einander, der
feste drückt sich gelegentlich in den weichen ein, und die Form des
letzteren ändert sich entsprechend dem Raum, der ihm eben zu Gebote
steht. Dies Verhalten hebt den letzten Zweifel, als ob die mit Pro-
toplasmaballen ausgerüsteten Keimwallkugeln etwas anderes wären, denn
in innerer Umwandlung begriffene weisse Dotterkugeln.
Die Grösse der intraglobulären Protoplasmaklumpen wechselt von
10 bis 40 u. Kleinere Formen, zu mehreren in einer Keimwallkugel
liegend, finden sich in den höheren Schichten des Keimwalles und
besonders in der Zone, welche unmittelbar nach Aussen vom Gefäss-
hof liest (Fig. 15 u. 16). Die Nester von kleinen intraglobulären
Zellen, welche man an Schnitten jenseits des Sinus terminalis findet,
sind diejenigen, welche zunächst frei werden, um sich an der para-
blastischen Gewebsbildung zu betheiligen. Darf man nach Durchschnitts-
und nach Flächenbildern erhärteter Präparate schliessen, so entsenden
die frei gewordenen Zellen sehr bald Ausläufer. Das Gefässblatt zeigt
sich gleich bei seinem ersten Auftreten, d. h. noch vor dem Auftreten
hohler Gefässe, aus eckigen Zellen gebildet (s. S. 97 u. 98 meiner Unters.).
Wie entstehen nun die neuen Zellen im Innern der Dotterkugeln?
284 W. Hıs. Der Keimwall des Hühnereies
Schlägt sich das körnige Protoplasma um einen der vorhandenen
Dotterkerne herum nieder, oder gehen diese nicht in den Kern des
neuen Gebildes über ?
Zur Beantwortung dieser Fragen giebt die Beobachtung folgendes
Material an die Hand: Schon ziemlich frühzeitig trifft man Keimwall-
kugeln, in. welchen, sei es neben gewöhnlichen Dotterkernen, sei es
ohne solche, in sich zusammenhängende Haufen grober Dotterkörner
sich vorfinden. Als weiteres Bild trifft man festverbundene Haufen
einer feinkörnigen, noch unscharf abgegrenzten Substanz, oder solche in
denen feinere und gröbere Körner untermengt sind. Darf man diese
Bilder (Fig, 17—20) zu einer Reihe combiniren, dann ergiebt sich
folgende Wahrscheinlichkeit: Durch Zerfall grösserer Dotterkerne
bilden sich innerhalb der Keimwallkugeln Haufen von Dotter-
körnern, und aus deren weiterer Umbildung entsteht das neue, aus
Kern und körnigem Protoplasma bestehende Gebilde. Die Dotter-
kerne würden sonach mit ihrem chemischen Material an der Bildung
des neuen Kernes und der neuen Zelle theilnehmen, nicht aber in
morphologischer Continuität mit den neuen Kernen stehen.
Ich eriunere hier daran, dass es mir auch am Lachsei nicht ge-
lungen ist!) eine morphologische Herleitung der im Keimwall auf-
tretenden parablastischen Zellen aus Zellen der Dotterrinde und ihrer
Kerne aus Dotterkernen zu erreichen, dass aber auch dort mit Auf-
lösung der Dotterkerne ein Material entsteht, innerhalb dessen neue
Zellen mit neuen Kernen entstehen.
Die Möglichkeit, dass Kerne als Ausscheidungen eines zuvor
gelösten Materials entstehen, gewinnt bekanntlich durch neuere
Arbeiten mehr und mehr an Boden. Dem alten, mit unseren Schul-
vorstellungen so lange unvereinbaren Beispiele vom Schwinden des
Keimbläschens und von der Neubildung der ersten Furchungskerne
haben sich nieht nur die sehr bestimmt lautenden Erfahrungen der
Botaniker beigesellt, sondern auch die’enigen von Forschern auf dem
Gebiete thierischer Morphologie. Die Erfahrungen von FLEMMING,
von AUERBACH und von Fon?) gestatten sicherlich noch durch-
I) D. Zeitschrift I. 34.
2) FLEmming, Die ersten Entwicklungserscheinungen am Ei der Teichmuschel.
M. Schultze, Archiv X. 286 u. f. und Studien zur Entwicklung der Najaden.
Sitzungsber. d. Wiener Ak. Bd. LXXI. Febr.
AUERBACH, Organolog. Studien, 2. Heft.
For, Jena’sche Zeitschrift, VII. 475.
Ueber die botan. Erfahrungen:
HOoFMEISTER, Lehre von der Pflanzenzelle, 1867, S. 81 u. £.
STRASSBURGER, Zelibildung und Zelltheilung, Jena 1875.
und die Entstehung der parablastischen Zellen. 255
aus keine abschliessende Vorstellungen über die Neubildung von
Kernen, so viel zeigen sie indess zur Genüge, dass wir mit dem her-
gebrachten Theilungsschema nicht mehr ausreichen, und dass wir den
Kreis der ins Auge zu fassenden Möglichkeiten bedeutend zu erwei-
tern haben.
Keimwallkugeln mit inneliegenden Zellen von der Art der oben
beschriebenen sind dem Vogelei nicht eigenthümlich. Bei beiläufie
angestellten Beobachtungen bin ich ihnen auch im Säugethierei (Gefäss-
hof von Katzenembryonen) und in demjenigen von Reptilien (Natter)
begegnet. Ihre besondere Geschichte an diesen Orten bleibt weiteren
Untersuchungen vorbehalten.
Bei anderen Beobachtern haben die in Rede stehenden Bildungen
des Hühnereies kaum Beachtung gefunden. Indess zeichnet Hans
VIrRCcHOw in Fig. 2 seiner Dissertation Keimwulstzellen mit „dunkel-
körnigen Inhaltsballen“, über deren Natur er sich nicht weiter aus-
lässt. Andeutungen derselben finden sich auch in Fig. 3. Von den
in M. Schultze’s Archiv X. publieirten GorrTE’schen Figuren möchte
Fig. 44 zu nennen sein, wo « und «, hierher zu ziehende Zellen-
conglomerate darstellen, die auch GOETTE für Blutinselanlagen hält.
Es bleibt übrig einige Worte über die Endschicksale des inter-
-slobulären Protoplasma zu sagen: Frühzeitig bildet, wie wir gesehen
haben, das interglobuläre Protoplasma eine, den Keimwall nach ab-
wärts abschliessende Schicht. Diese Schicht gewinnt an Mächtigkeit,
gliedert sich in einzelne Zellenterritorien, und, in eben dem Maasse,
als die Keimwallkugeln anderweitige Verwendung finden, tritt sie in
den Vordergrund. Als Endresultat der beiderseitigen Umbildungen
verbleibt, einmal die Schicht der Gefässe und ein ihr von unten
her anliegendes einschichtiges Epithel ), dessen grosse Zellen
stets mit Tropfen von gelbem Dotterfett reichlich durchsetzt sind.
Eine Verwechselung dieser Zellen mit den früher vorhandenen Keimwall-
kugeln kann nur dem Unerfahrenen begegnen. Sollte sich Jemand
mit den übrigen Unterscheidungsmerkmalen nieht begnügen, so mag
er die Zellen des Dottersackepithels mit Wasser aufschwemmen und er
wird finden, dass sie im Gegensatz zu den schweren Keimwallkugeln
zur Oberfläche emporsteigen.
Mit Hans VırcHmow stimme ich darin überein, dass man von
der Zeit ab, da ein einschichtiges Epithel sich gebildet hat, von einem
„Keimwulst“ nicht mehr reden darf, ebenso wenig darf man noch
I!) Diese Entwicklungsstufe hat Hans VırcHow in seiner Fig. 4 dar-
gestellt.
286 W. Hıs. Der Keimwall des Hühnereies
von einem Keimwall sprechen und die Bezeichnung „Dottersack-
epithel“ für die entstandene Zellenlage erscheint als eine geeignete.
Wie das Bild der Vasa lutea durch die den Gefässvorsprüngen ent-
sprechenden Falten dieses Epithels entsteht, das bedarf nach dem,
was ich an anderm Orte darüber mitgetheilt, keiner erneuten Be-
sprechung.!)
Als Anhang füge ich eine Notiz bei über Zellen im Innern
des Protozoenleibes. Ich habe zunächst zu motiviren, wie ich zu
diesem entlegenen Gegenstande komme: Als ich vor Jahren den tiel-
sreifenden genetischen Gegensatz zwischen archiblastischen und para-
blastischen Geweben kennen lernte, als mich dann speciell auch die
Beziehung farbloser Zellen zu Dotterelementen und die Bedeutung der
Dotterkerne und Dotterkörner für die Zellenernährung beschäftigten,
dachte ich daran auf breiterer Basis den Gegenstand zu bearbeiten.
Die Fragen, die ich mir damals gestellt hatte, waren:
1) ob die Anlagen des Blutes und der Bindesubstanzen allgemein
aus einem am Furchungsvorgange nicht theilnehmenden Nebenbestand-
theile des Eies hervorgehen und
2) ob im Organismus niedrigerer Thiere lecithoide Bestandtheile
vorkommen, deren Entstehung auf parablastische Zellen sich zurück-
führt.
Es ist in einer beiläufigen Notiz, wie der gegenwärtigen nicht der
Ort, die Berechtigung dieser Fragen für damals, oder jetzt zu discutiren.
Die Literatur stellte für die eine, wie für die andere keine ungünsti-
sen Aussichten, der Versuch einer Inangriffinahme aber zeigte mir auch
bald, dass ich ohne jahrelanges Versenken in mir fernestehende Dinge
nur Dilettantenarbeit zu liefern im Stande sein würde. Als eine
Dilettantennotiz mag denn auch die nachfolgende hingenommen wer-
den, die ich nur publieire, weil sie auch jetzt nach 7 Jahren noch
neu und zugleich für die Frage von der Einzelligkeit der Infusorien
bedeutsam ist.
Der Körper von Nassula, Bursaria u. A. enthält eine wechselnde
Zahl von kugligen Gebilden granulirter Beschaffenheit. Es sind dies
wohl Theile, die von EHRENBERG für Magen, von späteren für
Speiseballen, oder theilweise auch für Keimkugeln gehalten worden
sind. Ihr Durchmesser beträgt um 12 u oder etwas darüber. Hat man
DalzenS2188:
und die Entstehung der parablastischen Zellen. 287
die Thiere mit einem körnigen Farbstoff gefüttert, so findet sich der
Farbstoff schon nach wenigen Minuten in jenen Kugeln vor, und nur
ein verhältnissmässig geringer Antheil desselben liest frei im Innen-
parenchym.
Beim Zerquetschen werden die fraglichen Gebilde frei; nach ihrem
Austritt in das Wasser umgehen sie sich sofort mit einem breiten
hellen Hof, dieser zerplatzt weiterhin und die zurückbleibende trübe
Kugel enthält die Ansammlung des Farbstoffes nebst den sonstigen
körnigen Bestandtheilen. Wird zu derselben Essigsäure zugesetzt, so
ändert sich ihr Charakter: die äussere Körnermasse hellt sich auf,
es tritt die scharf umschriebene Contour eines Zellenkernes
hervor und die aufgenommenen Farbstoffkörner erweisen
sich als diesem äusserlich nur anhaftend, d. h. sie liegen in
der durch die Essigsäure aufgehellten Substanz.
Ich setzte zu lebenden Thieren ein kleines Quantum der Thiersch-
schen Lösung von oxalsaurem Carmin. Die Infusorienkörper hellten
sich auf, und ihr Nucleus färbte sich; ebenso färbten sich aber die
Kerne der im Körper eingeschlossenen Inhaltskugeln und traten scharf
hervor.
In ammoniakalischer Carminlösung macht sich der Hergang etwas
anders: Das Thier stirbt nicht augenblicklich ab. Als heller Körper
hebt es sich von der rothen Flüssigkeit ab; sowie man es zerquetscht,
so färben sich die Kerne der austretenden Kugeln roth.
Die angegebenen Erfahrungen lassen sich sonach folgendermassen
zusammenfassen: Der Körper der genannten Infusorien ent-
hält innerhalb seiner Substanz kernhaltige Zellen von der
Grösse und dem Aussehen farbloser Blutzellen, welche auch
darin übereinstimmend mit Leucocyten sich verhalten, dass
sie körnige Bestandtheile von Aussen in sich aufzunehmen
vermögen.
Sehr beträchtlich ist die Zahl der im Körper enthaltenen Zellen
bei Stentor. Der Körper dieser Thiere ist durch reichliche Chloro-
phylleinlagerungen mehr oder weniger undurchsichtig und die Abgren-
zung separater Zellen ist daher von Aussen nicht wahrnehmbar. Beim
Zerdrücken dagegen treten diese isolirt hervor, und man begegnet
Formen von sehr verschiedener Grösse, solchen welche einen und sol-
chen welche 2 und 3 Kerne enthalten. In ihrem Innern liegen Chloro-
phylikörner in wechselnden Mengen. Einzelne Zellen sind gedrängt
voll davon, andere enthalten deren nur eines oder wenige.
288 W. Hıs. Der Keimwall des Hühnereies
Erklärung der Abbildungen.
Taf. XIII.
Mit Ausnahme von Fig. 15 und Fig.16 sind alle Zeichnungen nach frischen
Präparaten mit dem Prisma entworfen.
Fig. 1. Keimwall der Area vasculosa (innerer Keimwall) nach 24stündiger
Bebrütung von unten her gesehen. System VIII (b).
K Keimwallkugeln.
P interglobuläres Protoplasma mit Dotterkörnern und Fetttröpfehen.
Fig. 2. Umschlagsfalte desselben Präparates. Syst. VIII (b).
Fig. 3. Interglobuläres Protoplasmanetz desselben nach 1tägiger Mace-
ceration in Kochsalzlösung 0,7%, isolirt. Syst. X.
Fig. 4. Stück Protoplasmanetz eines ebensolchen Keimes durch Schütteln
isolirt mit theilweise umschlossener weisser Dotterkugel. Syst. X.
Fig. 5. Stück des Protoplasmanetzes nach 19stündiger Bebrütung mit
sichtbarem Kern.
Fig. 6. Weisse Dotterkugel, von archiblastischem Protoplasma -umhüllt,
frisches Isolationspräparat nach 39stündiger Bebrütung. Syst. X.
Fig. 7. Gleiches Object, am Rande einer Umschlagsfalte gesehen. Syst. X.
Fig. S. Weisse Dotterkugel zur Hälfte von einem archiblastischen Proto-
plasmakörper umhüllt. . Isolationspräparat nach 38 stündiger Bebrütung. Mit
Fuchsin färbte sich die obere blasse Hälfte des Gebildes, die untere dagegen
blieb ungefärbt. Syst. X. ;
Fig. 9—14 u. 17— 20. Frisch isolirte Keimwallkugeln mit intraglobulärem
Protoplasma verschieden nach Menge und Phase der Ausbildung. S. Text.
Syst. X. -—-.9, 13 u. 14 nach 24stündiger, 17, 18 u. 20 nach 40stündiger, 10,
11, 12 u. 19 nach 52stündiger Bebrütung.!)
Fig. 14. Keimwall, auf dem Durchschnitt. Osmiumpräparat. Syst. VIII.
21stündige Bebrütung. Die Bildung der Blutgefässe leitet sich eben ein. Der
Schnitt fällt auf die Grenze von Area vasculosa und Area vitellina oder von
innerem und äusserem Keimwall. Die gefässbildenden Zellen @ liegen in Masse
unter dem Epiblast und zum Theil zwischen den tieferen Kugeln des Keimwalles.
K Keimwallkugeln; die bezeichnete zeigt eine Anzahl von Protoplasmakörpern
neben einem unveränderten Kern. P das interglobuläre Protoplasma in der
unteren Grenzschicht zusammenfliessend.
Fig. 15. Schnitt durch dieselbe Stelle in einem etwas vorgerückten Sta-
dium. 30stündige Bebrütung. Es haben sich schon Gefässe (G) angelegt, die
1) Aus Versehen hat die Fig. 20 (unter Fig. 8 stehend) die Ziffer 10 erhalten.
und die Entstehung der parablastischen Zellen. 289
dem inneren Keimwall unmittelbar aufliegen, der überliesende Raum ist nicht
unmittelbar vom Epiblasten überdeckt, sondern er trägt eine parablastische
(endotheliale) Bekleidung. Bei @ sieht man parablastische Zellen ausserhalb.
des Gefässhofes, bei X) Klumpen von Zellen, noch von gemeinsamer Hülle um-
seben (zu vergl. Taf. X. Fig. 4 meiner Untersuchungen), bei X, einen grösseren
bereits von Gefässzellen umgebenen Zellenklumpen, eine Blutinsel. X Keimwall-
kugeln. P Interglobuläres Protoplasma.
Fig. 21. Bursaria. Mit inneliegenden kernhaltigen Zellen.
Fig. 22. Zelle aus deren Körper mit Essigsäure behandelt.
Fig. 23. Zellen durch Druck aus dem Körper eines Stentor isolirt, theils
ein- theils mehrkernig und meist chlorophylihaltig.
Zeitschrift f. Anatomie. Bd. I, 19
Ein Beitrag zur Kenntniss der Structur der Sehnen.
Von
Dr. W. Herzog.
(Hierzu Tafel XIV.)
In den folgenden Zeilen theile ich die Resultate einiger Unter-
suchungen mit, die ich im Sommer 1873 in der histologischen Ab-
theilung des Leipziger physiologischen Laboratoriums auf Anregung
und unter Leitung des Herrn Professor SCHWALBE über den Bau der
Sehnen anstellte. .
Es handelte sich dabei zunächst um eine genauere Deutung der
Quersehnittbilder, namentlich um die Erklärung derjenigen Linien,
welche in den Feldern zwischen den sternförmigen Lücken des Sehnen-
quersehnitts, den sog. Bindegewebskörperchen, zur Beobachtung kommen.
Um Missverständnisse zu vermeiden, betone ich, dass ich diese Felder
hinfort als primäre Bündel und einen von lockerem Bindegewebe um-
rahmten Complex dieser letzteren als ein secundäres Sehnenbündel be-
zeichnen werde. An diese Untersuchung musste sich nothwendig eine
weitere anschliessen, welche es sich zur Aufgabe machte, die Frage
nach der Anordnung der primären Bündel innerhalb eines secundären
zu beantworten. Ueber die platten, den primären Bündeln anliegen-
den zelligen Elemente der Sehnen habe ich keine neuen Untersuchungen
angestellt, dagegen mich bemüht, auf dem Wege der Injeetion die
Lückennatur der sternförmigen Figuren des Querschnitts entwickelter
Sehnen nachzuweisen. Eine Aufzählung der einschläglichen Literatur
habe ich für unnöthig erachtet, da dieselbe genugsam aus den zahl-
reichen Arbeiten der letzten Jahre bekannt ist; auf einige derselben
werde ich an geeigneter Stelle näher eingehen.
W. Herzog. Ein Beitrag zur Kenntniss der Struetur der Sehnen. 291
Um eine dem Leben möglichst entsprechende Ansicht des Sehnen-
quersehnittes zu erhalten, wurden frische Achillessehnen vom Kalbe
in einer künstlichen Kältemischung zum Gefrieren gebracht und feinste
Querschnitte von denselben angefertist. Diese wurden alsdann in
halbprocentiger Kochsalzlösung oder auch in destillirtem Wasser unter-
sucht.
In Fig. 1 ist ein Theil eines solchen Querschnitts dargestellt.
Auf demselben treten die bekannten schwarzen sternförmigen Gebilde
und als Verbindungslinien zwischen ihnen schwarze Linien zu
Tage. In den von den sternförmigen Gebilden und den Linien ab-
gegrenzten Räumen liegen die primären Fibrillenbündel, deren Quer-
schnitt eine eigenthümliche Zeichnung von Feldern, die durch helle
anastomosirende Linien getrennt werden, darbietet. In diesen Feldern
selbst erscheinen die Durchschnitte der einzelnen Fibrillen, die sich als
schwarze Punkte darstellen. Diese einzelnen Querschnitte einer jeden
Fibrille sind vor einer homogenen, mässig transparenten hellen Sub-
stanz in ziemlich regelmässiger Weise umgeben. Zwischen einer grös-
seren Menge in dieser Weise gruppirter Querschnitte finden sich
längere und zugleich breitere Streifen dieser helleren Substanz,
so dass dadurch das Aussehen einer Eintheilung des einzelnen Fibrillen-
bündels in eine grosse Menge grösserer und kleinerer Felder entsteht.
Die einzelnen Felder sind aber nicht von gleicher Grösse Es ist
daher eine sehr mannigfaltige Anordnung dieser Substanz gegeben,
allein durch die Regelmässigkeit ihres Vorkommens charakteristisch.
Man sieht zahlreiche Figuren von grösserer oder geringerer Regel-
mässigkeit, welche durch die sich theilenden und wieder anastomo-
-sirenden Linien hervorgebracht werden. Einige von diesen verlieren
sich so zu sagen in der Substanz des Bündels, indem die einzelnen
Fibrillenquersehnitte bis zur Berührung an einander rücken, andere
dieser Linien laufen theils zu den sternförmigen Gebilden, theils zu
den schwarzen Verbindungslinien hin, und hören nahe an der Grenze
derselben auf. Ausser diesen erwähnten hellen Linien sind keine
anderen Gebilde in der Substanz des primären Bündels bemerkbar.
Besonders unterliegt es keinerlei Schwierigkeit, zu constatiren, dass
von den schwarzen Verbinduneslinien niemals Ausläufer, die in ihrem
Verhalten mit denselben übereinstimmen, in das Innere der Fibrillen-
substanz eintreten, oder sich in irgend welcher Weise in derselben
verästeln. |
Die beschriebenen hellen Linien dürften sich am leichtesten da-
durch erklären lassen, dass es sich um eine grössere Ansammlung von
Kittsubstanz handelt, die in der eigenthümlichen, oben beschriebenen
19*
292 W. HERzoe.
Weise eruppirt ist. Diese Linien treten besonders deutlich auf Zu-
satz von Wasser hervor, so dass man eine besondere Einwirkung
desselben auf die Kittsubstanz schliessen darf, die darin besteht, dass
die Kittsubstanz quillt und auf diese Weise besser und deutlicher zur
Anschauung gelangt.
Nachdem ich mir auf diese Weise über die Anordnung der Fi-
brillen innerhalb der primären Bündel eine klare Anschauung ver-
schafft hatte, suchte ich weiterhin festzustellen, in welcher Art und
Weise die primären Bündel selbst sich aneinander legen. Zum Zwecke
dieser Untersuchung ‘wurden von getrockneten Achillessehnen des
Kalbes etwas dickere Schnitte angefertigt, und in die von MAx SCHULTZE
empfohlene mehr concentrirte wässerige Auflösung des essigsauren
Kali gebracht. Das Gewebe der Sehne wird dadurch in einen Grad
von Schwellung versetzt, der wohl dem vor der Trocknung bestehenden
gleichkommen dürfte. Die Structur selbst erfährt dadurch durchaus
keine Veränderung und es fällt besonders der Vergleich mit Präparaten,
die in Glycerin aufbewahrt worden sind, sehr vortheilhaft zu Gunsten
des essigsauren Kali aus, weil letzteres Reagens die Theile nicht so
stark erblassen macht.
Wenn man nun successive durch wechselnde Einstellung auf
verschiedene Ebenen des Querschnittes tiefere Lagen des Präparates in
den Focus bringt, und sich dadurch über die Art und Weise orien-
tirt, wie die sternförmigen Gebilde in der Substanz des secundären
Sehnenbündels vertheilt sind, so ergiebt sich, dass nicht sämmt-
liche Sterne durch die ganze Dicke des Schnittes hindurchgehen.
Man sieht nämlich zuweilen in der Mitte des Schnittes oder auf
der unteren Ebene desselben neue Sterne erscheinen, die auf der ober-
sten Ebene, wenn das Präparat eben deutlich eingestellt ist, nicht zur
Anschauung kommen. Umgekehrt können Sterne, die auf der ober-
sten Ebene des Schnittes sichtbar sind, verschwinden, wenn man die
tieferen Lagen durch Aenderung der Einstellung zur Anschauung
bringt. Die meisten Sterne kann man aber durch die ganze Dicke
des Schnittes verfolgen, und dieselben sind stets als schwarze Punkte
sichtbar. Manchmal weichen sie allerdings von der geraden Richt-
ung nach einer oder der anderen Seite hin etwas ab, so dass sie
dann als Linie zur Anschauung kommen, in der untersten Ebene aber
wieder als Sterne erscheinen. Besonders deutlich und fast eonstant
kommt dieses zuletzt erwähnte Verhältniss in der Nähe der Scheide-
wände des" mehr lockeren Bindegewebes, das die secundären Bündel
gegen einander abgrenzt, zur Anschauung. Durch dasselbe Verfahren
kann man sich auch über das Verhalten der schwarzen Linien und
Ein Beitrag zur Kenntniss der Structur der Sehnen. 293
ihre Beziehungen zu den Sternen orientiren. Man sieht auf dem
(erschnitt ein System von Verbindungslinien zwischen den Sternen,
die sämmtlich von Sternen ausgehen und in der Mehrzahl der Fälle
auch wieder zu Sternen hinlaufen. Oefters bemerkt man jedoch, wie
auf der obersten Ebene Linien von Sternen abgehen, die nicht ihr
Ende an einem Sterne erreichen, sondern in das primäre Bündel hinein-
dringen und nun scheinbar in der Substanz desselben enden. Wenn
man aber durch Verschiebung derartige Linien in die tieferen Lagen
des Schnittes verfolgt, so wird man finden, dass diese Linien dort zu
einem Sterne hinzutreten, oder durch Zusammentritt mit einigen an-
deren ähnlichen Linien einen neuen Stern constituiren.
Dieses Verhalten findet seine Erklärung darin, dass die primären
Bündel unter sehr spitzen Winkeln mit einander anastomosiren.
Wenn nämlich zwei Bündel unter einem spitzen Winkel zusammen-
treten und sich zu einem vereinigen, so hört natürlich die Scheide-
wand, die sie bis daher von einander getrennt hatte, auf. Es muss
daher auch optisch diese Scheidewand ausfallen, und da der op-
tische Ausdruck derselben ein Stern oder eine von ihm ausgehende
schwarze Linie ist, so verschwinden unter diesen Umständen diese Ge-
bilde an dem Orte, wo die beiden Bündel sich zu einem vereinigt
haben, aus dem Gesichtsfell. Umgekehrt muss, wenn ein bis dahin
einfaches Bündel in zwei sich theilt, hier nun, da jedes Bündel eine
eigene Scheide besitzt, der optische Ausdruck derselben zur Anschau-
ung kommen; in diesem Falle muss also ein Stern oder eine dazu ge-
hörige Linie im Gesichtsfeld auftauchen. Zu gleicher Zeit muss man
aber annehmen, dass die Vereinigung oder Theilung der Bündel nicht
immer in einer der Fläche des Querschnitts entsprechenden Ebene
stattfindet, sondern manchmal in einer dieselbe unter einem mehr oder
weniger grossen Winkel schneidenden Ebene. Man muss desshalb, da
man bei einer bestimmten Einstellung immer nur einen geringen
Theil des Schnittes im Gesichtsfell hat, den Schnitt ganz durch-
mustern und die schwarzen Linien in ihrem Verlaufe verfolgen, um
zu einer vollständigen Anschauung von der Theilung oder Trennung
der Bündel zu gelangen. Aus diesen Beobachtungen dürfte ferner
hervorgehen, dass die primären Bindegewebsbündel von einer überall
deutlich hervortretenden Scheide umgeben sind, die dieselben ganz um-
scheidet und gegen die anliegenden abgrenzt.
Von weiterem Interesse erschien es nun, zu untersuchen, ob sich
nicht ein Zusammenhang der auf dem Querschnitt sichtbaren stern-
förmigen Lücken zwischen den Fibrillenbündeln mit Lymphräumen
nachweisen lasse. MICHEL gelang es bei seinen Untersuchungen über
294 W. Herzoc.
die Sklera!) und Dura mater cerebralis?) die sogenannten Binde-
sewebskörperchen durch Einstich zu injieiren und sie als Spalträume
und Lücken zwischen den Fibrillenbündeln nachzuweisen, in der Weise,
dass jede einzelne Spaltlücke von einer Zellplatte ausgekleidet ist.
Bei den Sehnen nun ebenfalls Injectionen anzustellen, erschien um so
mehr gerechtfertigt, als ja in ihrem Gewebe schon zusammenhängende
Zellenreihen nachgewiesen sind, die Endothelien auffallend gleichen.
Sie liegen hier den Bindegewebsbündeln auf und umscheiden sie
wenigstens theilweise. Es liegen schon einige Versuche der Injection
vor. So versuchte HEnLE°) vergeblich die zwischen den Bündeln ver-
laufenden Gefässe zu injiciren. BorL*), kam ebenfalls zu keinem ge-
nügenden Resultate. Krause) will zwar durch Einstichinjeetion die
sogenannten anastomosirenden Bindegewebszellen des Sehnenquerschnitts
dargestellt haben, hat aber nicht ihre Bedeutung und Beziehung zu
den Lymphgefässen erkannt. Die Frage gewann an Bedeutung, als
LupwiG und SCHWEIGGER-SEIDEL®) sowohl auf der Oberfläche der
Sehnen, als auch im Innern derselben, nämlich im interstitiellen Binde-
sewebe zwischen den secundären Bündeln, zahlreiche Lymphgefässe
nachwiesen.
Zum Zwecke der Untersuchung wurden frische Achilles - Sehnen
vom Kalbe durch Einstich mit der feinsten Kanüle von !/,—!/, mm.
Durchmesser einer PrAvAz’schen Spritze injieirt. Die Spitze der Ka-
nüle wurde bis gegen die Mitte der Sehne eingeführt und unter ganz
geringem Drucke eine Zeitlang die Injection ausgeführt. Als Injections-
Masse diente Berliner-Blau. Wurden Injectionen unter etwas stärkerem
Diuck ausgeführt, als der für die eben erwähnten angewendet wurde,
so wurden sehr bald einzelne Lymphgefässe auf der Oberfläche gefüllt
und bei der weiteren Fortsetzung der Injection erhielt man schliesslich
die Netze von Lymphgefässen, wie sie in ausführlicher Weise von
LupwıG und SCHWEIGGER- SEIDEL schon dargestellt sind”. In
!) Beiträge zur Kenntniss der hinteren Lymphbahnen des Auges. GRAEFE’s
Archiv für Ophthalmologie. 18. Band. I. 8. 143.
?) Zur näheren Kenntniss der Blut- und Lymphbahnen der Dura mater cere-
bralis. Aus den Berichten der mathem.-phys. Klasse der königl. sächs. Gesell-
schaft der Wissenschaften. 1872. (vom 12. Dezember) S. 331.
3) Canstarr’s Jahresbericht für 1851. I. Band. S. 24.
#) Untersuchungen über den Bau und die Entwicklung der Gewebe. Scuuntze’s
Archiv. VII. Band. 1871. S. 289.
5) Göttinger gelehrte Anzeigen. 1864. II. Band. S. 1097.
6) Die Lymphgefässe der Fascien und Sehnen. Leipzig. 1872.
7) a. 3. 0.2 Taf... Rig 22undRie 3,
Ein Beitrag zur Kenntniss der Structur der Sehnen. 295
gleicher Weise angestellte Versuche an der Sehne des quadriceps beim
Hunde hatten im wesentlichen das gleiche Resultat. Auch hier traten
die von LUDwIG und SCHWEIGGER - SEIDEL beschriebenen Netze so-
wohl auf der Sehne, als auch auf der Fascie neben der Sehne mit der
grössten Deutlichkeit und Constanz zu Tage).
Die betreffenden auf solche Weise unter stärkerem und schwä-
cherem Drucke injieirten Sehnen wurden getrocknet und von diesen
getrockneten Präparaten Quer- und Längsschnitte angefertigt. Diese
Schnitte wurden ebenfalls in eine Lösung von essigsaurem Kali ge-
bracht; doch hatte hier diese Methode den einzigen Nachtheil, dass
die charakteristischen Injectionsfiguren allmählich in ihrer Färbung
schwächer wurden und desshalb die Präparate nicht für längere Zeit
haltbar waren; die Structurbeschaffenheit dagegen der Sehne selbst blieb,
wie oben erwähnt vollkommen erhalten.
In Fig. 2 habe ich einen auf solche Weise gewonnenen Quer-
schnitt abgebildet. Man sieht auf demselben zarte blaue Linien, die
unterbrochen werden von blauen Knotenpunkten, von denen wiederum
andere, manchmal mehrere blaue Linien zu ähnlichen Sternen hin-
laufen. Das secundäre Bündel erscheint auf diese Weise durchzogen
von einem Netze feinster blauer Linien. Es gelang sogar an einigen
Stellen ein vollständiges blaues Netz zur Anschauung zu bringen. Auf
dem Theil des Querschnittes, in den die Injestionsmasse nicht einge-
drungen ist, bemerkt man die bekannte Structur der Sehne mit ihren
schwarzen Sternen und Verbindungslinien. Die Art und Weise der
Vertheilung der Injeetionsmasse correspondirt genau mit dem Ver-
laufe dieser schwarzen Linien und Sterne. Man sieht öfters schwarze
Linien zu einem blauen Sterne hinlaufen, oder eine blaue Linie bis
zu einem scharzen Sterne sich fortsetzen, von dem dann mehrere
schwarze Linien abgehen. Man wird desshalb wohl mit Recht an-
nehmen dürfen, dass die Injectionsmasse dem Verlaufe der schwarzen
Linien gefolgt und in ihnen fortgeschritten ist.
Mit der Injection dieser blauen Linien trat zu gleicher Zeit eine
reichliche Füllung derjenigen Lymphgefässe ein, welche in dem Binde-
gewebe der Scheidewände verlaufen und die ebenfalls von Lupwie und
SCHWEIGGER-SEIDEL abgebildet worden sind.2) Zwischen diesen und
len oben erwähnten blauen Linien besteht nun in sofern ein Zu-
sammenhang, indem letztere meistens bis an die gefüllten Lymph-
sefässe heranreichen; und zwar gehen diese Linien entweder einzeln
Dyara.so. Tak.,1’ Eis.
2)ra.0a. O0. Taf. II. Rio.
296 W. Hrxrzoc.
direkt in die Lymphgefässe über oder es steht ein über einen grös-
seren Bezirk ausgebreitetes System von vielfach verzweigten blauen
Linien dnrch einen oder zwei längere derselben mit den Lymph-
gefässen in Verbindung. Bemerkenswerth ist noch der Umstand, dass
öfters die blauen Linien im Zusammenhang stehen mit den eigen-
thümichen Gebilden, die im Innern der Sehnenbündel gelegen sind,
die auch LupwiG und SCHWEIGGER-SEIDEL !) abbilden und von
denen es dort unentschieden gelassen wird, ob man es mit einem
Gefäss zu thun habe.?)
Entsprechend der Vertheilung der Injeetionsmasse auf den Quer-
schnitten findet sich dieselbe auf Längsschnitten flächenhaft vertheilt
und an einzelnen Stellen ist eine stärkere Anhäufung derselben vor-
handen, wo denn dieselbe als stärker markirter Streifen auftritt. Diese
Streifen verlaufen mehr oder weniger parallel der Längsachse der
Sehne. Bei Vergleichung der Quer- und Längsschnittbilder dürfte man
wohl zu dem Schlusse berechtigt sein, dass hier die Injeetionsflüssig-
keit die primären Bindegewebsbündel umgiebt. Denn die blauen Linien
umgeben auf dem Querschnitt die Durchschnitte der Bündel, während
auf dem Längsschnitte die Injectionsmasse Nlächenhaft ausgebreitet ist,
indem sie die mehr oder weniger eylindrischen Bündel umspült. Da
ferner die Injectionsmasse genau den schwarzen Linien entsprechend,
die wir als den Ausdruck der Scheide zwischen den einzelnen Bündeln
kennen gelernt haben, fortgeschritten ist, so kann man wohl annehmen,
dass zwischen den Bündeln präexistirende Spalträume bestehen, in
welche die Injectionsmasse eingedrungen ist, und in denen sie die
Bündel umspült. Wo nun zwei oder drei Bündel aneinander stossen»
entsteht ein grösserer Spaltraum,sder sich theils als Stern, theils als
markirterer Streifen darstellt. Aus dem Umstande, dass diese inji-
cirten Spalträume an die Lymphgefässe direkt heranreichen, dürfte
ferner gefolgert werden, dass dieselben in direkter Communication mit
den letzteren stehen und ihren Abfluss in dieselben haben.
Es ist schon oben angegeben worden, dass Sehnen theils unter
stärkerem, theils unter schwächerem Drucke injicirt wurden und dass
bei dem Verfahren mit stärkerem Drucke die oberflächlichen Lymph-
gefässe gefüllt wurden, wogegen dieses Resultat bei Anwendung von
schwächerem Drucke nicht constatirt werden konnte. Dem entspre-
chend waren auch die mikroskopischen Verhältnisse. Wenn nämlich
die Lymphgefässe auf der Oberfläche injicirt waren, konnte man bei
Ira, a. 0, Tar. II. Fir 2:
Ara a. Omen
Ein Beitrag zur Kenntniss der Structur der Sehnen. 297
mikroskopischer Untersuchung keine so vollständige Füllung der Spalt-
räume constatiren. Es waren in reichlicher Ausdehnung die Lymph-
gefässe in dem interstitiellen Bindegewebe gefüllt, dagegen war die
Injeetionsmasse gewöhnlich nicht weiter als ein oder zwei Sterne weit
in das Bündel eingedrungen. Befriedigender dagegen war das Resultat
für die mikroskopische Betrachtung bei dem anderen Verfahren, wenn
nämlich blos kurze Zeit und unter geringem Drucke die Injection
ausgeführt worden war. Man bekam dann die in Fig. 2 abgebildeten
Verhältnisse.
Man sieht daraus, dass bei der Reichlichkeit der Wege, die der
Iniectionsmasse zu (Gebote stehen, dieselbe, wenn stärkerer Druck an-
sewendet wird, den grösseren Wegen folgt und somit möglichst schnell
die grösseren Abflusswege erreicht. Wenn dagegen die Injectionsmasse
unter schwächerem Drucke eingetrieben wird, so vertheilt sich die-
selbe langsamer und füllt zugleich die schwerer zugänglichen Bahnen
_ an. Vielleicht kommt hier auch noch das Moment in Betracht, dass
bei Injection unter stärkerem Drucke schnell die grösseren Gefässe
angefüllt werden und diese dadurch die Sehne in einen solchen Grad
von Spannung versetzen, dass die Substanz der Sehne comprimirt wird.
Es werden daher bei diesem Verfahren die Spalträume in dem secun-
dären Bündel, die ohnehin bei dem Eintritt der Injeetionsflüssigkeit
erst ausgedehnt werden müssen, von derselben nicht betreten werden.
Würzburg, Juli 1875.
Erklärung der Abbildungen.
Taf. XIV.
Fig. 1. Querschnitt durch eine frische Achillessehne vom Kalbe, die in
einer künstlichen Kältemischung zum Gefrieren gebracht wurde.
Harrtnack. Ocular 3. Öbjectiv 8.
Fig. 2. Einstichinjeetion mit Berliner-Blau. Querschnitt durch die getrock-
nete Achilles-Sehne vom Kalbe. Harrnack. Ocular 3. Objectiv 4.
a) Lymphgefäss im interstitiellen Bindegewebe zwischen den secundären
Bündeln.
b) Gefüllte Spalträume zwischen den primären Bündeln.
c) Im Innern des Bündels gelegene Injectionsmasse.
Besprechungen.
Die Entwieklungsgeschichte der Unke, als Grundlage einer verglei-
chenden Morphologie der Wirbelthiere, von Dr. Alexander Goette.
61 Bogen Text in 8° und Atlas von 24 Tafeln in Fol.
Referirt und besprochen von W. His.
-
Eine Monographie, wie die angezeigte, von nahezu 1000 Seiten und von
24 Foliotafeln, die überdies mit einem Preise von 150 Mark behaftet ist,
gehört so wenig zu den Alltäglichkeiten literarischer Production, dass ihr
Erscheinen selbst in den Buchhändlerkreisen des viel verlegenden Leipzig leb-
haftes Aufsehen erregt hat. Den inneren Werth einer Schrift nach ihrem Um-
fang, ihrer Ausstattung oder gar nach ihrem Preise zu bemessen, wird zwar
Niemandem einfallen, ein Jeder, dem das Leben der Wissenschaft am Herzen
liegt, nimmt indess mit Freuden ein Werk in die Hand, das schon durch
sein Aeusseres bezeugt, dass dem Verfasser mit seiner Aufgabe Ernst ge-
wesen ist, und dass er sich’s eine Reihe von Lebensjahren hat kosten lassen,
derselben nach Kräften gerecht zu werden..
Gorrtte’s Werk enthält denn auch eine reiche Fülle von Material und
auf lange hinaus werden zukünftige Forscher mit demselben zu rechnen haben,
mögen sie sich im Uebrigen noch so oppositionell dazu stellen. Solche um-
fassende Arbeiten gewinnen schon durch den Umfang des durchforschten Ma-
terials ein Uebergewicht über Partialarbeiten, und sind dadurch vor dem abso-
luten Veralten geschützt. Neben den die Tagesforschung bewegenden, wer-
den sie stets eine Reihe von ferneren Fragen anregen, die von jener unbeachtet
Besprechungen. 299
ruhen, bis auch an sie die Reihe kommt, Gegenstand allgemeineren Interesses
zu werden.
Eine an derselben Speeies mit so grosser Ausdauer durchgeführte ent-
wicklungsgeschichtliche Untersuchung wie die Gorerre’sche muss selbstver-
ständlich dazu beitragen, der individuellen Entwicklungsgeschichte im Kreise
der biologischen Disciplinen ihren selbstständigen Platz zu wahren, und die eng-
herzige Bevormundung zurückzuweisen, welche ihr die dogmatische Descen-
denzschule aufzuerlegen bemüht ist. Verfasser nimmt wiederholten Anlass,
in der Hinsicht Farbe zu bekennen, und manche seiner Auslassungen sind
prineipiell mit denen des Referenten sehr nahe übereinstimmend. Ich brauche
hier nur an den Schlusssatz zu erinnern, „dieindividuelle Entwicklungs-
geschichte der Organismen begründet und erklärt allein die ge-
sammte Morphologie derselben.“ Gorrrse bemüht sich, gleichwie
Ref., den physiologischen, oder wie er sich mit Vorliebe ausdrückt, den cau-
salen Zusammenhang zwischen den sich folgenden Phasen der Entwicklung
nachzuweisen, und die mit Nothwendigkeit zu gebende Ableitung der späteren
Entwicklungsphasen aus den in vorangegangenen Stufen gegebenen Bedingun-
gen aufzufinden.
Die Aufgaben, welche sich Goertz gestellt hat, übersteigen jedenfalls die
Kräfte eines Einzelnen, und aus, dem Umstande, dass das @. selbst nicht klar
geworden ist, erklären sich die hauptsächlichen Schwächen seiner Schrift.
GoErrE hat nicht nur die ganze, von ihm verfolgte Entwicklungsreihe durch-
beobachten, er hat sie auch durcherklären wollen, und in Verkennung der
gegebenen physiologischen Grundlagen ist er dabei vielfach zu Willkürlich-
keiten hingerissen worden, die nicht nur seinem Buche, sondern die überhaupt
der Würdigung der ganzen Richtung Schaden thun müssen.
Die einseitige Energie von Gorrır’s Streben macht sich auch in anderer
Weise bemerkbar, so vor Allem in seiner Polemik. Geduldige, in die Materie
eintretende Auseinandersetzung mit anders denkenden Forschern ist seine Sache
nicht, sein Urtheil über Andere ist durchweg ausnehmend schroff und ab-
sprechend. Den Referenten trifft das persönliche Missgeschick, mit der Un-
gnade des russischen Morphologen in besonders reichlichem Maasse bedacht
zu werden, andere Forscher werden indess in nicht minder absolutistischer
Weise behandelt, und es hat den Anschein, als ob es für GoETTE Grundsatz
sei, bei seiner Leistung ab ovo das von Anderen Geleistete von vornherein, als
nicht zu Recht bestehend, zu verwerten.
So lange eine Polemik auf genauem Studium dessen beruht, was bekämpft
wird, muss man sich dieselbe, selbst in herber Form, gefallen lassen, denn
die im eivilen Verkehr üblichen Rücksichten hat man nun einmal im wissen-
schaftlichen nicht zu beanspruchen. Indess zeigt gerade GoerıE für correete
Auffassung fremder Darstellungen wenig Sinn. Schon von einer anderen Seite
300 Besprechungen.
her!) sind ihm in der Hinsicht Oberflächliehkeit und Unterstellungen vor-
geworfen worden, Ref. hat seinerseits gleiche Vorwürfe zu erheben. Der mit
des Referenten Namen bekleidete Gegner z. B., dessen naturphilosophische
Vorurtheile von Gorrrs so erbarmungslos vernichtet werden, ist ein Phantom,
welches mit dem Referenten selbst durchaus Nichts gemein hat.
Principielle Auseinandersetzungen geschehen bei Goxrrr im Allgemeinen
mit grosser Breite, ohne deshalb immer den Eindruck klaren Durchdachtseins
zu hinterlassen. Ueber die zur Präparation angewendeten Methoden vermisst
man, abgesehen von sehr sporadischen Bemerkungen, in dem umfangreichen
Werke jegliche nähere Mittheilung. Auch die von GorrrE in M. Schuutze’s
Archiv publieirten Aufsätze entbehren derselben, und es ist dies um so mehr
zu bedauern, als Goerre nicht durchweg die nöthige Vorsicht zum Schutze
vor Trugbildern angewandt zu haben scheint.?)
Die 383 Abbildungen sind alle mit hoher künstlerischer Vollendung ge-
zeichnet, mit Geschmack angeordnet und vortrefflich lithographirt. Der Um-
stand, dass man an den Durchschnitten Zelle neben Zelle mit scharfen Con-
touren und ohne irgend welche Ueberlagerung liegen sieht, zeigt, dass die
Zeichnungen den Charakter von halbschematischen haben. Ueber die Vor-
züge dieser vor anderen Darstellungsweisen ist man bekanntlich noch nicht
zur Einigung gelangt. Im Allgemeinen hält Referent darauf, dass entwick-
lungsgeschichtliche Zeichnungen das grösstmöglichste Maass von Naturtreue
besitzen, und dass in ihnen Nichts scharf ausgezeichnet sein sollte, was im
Präparate nicht ebenso erscheint. Nur dann scheinen ihm die Zeichnungen
einen Rückschluss auf die scharfe Richtigkeit der Beobachtung zu gestatten.
Auch bedauert Ref., dass der grosse Atlas nicht durch Beigabe exacter Ver-
srösserungsmaassstäbe zu Messungen verwendbar gemacht worden ist.
Das Werk GoerreE’s zerfällt, ungerechnet die Schlussbemerkung, in
12 Abschnitte, deren erste 5 die Entwicklung des Eierstockseies, die Dotter-
theilung, die Keimblattbildung und die Sonderung der Organanlagen behandeln,
die übrigen 8 die Entwicklung einzelner Organsysteme und Regionen. Jeder
Abschnitt zerfällt in einen historischen, beschreibenden und vergleichenden Theil.
Im 1. Abschnitt über Eibildung verfolgt G. die Sexualdrüsen bis zu
ihrem ersten Sichtbarwerden bei Larven mit eben hervortretenden Hinterbein-
stummeln. Die feinen fadenförmigen Drüsenanlagen enthalten Zellhaufen, in
denen Rand- und Mittelzellen sich von einander unterscheiden. Letztere,
durch helleres Aussehen und bedeutendere Grösse hervortretend, sind die
erste Andeutung eines Follikelinhalts. Mit gleichartiger Anlage beginnt nach
@&. auch die erste Bildung der Hodenknäuel.
1) GEGENBAUR, Morpholog. Jahrbuch I. 326.
) 8. S. 281 dieser Zeitschrift.
Besprechungen. 301
‚Jedes Ei soll durch Verschmelzung mehrerer Zellen, das Keimbläschen
durch Vereinigung mehrerer Kerne entstehen und GorrrE glaubt Uebergangs-
bilder dieses Vorganges gesehen zu haben. Die mehrfachen Keimflecke
deutet G. als die vergrösserten Kernkörperchen der verschmolzenen Kerne.
Erst spät tritt der bindegewebige Antheil des Ovariums auf, indem vom
Ovarial-Gekröse aus Scheidewände zwischen die Follikel hineinwachsen. Letz-
tere zeigen sich, nachdem sie einmal kenntlich geworden sind, von stark ab-
seplatteten Zellen ausgekleidet. Nachdem die Hülle des Ovariums sich ge-
bildet hat, fehlt ein oberflächliches Epithel, von welchem aus Schlauchproli-
ferationen abzuleiten wären; es fehlt auch ein Bindegewebsstroma, in welches
Schläuche hineinzuwachsen vermöchten. G. stellt daher WALDEYEr’s bezüg-
liche Angaben für die Amphibien ebenso in Abrede, als Ref. es für die
Knochenfische gethan hat.
Das fernere Wachsthum des Dotters leitet sich ein durch das Auftreten
von Häufchen gelber, stark lichtbrechender Körmer an der Eiperipherie.
- Schichtenweise sich anlagernd vermehren sie die Dottermasse und machen
‚dieselbe undurchsichtig. .GorTTE fasst diese Schichten als Sekret der Fol-
likelwand auf, und er vergleicht die Dotterbildung der Sekretbildung in an-
derweitigen Drüsen. An Eiern von ca. !/, mm. tritt die Dotterhaut auf als
accessorische, anfangs halbflüssige Substanz, und noch später erscheint das
Pigment. Referent vermisst hier Angaben über die Zeiten der Beobachtung.
Da nach seinen eigenen Erfahrungen über die Entwicklung des Hühnereies
und des Knochenfischeies der Process der Dotteranhäufung nur in ganz be-
stimmten Perioden und im Allgemeinen sehr rasch erfolgt, hält er jene Dar-
stellungen, welche beliebige Eier verschiedener Grösse zu Reihen combini-
ren, ohne genauere Bestimmung der jeweiligen Entwicklungsphasen für nicht
entscheidend in der Frage der Dotterbildung. Was das Froschovarium betrifft,
so haben ihm die, unter seinen Augen angestellten Beobachtungen des Herrn
SeRSSEL gezeigt, dass zur Brunstzeit die Follikel von zahlreichen beweglichen
Leukocyten umgeben sind, von welchen in anderen Zeiten Nichts wahr-
genommen wird.
An Eiern von 1!/, mm. tritt eine Schrumpfung des Keimbläschens ein
(die Beobachtung bezieht sich wohl auf Erhärtungspräparate), Flüssigkeit und
feste Bestandtheile scheiden sich, die Flüssigkeit durchbricht den Dotter und
dringt an’ dessen Oberfläche vor; körnige Masse des Dotters durchsetzt den
zurückbleibenden Theil des Keimbläschens, an dem mittlerweile Membran
und Keimflecke sich gelöst haben. Als Endergebniss der Metamorphose be-
trachtet Goertz die Bildung eines Keims, welcher aus einer gleich-
artigen und in keinem Theile organisirten Masse besteht. Das
befruchtete Ei ist ihm weder im Ganzen noch zum Theil, weder nach
der Entstehung noch nach der fertigen Erscheinung 'eine Zelle. Keim-
302 Besprechungen.
bläschen und Dotter hatten in seinem Auge schon vor ihrer Mengung die-
selbe Zusammensetzung und die allfälligen Differenzen derselben mussten durch
Endosmose ausgeglichen werden.
Ec sind dies Aussprüche, welche trotz des principiellen Werthes, den
GoerTE darauf legt, doch sehr grundlos erscheinen, denn homogen darf man
ein Gemenge so verschiedenartiger chemischer Bestandtheile, von denen die
einen gelöst, die anderen ungelöst sind, doch sicherlich nicht nennen, und
was die Bezeichnung ‚„unorganisirt‘“ betrifft, so dürfte diese doch nur unter
der Restrietion angewendet werden, dass sie sich auf eine morphologisch
nachweisbare Structur bezieht.
Seine Grundanschauung auf andere Wirbelthiereier übertragend nimmt
G. an, dass durchweg der Follikelinhalt zu einer homogenen Masse werde,
und dass demnach auch die Unterscheidung von Haupt- und Nebendotter, wie
sie, im Anschluss an den Ref, WALDEYER angenommen hatte, zu verwerfen
sei. In Uebereinstimmung damit glaubt er sodann jene, angeblich nach-
trägliche Durchfurchung der ausser dem Keim liegenden Bestandtheile des
Vogeleies bringen zu können, deren fehlerhafte Begründung Ref. in einem
anderen Aufsatze dieses Heftes dargethan hat. Der Satz, dass die ursprüng-
liche Dottersubstanz eine formlose, nicht lebensfähige Masse, eine blosse An-
häufung von Follikelsekret sei, bildet auch die Grundlage der nachfolgen-
den Betrachtungen über Dottertheilung, und es ist nicht leicht zu sagen,
ob bei GorTTE dieser einschneidende Satz die Folge, oder ob er ein zuvor
vorhandener Hintergrund der dargestellten Beobachtungen ist.
Die Schilderung GoErrE’s von den ersten Furchungsvorgängen enthält
ein interessantes und vielfach neues Detail und es ist gerade hier zu be-
dauern, dass die Methoden der Präparation und die Controlen zur Sicherung
gegen Präparationsergebnisse nicht, oder doch nur höchst fragmentarisch mit-
getheilt sind. Nachdem das Keimbläschen als selbstständige Bildung zer-
fallen ist, und noch zur Zeit, da die Reste desselben sichtbar sind, gränzt
sich im Innern des Dotters ein neues Gebilde, der Dotterkern ab, der, an-
fänglich mehr centra) liegend, der oberen Eifläche allmälig nahe rückt. Auch
der Dotterkern ist mdess nur ein vergängliches Gebilde; in seinem Innern
entsteht ein heller, von feinkörniger Masse umgebener Fleck, den GorrTE
den „ersten Lebenskeim“ nennt und mit dessen Erscheinen die Abgränzung
des Dotterkernes schwindet. Während derselbe erscheint, verschiebt sich die
peripherische Pigmentlage im der Richtung gegen den oberen Eipol und das-
selbe geschieht mit einer aus kleinen Körnergruppen bestehenden Lage,
welche unter der Pigmentschicht und von ihr durch eine hellere Dotterrinde
geschieden ist.
Der „Lebenskeim“ ist ein Vorgebilde neuer Kerne, geht indess nach
GorrTE nicht als solcher m jene über. Er besteht aus einer weichen, durch-
Besprechungen. 303
scheinenden Masse von etwa 30 u Dm., welche sich ohne scharfe Gränzen an
einen körnigen Hof anschliesst. Bald tritt eine quere Theilung der Masse ein,
wobei diese nach Art eines sich theilenden zähen Tropfens in 2 Abtheilungen
zerfällt. Diese hängen, während sie auseinander rücken, in der Mitte noch
durch einen biconischen Verbindungsfaden zusammen, und erst nach dessen
Zerreissung runden sie sich wiederum ab. Der Lebenskeimscheidung geht die
Streckung und Einfurchung ihres körnigen Hofes voraus. Im Innern der
Dottermasse tritt alsdann die erste Spaltung auf: die gröberen Dotterelemente
weichen auseinander, lassen eine dünne Lage hyaliner Substanz zurück und
in dieser erscheint eine zarte dunkle Trennungslinie. Dass bei der Scheidung
der Dotterkörner eine eigenthümliche Richtung nach gebogenen, gegen die
beiden Centren convergirenden Linien stattfindet, zeigt Fig. 16 der Tafel 1,
welche sich den ähnlichen von AUERBACH, STRASSBURGER U. A. gegebenen
Darstellungen anschliesst. Ueber der entstandenen Trennungslinie sinkt die
Oberfläche ein, und es ist somit die äussere Furchenbildung nicht der pri-
märe sondern der secundäre Vorgang. Im Innern des „Lebenskeims“ treten
einzelne kleinere Kugeln auf, die „Kernkeime“, von etwa 3 uw Dm. Sie
vermehren sich, brauchen die Lebenskeimmasse auf, verschmelzen dann mit-
einander und bilden nunmehr die definitiven lebensfähisen Kerne, welche in
der Folge durch Sprossung (resp. Theilung) sich vervielfältigen. — Spätere
Untersuchungen werden zu entscheiden haben, ob nicht einzelne der beschrie-
benen Verhältnisse auf Reagenzwirkung sich zurückführen lassen, im Gan-
zen und Grossen darf man wohl den Vorgang einer Kernneubildung als ge-
sichert ansehen, und es schliessen sich Gorrre’s Erfahrungen denen von
FLEMMING, AUERBACH, STRASSBURGER u. A. in befriedigender Weise an.
Wenn ferner für den Vorgang der Dottertheilung Anziehungskräfte bean-
sprucht werden, welche von den Kernen oder ihren Vorläufern ausgehen, so
seht eine solche Annahme aus den Erscheinungen selbst und besonders aus der
eisenthümlichen Körnerrichtung in ungezwungener Weise hervor, und die aus
dieser Annahme abgeleitete Erklärung einer Anzahl von Einzelvorgängen
(S. 80) erscheint bis auf Weiteres befriedigend.
Die weitergehenden Vermuthungen Gorrre’s über das Wesen des Dotter-
umwandlungsprocesses muss Referent als verfehlt ansehen. @. nennt das ur-
sprüngliche Eiprotoplasma gemäss seiner oben erörterten Grundvorstellung
unreif und lebensunfähig (S. 103), er spricht ihm, sowie den aus ihm zu-
nächst entstehenden Dotterstücken einen Stoffwechsel ab (S. 78). Im dieser
ursprünglich unthätigen Masse sollen nun die verschiedenen Ausscheidungen
und Spaltungen als Folge endosmotischer Processe sich ergeben. Radiär
gerichtete Diffusionsströme des in das Ei eindringenden Wassers, Lösung
der Dotterkörner durch das letztere u. a. m. werden herbeigezogen, um
eine Theorie der Lebenskeimbildung, der Kermbildung u. s. w. zu schaffen.
304 Besprechungen.
Die Schwächen dieses theoretischen Versuches liegen zu sehr auf der Hand,
als dass ein Eintreten in Einzelheiten erforderlich wäre. Bei der im Wesent-
lichen sicherlich vorhandenen Uebereinstimmung in den ersten Vorgängen
der Dotterumbildung kann keinesfalls ein so specielles Moment wie das ein-
dringende Wasser eine Hauptrolle spielen. Machen doch nicht einmal alle
Amphibieneier ihre Entwicklung in diesem Medium durch, und müsste bei
Richtigkeit der Gorrre’schen Theorie die Entwicklung des Landsalamanders
principieil von derjenigen der Unke oder des Triton unterschieden werden.
Dotterkörner und Dotterplättchen sind in Wasser überhaupt unlöslich. Ueber
das Eindringen von Wasser in das Eiprotoplasma wissen wir auch bei Ba-
trachiern thatsächlich zu wenig, um irgendwie tiefer greifende Schlüsse dar-
auf begründen zu können und, da die Eier von Alytes ihre erste Entwicke-
lung ausserhalb des Wassers” dnrchmachen, erscheint ein Wassereintritt in
das Batrachierei, wenn nicht unwahrscheinlich, so doch zum Mindesten
unwesentlich. — GoErrE überschätzt hier wie auch in manchen seiner
späteren theoretischen Versuche das, was er, oder richtiger vielleicht was
die heutige Wissenschaft zu leisten vermag. Das Wesen der im sich
entwickelnden Eiprotoplasma ablaufenden Processe zu entwirren, reichen unsere
morphologischen Hilfsmittel und reichen auch ein paar elementare Vorstellun-
sen über Diffusion krystalloider Substanzen lange nicht aus.
Weit entfernt eine homogene Masse zu sein, ist der Eileib, denn so
dürfen wir ihn im Gegensatz zu Goertz allerdings nennen, ein complicirtes
chemisches Bauwerk, in welchem ausser den eiweissartigen Substanzen noclı
eine Reihe von integrirenden Bestandtheilen hohen Moleculargewichtes vor-
handen sind: Lecithinstoffe, Nucleinstoffe, Cerebrin, Fett u. s. w. und man darf
sich billig fragen, ob in diesem Bauwerk eine Moleculargruppirung mit stabi-
lem Gleiehgewicht überhaupt denkbar sei. Möglich, dass mit der Zeit die
Histochemie uns den Schlüssel zum Verständniss der Dotterumbildung gewäh-
ren wird, vorerst stehen wir noch vor der Thür des Laboratoriums, und be-
kommen durch die der morphologischen Forschung geöffneten Ritzen nur einen
schwachen Einblick von dem, was im Innern vorgeht.
Die Bildung der Keimblätter. Das bekannte Verhältniss, wonach
bei Ablauf der Furchung die Furchungshöhle oder Keimhöhle von einer
dünnen Decke kleinerer, ihr Boden von einem dieken Kiumpen grösserer
Zellen gebildet wird, wird auch von GorrrE mit guten Durschschnittsbildern
belegt. Die Zellen der einen und der anderen Art unterscheidet er als
Embryonal- und als Dotterzellen. Jene sind pigmentirt und in zwei-
bis dreifachen Lagen angeordnet. Die Gesammtheit derselben fasst er in
dieser früheren Zeit zusammen als primäre Keimschicht. Der Rand der
primären Keimschicht greift über die Masse der Dotterzellen etwas über und
er besteht aus Zellen, welche durch ihre Grösse und geringere Pigmentirung den
Besprechungen. 151075)
Uebergang zu Dotterzellen bilden. Durch „Anpassung der Uebergangsformen“
dehnt sich die Keimschicht nach abwärts aus, gränzt sich scharf ab, und
zeigt nunmehr eine verdünnte Mitte und einen verdiekten Randwulst. Eine
Furche tritt unter der Gränze des letzteren auf, welche sich bald vertieft,
und sie scheidet die Innenfläche des Wulstes von der Dottermässe. Eine
Eiseite eilt dabei der anderen voraus. Durch Vorrücken des Randwulstes
schliesst sich die Keimschieht mehr und mehr zur Kugel, und die die Dotter-
masse umgebende Oeffnung, die Rusconrt’sche Oeffnung, verengt sich, schnürt
den Dotterpropfen ab, und drängt ihn schliesslich ins Innere.
GOETTE versucht nun die Ursachen dieser Hergänge aufzufinden. Er
erklärt die Bildung und allmälise Abwärtsschiebung des Randwulstes
bedingt durch eine „centrifugale Wanderung der Embryonalzellen“ Nach
diesem Ausdruck möchte man glauben, dass GorrrE an active Loco-
motionen der Zellen denkt, allein wenn ihn Ref. anders recht versteht, so
sind damit die Verschiebungen gemeint, welche als Folgen der Zellönvermeh-
rung eintreten. G. geht (S. 139 u. f.) davon aus, dass mit der Theilung
einer kugligen Zelle in zwei gleichfalls kuglige Zellen, der von letzteren ein-
genommene Flächenraum wächst, vorausgesetzt, dass die Kugeln neben einan-
der liegen bleiben.!) Dass dies Princip zur Erklärung der Flächenausdehnung
der Keimschichten und zugleich zu derjenigen ihrer centralen Verdünnung
verwerthbar ist, scheint Ref. kaum zu bezweifeln. Es kann ferner die Um-
lesung der Ränder der Keimschicht aus der durch den Zusammenhang mit
der Dottermasse gesetzten Ausdehnungshemmung abgeleitet werden. Man er-
wartet nun, dass die untere oder secundäre Keimschicht aus dem eingeschla-
genen Randtheile der sich ausdehnenden primären Schicht hervorgeht, und
die von GorrrE auf Taf. II. mitgetheilten Figuren lassen sich wohl damit
in Uebereinstimmung bringen. GorrTE verwahrt sich indess unter Berufung
auf das Aussenbleiben des Pigments gegen diese Auffassung (S. 127) und
er statuirt dafür eine „Rückwärtsbewegung der an der Innenseite des Rand-
wulstes im Ueberfluss angehäuften Zellen“. Die Verschiebung beider Schichten
von einander ist die Ursache ihrer Scheidung (man vergl. des Ref. für letz-
ten Punkt conforme Bemerkungen über den Fischkeim S. 15 dieser Zeit-
schrift).
Die Darstellung GoErre’s ist schwer verständlich besonders dadurch,
dass er gewisse Worte, wie z. B. das Wort „Wanderung“, in anderem als
dem üblichen Sinne gebraucht. Ref. glaubt im Obigen GoETTE richtig wie-
dergegeben zu haben, indess hat er sich durch mannigfache Widersprüche
des Wortlautes hindurcharbeiten müssen, und auch so stösst er noch auf
1) Die Summe der Durchmesser zweier gleich grosser Kugeln ist in runder
Zahl 1,6 mal so gross als der Durchmesser einer einzigen Kugel von deren ver-
einigstem Volum.
Zeitschrift f. Anatomie. Bd. I. 20
306 Besprechungen.
Stellen, welche mit der obigen Wiedergabe kaum zu vereinen sind. 8. 154
z. B. spricht Gorrrs von der „Ueberwanderung der Elemente aus der pri-
mären in die secundäre Keimschicht“, während Ref. nur von einer Scheidung
beider Schichten zu hören erwartete; noch schwerer zu verstehen ist es, wenn
p. 155 von einer Zellenanhäufung im Rückentheile die Rede ist, welche
„ganz offenbar von der Bauchseite herkommt“. Weit klarer und überzeugen-
der wäre GorrrE’s Darstellung ausgefallen, wenn dieser Forscher sich ent-
schlossen hätte, durch eine passende Reihe von Messungen und Zählungen
seine Ansichten zu erhärten.
Zwischen dem Dotterklumpen und der secundären Keimschicht bildet
sich mit zunehmender Ausbildung der letzteren eine Uebergangsfalte aus,
welche sich in der Folge nach oben vorschiebt und mehr und mehr die
Keimhöhle verschliesst. Nunmehr sind (Taf. II. 35) im der hinteren Hälfte
der Kugel drei sich überlagernde flache Schichten vorhanden, welche den
Schenkelh eines zusammengepressten & vergleichbar, je unter einander ver-
bunden sind. Es sind dies:
1) die primäre Keimschicht,
2) die secundäre - Keimschicht,
3) das Uebergangsstück.
1 liegt unmittelbar auf 2 und biegt in letztere am Rand der husconr’schen
Oeffnung um. Zwischen 2 und 3 liegt die spaltförmige Anlage des Primitiv-
darmes, vor deren erweitertem Ende der Uebergang beider Schichten in
einander stattfindet.
Von der primären Schicht, der Anlage des oberen Keimblattes, scheidet
sich frühzeitig die pigmentreiche oberflächlichste Lage als Deckschicht,
den zurückbleibenden Theil nennt Goertz Grundschicht; von der secun-
dären Schicht hebt sich die tiefste Zellenlage als Darmblatt (Darmdrüsen-
blatt, Remax) ab, der Rest der letzteren wird zum mittleren Keimblatt.
Der Deckschicht (Reıckerr’s Umhüllungshaut, Srricker’s Hornblatt) vindieirt
(@. nicht die Stellung eines besonderen Keimblattes, indem er mit Recht darauf
aufınerksam macht, dass ihr nicht einmal die Bildung der Epidermisdecke als
selbstständige Leistung zukommt. Auch macht er die interessante Mitthei-
lung, dass die Sonderung jener Schicht beim Landsalamander fehlt. Danach
scheint die Schicht ein Attribut jener Keime zu sein, welche sich im Wasser
entwickeln und sie ist vielleicht einfach als Folge der Wassereinwirkung
auf die oberflächlichst liegenden Zellen zu verstehen.
(Fortsetzung folgt im nächsten Heft.)
Ueber die Ernährungskanäle der Knochen und das
Knochenwachsthum.
Von
Professor G. Schwalbe.
(Hierzu Tafel XV u. XVI.)
Bei der Erörterung der Frage nach dem Modus des Knochenwachs-
thums, an deren Beantwortung bereits so viele Forscher mit grossem
Scharfsinn gearbeitet haben, ist bisher vor Allem ein Moment so gut
wie ganz ausser Rechnung gelassen, nämlich der innise Zusammenhang
zwischen Längen- und Dickenwachsthum, die Abhängigkeit, in welcher
letzteres sich ersterem gegenüber befindet, eine Abhängiskeit, die, wie
ich unten zeigen werde, die deutlichsten Spuren in dem Aufbau der
compacten Substanz hinterlässt, die Anordnung der Havrrs’schen
Kanälchen und die Richtung der Ernährungskanäle innerhalb der
Diaphysenrinde beherrscht. Gerade die letzten Kanäle waren es,
welche mir diese Erkenntniss verschafiten; die Untersuchung der Ur-
sachen ihrer Neigung und Richtung, welche mein Interesse seit län-
serer Zeit in Anspruch genommen hatten, war nicht möglich, ohne
der Frage nach der Art und Weise des Knochenwachsthums im All-
gemeinen näher zu treten, sie versprach auch für die Lösung dieser
schwierigen Aufgabe neue Gesichtspunkte So unternahm ich denn
zunächst die Erforschung der Ursachen, welche Richtung und Neigung
der canales nutritii zu Grunde liegen. Ich glaube diese Aufgabe, an
der sich bereits HuMmPHrY versucht hat, in der befriedigendsten Weise
gelöst zu haben und werde in der ersten Hälfte dieser Abhandlung
in Kürze meine Theorie der Ernährungskanäle entwickeln und in
Zeitschrift f. Anatomie. Bd. I. 21
308 G. SCHWALBE.
ihren Consequenzen erläutern. Man wird dabei bald zur Erkenntniss
kommen, dass eine alle Erscheinungen vereinigende Erklärung nur von
Seiten der Appositions- und Resorptionstheorie möglich ist, dass ein
interstitielles Wachsthum, welches den Gesammtaufbau des Knochens
beherrsche, wie dies WOLFF!) statuirt, oder ein solches, welches neben
Apposition vom Periost und den Diaphysenenden wichtige morpho-
logische Veränderungen am Knochen hervorrufe, wie dies mit der
Bildung der Markhöhle der Röhrenknochen nach STRELZOFF?) der
Fall ist, nicht stattfinden kann, weil es eine wesentlich andere An-
ordnung der compacten Substanz, einen anderen Verlauf der in der-
selben eingeschlossenen Kanäle und Kanälchen bedingen würde, als
es thatsächlich der Fall ist. Gegen diese beiden Anschauungen von
WOLFF und STRELZOFF werden sich deshalb vorzugsweise meine in
der zweiten Hälfte dieser Abhandlung niedergelesten Bemerkungen
über das Knochenwachsthum wenden. Die Frage, ob locale inter-
stitielle Processe, sei es am Verknöcherungsrande, sei es an anderen
Localitäten des wachsenden Knochens neben dem formgestaltenden
appositionellen Wachsthum vorkommen, habe ich einstweilen nicht in
den Kreis meiner Untersuchungen gezogen und kann mich daher we-
der dafür noch dagegen aussprechen, betone aber nochmals, dass, wenn
sie vorkommen, sie nichts mit den Erscheinungen zu thun haben,
welche WOLFF und STRELZOFF aus einem interstitiellen Wachsthum
erklären. Alle diese Erscheinungen lassen sich vielmehr einfach auf
die Beeinflussung des Dickenwachsthums durch das Längenwachsthum
zurückführen. Die Geschichte der Ernährungskanäle zeigt uns klar
den Weg zur Erkenntniss dieser Thatsache. Mit ihrer Darstellung
beginne ich daher meine Mittheilung, die man als den Vorläufer einer
grösseren Arbeit über das Knochenwachsthum betrachten möge, mit
der ich zur Zeit, beschäftigt bin.
Schon vor längerer Zeit machte BERARD?) darauf aufmerksam,
dass in den langen Röhrenknochen der Extremitäten immer dasjenige
Epiphysen-Ende, gegen welches der Ernährungskanal gerichtet ist, sich
zuerst mit der Diaphyse vereinigt und schloss auf einen causalen Zu-
l) Siehe dessen Arbeiten in VırcHow’s Archiv Bd. 50 S. 389, Bd. 61 S. 417
und in der Berliner klinischen Wochenschrift 1875 No. 6.
2) Ueber die Histogenese der Knochen. Untersuehungen aus d. pathol. In-
stitut zu Zürich, herausgegeben von EBERTH, 1873 S. 1—94 und: Genetische und
topographische Studien des Knochenwachsthums. Ebenda, 2. Heft, 1874. S.59— 184.
3) Archives generales de medeeine. Vol. VII.
Ueber die Ernährungskanäle der Knochen und das Knochenwachsthum. 309
sammenhang beider Befunde HumpHry!) bestätigte diesen Satz, for-
mulirte ihn schärfer und baute auf ihm eine Theorie der Ernährungs-
kanäle auf, welche, von KOELLIKER?) acceptirt, von ÖLLIER?) ver-
worfen, bis jetzt als der einzige Versuch zu betrachten ist, die Rich-
tung der Ernährungskanäle einer exacten Erforschung ihrer Ursachen
zugänglich zu machen. HumpHry’s Theorie ist mittelst des Schema
Fig. 1 (Taf. XV) sofort zu verstehen. Die Pfeile deuten die Richtung
der Ernährungskanäle an; diejenigen Kanäle, deren äussere Oefinung
dem proximalen Knochenende näher liegt, werde ich hinfort als ab-
steigend, diejenigen, bei denen die äussere Oefinung die distale ist,
als aufsteigend bezeichnen. Wenn nun, wie dies nach der Appo-
sitionstheorie der Fall ist, die langen Knochen sowohl an den Epiphy-
sengrenzen der Diaphyse, wie an der dem Periost zugewandten Ober-
fläche, immer neues Material ansetzen und auf diese Weise in die
Länge und Dicke wachsen, wenn ferner das Längenwachsthum an
beiden Enden der Diaphyse eine verschiedene Intensität besitzt, das
Periost aber (wie dies OLLIER*) nachgewiesen hat) interstitiell sich
vergrössert, so muss nothwendiger Weise von Seiten des schneller
wachsenden Diaphysenendes (in unserer Figur durch einen rothen
Kreis besonders hervorgehoben) auf das Periost ein Zug ausgeübt
werden, der natürlich die dasselbe durchsetzende Ernährungsarterie mit
betrifft und sie fest an jenes Diaphysenende heranzieht; auf diese
Weise muss, da die Umgebung der Arterie nach und nach ossificirt,
der dieselbe bergende Kanal ebenfalls eine schiefe Richtung erhalten
und seine äussere Mündung muss dann immer näher dem schneller
wachsenden Ende der Diaphyse liegen. Da nun nach ÖOLLIER'S und
HumpHrry’s Experimenten Humerus, Tibia und Fibula am oberen Ende,
Radius und Ulna, sowie das Femur am unteren Ende rascher wachsen,
so wird’in jenen der Kanal eine absteigende, in den letzten 3 Knochen
dagegen eine aufsteigende Richtung besitzen, wie dies in der That
bei erwachsenen Knochen sich gewöhnlich findet.
So einfach und bestechend auch dieser Erklärungsversuch erscheint,
er trägt dennoch nicht allen Thatsachen Rechnung und ist durch
!) Observations on the growth of the long bones and ofstumps. Medico-
‘chirurgical transactions. Vol. 44. 1861. p. 117 ff.
2) Die normale: Resorption des Knochengewebes und ihre Bedeutung für
die Entstehung der typischen Knochenformen. Leipzig 1873. 8. 70.
3) Traite experimental et clinique de la regeneration des os. T. 1.
p. 370, 3711.
%) Recherches experimentales sur le mode d’accroissement des os. Archives
de physiol. V. 1873. p. 33—35.
2
310 G. SCHWALBE.
einen besseren zu ersetzen. Schon OLLIER!) theilte mit, dass im Fe-
mur des Kaninchens die Richtung des Ernährungskanales eine ab-
steigende sei, obwohl man das Umgekehrte nach der Humpary’schen
Theorie erwarten sollte, da gerade für dies Thier ein rascheres Wachs-
thum des Femur an seinem distalen Ende zweifellos experimentell
nachgewiesen ist. Im Femur des Ochsen, des Pferdes ist ferner die
Richtung des Ernährungskanals bald aufsteigend, bald absteigend.
Ich selbst kann diese Beispiele noch vermehren, begnüge mich aber
an diesem Orte damit, darauf hinzuweisen, dass auch beim Menschen
mehrfach Abweichungen von der typischen Richtung der Ernährungs-
kanäle beobachtet werden; so fand ich in der Fibula den Kanal ziem-
lich häufig aufsteigend, in der Tibia neben dem absteigenden zuweilen
noch einen unteren aufsteigenden Kanal.
Man sieht aus Allem, die Humpnry’sche Theorie genügt nicht
zu einer allseitig befriedigenden Erklärung. Der Grund dieses Uebel-
standes ist nun einfach darin zu suchen, dass für die Richtung des
Ernährungskanals nicht nur das schneller wachsende Diaphysenende
von Bedeutung ist; auch das langsamer wachsende wird unter Um-
ständen, wie ich gleich zeigen werde, die äussere Oefinung des Kana-
les zu sich heranziehen, falls diese nur nahe genug liegt. Ausser den
beiden von HumPpHary für die Erklärung jener Richtung herangezogenen
Thatsachen: 1) dem ungleichen Längenwachsthum beider Diaphysen-
enden und 2) dem interstitiellen Wachsthum des Periosts kommt also
noch in Betracht: 3) die ursprüngliche Lage der äusseren Oefinung
des Ernährungskanals und, wie ich gleich hinzufügen will, für die
Erklärung der verschiedenen Neigung, auch noch 4) das Verhältniss
des Dickenwachsthums zum Längenwachsthum.
Ich werde unten ‘diese 4 Factoren, die Voraussetzungen meiner
Theorie noch kurz behandeln und ihre Existenz vollkommen sicher ,
stellen, soweit dies nicht schon durch die schönen experimentellen
Untersuchungen von ÖLLIER geschehen ist. Hier will ich gleich auf
den Kern der Sache eingehen und gestützt auf jene thatsächlichen
Verhältnisse, theoretisch beweisen, wie sich bei jeder der beiden sich
befehdenden Knochenwachsthumstheorien das Schicksal der Ernährungs-
kanäle gestalten muss. Ich beginne die Auseinandersetzung an einem
Entwicklungsstadium, welches etwa dem Ende des dritten embryonalen
Monats entsprechen mag. In diesem ist die Knochenrinde der Dia-
physe der Röhrenknochen ein dünner Cylindermantel, an einer Stelle
von einer makroskopisch sichtbaren Oefinung durchbohrt, die nahezu
I) Traite experimental T. I. p. 366.
Ueber die Ernährungskanäle der Knochen und das Knochenwachsthum. 311
senkrecht zur Längsaxe die Knochenrinde durchsetzt, und zwar so,
dass sie eher aufsteigend, wie absteigend ist (s. unten). Es ist dem-
nach in diesem Stadium die äussere Oeffnung des Ernährungskanals
nahezu in derselben Höhe, wie die innere gelegen.
Es findet nun, wie durch OLLIER und andere bewiesen ist, an
den Röhrenknochen der Extremitäten ein Längenwachsthum der Art
statt, dass beide Diaphysenenden sich in ungleichem Maasse verlängern.
Diese Verlängerung kann — wenn wir uns einstweilen auf einen un-
befangenen neutralen Standpunkt stellen — interstitiell oder apposi-
tionell geschehen; im ersteren Falle allerdings nur ungleichmässig in
der Art, dass das eine Ende rascher interstitiell zunimmt, wie das
andere. In beiden Fällen muss, wie dies aus folgenden Thatsachen
hervorgeht, ein Zug auf das die Diaphyse bekleidende Periost ausgeübt
werden. Man kann sich leicht von der Thatsache überzeugen, dass
das Periost an den Epiphysenenden des wachsenden Knochens seine
stärkste Befestigung besitzt, auf der Diaphyse zwar organisch mit der
Knochensubstanz verbunden, aber doch im geringen Grade verschieb-
bar ist. Es besitzt überdies hier einen beträchtlichen Grad elastischer
Spannung; dern wenn man einen tangentialen Längsschnitt der ent-
kalkten Diaphyse mit seinem Periostüberzuge sich selbst überlässt, so
schnurrt letzterer zusammen und rollt die Knochenlamelle nach aussen
um. Es lässt sich auch das embryonale Periost ziemlich leicht vom
grössten Theile der Diaphyse abziehen; nur an den Knochenkanten,
z. B. an einigen Stellen der Linea aspera femoris haftet es fester und
ist hier von dem jungen Knochen kaum ohne Verletzung des letzteren
zu trennen. An älteren Knochen ist die Ablösbarkeit des Periosts
eine grössere. Es finden sich hier vollständig freie Spalten zwi-
schen Periost und Knochenoberfläche. Mit dem Epiphysenknorpel
dagegen verschmilzt die Knochenhaut continuirlich und ist hier
ohne Zerreissung des Knorpels nicht abzulösen. Ihre Intercellular-
substanz und ihre Zellen gehen unter allmäliger Umwandlung in
die Grundsubstanz und Zellen der Knorpels über. Es entspricht diese
Stelle der neuerdings von RANVIER!) als encoche d’ossification be-
schriebenen mehr oder weniger starken periostalen Einschnürung des
Epiphysenknorpels. Da ich in einer ausführlichen Arbeit auf diese
Verhältnisse genauer zurückkomme, so sei hier nur bemerkt, dass
die Zone der Knorpelzellensäulen sich zwischen dieser Einschnürung
und dem Ossificationsrande der Diaphyse befindet, dass die Bilder,
I) Quelques faits relatifs au developpement du tissu osseux. Comptes ren-
gas D. 77. p. 11054.
312 G. SCHWALBE.
welche die Verbindungsstelle zwischen Periost und Knorpel darbieten,
kaum eine andere Deutung gestatten, als die, welche BrucH !) ihnen
schon vor Jahren gab, nämlich dass von hier aus der embryonale
Knorpel appositionell wächst, indem an ihn sich immer neues Zellen-
material anlegt, das durch interstitielle Vermehrung der Grundsubstanz
allmälig zerstreut wird. Die durch Combination beider Vorgänge be-
wirkte Volumzunahme des Epiphysenknorpels betrifft, wie meine Mes-
sungen ergeben haben, mehr eine Ausdehnung des Knorpels in seinen
Querdurchmessern, als in der Richtung der Längsaxe des Knochens.
Zwar wird der Verlust, welchen der Epiphysenknorpel durch Verbrauch
bei der endochondralen Ossification erleidet, übercompensirt durch eine
absolute Zunahme seiner Höhe; diese ist aber doch nicht so bedeutend,
dass das Verhältniss zwischen Länge der Epiphyse und Diaphyse beim
weiteren Wachsthum dasselbe bliebe; es findet vielmehr, wie bereits
LANGER?) gezeigt hat und ich bestätigen kann, trotz fortdauernden
Wachsthums der Epiphysen, eine relative Abnahme ihrer Höhe in
Vergleich mit der Länge der Diaphyse statt, die um so bemerkbarer
wird, je älter der untersuchte Knochen ist.
Wir ersehen also aus diesem Exceurse, dass das elastische, an
seinen Enden fixirte, auf der Diaphyse dagegen verschiebbare Periost
durch die gegen die Epiphysenknorpel andringenden wachsenden Dia-
physenenden gedehnt werden muss. Wie wirkt diese Dehnung auf die
einzelnen Theilchen des Periosts? Denken wir uns dasselbe zunächst als
ein frei, ohne Reibung bewegliches elastisches Band, an dessen beiden
Enden ein Zug in entgegengesetzter Richtung ausgeübt wird, so wer-
den die einzelnen Theilchen nach vollendeter Spannung, sofern diese die
Rlastieitätsgrenze nicht überschritt, einen vergrösserten, aber gleichen
Abstand von einander zeigen. Dies im Auge behalten, ergibt sich
von selbst durch eine einfache Construction, wie sich die Lage der
einzelnen Theilchen des Periosts eines Entwicklungsstadiums auf der
_ Oberfläche eines weiter entwickelten Knochens gestalten wird, voraus-
gesetzt wieder, dass keine Hemmung durch Reibung stattfindet. Neh-
men wir zunächst den einfachen Fall, wie er in Fig. 2 (Taf. XV) dar-
gestellt ist, in welcher das Periost ab des jüngeren Knochens bis zur
Erreichung des älteren Stadiums cd an jedem Ende um ein gleiches
Stück ec, resp. fd = 40 mm. verlängert ist, ein Fall, der bei glei-
1) Beiträge zur Entwickelungsgeschichte des Knochensystems. Denkschriften
der allgem. schweiz. naturf. Gesellsch. XII. Bd. 1852. S. 36.
2) Wachsthum des menschlichen Skelets mit Bezug auf den Riesen. Denk-
schriften der Wiener Akademie. Bd. 21. 1871. 8. 58—72.
Ueber die Ernährungskanäle der Knochen und das Knochenwachsthum. 313
chem Wachsthum beider Diaphysen-Enden eintreten muss. Man theile
ab (= 40 mm.) in 8 Theile, deren jeder 5 mm. misst, ebenso cd
(= 120 mm.) in 8 Theile, deren jeder 15 mm. lang ist. ae, resp.
bf bedeuten die Dicke des Knochens. Die Punkte O bis 8 in ab sind
dann in cd mehr oder weniger beträchtlich verschoben; sie liegen
in 0’ bis VIII. Man sieht, nur der mittelste Punkt 4 hat keine
Verschiebung erlitten; ich will ein für alle Mal diesen Punkt des
Periosts, welcher beim Wachsthum keine Verschiebung erleidet, als
den neutralen oder indifferenten Punkt bezeichnen. In unserem
Falle verschieben sich die einzelnen Theilchen, immer in gleichem
Abstande von einander, von diesem neutralen Punkte aus nach beiden
Knochenenden, also in entgegengesetzter Richtung, und zwar um so be-
deutender, je näher sie dem dehnenden Diaphysenende liegen. 3 ver-
schiebt sich um 10 mm., 2 um 20, 1 um 30 und 0 um 40 mm. Die
Verschiebungen nehmen also in arithmetischer Progression nach bei-
den Enden hin zu. Das Gesammtbild der Verschiebungen lässt sich
dann durch folgende Reihe veranschaulichen:
40
30
20
10
= 0
= — 10
20
= —
— —_- 40
1 OP VmNm m oO
I I |
| ++4+
(00)
Die Wege, welche die einzelnen Punkte vom Stadium ad bis
zum Stadium cd durchlaufen, erhält man natürlich, wenn man je die
gleichnamigen Punkte in ab und cd durch gerade Linien verbindet.
Von dem bisher angenommenen einfachen Falle mit gleichem
Wachsthum beider Diaphysenenden unterscheidet sich nun der andere
Fall, in welchem eines der beiden Enden in stärkerem Masse an Länge
zunimmt, wie das andere, nur durch die andere Art der Verschiebun-
gen. In Fig. 3 seien wieder a5 = 40 mm., cd = 120 mm., aber
ab wachse in a um ec = 60 und in 5 nur um fd = 20 mm. Man
theile wieder beide Linien «ad und cd in je 8 unter einander gleiche
Theile, deren Werth für ad 5, für cd 15 mm. betragen muss. Man
sieht sofort, dass der neutrale Punkt nun eine andere Lage besitzt;
er liegt jetzt in2 = !/, ad, weil der Zuwachs der Diaphysenlänge
ind = 20 mm. auch nur !/, von der Gesammtverlängerung um
314 &. SCHWALBE:
80 mm. ausmacht, in a dagegen °?/, = 60. Da nun von diesem neu-
tralen Punkte aus die Verschiebungen der Periosttheilchen sich nach
beiden entgegengesetzten Richtungen vertheilen, so kann man das eben
erhaltene Resultat auch durch folgenden Satz ausdrücken: „Beide
Diaphysenenden bedingen in Folge ihrer Längenzunahme eine Verschie-
bung der um gleiche Distanzen unter einander sich entfernenden Pe-
riosttheilchen auf der Oberfläche des Knochens im entgegengesetzten
Sinne. Diese Verschiebungen sind auf beiden Seiten gleich, wenn die
Zunahme der Diaphysenlänge an beiden Enden gleich ist; ist dagegen
das eine Ende dem anderen im Wachsthum voraus, so beherrscht es
eine um so grössere Strecke des Periosts, je mehr sein Wachsthums-
zuwachs den des entgegengesetzten Endes übertrifft und zwar verhal-
ten sich die von den Diaphysenenden beherrschten Perioststrecken ge-
nau so, wie ihre Wachsthumszuwüchse. Ist das Verhältniss der letz-
teren zu einander, wie in unserem Falle = 1: 3, so ist auch das
Verhältniss der entsprechenden Strecken auf der Oberfläche des Kno-
chens cd = 1:3 (!/, : ?/,)- Es ergiebt sich daraus ohne Weiteres,
wie man bei gegebenem Längenwachsthume der Diaphysen den von
mir sogenannten neutralen Punkt finden kann. In unserer Eigur ist
er durch die Zahl 2 bezeichnet; er allein erleidet keine Verschiebung,
dagegen die anderen Punkte eine nach beiden Enden rasch’ zunehmende.
Es ergeben sich für unseren Fall folgende Zahlen:
0 — + 20
ie —ee 0)
— 0
— _ 10
20
—ı — 80
— — 40
= — 5
8 = —
Man sieht, die Verschiebungen erfolgen wieder in sehr einfach
übersichtlicher Weise nach dem Modus einer arithmetischen Pro-
gTession.
Ich habe bisher die Verschiebungen des Periosts der Anschaulich-
keit wegen aus einer Dehnung der elastischen gespannten Membran
abgeleitet, die selbstverständlich in dem Masse interstitiell zunehmen
muss, als sie durch den Wachsthumszug gedehnt wird. Ganz dieselben
Ergebnisse, wie die bisher entwickelten, erhält man natürlich auch,
wenn man von vornherein ein gleichmässiges interstitielles Wachs-
thum als Ursache der Entfernung der einzelnen Periosttheilchen in
aumwmm
I
|
Ueber die Ernährungskanäle der Knochen und das Knochenwachsthum. 315
die Betrachtung einführt. Das gleichmässig interstitiell wachsende
Periost wird, ohne dass an den Enden ein besonderer Zug eingeführt
zu sein braucht, in beiden von mir besonders erläuterten Fällen, in
allen Punkten dieselbe Lage einnehmen.!) Uns genügt zunächst das
gemeinschaftliche Endresultat.
Sehen wir nun zu, wie sich in der Zeit, wo sich das Periost in
der geschilderten Weise vergrösserte und in seinen Theilchen verschob,
der Knochen nach beiden Wachsthumstheorien verhält.
Es ist klar, dass, mag die Diaphyse gleichmässig oder nach ihren
Enden beschleunigt interstitiell wachsen, der dieselbe durchsetzende Er-
nährungskanal in seiner Richtung und Neigung nicht verändert werden
wird; denn beide Flächen des compacten Hohlcylinders, sowohl die der
Markhöhle zugekehrte, als auch die äussere werden vom interstitiellen
Wachsthum gleichmässig betroffen werden: aus dem dünnen Cylinder-
mantel des jüngeren Stadiums wird ein dickerer Cylindermantel, in
welchem die Punkte der inneren und äusseren Fläche, welche im
jüngeren Knochen in derselben Höhe liegen, einander auch im erwach-
senen correspondiren. Es wird also das im embryonalen Zustande
nahezu senkrecht die Knochenrinde durchbohrende Ernährungsloch in
genau derselben Weise ohne Veränderung seiner Neigung oder Rich-
tung als Ernährungskanal die entwickelte Diaphyse durchsetzen müssen
und nur gegen seine frühere Lage durch Einschieben neuer Theilchen
verschoben werden können, falls diese Einlagerung auf der einen Seite
des Kanals rascher geschieht, als auf der anderen. Damit stehen nun
aber die Thatsachen durchaus nicht im Einklang. Denn in Wirklich-
keit verändern die Ernährungskanäle während des Wachsthums
ihre Neigung gegen die Längsachse des Knochens, sie bilden mit
zunehmendem Wachsthum im Allgemeinen immer spitzere Winkel mit
der Diaphysenlängsaxe, ja, wie ich unten noch besonders hervorheben
werde, sie biegen an einigen Stellen später in eine ganz entgegen-
gesetzte Richtung um. Ich glaube, dass diese Thatsachen wohl selbst
den eifrigsten Anhänger des interstitiellen Knochenwachsthums in Ver-
lesenheit bringen werden, um so mehr, als alle Verhältnisse, welche
die Ernährungskanäle nicht nur, sondern sämmtliche die Compacta
durchsetzenden Havers’schen Kanälchen betreffen, aus der Appositions-
theorie in der einfachsten Weise ihre befriedigendste Erklärung
finden.
1) Der Einfachheit wegen ist bei diesen Betrachtungen noch von den Ver-
zögerungen, welche die Periosttheilchen bei ihrer Verschiebung durch Reibungs-
widerstände erfahren, abgesehen; das Näliere hierüber folgt weiter unten.
316 G. SCHWALBE.
Nach der Appositionstheorie gestalten sich die Verhältnisse in
folgender Weise. Da eine Expansion der periostalen Knochenkruste
fehlt, so kann eine Verlängerung derselben nur dadurch erfolgen, dass
die Enden des Periosts beim fortschreitenden Wachsthum fortwährend
über die beiden Enden der ursprünglichen periostalen Rinde hinaus-
geschoben werden und während dieser continuirlichen Verschiebung
continuirlich Knochensubstanz bilden. Es wird dadurch nicht allein
die Längenausdehnung des periostalen Knochens fortwährend ver-
grössert, derselbe nimmt selbstverständlich der Dicke nach zu, da das
Periost in seiner ganzen Ausdehnung dasselbe leistet. So beherrscht
das Längenwachsthrum an den Epiphysengrenzen des endochondralen
Knochens der Diaphyse das Dickenwachsthum des Periosts, es be-
herrscht, wie wir gleich sehen werden, die Gestalt der periostalen
Rinde, die Anordnung ihrer Knochenbälkchen. Sehen wir uns dann
nach dem Endresultate der periostalen Verknöcherung um, so bemer-
ken wir eine Compacta, die nach beiden Enden der Diaphyse sich
zuschärft; diese Zuschärfung ist allmählicher auf der Seite des schneller
wachsenden Endes, wie auf der Seite des langsamer wachsenden
(Taf. XV. Fig. 3), sie ist gleich auf beiden Seiten bei gleichem Wachs-
thum der Diaphysenenden (Taf. XV. Fig. 2). Ich brauche nicht daran
zu erinnern, dass diese Zuschärfung der periostalen Rinde überall
beobachtet wird; sie versteht sich aus der Appositionstheorie von selbst,
während die Theorie des interstitiellen Wachsthums Mühe haben
wird, eine gekünstelte Erklärung dafür zu liefern. Es folgt aber
ferner aus unserer Theorie, aus den Constructionen in Fig. 2 und 3
(Tafel XV), dass der Weg, welchen die Periosttheilchen während des
Wachsthums vom jüngeren zum älteren Entwicklungsstadium zurück-
lesen, falls das Wachsthum an den Enden in demselben Verhältniss
bleibt, durch eine gerade Linie bezeichnet wird, die von jedem Punkte
des jungen zu dem nach unserer Construction sofort zu findenden
Punkte des älteren Periosts gezogen wird. Hieraus folgt wiederum,
dass die Periosttheilchen, welche in Fig. 2 u. 3 (Taf. XV) mit 0° bis
VIII. bezeichnet sind, nicht die in derselben Höhe nach innen von
ihnen gelegenen Knochentheilchen gebildet haben, sondern die, welche
in den Verbindungslinien zwischen ihnen und den correspondirenden
Punkten des jüngeren Stadiums (O—8) liegen; nur für den neutralen
Punkt trifft jene Voraussetzung der älteren periostalen Wachsthums-
theorie zu, da hier die Verbindungslinie beider correspondirender
Punkte die Diaphyse senkrecht zur Längsaxe durchschneidet.
Ich komme weiter unten auf die Consequenzen dieser theoretischen
Betrachtungen für den Aufbau der compacten Substanz zurück. Meine
Ueber die Ernährungskanäle der Knochen und das Knochenwachsthum. 317
nächste Aufgabe ist es nunmehr zu zeigen, wie die Neigung und
Richtung der Ernährungskanäle ihre natürlichste Erklärung finden in
der eben entwickelten Theorie des periostalen Knochenwachsthums.
Betrachten wir die in Fig. 2 und 3 (Tafel XV) dargestellten Con-
structionen, in welchen durch ad die Oberfläche des jüngeren, durch
cd die des älteren Stadiums bezeichnet ist. Ein Gefäss, welches an
irgend einer Stelle aus dem Periost in die Knochenrinde übertritt,
muss selbstverständlieh mit dieser Eintrittsstelle beim weiteren Wachs-
thum in der Weise verschoben werden, wie ich es nunmehr genugsam
auseinander gesetzt habe. Nehmen wir an, die Eintrittsstelle der Vasa
nutritia liege in dem in Fig.2 (Tafel XV) dargestellten Falle des gleichen
Längenwachsthums der Diaphysenenden in Punkt 5, so wird sie bei Er-
reichung des Stadiums cd nach V. verschoben sein, 6 nach VI. und so
weiter. Da nun aber der während dieser Verschiebung zurückgelegte
Weg durch continuirliche Bildung von Knochensubstanz so zu sagen
ummauert wird, so resultiren daraus Kanäle, die schief von 5 nach V.,
von 6 nach VI. u. s. w. verlaufen und um so schräger gerichtet sind,
je näher der ursprüngliche Ort der äusseren Oefinung dem ursprüng-
lichen Ende der periostalen Rinde liest; nach dem neutralen Punkte
zu nimmt dagegen der Neigungswinkel zu und in.ihm wird der
Kanal senkrecht die Knochenrinde durchsetzen, während auf der an-
deren Seite in 3, 2, 1 und O sich die Verhältnisse umkehren. Man
erkennt aus dieser Betrachtung 1) dass eine schiefe Richtung des Er-
nährungskanals auch an Knochen stattfinden kann, die an beiden En-
den gleich stark wachsen, falls nur die äussere Oefinung des Kanals
im jüngeren Stadium nicht in der Mitte der Diaphyse liegt, 2) dass
Richtung und Neigung vor allen Dingen von der Lage der äusseren
Oefinung zu beiden Diaphysenenden abhängig sind. In 4 bis 8 sind
die Kanäle absteigend, in 4 selbst direct, in 4 bis O0 aufsteigend.
Ganz dasselbe gilt nun natürlich für den anderen Fall, dass eines- der
Enden stärker zunimmt, als das andere, wie dies in Fig. 3 (Tafel XV)
dargestellt ist. Es wird dann das stärker wachsende Ende eine grössere
Strecke des Periosts nach sich hinziehen, also oft weit über die Mitte
hinaus die Richtung der Ernährungskanäle beeinflussen. Liegt z. B.
der neutrale Punkt wegen der grossen Differenz des Längenwachsthums.
beider Enden, wie im Radius und in der Ulna, nahe dem proximalen
Ende, so wird trotz der grossen Entfernung der äusseren Oefinung von
dem schneller wachsenden unteren Ende dieses dennoch eine auf-
steigende Richtung der Ernährungskanäle bewirken, weil jene Oefinung
diesseits des neutralen Punktes liegt. In unserer Fig. 3 (Tafel XV)
sind sämmtliche innerhalb der Strecke 2 bis 8 beginnende Kanäle
318 G. SCHWALBE.
‚absteigend, die, welche innerhalb des Raumes 0 bis 2 beginnen, da-
gegen aufsteigend.
Ich glaube, dass ein Blick auf die Figuren 2 und 3 (Tafel XV)
nunmehr genügen wird, um auf Grundlage der bekannten Ermittelun-
gen ÖLLIER’S über die Verschiedenheiten des Längenwachsthums an bei-
den Enden der Diaphysen der Röhrenknochen die Richtung, welche
die Ernährungskanäle in den entwickelten Knochen des Menschen
zeigen, vollkommen zu erklären. Stets wird die Lage der äusseren
Oefinung entscheidend sein: liegt sie innerhalb der vom oberen Dia-
physenende beherrschten Zone, so ist der Kanal absteigend (Humerus,
Tibia, Fibula), befindet sie sich dagegen unter der Herrschaft des un-
teren Diaphysenendes, so ist der Kanal aufsteigend (Radius, Ulna, Femur).
Berücksichtigt man nun, dass die ursprüngliche Durchbohrungs-
stelle der ersten periostalen Diaphysenrinde, die ja mit der äusseren
Oeffnung noch so gut wie identisch ist, innerhalb gewisser Grenzen
variirt (ich habe dies durch eine grössere Reihe von Messungen nach-
gewiesen), so wird zwar in den meisten Fällen, da jene Schwankungen
der Lage anfangs nicht gross sind, keine andere Richtung des an
Länge zunehmenden Kanals daraus resultiren. Sobald aber, wie es
vielfach vorkommt, jene Durchbohrungsstelle in der Gegend des neu-
tralen Punktes sich befindet, die einzelnen Fälle sich um denselben
herum nach beiden Seiten hin gruppiren, müssen Verschiedenheiten
“ entstehen, der Art, dass bald ein absteigender, bald ein directer, bald
ein aufsteigender Kanal das Resultat des periostalen Wachsthums ist.
Dies erklärt die von OÖLLIER gegen HuMPHRY vorgebrachten Angaben
über die verschiedene Richtung der Ernährungskanäle in ein und dem-
selben Knochen (s. oben) auf das Befriedigendste; es erklärt die von
mir erwähnten Befunde in der Fibula und die Richtung des acces-
sorischen unteren Kanals der Tibia. Es hängt hier Alles von der
ursprünglichen Lage der äusseren Oeffnung ab; je nach dieser ge-
staltet sich der Kanal auf- oder absteigend. Kennt man die Art des
Längenwachsthums, so kann man, da ja die Lage des neutralen Punk-
tes sich leicht nach meinen Auseinandersetzungen bestimmen lässt,
aus der Lage der äusseren Oefinung des Ernährungskanals stets mit
Sicherheit auf die Richtung desselben schliessen. Ich habe dies prak-
tisch vielfach ausgeführt und nie eine Abweichung von der Regel
gefunden.
Schon oben wurde bei der Besprechung des Einflusses, welchen
die Lage der ursprünglichen äusseren Oeffnung auf die spätere
Richtung des Kanals hat, darauf hingewiesen, dass eine verschiedene
Lage innerhalb der von ein- und demselben Epiphysenende der
Ueber die Ernährungskanäle der Knochen und das Knochenwachsthum. 31%
Diaphyse beherrschten Zone auch eine verschiedene Neigung des
Kanals zur Folge haben muss. Je näher die ursprüngliche Oefinung
dem dominirenden Epiphysenende, desto schräger die Richtung des
Kanals, d. h. desto kleiner ist der von Kanal und Knochenlängsaxe
gebildete spitze Winkel; je näher dagegen dem neutralen Punkte,
desto steiler die Richtung des Kanals, desto mehr nähert sich der von
ihm und der Knochenlängsaxe eingeschlossene Winkel einem rechten;
im neutralen Punkte wird dieser Winkel einem rechten gleich.
Eine verschiedene Neigung des Kanals kann aber noch auf eine
andere Weise zu Stande kommen. Offenbar wird ein und derselbe
Ernährungskanal dieselbe Neigung gegen die Längsachse des Knochens
behalten, wenn das Verhältniss des Längenwachsthums beider Diaphy-
senenden sich constant erhält und wenn zugleich während dieses
Längenwachsthums das Dickenwachsthum stets zu dem ersteren in
demselben Verhältniss bleibt. Betrachten wir Fig. 4 (Tafel XV), in
welcher die Dicke der Compacta eines bestimmten Entwicklungs-
stadiums abed durch ef, die Länge durch a5 ausgedrückt ist, ae das
obere, de das untere Diaphysenende bedeutet, so wird, wenn das
Längen- und Diekenwachsthum an beiden Enden in denselben Ver-
hältnissen erfolgt, wie bisher, die Richtung des Kanals g% dieselbe
und geradlinig bleiben, seine äussere Mündung später in k zu suchen
sein. Sowie aber das Dickenwachsthum hinter dem Längenwachsthum
zurückbleibt, muss der Kanal bedeutend schiefer verlaufen und kann
nun nicht mehr durch die Linie Ak ausgedrückt werden, sondern wird
der Linie AZ entsprechen. Ist also anfangs das Diekenwachsthum dem
Längenwachsthum gegenüber günstiger situirt, wie später, so muss der
in ersterer Zeit nahezu directe Kanal mit dem Ueberwiegen des Längen-
wachsthums eine immer schiefere Richtung erhalten, immer spitzwink-
liger gegen die Knochenlängsaxe verlaufen. Diese aus meiner Theorie
abgeleitete Folgerung ist nun wirklich mit den Thatsachen in Ueber-
einstimmung. Die embryonalen Knochen haben viel weniger geneigte,
oft sogar nahezu senkrecht die Knochenkruste durchbohrende Ernäh-
rungskanäle und damit steht im Einklang, dass 1) die Differenz im
Längenwachsthum beider Diaphysenenden eine geringere ist wie spä-
ter!), 2) das Dickenwachsthum zu dieser Zeit relativ viel bedeutender,
wie später und 3) die ursprüngliche Lage der Ernährungsöfinungen
bei embryonalen Knochen im Allgemeinen mehr der Mitte der Dia-
physe entspricht.
1) Ueber die speciellen Fälle und Abweichungen von dieser Regel werde ich
in meiner ausführlichen Arbeit berichten.
320 G. SCHWALBE.
Ich begnüge mich hier diese Thatsachen, die ich in meiner aus-
führlichen Abhandlung durch eine grosse Zahl von Messungen bewei-
sen werde, einfach zu registriren. Nur in Betreff des zweiten Punktes,
(des Verhältnisses vom Längenwachsthum zum Dickenwachsthum, mögen
einige wenige Zahlen, die Tibia betreffend, folgen.
Berücksichtigt man nur das Verhältniss der Dicke der Compacta
in der Gegend der inneren ÖOefinung des Ernährungskanals zur Länge
der Diaphyse, ohne die Reduction der Dicke in Folge einer Resorption
von Seiten der Markhöhle mit in Rechnung zu ziehen, so erhält man
folgende Zahlen (in Millimetern):
Verhältniss
Länge der Dicke der Dieke zur
- Diaphyse der Compacta Länge
(= 100)
1. Tibia von 86 mm. Länge 72 2 2,77 : 100
Ze, BONN 0 al 3 3.29: 100
San, „SLOT “ 145 2 1,39 : 100
En: ao 328 4 1,22 : 100
5 > SSH 5 398 71,5 2,09 : 100
Es nimmt hiernach das während der embryonalen Periode mäch-
tigste Dickenwachsthum nach der Geburt rasch ab im Verhältniss
zum Längenwachsthum, um erst nahe vor Abschluss des Wachsthums
wieder eine Zunahme zu erfahren.
Auffallend ist dabei, dass die einem 4jährigen Individuum an-
gehörige Tibia No. 3 eine geringere Dicke der Compacta besitzt, wie
die eines 21 Wochen alten Kindes (No. 2), eine Thatsache, die man
mit einem interstitiellen Wachsthum nicht gut vereinbaren kann, da
dieser Ausfall nicht etwa in demselben Masse durch ein gesteigertes
Längenwachsthum ersetzt wird. Er steht vielmehr im Zusammen-
hange mit der Ausweitung der Markhöhle und dieser Vorgang macht
es nothwendig, einige Correetionen mit unseren Zahlen vorzunehmen,
um das wirkliche Verhältniss von Dieken- und Längenwachsthum zu
erhalten.!) Da ich über meine Messungen der Compacta und der Mark-
höhle ausführlicher bei einer späteren Gelegenheit zu berichten beab-
sichtige, so seien hier nur die Resultate jener Berichtigung, wie sie
sich unter Berücksichtigung einer Resorption von Seiten der Mark-
höhle herausstellen, für die oben erwähnten 5 Tibiae mitgetheilt:
1) Diese Correctionen wurden der Art ausgeführt, dass in Nr. 1 der Radius
‚der Markhöhle, für jeden folgenden Fall die halbe Differenz der Durchmesser der
Markhöhlen in dem betreffenden und vorhergehenden Stadium zu der Dicke der
Compacta hinzuaddirt wurden.
Ueber die Ernährungskanäle der Knochen und das Knochenwachsthum. 321
Länge der Corrigirte Verhältniss der Dicke
Diaphyse Dicke. zur Länge (= 100)
1. 12 3,9 4,86 : 100
2. 91 3,89 4,25 : 100
3. 145 2,851) 2:0072 100
4. 928 6,75 2,05 : 100
5. 398 ) 2,06 : 100
Es ist jetzt klar ersichtlich, dass während des embryonalen Le-
bens relativ mehr periostaler Knochen angebildet wird, wie nach der
Geburt, wo das Verhältniss während aller Zeiten der Entwicklung im
Wesentlichen sich gleich bleibt und nur kurz vor Vollendung des
Wachsthums sich in geringem Grade zu Gunsten der Dicke ändert.
— Die eine Voraussetzung zur Erklärung der mehr directen Richtung
der Ernährungskanäle während des embryonalen Lebens, der Zunahme
ihrer Neigung nach der Geburt, ist also durch diese Messungen, die
ich mit dem gleichen Resultate auf Humerus und Femur ausgedehnt
habe, vollkommen sicher gestellt.
Bisher habe ich vorzugsweise die Verhältnisse, welche die Er-
nährungskanäle beim erwachsenen Menschen (und Thieren) zeigen, be-
rücksichtigt und erklärt und nur gelegentlich einmal einen Streifzug
in das embryonale Gebiet unternommen. Untersuchen wir das Ver-
halten der Ernährungskanäle bei 3 bis Smonatlichen Embryonen, so
ergiebt sich, abgesehen von der vorhin schon erwähnten anderen Nei-
gung, in einigen Knochen auch eine andere Richtung dieser Kanäle.
Wie das Schema Fig. 5 (Tafel XV) zeigt, verhalten sich Humerus,
Tibia und Fibula in dieser Beziehung wie beim Erwachsenen; im
Radius und in der Ulna dagegen sind die Kanäle absteigend und im
Femur findet sich, wenigstens in den meisten Fällen, nur ein und
zwar absteigender Kanal, dem sich gegen den 5. bis 6. Monat des in-
trauterinen Lebens noch ein zweiter aufsteigender, dem unteren Ende
näher gelegener hinzugesellt. Radius und Ulna zeigen schon im
6. Monat eine Umkehr der Richtung und von nun an Verhältnisse,
welche den Befunden beim Erwachsenen entsprechen. Der obere zu-
erst auftretende und deshalb typische Ernährungskanal des Femur da-
gegen behält seine absteigende Richtung bis lange nach der Geburt
bei; noch bei einem 290 mm. langen Oberschenkelbein fand ich die-
sen Kanal absteigend, während der Kanal beim Erwachsenen constant
1) Dieser geringere absolute Werth erklärt sich aus einer individuellen Ver-
schiedenheit.
329 G. SCHWALBE.
aufsteigend gefunden wird, gerade wie der untere. Die beschriebene
Umkehr der Richtung der Ernährungskanäle erklärt sich ebenfalls
einfach und ungezwungen aus den von mir entwickelten Prineipien
und den von mir gefundenen Thatsachen über das Längen- und
Dickenwachsthum der Röhrenknochen. Die Unterschiede im Wachs-
thum beider Diaphysenenden des Femur sind während des embryonalen
Lebens nicht so bedeutend wie bald nach der Geburt (vom 1. Lebens-
jahre an). Es beherrscht deshalb der Wachsthumszug des oberen
Femur-Endes eine etwas grössere Strecke der Diaphysenoberfläche, wie
später. Innerhalb dieser liegt aber und zwar nahe an der unteren
Grenze dieses Gebiets die ursprüngliche einfache Ernährungsöffnung,
während die zweite aufsteigende von Anfang an dem unteren Diaphy-
senende angehört. Da der obere absteigende Kanal nahe an der un-
teren Grenze des vom Wachsthum des oberen Diaphysenendes beein-
flussten Gebietes liest, so folgt daraus einmal, dass seine Neigung
gegen die Längsaxe des Knochens keine sehr bedeutende ist, dass
ferner schon eine relative Zunahme des Wachsthums am unteren Ende
genügt, um den Neigungswinkel zu einem rechten zu machen, und
eine noch etwas grössere Zunahme eine Umkehr des Kanals hervor-
rufen muss, wie dies durch die Constructionen Fig. 6 (Tafel XV) ver-
deutlicht wird. In derselben sind 3 Wachsthumsstadien neben einan-
der gezeichnet als nicht durch Uebergänge vermittelt, sondern plötzlich
sich ablösend. Es muss in diesem Falle der Ernährungskanal einen
durch 3 gerade Linien, die unter bestimmten Winkeln aneinander
gefügt sind, gebildeten Verlauf zeigen. In Wirklichkeit gehen natür-
lich diese einzelnen Wachsthumsstrecken continuirlich in einander über
und dem entsprechend sehen wir anstatt der doppelt eingeknickten
Linie den oberen Ernährungskanal eine Curve beschreiben, welche mit
ihrem Anfangs- und Endpunkte nahezu dieselbe Höhe am Femur ein-
nimmt, ihren Gipfel dem proximalen Ende dieses Knochens zuwendet.
Den Oberschenkelbeinen bis circa 290 mm. Länge kommt nur der
innere Theil dieser Curve zu (Fig. 7 Tafel XV); ihre oberen Ernäh-
rungskanäle sind demnach absteigend; beim weiteren Wachsthum,
wenn das untere Ende immer höher nach oben gelegene Strecken der
Diaphyse beherrscht, werden neue Schichten aufgelagert, innerhalb
deren nun der Kanal nothwendig einen immer deutlicheren aufsteigen-
den‘ Verlauf zeigen muss, wie er für erwachsene Knochen charakteri-
stisch ist (Fig. 8 Tafel XV). Bemerkenswerth für die Lehre vom
Knochenwachsthum ist hierbei noch eine Thatsache, welche ich her-
vorheben will. Im erwachsenen Knochen fehlt der innerste der Mark-
höhle benachbarte Theil der Curve, ist nur durch eine kleine horizontal
Ueber die Ernährungskanäle der Knochen und das Knochenwachsthum. 323
gestellte Erweiterung der inneren Kanalmündung repräsentirt (Fig. 8
Tafel XV). Legt man aber die entsprechenden, beide Ernährungs-
kanäle enthaltenden Diaphysenstücke der beiden Femora mit ihren
correspondirenden Punkten aufeinander, so erkennt man, dass die
Curve des älteren Knochens die directe Fortsetzung der Curve des
jüngeren Knochens bildet und an ihrem inneren Ende sich mit dem
äusseren Ende der des jüngeren Stadiums deckt (Fig. 9 Tafel XV).
Es ist wohl das Schwinden des inneren Curvenstücks ad kaum anders
als durch Annahme einer Resorption zu erklären; wenigstens möchte
es selbst den eifrigsten Vertretern eines ausschliesslich interstitiellen
Wachsthums oder eines appositionellen Wachsthums ohne Resorption
schwer werden, diese Thatsachen aus einer Expansion abzuleiten. In
ähnlicher Weise wie beim Femur kommt die Umkehr des Ernährungs-
"kanals am Radius und an der Ulna zu Stande trotz der relativ hohen
Lage der ursprünglichen äusseren ÖOefinung, weil hier bekanntlich
das Wachsthum am oberen Diaphysenende nur gering ist gegenüber
der sehr ausgiebigen Längenzunahme am unteren Ende der genannten
Knochen.
Die vorstehenden Bemerkungen werden genügen zur Erläuterung
meiner Theorie der Ernährungskanäle; es fügen sich alle über diese
bekannten Thatsachen in überraschender Weise. Ist die Theorie rich-
tig, so muss ferner aber auch die äussere Oefinung der Ernährungs-
kanäle im Grossen und Ganzen während aller Zeiten der Entwicklung
dieselbe relative Lage auf der Oberfläche des Röhrenknochens einneh-
men. Dies ist nun nach meinen zahlreichen Messungen, die sich auf
sämmtliche lange Röhrenknochen des Menschen beziehen, mit einer
geringen Abweichung, auf die ich bald zu sprechen komme, wirklich
der Fall. Natürlich genügt hier nicht die Vergleichung weniger
Fälle, da zahlreiche Variationen in der absoluten Lage der ursprüng-
lichen äusseren Ernährungsöffnung vorkommen können; vergleicht man
dagegen ein grosses Material, so wird man für fötale, kindliche und
erwachsene Knochen dieselben Schwankungen in den relativen Entfer-
nungen der äusseren Oefinungen vom oberen und unteren Ende der
Diaphyse finden. Dies widerspricht der Angabe von KÖLLIKER, ent-
nommen einigen Messungen am Humerus dreier Altersstadien vom
Rind, denen zu Folge die äussere Oeffnung ihre relative Lage verän-
dern, die innere dagegen beibehalten soll.!) Ich habe auch bei Messun-
gen am Rinder-Humerus. stets meine für den Menschen gefundenen
Angaben bestätigt gefunden und kann die KöLLıker’schen Zahlen nur
I) 1. ce. S. 69 und 70.
Zeitschrift f. Anatomie. Bd. |.
[8]
ID
324 G. SCHWALBE.
durch die Annahme, dass dieser genaue Forscher es mit extrem va-
riirenden Fällen zu thun hatte, erklären. Jedenfalls ist das Material,
auf welches KÖLLIKER seine Behauptung stützt, aus den oben ange-
deuteten Gründen ein viel zu kleines. Umgekehrt wie KÖLLIKER fand
ich ferner in allen Fällen, beim Rinde sowohl, wie beim Menschen, dass
die innere Oefinung der Ernährungskanäle ihre relative Lage ver-
ändert; sie entfernt sich mehr und mehr vom definitiv schneller wach-
senden Ende des Knochens, so im Humerus, in der Tibia und Fibula
vom oberen, in Radius, Femur und der Ulna vom unteren Ende des
Knochens. Es ist ja dies eine ganz nothwendige Consequenz des un-
gleichen appositionellen Wachsthums der Röhrenknochen an den bei-
den Enden der Diaphyse, eines Wachsthums, das durch ÖLLIER und
HumrHry experimentell für die einzelnen Extremitätenknochen fest-
gestellt ist. Man kann daher offenbar auch durch Messung der Ab-
stände der inneren Oefinung der Ernährungskanäle von beiden Dia-
physenenden sofort constatiren, welches Knochenende am meisten
Knochensubstanz angebildet hat. Wenn man eine grössere Zahl von
Messungen dieser Abstände, an verschiedenen Entwicklungsstadien
ausgeführt, nach dem Alter in eine Reihe ordnet, so werden die
Differenzen zwischen je 2 aufeinanderfolgenden Abständen der inne-
ren Oefinung von den oberen resp. unteren Enden der Diaphyse
in absoluten Zahlen den Wachsthumszuwachs jedes Endes inner-
halb der Zeit ausdrücken, um welche beide verglichenen Knochen
auseinander liegen. Das Verhältniss beider Differenzen zu einander
siht dann das Verhältniss der Wachsthumsenergien in dem bestimm-
ten Zeitabschnitte an. Ich will hier nur ein Beispiel anführen. Die
Länge der Diaphyse des Humerus fand ich bei einem Smonatlichen
Fötus = 20 mm., den Abstand der inneren Oefinung des Ernährungs-
kanals vom oberen Ende der Diaphyse = 11,25, vom unteren = 8,75;
‘die entsprechenden Abstände betrugen für die 29,25 mm. lange Dia-
physe eines 16 Wochen alten Fötus: 16,5 resp. 12,75 mm. Es hat
also die Diaphyse während dieser 4 Wochen embryonalen Lebens 5,25
(16,5 — 11,25) am oberen, 4 mm. (12,75 — 8,75) am unteren Ende
zugenommen und beide Wachsthumszuwüchse verhalten sich wie 1,31:1.
In ähnlicher Weise lässt sich dies Verhältniss stets leicht für jede
Periode der Entwicklung bestimmen.
Mittelst dieser Methode habe ich nun die Wachsthumsverhältnisse
der einzelnen menschlichen Röhrenknochen zu bestimmen gesucht und
habe für die Zeit vom 1. Lebensjahre!) an die experimentell an Thieren
1) Ich kann nur ungefähr diesen Termin als den Wendepunkt in den Wachs-
Ueber die Ernährungskanäle der Knochen und das Knochenwachsthum. 325
festgestellten Thatsachen für den Menschen bestätigt gefunden. Wäh-
rend des embryonalen Lebens herrschen aber zum Theil sehr abwei-
chende Verhältnisse. Das Wachsthum des Humerus, Radius und der
Ulna, sowie des Femur weicht allerdings nur in quantitativen Ver-
hältnissen von dem späteren ab: es sind die Unterschiede des Wachs-
thums beider Enden meist nicht so gross wie in späteren Epochen.
Tibia und Fibula dagegen besitzen bis geraume Zeit nach der Geburt
ein etwas stärkeres Wachsthum am unteren Ende, das aber nie um
ein Bedeutendes das des oberen übertrifft, und erst vom 1. Lebens-
jahre an kehrt sich dasselbe um; es wird nun, wie bekannt, das obere
Ende das dominirende. Dass hierbei keine Umkehr in der Richtung
der Ernährungskauäle stattfindet, erklärt sich einfach daraus, dass
diese stets in dem vom oberen Ende beeinflussten Gebiete liegen.
Die eben berührten Ermittelungen über das Wachsthum der Tibia
und Fibula erklären die Widersprüche, welche in dieser Beziehung
zwischen den Angaben der Experimentatoren (ÖLLIER und HUMPHRY)
und anderer Forscher, wie BROCA und WEGNER existiren.
BrocA?) hatte gefunden, dass die Schicht der pallisadenförmig
gestellten Knorpelzellenreihen am Ossificationsrande der Diaphysen-
enden in ihrer Dicke ungefähr der an dieser Stelle herrschenden
Wachsthumsenergie entspricht, und Messungen der Dicke dieser Schicht,
von ihm „couche chondroide“ genannt, benutzt, um die Verschieden-
heiten des Wachsthums an beiden Enden der Diaphyse für jeden
höhrenknochen zu ermitteln. Er fand nun dabei, dass Tibia und Fi-
bula bei Neugeborenen eine dickere Proliferationsschicht an ihrem
unteren Ende besitzen, also hier rascher wachsen, wie am oberen, ein
Befund, der von WEGNER?), scheinbar ohne BrocA’s Angaben zu ken-
nen, bestätigt wurde. Dies hat nach meinen Untersuchungen seine
volle Richtigkeit; es stimmen hier die Resultate meiner Messungs-
methode und die aus der Bestimmung der Dicke der Proliferations-
zone erhaltenen vollkommen überein. Es widerspricht dies aber durchaus
nicht den experimentellen Erfahrungen OLLIER’S; diese betreffen viel-
mehr einfach eine spätere Zeit, welche beim Menschen ungefähr mit
dem 1. Lebensjahre zu beginnen scheint. Hier wachsen die oberen
thumsverhältnissen der Tibia und Fibula bezeichnen, da mir ein grösseres Ma-
terial gerade aus diesem Zeitraum der Entwicklung nicht zu Gebote stand.
I) Sur quelques points de l’anatomie pathologique du rachitisme. Bulletins
de la societE anatomique de Paris, 27. annde. 1852. p. 542 ff.
2) Ueber hereditäre Knochensyphilis bei jungen Kindern. Virchow’s Archiv.
Bde 50. 1870. 8. 321. i
99%
326 G. SCHWALBE.
Enden von Tibia und Fibula in der That rascher. Es liegt nahe,
diese Umkehr des Wachsthums zu den beginnenden Gehbewegungen
in Beziehung zu bringen.
Der Methode, welcher ich mich zur Messung des ungleichen
Wachsthums der Diaphysenenden bediente, ist vom Standpunkte der Re-
sorptionstheorie aus ein Vorwurf zu machen. Bei ausgesprochen schrä-
ser Richtung des Kanals wird offenbar mit der Ausweitung der Mark-
höhle eine Verschiebung der inneren Oefinung verbunden sein müssen
und zwar eine um so grössere, je schiefer der Kanal. Ist in Fig. 4
(Tafel XV) gh der Ernährungskanal, so wird die innere Oefinung, wenn
das der Markhöhle benachbarte Stück adcd resorbirt ist, nicht mehr
in g, sondern weiter oben in A zu liegen kommen. Es wird also das
obere Diaphysenende bei Messung von der inneren Oefinung aus zu
klein, das untere zu gross ausfallen. Geringer sind die Unterschiede
in der Lage der inneren Oefinung, wenn dieselbe näher dem neutralen
Punkte von ad liegt und .= 0 in diesem neutralen Punkte (e) selbst
(vgl. Linie efm). Der durch diese Verhältnisse bedingte Fehler wird
nun aber in den meisten Fällen thatsächlich minimal dadurch, dass
die Foramina nutritia im embryonalen Leben mehr oder weniger
vertikal die Dicke der Diaphysenrinde durchsetzen, weil sie erstens zu
dieser Zeit mehr der Mitte der Diaphyse benachbart oder in dieser
selbst liegen und zweitens, weil zugleich das Dickenwachsthum so
stark ist gegenüber-dem Längenwachsthum, wie zu keiner anderen
Zeit der Entwicklung. Es wird deshalb die Markhöhle um ein Be-
deutendes ausgeweitet werden können, ohne dass eine wesentliche Ver-
schiebung der inneren Oeffnung eintritt und somit bleibt die innere
Oeffnung der Ernährungskanäle eine sichere Marke zur Bestimmung
des Längenwachsthums beider Diaphysenenden, um so mehr als wir
im Falle einer stärkeren Verschiebung durch einfache Construction
jedesmal leicht ihre ursprüngliche Lage bestimmen können.
Ich erwähnte oben, dass die relative Lage der äusseren Oefinung
der Ernährungskanäle zu allen Zeiten der Entwicklung nahezu die
nämliche ist. Dieser Satz würde meiner Theorie zu Folge vollständig
zutrefien müssen, wenn das Periost zu allen Zeiten auch in gleicher
Weise verschiebbar auf der Oberfläche der Knochen wäre. Nun habe
ich aber oben schon hervorgehoben, dass das embryonale Periost stär-
ker an der Oberfläche der Diaphyse fixirt ist, wie das des erwachsenen
Knochens, welches vielfach freie Spalträume zwischen sich und der
Knochenoberfläche entwickelt. Jene stärkere Fixirung des embryona-
len Periosts wird durch die innerhalb einer gleich grossen Fläche in
grösserer Zabl in den Knochen eindringenden Blutgefässe und durch
Ueber die Ernährungskanäle der Knochen und das Knochenwachsthum. 327
den Zusammenhang mit der fortwährend sich anbildenden Knochen-
substanz bedingt. Unser einfacher Fall eines an beiden Enden ver-
schieden stark gespannten elastischen Bandes wird also vor allen Dingen
dadurch complieirt, dass jenes elastische Band nicht frei beweglich,
sondern auf einer rauhen Unterlage mehr oder weniger fixirt ist. Da-
durch erfahren die Verschiebungen der Theilchen nothwendiger Weise
Hemmungen, die wir einem Reibungswiderstande vergleichen können.
Uebertragen wir dies auf das Periost, so ist dem vorhin Gesagten
entsprechend der Reibungswiderstand stärker während des embryonalen
Lebens, geringer in der späteren Zeit der Entwicklung und wir finden
demnach an erwachsenen Knochen eine geringe Verschiebung der
relativen Lage der äusseren Oefinung in der Richtung nach dem domi-
nirenden Diaphysenende. Setzen wir die Länge des Knochens = 100,
so beträgt der Abstand der äusseren Oeffinung des Ernährungskanals
vom oberen Ende des Knochens für den Humerus von Embryonen und
Kindern im Mittel von 10 Fällen: 58,39, für den Humerus von Er-
wachsenen (Mittel aus 21 Fällen) 57,3. Die entsprechenden Zahlen
betragen für das Femur (untern Kanal) 56,04, resp. 58,5 (also Annähe-
rung an das beherrschende untere Ende), für die Tibia 38,6 resp. 34,2.
Nur Radius und Ulna machen eine Ausnahme, indem eine relative
Entfernung vom stärker wachsenden unteren Ende zur Beobachtung
kommt, die allerdings nur 1 auf 100 beträgt. Eine genaue Unter-
suchung der Fixirung des Periosts dieser Knochen in den einzelnen
Entwicklungsstadien wird, ich zweifle nicht daran, auch eine be-
friedigende Erklärung dieses Falles ergeben.
Von den Voraussetzungen meiner Theorie der Ernährungskanäle
habe ich das ungleiche Längenwachsthum, die Beziehungen des Dicken-
wachsthums zum Längenwachsthume, sowie die Lage der Ernährungs-
öffnungen soweit erörtert, wie dies ohne einen Aufwand von Tabellen
mit zahlreichen Messungen möglich ist. Die Veröffentlichung dieser
letzteren wird in einer ausführlichen Arbeit erfolgen. Nur der vierten
Voraussetzung, des interstitiellen Wachsthums vom Periost muss ich
hier noch kurz gedenken. Ich habe oben auseinandergesetzt, wie von
Seiten der wachsenden Diaphysenenden ein Zug auf. das Periost aus-
geübt werden muss, der diese elastische Membran, sofern nicht Reibungs-
widerstände dies verhindern, gleichmässig dehnt, die Theilchen der-
selben um gleiche Abstände auseinanderzieht. Mit dieser Annahme
konnten wir alle die Ernährungskanäle betreffenden Verhältnisse er-
klären, erfuhren wir, dass die Verschiebungen der Periosttheilchen um
so grösser sind, je näher sie den ursprünglichen Enden der periostalen
Rinde liegen. Denkt man sich nun ein Periost von der Länge ab in
328 G. SCHWALBE.
Fig. 2 und 3 (Taf. XV) ausgedehnt bis zur Länge cd und die aus dieser
ganz langsam fortschreitenden Dehnung resultirenden grösseren Abstände
der Theilchen durch ebenso allmähliche und in demselben Maasse er-
folgende Einlagerung neuer Theilchen in die Membran fixirt, so haben
wir ein interstitielles Wachsthum der Membran und zwar ein gleich-
mässiges, das nur in geringer Weise durch die Reibungswiderstände
modifieirt wird. Man kann aber auch umgekehrt von einer gleich-
mässigen Einlagerung neuer Massentheilchen zwischen die vorhandenen
des wachsenden Periosts ausgehen, dies als treibende Ursache ansehen,
die Verschiebungen der Theilchen müssen in ganz derselben Weise
erfolgen, wie bei der ersteren Annahme. Es fragt sich nun, ist ein
interstitielles Wachsthum des Periosts bewiesen? und ferner, weni
dies der Fall ist, wächst das Periost gleichmässig oder ungleichmässig.
interstitielle. Ich glaube, an einem interstitiellen Wachsthum des
Periosts überhaupt, kann Niemand mehr zweifeln, der die Erschei-
nungen, welche die Entwicklung der Ernährungskanäle darbieten, auf-
merksam verfolgt hat. Ich habe so zu sagen in dieser Abhandlung
den indirecten Beweis dafür !geliefert, indem ich gezeigt habe, dass
bestimmte natürliche Punkte des Periosts, die Eintrittsstellen der Er-
nährungsgefässe derartige Verschiebungen beim Längenwachsthum der
Knochen eingehen, dass ihr Abstand vom oberen und unteren Ende
der Membran relativ immer derselbe bleibt, was bei appositionellem:.
Wachsthum an den Enden selbstverständlich nicht der Fall sein kann;
denn dann müsste, wie wir dies thatsächlich bei der inneren Oeffnung-
der Ernährungskanäle sehen, sich der Abstand vom beherrschenden
Knochenende nicht nur absolut, sondern auch relativ vergrössern. Den
direeten Beweis für ein interstitielles Wachsthum des Periosts haben:
ÖLLIER’S!) Experimente geliefert, die auf’s Deutlichste während des
Wachsthums erfolgende Verschiebungen des Periosts darthun. Ich werde
unten noch mehrfach Gelegenheit nehmen, Thatsachen anzuführen, die
sich nur aus Verschiebungen des Periosts in Folge interstitiellen
Wachsthums erklären lassen, und hier nur noch das Verhalten der
mit dem Periost innig verbundenen Muskelansätze erwähnen, an denen
von LIEBERKÜHN?) Verschiebungen beobachtet sind, die in demselben
Sinne wie die absoluten Verschiebungen der Foramina nutritia externa
erfolgen. In zwei Experimenten an Hunden sah dieser Forscher an
1) Archives de physiologie T. V. 1873. p. 34.
2) Ueber die Einwirkung von Alizarin auf die Gewebe des lebenden Kör-
pers. Sitzungsberichte d. Gesellsch. z. Beförderung d. ges. Naturwissensch.
Nr. 3. März 1874. Anmerkung $. 37. _
Ueber die Ernährungskanäle der Knochen und das Knochenwachsthum. 329
der Ansatzstelle des Sartorius resp. des Quadriceps femoris in die Tibia
eingeschlagene Stifte um 27, resp. 21 mm. von .der Muskelinsertions-
stelle sich entfernen. In analoger Weise beschreibt Escm!) nach einem
LIEBERKÜHN’schen Experimente eine Entfernung des Deltoides von
einem an seiner Ansatzstelle eingeschlagenen Stifte um 7 mm. Ich
kann bestätigend diesem hinzufügen, dass das Foramen nutritium ex-
ternum und die Insertion des Deltoides allmählich beim Wachsthum
auseinanderrücken, und zwar beide zum oberen Diaphysenende hin,
wie dies nach meiner Theorie zu erwarten war und wie dies meine
Messungen gegenüber denen KÖLLIKER’S?), die sich auf ein zu geringes
Material von nur 5 Fällen beziehen, ergeben haben.
Nach Allem kann man wohl nicht umhin, ein interstitielles
Wachsthum des Periosts als sicher gestellt anzunehmen. Meine Ab-
leitung der Neigung und Richtung der Ernährungskanäle ging aber
von einem gleichmässigen interstitiellen Wachsthume des Periosts aus.
Ich habe diese Annahme der Einfachheit wegen gemacht, da sich
unter ihr- alle die Ernährungskanäle betreffenden Erscheinungen am
leichtesten verstehen lassen; ich verhehle aber nicht, dass auch eine
andere Art des interstitiellen Wachsthums, z. B. eine solche, bei der
dasselbe nach den Epiphysen hin zunimmt, ebenfalls sämmtlichen
Thatsachen Rechnung tragen würde. Es würden dann nur andere
Verschiebungen der Periosttheilchen eintreten, die für jede Art des
interstitiellen Wachsthums leicht durch eine den von mir mitgetheilten
ähnliche Construction gefunden werden können. Die Erklärung aber
der Richtung, Neigung und Umkehr der Ernährungskanäle bleibt selbst-
verständlich in allen diesen Fällen dieselbe; es genügt dazu die That-
sache des interstitiellen Wachsthums überhaupt. Ich könnte mich
hiermit begnügen und die Untersuchung des Modus, nach welchem
das interstitielle Wachsthum des Periosts erfolgt, der Zukunft über-
Jassen. Mir scheint indessen schon die folgende Erwägung einiges
Licht über diese Frage zu verbreiten. Wir können uns, wie ich dies
mehrfach in dieser Abhandlung gethan, das interstitielle Wachsthum
des Periosts als durch den Wachsthumszug von den Epiphysen her
bedingt vorstellen. Ohne Fixirung an der Unterlage, ohne Reibung
müsste dann das Periost sich gleichmässig ausdehnen. Dieser Fall
existirt aber, wie wir gesehen haben, in Wirklichkeit nicht; es findet
ein namentlich im embryonalen Leben merklicher Reibungswiderstand
Statt, und dieser muss überhaupt auf die Verschiebungen verzögernd
1) Ueber appositionelles Knochenwachsthum. Dissert. Marburg 1874. S. 16.
?2) Resorption des Knochengewebes S. 69.
330 G. SCHWALBE.
einwirken; es muss jeder Punkt des Periosts, der ferner vom Epi-
physenende liegt, einen grösseren Widerstand bei seiner Verschiebung
erfahren, als die näher liegenden und deshalb etwas hinter dem früher
berechneten Punkte zurückbleiben. Eine weitere Ueberlegung zeigt,
dass dies, da die Hemmung der Bewegung eines Periosttheilchens
wieder verzögernd auf die der folgenden wirkt, zu einer Anordnung
der Periostpunkte führt, die nur durch ein ungleichmässiges und zwar
nach den Epiphysenenden zunehmendes interstitielles Wachsthum fixirt
werden kann. Die eigenthümliche oben erwähnte relative Entfernung
der äusseren Foramina nutritia von Radius und Ulna spricht für die
Richtigkeit dieser Betrachtung. — Soviel an dieser Stelle über jene
schwierige Frage, mit deren genauerer Beantwortung ich zur Zeit noch
beschäftigt bin.
Ist nur die von mir gegebene Erklärung der Richtung und Nei-
gung der Ernährungskanäle richtig, so müssen nothwendiger Weise
die Momente, welche in so eigenthümlicher Weise auf die grossen
Ernährungsgefässe des Knochens einwirken, auch einen analogen Ein-
fluss auf sämmtliche kleineren aus dem Periost in die Knochenrinde
eintretenden Gefässe ausüben, es müssen die sie einschliessenden
Havers’schen Kanälchen in ähnlicher Weise wie die Ernährungskanäle
durch dieselben Verhältnisse in ihrer Richtung und Neigung beein-
flusst werden. Dies ist nun in der That der Fall. Wenn man von
entkalkten embryonalen Extremitätenknochen in radiärer Richtung
durch die ganze Länge der Diaphysenrinde einen Schnitt anfertigt
und denselben bei schwacher Vergrösserung untersucht, so ergiebt sich
ein überraschendes, ausserordentlich zierliches Bilde Man sieht von
der Stelle aus, welche etwa der inneren Oefinung des Ernährungskanals
oder dem neutralen Punkte entspricht, in welchem sich der periostale
Zug beider Diaphysenenden das Gleichgewicht hält, man sieht von
dieser Stelle aus die Havers’schen Kanäle, welche in der Gegend der
neutralen Zone senkrecht die Knochenrinde durchsetzen und durch
zahlreiche anastomosirende Kanäle innerhalb der einzelnen periostalen
Schichten verbunden werden, unter immer spitzeren Winkeln die
Grenze zwischen Knochen und Periost berühren, je näher man den
Enden der periostalen Knochenrinde kommt. Man erhält so auf jeder
Seite des ursprünglichen Diaphysenmittelpunkts (ersten Ossifications-
punkts) ein System schräger Linien, welches mit den Linien, die man
als verbindende Linien je zweier correspondirender Punkte der Oberfläche
zweier im Alter verschiedener Diaphysen - Längsschnitte construiren
würde, vollkommen übereinstimmen. Fig. 10 (Taf. XV) zeigt diese nach
meinen Messungen und meiner Theorie in den Diaphysendurchschnitt
Ueber die Ernährungskanäle der Knochen und das Knochenwachsthum. 331
eines Humerus hineingezeichneten Linien, Fig. 11a und 11b (Taf. XVI)
dagegen die getreuen, mittelst der Camera lucida aufgenommenen Ab-
bildungen des oberen Endes (11a) und mittleren Abschnittes (11b) eines
solchen Durehschnittes selbst (von der Tibia). Man erkennt die auf-
fallende Uebereinstimmung der die Knochenoberfläche berührenden
Linien der Fig. 10 (Taf. XV) mit den vom Periost aus in den Knochen
vordringenden Gefässkanälen in Fig. 1la und 11b; natürlich werden
letztere überall durch kurze Querkanälchen verbunden, da ja die vom
Periost in den Knochen eindringenden Gefässe innerhalb des ersteren
ebenfalls zu Netzen verbunden waren, die nun mit in den sich bil-
denden Knochen hineingezogen werden.')
Aus unserer die Verhältnisse der ‘Humerusdiaphyse erläuternden
Figur ergibt sich ferner, dass nach dem unteren, langsamer wachsenden
Knochenende hin die Zunahme der schiefe Richtung der Kanälchen gegen
die periostale Oberfläche weniger bedeutend ist, wie in der Richtung
nach dem oberen, rascher wachsenden Ende, und dies steht ebenfalls
in vollem Einklang mit den oben von mir entwickelten Prineipien.
l) Die so eben beschriebene eigenthümliche Anordnung der Havzrs’schen
Kanäle in jugendlichen Knochen ist zwar mehrfach gesehen, aber nicht genügend
beachtet, geschweige denn in ihren Ursachen gewürdigt worden. So bildet
STRELZOFF diese Structur in seinen genetischen und topographischen Studien des
Knochenwachsthums in Fig. 5 der Tafel VII aus dem oberen Ende der Tibia
einer jungen Taube ab, ohne im Texte etwas davon zu erwähnen. Aehnliches
zeigen die Figuren 7 und S auf Tafel XXI der Abhandlung von STEUDENER:
„Beiträge zur Lehre von der Knochenentwieklung und dem Knochenwachsthume“
vom Brustbein- und Wirbelende der Rippen, ferner Fig. 3 Tafel XX der neuesten
Arbeit von Renaut: ‚„Recherches anatomiques sur le tissu &elastique des os“
(Archives de physiol. 1875). Auf die Ursachen dieser eigenthümlichen Anord-
nung der Havzrs’schen Kanälchen und periostalen Bälkchen gehen nur BRucH
und in allerneuester Zeit SchuLin näher ein, ohne jedoch das von mir mitge-
theilte einfache Erklärungsprineip zu finden. Bruch sagt auf $. 100 seiner
wichtigen Arbeit: „Beiträge zur Entwicklungsgeschichte des Knochensystems“:
„Die einzelnen Lamellen (des periostalen Knochens) deeken sich jedoch nicht
so vollständig, dass dadurch lauter senkrecht auf die Achse des Knochens
stehende Kanäle entstehen, sondern sie decken sich in der Weise, dass jede
folgende Lamelle etwas über die vorhergehende hinausragt, gewissermaassen
weiter vorgeschoben ist. Der Kanal erhält dadurch eine schiefe Richtung und
wird nach oben durch jede folgende Lamelle etwas weiter überwölbt.‘“ SCHULIN
(Ueber das Wachsthum der Röhrenknochen. Sitzungsber. d. Gesellsch. z. Beförd.
d. ges. Naturwiss. z. Marburg 1875. Nr. 3) beschreibt ebenfalls diese Anordnung
auf dem Längsschnitt der Diaphyse embryonaler Knochen, leitet sie aber von
dem Wachsthum der Periost-Capillaren ab, die nach ihm in einer spitzwinklig
zur Längsaxe des Knochens geneigten Richtung gegen diesen vordringen, in
derselben Weise wie beim Längenwachsthum die Capillaren auf den Knorpel
zuwachsen.
332 @&. SCHWALBE.
Wenn, wie beim Humerus und andererseits beim Radius und in der
Ulna, die Verschiedenheiten im Wachsthum beider Diaphysenenden
sehr bedeutend sind, so wird der Winkel, welchen die meisten Linien
(resp. Havers’sche Kanälchen) mit der Knochenoberlläche bilden, ein
ausserordentlich spitzer werden (Fig. 10), ihr Verlauf wird sich dem
longitudinalen nähern. Bei Untersuchung dieses Stückes allein zeigen
also die Gefässkanälchen im Allgemeinen einen longitudinalen Verlauf.
Selbstverständlich ist auch dieser wieder um so ausgesprochener, je
geringer das Dickenwachsthum im Verhältniss zum Längenwachsthume
ausfällt. Ich brauche in dieser Beziehung nur auf die oben wieder-
gegebene Construction Fig. 10 zu verweisen, aus der auch noch ein
Weiteres hervorgeht. Je länger der Knochen wird, desto mehr muss
der longitudinale Verlauf der Gefässkanälchen in der Diaphyse aus-
gesprochen erscheinen. Für die Enden ist dies selbstverständlich; im
Mittelstücke aber, in der Gegend des neutralen Punktes kommt noch
ein anderes Moment in Betracht, welches auch hier zur Ausprägung
eines vorherrschend longitudinalen Verlaufes der Havers’schen Kanäl-
chen führt. Die die Rinde durchbohrenden, mehr oder weniger schief
verlaufenden Kanälchen sind ja in den verschiedenen Lagen des
periostalen Knochens durch Querkanälchen verbunden. Sie entstammen
dem flächenhaft ausgebreiteten Gefässnetze des Periosts, welches die
einzelnen eindringenden Aeste unter einander verbindet. Diese Ver-
bindungsäste werden selbstverständlich eingeschlossen in die sich ab-
lagernde Knochenmasse und in ihrem Verlaufe stets annähernd parallel
der Knochenoberfläche bleiben. An den Enden der Diaphyse, wo die
perforirenden Aestchen einen nahezu parallelen Verlauf annehmen,
müssen sie nur dazu beitragen, den. Gesammteindruck dieses Paralle-
lismus zu steigern, da sie unter sehr spitzen Winkeln die einzelnen
Richtungskanälchen, wie ich der Kürze halber die ursprünglich
perforirenden nennen will, verbinden. In der Gegend des neutralen
Punktes werden sie natürlich mehr senkrecht zu den direct oder
wenig geneigten durch die Compacta vordringenden Richtungskanäl-
chen verlaufen; sie bilden zusammen mit letzteren ein Gitterwerk,
dessen Maschen nach der Oberfläche des Knochens zu allmählich
grösser werden und in welchem die Richtungskanälchen anfangs durch
ihre Weite und fortwährende Neuproduction von Seiten des Periosts
dominiren (s. Fig. 11b). Bald aber, im postembryonalen Leben werden
keine oder nur noch wenig perforirende Kanäle gebildet, die Abstände
der Richtungskanälchen rücken, in der Weise, wie dies ja schon meine
Construction in Fig. 10 angibt, weiter auseinander. Es werden nun
die longitudinal verlaufenden, der Oberfläche parallelen Verbindungs-
Ueber die Ernährungskanäle der Knochen und das Knochenwachsthum. 333
kanälchen mehr und mehr die Physiognomie des Bildes beherrschen,
die ganze Diaphyse somit zur Zeit der Vollendung des Wachsthums
mehr und mehr sich von vorzugsweise longitudinal verlaufenden
Havers’schen Kanälchen durchsetzt zeigen. Dass diese Momente in
der That die Ursache der äusserlich so verschiedenen Architectur der
Compacta im jugendlichen und erwachsenen Zustande sind, lehrt eine
einfache Vergleichung von Flächenschnitten der Oberfläche aus der
neutralen Gegend embryonaler und erwachsener Diaphysen: in ersterem
Falle sieht man ein dichtes, mehr gleichmässiges Gefässnetz, in letz-
terem Falle zeigt dasselbe sehr grosse longitudinal gestreckte Maschen-
räume und wenig Durchschnitte perforirender Gefässe.
Das Bild der Compacta älterer Knochen zeichnet sich noch durch
einen anderen Umstand vor dem embryonaler aus, nämlich durch das
Auftreten der KÖLLIKER’schen Resorptionsflächen. Es wird dadurch
an diesen Stellen eine Knochenrinde geschaffen, die aus endochondralem
Knochen gebildet ist.) Man erkennt dieselbe sofort an der anderen
Anordnung der Knochenbälkchen, die sich stets scharf von den in der
beschriebenen Weise schief nach aussen auf- oder absteigenden peri-
chondralen Bälkchen in ihrer Richtung unterscheiden lassen. Die
Richtung der endochondralen Knochenbälkchen wird vor Allem durch
den im Inneren des Markes wirkenden Wachsthumszug und durch die
Stellung der Knorpelzellensäulen am Diaphysenende bewirkt, die Rich-
tung der perichondralen Bälkchen durch die Art der Verschiebungen
des Periosts. Es ist deshalb vom morphologischen Standpunkte durch-
aus unstatthaft, die Spongiosa als aufgelöste Compacta zu bezeichnen
(J. Worrr). Ein Blick auf meine Figur 11a genügt, zu zeigen, wie
wenig dies begründet ist. Dem physiologischen Zusammenwirken bei-.
der Substanzen thut natürlich meine Berichtigung keinen Abbruch.
Wenden wir uns nach diesem Seitenblicke auf den Bau der Dia-
physe weit entwickelter Röhrenknochen und auf die äusseren Resorp-
tionsflächen wieder zurück zu den vorhin beschriebenen Bildern
embryonaler Knochen, so wäre noch ergänzend hinzuzufügen, dass da,
wo beide Diaphysenenden weniger in ihrem Wachsthum verschieden
sind, wie bei den vorhin gewählten Beispielen, vom neutralen Punkte
aus auch die Havers’schen Kanälchen ziemlich gleichmässig nach
beiden Seiten fächerförmig ausstrahlen (Tibia).
Der eigenthümliche Verlauf der Havers’schen Kanäle innerhalb
der embryonalen Knochen erklärt ferner in sehr einfacher Weise die
verschiedenen Querschnittsbilder der compacten Diaphysenrinde. Selbst-
1) Vergl. KÖLLIKER, Die normale Resorption des Knochengewebes S. 39, 40.
334 G. SCHWALBE.
verständlich kann es nicht gleichgültig sein, von welcher Stelle der Dia-
physe man diese Querschnitte entnimmt. Schneidet man quer durch die
von mir sogenannte neutrale Gegend, so erhält man (Fig. 15 Taf. XVI)
nicht die bekannten Querschnitte der Gefässkanälchen, sondern ein
Netz derselben in der Ebene des Schnittes ähnlich dem, wie es von
KÖLLIKER in Fig. 81 S. 278 seiner mikroskopischen Anatomie abge-
bildet und später in dessen Gewebelehre reproducirt wurde. Wenn
man dagegen eine Stelle zum Querschnitt wählt, innerhalb welcher
die Haıvers’schen Kanälchen bereits nahezu longitudinal verlaufen, so
erscheinen selbstverständlich mehr oder weniger reine Querschnitte
dieser Kanälchen, nur hie und da durch ein Aestchen unter einander
verbunden. KÖLLIKER sagt bei Besprechung des Querschnittes mit
netzförmiger Anordnung der Kanälchen: „Ich sah dies constant in den
Knochen des Fötus und auch in jüngeren Knochen muss dieses Ver-
halten das gewöhnliche sein, da es wenigstens bei einem 18jährigen
Individuum noch ganz exquisit sich fand.“ Die erwähnte KÖLLIKER-
‚sche Figur ist einem Femur-Querschnitte dieses Individuums entnom-
men. Meine Untersuchungen zeigen nun auf die einfachste Weise,
wo man dies letztere Querschnittsbild und wo andererseits das mit
quergetroffienen HAvers’schen Kanälen zu erwarten hat. Je jünger
der untersuchte Knochen, auf desto grösseren Strecken der Diaphyse
überwiegt das Bild mit netzförmigen Kanälen; nach den beiden Knochen-
enden zu geht es allmählich in das Bild mit quergetroffienen Kanälen
über. Dieses letztere ist dagegen über um so grössere Strecken der
Diaphyse verbreitet, je älter, d. h. je länger der Knochen ist, es ist
das vorherrschende an erwachsenen Knochen.
So beeinflusst das Wachsthum an den Epiphysenenden den ganzen
Aufbau der periostalen Knochenrinde; die Erkenntniss der Wachs-
thumsgesetze verknüpft eine ganze Anzahl isolirt stehender anatomi-
scher Thatsachen zu einem einheitlichen Ganzen, sie gewährt eine Er-
klärung dieser scheinbar unvermittelten anatomischen Erscheinungen
insofern, als sie die Thatsachen auf ein allgemeineres Prineip zurück-
führt, auf die Vertheilung des Wachsthums innerhalb des Skelets
der Extremitäten. Eine weitere Aufgabe muss es sein, den Ursachen
dieser Wachsthumsverhältnisse nachzuspüren, eine Aufgabe, die ohne
einen vergleichend anatomischen Umblick nicht zu lösen ist. Mit
dieser Frage bin ich zur Zeit noch beschäftigt und hoffe in meiner
grösseren Arbeit über das Knochenwachsthum bereits einiges Material
für Lösung dieser Frage beibringen zu können.
Ich kann die Besprechung der Diaphysen-Structur nicht schliessen,
ohne noch auf ein ganz grobes anatomisches Factum aufmerksam zu
Ueber die Ernährungskanäle der Knochen und das Knochenwachsthum. 335
machen, das jedenfalls längst bekannt, doch nicht beachtet und in
seinem morphologischen und physiologischen Werthe gewürdigt wor-
den ist.!) Ich meine die Verschiedenheiten, welche die Längsschnitte
der Diaphysenrinde in den einzelnen Röhrenknochen in Betreff der
Lage ihrer dicksten Stelle erkennen lassen. Aus den von mir ent-
wickelten Wachsthumsgesetzen ergiebt sich schon vou vornherein, dass
die dickste Stelle der Diaphysenrinde immer an der Stelle des ersten
Ossificationskernes liegen muss, da über diesem das Periost am läng-
sten Knochensubstanz ablagert; die Rinde muss ebenso selbstverständ-
lich um so dünner werden, je näher sie den Epiphysenenden der
Diaphyse liegt, sie muss sich nach beiden Enden zuschärfen. Da nun
die letzteren verschieden rasch wachsen, so wird die Zuschärfung des
Rinden-Längsschnitts an den beiden Enden derselben Diaphyse eine
verschiedene sein. Wo die Endresultate des Wachsthums beider Dia-
physenenden nahezu gleich sind, wird die Zuschärfung nach beiden
Enden eine mehr oder weniger gleichmässige sein; die dickste Stelle
der Rinde liegt hier ungefähr in der Mitte der Diaphyse. So verhält
sich z. B. die Tihia und Fihula des Menschen. Ueberwiegst dagegen
das Wachsthum des einen Diaphysenendes um ein bedeutendes das
des anderen, so wird die Abnahme der Dicke rascher an der langsam
wachsenden, allmählich an der schneller wachsenden Seite sein; oder
mit anderen Worten: es liegt die dickste Stelle der Diaphysenrinde,
bei ungleichem Wachsthum an beiden Enden, immer näher dem lang-
samer, ferner dem rascher wachsenden Ende und zwar um soviel, als
der Unterschied im Gesammtwachsthum beider Enden beträgt. Man
findet demnach im Humerus die dickste Stelle der Compacta bedeutend
näher dem unteren, im Radius und der Ulna in grösserer Nähe zum
oberen Ende des Knochens; im Femur liegt die dickste Stelle etwa
an der Grenze vom obersten und mittelsten Dritttheil des ganzen
Knochens. Im Allgemeinen liegt dieselbe immer in der Umgebung
der inneren Oeffnung des Ernährungskanals, wie aus dem früher Mit-
getheilten mit Nothwendiskeit folgt. — Wo das eine Ende der Dia-
physe so gut wie gar nicht am Längenwachsthum des Knochens be-
theiligt ist, wie z. B. am Humerus des Frosches das untere, an den
Endphalangen des Menschen das distale, da hat die Compacta ihre
I) So behauptet fälschlicher Weise J. WoLrr (Ueber die innere Architectur
der Knochen ete. Virchow’s Archiv Bd. 50 S. 394), dass die compacte Substanz
am Oberschenkel in der. Mitte am dieksten sei, während die dickste Stelle etwas
unterhalb der inneren Oefinung des oberen Ernährungskanals, etwa an der
Grenze von oberem und mittlerem Drittel gelegen ist.
336 G. SCHWALBE.
grösste Dicke an diesem Ende und schärft sich einseitig nach dem
proliferirenden Ende zu.
Eine praktisch wichtige Folgerung lässt sich aus diesen Thatsachen
ziehen. Wo aus Mangel an embryonalem Material eine Bestimmung
der Dicke der Knorpelproliferationszone behufs Beurtheilung der Wachs-
thumsenergie nicht möglich ist, wo ferner auch die von mir angegebene
Methode der Messung von der inneren Mündung des Ernährungskanals
aus sich nicht ausführen lässt, genügt zur Feststellung der Frage, an
welchem Ende überhaupt während der ganzen Entwicklung bis zum
untersuchten Zeitpunkte sich mehr Knochensubstanz angebildet hat,
eine einfache Betrachtung des Diaphysen-Längsschnitts. Aus ihm lesen
wir sofort das Wachsthumsverhältniss beider Enden ab: stets liegt die
dickste Stelle bei gleichem Wachsthum in der Mitte, bei ungleich-
mässicem näher dem langsamer wachsenden Ende.
Für die statischen und mechanischen Verhältnisse der Knochen
kann diese verschiedene Lage der dicksten Stelle der compacten Sub-
stanz ebenfalls nicht ohne Bedeutung sein; muss doch die ungleiche
Vertheilung der Masse auf die einzelnen Strecken der Knochen von
Einfluss auf das Gewicht der Hebelarme bei den Bewegungen der
Knochen gegen einander, von Einfluss auf die Lage des Schwerpunkts
in den Knochen sein. Ich begnüge mich damit, auf diese Verhältnisse
aufmerksam zu machen, deren Verfolgung ohne Zweifel noch manche
interessanten Aufschlüsse über die Bewegungen des Körpers liefern
werden.
Die in den vorstehenden Zeilen mitgetheilten Thatsachen haben
sich alle in vollkommener Weise aus der Annahme einer Apposition
an den Epiphysenenden und vom Periost aus, sowie einer Resorption
von Seiten der Markhöhle erklären lassen. Sie führten aber zur Er-
kenntniss, dass das periostale Wachsthum sich in etwas anderer Weise
gestaltet, als man bisher annahm, weil das Periost interstitiell, der
Knochen durch Anlagerung neuer Schichten wächst, die natürlich in
Folge des interstitiellen Wachsthums des Periosts, an dessen Aus-
dehnung die fertig gebildete Knochensubstanz nicht Theil nehmen
kann, mit jeder neuen Schicht im Sinne der periostalen Verschiebung
ebenfalls verschoben sein müssen. Wir sahen die Spuren dieser Ver-
schiebungen der sich neu anbildenden gegen die bereits abgelagerte
Knochenmasse in der Richtung der Ernährungskanäle, ja der Gefäss-
kanälechen des Knochens überhaupt, deutlich ausgeprägt; wir können
mit Sicherheit aus einer bestimmten Lage und Richtung der Ernährungs-
kanäle auf ein bestimmtes Wachsthum der Diaphysenenden schliessen,
die Richtigkeit dieser Schlussfolserung aber experimentell oder durch
Ueber die Ernährungskanäle der Knochen und das Knochenwachsthum. 337
die von mir erwähnten Messungen bestätigen. Umgekehrt können
wir mit aller Bestimmtheit behaupten, dass, je nachdem das ursprüng-
liche Foramen nutritium in der durch das Längenwachsthum des
oberen oder des unteren Diaphysenstückes beeinflussten Zone liegt, es
absteigend oder aufsteigend sein muss. Meine über die ganze Wirbel-
thierreihe von den Amphibien an aufwärts sich erstreckenden Unter-
suchungen haben stets diese Abhängigkeit der Richtung der Ernäh-
rungskanäle von ihrer ursprünglichen Lage und dem Wachsthum der
Diaphysenenden ergeben. Dabei kann es allerdings vorkommen, dass
an den homologen Knochen verschiedener Thiere die Richtung ver-
schieden ist, wie schon OLLIER’S oben erwähnten Beispiele ergeben.
Dies kaun dann wieder einen verschiedenen Grund haben. Entweder
liest das Foramen nutritium in verschiedenen Zonen des Knochens bei
im Wesentlichen correspondirendem Wachsthume der Diaphysenenden;
dies erklärt z. B., wie bereits oben bemerkt wurde, die verschiedene
Richtung der Ernährungskanäle am Femur verschiedener Säugethiere;
_ oder es ist das Wachsthum ein ganz anderes, als in den Fällen, die
ich dieser Darstellung zu Grunde gelegt habe, in den menschlichen
Röhrenknochen. Ein Beispiel hierfür bietet der Humerus von Sala-
mandra maculosa, ferner der Schildkröten (Chelydra serpentina). Hier
wächst abweichend von den Verhältnissen, wie sie sich bei Batrachiern
und Säugethieren finden, das untere Ende des Humerus stärker, wie
das obere, und der Ernährungskanal hat in Folge dessen trotz der
Lage seiner äusseren Oefinung über der Mitte des Knochens, eine
aufsteigende Richtung.
Man sieht die Probe zur Rechnung stimmt in allen Fällen. Wie
soll man dagegen die Richtung der Ernährungskanäle, die allmähliche
Veränderung ihrer Neigung, das Auftreten von Krümmungen (Femur),
die von mir beschriebene Architectur der Compacta aus der Annahme
eines interstitiellen Wachsthums erklären? Mit der extremen WOLFF-
schen Ansicht, dass überhaupt keine Ablagerung vom Periost und den
Epiphysen Statt finde, sondern nur ein interstitielles Wachsthum, ist
dies offenbar gar nicht möglich, wie ich bereits oben gezeigt habe;
denn ist dies Wachsthum ein gleichmässiges, so muss die Architeetur
der Knochensubstanz offenbar zu allen Zeiten der Entwicklung, wie
dies auch J. WOoLFF behauptete, geometrisch ähnlich sein. Wie es
aber mit dieser von WOLFF gerühmten Aehnlichkeit der Architectur
in der Compacta steht, haben diese Mittheilungen genugsam gezeigt;
diese geometrische Aehnlichkeit existirt einfach nicht, ebenso wenig
wie die der Spongiosa der Epiphysenenden. In letzterer Beziehung
brauche ich nur daran zu erinnern, dass die Zahl der Spongiosa-Bälk-
338 G. SCHWALBE.
chen zu verschiedenen Zeiten der Entwicklung eine verschiedene ist
(BARDELEBEN!), VIRCHOW?), ferner dass die Epiphysenbälkchen anfangs
durchaus nicht den benachbarten Diaphysenbälkchen correspondiren,
wie man an jedem Durchschnitt z. B. durch das untere Ende einer
Tibia mit noch erhaltener Epiphysenlinie wahrnehmen kann; endlich
ist vor allen Dingen an die von der embryonalen Form abweichende
Gestalt erwachsener Knochen zu erinnern, mit der uns LANGER ge-
nauer bekannt gemacht hat; speciell der Nachweis, welchen LANGER
lieferte®), dass der Hals des oberen Endes vom Oberschenkelbein sich
mit fortschreitendem Wachsthum relativ verlängere, ist ein harter
Schlag für die frühere WoLrr’sche Theorie des gleichmässisen inter-
stitiellen Wachsthums. Gerade das vielgerühmte coxale Femurende hat
diese Ansicht widerlest. Worrr’s letzte Arbeiten halten auch diese
Theorie nicht mehr aufrecht; ein ungleichmässiges interstitielles
Wachsthum soll die von LANGER hervorgehobenen Verhältnisse erklären,
daneben aber schleicht sich schon leise in den Wourr’schen Ideen-
kreis der Gedanke ein, sich bei Zeiten mit der Appositionstheorie gut
Freund zu machen, um nicht gänzlich unter den Trümmern der Theorie
des ausschliesslich interstitiellen Wachsthums zu erliegen. Den Knochen
kleiner Thiere gesteht er zu‘), was er denen des Menschen versagt,
ein Wachsthum durch Apposition. Für das obere Ende des Femur
vom Menschen bleibt er dagegen bei der alten Ansicht, wie ich ver-
muthe aus dem einzigen letzten Grunde, weil er auf Grund seiner
mathematisch-mechanischen Vorstellungen sich nicht zur Annahme fort-
währender Architeetur- Umwälzungen entschliessen kann; und hieran,
glaube ich, thut WoLFF ganz recht. Aber selbst dies zugegeben, folgt
daraus noch durchaus kein interstitielles Wachsthum. WoLrr°) hat
freilich sich vergeblich bemüht, auf Grundlage des appositionellen
Wachsthums eine Vergrösserung des coxalen Femurendes mit Erhaltung
seiner Architectur zu verstehen, da dasselbe. sofort andere äussere
Formen ergeben und, falls die Brauchbarkeit des Knochens erhalten
bleiben solle, zu inneren Architeetur - Umwälzungen führen müsste.
Seiner an SCHWEIGGER - SEIDEL und WEGENER gerichteten Aufforde-
1) Recension von EBERTH, Untersuchungen aus d. pathol. Institut in Zürich.
Heft 1. Jenaische Literaturzeitung 1874. August.
2) Ueber Bildung und Umbildung des Knochengewebes. Berliner klinische
Wochenschrift 4. und 11. Jan. 1875.
3) ]. ec. 8. 59—62.
4) J. Wourr, Zur Knochenwachsthumsfrage. Virchow’s Archiv Bd. 61
S. 452.
5) Virchow’s Archiv Bd. 61 S. 439. Tafel XIII Fig. 2.
Ueber die Ernährungskanäle der Knochen und das Knochenwachsthum. 339
rung), ihn auf diesem Felde zu widerlegen, will ich hier kurz ent-
sprechen. Zunächst ist hervorzuheben, dass man bei einem appositio-
nellen Wachsthume nicht bloss, wie WOLFF dies thut, das Periost für
neue Auflagerungen verantwortlieh machen darf, dass vielmehr die
Epiphysenlinie das wesentlichste Element für das Längenwachsthum
ist, gleichgültig wie man ihre Bilder im Speciellen deute. WOoLrrF
denkt aber bei seiner Construction in Fig. 2 Tafel XVII nicht daran,
berücksichtigt ferner durchaus nicht das Wachsthum des Trochanter
major und behandelt den oberen Theil des Oberschenkelbeines als ein
Knochenstück, obwohl wie Skizze Fig. 14 ergiebt, wenn wir absehen
vom Trochanter minor, vom 4. Lebensjahre an drei selbstständig
wachsende Knochen, die Diaphyse, der Kopf und Trochanter major
darin zu unterscheiden sind. Die Diaphyse bildet dann natürlich in
ihrer ganzen Epiphysengrenze Knochensubstanz an. Nun entsprechen
aber die maassgebenden Architeeturlinien im Allgemeinen der Anord-
nung der Knorpelzellensäulen; es werden also in der Richtung dieser
die bereits bestehenden Bälkchen verlängert werden. In dem Alter
von 4 Jahren, von dem meine Betrachtung ausgeht, existiren bereits
die für das coxale Femurende charakteristischen Druck- und Zugeur-
ven?), wie eine Vergleichung der Fig. 2 (Mädchen von 3 Jahren) mit
Fig. 1 (vom Erwachsenen) auf Tafel X der Worrr’schen Arbeit im
50. Bande von Virchow’s Archiv überzeugend darthut; ist ja doch auch
dies die Voraussetzung der Wourr’schen Theorie. Vergleichen wir
nun mit diesen Linien; die ich nach WOoLFF in meine Skizze Fig. 14
eingetragen habe, die Stellung der Knorpelzellensäulen, so erkennt
man, dass in der ganzen Zone von der Einsattlung zwischen Tro-
chanter und Kopf bei a bis zur Gegend ce die Knorpelzellensäulen
senkrecht zum Ossificationsrande stehen, also im Kopf anders, als
im Sattel, da der Ossifieationsrand bei 5 keilföürmig vorspringt. Die
1) Virehow’s Archiv Bd. 61 S. 421. Centralbl. für d. medie. Wissensch. 1371.
Nr; 35. S. 559.
2) Ich bemerke hier gelegentlich, dass die Entdeckung der Architeetur der
Spongiosa älteren Datums ist, als man gewöhnlich glaubt. Schon im Jahre 1851
macht J. EnsEL in seiner Arbeit „Ueber die Gesetze der Knochen-Entwicklung“
(Wiener Sitzungsberichte) darauf aufmerksam und bildet sie (Taf. IV), wenn
auch unvollkommen vom coxalen Femurende ab. Er erkennt ihre Bedeutung
vollkommen an, indem er sagt: „Denn nicht ohne Zweck scheint die Architec-
tonik in verschiedenen Knochen verschieden zu sein, und die Anwendung bald
des Spitzbogens, bald des elliptischen Bogens, der Kreislinie, die Benutzung bald
senkrechter Strebepfeiler, bald schräger Widerlager hat gewiss noch eine andere
Bedeutung, als die das Auge des Anatomen durch zierliches Schnitzwerk zu
erfreuen.“
Zeitschrift f. Anatomie, Bd. I. 23
340 G. SCHWALBE.
Knorpelzellensäulen sind in unserer Figur roth eingezeichnet und man
sieht, dass sie den maassgebenden Druckbälkchen entsprechen. Von
c bis d findet sich eine schiefe Stellung der Knorpelzellensäulen, die
es bedingt, dass das Feld cdf eine abweichende Architectur erhält.
Am Trochanter ist die Grenzlinie' der Diaphyse gegen den Knorpel
ebenfalls durch regelmässig schief gestellte parallele Knorpelzellen-
säulen ausgezeichnet und zwar in der ganzen Ausdehnung von e bis a;
ihre Richtung stimmt mit der Richtung der Zuglinien überein, wie
sie besonders schön an Frontalschnitten des coxalen Femurendes auf
der lateralen Seite unterhalb der Epiphysenlinie des Trochanter her-
vortreten. Bedenkt man nun, dass die Knochenbildung in der Linie
bd rascher erfolgt, wie in der Linie et), dass ferner das am weitesten
vorgeschobene Ende des Diaphysenkeils «5 bald das Periost erreicht
und damit den Epiphysenknorpel in zwei selbstständige Stücke zer-
theilt, so hat man alle Momente, die nöthig sind, um ein appositio-
nelles Wachsthum des oberen Femurendes mit der Erhaltung der
typischen Architeetur zu vereinbaren; eine Annahme innerer Archi-
tectur-Umwälzungen erscheint nun nicht mehr nothwendig. Nur von
einer Seite her findet Resorption Statt, von Seiten der Markhöhle, die
allmählich, wie man dies aus der Vergleichung meiner Figuren 13
und 14, sowie aus der Betrachtung der WoLrr’schen Photographien
Fig. 1, 2 und 3 der bereits erwähnten Tafel X erkennen kann, immer
weiter gegen das obere Ende vordringt und demnach successive die
zu früheren Zeiten gebildeten, an die Markhöhle grenzenden endo-
chondralen Bälkchen vernichtet. Diese in früheren Zeiten innerhalb
der Diaphyse gebildeten Bälkchen stimmen ferner — und dies betone
ich gegen WOoLFF und dessen Theorie — durchaus nicht mit denen
des späteren coxalen Femurendes überein. Ich berufe mich dabei vor
allen Dingen auf WoLrr's Fig. 4 Tafel X, die Architeetur des oberen
Femurendes eines Neugebornen darstellend.e Eine aufmerksame Be-
trachtung der maassgebenden Linien dieser Figur ergiebt, dass sie
sämmtlich senkrecht zum leicht convex in den Knorpel prominirenden
Össificationsrande gerichtet sind, wie dies in meiner Skizze Fig. 12
an dem entsprechenden Femurschnitte eines etwas älteren Kindes dar-
gestellt ist; und auch hier wieder stimmt die Richtung der die Phy-
siognomie des Bildes beherrschenden Bälkchen mit der der Knorpel-
zellensäulen (roth eingezeichnet) überein. Auch die Architectur der
Fig. 3 Tafel X von WOoLFF, einem 1?/,jährigen Knaben entnommen,
1) Die Länge der Knorpelzellensäulen ist nach meinen Messungen in Linie
bd bedeutender als in ae.
Ueber die Ernährungskanäle der Knochen und das Knochen vachsthum. 341
kann ich durchaus nicht den Architecturen weiter entwickelter Knochen
(Fig. 2 und 1 derselben Tafel) geometrisch ähnlich finden. Man sieht
deutlich: die Richtung der Zug- und Druckbälkchen hängt zunächst
ab von der Richtung der Knorpelzellensäulen; diese wird wieder modi-
fieirt durch die Configuration der Grenzlinie der Diaphyse, indem die
Knorpelzellenreihen meist senkrecht zu derselben stehen, nur in späterer
Zeit, besonders gegen den Knorpel des Trochanter major, eine schiefe
Richtung annehmen. Die Configuration der Diaphysengrenze steht
aber offenbar wieder im Zusammenhange mit der Art und Weise, wie
sich das Längenwachsthum des endochondralen Knochens auf dem
Querschnitt der Diaphyse vertheilt. Vergleicht man die von mir wie-
dergegebenen Skizzen (Fig. 12—14) dreier verschiedener Altersstadien
des oberen Femurendes, so sieht man deutlich, dass in ‘der Axe des
Knochens die grösste Intensität der endochondralen oder jmedullären
Apposition herrscht und von da nach der Peripherie abnimmt. Wie
dies schliesslich zur Zersprengung des Epiphysenknorpels in zwei
selbstständige Stücke führt, habe ich oben bereits auseinandergesetzt.
Es stimmen diese Betrachtungen vollkommen zu "den interessanten
Versuchsergebnissen von HAAB!). Er fand, dass Stifte, welche jungen
Katzen in die Tibia senkrecht zur Längsaxe eingeschlagen waren, all-
mählich in Folge einer Resorption von Seiten der Markhöhle in diese
hinein gerathen und dabei im Markgewebe eine mehr oder weniger
schiefe Stellung annehmen. HaaAB selbst erklärt diese Verschiebung
der Stiftenden aus einem Zuge, den das wachsende Mark ausübt, „der
von der Mitte aus nach beiden Epiphysen hin geht und gegen die
. Epiphysen hin an Stärke zunimmt. Der Zug ist am stärksten in den
axialen Partien und wird schwächer und schliesslich gleich Null, je
mehr man sich den an die Knochenwandungen stossenden Partien
nähert.“ So die interessanten Angaben Haap’s. Es ist einleuchtend,
dass dieser experimentell erwiesene Wachsthumszug des Knochenmarks
sich in ähnlicher Weise aus einer interstitiellen Ausdehnung des
Markes ableiten lässt, wie der periostale aus einem solchen des Periosts.
‚ Es verschiebt sich das Mark in Folge dessen auf der inneren Fläche
des knöchernen Tubus medullaris und wird an den von der Resorption
nicht betroffenen Enden der Diaphysen, in ähnlicher Weise die Archi-
tectur der Spongiosa beeinflussen können, wie die Verschiebungen des
Periosts die des periostalen Knochens, nur dass die Architecturlinien
1) Experimentelle Studien über das normale und pathologische Wachsthum
der Knochen. Untersuchungen aus d. patholog. Institut zu Zürich. Heft III.
S. 49. Tafel III. Fig. 5.
23°
342 G. SCHWALBE.
im umgekehrten Sinne fächerförmig vom neutralen Punkte ausstrahlen
müssen, beim periostalen Knochen schief nach aussen, beim medul-
lären Knochen schief gegen die Axe des Knochens gerichtet, um so
schiefer, je ferner dem neutralen Punkte. Es ist nicht zu verkennen,
dass diese Momente sicher von grossem Einfluss auf die Anordnung
der Spongiosabälkchen sein werden; da meine Untersuchung hierüber
indessen noch nicht abgeschlossen ist, begnüge ich mich mit dieser
Andeutung.
Wir haben nunmehr gesehen, dass weder WoLFF’s Voraussetzung
der zu allen Zeiten bestehenden geometrischen Aehnlichkeit für das
coxale Femurende zutrifft, noch seine Einwände gegen die Erklärung
der vom 3. Lebensjahre an nahezu übereinstimmenden Architecetur
vom Standpunkte der Appositionstheorie aus. Gegen das Urtheil der
Mathematiker in diesen und ähnlichen morphologischen Fragen habe
ich gewiss nichts einzuwenden; nur muss ihnen eine richtigere
Unterlage für ihre Untersuchungen gegeben werden, als diese ihnen
WOLFF geboten; dann wird sicherlich dies Urtheil anders ausfallen.
Sind somit die Bilder, welche das coxale Femurende in den ver-
schiedenen Zeiten der Entwicklung darbietet, vom Standpunkte der
Appositionstheorie aus ohne Zuhülfenahme fortwährender Architectur-
Umwälzungen zu erklären, so fällt auch das letzte Argument für eine
ungleichmässige Expansion weg, um so mehr als ja nach WOLrFF die
Knochen kleiner Thiere in ihrem Aufbau ohne interstitielles Wachs-
thum fertig werden können, eine Verschiedenheit des Wachsthums, die
wohl Niemand annehmen wird, der, seinen Blick erweiternd durch
das Studium der vergleichenden Anatomie und Entwicklungsgeschichte,
die Erkenntniss gewonnen hat, dass in den fundamentalen morpholo-
gischen Erscheinungen die Thiere wenigstens eines und desselben Typus,
geschweige denn derselben Wirbelthierklasse übereinstimmen.
Aber selbst wenn wir alles dies nicht gelten lassen, so sind es
wieder die von mir in dieser Arbeit mitgetheilten Thatsachen, an
denen die Expansionstheorie WoLFF’s vergebens ihre Lebensfähigkeit
zu beweisen suchen wird. Denn unmöglich wird man so weit gehen
wollen, einer jeden Schicht der compacten Knochenrinde einen ver-
schiedenen Grad der Ausdehnung zuzuschreiben; nur auf diese Weise
wäre es möglich die Veränderung der Richtung und Neigung, vor
allen Dingen die Krümmungen der Ernährungskanäle mittelst einer
Expansion der Knochenmasse zu erklären. Genau betrachtet wäre
dann dies aber nichts Anderes, als die von mir entwickelte Theorie
der periostalen Ablagerungen, nur dass im ersteren Falle die Thätig-
Ueber die Ernährungskanäle der Knochen und das Knochenwachsthum. 343
keit des Periosts in Abrede gestellt, in letzterem dagegen als Bedin-
sung hervorgehoben wird. Ist Ersteres der Fall, so ist wieder kein
vernünftiger Grund für die ungleichmässigen Expansionen der einzelnen
Schichten einzusehen, während die wohl nur von WOoLFrF in Abrede
gestellte Thätigkeit des Periosts mit Berücksichtigung des im ersten
Theile dieses Aufsatzes Mitgetheilten Alles erklärt.
Nicht anders wie mit den Wourr'schen Beweisen für das inter-
stitielle Wachsthum steht es nun mit den Ausführungen STRELZOFF’S.
Dieser fleissige Forscher behauptet bekanntlich, dass die Mark-
höhle der Röhrenknochen nicht durch Resorption, sondern durch Ex-
pansion der Knochensubstanz gebildet und erweitert werde. Sehen
wir ganz davon ab, dass bereits von KÖLLIKER!), HEUBERGER?),
STEUDENER°) und Anderen durch sorgfältige mikroskopische Beob-
achtungen eine Resorption bereits gebildeter Knochensubstanz gegen
STRELZOFF nachgewiesen ist, so ergiebt eine einfache Ueberlegung,
dass bei Annahme einer Ausweitung der Markhöhle durch „Expan-
sion“ die Ausbildung einer so typischen Architectur, wie ich sie für
die Compacta der Röhrenknochen beschrieben habe, nicht möglich ist.
Denn mag dieselbe ohne periostale Auflagerungen, wie WOLFF will,
oder nach STRELZOFF’S Ansicht combinirt mit einer periostalen Appo-
sition erfolgen, so muss, soll eine Markhöhle gebildet werden, offenbar
die Knochensubstanz gedehnt werden und von einem interstitiellen
Wachsthum kann dann nur in geringem Maasse die Rede sein, da bei
gleichzeitiger und in demselben Maasse erfolgender interstitieller Ab-
lagerung der Tubus medullaris nicht vergrössert, bei überwiegender
Intussusception sogar verengert werden müsste. Diese Auffassung
scheint STRELZOFF mehrfach gefühlt zu haben, ohne es jedoch zu einer
einheitlichen klaren Anschauung dessen, was eine Entstehung der
Markhöhle durch Expansion bereits gebildeter Knochensubstanz bedeute,
zu bringen; denn bald lässt er, wie beim Tubus medullaris, eine Er-
weiterung des Kanals die Folge einer Expansion sein (Genetische u.
topogr. Studien des Knochenwachsth. S. 160), bald eine Verengerung,
wie bei den Havers’schen Kanälchen (ebenda S. 175) und an anderen
Orten (ebenda S. 140) wird wieder eine Erweiterung der Ernährungs-
l) Die normale Resorption des Knochengewebes.
2) Ein Beitrag zur Lehre von der normalen Resorption und dem intersti-
tiellen Wachsthum des Knochengewebes. Verhandl. d. Würzb. physik.-med. Ge-
sellsch. VII.
3) Beiträge zur Lehre von der Knochenentwicklung und dem Knochenwachs-
thume. Abhandlungen der naturf. Gesellsch. zu Halle 1875.
344 G. SCHWALBE.
kanäle durch Expansion bedingt! Dem entsprechend sollen sich nach
STRELZOFF die Knochenschichten bei der Expansion bald verdünnen.
(S. 161), bald verdicken, ohne dass dieser Forscher einen Versuch
macht, die eben bezeichneten Widersprüche aufzulösen; er führt eben
einen nicht bewiesenen Vorgang überall da als Erklärung ein, wo es.
ihm passt, und wenn diese Erklärung in der einen Form nicht mög-
lich ist, so verändert sie unmerklich einige Seiten darauf ihre Natur
und erscheint in ganz anderer Gestalt, aber in demselben Gewande
„der Expansion“.
Sehen wir nun von diesen Widersprüchen in STRELZOFF’S Erklärun-
gen ab, unterscheiden wir stets eine Dehnung und Wachsthum durch
Intussusception, so wird bei einfacher Dehnung der Knochensubstanz
vor allen Dingen eine Erweiterung der in dieser Lamelle befindlichen.
Kanäle, sowie eine Verdünnung der ganzen Lamelle beobachtet werden
müssen. Dieser Vorgang muss, falls nicht die äusseren Knochenlagen
der Diaphyse vom Periost geliefert werden, alle Knochenschichten gleich-
mässig betreffen, da, sobald die innere oder äussere Lage irgend wie
eine verschiedene Spannung besässen, Risse in der äusseren oder
Spalten zwischen äusserer und innerer eintreten müssten. Bei einer
solchen gleichmässigen Dehnung kann aber unmöglich die von mir
beschriebene Structur der Compacta zu Stande kommen. Eine allmäh-
lich nach innen abnehmende stärkere Expansion der äusseren Lagen
ist ferner schon deshalb nicht möglich, weil dann die Ernährungs-
kanäle in ihrem äusseren Stücke weiter sein müssten, als im inneren.
Ich habe aber gerade das Entgegengesetzte beobachtet: die innere
Mündung ist constant weiter wie das äussere Kanalstück, gleichsültig
welches Stadium man untersucht, und während des embryonalen
Lebens ist überhaupt keine |Erweiterung des Kanals nachzuweisen;
dieselbe beginnt erst nach der Geburt und erreicht nie einen bedeu-
tenden Umfang; sie lässt sich einfach aus dem interstitiellen Wachs-
thum des Periosts, aus der Zunahme des Durchmessers der in den
Knochen dringenden Ernährungsgefässe erklären, denen natürlich bei
der periostalen Ossification ein geräumigerer Kanal bereitet wird.
Nach Allem bleibt also nur noch übrig, die Markhöhle durch
Expansion des endochondralen Knochens entstehen und für den peri-
chondralen ein ausschliesslich appositionelles Wachsthum eintreten zu
lassen; aber auch dies hilft nicht viel, da dies nur die erste Aus-
höhlung der Markhöhle, nicht die bedeutende Erweiterung erklären
würde; denn sobald die Aushöhlung bis an den perichondralen Knochen
gelangt ist, kann ja nach meinen Auseinandersetzungen keine Expan-
sion im STRELZOFF’schen Sinne mehr Statt finden; und die Markhöhle
Ueber die Ernährungskanäle der Knochen und das Knochenwachsthum. 345
nimmt doch später den Raum ein, in welchem früher ansehnliche
periostale Lagen existirten. Kurz alle unsere Reflexionen führen uns
zur Unhaltbarkeit der STRELZOFF’schen Anschauung, zur Annahme
dagegen einer Entstehung der Markhöhle durch Resorption, wie solche
kürzlich wieder experimentell durch die Versuche Haap’s (l. c.) ge-
stützt worden ist. In diesem Lichte gesehen, erscheint nun auch die
Vergrösserung der inneren Oeffnung der Ernährungskanäle verständ-
lich; es erscheint ferner begreiflich, dass an einigen Stellen Knochen-
plättehen längere Zeit der Resorption widerstehen, wie an anderen, so
vor Allem auf der der Markhöhle zugekehrten Seite des Ernährungs-
kanals, welche sehr häufig in Gestalt eines longitudinalen Wulstes in
die Markhöhle prominirt.
Diese Bemerkungen mögen hier genügen zur Charakterisirung mei-.
nes Standpunkts gegenüber den Anschauungen WOLFF’Ss und STREL-
ZOFF'S. Es erübrigt noch einige Consequenzen meiner Ermittelungen
über das Knochenwachsthum zu ziehen, welche in sehr einfacher Weise
die Widersprüche erklären, welche zwischen den Experimenten WOLFF’S
und anderer Forscher, wie OLLIER, LIEBERKÜHN!), MAAS), WEGNER?),
HaaAB) existiren. Während von letzteren durch eine grosse Zahl von
Versuchen der Nachweis geliefert wird, dass Stifte, welche in be-
stimmten Abständen senkrecht zur Längsaxe des Knochens an irgend
einer Stelle der Diaphyse eingeschlagen werden, ihre Abstände unter
einander beim Wachsthum der Knochen nicht verändern, dagegen von
der Epiphysenlinie sich entfernen, behauptet WoLFF ein Auseinander-
rücken der Stifte wahrgenommen zu haben, welches allerdings in den
meisten Fällen nur !/, bis 1!/), mm. betrage, ausnahmsweise jedoch
(Scapula des Kaninchens) 9 mm. messen könne. Auch OLLIER?) er-
hielt zuweilen von der Tibia des Huhns ähnliche Resultate, deutet
sie aber nicht auf ein interstitielles Wachsthum des Knochens wie
WOLFF, sondern erklärt sie aus einer Lockerung innerhalb der Knochen-
substanz und Verschiebung durch das interstitiell wachsende Periost.
Ich kann mich nur vollständig auf Grund der in dieser Arbeit dar-
gelegten Thatsachen der Meinung von ÖLLIER anschliessen und aus
!) Zur Lehre vom Knochenwachsthum. Sitzungsberichte d. naturf. Gesellsch.
zu Marburg. 6. März 1872.
2) Zur Frage über das Knochenwachsthum. Langenbeck’s Archiv. Bd. 14.
S. 198.
3) Ueber das normale und pathologische Wachsthum der Röhrenknochen.
Virchow’s Archiv. Bd. 61. 8. 44.
4) ]. ce.
5) Recherches experimentales etc. Archives de physiol. V. 1873. p. 31.
346 G. SCHWALBE.
denselben Gründen HaAg’s Einwürfe gegen ein interstitielles Wachs-
thum des Periosts, das er doch dem Knochenmarke zugesteht, nicht
gelten lassen. Meine Theorie der Ernährungskanäle und der Archi-
tectur des periostalen Knochens ergiebt ohne Weiteres, in welchem
Sinne jene Verschiebungen erfolgen müssen: in der vom oberen Ende
beeinflussten Gegend nach dem oberen Ende hin, im Gebiete des
unteren Endes nach diesem zu. Ein von LIEBERKÜHN erhaltenes Ver-
suchsresultat erläutert dies in schlagender Weise. In eine 44 mm.
lange Tibia eines jungen Hundes wurden 2 Stifte im Abstande von
23 mm. eingeschlagen, der Art, dass der obere Stift 3,5 mm. vom
oberen Ende, der untere demnach 26,5 vom oberen, 17,5 vom unteren
entfernt war. Der untere lag also entschieden in dem vom unteren
Epiphysenende der Diaphyse beeinflussten Stücke, da zu dieser Zeit
das Wachsthum am unteren Ende der Tibia noch ein sehr beträcht-
liches, dem am oberen Ende nahezu gleiches ist. Nach 6 Monaten
hatte der Abstand beider Stifte bis auf 32 mm. zugenommen, der
Art, dass der obere Stift senkrecht zur Längsaxe erhalten war, der
untere dagegen mit seinem inneren Ende in seiner ursprünglichen
Entfernung vom oberen erhalten (23 mm.), mit dem äusseren Ende
dagegen nach unten um 9 mm. verschoben war. LIEBERKÜHN ver-
muthet bereits irgend einen Vorgang, der das frei über die Knochen-
oberlläche hervorragende Stück dieses Stiftes nach abwärts drücke;
welcher Art dieser Vorgang ist, ergiebt sich nunmehr nach dem von
mir Mitgetheilten von selbst. Dass der obere Stift nicht eine Ver-
schiebung im entgegengesetzten Sinne zeigte, wurde durch die bessere
Fixirung, tieferes Einkeilen und in Folge dessen durch Ueberlagerung
mit den neugebildeten periostalen Knochenschichten bewirkt. Sobald
leicht bewegliche freie Enden der Stifte herausragen, müssen dieselben
dagegen von dem Zuge des Periosts beeinflusst werden, um so leichter,
je feiner sie sind. Nun hat WoLFF nur mit den feinsten Drähten
experimentirt, dagegen WEGNER mit gröberen Stiften; es erscheint
daher nichts natürlicher, als dass WoLrF Vergrösserung der Abstände,
WEGNER Erhaltung der Entfernungen beobachten musste. Je weiter
die feinen Stifte hervorragen, desto grösser muss schliesslich die Ent-
fernung ihrer äusseren Enden ausfallen. Gröbere Stifte setzen dagegen,
wie dies schon ÖLLIER!) in ausgezeichneter Weise erläuterte, dem
sich verschiebenden Perioste einen Damm entgegen, sodass es sich
gleichsam staut, an den Seiten vorbeifliesst und unmittelbar hinter
dem Stifte in Folge mangelnder Knochenbildung eine Furche entstehen
1) Recherches experimentales p. 33.
E
Ueber die Ernährungskanäle der Knochen und das Knochenwachsthum. 347
lässt. Ich muss mich dieser Erklärung vollkommen anschliessen und
kann als etwas Analoges aus dem Kreise des nicht künstlich beein-
fiussten Knochenwachsthums die mehr oder weniger langen Rinnen
bezeichnen, welche in die äusseren Oeffnungen der Ernährungskanäle
einmünden; sie kommen nicht nur den absteigenden Kanälen zu (dies
würde sich ja einfach aus dem engen Anliegen der Ernährungsgefässe
am Knochen erklären), sondern auch den aufsteigenden, obwohl hier
eine direetere Durchbohrung des Periosts zur äusseren Oefinung hin
Statt findet.
Aus demselben Principe der periostalen Verschiebungen erklärt
sich nun eine Reihe anderer Thatsachen, welche bisher für das inter-
stitielle Wachsthum ins Feld geführt sind, so die von VOLKMANN'!)
angeführten pathologischen Fälle, sei es, dass sie die Erhaltung der
relativen Lage von geheilten Fracturen, sei es von Exostosen besagen.
Es erklärt sich daraus ferner der WoLrr’sche Versuch mit dem Längs-
ringe, der eine Verbiegung des Knochens nach der Seite des Längs-
drahtes, also eine Wachsthumshemmung auf dieser Seite ergiebt. Da
die beiden Fusspunkte des Längsdrahtes die Verschiebungen nach bei-
den Knochenenden nicht mitmachen können, die auf der entgegen-
gesetzten Seite des Knochens nicht gehindert sind, so wird eine
Stauung des Periosts, eine Hemmung seines Längenwachsthums auf
dieser Seite, also eine Verkrümmung eintreten müssen, wie dies auch
LiEBERKÜHN bei Gelegenheit seines oben erwähnten Stiftversuches
statuirt. Es erklärt sich ferner das abweichende Resultat, welches
WOLFF?) in einigen Fällen bei Anstellung des DumAmer’schen Ring-
versuches erhielt, die Einbiegung der periostalen Knochenrinde, ein-
fach daraus, dass an der Stelle des Ringes trotz der entgegengesetzten
Meinung von WOLFF keine neue Auflagerung, wohl aber daneben
eintrat. Dass die HAvers’schen Kanälchen dann ebenfalls eingebogen
sein müssen, ergiebt eine einfache Construction nach meinen Angaben
über das periostale Wachsthum; denn es werden ja durch den Ring
die innerhalb dieser vorhandenen Kanälchen durchaus nicht ausser
Continuität gesetzt mit den über und unter dem Ringe sich neubil-
denden HAvErs’schen Kanälen. Wenn einmal, wie in dem WOLFF-
schen Versuche, der Ring so angelegt ist, dass er nicht von neuen
periostalen Schichten bedeckt, also in der Compacta eingeschlossen
I) Notiz betreffend das interstitielle Knochenwachsthum. Medic. Centralbl.
1870, Nr 9. 8. 129.
2) Ueber die Expansion des Knochengewebes. Berl. klin. Wochenschrift
Nr. 6. .S. 16-19.
348 G. SCHWALBE.
werden kann, so kann gar keine andere Anordnung der Kanälcher
eintreten, als die von WOLFF beschriebene. !)
Auch Guppen’s?) Beweise für das interstitielle Wachsthum der
Schädelknochen werden hinfällig, da sie auf dasselbe von mir ent-
wickelte Princip des appositionellen Wachsthums mit periostalen Ver-
schiebungen zurückzuführen sind. GUDDEN benutzte anstatt der Stifte
als Marken auf der Oberfläche der in ihren Wachsthumsverhältnissen
zu untersuchenden Knochen (Scheitelbein des Kaninchens) feine Bohr-
löcher; nach einigen Wochen war eine geringe Entfernung der Bohr-.
löcher von einander nicht zu verkennen; sie ist um so ausgesprochener,
je näher den Rändern die Marken angebracht werden. GUDDEN selbst
giebt uns aber das Mittel in die Hand, um dieses Resultat nach der
Appositionstheorie in der befriedigendsten Weise zu erklären. Er sah
sehr häufig), „dass, während an der inneren Schädeltläche die rund-
liche Form der Marken sich erhalten, diese an der äusseren in ein
mit der Spitze gegen die bezügliche Naht vorschiebendes Dreieck sich
verwandelt hat“. Mit anderen Worten: die in den Knochen einge-
bohrten und Ernährungskanäle imitirenden Löcher erleiden dieselben
Veränderungen wie die Ernährungskanäle selbst beim weiteren Wachs-
thum; ihre äussere Mündung wird nach der Seite verschoben, welche
die betreffende periostale Strecke durch ihr appositionelles Rand-
wachsthum beeinflusst, um so mehr, je näher sie dem betreffenden
Knochenrande sich befindet. Nirgends kann man aber auch den aus
denselben Principien abzuleitenden Aufbau der Knochensubstanz deut-
licher erkennen, wie an dieser Stelle. Der der neutralen Zone der
Röhrenknochen entsprechende Punkt liegt hier offenbar im Tuber
parietale; von hier aus strahlen die Kanäle nicht nur in bekannter
Weise im Allgemeinen radiär zum Knochenrande aus, sondern sie
streben, wovon ich mich an Schnitten parallel den vom Tuber aus-
strahlenden Radien überzeugt habe, auch schräg unter spitzen Win-
keln zur Oberfläche des Knochens, worauf schon BRucaH ) aufmerksam
gemacht hat, und zwar bilden sie einen um so spitzeren Winkel mit
dem Periost, je näher dem Knochenrande ihre äusseren Mündungen
!) Zu einem genaueren Eingehen auf das Worrr’sche Präparat fehlen noch
verschiedene Angaben, so über die Dicke des Knochens innerhalb des Ringes,
so wie über und unter demselben, ferner die genaue Angabe des Abstandes des
Ringes von den Diaphysenenden etc.
2) Experimental-Untersuchungen über das Schädelwachsthum. München 1874.
Ss. 25—27.
SWIh, Su AL,
4) 01.20.28:.1002u35101.
Ueber die Ernährungskanäle der Knochen und das Knochenwachsthum. 349
sich befinden. Man erkennt also sofort dasselbe Princip des periostalen
Wachsthums, wie ich es oben für die Röhrenknochen entwickelt habe.
Dem Guppen’schen Versuche an den Schädeldeckknochen ent-
sprechend sind die Resultate, welche das Längenwachsthum des Femur
für die beiden Foramina nutritia externa dieses Knochens ergiebt.
Da, wie oben erwähnt, bis nahe zum vollendeten Wachsthum das
obere Loch in einen absteigenden, das untere in einen aufsteigenden
Kanal führt, auf die Mündung des oberen der Zug des oberen, auf
die des unteren Foramen der des unteren Epiphysenendes wirkt, so
muss mit weiterem Wachsthum in Folge periostaler Verschiebungen
eine Entfernung der beiden Ausmündungen Statt finden, — ohne die
von mir gegebenen Aufschlüsse über ‚die Art des periostalen Wachs-
thums scheinbar ein schlagender Beweis für ein Wachsthum durch
Intussusception. Die absolute Entfernung beträgt im embryonalen
Leben im Mittel aus 12 Fällen 13 mm., bei Erwachsenen im Mittel
aus ebenfalls 12 Fällen dagegen 100 mm., sie ist also eine sehr be-
deutende; ihre relative Lage zu den Enden des Femur verändern da-
gegen die beiden Foramina kaum. Auch die beiden inneren Mün-
dungen rücken mit dem Wachsthum auseinander, aber nicht um mehr,
als sich aus einer Resorption von der Markhöhle aus erklären lässt,
die ich, wie oben erwähnt, zur Erklärung einiger von mir beobachteter
Erscheinungen mit den meisten Forschern annehmen muss. Bis zur
Geburt beträgt die Entfernung beider innerer Oefinungen im Mittel
7,5 mm., beim Erwachsenen im Mittel 35, sodass also das beobachtete
Auseinanderrücken etwa 27,5 mm. beträgt, was gegen die Zunahme
des Abstands beider äusseren Oeffnungen gering genug erscheint.
Ich kann diese Bemerkungen über die Folgerungen aus meinen
Ermittlungen über das Knochenwachsthum nicht schliessen, ohne noch
eines Verhältnisses hier zu gedenken, welches kürzlich von VIRCHOW!)
wieder für die Möglichkeit eines interstitiellen Wachsthums des Unter-
kiefers angeführt wurde. Noch nach der Vereinigung beider Unter-
kieferhälften wird eine Entfernung der Foramina mentalia von ein-
ander beobachtet. Berücksichtigt man aber, dass nun nicht bloss die
Schicht fortfällt, welche fortwährend beide Unterkieferhälften durch
neuen Ansatz von Knochenmaterial von einander entfernen, sondern
eben durch dieses Epiphysenwachsthum einen Zug auf die periostale
Bekleidung des Unterkiefers ausüben musste, so ist es klar, dass nun
das Periost bei seinem fortdauernden interstitiellen Wachsthume aus-
schliesslich in der Richtung nach dem Winkel und Aste jeder Unterkiefer-
I) Berliner klinische Wochenschrift 4. u. 11. Januar 1875.
350 G. SCHWALBE.
hälfte hin sich verschieben wird. Dies kann nicht ohne Verschiebung
der Foramina mentalia nach hinten, resp. aussen, Statt finden. Dabei
muss aber nothwendig eine Schiefstellung des Foramen 'eintreten der
Art, dass beim Erwachsenen der Kanal, welcher früher nach aussen,
vorn und oben mündete, nunmehr seine Mündung nach hinten und
oben wendet. Und dies wird in der That beobachtet.
Man sieht aus Allem, die von mir entwickelten Principien sind
ungemein fruchtbar; sie erklären in überraschend einfacher Weise Er-
scheinungen, die bis jetzt für sichere Bollwerke eines interstitiellen
Wachsthums gehalten wurden; sie. erklären ferner Formverhältnisse,
wie die Richtung, Neigung und Krümmung der Ernährungskanäle,
sowie der Havzrs’schen Kanälchen der Compacta auf das Befriedi-
gendste aus einfachen mechanischen Principien und ermuthigen uns
nicht nachzulassen in den Versuchen, den nächsten mechanischen
Ursachen der Formverhältnisse des Körpers, den Wachsthumsgesetzen,
nachzuspüren, die ihrerseits wieder durch die Thatsachen der Ver-
erbung und Anpassung beherrscht und modifieirt werden.
Jena im Oktober 1875.
Erklärung der Abbildungen.
Taf. XV.
Fig. 1. Schema der Richtung der Ernährungskanäle in den langen Röhren-
knochen der Extremitäten des erwachsenen Menschen. 4, Humerus. R, Radius.
U, Ulna. Fe, Femur. 7, Tibia. Fi, Fibula. Die Pfeile deuten die Richtung
der Kanäle an; die rothen Kreise zeichnen die vom 1. Lebensjahre an stärker
wachsenden Enden aus.
Fig. 2. Schema über die periostalen Verschiebungen bei gleichem Wachs-
thum an beiden Diaphysenenden. Erklärung im Text.
Fig. 5. Dasselbe für ein ungleiches Wachsthum beider Diaphysenenden.
Neutraler Punkt in 2, II. Erklärung im Text.
Fig. 4. Zur Darstellung des Einflusses, welchen das Verhältniss von Län-
gen- zum Dickenwachsthum der Röhrenknochen auf die Neigung der Ernährungs-
kanäle ausübt. Ak Richtung des Kanals bei gleichmässiger Zunahme nach
Länge und Dicke, Ae Richtung bei Ueberwiegen des Längenwachsthums (roth
gezeichnet).
Fig. 5. Schema über die Riehtung der Ernährungskanäle und die Wachs-
thumsverhältnisse der Extremitätenknochen bei etwa 5 Monat alten Foeten.
Ueber die Ernährungskanäle der Knochen und das Knochenwachsthum. 351
Bezeichnung wie in Fig. 1. Die Ernährungskanäle in Radius und Ulna, sowie
der obere des Femur haben noch eine absteigende Richtung.
Fig. 6. Schema zur Demonstration der Umkehr, welche in der Richtung
der Ernährungskanäle bei Radius, Ulna und Femur beobachtet wird. Drei
Wachsthumsstadien A, B und ©. B und A wachsen am unteren Ende in dem-
selben Verhältniss; eine kleine Abnahme des Wachsthums am oberen Ende be-
dinst schon in B eine horizontale Stellung des in 6 beginnenden Ernährungs-
kanals, und ein geringes Ueberwiegen des Wachsthums am unteren Ende trotz
Zunahme auch am oberen in C hat zur Folge, dass der Kanal aufsteigend wird.
Fig. 7. Längsschnitt durch beide Ernährungskanäle der Diaphyse eines
290 mm. langen Femur. Der obere Kanal ba ist absteigend, der untere auf-
steigend.
Fig. 8. Längsschnitt durch beide Ernährungskanäle eines erwachsenen
Femur (von 456 mm. Länge). Beide Kanäle sind aufsteigend; der untere ist
nur in seinem innersten Abschnitte dargestellt.
Fig. 9. Die beiden Durchschnitte in Fig. 8 und 9 mit ihren entsprechenden
Punkten auf einander gelegt; der Durchschnitt des jüngeren Knochens mit
rothem Grunde. Man erkennt, dass die Stücke ab und be eine zusammenhän-
sende Curve beschreiben.
Fig. 10. Schematische Darstellung der Linien, in welchen die periostalen
Bälkchen der Humerus-Diaphyse beim Wachsthum sich verlängern und die
durchbohrenden Havers’schen Kanälchen verlaufen müssen. A. Natürliche Grösse
des Durchschnitts der periostalen Diaphysenrinde vom Humerus eines Neuge-
borenen. Länge der äusseren Oberfläche cd = 75 mm., der inneren Oberfläche
ab = 20 mm. (entsprechend der dünnen, periostalen Hülse eines dreimonatlichen
Fötus). B. Dasselbe, dreimal vergrössert, mit eingezeichnetem Verlauf der
Havers’schen Kanälchen und des Ernährungskanals. for. n. e. äussere, for. n. i.
innere Oefinung des Ernährungskanals.
Fig. 12. Frontalschnitt durch das obere Ende des Femur eines 3 Monate
alten Kindes. In der Diaphyse sind die wichtigsten Architeeturlinien eingezeich-
net, an der Epiphysengrenze die Richtung der Knorpelzellensäulen durch rothe
Linien angedeutet. Natürliche Grösse.
Fig. 13. Frontalschnitt durch das obere Ende des Femur eines 3 Jahre
alten Kindes. Knochenkern a im Kopfe. Bei m die Markhöhle. Natürliche
Grösse.
Fig. 14. Dasselbe von einem 4jährigen Kinde. m, Markhöhle. Die Dia-
physe mit Architeceturlinien. Rothe Striche bezeichnen wie in Fig. 12 die Richtung
der Knorpelzellensäulen. Knochenkern im Kopf und im Trochanter major. Na-
türliche Grösse. Genaueres über diese Figur sowie Fig. 12 u. 13 siehe im Text.
Taf. XVT.
Fig. 11a. Oberes Ende der compacten Rinde der Tibia eines achtmonat-
lichen Fötus im Längsschnitt. & Endochondraler, b perichondraler Knochen.
ed deutet die Richtung der Grenze zwischen beiden an. Die Seite 5b, ce ist von
Periost bedeckt, durch Retraction desselben nach aussen umgebogen; Seite ad
sieht nach dem Inneren des Knochens. Der schräge Verlauf der HAvErs’schen
352 G. ScHwALBE. Ueber die Ernährungskanäle der Knochen ete.
Kanäle im periostalen Knochen ist deutlich zu erkennen, ebenso der ganz davon
abweichende im endochondralen Knochen. Camera lucida-Aufnahme. Vergrösse-
rung 20mal.
Fig. 11b. Von demselben Längsschnitt das der neutralen Zone entsprechende
Stück. Man erkennt deutlich die von der Markhöhlenseite a, a nach der Periost-
seite b, b erfolgende fächerförmige Ausstrahlung der Richtungskanälchen. Ca-
mera lucida-Aufnahme. Vergrösserung 20mal.
Fig. 15. Querschnitt der 56 mm. langen Diaphyse eines embryonalen Hu-
merus durch die Gegend der neutralen Zone. Camera lucida-Aufnahme. Ver-
grösserung 20mal.
Beobachtungen über die Befruchtung und Entwicklung
des Kaninchens und Meerschweiuchens.
Von
V. Hensen
(Fortsetzung von S. 273.)
(Hierzu Tafel X— XII.)
In Fig. 86 ist ein Längsschnitt durch die Mitte der Keimscheibe
Fig. 26, gegeben worden. Das innere Keimblatt (Hypoblast) ist vorne ?*,
wo es unter der primitiven Medullarrinne liegt, ziemlich dick, hinten
i”, unter dem Primitivstreif ist es zu einem sehr flachen Epithel ge-
worden. Dort hat es sich beim Schnitt losgelöst und präsentirt sich
daher mehr oder weniger von der Fläche. Der Uebergang der vorderen,
quadratischen, in die hinteren, flachen Zellen macht sich unter dem
Knoten, hier war die Zellenmasse dunkel und in den Contouren ver-
wischt, so dass man sie nicht entziffern konnte. Nachdem der Schnitt
gezeichnet war, versuchte ich an dem nur schwach erhärteten Prä-
parat das innere Keimblatt abzulösen. Es haftete jedoch so fest an
dem ziemlich resistenten Knoten, dass am Hinterende die Keimhaut
wiederholt abriss, und als dann mit dem vorderen Ende des Hypoblast
der Versuch fortgesetzt wurde, brach er am Knoten aus, ohne dass
sich unter diesem ein Stratum hätte ablösen lassen. Ich habe nach
diesen und anderen Erfahrungen die Ueberzeugung gewonnen, dass
sowohl äusseres wie inneres Keimblatt mit dem an genannter Stelle
entstehenden Mesoblast untrennbar verwachsen sind. Daraus folgere
ich, dass beide Blätter sich an der Bildung des mittleren Keim-
blattes, wenn auch in differenter Weise und mit verschieden grosser
Masse betheiligen.
Ueber die Entstehung des Gefässblattes, welches ich mit Hıs
annehme, habe ich leider keine Erfahrung.
354 V. Hessen. Beobachtungen über die Befruchtung
Der Mesoblast wächst von seiner Entwicklungsstelle aus nach
allen Seiten und bildet (abgesehen von einer etwa vorhandenen Mit-
wirkung des Gefässblattes) die Area opaca!) rings um den Embryo,
sowie den Mesoblast im Vordertheil der Keimscheibe bis wenigstens
nahe an den vorderen Rand derselben. Dies Blatt wird an den jüng-
sten Keimscheiben Fig. 20 A, Tafel IX vermisst, bei solchen von Imm-
Länge ist es continuirlich, bei noch älteren fehlt es unter der primi-
tiven Medullarrinne. Fig. 37.
Am Schlusse der Mittheilung über diese Embryonalperiode erübrigt
noch die Vergleichung mit den Resultaten anderer Beobackter.
GÖTTE ?) hat an Eiern von 2 bis 3mm. Durchmesser einen dunklen
Fleck und in weitem Umfang um denselben einen hellen Hof ge-
sehen, welcher durch eine Schicht des vegetativen Blattes gebildet
wurde. Von dem kreisförmisen Rande dieser zarten Schichte wächst
alsdann ein Ring gegen das Innere der Keimblase vor und schliesst
sich bald zu einer continuirlichen Haut, welche sich an jene Zellen-
schicht, aus deren Umschlag sie hervorging, anlegt. „Vergleicht man
diese Angaben mit meinen früheren Mittheilungen über die Bildung
des Keims an Knochenfischen, Vögeln, Batrachiern, so ergiebt sich,
dass das sogen. vegetative Blatt des Kanincheneies mit dem oberen
Keimblatt der übrigen Wirbelthiere übereinstimmt, und dass ein bisher
übersehener Umschlag desselben eine secundäre Keimblase erzeugt,
woraus wahrscheinlich mittleres und unteres Keimblatt hervorgehen.“
GÖTTE hat sich in seinem grossen Werk über die Unke mehrfach auf
die mitgetheilte Beobachtung bezogen.
Es liegt mir die Zeichnung eines Eies aus dem betreffenden
Stadium vor, in welchem sich der Hypoblast an der Keimblase rings
losgelöst hatte und das ich aus diesem Grunde zeichnen liess. . Dieser
Befund der zuweilen fast spontan auftretenden Ablösung des inneren
Keimblattes ist das Einzige, wodurch ich GörTE’s Angaben zu :.erklä-
ren vermag. Ich kann nicht glauben, dass, wenn die Dinge wirklich
verliefen, wie GÖTTE es schildert, dies mir so vollständig entgangen
wäre. )
1) Das dunklere Aussehen der Area stellt sich jedoch schon ein, ehe der
Mesoblast darin nachzuweisen ist. i
2) Zur Entwicklungsgeschichte des Kaninchens. Centralblatt für die medici-
nischen Wissenschaften 1869 S. 866 (22).
3) GÖTTE weist zur Bewahrheitung seiner Angabe auf die früheren Mitthei-
lungen über die Bildung des Keims an Knochenfischen, Vögeln, Batrachiern
hin. In seiner späteren Arbeit über das Hühnchen: Beiträge zur Entwicklungs-
geschichte der Wirbelthiere. Archiv f. mikr. Anatomie Bd. X (gg 2) bezieht er
und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 355
WeıL!) sagt von 5 Tgn. 9 St. alten Eiern: Der Zona lag ein
durchgehends aus einer Zellenlage bestehendes Bläschen (Keim) an,
an dem ich nirgends eine Verdickung wahrnehmen konnte, obgleich
ich das Eichen am Objectträger hin und her rollte. Bei Zusatz sehr
verdünnter MürLter’scher Flüssigkeit zog sich die Zellhaut von der
Zona zurück, faltete sich vielfach und veränderte sich his zur Un-
kenntlichkeit.
Mir liegt bezüglich dieser Angabe ein kurzes Protokoll vor:
Kaninchen (123!/, St.) 5 Tage 3!/, St. 5 Eier von 1,46 bis 1,9mm.,
Es fand sich frisch kein Dotterrest, an einer Stelle des Eies eine
etwas bräunliche Färbung, sonst keine Spur eines Keimflecks. Mit
Kal. bichrom. behandelt“. Weiter ist nichts gesagt; sind mir die Eier
verunglückt oder hat sich schliesslich eine Keimscheibe ergeben —
ich weiss es nicht! Eier von 101 St. von 0,64 bis 0,86 hatten den
Keimhügel von 106 St. nahe derselben Grösse, gleichfalls von 124 St.
aus dem einen Horn, 142 St. aus dem anderen, in Grössen von 0,5
bis 1,5”® hatten ihn auch und daher bin ich objectiv zu der früher
gegebenen Darstellung berechtigt, will aber nicht leugnen, dass mich
jenes unvollständige Protokoll beunruhigt. Ich glaube aber sagen zu
dürfen,- dass ich seiner Zeit die Sache nicht hätte ruhen lassen, wenn
die Möglichkeit, dass die Keimhaut zu irgend einer Zeit ungeschichtet
werde, mir erschienen wäre, ich müsste denn im Drange der Geschäfte
sanz darüber hingekommen sein.
sich zweimal S. 159/160 und S. 162 zur Sicherstellung der erwähnten Ansicht von
dem Umschlag des Keims auf andere Wirbelthiere und nennt auch die Säugethiere!
Zwei oder mehr unsichere Beobachtungen können aber doch nicht zu einer sicheren
Constatirung einer Thatsache addirt werden, weil auch die missglückten Versuche,
wenn gleich mit minderem Gewicht, in die Waagschale fallen und addirt werden
müssten.
In dieser Arbeit sagt G. S. 162 Anmerk.: der Keim vor und im Anfang der
Bebrütung sei so weich, dass Faltungen unvermeidlich seien. Obgleich
seine Durchschnitte aus späteren Perioden unheilbare Verzerrungen zeigen, haben
die Figuren ans den genannten Stadien durchaus keine Faltungen! Unter diesen
Umständen würde es keinen Sinn haben, die Zeiehnungen auf die Möglichkeit
einer anderweiten Deutung zu prüfen. Sie können den wahren Sachverhalt sehr
wohl lehren, obgleich ich dies bezweifle, dann würde aber noch keine Aehnlich-
keit zwischen Kaninchen und Huhn dieses Stadiums bestehen, und eine Verglei-
chung müssig sein. Ich glaube daher auf soweit gehende Differenzen, sobald es
sich um Beobachtungen aus anderen Wirbelthierklassen handelt, hier nicht ein-
gehen zu sollen, um so weniger, als es sich wesentlich um Belege für eine vor
Jahren gegebene Mittheilung handelt. Nur in einzelnen Fällen glaubte ich mich
mit den. später erfolgten Beobachtungen anderer Wirbelthiere ausführlicher be-
schäftigen zu dürfen.
D)b.b. 8.9.
Zeitschrift f. Anatomie. Bd. I. 24
356 V. Hessen. Beobachtungen über die Befruchtung
Mit LIEBERKÜHN’S (c. 2) Beschreibung der Keimscheibe des Maul-
wurfs stimmt mein Befund am Kaninchen nur insofern nicht überein,
als ich das äussere Keimblatt, abgesehen von der Verwachsungsstelle,
einschichtig finde und die Kerne der zweischichtigen Keimscheibe in
wohl contourirten Zellkörpern liegen, während LIEBERKÜHN die letz-
teren anfangs vermisst. !)
Ich bin, während ich die Untersuchungen machte, von dem Ge-
danken ausgegangen, dass die Verhältnisse in dieser Periode der Ent-
wicklung bei allen Wirbelthieren sehr ähnliche sein würden und habe
gedacht, die abnormen Verhältnisse des Meerschweinchens müssten
sich bei genauerer Nachforschung in den allgemeinen Entwicklungs-
gang wieder einreihen, resp. durch den Nachweis bestimmter Störungen
befriedigend erklären lassen. Mittlerweile brachen sich so abweichende
Ansichten in Bezug auf die Entwicklung der niederen Wirbelthiere
Bahn, und die betreffenden Untersuchungen erschienen, wie ich aus-
drücklich zu eoncediren wünsche, so ausreichend fundirt, dass an eine
Vergleichbarkeit kaum noch zu denken war. Dann kamen im vorigen
Jahre BaLFrour’s 2) mit Hülfe von Osmium angestellte Untersuchungen
über die Entwicklung der Haie, welche in vielen Dingen eine so auf-
fallende Uebereinstimmung mit meinen Befunden an Säugethieren auf-
weisen, dass ich doch nicht umhin kann, die Entwicklung der Wirbel-
thiere wenigstens bis zu den Knochenfischen hin, in den früheren
Stadien (von den späteren ist ja hier überall nicht die Rede) für
histiologisch (in Bezug auf die Zellen sind sie es ja unzweifelhaft)
vergleichbar zu halten. Zwar existirt die von der Descendenzlehre
geforderte Abstufung und Uebereinstimmung jedenfalls in den fertigen
Eiern und den ersten Stadien der Embryonalbildung am wenigsten.
Die Eier als homologe Bildungen anzuerkennen, wird uns immer
wieder, so z. B. neuerdings durch GörTTE’s Untersuchungen erschwert,
für die Furchungsvorgänge haben wir eine hübsche Reihe völlig gleich-
artig verlaufender Processe, jedoch die partielle Furchung ist schon
ein so abweichender Vorgang, dass die physiologische Gleich-
werthigkeit fast allein darauf führen konnte, hier homologe Processe
zu erkennen. Dann springen aber Furchungsvorgänge, wie sie z. B.
G. WAGNER?) von Gyrodactylus beschrieben hat, als schreiende Un-
1) L’’s Beschreibung bezieht sich, wie ich erfahre, auf die frische Keim-
scheibe, an welcher ich die Sache nicht anders sehe wie er. (Nachträgl. Anmk.)
2) Preliminary account of the Developement of the elasmobranch Fishes.
Quarterly Journal of Microscopical Science. Oct. 1874. (h 2).
3) Ueber Gyrodactylus elegans. Archiv für Anatomie von REICHERT und
pu Boıs 1860 (12).
und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens, 357
regelmässigkeiten mitten hinein, von den später zu besprechenden
Unregelmässigkeiten beim Meerschweinchen ganz abzusehen.
Die Keimblase der Säugethiere lässt sich ihrer Entwicklung nach
einigermassen mit derjenigen von Amphioxus vergleichen; sieht man
davon ab, dass sie nicht während der Furchung auftritt, sondern
erst nach vollendetem Maulbeerstadium, so kann man sie noch der
Keimblase mancher Wirbellosen gleichstellen, aber nicht derjenigen
der anderen Wirbelthierclassen. Erst nachdem die Keimscheibe eine
gewisse Grösse erlangt hat, finden sich in der flachen Form des Embryo,
in den Entwicklungsvorgängen der Sinnesorgane und zum Theil des Me-
dullarkanals, in der Chorda und namentlich in den Urwirbeln histiolo-
gische Gestaltungen, die als so grosse Aehnlichkeiten hervorspringen, dass
die Descendenztheorie sie als Ausgangspunkt und Beleg verwerthen kann.
Andererseits lässt sich nicht leugnen, dass die Messungen und Verglei-
chungen von Hıs genügend auffallende Resultate ergaben, um anzudeu-
ten, dass man noch über kurz oder lang zu mechanischen Erklärungen
dieser Convergenz in den Gestalten der Embryonen gelangen könnte.
Die Sachlage ist, wie mir scheint, der Descendenzlehre keines-
wegs direct günstig. Ich verkenne gar nicht das Gewicht der von
KOWALEVSKY und KUPFFER, sowie der von SEMPER eruirten That-
sachen und sage gerne, dass ich an die Descendenztheorie glaube (wie
dies durch meine Jahresberichte belegt wird), aber die objectiven
Thatsachen, welche der Entwicklungsgeschichte zu entnehmen sind,
erleichtern diesen Glauben wenig. Ich bin nicht nur, wie es sich in
der Wissenschaft von selbst versteht, bereit zu einem Glaubenswech-
sel, sobald ‘Besseres geboten wird, sondern ich empfinde das Bedürf-
niss nach weniger anfechtbaren Grundlagen ziemlich lebhaft.!)
Das Hühnchen ?) entwickelt sich nach REMAK?) in der Weise,
dass nach dem Legen zwei, nach der ersten Bebrütung drei Keim-
blätter vorhanden sein sollen, dann folge eine centrale Verdickung
der Keimscheibe, darauf die Bildung der Axenplatte, welche durch
Verwachsung des mittleren und oberen Keimblattes entstehe.
1) HaceckeL: Die Gastrula u. die Eifurchung, habe ich nicht mehr benutzen
können, ich halte übrigens die dort niedergelegten Auffassungen nicht für glück-
lich. (Nachträgl. Anmerk.)
2) Wir kennen von Säugethieren die jüngeren Stadien von Kaninchen, Hund,
Reh, Meerschweinchen, Schwein und Schaaf. Da meine eigene Arbeitskraft nicht
gross genug ist, darf ich wohl auffordern, doch einmal die Eier von Gans, Ente,
Kanarienvogel und Kiebitz zu benutzen. Die Schwierigkeit wächst dabei kaum
so erheblich, dass zu befürchten steht, die Ergebnisse würden kein Aequivalent
bieten.
3) Untersuchungen über die Entwicklung der Wirbelthiere (k 2).
24*
358 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung
Diese Darstellung habe ich!) wesentlich modificiren müssen; da
ich für’s Hühnchen der erste war, welcher statt mit Falten oder höch-
stens Durchschnitten zu operiren, wirkliche Querschnitte herstellte
und also eine bessere Einsicht erlangen konnte. Ich muss, um die
später erfolgten erheblich abweichenden Angaben Anderer zu erklären,
hier zweimal betonen, dass ohne Canadabalsam beobachtet wurde, denn
m. E. ist an den geradezu hofinungslosen Divergenzen zwischen den
Embryologen vor Allem die Methode schuld. Ohne Einbettung, ohne
Entwässerung wurden die ‚schwach erhärteten Keimscheiben zerlegt,
ohne Deckglas geprüft und betastet, ohne Canadabalsam, Glycerin oder
sonstige erhellende Surrogate wurden sie eingelegt. Man hat meinen
Figuren vorgeworfen, sie seien abscheulich! Es liesse. sich als Ent-
schuldigungsgrund anführen, dass die Präparate !/, Jahr in arseniger
Säure nachgedunkelt hatten, ehe sie gezeichnet wurden, dass dann die
Zellen sich nicht mehr, wie dies bei Anfertigung der Präparate der
Fall war, überall erkennen liessen und dass deshalb, sowie wegen
einer, zuweilen bei jungen Naturforschern sich einfindenden Grenze der
Opferfähigkeit, die Zeichnungen möglichst einfach angefertigt wurden.
Jedoch es liegt kein Verstoss gegen die Wissenschaft vor, denn so wie
die Zeichnungen sind, zeigen sie das, was gezeigt werden sollte, und
die Brüche und veränderten Lagerungen sind deshalb nicht zu tadeln,
weil sie dem Auge das vorführen, was sonst nur durch Untersuchung
mit der Nadel sich ergeben würde: die Trennbarkeit und Selbständig-
keit der einzelnen Theile.
In Folge der Bebrütung findet zunächst eine Verwachsung der
zwei im Eileiter gebildeten Keimblätter in der Mitte der Keimscheibe
statt. Diese Verwachsung wird durch die sich entwickelnde Primitiv-
rinne inniger und ausgedehnter und führt zu einer Proliferation der
Zellen dieser Gegend. Während dessen spaltet sich seitlich das
untere Keimblatt in Darmdrüsenblatt und mittleres Keimblatt, darauf
tritt auch an der Verwachsungsstelle, welche bei der Flächenansicht
als Primitivstreif erscheint, eine Trennung ein, die aber nur darin
besteht, dass auch hier das Darmdrüsenblatt sich abscheidet. Es findet
sich also dann in der Mittellinie ein inniger Zusammenhang zwischen
oberem und mittlerem Keimblatt, der sich erst später trennt, und
durch die Trennung in Urwirbel und Chorda einerseits, Medullarplatte
andererseits umgewandelt wird.
Darnach würde die Entwicklung insofern von derjenigen des
1) Die Entwicklung des Nervensystems. VırcHow’s Archiv Bd. XXX. 1864.
S. 166 (12).
und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 359
Kaninchens abweichen, als in Letzterem, soweit ich eruiren konnte,
das mittlere Blatt ganz vom Primitivstreif aus entsteht. Studire ich
die von Hıs!) gegebenen Durchschnitte, so namentlich die Längs-
schnitte Taf. V Fig. 1 u. 4, die Querschnitte Taf. IV Fig. 2 und
Taf. VI Fig. 1, 2 u. 3, so erscheint es mir möglich, dass die Sache
beim Hühnchen verlaufe wie beim Kaninchen. Es ist ferner zu be-
denken, dass ich damals noch unter dem Eindruck der Angaben von
NEMAK stand, denn es ist für den Forscher nichts schwieriger als
Processe, welche er selbst für sicher constatirte hält, als falsche Dar-
stellungen zu erkennen. Trotzdem finde ich, dass meine Figuren keine
andere Deutung zulassen und muss daher an der Richtigkeit jener
Schilderung festhalten.
Durch Dursy (f2) haben wir das Verhalten des Primitivstreifs
näher kennen gelernt, in der Hauptsache schliessen sich meine schon
gegebenen und weiterhin folgenden Beobachtungen in dieser Beziehung
seinen Darstellungen an. Die von ihm gegebenen Schnitte der frühe-
ren Stadien sind bei auffallendem Licht gezeichnet und geben, so
weit ich sehe, nichts Neues.
Hıs?) hat uns Serien von Schnitten geliefert, die immer ihren
Werth behalten werden, soweit Balsampräparate für die ersten Embryo-
nalstadien dienen können.
Seine Ansichten in Bezug auf den Parablast verhindern eine Ver-
gleichung seiner Befunde. Demjenigen, was von verschiedenen Seiten,
so noch neuerdings von KÖLLIKER°) gegen die Grundlagen, auf welchen
jene Annahme ruht, gesagt ist, möchte ich hinzufügen, dass bei dem
Kaninchen keine Möglichkeit vorhanden zu sein scheint, die Lehre
von dem rein mütterlichen Parablast aufrecht zu erhalten. Man könnte
äussersten Falles sagen, die Richtungsbläschen bildeten vielleicht den
Parablast, aber einerseits findet man Absonderungen des Keims vor
der Befruchtung selbst bei niederen Pflanzen, wie in den früher eitir-
ten botanischen Abhandlungen (e 1) nachgelesen werden kann, die hier
unzweifelhaft zu Grunde gehen, anderntheils biassen diese Theile so-
wohl beim Kaninchen wie beim Meerschweinchen, Fig. 79 u. 80,
l) Untersuchungen über die erste Anlage des Wirbelthierleibes. 1868. (m 2).
2) STRICKER, Handbuch der Lehre von den Geweben, ‘Cap. 18, S. 1207 (n 2)
eitirt im Laufe der historischen Darlegung über die Entwicklung des Hühnchens
zuerst Hıs, dann Hensen,. Dursy, diese Reihenfolge ist unrichtig. Das Citat
einer Arbeit von mir aus dem Jahre 1867 gehört überhaupt nieht dorthin, denn
dies handelt lediglich von Säugethieren.
3) Zur Entwieklung der Keimblätter im Hühnereie. Verhandl. d. physikal.
med. Gesellschaft in Würzburg N. F. Bd. VIII. (o 2).
360 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung
schliesslich unter Verkleinerung so ab, dass ihr späteres Verschwinden
mit hoher Wahrscheinlichkeit durch eine Auflösung und nicht durch
histiologische Neuformung zu erklären ist.
Auch Hıs findet übrigens eine feste Verbindung der Keimblätter
im Primitivstreif, welche, wenn ich ihn recht verstehe, von Anfang an
bestand und sich unter Production verschiedener Embryonaltheile löst.
Anstatt des zweiten Keimblattes im unbebrüteten Ei, welches ich
in der Mitte wenigstens der Keimscheibe völlig frei und wohl ent-
wickelt angetroffen habe, finden Hıs und WALDEYER)), welcher letztere
in Bezug auf den Parablast sich bekanntlich ziemlich nahe an Hıs an-
geschlossen hat, nur ein unregelmässiges Maschenwerk von sog. subger-
minalen Fortsätzen. KÖLLIKER spricht sich halb zustimmend, halb
ablehnend über diese Befunde aus. Mir scheint die Möglichkeit vor-
- zuliegen, dass durch die Präparation Zerreissungen des unteren Blattes
und Kunstproducte entstanden seien. Mindestens WALDEYER'S Figur
ist so sehr gefaltet, dass eine vielfache Zerreissung des unteren Blattes
recht wahrscheinlich erscheint. Schon GÖTTE (gg S. 162) hat diese
Ansicht geäussert. WALDEYER, der zwar mit Entwässerung gearbeitet,
aber, wie es scheint, mit Glycerin erhellt hat, nimmt an, dass das
obere Keimblatt durch Wucherungen in der Mittellinie das mittlere
und das untere gleichzeitig bilde, später erst letztere beiden sich
trennen. Eine so vorgebuckelte Zellenanhäufung, wie sie seine Fig. 2
darbietet, ist sonst von Niemandem in dieser Zeit beschrieben worden;.
es liesse sich übrigens der Schnitt auch so deuten, dass das seitlich
freie zweite Keimblatt in der Mitte eine Verwachsung eingegangen
sei. Es hätte wohl meinen an sich concludenten 4 Figuren (k 2
Fig. 1—4) gegenüber ein etwas vollständigerer Beweis des Gegentheils
segeben werden können!
PEREMESCHKO ?) und namentlich auch See 3) in seinen
allem Anscheine nach so wohl fundirten Untersuchungen über die
Eier des Eileiters, sprechen sich entschieden zu Gunsten zweier
Keimblätter im unbebrüteten Ei aus. Sie und SCHENK®) finden, dass
das Darmdrüsenblatt früher auftrete, wie dies meinen Angaben ent-
1) Bemerkungen über die Keimblätter und den Primitivstreifen bei der Ent-
wicklung des Hühnerembryo. Zeitschrift f. rationelle Mediein 1869 (p 2).
2) Ueber die Bildung der Keimblätter im Hühnerei. Sitzungsber. d. k-.
Akad. d. Wissenschaften. Wien 1868 (q 2).
3) Untersuchungen über die Furchung und Blätterbildung am Hühnerei, ebenda
(v 2).
4) Beitrag zur Lehre von den Organanlagen im motorischen Keimblatt, ee
(s 2) S. 2.
und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 361
spreche. Dies hängt wohl theilweise mit ihrer Ansicht über die Ent-
stehung des mittleren Keimblattes, nämlich durch Einwanderung von
Zellen der Keimhöhle, zusammen. In den beweisenden Zeichnungen,
welche z. B. PEREMESCHKO Fig. 5, ÖELLACHER Fig. 12 geben, zeigen
sich so grosse Verlagerungen der Blätter, dass man doch an künst-
liche Einschiebungen der fraglichen Kugeln denken möchte. Die Mög-
lichkeit, dass das Darmdrüsenblatt von mir in seinen Anfangsstadien
übersehen sei, will ich übrigens jenen Präparaten gegenüber nicht in
Abrede stellen, muss jedoch bemerken, dass unsere Auffassung dessen,
was als getrenntes Blatt zu bezeichnen ist, etwas differiren dürfte. In
meinem auf Taf. II Fig. 35 gegebenen Querschnitt dürften die ge-
nannten Herren das untere Keimblatt für selbständig halten, da man
seine Contour leicht ziehen kann, factisch ist es, wie früher erwähnt,
nicht isolirt, sondern verwachsen und weil dem so ist, muss ich die
bisherigen Angaben über den getrennten Verlauf des inneren Keim-
blattes unter dem Primitivstreif, mit Ausnahme der wohl aus späterer
Zeit stammenden Fig. 13 von PEREMESCHKO für nicht ausreichend
beweisend halten. Für die Kritik dieser Arbeiten darf ich mich noch
auf Hıs, Das Ei und die Entwicklung bei Knochen-Fischen 1873,
S. 37 und GÖTTE (gg) beziehen, da für die Negation immerhin unter
den Embryologen eine grössere Einstimmigkeit herrscht.
KÖLLIKER (0 2) leitet das mittlere Keimblatt von dem aus-
schliessend vom äusseren Keimblatt gebildeten Primitivstreif ab. Ich
habe über diese Möglichkeit bereits gesprochen und kann im Uebrigen
nur wiederholen, dass ich die Ueberzeugung von der Nichtbetheilisung
des zweiten Keimblattes zur Zeit nicht gewinnen kann.
Bei den Batrachiern erkennen STRICKER (n 2) und GÖTTE (u)
eine Verwachsung von Keimblättern behufs Bildung des mittleren
Keimblattes nicht an, während BAMmBECcKE!) eine solche Verwachsung
beobachtet hat. Bei den Haien scheint nach BArrour (h 2) nichts
‘ Derartiges vorzukommen.
Die Abgliederung der Gewebe in der Keimscheibe.
In diesem Stadium formt sich der bis dahin blattförmige Embryo
zu einem massenhafteren, der Länge nach tief eingefurchten Strang,
zu gleicher Zeit gliedert er sich in der Längs-, vorzüglich aber in
der Querrichtung und damit treten bestimmte Gewebsformationen auf,
deren Bedeutung allerdings erst aus späteren Stadien erhellen kann.
l) Recherches sur le Developement du Pelobate brun. M&moires couronnds
de ’Academie de Belgique Tom. XXXIV. 1868. p. 27 u. Taf. XXXIV Fig. 2 (t2).
362 V. Hessen. Beobachtungen über die Befruchtung
Der vor dem Knoten liegende Theil des Embryo wächst beträcht-
lich und der Primitivstreif wird relativ, vielleicht sogar absolut kür-
zer, vor ihm bilden sich die Urwirbel.
Dieser Process hängt meines Erachtens mit einer starken Zell-
wucherung im Knoten zusammen. Schnitte, welche man an dem vor-
dersten Theil desselben macht, ergeben im Anfang dieses Stadiums
eine Trennung der beschriebenen Verwachsung. Aus dieser Trennung
resultiren die Urwirbel-, Seiten- und Medullar-Platten, sowie die Be-
freiung des unteren Keimblattes, Fig. 40, 39. Dasselbe Bild erhält
man fortwährend von der Spitze des Primitivstreifs, so lange ich
wenigstens ihn verfolgen konnte. Da anfänglich zwischen dem
ersten resp. zweiten Urwirbel (diese Frage lasse ich unentschieden)
nur noch der Raum eines oder zweier Urwirbel bis zum Primitiv-
streif vorhanden ist, später aber dort Wirbel in grosser Zahl liegen
und eine Strecke einnehmen, welche länger ist wie der Streif selbst zur
Zeit der ersten Urwirbelbildung war, so scheint mir der gezogene Schluss
auf Zellenneubildung in der Spitze des Primitivstreifs gerechtfertigt.
Der Process, wie er sich an den successiven Schnitten darstellt,
ist folgender. Unter Bildung einer Vertiefung oder, was dasselbe ist,
unter Fortführung der primitiven Medullarrinne nach hinten, nähert
sich das äussere Keimblatt dem inneren; die Zellenmasse, welche
beide zuvor getrennt hielt, macht Raum und die Blätter kommen
dadurch in der Mittellinie zur Berührung. Von der Seite her löst
sich die Verbindung des mittleren mit dem äusseren Keimblatt,
welche bis dahin in der mittleren Partie der Keimscheibe in dem
Primitivstreif (aber nicht seitlich von diesem) statt hatte, und dabei
bleiben in dem äusseren Keimblatt cylindrische Zellen zurück. Das
somit frei gewordene animale Blatt besteht aus zwei dünnen Seiten-
theilen, Fig. 38—40, welche die Epidermis bilden werden, und einem
mittleren, dickeren Blatt, welches zur Medulla wird.- Am Kopfe findet
sich an einer Stelle auch die Epidermisplatte aus eylindrischen
Zellen aufgebaut, daraus entsteht dann nicht die Epidermis, sondern
das Labyrinth; es bleibt zu untersuchen, was den Anlass zu jener
Verdickung, Fig. 37, gegeben hat.
In seltenen Fällen findet man die Zellen des mittleren Keim-
blattes in scheinbar ungeordneter Lage, woraus zu schliessen ist, dass
dieser Zustand sehr kurze Zeit dauert; in der Regel erscheint gleich-
zeitig mit dem Freiwerden desselben in ihm eine scharfe horizontale
Trenpungslinie, deren proximales Ende bis nahe an den inneren Rand
der Platte des mittleren Keimblattes herangeht, während das distale
Ende in der noch ungetheilten Masse des mittleren Blattes an der
und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 363
Peripherie des Embryo sich verliert. Die Spalte pflegt so scharf be-
grenzt zu sein, dass ich nicht mit Hıs annehmen kann, es handle sich
um eine Spaltung durch Zug in Folge eines Dickenwachsthums.
Die Spalte geht also in die Substanz der Urwirbel hinein, sie
muss sehr vorübergehend die genannte Ausdehnung besitzen, denn
nicht jeder Embryo zeigt sie gut. Sie ist der Ausdruck einer fast
von Flüssigkeit freien Höhle, welche in sich die Urwirbelhöhle und
Pleuroperitonealhöhle umfasst, ich möchte sie als Coelom!) der Wirbel-
thiere bezeichnen.
In der, Masse der Wand des Coeloms, welche als Urwirbelplatte
bezeichnet zu werden pflegt, scheiden sich rasch die weiteren Theile.
Bei der ersten Urwirbelbildung entstehen 2 oder 3 querverlaufende
Falten, welche den Raum in der Längsrichtung trennend, 3 einzelne
. Urwirbelplatten erzeugen. Diesen Vorgang habe ich nicht genau unter-
sucht. Darauf wird das Coelom, durch Verwachsung der beiden Plat-
ten des mittleren Keimblattes zu dem von WALDEYER?) als Verbin-
dungsstrang bezeichneten Körper, der Quere nach in zwei Abtheilungen
zerlegt, nämlich Urwirbelhöhle und Pleuroperitonealraum, Fig. 38.
Die zuerst spaltförmige Höhlung in den Urwirbeln wird rasch rund
und füllt sich dann, wie ich mich an frischen Embryonen über-
zeuste, da den erhärteten in dieser Beziehung nicht zu trauen ist,
mit Zellen aus. Woher diese stammen, weiss ich nicht. Bald darauf
2) Nicht ohne Bedauern lese ich in Craus: Die Typenlehre und E. HacEcker’s
Gastreatheorie, dass die Aufstellung HarckEr’s (a2) über das Coelom vor einer
wissenschaftlichen Kritik nicht scheint bestehen zu können. Immerhin dürfte
ein Name, welcher die embryonale Leibeshöhle der Wirbelthiere derjenigen der
Wirbellosen formell nahe stellt, am Orte sein. Wenn eine Homologie vorhanden
ist, wird sie eher zwischen dem oben beschriebenen Raum und der Leibeshöhle
der Wirbellosen vorhanden sein, wie zwischen letzterer und der sog. Pleuroperi-
tonealhöhle, die übrigens als secundäres Coelom bezeichnet werden könnte. Nach
BALFoUR (n 2) zeigt sich bei den Haien schon ein ungleich längeres Offenbleiben
des Coeloms wie bei den Säugern. Der Deutung, welche HaEckEL für niedere
Thiere der Leibesflüssigkeit als Lymphe giebt, stimme ich um so lieber zu,
als ich diese Ansicht schon vor Jahren (Bemerkungen über die Lymphe. Virchow’s
Archiv Bd. XXXVII) (a. a. 2) verfolgte. Dagegen verstehe ich nicht die Be-
ziehung der Leibeshöhle zu Blut und Blutgefässen. Dass die Flüssigkeit eine
Beziehung zur Respiration habe, glaube ich wohl und daher mögen sich z. B.
die rothen Zellen der Leibesflüssigkeit von Capitella capitata (zuerst wenn ich
nicht irre von KEFERSTEIN und Enters beschrieben) erklären, aber die Blut-
gefässe sind selbst bei niederen Thieren, wie den Holothurien (SEMPER), Pyno-
soma (KowALEvsky), sowie ihrer Entwicklung nach so scharf von der Leibes-
höhle getrennt, zeigen eher Beziehungen zur Darmlıöhle, dass ich in der T'hat
einen Zusammenhang zwischen ihnen und dem Coelom bezweifeln muss.
2) Eierstock und Ei. Leipzig 1870. S. 109 (u 2).
364 V. Hrnsen. Beobachtungen über die Befruchtung
liegt, wie man durch Längsschnitte erfährt, zwischen den Urwirbeln
ein sehr feines aus platten Zellen bestehendes Stratum.
Während sich das mittlere Keimblatt von dem Epiblast löst, bildet
sich, dieser Loslösung von der Seite her folgend, und wie es scheint,
damit Hand in Hand gehend, eine feine structurlose Membran, die
Membrana prima, aus, welche alsbald auch noch weiter seitlich,
selbst über die Keimscheibe hinaus, gefunden werden kann. Diese
Haut ist von mir bereits früher beim Hühnchen (k 2) beschrieben
worden. Dieselbe liegt in der Norm dem mittleren Keimblatt dicht
an und ist so zart, dass man sehr genau untersuchen muss, um sie
in dieser Lage zu erkennen, sie löst sich jedoch an den in MÜLLEr’scher
Flüssigkeit erhärteten Präparaten beim Schnitt häufig hie und da ab,
und man findet sie deshalb an den Figuren ziemlich häufig dargestellt,
wo sie die Bezeichnung m. pr. führt. Ausserdem ist, Fig. 44, ein
grösserer Abschnitt dieser Haut dargestellt worden. Wenn man die-
selbe isolirt, was an nicht zu stark erhärteten Embryonen nicht gerade
schwierig ist, zeigt sie sich mit Granulis bedeckt, mindestens der
grössere Theil der Körnchen ist ein Niederschlag auf ihr, der von den
durch die Erhärtungsflüssigkeit bewirkten Gerinnungen herrührt. Dass
diese Membran als eine Ausscheidung anzusehen ist, unterliegt keinem
Zweifel, denn zu keiner Zeit lassen sich Kerne oder Zellen als Com-
ponenten derselben erkennen. Da sie zwischen Mesoblast und Epiblast
gelegen ist, wird es schwer zu entscheiden, von welchem dieser beiden
Lager dieselbe ausgeschieden wird. Nach dem ramificirten Bau, wel-
chen die Zellen des Mesoblast in dieser Periode zeigen, zu urtheilen,
ist es wenig wahrscheinlich, dass von ihnen diese Haut ausgeschieden
werde, weshalb ich glaube, dass das äussere Keimblatt einzig in Be-
tracht zu ziehen sei.
WALDEYER und mehrere andere Embryologen haben diese Membran
nicht finden können, eine volle Bestätigung hat sie überhaupt von
keiner Seite her erlangt, ich hoffe jedoch, dass man sich noch von
der Richtigkeit meiner Aussage überzeugen wird. Neuerdings be-
schreibt KowatLewsky!) bei dem Pyrosomenembryo eine homogene
Membran, welche sich zwar nicht ohne weiteres mit der Membrana
prima identificiren lässt, aber doch auf das allgemeinere Vorkommen
solcher Bildungen hinweist.
An Präparaten von Hıs habe ich mich überzeugt, dass man fast
keine Hofinung hat, an in Balsam eingelesten Embryonalschnitten die
Membran zu erkennen.
!) Ueber die Entwicklungsgeschichte der Pyrosoma. Archiv f. mikr. Ana-
tomie Bd. IX (v2).
und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. _ 365
Man kann vielleicht die Ansicht aufwerfen, es sei die Membran
lediglich eine künstlich erzeugte Gerinnung. Jedoch dieselbe ist trotz
grösster Feinheit sehr zähe und biegsam. Das Stück, Fig. 44, musste,
da die Zeichnung einer flach ausgebreiteten Haut nichtssagend ist,
künstlich in geeigneter Weise drappirt werden, und ist daher viel
umhergezerrt worden, ehe es die genügende Lagerung erhielt. Ich kenne
kein Gerinnungsproduct, welches sich in dieser Weise verhielte, denn
entweder sind solche Dinge brüchig und von sehr ungleichmässiger
Dicke, so dass ein Mikroskopiker, der sie in solcher Ausdehnung
präparirt hat und sie untersuchen kann, doch kaum sich würde täu-
schen können, oder es sind Ausscheidungen nach Art der Glaskörper-
septa, welche der Unterlage so innig anhaften, dass die Darstellung
mangelhaft oder gar nicht gelingt.
Man hat mit einer gewissen Betonung erwähnt, dass ich diese
Haut für wichtig hielte, ohne Gründe dafür anzugeben. Ich halte sie
allerdings schon um deswillen für wichtig, weil ich alles, was in so
früher Zeit sich bildet, für den Aufbau des Körpers massgebend halte,
Es geht übrigens aus der Membran hervor: Die erste Anlage der
Pia mater, die Membrana limitans retinae interna, und die erste
Grundlage der Chorioidea (homogene Grundlamelle), die Hülle der
embryonalen Linse und die äusserst feine Umhüllung der Labyrinth-
blase, ferner, wie man u. A. am Schwanz der Froschlarve sehr schön
wahrnimmt, die Grenzlage der Cutis, während die Cutis selbst, wie
die Pia mater dadurch sich entwickeln, dass sich Zellen des Cutis-
blattes an die Membran anlegen und mit ihr innig verwachsen. Die
Tunicae propriae der Drüsen des Epiblast dürften auch kaum ohne
Mitwirkung der Membran entstehen.
Eine solche Grenze zwischen den Zellschichten wird denjenigen,
welche die Zellentheorie von MAx SCHULIZE für richtig halten, auch
deshalb von Bedeutung erscheinen, weil die nackten Zellen — deren
Erhaltung als isolirte Individuen durch die Beobachtung WEISSMANN’S
und LEUCKART'S, dass ausnahmsweise bei Embryonen Zellenver-
schmelzungen in grösserer Ausdehnung stattfinden, nur noch räthsel-
hafter wird — wenigstens nach einer Seite hin vor einem Zusammen-
fliessen gesichert sind. Für mich ist es wenigstens immer ein Stein
des Anstosses gewesen, wie für nackt erklärte Zellen, also Furchungs-
Kugeln und deren Derivate, wenn sie gegeneinander gepresst werden,
nicht zusammenfliessen sollten.
GÖTTE (g 2) hat bereits die Entstehung der Urwirbel aus den
Urwirbelplatten, in Folge der Abschnürung eines gemeinsamen Rau-
mes, also des Coelom’s, beschrieben. Obgleich ich meine Beob-
366 V. Hexnsen. Beobachtungen über die Befruchtung
achtungen schon früher abgeschlossen hatte, gebührt ihm, da ich
-der Sache in meiner vorläufigen Mittheilung!) keine Erwähnung that,
unzweifelhaft die Priorität. Er beschreibt noch, dass in der Urwirbel-
höhle ein zartes Fächerwerk erscheine und alsdann von dem Centrum
aus Zellen sich neu bildeten.
Ich gehe nunmehr zur Besprechung einzelner Theile des
Embryo über..
Die Chorda.
Merkwürdiger Weise entsteht die Chorda dorsalis beim Kaninchen
nicht gleichzeitig mit den Urwirbeln am Ende des achten Tages, son-
dern erst über 12 Stunden später, nachdem schon eine erhebliche
Anzahl von Urwirbeln gebildet worden ist, vergl. die Fig. 38, 45, 47.
Ich habe den Entwicklungsprocess nicht in allen Stadien verfolgen
können aus einem Grunde, der auch die später zu besprechenden Unter-
suchungen unvollendet gelassen hat. Im Anfang der embryologischen
Untersuchung stösst man fortwährend auf neue Stadien und kann ins
Volle greifen, später, wenn es gilt, Processe, die vielleicht innerhalb
einer Stunde verlaufen, in den Einzelheiten zu verfolgen, wird die
Gewinnung des tauglichen Materials um so schwieriger. Die Zeit-
bestimmungen treffen, je älter die Embryonen werden, um so weniger
genau zu und obgleich die Untersuchung wiederum dadurch sehr
_ erleichtert wird, dass die einzelnen Embryonen nicht gleich weit ent-
wickelt zu sein pflegen, so ist der Erfolg doch von den Regeln des
Zufalls abhängig, erfordert also durchschnittlich viel Material
Es liegt mir die Zeichnung eines in grösserer Ausdehnung von
einem Embryo mit vier Urwirbeln abgelösten unteren Keimblattes
vor. Dasselbe zeigt in der Mittellinie einen Streifen etwas dunklerer
Zellen, welcher scharf abgegrenzt ist und an Breite etwa dem Durch-
messer der späteren Chorda entspricht. An Schnitten findet man hier
die Zellen etwas, doch nicht auffallend, verdickt und nur Schnitte,
welche in einer etwas späteren Zeit dicht vor dem Knoten entnommen
sind, Fig. 40, zeigen hier stärkere Verdickung. Ein solches Präparat
vom Meerschweinchen, an welchem das Verhalten der Zellen näher
studirt ward, zeigt Fig. 47.
Ein weiteres Stadium dürfte die dem Kaninchen entnommene
Fig. 45 A sein, wo in der Mittellinie durch Wucherung und theilweise
Einbuchtung des Hypoblast die Chorda schon deutlich angekündet wird.
Es liegt mir endlich der Querschnitt eines Meerschweinchens,
1!) Embryologische Mittheilungen. Archiv für mikroskop. Anatomie. Bd. III.
S. 500. 1869 (w 2).
und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 367
dessen Rückenmarkskanal schon völlig geschlossen ist, vor, in welchem
die Chorda zwar völlig vom Darmdrüsenblatt getrennt ist, aber in der
Form einer langgestreckten, horizontal liegenden 8 unmittelbar darüber,
dem Rückenmark dicht anliegend, gefunden wird. Später rundet sich
auch bei dieser Species der Querschnitt der Chorda völlig ab. Diesen
. Process zu verfolgen habe ich mich sehr bemüht, weil ich es für
möglich halte, dass sich der Sympathicus bei demselben abtrenne,
jedoch konnte ich keine Beobachtung darüber gewinnen.
Beim Hühnchen ist die Entscheidung darüber, von welchem Blatte
die Chorda stamme, wohl deshalb sehr schwierig, weil sich alle be-
treffenden Theile gleichzeitig im Primitivstreif sondern. Sehr bemer-
kenswerth ist es, dass BALFOUR beim Hai mit voller Deutlichkeit die
Entstehung der Chorda aus dem Hypoblast darlest.
Das Herz und die Gefässe.
Ueber die Entwicklung des Herzens habe ich zuerst in Frankfurt
1867 Mittheilung!) gemacht. Darauf, als an eine Veröffentlichung:
meiner embryologischen Studien nicht mehr zu denken schien, gab
ich einige Durchschnittsbilder darüber gelegentlich einer anderen
Arbeit.2) Von diesen Abbildungen ist eine, Fig. 37, hier wiederholt
worden, die übrigen drei nebst einigen anderen in meinem Besitz be-
findlichen Abbildungen nahm ich Anstand, wieder zu geben, da ohnehin
die Anzahl der Figuren eine ziemlich erhebliche geworden ist. Ich will
versuchen, zu beschreiben, was ich über den Gegenstand gesehen habe.
An der Flächenansicht zeigt sich im Vordertheil von Embryo-
nen mit zwei Urwirbeln eine fast hufeisenförmige Verdiekung. Die-
selbe liegt im mittleren Keimblatt und beginnt unmittelbar lateral an
den Urwirbeln, so dass noch ein Theil der Seitenplatten nach aussen
von dieser Verdickung, welche einen etwas geringeren Durchmesser
wie die Urwirbel hat, liest. Von hier aus verläuft die Verdickung
vorwärts und seitlich, so dass sie bald den Rand des Vordertheils der
Embryonalscheibe nahe erreicht und dann verläuft sie nahe diesem
Rande weiter. An Flächenansichten scheint es, als wenn die Ver-
diekung jeder Seite vorn in der Mittellinie zur Verbindung käme,
jedoch die Querschnitte bestätigen das nicht, so dass demnach die
Herzanlage streng bilateral sein wird. Bei einem Embryo mit 9 Ur-
wirbeln zeigt sich dann in dem Verlaufe der Verdickung beiderseits
l) In dem Tageblatt der Frankfurter Naturforscherversammlung findet man _
S. 73 eine kurze etwas ungenügende Mittheilung über den Gegenstand (w 2).
2) TRÖLTSCH, Archiv für Ohrenheilkunde. Bd. II. Referat über BÖTTCHER.
Gehörlabyrinth S. 34 (x 2).
368 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung
ein Kanal, welcher eine spindelförmige Erweiterung erkennen lässt.
Wenn man sich den Kopf des Embryo von dem ersten Urwirbel bis
zu der Spitze der eben in Entstehung begriffenen Augenblasen in drei
Theile zerlegt denkt, so liegen diese Anschwellungen im mittleren
Dritttheil. Dies Stadium zeigt die von BISCHOFF (a. Fig. 54b) ge-
zeichnete kleine Hirnanschwellung; in deren Höhe liegen die Erwei-
terungen. Es beginnt nun die Bildung der Kopfdarmhöhle. Durch
diesen Process, der gleichzeitig von vorn und von den Seiten her sich
vollzieht, werden die beiden Schläuche einander genähert. Man sieht
dieselben in Fig. 33 als zwei nach der Mittellinie hin etwas convex
vorspringende Bildungen. Darauf erfolgt, wahrscheinlich von vorn-
her fortschreitend, die Verschmelzung der Schläuche. Dann ist das
Herz ein aus drei untereinander communicirenden Hohlkugeln be-
stehendes Organ, von welchem hinten seitlich die Venenschenkel ab-
gehen. Die drei Hohlkugeln liegen so, als ob ihre Centren die
Spitzen eines gleichseitigen Dreiecks bildeten, dessen eine Spitze nach
vorn gerichtet ist. Die weiteren Stadien führen zu der bekannten
Ansicht des schlauchförmigen, gekrümmten Herzens.
Biscnorr zeichnet (a. Fig. 58) einen Embryo mit gerade ge-
strecktem Herzschlauch, wie man ihn vom Hühnchen kennt. Ich konnte
dies Stadium nicht finden. Bei dem soeben erwähnten Embryo mit
blasig erweitertem Herzen gehen die Urwirbel bis unter den Rand
der Kopfdarmhöhle, sonst gleicht das Stadium demjenigen, welches
BISCHOFF zeichnet, völlig.
Ein Durchschnitt aus dem frühesten Stadium ist in Fig. 37 ge-
geben. Man sieht dort in dem sonst ungetheilten Mesoblast eine
Spalte ph, welche, offenbar zum Coelom gehörig, die erste Spur des
Pericardialraums ist. . Darunter liegen ein Paar Zellen des Gefäss-
blattes, welche das Endothel des Herzens zu bilden bestimmt sind.
Sehr bald erweitert sich die (primitive) Pericardialhöhle und darauf
gestalten sich die darunter liegenden Endothelien zu einem Kanal
mit im Durchschnitt runder Oeffnung. Dieser Kanal drängt von dem
Hypoblast aus den unteren Theil der Wand des Pericards, also das
Darmfaserblatt desselben, vor, und wird mehr und mehr von demselben
umwachsen. Während dessen nähern sich in Folge der Ausbildung
der Kopfdarmhöhle die beiden Herzschläuche einander, legen sich
schliesslich aneinander und alsdann vereinen sich zunächst die beiden
primitiven Pericardialräume zu einem einzigen. Derselbe enthält“noch
‘ zwei Herzschläuche, wie Durchschnitte lehren, aber schliesslich ver-
einen auch diese sich zu einem Herzraum. Aus dem visceralen Blatt
des Pericardiums geht die Herzmuskulatur hervor. Der Längsschnitt
und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 369
eines Embryo von 9 Tagen, Fig. 43, zeigt die Lage des Herzens,
kurz nachdem die Vereinigung der zwei Schläuche sich vollendet hat.
Ueber die Art, wie die Aorten vom Herzen aus entstehen, habe ich
leider keine Erfahrungen, wie ich die erste Entstehungsgeschichte des
Herzens auch nur in den gröbsten Zügen zu geben vermag.
Hıs (y 1. S. 85) spricht sich dahin aus, dass die Entwicklung
des Herzens beim Hühnchen und beim Säugethier auf wesentlich das-
selbe Prineip herauskomme.!) Dies halte auch ich wenigstens in Bezug
auf die letzten der geschilderten Stadien für richtig, jedoch formell
ist, wie ich nach allen vorliegenden Abbildungen glaube annehmen
zu dürfen, ein erheblicher Unterschied zwischen den Säugern und den
übrigen -Wirbelthieren in dieser Beziehung vorhanden. Sehr merk-
würdig ist es, dass nach KowALEwsKY (v 2) die Herzentwicklung von
Pyrosoma mit Bezug auf die Formung der Pericardialhöhle und die
Einstülpung eines Endothelschlauches durchaus in gleicher Weise vor
sich geht; merkwürdig nicht sowohl deshalb, weil man unser Herz
von einem so feurigen Thier abzuleiten vermöchte, als weil die grosse
Selbständigkeit des Gefässendothels schon bei so niederen Thieren sich
markirt! :
Bezüglich der Gefässblätter ist zu erwähnen, dass die Aorten sich
in der Form von Endothelröhren, Fig. 47, anlesen und wie beim
Hühnchen, zunächst stark seitlich gelagert sind, um schliesslich in
der Mittellinie zu verschmelzen. Seitlich von den Aorten setzt sich
das Gefässblatt in der Form maschiger Zellcomplexe bis in die Area
opaca hinein fort, die im Durchschnitt gesehenen Lumina halte ich
für Venen. Von den Aorten gehen zum Mark und in die sich an-
legenden Wirbel Aeste ab, später dann auch in die Darmfaserplatten.
Diese werden dabei in zwei Schichten gespalten, da die Gefässe sich
nicht an das Darmdrüsenblatt halten, sondern später in der Mitte des
Darmfaserblattes liegen. Ein dorsales Gefässblatt habe ich nicht zu
finden vermocht, dagegen zeigt sich in späterer Zeit, Fig. 5l, ein
isolirtes Gefässlumen in der Cutisplatte an der Grenze zwischen Körper
und Amnios; ich habe nicht erkannt, was dies für ein Rohr sei.
Der Urnierengang und die Umbildung der embryonalen
Strata im Gewebe.
Die Meinung, dass der Urnierengang aus dem Epiblast entspringe,
wird durch die Untersuchung der betreffenden Stadien so nahe gelegt,
1) Auch GöTTE (u), der die Herzbildung des Kaninchens beobachtet hat,
äussert sich ähnlich.
370 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung
dass ich schon gelegentlich meiner ersten Arbeit am Hühnchen ver-
suchte, die Sache zu erledigen. Da es mir dort nicht gelang, schwieg
ich darüber. Hıs (n S. 161) schloss dann auf guter Grundlage, dass
der Worr’sche Gang aus dem ersten Keimblatt entstehe. Ich habe
vor 10 Jahren gelegentlich bemerkt (a. a. 2. S. 81): Ich habe die
Wahrheit der Annahme von Hıs, dass die Urnieren aus dem Horn-
blatt entstehen, an Kaninchenembryonen völlig sicher erkannt. Der
Urnierengang entsteht durch eine solide leistenförmige Verdickung des
Hornblattes, beiderseits neben den mittleren Urwirbeln. Diese An-
gabe habe ich!) später wiederholt. Darauf hat Hıs (m 2. S. 119) seine
Annahme zurückgenommen und Anderer Beobachtungen am Hühnchen
und niederen Wirbelthieren sprachen gleichfalls gegen die von mir
gefundene Entstehungsweise.
Ich habe meine Angabe nunmehr zu rechtfertigen, jedoch nur
für das Kaninchen, von welchem ich ausschliesslich berichtet habe.
Dabei muss ich mich freilich über Unglück beklagen. Zur Zeit, als
ich meine erste Mittheilung machte, hatte ich noch nicht begonnen,
Zeichnungen anzufertigen; in Folge des Widerspruchs von Hıs unter-
suchte ich dann später noch einmal und aus einer Reihe von Embryo-
nen, deren Alter etwa 9!/, Tage betrug, gab der erste bei Zerlegung
von vorn nach hinten das Stadium wieder. Ich löste sogleich die
Epidermis ab und fand an demselben zu den Seiten der Medullarplatte
eine Leiste im äusseren Keimblatt, welche nach hinten zu all-
mälig sich verlief. Die abgelöste Keimhaut schien mir kein der
Mühe lohnendes Bild zu geben und ob der Schnitt mir nicht genügte
oder was sonst der Grund war, genug, ich zählte auf einen der an-
deren Embryonen und als ich diese untersuchte, erwiesen sie sich
sämmtlich als zu wenig entwickelt. Dabei ist es dann geblieben.
Nach dem Mitgetheilten könnten jedoch wohl die Zeichnungen
Fig. 50 und 51 genügen, um meine Erfahrung zu erhärten. Man
sieht daran, dass andersartige Zellen in den Wulst des mittleren Keim-
blattes, welcher auch schon früher bekannt war, eingelagert sind und
diese Zellen können doch wohl nur von dem äusseren Keimblatt
abstammen. Ich habe die Sache an feineren aber sonst nicht so voll-
kommenen Schnitten desselben Thieres untersucht und an diesen,
Fig. 52, das gegebene Bild durchaus bestätigen können. Ich suchte
nämlich die Membrana prima, welche die eingelagerten Epidermis-
zellen von den Elementen des mittleren Keimblattes trennen muss,
l) Embryologische Mittheilungen. Archiv f. mikr. Anatomie Bd. III. S. 500:
(2).
und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 371
zu entdecken; dies ist mir zwar nicht gelungen, da dies Häutchen
allzufein ist, jedoch ich habe das gezeichnete Bild in Folge dessen
mehrfach sehr klar gesehen, so dass ich meiner Aussage so sicher bin,
wie der einzelne Beobachter dies zu sein vermag.
Ich behaupte nicht, dass beim Hühnchen die Sache ebenso ver-
laufen müsse, wenn ich jedoch dem Gedanken, dass dies möglich sei,
trotzdem WALDEYER (u 2) das Gegentheil behauptet, nachgebe, so
würde ich glauben, dass in seiner Fig. 41 die Einlagerung der Epi-
dermiszellen schon erfolgt sei.
Kurze Zeit nach diesem Stadium. folgt wiederum eine Ablösung
von der Epidermis, die man Fig. 50 sieht. Zu der Zeit, wo ich jene
Untersuchung machte, hielt ich diese strangförmige Ablösung unbe-
denklich für den MÜLLER’schen Gang, spätere Untersucher beschreiben
sie als Vena cardinalis. Ich muss sagen, dass ich durchaus nicht
glauben kann, ein Gefäss vor mir gehabt zu haben.
Es drehen sich um diese Zeit die Cutisplatten, wie die Fig. 50
zeigt, rückwärts, während die Urwirbel ihre Stellung nicht verändern.
Dadurch gerathen die Gänge in anscheinend einfacher Weise an die
Wandung des Peritonealraumes; zugleich bildet sich dadurch in der
Cutisplatte, an der äusseren Kante der Urwirbelreihe, eine Falte oder
richtiger gesagt, Leiste aus, welche nicht mehr verstreicht, sondern
weiter wächst und als Membr. reuniens posterior RATHKE das. Binde-
sewebe der Cutis über Urwirbel und Rückenmark hinüberdeckt.
An etwas älteren Stadien von Kaninchen- und sich nahe an-
schliessenden Rinds- und Schaafsembryonen, habe ich die weitere Ent-
wicklung der Gewebe untersucht. Da es vielleicht fördern könnte,
gebe ich noch kurz die Ergebnisse an, welche mir mit Wahrschein-
liehkeit daraus hervorgingen. Jedoch ich bin nicht in der Lage, die
gegentheiligsen Ergebnisse Anderer zu widerlegen, theils weil es mir
an den dazu nöthigen Zeichnungen fehlt, theils weil ich selbst mich
nicht überall bis zur Genüge überzeugen konnte.
Von einer Gewebsbildung durch die Endothelien der Gefässe, wie
Hıs dieselbe beim Hühnchen beobachtet zu haben glaubt, habe ich
mich beim Kaninchen durchaus nicht zu überzeugen vermocht.
Die Aorta wird von einer Fortsetzung der Darmfaserplätten, Fig. 54.
umwachsen, welche die Hauptmasse ihrer Wandung, wahrscheinlich
die Muscularis, erzeugt. Die Darmfaserplatte bildet die Muskulatur
des Herzens und des Darmes. Doch kann man, wie es scheint, die
Schleimhaut des letzteren auch nur von ihr ableiten. Die Urwirbel,
und nur sie, bilden die willkührliche Muskulatur, indem sich zunächst
in ihrem Inneren durch sehr schwierig zu studirende Processe die
Zeitschrift f. Anatomie. Bd. I. 25
372 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung
Muskelfasern bilden. Die Kopfplatten des mittleren Keimblattes fasse
ich als Cutisblatt auf, es scheint mir mindestens noch des Beweises
zu bedürfen, dass in ihnen Muskeln entstehen. Was aus dem Urwirbel-
kern wird, vermag ich durchaus nicht zu sagen, dagegen habe. ich
mich nicht davon überzeugen können, dass er beim Kaninchen frei
hervorwuchere. Die Bindesubstanz für die Wirbel und die Rücken-
markshäute scheint mir vom Verbindungsstrang herzukommen, die
Einwanderung der Zellen beginnt gleichzeitig mit jenen Verschiebun-
gen, die den Wour'schen Gang an den Peritonealraum bringen. Dies
ist die Meinung, welche ich von der Sache gewonnen habe, früher,
wie in dem genannten Stadium habe ich keine Bindegewebszellen um
die Chorda erblickt und ich habe geglaubt, das Vorrücken der Zellen
nach den einzelnen Etappen von dem genannten Punkt aus verfolgen
zu können.
Das Nervensystem.
Nachdem die Annahme, dass die Nerven aus einer Umwandlung
von Bindegewebszellen entstehen, verlassen worden ist, hat man wohl
allgemein sich der Ansicht, welche in der noch immer so lesens-
werthen Arbeit von BIDDER und KuPrrer!) niedergelegt ist, dass die
Nerven Zellenausläufer seien und als solche von der grauen Sub-
stanz aus hervorwachsen, angeschlossen.
Jedoch Niemand hat bis jetzt das freie Ende eines solchen wach-
senden Nerven gesehen. Man kann freilich nicht annehmen, dass
etwa ein ganzer Nervenstamm auf einmal auswachse, in diesem Falle
müsste jedenfalls das auswachsende Ende demonstrirbar sein. Da das
Auswachsen recht früh seinen Anfang nimmt, ist anzunehmen, dass
zunächst nur eine beschränktere Anzahl von Nerven hervortreten, die
so fein sein mögen, dass man ihr wachsendes Ende, selbst wenn es
zum Stamm vereint wäre, im Gewebe nicht wahrzunehmen vermöchte.
- Zur Zeit, wo dies geschieht (spätestens zur Zeit des Auftretens
der ersten Kiemenspalten) können keinenfalls alle Nervenenden reel
angelegt sein, denn z. B. weder die Retina, noch das Labyrinth, noch
das Geruchsorgan oder die Muskeln sind um diese Zeit nach Zahl
ihrer Elemente abgeschlossen. Wie entstehen die Nerven für die sich
später neu bildenden Enden und die neuen Ursprünge im Mark?
Wächst von letzteren aus eine neue Nervenfaser gegen das neue Ende
hin, wie es die strenge Durchführung der Hypothese verlangt, oder
1) Untersuchungen über die Textur des Rückenmarks. Leipzig 1857 (z 2).
und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 373
tritt nunmehr ein neuer Process ein, vermehren sich von jenem un-
bestimmten Zeitpunkt an die Nerven durch Theilung?
Ich bin (l 2) auf ganz anderem Wege zur Ansicht gelangt, dass
die Nerven sich durch Theilung vermehren, aber niemals aus-
wachsen. Diese Ansicht habe ich in fast allen späteren von mir
gemachten histiologischen Arbeiten durch die Beobachtung zu erhärten
versucht.
Ich kann mich nicht dem Gedanken hingeben, dass die Nerven
vom Mark aus bis zu ihrem Ende hin wachsen. Keine Einrichtung
vermag ich zu denken, welche die Nerven an ihr richtiges Ende zu
leiten vermöchte, welche es z. B. bewirken sollte, dass stets die vordere
Wurzel an Muskeln, die hintere an nicht muskulöse Organe gehe, dass
keine Verwechselung eintrete zwischen den Nerven der Iris und denen
der Augenmuskeln, zwischen den Aesten des Quintus und Acusticus
oder Facialis u. s. w. Dennoch finden wir solche Verwechselungen
nicht! Man kann nicht einwenden, dass solche Verwechselungen vor-
handen sein könnten, aber im Mark ausgeglichen worden seien, denn
auch die Nerven im Mark haben dem prädestinirten Ende zuzuwach-
sen, und daher ist ein Ausgleich nach der genannten Hypothese nicht
möglich. Endlich könnte gesagt werden, dass kleine individuelle Unter-
schiede in Reflexvorgängen in der That sich auf Unterschiede resp. Irrun-
gen im Auswachsen der Nerven dürften zurückführen lassen. Wie wir
sehen werden, erklären sich derartige Variationen mindestens ebensogut
aus meiner Ansicht heraus, können jedoch überhaupt nichts beweisen.
Da ich keine Erklärung für die Leitung der Nerven beim Aus-
wachsen finden konnte, und, wie früher schon einmal gesagt, einen
Spiritus rector für diese Dinge nicht annehmen kann, bin ich zunächst
theoretisch auf die Annahme gekommen (l 2), dass die Nerven nie-
mals ihrem Ende zuwachsen, sondern stets mit demselben verbunden
sind. Die von Hıs später (u. A. y 1. S. 117) angedeutete Annahme,
dass „die weisse Substanz da auftritt, wo sie Raum hat“, befriedigt
mich nicht und scheint mir in Bezug auf die Wandungen der Ven-
trikelhöhlen, welche nicht Lagerstätte der weissen Stränge werden,
nicht zutreffend.
Für Diejenigen, welche meine theoretischen Bedenken nicht thei-
len, hat, wie ich ven vornherein sagen muss, was ich bringen kann,
nur ein untergeordnetes Interesse.
Unzweifelhaft ist es, dass unvollkommene Zelltheilungen in den
Organismen vorkommen. Für das mittlere Keimblatt ist dies fast
typisch; wir kennen das Vorkommen aber auch an Epidermiszellen
im Schmelzorgan, und für das innere Keimblatt sind solche Bildungen
: 255
374 V. HEnsen. Beobachtungen über die Befruchtung
durch mich Oben in doch wohl unbezweifelbarer Weise demonstrirt.
HioslLB url:
Die unvollkommene Theilung wird ursprünglich nach folgendem
Schema: -— -— .—. vor sich gehen, wo jeder Punkt eine Zelle,
der Strich den Verbindungsfaden bedeuten mag. Darauf kann die
Theilung sich so abändern, dass an eine Zelle zwei und also
mittelbar durch andere Zellen äusserst viele Verbindungsfäden treten:
> 21: —:. Man kann, wie leicht zu ersehen, sich auf
diese Weise Netze der complieirtesten Structur darstellen, da die Thei-
lungen natürlich in allen Richtungen im Raume vor sich gehen können.
Wenn in Folge von Nichtgebrauch eine Atrophie eines Theiles der
Zellen und Verbindungsfäden oder eine Ablösung der Zellen von ihren
Fäden eintritt, so ist ein Modus für die Vertheilung der Nerven ge-
geben, welcher weder die Annahme, dass dieselben auswachsen, noch
diejenige, dass sich Bindegewebskörper in Nerven umwandeln, nöthig
macht. Um diesen Modus mit den von verschiedenen Seiten gefun-
denen Formen der definitiven Nervenendigung in Einklang zu bringen,
würde man, falls Nerven wirklich frei zwischen Epithelien enden,
eine spätere Ablösung der Enden annehmen müssen. Der Fall, wo
von gewissen Endzellen epithelialer oder gangliöser Natur nervöse
Fäden, die freilich nie wirkliche Nerven zu sein pflegen, abgehen,
hat deshalb nichts Auffallendes, weil der Weg für diese Fäden ent-
weder vorgebildet, wie bei den Hörhaaren der Krebse, oder nur von
grösster Einfachheit in seinem Verlauf ist.
Die Möglichkeit einer ursprünglich vorhandenen und bleibenden
Verbindung aller Zellen wäre gegeben, wenn schon die Furchungs-
. zellen sich nicht vollständig von einander trennen würden. Die Unter-
suchung der frischen Furchungskugeln ergab darüber nichts Sicheres,
bei erhärteten Stadien trennten sich die Kugeln auf leichten Druck
und dabei fand eine ausgedehntere Zerreissung jedenfalls nicht statt;
ich glaube, dass bei der Furchung sich die Dottermassen vollkommen
trennen.
Später tritt die eigenthümliche. Verwachsung der beiden Keim-
blätter im Primitivstreif ein, ein Vorgang, der, soweit ich sehe, nur
unter der von mir gemachten Annahme der Nervenentwicklung ver-
ständlich scheint. Als Folge dieser Verschmelzung entstehen die Ur-
wirbel und bei den Säugethieren das mittlere Keimblatt. Dasselbe
würde nach KÖLLIKER (v2) beim Hühnchen der Fall sein, während
ich zur Zeit daran festhalten muss, dass sich die Seitenplatten vom
unteren Keimblatt abscheiden. Jedenfalls können auch hier die Zellen
und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 37
der Urwirbel, Zellen eines Theiles des unteren Keimblattes und eines
Theiles der Seitenplatten aus Mutterzellen hervorgegangen sein, deren
eines Theilproduct im Mark zurückblieb, das andere in die genannten
Theile trat. Die seitlichen Theile des äusseren und inneren Keim-
blattes, soweit sie in den Embryo übergehen, haben jedenfalls anfäng-
lich sehr nahe der Mittellinie, d. h. in dem Bereich der Medullar-
platten, gelegen. An diesen Theilen habe ich keine Communications-
fäden nachgewiesen, dies schliesst aber ihr Vorhandensein nicht aus,
denn diese Dinge können sich sehr wohl dem Blick entziehen. In
Bezug auf das Darmdrüsenblatt vermag ich überhaupt nichts auszu-
sagen, weil ich die Entstehung des Sympathieus nicht kenne.
Meine factischen Beobachtungen für die jüngeren Stadien dem
Kaninchen, für die älteren dem Rind und Schaaf entnommen, sind
folgende.
Die Nervenwurzeln.
Sobald die Trennung in dem Primitivstreif erfolgt, sieht man an
Schnitten, Fig. 38, 45, feine Fädchen von der Medullarplatte zu den
Urwirbeln gehen, welche man zuweilen deutlich von den Zellen der
Medulla entspringen und in solche der Urwirbel übergehen sieht.
Diese Fäden, welche anfangs sehr zart sind, finden sich nicht auf
jedem Schnitt und nicht gleichmässig vertheilt, aber es scheint schon
viel zu sein, dass sie überhaupt nicht bei der Schnittführung zerstört
werden. Ich trage kein Bedenken, anzunehmen, dass stets sehr viele
davon durch den Schnitt zerrissen werden.
Wenn das Mark sich schliesst oder sich geschlossen hat, findet
man Fig. 47, 48 diese Fäden vermehrt uud anscheinend etwas dicker.
Sie sind ziemlich gleichmässig an den Seitentheilen des Marks ver-
theilt. Um diese Zeit finden sich auch Fäden, welche vom Hornblatt
an’s Mark gehen, doch ist es schwer, dieselben recht klar zu erhalten.
Es liegen mir derartige Zeichnungen vor, doch waren stets nur ein-
zelne Fäden genauer zu verfolgen.
Dass diese Fäden keine Kunstproducte sind, erschliesse ich, weil
man dieselben auch an Flächenansichten frischer Embryonen
‚sowohl vom Hühnchen wie vom Kaninchen unschwer wahrnimmt,
wenn man zur Zeit des Schlusses der Medullarrinne untersucht. Mir
machen diese Fäden überhaupt nicht den Eindruck, als wenn es Ge-
rinnungsproducte sein könnten, weil ich sie zuweilen von Zelle zu
Zelle verfolgen kann und weil sie nicht anders aussehen wie wirk-
liche feine, embryonale Nerven. Dies ist jedoch etwas Subjectives
und Jeder kann sich berechtigt fühlen, meine Auffassung zu bezweifeln.
376 V. Hessen. Beobachtungen über die Befruchtung
Ich kann nicht einsehen, dass es etwas nützen würde, wenn ich hier
mit grösster Vorsicht und Objectivität in der Form die Befunde er-
wägen wollte, denn ebenso wenig wie ich auf solche Darstellungs-
formen Gewicht zu legen vermag, sobald es sich dabei lediglich um
Balsam- oder Vergoldungspräparate handelt, würde der Zweifler durch
eine solche Darstellung von meiner Seite beeinflusst werden.
Was beweisend sein kann, ist die Verfolgung des Objects durch
verschiedene Stadien, die Theorie und die Untersuchungen Anderer,
namentlich wenn dieselben gelegentlich anderweiter Forschungen auf
den Gegenstand treffen; also die Zeit und vielleicht viei Zeit.
Sollen aus diesen Fasern die Nervenwurzeln entstehen, so müssen
dieselben, wie dies ja auch factisch der Fall ist, an allen Theilen des.
Rückenmarks, ausgenommen den Wurzelgebieten, verschwinden. Dies
könnte durch einen Lagerungswechsel, eine Sammlung der einzelnen
Fädchen zu einem Stamm geschehen, jedoch insoweit dazu eine Wan-
derung nothwendig wäre, würde die Membrana prima hinderlich sein.
Da jedoch vor der Zeit, wo die vorderen Wurzeln deutlich werden,
das Mark im Querschnitt rund und noch sehr klein ist, darauf stark
länglich wird, wäre es möglich, dass die Partie, welche den Seiten-
strangtheilen des Markes entspricht, sich erst später entwickle und
ursprünglich nur Vorderhörner und Hinterhörner virtuell angelegt
seien. Endlich wäre eine Atrophie der Nerven jener Orte, wo später
keine Fasern mehr austreten, denkbar.
Ich finde an den 9 Tage alten Embryonen die Nerven nicht
merklich nach vorn gedrängt, am Ilten Tage wird durch die sich
einschiebenden Bindegewebsmassen die Untersuchung erschwert. Die
Urwirbel werden vom Mark abgedrängt und man sieht von ihren
Zellen aus noch immer die Fäden recht gleichmässig zum Mark hin
abgehen, aber an diesem wird die Verfolgung unsicher. In einem
Stadium, wo die Extremitätenhöcker schon auftraten (etwas älter wie
Fig. 34), wo die Urwirbel ganz vom Mark abgedrängt waren, aber
die Chorda noch demselben dicht anlag, die Spinalganglien ferner
eben vollendet waren, und schon die hintere Wurzel unzweifelhaft
sich erkennen liess, konnte ich die Nerven der vorderen „Wurzeln
überhaupt nicht sicher genug erkennen, um sie in die mir vorliegende
Zeichnung einzutragen. Es ist kaum glaublich, dass um diese Zeit,
wo bereits der Allantoiskreislauf stark entwickelt ist, die peripherischen
Nerven ganz fehlen sollten. Dass ich sie nicht sicher nachweisen
konnte, liegt einfach daran, dass ich keine guten Schnitte machen
konnte. Die bisher angewandte Methode versagte, weil die Embryonen
zu gross waren, für Schnitte aus freier Hand waren sie zu klein.
und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 377
Das Parafın war von Hıs noch nicht empfohlen worden; mit diesem
lassen sich die Theile, ohne vorhergehende Alkoholbehandlung, so
bequem einschmelzen, wenn nur ihre Oberfläche trocken ist, dass ich
sehr bedauern muss, nicht Versuche damit gemacht zu haben. Wie
die Sache liegt, kann ich einen positiven Beweis nicht bringen, aber
mein negativer Erfolg hat nicht die mindeste Beweiskraft.
Ein auf das beschriebene sehr nahe folgendes Stadium hat KUPFFER
(2 2) in seiner Fig. 8 gezeichnet, hier sieht man die vorderen Wur-
zeln, aber sie liegen nicht compact, sondern noch in einzelnen Bün-
deln, die von einander durch Bindegewebe getrennt sind, erst später
treten sie dicht zusammen. Die Wurzeln sind um die Zeit dieses
Auftretens unverhältnissmässig massig, sowohl in Bezug auf die
Grösse des Embryo, wie auf die Grösse des Rückenmarks. Dazu kommt,
dass die Fasern ja nicht markhaltig sind, sondern äusserst feine Fädchen
darstellen! Welch wunderbarer Entwicklungsgang wäre es doch, wenn
der bis dahin völlig nervenlose Embryo in Zeit von wenig Stunden
so ganz überreich mit Nerven versorgt würde!
Bezüglich der hinteren Wurzeln liessen sich die einzelnen Stadien
besser verfolgen. Zu einer Zeit, wo soeben. die Bindegewebswucherung
bis zur Chorda herangetreten ist, wo das Mark beginnt einen ovalen
Querschnitt zu zeigen, aber die Urwirbel ihm noch dicht anliegen
und Bindegewebszellen nur ganz vereinzelt an der Membrana prima
des Marks behufs Bildung der Pia mater, sich anlegen, beginnt die
Bildung der Spinalganglien, Fig. 54. Von den hinteren Theilen des
Marks treten Zellen in den Raum zwischen Mark und Urwirbel, um
dort allmälig eine compactere, zunächst dem Mark dicht anliegende
und an den Seiten desselben sich bis etwa zur Mitte herabschiebende
Zellenmasse zu bilden. Die Zellen trennen sich dabei nicht von den
Zellen des Marks, sondern bleiben durch Fäden, die Nerven der hin-
teren Wurzel, mit ihnen verknüpft. Von den, auf diese Art ausge-
stülpten, Zellen, gehen auch peripher Fäden ab, es ist mir jedoch
(wohl aus dem oben angegebenen Grunde) nicht geglückt, dieselben
erheblich weit zu verfolgen. Später entfernt sich das Ganglion unter
dem Einfluss der fortschreitenden Bindegewebswucherung mehr vom
Mark und beginnt in der bereits bekannten Weise weiter bauchwärts
zu rücken. Dann sieht man aber auch schon die vorderen Wurzeln
und die Nervenbündel, welche peripher aus dem Ganglion treten, denn
diese verlaufen bei dem Embryo zunächst eine Strecke weit isolirt,
ehe sie die vorderen Wurzeln treffen und sich mit ihnen vereinen;
erst in darauf folgenden Stadien bettet sich die Spitze des Spinal-
ganglions dicht an die vorderen Wurzeln. Nicht alle Ganglien bilden
378 V. Hessen. Beobachtungen über die Befruchtung
sich in der geschilderten Weise. Das Ganglion cochleare z. B. stammt
von dem Epithel der Schnecke her. Darüber habe ich x 2 berichtet,
doch ist leider die dazu gehörige Figur gänzlich verpfuscht.
Nach den Schilderungen Kuprrer’s soll das Ganglion sich zu-
nächst isolirt anlegen und erst später eine Verbindung mit dem Mark
sich gestalten. Die Zeit, in welcher die Ausstülpung des Ganglions
seschieht, liest jedoch erheblich früher, wie ‘die Stadien, welche
KUPFFER schildert; er sieht die vorderen Wurzeln erheblich früher
wie die hinteren. Die Wurzeln treten zuerst ganz hinten nahe der
Mittellinie auf, vielleicht hat er sie dort nicht gesucht; es braucht
kaum gesagt zu werden, dass man ziemlich nahe den Ort kennen
muss, um so zarte Bildungen überhaupt aufzufinden. Ich kann daher
den negativen Befund nicht als beweiskräftig gelten lassen.
Beim Hühnchen scheinen mir die Ganglien aus der unteren Lage
der Epidermis zu entspringen, jedoch diese Thiere erhärten weit weniger
gut wie die Säugethiere, so dass ich hier den Gegenstand nicht weiter
verfolgt habe.
Eine besonders beachtenswerthe Bestätigung meiner Angabe finde
ich in BAaLFour’s Beschreibung der Ganglienentwicklung bei Haien
(h 2), die, soweit man erkennen kann, ganz mit derjenigen von Säuge-
thieren übereinstimmt.
Die Entwicklung des. Markes.
Es liegt, wenn ich mich eines volksthümlichen Ausdrucks bedienen
darf, eine Welt von Arbeit in dem Studium des embryonalen Central-
systems, und daher darf nicht erwartet werden, dass hier sehr befrie-
digende Aufschlüsse ertheilt werden können. Ich habe ausser in den
bereits citirten embryologischen Mittheilungen (y 2) gelegentlich einer
anderen Arbeit!) ziemlich eingehend die Entwicklung des Centralsystems
besprochen und bringe jetzt die Belege dafür bei.
Zunächst möchte ich im Allgemeinen meine Auffassung des Mar-
kes darlegen. Wenn man den Begriff des Bindegewebes einheitlich
auffasst, indem man es aus dem mittleren Keimblatt ableitet, so ge-
langt dies Gewebe erst nachträglich in das Mark, und zwar durch
jene Wucherung der Gefässe, welche, wie H. MÜLLER?) zuerst nach-
wies, und wie jetzt allseitig angenommen wird, sich in das Mark
1) Ueber den Bau des Schneckenauges, Archiv f. mikroskop. Auatomie. Bd. I.
1866. S. 423 (a 3).
2) Ueber die Netzhautgefässe von Embryonen. Würzburger naturw. Zeit-
schrift II, S. 223 und Gesammelte Schriften $. 141 (b 3).
und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 379
einbohren und so auch die bindegewebige Hülle mit hineintragen.
Dasjenige Bindegewebe, welches namentlich BipDpErR (z 2) in dem
Rückenmark nachwies, stammt m. E. aus den mit den Gefässen hin-
eingewucherten Bindesubstanzen.
Findet sich daneben noch nicht nervöse Masse, eine wahre Neu-
roglia? Ich möchte zwar glauben, dass nicht alle ursprünglichen
Elemente des Markes nervös bleiben, jedoch der Nachweis dafür ist
schwierig. : Das Epithel des Centralkanals z. B. scheint im Erwach-
senen nicht nervöser Natur zu sein, aber dieselbe Schicht wächst in
der Retina zu den Körpern der Stäbchen und Zapfen aus! Sind die
Radiärfasern Neuroglia? Ich habe nie die von M. ScHuLTtzE!) be-
schriebene Structur dieser Fasern finden können, obgleich ich die von
ihm benutzten Thiere dafür herbeizog und ich erinnere mich auch
nicht, klare und unumwundene Bestätigungen von anderer Seite ge-
sehen zu haben. HEInkıch MÜLLER?) drückt sich sehr zweifelnd
über die Natur dieser Fasern aus, obgleich er findet, dass ihre inneren
Theile beim Kochen verschwinden. Wenn man HEnLE’s Beschreibung °)
liest, kommt man auf den vielleicht völlig richtigen Gedanken, dass
es sich um ziemlich variable Reste früherer Structuren handle:
jedenfalls liegt dafür, dass sie, wie REMAK will, Stützfasern seien,
oder überhaupt eine Function haben, welche sie dem Bindegewebe
functionell gleich machte, nicht einmal eine Prüfung der frischen
Retina vor.
Wenn auch die Schule mit Recht diese Dinge als zu Gunsten
der Bindegewebsfrage abgethan, darstellt, Fundamente für unsere
Anschauungen liegen hier nicht vor.
Neuerer Zeit hat sich namentlich BoLL*) mit der Bindesubstanz
der Centralorgane beschäftigt. Dort findet man auch die neuere Lite-
ratur abgehandelt, auf welche ich einzugehen keinen Anlass habe,
weil ich mich hier nur mit so frühen Stadien beschäftige, dass meine
Studien etwa da aufhören, wo frühestens die der betreffenden Autoren
beginnen. Auch in Bezug auf.Bour’s Histiogenese habe ich mich
mit Wenigem zu begnügen. Er verwahrt sich $. 116 ausdrücklich
gegen die Annahme, als ob seine Beobachtungen entscheidend dafür
seien, dass die embryonale Anlage der Neuroglia und der nervösen
Elementartheile die gleiche sei. Diese Verwahrung hat jedoch, soweit
1) Observationes de retinae structura. Commentatio.. Bonn 1859 (e 3).
2) b3. 8. 99.
3) 8. 657 (63).
4) Die Histiologie und Histiogenese der nervösen Centralorgane. Berlin 73.
(d 3).
380 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung
ich die Sache verstehe, nur dann einen Sinn, wenn man an die Mög-
lichkeit denkt, dass sehr frühzeitig Wanderzellen eine Rolle bei
der Bindegewebsbildung spielen. BoLL spricht sich 8. 131 einerseits
gegen Einwanderungen der „verzogenen Kinder der modernen Histio-
logen, der in neuerer Zeit so beliebten Wanderzellen“ aus, andererseits
S. 125 glaubt er selbst statuiren zu müssen, dass wandernde „Körnchen-
zellen“ die Markscheide der Nerven bilden.
Ich habe an Säugethierembryonen nicht finden können, dass
Wanderzellen eine Rolle als Gewebs- oder Organbildner spielen. Einem
solchen Ausspruch würde wohl ohne weiteres keine Beweiskraft zu-
erkannt werden, jedoch weil ich selbst zuerst und zwar unter dem
Namen „Sekret-Gewebe‘ eine Gewebsbildung durch wandernde Zel-
len in der Larve des Seesterns und später am Schwanz der Frosch-
larven nachgewiesen habe), dürfte eine Garantie dafür bestehen, dass
ich ernstlich nach ähnlichen Vorgängen suchte. Jetzt kann ich nur
noch für die Tunica intermedia an einen solchen Vorgang bei Säuge-
thieren glauben.
Die neueren Angaben über Zellwanderung stützen sich darauf, dass
amöboide Bewegungen der betreffenden Zellen nachgewiesen seien, und
auf Beobachtungen, welche als Zwischenstufen solcher Wanderungen auf-
gefasst werden können. In meinen älteren und neueren Beobachtungen
über Wanderung, resp. Vorschiebung von Zellen, handelt es sich um Vor-
gänge, in welchen entweder die Bahn sehr eingeschränkt war, wie bei
der Umwachsung des inneren Keimblattes, wo sich keine Zelle ganz von
der anderen trennt, oder anderntheils, in welchen der Weg den ein-
zelnen Zellen ohne Gefahr überlassen bleiben kann, weil der Raum,
in welchen hineingewandert wird, ein zellenfreier, unmittelbar an-
liegender und eng begrenzter ist. Wenn dagegen eine Wanderung auf
complieirten Wegen und Anhäufungen in bestimmten Centren, resp.
in schon mit Zellen gefüllte Räume hinein, gelehrt wird, so wird eine
über diesen Zellen waltende und sie dirigirende Kraft gesetzt. Diese
Hypothese scheint mir vorläufig so gewagt, entzieht uns so sehr jeg-
lichen Boden für die Erforschung der Entwicklungsgesetze, dass ich
ohne die thatsächlichen Beobachtungen im Geringsten bezweifeln
zu wollen, doch die Schlüsse, so naheliegend sie sein mögen, nicht
gelten lassen kann.
Weil ich der Ansicht von der Einwanderung freier Zellen behufs
physiologischer Gewebsbildung entgegen treten muss, werden mir einige
1) Ueber die Entwicklung des Gewebes und der Nerven im Schwanze der
Froschlarven. VIRcHow’s Archiv Bd. XXXT, S. 51 (e 3).
und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 381
von BoLr’s Angaben zum Versuch einer positiven Beweisführung für die
Abstammung der Neuroglia zweifelhaft. Born (S. 106) entnimmt dem
Hühnchen des 3. oder 4. Tages etwas vom Grosshirn und findet das, als
fundamental für die ganze Entwicklungslehre der Centralorgane zu be-
tonende Factum, dass die Kerne, welche man zunächst in der Protoplasma-
masse entdeckt, in zwei bestimmte Klassen zu scheiden seien. Die einen
seien nervöser Natur, würden Ganglienzellen, dieanderen seien dem Typus
der Bindesubstanzen zuzurechnen. An den ersteren lasse sich ein bläs-
chenförmiger Zellenleib, gefüllt mit sehr feinkörnigem Protoplasma, ein
Kern von gleichem Aussehen wie letzteres und oft so gross, dass er
nahe die Zelle ausfülle, und ein, fast stets einfaches, Kernkörperchen
wie in jeder ausgewachsenen Ganglienzelle finden.
Die zweite Form sei nicht Zelle, sondern Kern, sei von meist
ellipsoidiscner Form mit mehreren Kernkörperchen. Charakteristisch
seien die stets doppelten Contouren, niemals seien dieselben einfach
wie bei den anderen Zellen. Die Grundmasse, in der Alles liege, sei
Protoplasma, das sich nicht zu Zellenterritorien abgrenze.
Die Grosshirnblasen habe ich als den Ort betrachtet, wo die
typischen Processe der Markentwicklung sich am wenigsten aus-
prägen, weil dieser Theil als späte secundäre Bildung auftritt: ich
habe ihn also sehr wenig studirt. Auch hier findet sich an der Innen-
fläche Epithel des Centralkanals in erheblicher Dicke, an der medialen
hinteren Fläche bleibt zeitlebens nur Epithel, insofern sich dort die
Plexus chorioidei entwickeln. BoLz giebt keinen Schnitt dieser Theile
und hat die Dinge nur von der Fläche aus betrachtet; ich bin ganz im
Unklaren darüber, wo und was er eigentlich studirt hat! Dies Ver-
halten ist für Feststellung fundamentaler Thatsachen nicht glücklich!
Seine Beweisführung beruht erstens auf dem Unterschied in der
Zahl der Kernkörper. Ich habe mich vergeblich bemüht, an Schnitten
in den Kernkörperchen ein charakteristisches Verhalten festzustellen,
sie waren bald klein, bald grösser, mehrfach oder einfach, ohne be-
stimmte Regel. Möglich, dass frische Präparate günstiger sind, aber
in so stark wachsenden Theilen scheint a priori die Sache misslich.
Der Autor bringt 2 oder höchstens 3 kleine Zeichnungen dieser Ver-
hältnisse als Beleg bei, nämlich aus dem 4., 7. und 12. Tage der
Bebrütung. Da finden wir am 7. Tage schon einen Bindegewebskern
mit nur einem, 5 mit 2 Kernkörpern unter den 11 Kernen, am 12.
unter 6 Kernen einen ohne Kernkörper, 2 mit so vielen Granulis,
dass man Anstand nehmen muss, sie als Kernkörperchen zu bezeichnen.
Bei so wenig Zeichnungen darf man doch erwarten, dass sie der Be-
schreibung nicht geradezu widersprechen !
382 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung
Zweitens wird auf den doppelten Contour des Kernes ein grosses
Gewicht gelest. Wodurch unterscheidet man diesen von der Grenze
eines etwa dicht umschliessenden Zellkörpers? Doch wohl dadurch,
dass innerer und äusserer Contour genau concentrisch verlaufen!
thuen sie dies nicht, so deuten wir den äusseren Öontour als eine
zweite besondere Hülle In der ersten Figur Borr’s fehlt der ver-
langte Charakter zweien von den vier Kernen in auffallender Weise,
so dass hier mit mehr Recht Uebergänge als Scheidung der Formen
demonstrirt werden können. In der zweiten Figur fehlt die doppelte
Contour fünfen unter den eilf in Betracht kommenden Kernen völlig!
Ferner ist zu beachten, dass in der Reihe der Ganglienzellen vom 3.
bis 14. Tage diejenigen des 12. Tages ganz aus der Reihe fallen, da
sie so kleine Zellenleiber haben, dass sie, abgesehen von den Aus-
läufern, aussehen wie Borr’s Bindesubstanzkerne. Es handelt sich,
wie man sieht, nicht um einzelne Bedenken und Incongruenzen, son-
dern um eine Reihe solcher. Ich finde demnach, dass die Beweis-
führung des Autors nicht ausreichend geglückt ist.
Einer neueren Arbeit von EICHHORST!) gegenüber würde ich
einen grossen Theil des gegen BoLL Gesagten wiederholen müssen,
obgleich ich seiner Beschreibung des Epithels vom Centralkanal schon
eher zustimmen kann. Es handelt sich hier aber um Differenzen
prineipieller Natur, die zunächst durch Discussion nicht gehoben
werden Können.
Die Ansicht über die Structur des Markes, zu welcher mich
meine Studien führen, ist die, dass man das Mark auffassen
müsse als ein Epithel, und zwar als ein einfach geschich-
tetes Epithel.
Ich weiss sehr wohl, dass diese Auffassung für sonderbar, ja für
unmöglich angesehen wird, jedoch ich werde sie, soweit ich hier die
Sache verfolge, objectiv begründen. Erscheint das Mark des Erwach-
senen auf den genannten Typus zunächst nicht reducirbar, kann man
sehr Vieles ohne jenen theoretischen Ausgangspunkt entziffern, so bleibt
uns doch der Bau im Ganzen und Grossen unverständlich, und kann
m. E. nur verstanden werden, wenn wir den Anschluss an die ent-
wicklungsgeschichtliche Grundlage, welche unzweifelhaft das einfach
geschichtete Epithel ist, gewinnen. Unter letzterem Namen verstehe
ich jedoch nicht eine einfache Lage von Zellen, sondern eine Lage
vieler Zellen über einander, welche aber dadurch als einfach charak-
1) Ueber die Entwicklung des menschlichen Rückenmarks und seiner Form-
elemente. VırcHmow’s Archiv 1875. S. 425.
und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 383
terisirt wird, dass jede Zelle zunächst direct, später allerdings sehr
indirect mit dem einen Ende an die Innenfläche, mit dem an-
deren an die Aussenfläche der Schicht heranreicht. Ein solcher
Epitheltypus ist wie ich glauba zuerst von HENLE für das Flimmer-
epithel der Trachea nachgewiesen, später häufig dargestellt worden.
Dieser Typus wird bei der Entwicklung durch enorme Compli-
cationen nahezu vollständig verwischt. Aufgabe einer theoretisch kla-
ren Anatomie des Markes (inclusive Retina) wird es sein, durch Ver-
folgung dieser Complicationen den Bau der Theile zu erklären.
Einen indirecten, jedoch deutlichen Beweis für die von mir be-
hauptete Structur der Theile liefern die Plexus chorioidei. KÖLLIKER
(m. S. 247) hatte schon als wahrscheinlich bezeichnet, dass das Epithel
der Plexus einer embryonalen „Markplatte“ entstamme, die Ventrikel
also in Wirklichkeit nie offen seien; jedoch schreibt er, „doch gestehe
ich Ihnen offen, dass ich dieser Frage noch nicht die nöthige Auf-
merksamkeit zugewendet habe, um mich ganz bestimmt aussprechen
zu dürfen‘“ Auch Schmipr!) werfe die Frage auf, ob nicht, wie er
dies für den Plexus quartus annehme, auch die Plexus laterales ur-
sprünglich von einem Markblatte umhüllt seien.
Später habe ich (a 3. S. 423) meine Resultate in folgenden Wor-
ten zusammengefasst. „Ich finde, dass die Continuität des Central-
kanals bis an’s vorderste Ende des Hirns beim Säugethier ganz un-
unterbrochen ist, mindestens bis zur Zeit, wo bereits die Hemisphären
dieckwandig geworden und die Streifenhügel sehr entwickelt sind. Die
Lücken in dem Kanal, die in der Wand der Medulla oblongata und
später in den Hemisphären für den Eintritt der Plexus gebildet sein
sollen, sind nur scheinbar. Dasselbe Gewebe, welches am Rückenmark
die Wandungen des Centralkanals bildet, schliesst ihn auch über der
Rautengrube, denn es gehen die Zellen, welche die Oberfläche der
Medulla bilden, vollkommen continuirlich auf den Plexus ventriceuli
quarti über, aber hier bleiben sie als einfaches Epithel auf der Pia
mater bestehen, während sie im Uebrigen eben die Nervenmasse er-
zeugen. Dasselbe gilt für das Grosshirn. Hier stülpen sich die Plexus
von dem mittleren Schädelbalken (vergl. KÖLLIKER m. Fig. 86.; es
handelt sich natürlich um die mit der Falx sich vereinenden Theile
dieser nicht gerade passend bezeichneten Faltung des Schädeldachs)
in der Weise von hinten und der Sagittalebene her in die Hemisphä-
renblasen ein, dass deren Wandung sie continuirlich überzieht und
I) Zeitschrift f. wiss. Zool. Bd. XI. Beiträge zur Entwicklungsgeschichte des
Gehirns (g 3).
384 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung
sich auf ihnen zum Epithel gestaltet, während an den übrigen Stellen
die Wandungen fortfahren, sich zu verdicken und das Hirn bilden.“
Damals habe ich den Plexus des dritten Ventrikels nicht besonders
besprochen. Derselbe verhält sich wie die Seitenventrikelplexus; er
bildet die bindegewebige Brücke, welche letztere beiden mit einander
verbindet und stülpt sich mit ihnen zugleich, jedoch weniger tief, ein.
Eigenthümlich ist, dass überall da, wo die das Hirn berührenden
Bindegewebsmassen sich stark vascularisiren, die Hirnentwicklung
stehen bleibt oder streng genommen ein wenig zurückgeht, während
gefässarme einbuchtende Fortsätze, wie z. B. die Falx cerebri, solche
Folgen nicht hervorrufen.
Es ist, so viel mir bekannt!), kein Widerspruch gegen unsere
Ansichten erhoben worden und u. A. hat Hıs?) für den 4. Ventrikel
die Beobachtungen acceptirt. Es dürfte also genügen, wenn ich als
Beleg den Schnitt, Fig. 59, gebe. Derselbe geht durch den hinteren
Theil des Kleinhirns und durch das vorderste Ende der Medulla, so
wie durch den noch kaum eingestülpten Plexus IV, welcher in dieser
Periode sehr weit seitlich die Medulla umfasst. Es geht ein Nerv,
wahrscheinlich Trigeminus, von der letzteren ab; trotzdem verfolgt
man deutlich den continuirlichen Uebergang der Markmassen, nament-
lich des sog. Epithels des Centralkanals in die einfache Lage der
Epithelzellen, welche den sich entwickelnden Plexus decken.
Wenn demnach ein Zweifel darüber nicht stattfinden kann, dass
in den Medullarplatten das Material gegeben ist, um ein typisches
Epidermis- resp. Epidermisdrüsen-Epithel zu bilden, gestaltet sich
die weitere Aufgabe, abgesehen von der Nervenentwicklung, dahin, nach-
zuweisen, dass dieser Typus zeitlich sehr weit verfolgt werden kann.
1) Man verzeihe folgende Bemerkung. Jeder ältere Autor steht auf seinen
früheren Arbeiten und kommt daher in die Lage, sich häufig zu citiren. Dies
kann zuviel, aber auch zu wenig geschehen. Für den Nacharbeiter ist Ersteres
dann angenehm, wenn es ziffermässig genau geschieht, weil man in einer
Schrift alle Nachweise des betrefienden Autors gewinnen kann. Häufig habe
ich in Arbeiten, die mir gut bekannt waren, fast stundenlang blättern müssen,
um einen Ausspruch zu finden, auf den von dem Autor anderweit aufmerksam
gemacht war, so citirt sich z. B. BiıscHorr selten genau. Für Niemanden
ist es leichter, die Seitenzahl zu finden, wie für den Autor selbst, der häufig
doch seine Aussage selbst nachlesen muss, weil man dergleichen schliesslich
vergisst. Bei der gewaltigen Anhäufung unserer Literatur glaube ich der
Billigung meiner Collegen sicher zu sein, wenn ich daran erinnere, dass viele
ziffermässige Selbsteitate den Leser kaum belästigen, aber der wissenschaft-
lichen Arbeit helfen und daher dankbar aufzunehmen sind.
2) Ueber die Gliederung des Gehirns 8. 231. Verhandl. der naturforschenden
Gesellschaft in Basel 1869 (h 3).
und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 385
Wie man an den Fig. 48 und 47, sowie an den vorangehenden
Stadien erkennen kann, besteht das Rückenmark zuerst aus Zellen
von länglich-runder oder runder Gestalt, an denen bestenfalls eine
radiäre Anordnung erkannt werden kann. Der Dicke nach liegen
3 bis 4 Zellen übereinander. Die Verfolgung der Entwicklung bis
zu diesem Stadium ergiebt, dass zuerst die Zellen der Medullarplatte
nur eylindrisch sind, jedoch, Fig. 89, auch schon eine Verdoppelung
der Zellen ihrer Dicke nach oder mindestens eine Verdoppelung des
Kerns eintreten kann. In den Stadien, Fig. 38 und 39, ist die Zellen-
reihe jedenfalls schon doppelt, aber bei genauerer Untersuchung be-
merkt man, dass die Zellen alternirend stehen und sich konisch
zuspitzen, so dass die Spitzen bis zur inneren resp. äusseren Fläche
vorspringen. Darauf entstehen spindelförmige Elemente in der mitt-
leren Lage des Marks, welche nach beiden Seiten hin Ausläufer senden.
Sobald diese auftreten, wird es schon zweifelhaft, ob man drei oder
vier Zellenlagen zu unterscheiden habe, denn die Elemente werden,
wahrscheinlich in Folge von Theilungen, sehr verschieden gross und
füllen mit ihren Körpern bald zu vieren, bald zu dreien die Dicke
des Markes. Dazu kommt, dass die Zellen nicht selten eine rundliche
oder den Ganglien ähnliche Form annehmen. Ich halte die Spindel-
form für das normalere, da das Mark bei rundlichen Zellen immer
etwas gelockert, nicht so gut erhärtet zu sein scheint.!) Die Gestal-
ten fasse ich auf als Zellen mit kleinem Körper, der von dem Kern
fast ausgefüllt wird, so dass man häufig von ersterem in diesen Perio-
den wenig wahrnimmt. Weitere Stadien geben die Five. 53 A und B
und Fig. 54, in welchen die Zellen des Markes drei- bis vierfach ge-
schichtet liegen, obgleich der betreffende Embryo um fast 24 Stunden
älter geworden ist. Von einem eigentlichen Epithel des Centralkanals
kann auch hier noch nicht gesprochen werden, obgleich die Zellen in
dem der vorderen Commissur benachbarten älteren Theil des Markes
schon etwas mehr cylindrisch werden und mehr Körper bekommen.
Beim Zerzupfen, Fig. 53B, zeigen sich feine, ziemlich lange Fäden b,
die für Nerven zu halten sind und ausserdem etwas fussförmig ge-
staltete Fortsätze a, die Radiärfasern. Die Nerven gehen seitlich
von diesen Zellen bisweilen auch von den Fasern ab, da man sie
jedoch ohne Zerzupfung nicht erkennt, lässt sich nichts Genaueres
über ihr Verhalten sagen. Von Längssträngen sehe ich in dieser Zeit
zwar nichts, aber ich halte es für, mindestens gesagt, sehr möglich,
1) Dies gilt also für Fig. 47 u. 48, macht aber die Figuren für die Structur
des Markes instructiv.
386 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung
dass ich etwa schon vorhandene Spuren derselben übersehen habe oder
nur nicht erkennen konnte.
Die Figuren der Tafel werden nunmehr durch eine Lücke von
etwa 20 Stunden unterbrochen. Mir liegen jedoch zwei Zeichnungen
aus dieser Periode vor, denen Folgendes zu entnehmen ist. Die An-
zahl der Zellenstrata steigt auf 7 bis 8. Dieselben füllen die, von der
Membr. prima und aufgelagerten Zellen umgebene, Medullarhöhle voll-
ständig aus, man bemerkt jedoch, dass in der Gegend der späteren
vorderen Commissur die Zellen sich etwas von der Hülle abgezogen
haben (lockerer anlagen!), hier erkennt man, dass sie mit einem eylin-
drischen Zellenkörper an die freigewordene Fläche sich anlegten. Das
zweite einem Schaafsembryo entnommene Object zeigt, dass sich die
Zellen genannter Region besonders stark mit Karmin färben und so
eine Zone bilden, welche noch etwas über den Bereich der vorderen
Bucht des Centralkanals, dessen Form fast gleich derjenigen in Fig. 55
ist, hinübergreif. An den Seiten der Basis dieser Zone bleibt ein
hellerer Raum, mit welchem die erste Spur eines Längsstranges auf-
zutreten scheint. Die Dicke des Epithels des Centralkanals ist vorn
an den Seiten des Centralkanals gering geworden und umfasst nur
4 bis 5 Zellenschichten, weiter nach hinten wächst die Dicke all-
mählig und umfasst schliesslich wieder gegen 8 Zellschichten. Dabei
behält das Rückenmark noch einen ovalen Querschnitt, doch nähert
sich die Gestalt schon etwas dem Ovoid, da das Oval vorne etwas
breiter ist wie hinten. Nach dem Gesagten muss sich im vorderen
Theil des Markes eine neue Substanz ausgeschieden haben, um den
Raum, welcher durch die Verschmälerung des Epithelstratums frei
geworden ist, auszufüllen. In der That wird vorn seitlich bis nahezu
zur Mitte, eine neugebildete, etwas durchsichtigere zellenreiche Masse
gefunden, welche als Umwandlung der äusseren Epithelzellen des Central-
kanals zu deuten ist und die wir als graue Substanz ansprechen dürfen.
Das Spinalganglion ist an diesem Schnitt sehr gross, liegt aber
dem Mark noch eng an. Die vorderen Wurzeln entspringen auffallend
weit nach hinten und zwar etwas unterhalb einer Linie, welche das
Mark in einen sensiblen hinteren und motorischen vorderen Theil.
trennen würde. Dies Verhalten ist mir sehr auffallend und füge ich
daher noch als Charaktere des Schnittes hinzu, dass die Urnieren stark
in den Peritonealraum vorspringen, Geschlechtsdrüsen nicht zu erken-
nen sind und die Urwirbel z.Thl. von der Membrana reuniens superior
überwachsen sind, z. Thl. aber noch unmittelbar die Epidermis be-
rühren. Die Aorta ist schon einfach, das Lumen des geschlossenen
Darmkanals ein sehr enges.
und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 387
In einem folgenden Stadium, Fig. 55, nimmt der Querschnitt des
Markes eine vierlappige Beschaffenheit an, während der Centralkanal
seine Form kaum ändert; nur nähert er sich stark der hinteren Ober-
fläche des Markes. Dieses selbst hat den rein epithelialen Charakter
noch mehr eingebüsst. Allerdings besteht noch die Hauptmasse des
Markes bis zum Lumen des Centralkanals hin aus einer als rein epi-
thelial aufzufassenden Zellenmasse. Allerdings gehen von den Zellen
dieser Schicht Fortsätze in Form von Radiärfasern durch das ganze
Mark und inseriren sich mit schon ein wenig verbreiterter Basis (die
hier wie an der Retina später eine complieirtere Form annimmt) an
der Membrana prima, aber zwischen diesen Fasern sind jetzt fast
überall Zellen entstanden, die sich ziemlich unregelmässig lagern und
von denen nicht gesagt werden kann, dass sie mit dem einen Ende
an die innere, mit dem anderen an die äussere Fläche direct an-
stossen.
An diesen Zellen erkennt man zahlreiche Ausläufer, welche fast
nach allen Richtungen gehen, sie zerfallen aber doch schon, je nach
Lage und vorwiegender Richtung der. Ausläufer, in zwei Gruppen.
Die eine, dem Epithel dicht anliegend, in Fig. 55 leicht zu erkennen,
besteht aus einer Lage von ein bis zwei Zellen und sendet die Fasern
vorwiegend in kreisförmiger Richtung um den Querschnitt des Marks.
Da diese Lage vorn durch die vordere Commissur und hinten durch
die flache Epithelbrücke des Centralkanals unterbrochen wird, will
ich sie als „halbkreisförmiges Stratum“ bezeichnen.
Nach aussen von dieser Lage folgen unregelmässig gelagerte Zel-
len, welche den äussersten Theil der grauen Substanz ausmachen.
Diese Masse bildet stärkere Anhäufungen um die Eintrittsstelle der
vorderen und hinteren Wurzeln, während sie in der Mitte zwischen
beiden nur schwach entwickelt ist.
Nach aussen wird sie umhüllt von den Vorder- und Seiten-
Strängen, welche in diesem Präparat bereits ausgedehnter zur Beob-
achtung kommen, Fig. 55 v. C., und sich als ein schmaler Saum des
Marks darstellen. Die Vergrösserung ist zu schwach, um die Structur
an der Figur demonstriren zu können.
Ein darauf folgendes Stadium zeist Fig. 56. Hier sind dem An-
schein nach bedeutende Veränderungen aufgetreten, jedoch in Wirk-
lichkeit ist des Neuen nicht viel, auch macht die stärkere Vergrösse-
rung die Figur fremdartiger. Das Epithel des Centralkanals scheint
eine Schicht verloren zu haben, ist im Uebrigen aber ähnlich gebaut
wie früher, nur hat es sich am Schlussstück des Marks entschieden
verdickt. Das halbkreisförmige Stratum ist mächtiger geworden und
Zeitschrift f. Anatomie. Bd. I. 96
388 V. Hessen. Beobachtungen über die Befruchtung
erstreckt sich namentlich massig in die Gegend zwischen vorderer
und hinterer Wurzel hinein. Es hat sich, wie es scheint, die nicht
hierher gehörige Masse am vorigen Schnitt dieser Form accommodirt
und ist darin aufgegangen, so dass jetzt dies Stratum als die eigent-
liche graue Masse des Markes imponirt. Man könnte sogar glauben,
dass auch der ovale, etwas diehtere Zellenhaufen, welcher jetzt noch
das Vorderhorn repräsentirt, auch zu diesem Stratum gehöre, jedoch
in etwas älteren Stadien, Fig. 78, scheidet sich das halbkreisförmige
Stratum h. k. recht scharf und präparirbar von dem Vorderhorn ab.
Man muss daher den ovalen grossen Zellenhaufen, in den die vorderen
Wurzeln v. eintreten, doch als etwas besonderes, als das Folgestadium
des äusseren Zellenlagers der vorigen Figur, gelten lassen. Der ganze
vordere Theil hat an Volumen zugenommen, dagegen ist das Rücken-
mark hinten auffallend im Wachsthum zurückgeblieben.
Die zellige Masse, in welche hinein früher, Fig. 55, die hinteren
Wurzeln traten, hät sich in einen Längsstrang verwandelt; fast
alle Zellen darin sind verschwunden, und nur bei c finden sich noch
einige (gefärbte) Reste derselben vor. Der Strang besteht aus relativ
groben Fasern; ich habe nicht verfolgen können, was aus ihm wird, °
doch halte ich für wahrscheinlich, dass die in oder vor der Substantia
gelatinosa Rolando longitudinal verlaufenden feinen Nervenfasermassen
daraus werden. Hinter diesem Strang bei k. (k) legt sich noch wieder
ein Längsstrang an, der je nach Entscheidung vorerwähnter a als
Hinter- oder als Keil-Strang zu deuten ist.
Die Figur ist in Bezug auf das feinere Detail mit besonderer
Meisterschaft von Herren WITTMAAK ausgeführt worden, so dass ich
mir keine genauere Copie wünschen konnte Man sieht ganz gut
das Verhalten der Radiärfasern zu dem Epithel und verfolgt erstere
so vollständig durch das Präparat, wie nur von einem Schnitt ver-
langt werden kann. Man sieht ferner, dass zwischen den Zellen der
grauen Substanz sich Netze mit fast quadratischen Maschen bilden,
wodurch ein so ausgedehntes Flechtwerk von Zellenausläufern und
Fasern entsteht, dass mittelbar fast jede Zelle mit der anderen ver-
bunden ist. Es scheint mir kein Grund vorhanden, auch nur eins
von allen vorliegenden Elementen, seien es die runden, seien es die
spärlich vorliegenden ovalen Körper, seien es die Zellen des Central-
kanals, für nicht nervös zu erklären. Später mögen einige derselben
aus der Verbindung treten, zur Zeit communieirt Alles, und wenn
denn doch von einem Ende gesprochen werden soll, so sind dies,
wie ich schon früher betonte (a 3), die Epithelzellen des Central-
kanals.
und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 389
Alle Kerne, welche man sieht, scheinen von einem dicht anlie-
senden Zellkörper umgeben zu sein. Für die Kerne am Centralkanal
ist dies sicher (Fig. 60, 90), von den übrigen Kernen gehen so zahl-
reiche Ausläufer ab (vergl. auch Fig. 98ab), dass man dadurch
schon darauf geführt wird, es müsse um den Kern eine Zellsubstanz
Jiegen. Die genauere Analyse bestätigt diese Voraussetzung. Dennoch
könnte man daran festhalten wollen, es habe ein grosser Theil des
Zellenleibes sich aufgelöst und bilde die Grundsubstanz zwischen den
Fasern. Dass die zwischen den Fasern befindliche Substanz einen
besonderen chemischen Charakter habe, etwas Besonderes sei, bin ich
zu bestreiten nicht in der Lage. Dass sie jedoch von Zellenauflösung
abzuleiten sei, bezweifle ich deshalb, weil dieselbe Masse auch zwischen
den Längssträngen und der vorderen Commissur vorkommt, in diesen
aber, namentlich in letzterer, von einer Zellenauflösung die Rede nicht
sein kann. |
Die Vorderstränge sind genügend entwickelt, um ihre Structur
genauer studiren zu können. Man findet, dass dieselben weit mehr
den Eindruck eines Reticulums machen, wie den von durchschnit-
tenen Axencylindern.. Man sieht jedoch Durchschnitte feiner rund-
licher Fasern in diesem Reticulum; namentlich deutlich weiter nach
hinten, aber diese Fasern liegen, wo die Copie gut gelungen ist, in
den Knotenpunkten des Netzwerks. Diesem eigenthümlichen
Verhalten habe ich meine volle Aufmerksamkeit zugewandt und bin,
namentlich unter zu Hülfenahme des Studiums der vorderen Com-
missur, wo an etwas Jjüngerem Rückenmark das Reticulum sehr
deutlich ist, zu folgendem Ergebniss gelangt.
Die Radiärfasern sind unter einander durch Fasern (welche ich
von unvollkommenen Theilungen ableite) verbunden und sobald das
Epithel des Centralkanals unter Bildung grauer Substanz von der
Membrana prima zurückweicht, treten sie an der freien Oberfläche
isolirt hervor. Dann bilden sie in der Form eines körperlichen Netz-
werkes von allerdings nur wenig Lagen, an den betreffenden Stellen
eine Hülle um das Mark. Man stellt sich deren Verhalten am Besten
vor, wenn man sich das Mark durch ein Paar Lagen von Drathgittern
eingehüllt denkt, die etwa um Maschenbreite von einander abstehen
und deren Knotenpunkte von den Radiärfasern durchsetzt werden.
Dies Netzwerk nimmt an Zahl der Lagen allmählig zu und zwar,
wie mir scheint, in zweierlei Weise.
An der vorderen Commissur bleiben die Epithelzellen lange Zeit
in constanter Schichtung und Dicke, während die Faserlagen hier er-
heblich zunehmen. Ich habe bemerkt, dass in früher Zeit, vor dem
26*
390 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung
Stad. Fig. 55, die Zellen hier seitwärts proliferiren, d. h. sich etwa
so verhalten wie die Zellen hinten am Schlussstück in Fig. 56. Da-
‚durch entstehen einige der Zellen der halbkreisförmigen Lage, und
während diese sich vermehren, vermehren sich gleichfalls die
Faserlagen in der vorderen Commissur. Ich glaube daher, es handle
sich bei letzterem Process um eine Theilung der Commissurenfasern,
die rasch das Reticulum verschwinden machen; nur die Radiärfasern
bleiben deutlich.
Andererseits kann ich nicht leugnen, dass mir die Vorderstränge
durch Rareficirung und Schwund der Zellen der benachbarten grauen
Substanz zuzunehmen scheinen. Betrachtet man letztere Substanz
rechts von dem Gefäss, Fig. 56g, so wird man kaum eine scharfe
Grenze zwischen Längsstrang und grauer Substanz finden und braucht
sich die Zellen nur fort zu denken, um die Grenze völlig zu ver-
wischen. In späteren Stadien treten die Nervendurchschnitte (meist
in Form von Faserbündeln) deutlicher und isolirter hervor. Die Quer-
verbindungen treten zurück, wachsen entweder nicht weiter oder atro-
phiren.
Auf diese Weise hat sich mir eine Schwierigkeit, welche anfangs
unübersteiglich schien, gelöst; wie es nämlich möglich sei, dass durch
die zellenlosen, anfangs dem Anschein nach fehlenden Längsstränge
die Anfangstheile des Markes mit den Endtheilen so in Communica-
tion bleiben könnten, dass ein nachträgliches sich Suchen und Finden
der Ganglienausläufer nicht nothwendig sei. Meiner Ansicht nach ist
also atıch hier eine Communication und zwar eine sehr allseitige
Communication der Zellen da, und diese wird erst später in den ein-
zelnen Linien je nach Bedarf stark entwickelt oder gelöst und durch
Atrophie zerstört.
In ähnlicher Weise geht, soviel ich gesehen habe, der Nervus
opticus aus den Zellen, welche ursprünglich diesen Strang bilden,
‚hervor.
Die Beobachtungen, auf welche ich mich stütze, führen an die
Grenze des optischen Vermögens der Mikroskope und bedürfen ausser-
dem eines weiteren Ausbaues. Ich gebe sie als dasjenige, was ich
für die grösste Annäherung an die Wahrheit halte, bin aber alt
genug, um sine ira einzusehen, dass Fehler werden aufgefunden werden
und dass überhaupt die Aufnahme meiner Ansicht geringe Wahr-
scheinlichkeit hat.
. Ein etwas späteres Stadium liest in Fig. 78 vor. Dasselbe ward
nach der schönen Methode von Hıs behufs Untersuchung der Struetur
ausgepinselt. So leicht wie die Lymphkörperchen lösen sich nun
und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 391
freilich die Zellen des Rückenmarkes nicht, sondern es reisst jede
Zelle eine Masse Ausläufer mit heraus. Jedoch auch hier bewährt
sich die Methode insofern, als man manches sehr instructive Präparat,
jedoch in nur kleiner Ausdehnung, gewinnen kann.
In dem vorliegend gezeichneten Präparat war ich ein wenig über
das richtige Maass hinaus gegangen, denn die Verbindung der Wur-
zeln mit den Zellen des Centralkanals lag fast frei vor, zerriss dann
beim letzten Pinselstrich. Immerhin kann man gut die Ausstrahlung
der Wurzeln in sehr feine Fädchen verfolgen. Ferner ist bei b eins
der halbkreisförmig verlaufenden Faserbündel ziemlich frei gelegt und
bei a erkennt man eine Anzahl feinster Zellenausläufer. Ich halte
dies Alles für nervös. :
Fig. 57 giebt bei schwacher, 58A u. B bei starker Vergrösserung
ein Bild von Längsschnitten aus dem Mark eines Rindsembryo mit
so weit vorgeschrittener Gesichtsbildung, dass die Thränenfurche deutlich
erkennbar, aber noch offen war. Dasselbe ist, wie namentlich das Aus-
sehen der Längsstränge ergab, weiter entwickelt, wie die vorhergehenden
Präparate. An diesen Schnitten, die an der hinteren Grenze der vor-
deren Wurzel das Mark trafen, sieht man die verschiedenen Schichten
des Markes schlecht. In dickeren Schnitten dagegen erkennt man,
wie ich an einer nicht beigefügten Zeichnung sehe, ganz wohl das
halbkreisförmige Stratum und ferner eine helle Grenzlinie mitten im
Epithel des Centralkanals. Diese Linie entspricht der Lage derjenigen
Gefässe, welche in Fig. 55 u. 56 in jenem Stratum liegen. Auch in
dem Mark, Fig. 57, finden sich an dieser Stelle (jedoch nicht in den
Figuren der Tafel) Gefässe. Hier werden besondere Structurverhält-
nisse vorhanden sein, doch habe ich das Nähere nicht ergründet.
An dem Schnitt, Fig. 57 u. 58A, sieht man recht schön, dass
die Zellen des Centralkanals sich noch ebenso verhalten, wie dies für
das weit jüngere Rückenmark, Fig. 53, geschildert ist. Jede Zelle
erreicht die freie Fläche, aber oft mit nur ganz dünnem Fortsatz.
Ferner erkennt man, dass die Radiärfasern gleichsam das Centrum
von Zellensäulen bilden, also ein Verhalten, wie es seit langem an
der Retina beobachtet worden ist.
Diese Fasern liessen sich vortrefflich isoliren. Die Fig. 60 giebt
eine Zelle des Centralkanals mit einer solchen Faser als Verlängerung;
sie wurde mit dem Pinsel frei gelegt. Die Breite des Markes
bis zum Längsstrang betrug 0,396 mm., die ganze Länge der Faser
0,37 mm., es ist also nicht gelungen, die Faser auch nur bis zum
Längsstrang zu verfolgen, aber da man in diesem unzweifelhaft Radiär-
fasern erkennt, da ferner an der vorderen Commissur die Radiärfasern
3923 V. Hrnsen. Beobachtungen über die Befruchtung
unzweifelhaft die ganze Dicke durchsetzen, kann, glaube ich, mein
Befund doch genügen, um zu erweisen, dass in dieser Periode die
Zellen des Centralkanals noch mit Radiärfasern sich bis
zur Wand der Pia erstrecken. Ich kann nicht angeben, ob
es mir gelungen ist, von aussen her eben so lange Stücke zu isoliren;
es kam mir damals auf den Zusammenhang der Faser mit einer Zelle
des Centralkanals an.
REISSNER!) ist meines Wissens der erste gewesen, welcher die
Radiärfasern im Mark erwachsener Thiere deutlich erkannt hat, doch
geht er nicht näher auf dieselben ein. Sie sind seit dieser Zeit häu-
figer dargestellt worden, aber doch nicht näher gewürdigt. Ich ent-
nehme aus ihrem Verhalten den wichtigsten Beweis dafür, dass das
Mark seinen epithelialen Charakter bewahre. Allerdings ken-
nen wir kein anderes Epithel von auch nur annähernd ähnlicher Com-
plication; das Epithel der Schnecke enthält zwar Nervenplexus, ist
aber kaum stellenweise doppelschichtig, die Retina der Cephalopoden
ist so durchwachsen vom Bindegewebe, dass die Reduction auf epithe-
lialen Bau nicht sicher. geschehen kann, aber vielleicht gelingt es
noch, die nothwendige phylogenetische Entwicklungsreihe klar zu legen.
Jedenfalls, glaube ich, wird durch die Entwicklungsgeschichte die
Auffassung des Markes als Epithel sehr nahe gelegt.
Die Frage nach der Bedeutung der Radiärfasern ist sehr schwer
zu beantworten. Beim jungen Mark gehen von ihnen Zellen und
Fasern, Fig. 90, ab, die man doch wohl für nervös halten muss. Ich
glaube, dass Zelle und Radiärfaser als Generatoren von Nerven-
masse aufzufassen sind. i
In Bezug auf die Erzeugung der Nerven in den Längssträngen
beobachtet man an Fig. 58B, dass die Bündel sich aus Fäserchen
zusammensetzen, welche aus dem Mark entstammen. Die etwas wellen-
förmig verlaufenden Bündel ist man geneigt als nackte Axencylinder
aufzufassen, in denen noch die einzelnen Fibrillen zu erkennen seien.
Untersucht man jedoch genauer, so findet sich ein solches Gewirr
von Fäserchen, Faserbröckeln und Körnchen, dass man nicht vorwärts
kommen kann. Es erinnert mich dies Verhalten an die Nervenstämme
von Mollusken; auch hier giebt die genauere Analyse höchst unbe-
friedigenden Erfolg. Man beruhigt sich dabei, dass doch wohl die
Fibrillen continuirlich seien und so verlaufen müssten, wie bei den
höheren Thieren, aber den objectiven Beweis dafür findet man nicht!
l) Der Bau des centralen Nervensystems der ungeschwänzten Batrachier.
1864. (i 3).
und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 393
Nur noch drei Punkte habe ich zu besprechen. Die Entstehung
der hinteren Commissur fällt in ziemlich späte Zeit. Das Schluss-
stück des Centralkanals verdickt sich erheblich, aber beide Seiten blei-
ben durch eine Raphe, welche durch die gegeneinander gelegten End-
flächen der Epithelien des Centralkanals gebildet wird, scharf getrennt.
Allmählig, wenn die Hinterstränge schon massig geworden sind, ver-
streicht die Raphe und damit tritt die hintere Verbindung der Seiten-
theile ein. Die Frage war, wie diese Verwischung zustande komme.
Es hat mir den Eindruck gemacht, als wenn die Epithelzellen sich
durcheinander schöben, also von der linken Seite nach der rech-
ten und vice versa hinüber wüchsen. Leider habe ich keine recht
klaren Präparate davon gehabt, so dass die Zeichnung unterblieb.
Die Ganglienzellen entstehen in viel späterer Zeit als diejenige
ist, welche meine Zeichnungen repräsentiren. Ich halte es für ver-
kehrt, sich so auszudrücken, als wenn in früherer Zeit schon einige
Zellen des Markes als Ganglienzellen anzusprechen seien. Sobald näm-
lich eine der grossen Ganglienzellen entsteht, hebt sie sich in Folge
ihrer eigenartigen Lichtbrechung mit überraschender Deutlichkeit aus
den übrigen Zellen hervor, es ist dabei nicht nöthig, dass ihre Grösse
von diesen verschieden sei. Da es dieser eigenthümliche Habitus ist,
an dem wir überhaupt die Ganglienzellen erkennen, so scheint es ein
richtiger Ausdruck, wenn wir sagen: im Anfang finden sich im Mark
nur Nervenkörperchen, aber noch keine Ganglienzellen.
Wenn ich stets vom Epithel des Centralkanals gesprochen habe,
so beruhte dies auf der Annahme, dass die innersten Zellen der be-
treffenden Lage zu dem Epithel werden, es wäre aber möglich, dass
jenes eine secundäre Bildung weit späterer Zeit sei. Direct habe
ich mich nicht von dem Sachverhalt unterrichtet.
Früher (a. 3. S. 424)!) habe ich mich dahin ausgesprochen, dass
eine grosse Aehnlichkeit in der Schichtenbildung zwischen Rücken-
mark und Retina bestehe, jedoch weitere Studien haben mir gezeigt,
dass die Durchführung des Vergleichs die Objectivität der Auffassung
stört und keinen Vortheil bietet, so dass ich diese Ansicht fallen
lassen musste.
Es war mir nicht möglich, die Entwicklung des Sympathicus auf-
zufinden. Die erste sichere Spur desselben fand ich Fig. 55 bei d
in der Form zerstreuter, besonders sich tingirender Zellen im Ramus
1) Auf Zeile 3 von unten muss es dort heissen „äussere“ Körnerschicht statt
„innere“,
394 V. HENsEn. Beobachtungen über die Befruchtung
communicans. Von dieser Zeit an werden die Zellen dichter und leichter
zu erkennen.
Am Schwanz der Froschlarve habe ich) unter der Chorda zwei
eigenthümliche, sehr fest eingewebte Zellen gefunden, von denen ich
bemerke, dass sie, nach späteren Stadien zu schliessen, kaum etwas
anderes wie der Sympathicus sein können. Leider erinnere ich mich
der bezüglichen „späteren Stadien“ nicht mehr. Später hat GÖTTE die
Zellen, die er freilich nur als einfach zeichnet, wieder gefunden (u
S. 270) und die sehr interessante Entdeckung gemacht, dass sie sich
als „Axenstrang“ vom Darmdrüsenblatt abschnüren, doch blieb ihm
die Bedeutung derselben unklar, S. 775. Da er nun auch nicht die
erste Entstehung des Sympathicus belauschen konnte, so möchte ich
immerhin an der Ansicht, dass jene Zellen dem sympathischen Nerven-
system angehören könnten, noch festhalten.
Am Schlusse dieser Beschreibung angelangt, habe ich hervorzu-
heben, dass diese Untersuchung auf den Schultern derjenigen von
BIDDER und KUPFFER (zZ 2) steht. Jene brachten so wesentliche För-
derungen für die Entwicklungsgeschichte des Rückenmarkes, dass dem
Nachfolger dadurch eine werthvolle Basis gesichert ward. Allerdings
habe ich neben der Bestätigung des Verhaltens der vorderen Commissur
und des isolirten zellenfreien Auftretens der Vorderstränge wesentlich
Abweichendes gefunden, wie die eigenthümliche Bildungsweise eines
bestimmten Theiles der Hinterstränge, die Entstehung der Spinal-
ganglien u. s. w. Ich möchte jedoch bei dieser Gelegenheit darauf
hindeuten, wodurch der Nachuntersucher im Vortheil ist. Nicht nur
braucht er bei den einfacheren Erscheinungen, welche den Vorgänger
fesselten, nicht zu verweilen, sondern er hat für die Güte seiner Prä-
parate einen genauen Maasstab, der ihm sehr hülfreich ist. So z. B.
fand KUPFFER eine Chromkalilösung von 8 bis 9°/, nützlich, während
ich nicht über 2!/, °/, hinausging und selbst dann noch manchen
Embryo, der mir wohl äusserst brauchbar erschienen wäre, wenn ich
mit der Untersuchung den Anfang gemacht hätte, verwarf. Im Gan-
zen ist bei diesen Untersuchungen die Masse dessen, was zu bewäl-
tigen ist, erdrückend, und so mögen denn noch viele Forscher hier
reiche Ernte finden.
KuPrFFEr lest Gewicht auf die Form des Centralkanals; ich habe
dieselbe ziemlich wechselnd gefunden, halte jedoch, ohne mich mit
voller Sicherheit aussprechen zu wollen, die von mir gezeichnete für
l) Ueber die Nerven im Schwanz der: Froschlarve. Archiv f. mikroskop.
Anatomie Bd. IV, S. 118 (k 3).
und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 395
normal. Er begrenzt die Epithelschicht des Centralkanals viel enger,
als ich. Bereits gab ich an, dass in der That, dieser Abgrenzung
etwa entsprechend, eine Scheidung gehe, es mag also sein, dass diese
an seinen Präparaten besonders deutlich hervortrat.
An dieser Stelle möchte ich noch hinsichtlich der Beobachtung
Kuprrer’s !), dass sich in Knochenfischen der Öentralkanal nicht als
offene Rinne bildet, welche Beobachtung ich an seinen Objecten
nicht anders deuten konnte als er, Folgendes sagen. Der Befund ist
phylogenetisch meiner Auffassung des Markes als Epithel nicht günstig,
jedoch einerseits ist die histiologische Entwicklung des Fischrücken-
markes noch nicht gemacht, andererseits sind die Befunde am Säuge-
thiermark doch für sich ausreichend beweisend.
Sehr gerne hätte ich aus dem grossen und fleissigen Werk GörTE's
über die Unke für die Entwicklung des Markes Nutzen gezogen, aber
da ich ziemlich strenge der alten, sich an die Phytotomie anlehenden,
Zellenlehre anhänge und damit stets auskomme, bin ich nicht in der
Lage, mich mit Görre’s Befunden zu befreunden. Diejenigen, welche
sich noch jener Lehre erinnern, werden mich verstehen, wenn sie fol-
sendes Citat lesen. GÖTTE schreibt (u S. 531): Noch kühner ist die
Hypothese HEnsEn’s; doch finde ich mich nicht bemüssigt, diese Dar-
stellungen, welche an die Stelle leicht anzustellender Beobachtungen
zum Theil rein willkürliche Vorstellungen setzen, anders als durch
einen Hinweis auf meine Beobachtungen zu widerlegen. Aus diesen
geht hervor, dass die Nervenfasern sowohl in den Centralorganen, wie
in den peripherischen Verzweigungen aus einer von verschmol-
zenen und aufgelösten Embryonalzellen hergestellten Bildungs-
masse sich entwickeln; dass insbesondere die Nervenstränge theils in
selbständiger morphologischer Anlage, theils durch Anfügung und An-
passung einzelner Theile des interstitiellen Bindegewebes an die erste-
ren entstehen u. s. w.
Leider muss ich sagen, dass GÖTTE in Bezug auf die „leicht anzu-
stellenden Beobachtungen“ wenigstens meine Fähigkeiten überschätzt.
Ich habe mich, wie u. A. k 3, Fig. 1 u. 2 ergeben, mit den frag-
lichen Verhältnissen beschäftigt, bin aber nicht weit gekommen und
habe einsehen gelernt, dass die Amphibien wegen der massenhaften
Dotterkörner ein vorzugsweise ungeeignetes Object für das histiogene-
tische Studium sind. Ich -hoffe nur, dass GÖTTE die eigenen Kräfte
nicht auch überschätzt habe! ö
l) Beobachtungen über die Entwicklung der Knochenfische. Archiv f. mi-
kroskop. Anatomie Bd. 4. S. 250 (13).
396 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung
Seine Abbildungen vom Schwanze halte ich mit Ausnahme der
Endigungsform des Rückenmarks, Fig. 213, für naturgetreu, aber unsere
Auffassung ist sehr verschieden. So sagt er (u S. 516): Für die ausser-
ordentlich reiche netzförmige Endverzweigung der Schwanznerven oder
mit anderen Worten für ihre Zusammensetzung aus stark verästelten
Sternzellen verweise ich bloss auf Fig. 220. Die Differenz in unserer
Auffassung dieser, einer älteren Larve entnommenen Figur ist charak-
teristischh Meiner Ansicht nach ist nämlich die Nervenverzweigung
sehr arm. Es sind drei Aeste da, von denen einer anastomosirt, und
im Ganzen sieben Endäste. Einer dieser sieben Aeste hört an einer
Bindegewebszelle auf, mit einem zweiten verläuft eine Strecke weit
ein Zellenausläufer. Da alle anderen z. Thl. weit feineren Nerven
frei weiter laufen, trotzdem sie Bindegewebszellen kreuzen, nehme
ich an, dass auch der siebente frei weiter laufe und dies Verhalten
nur durch den grossen Leib der unterliegenden Zelle unsichtbar
gemacht sei. GÖTTE dagegen hält sich nur an diesen einen Fall
des scheinbaren Endes, und nicht nur dies, sondern es werden
ihm dadurch auch alle anderen Verzweigungen der neun daneben
liegenden Zellen zu Nervenzweigen und so erhält er das ausserordent-
lich reiche Netz! Ihm sowohl wie anderen Beobachtern gegenüber
halte ich an der Richtigkeit meiner betreffenden Schilderungen fest.
In Bezug auf manche Details der Entwicklung des Kaninchens
darf ich auf die Figurenerklärung verweisen.
III. Die Entwicklung des Meerschweinchens.
Keinen Vorgang im gesammten Gebiet der Entwicklungsgeschichte
halte ich für so sehr der Erforschung würdig, wie die ersten Stadien
des Meerschweinchens. Nirgends häufen sich nämlich Details,
welche allem Herkömmlichen Hohn sprechen, alle Deduec-
tionen, die man aus der Gleichmässigkeit der fundamen-
talen Vorgänge der Entwicklung, im UTebrigen mit Recht,
herleiten möchte, durchlöchern und zerreissen, so sehr,
wie hier.
Die Anzahl der Versuche, welche gemacht worden sind, um auf
diesem Gebiete vorzudringen, entsprechen zwar dem Gewicht des er-
wähnten Sachverhaltes nicht, denn es sind neben einigen Vorstudien
nur drei Arbeiten auf diesem Felde gemacht worden, jedoch da man
die Thatsache der Blätterumkehr und aller daran sich knüpfenden
Consequenzen unweigerlich wird zugeben müssen, ändert die ge-
ringe Zahl der Arbeiten an dem Gewicht der Thatsachen nichts.
und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 397
Die Anschauungen, zu welchen BISCHOFF in seiner ersten, trotz
‚mancher Irrthümer unzweifelhaft sehr verdienstlichen Arbeit (b) ge-
langte, gebe ich mit den hin und wieder betonten Worten seines Resume&s.
Am 4. und 5.. Tage setzt sich der Theilungsprocess des Dotters
im Uterus noch etwas fort, dann aber vereinigen sich sämmtliche
Dotterkugeln wieder zu einer homogenen Masse.
Am 5. und 6. Tage löset sich die Dotterhaut auf und die noch
unentwickelte Dottermasse gelangt in einen Drüsenschlauch oder in
einen neugebildeten kleinen Divertikel des Epitheliums des Uterus,
verschmilzt mit demselben und entwickelt sich hier unter Zellen-
bildung zu der Keimblase.!)
Vom 6. und 7. Tage an wird diese Keimblase von der sich an
Stelle ihrer Fixirung rasch verdickenden Uterinschleimhaut (nicht
- Epithel! H.) in der Form einer dicken weichen Kapsel als Decidua
umgeben, wobei die Höhle des Uterus an dieser Stelle schwindet, das
sich entwickelnde Ei aber in einer neu entstehenden Höhle einge-
schlossen wird.
In dieser Deciduakapsel liegt vom 7. bis 14. Tage das cylin-
drische, sich nun rasch vergrössernde Ei mit seinem nach der Mesen-
terialseite des Uterus hingerichteten Ende angewachsen und durch
Blutgefässe mit der Decidua verbunden. Sein anderes Ende ist frei,
und an diesem bildet sich der Fruchthof aus. Am 12. und 13. Tage
wird seine Gestalt allmälig rundlich.
Die Lehre v. Baer’s über die blättrige Bildung des Keimes
findet auch bei der Keimblase des Meerschweinchens ihre Bestätigung.
Allein es zeigt sich hier eine von allen bisher bekannten Thiereiern
verschiedene Anordnung dieser Blätter. Das vegetative Blatt ist
nämlich das äusserste der Eiblase; das animale bildet sich von
Anfang an als kleines, an dem freien, nicht angewachsenen Pole des
Eies gelegenes, geschlossenes Bläschen; das Gefässblatt liegt zwischen
beiden und entwickelt sich an der inneren Seite des vegetativen Blattes.
In Folge dieser Anordnung der Blätter des Keims hat der sich
bildende Embryo die gerade umgekehrte Lagerung in Beziehung auf
das Ei, wie andere Embryonen, er liest mit seinem Bauche (will sagen
Darmoberfläche. H.) nach aussen, mit dem Rücken nach innen gegen
die Eiblase hingewendet.
In Folge der uranfänglichen Bildung des animalen Blattes als
1) 8. 28 heisst es: Das befruchtete und entwicklungsfähige Dottermaterial
ertheilt gewissermassen einer Stelle des Uterus, mit der es sich verbindet, die
Fähigkeit, sich zu einem Ei und später Embryo auszubilden.
398 V. Hensen. - Beobachtungen über die Befruchtung
einer geschlossenen Blase ist ferner die Entstehung des Amnion bei
dem Meerschweinchen eine ganz andere, wie bei anderen Embryonen.
Die eine Hälfte dieser Blase wird nämlich Amnion, während sich in
der anderen der Körper des Embryo entwickelt.
BIsCHOFF schildert alsdann die weitere Entwicklung des Embryo,
die eigenthümliche Entstehung der Allantois u. s. w. Da ich in vor-
liegender Arbeit mich damit nicht beschäftige, habe ich darauf nicht
einzugehen, nur möchte ich hier erwähnen, dass das Meerschwein-
chen als weitere kleine Eigenthümlichkeit vor anderen Thieren sich
dadurch auszeichnet, dass ihm der Dottersack und was damit zu-
sammenhängt, gänzlich fehlt! BiscHorr fasst die Sache anders
auf, jedoch ist es unzweifelhaft, dass es so ist, wie ich sage.
In dem soeben gegebenen Citat finden sich keineswegs viele Irr-
thümer niedergelegt, jedoch BISCHOFF ist darin zu Hypothesen ge-
kommen, die in der damaligen Zeit — 1852 — sehr entschieden ver-
worfen wurden, und das schadete der ganzen Arbeit. Er eilte, wie
mir scheint, den neueren Theorien voraus, aber man hat, so viel ich
sehe, doch nie auf ihn Bezug genommen.
Mit Entschiedenheit wandte sich REICHERT (k) gegen BISCHOFF’S
Darstellung. Nachdem dieser Autor schon früher ähnliche Embryonal-
anlagen bei Ratten und Mäusen aufgefunden hatte, förderte er mit
dieser neuen Arbeit, namentlich durch seine scharfen, und mit Aus-
nahme der Details am Ei, naturtreuen Zeichnungen den Gegenstand
erheblich. Es bildet sich zu Folge seiner Beschreibung in der zwei-
ten Hälfte des 7. Tages eine Abkapselung des Eies, oder wie er es
störend nennt, eine Decidua reflexa für das Ei. Der Vorgang besteht
darin, dass an zwei 2 mm. von einander entfernten Stellen das Lumen
des Uterus sich stark verengt und dadurch zwischen diesen Stellen
ein besonderer Raum von der Uterushöhle sich abtrennt. Später soll
dann dieser Raum die Communication mit den anderen Theilen ganz
aufgeben. In diesem Raum liegt das Ei, doch glaubt REICHERT, dass
es vielleicht erst später hier hinein gelange, da er einmal (m. E. auf
Grund irrthümlicher Deutung) 2 Eier in dem weiter entwickelten
Theile getroffen habe. Das Epithel dieses Raumes ist Uterusepithel,
es lässt sich als selbständige Lage isoliren und haftet nur inniger an
dem, der festgewachsenen Uteruskante entsprechenden, Rande. Er be-
zeichnet den so isolirten, nur von dem Epithel gebildeten flachen
Raum als „epitheliale Kapsel“.!) Die Schleimhaut um dieselbe wuchert
l) Man sieht diese Kapsel Fig. 65, 66, 87, 88, und wird sich mit Hülfe der
Figurenerklärung leicht darüber orientiren.
und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 399
mächtig, jedoch dieser Process, der histiologisch recht interessant ist,
hat embryologisch sehr geringes Interesse, so dass wir nur auf die
Umänderungen der epithelialen Kapsel Rücksicht zu nehmen brauchen.
An dieser Kapsel unterscheidet REICHERT den Körper, die Basis und
den Zapfen, welche mit ihrem Epithel ununterbrochen ineinander über-
sehen sollen. Für den Zapfen, welcher das Ei enthält, wird eine Breite
von 0,1 bis 0,17 mm. eine Länge von 0,155 bis 1,15 mm. angegeben,
doch ist in der von R. gegebenen Figur von einer Vorragung des
Zapfens fast nichts zu sehen. REICHERT bestreitet die Angaben BI-
SCHOFF’S über die Lagerung des Eies in dieser Zeit, jedoch BiscHorr
weist ihm, m. E., mit vollständigem Recht, nach, dass er in Wirklich-
keit genau dasselbe beschreibt, was letzterer bereits in seiner ersten
Abhandlung darlegte.
REICHERT giebt aber ferner gegen BISCHOFF an, dass die Dotter-
zellen deutlich zu erkennen seien, jede enthalte noch unverwandelte
Dotterkörperchen. Das Ei messe 0,105 bis 0,115 mm. und sei ohne
Zona, die kleinsten Zellen desselben messen 0,0114 mm., die Kerne
0,005 mm. Auffallend ist, dass von nun an jede Maassangabe über
das Ei unterbleibt, sollte es REICHERT ganz entgangen sein, dass das
Ei im Zapfen nur 0,06 bis 0,07 mm. misst? Bei der weiteren Ent-
wicklung entsteht aus dem kurzen ein langer Hohlzapfen, in dessen
Spitze das Ei liest. Dasselbe wird vermittelst eines durchbroche-
nen Diaphragmas von der Höhlung des Hohlzapfens getrennt. Nach
unten setzt sich der Zapfenraum gegen den Hohlraum der ursprüng-
lichen Kapsel ab, es sei unklar, ob er noch damit communieire oder
nicht. Am 12. und 13. Tage lassen sich an dem Zapfen drei Ab-
schnitte unterscheiden, derjenige für das Ei, ein darauf folgender mitt-
lerer heller und zu unterst ein dritter, welcher doppelrandig ist und
als Napf bezeichnet wird. Der ursprüngliche Körper des ganzen ab-
sekapselten Raumes verschwinde entweder, wie dies schon BISCHOFF
angegeben, oder auch lege er sich als Falte in den unteren Raum des
Zapfens hinein. Die Schilderung des letzteren Vorganges habe ich
nicht verstehen können.
Das Ei stelle zunächst kein Bläschen, sondern eine solide Kugel
dar. Später wird die Kugel hohl und öffnet sich nach unten, "darauf
entwickelt sich die Umhüllungshaut. Ueber diese Verhältnisse han-
delt meine Arbeit nicht, so dass ich unterlassen darf, darüber weiter‘
zu referiren. |
BISCHOFF (p) widerruft S. 24 seine Angabe, dass das Ei die
Epithelröhre des Uterus ausstülpe oder in eine Drüse gerathe und
schliesst sich insofern der Darstellung R.'s an.
400 V. HEnsen. Beobachtungen über die Befruchtung
Im Uebrigen hält er an seiner Ansicht, dass der ganze Zapfen
Ei, d.h. die Keimblase sei, fest. REICHERT’S Ei, welches er demnach
als Dotterrest auffassen muss, fange am 10. Tage an sich im Inneren
aufzuhellen und zwar excentrisch, der nach dem Zapfen zugekehrten
Oberfläche näher. Bald sei hier nur noch eine feine Membran vor-
handen. Das durchbrochene Diaphragma REICHERT'S sei eine, wahr-
scheinlich durch Spirituswirkung hervorgebrachte Täuschung. (Auch
ich finde davon nichts.) Am 12. Tage wachse eine feine Membran
von dem Bläschen aus an den Wänden des Zapfens hinunter, dies sei
das mittlere Keimblatt und stamme vom animälen Blatt. Er be-
kräftigt seine Beobachtungen über die Allantoisbildung, die übrigens
einem Zweifel nicht unterliegen kann.
In der nachfolgenden Beschreibung bezeichne ich den am liga-
mentum latum festgewachsenen Rand des Uterus als den unteren.
Ich weiche absichtlich einer besonderen Nomenclatur, wie REICHERT
dieselbe in Anwendung gebracht hat, aus, denn bei solchen Speeciali-
täten, wie der vorliegenden, kann man dem Leser nicht zumuthen,
sich in die Namengebung hinein zu finden.
Die Furchung verläuft bei dem Meerschweinchen etwas eigen-
thümlich. Die Furchungskugeln ordnen sich nämlich schon bei der
Viertheilung, Fig. 61 A u. B, zu einer beckenartig ausgehöhlten Masse
an, die zwar von oben her gesehen fast wie ein gewöhnliches Fur-
chungsstadium aussieht, beim Rollen aber sich anders macht, wie die
bekannten Stadien der anderen Säuger. Mindestens habe ich bei dem
Kaninchen Aehnliches nicht gefunden. Uebrigens zeigt schon dieses
Stadium die Eigenthümlichkeit, dass eine der Zellen einen zungen-
förmigen Fortsatz hat. Darauf lege ich deshalb einiges Gewicht, weil
die Fig. 9. bei REICHERT dasselbe Verhalten erkennen lässt. Fig. 79
u. 80 stellen die weitere Entwicklung dieses Verhaltens dar. Sie sind
dem Uterus zu Ende des 4. und am Anfang des 6. Tages entnommen.
Sie hatten die Neigung, die Fläche des Beckens dem Beobachter zu-
zukehren. Endlich stellt Fig. 81 ein Ei von 6 Tagen in der Seiten-
ansicht dar, welches ein sehr bemerkenswerthes Verhalten zeigt. Es
hat sich eine förmliche Keimhaut gebildet und die Hauptmasse der
Dotterzellen präsentirt sich fast unter der Form des Keimhügels.
Zu meinem grossen Bedauern ist keine Messung dieses Eies notirt
worden; da jedoch, wie BIscHoFF bereits angab, kein Eiweiss auf die
Zona abgelagert wird und dieselbe von normaler Dicke erscheint, na-
mentlich aber, da ich nichts besonderes notirt habe, wird das Ei von
der gewöhnlichen Grösse 0,09 bis 0,1 mm. gewesen sein. Um diese
Eier dem Uterus zu entnehmen, band ich ein ziemlich weites, dünn-
und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 401
wandiges Rohr in den Cervix ein und injicirte von dem Eierstockende
aus MÜLLER’sche Lösung in das cavum uteri.
Bei einer früheren Untersuchungsreihe hatte ich, dem Rathe der
Autoren folgend, den Uterus geöffnet und dann das Epithel abgeschabt.
Diesem Verfahren verdanke ich die anderen, diese Stadien be-
treffenden Figuren. Ich gestehe, dass ich keinen besonderen Werth
auf dieselben lege, sondern sie nur der Arbeit beigab, um mich, als
zur Besprechung dieser Dinge competent, zu legitimiren. Erst in Folge
neuerer Arbeiten erkannte ich, dass die oben besprochenen Figuren
einen Sinn gewinnen könnten und fügte sie nachträglich ein.
Fig. 62 ist ein 5 Tage 3 Stunden altes Ei, welches, wie ich
glaube, bei genauerem Studium eine ähnliche Seitenansicht gegeben
hätte wie Fig. 80. Fig. 64 habe ich für abnorm gehalten, aber da
es 7 Tage alt war und man schliesslich zur Zeit nicht sicher wissen
kann, dass wirklich ein abnormer Zustand vorliege, wollte ich doch
den Nachuntersucher mit dieser Form bekannt machen. Endlich,
Fig. 63 ist ein Körper aus einem Uterus 6 Tage nach der Copulation.
Derselbe, 0,93 mm. messend, ähnelt dem von REICHERT dargestellten
Ei und ich muss gestehen, dass ich jetzt ihn nicht recht zu deuten weiss.
Man bekommt aus dem Uterus eine Masse rundlicher Zellenanhäufun-
gen und findet in den Zellen Fetttröpfehen in nicht geringer Zahl,
welche sehr den Dotterkugeln gleichen. Man muss sich also bei der
Beurtheilung lediglich auf das eigene Tactgefühl (sozusagen) verlassen,
und dieses ging bei mir allerdings dahin, dass ein Ei vorliege. Getreu
meinem Wunsche, erneute Untersuchungen anzuregen, durfte ich wohl
auch diesen Körper vorlegen.
Meine Vorgänger, BISCHOFF und REICHERT, haben behauptet, in
der Entwicklung des Meerschweinchens keine wichtige Lücke zu
lassen; ich bin nicht in dieser glücklichen Lage, sondern muss aus-
drücklich constatiren, dass mir mindestens 12, wahrscheinlich 24 Stun-
den, in der wichtigsten Periode unerforschlich geblieben sind. Leider
finde ich mich ausserdem noch in Bezug auf die Zeitrechnung mit
den Vorgängern im Widerspruch. Sie gaben das Alter der entschei-
denden Figur BıscHorr (b Fig. 17) 6°/, Tage, REICHERT (k Fig. 12)
„etwa am 7. Tage nach der muthmasslichen Begattung“, endlich Bı-
SCHOFF (p Fig. 1A) „vom 7. Tage nach der Begattung“ an. Dagegen
muss ich sagen, entweder diese Figuren, namentlich die beiden letz-
teren, sind irrthümlich, oder es sind sehr unvollkommene Darstel-
lungen dessen, was meine Fig. 84 bis 86 geben. In letzterem Falle
war das Stadium nicht 6°/, Tage alt, noch überhaupt vom 7. Tage,
sondern von 7 Tagen 10 Stunden bis 7 Tage 16 Stunden bis selbst
402 V. Hrensen. Beobachtungen über die Befruchtung
volle 8 Tage alt. In diesem Falle wären auch die Maasse, sowohl
von REICHERT wie von BISCHOFF, verkehrte.
Der wirkliche Zapfen misst 0,096 mm. in Länge und 0,072 bis
0,074 in Breite. ;
BiscHorrF erklärt ausdrücklich (p S. 49), dass seine Zeichnung
„ganz naturgetreu das Object in zehnmaliger Vergrösserung“ gebe.
Die Messung der Zeichnung ergiebt, dass der Zapfen 1?/, mm. breit
und 1!/, mm. hoch ist, also in Wirklichkeit 0,175 und 0,125 mm.
misst. REICHERT giebt S. 141 eine Breite des Zapfens von 0,1 bis
0,17 mm., eine Länge von 0,155 mm. an (freilich findet er S. 139
das Ei darin 0,105 bis 0,115 mm.). Findet sich ein Körper von sol-
cher Grösse an ausgezeichneter Stelle und am Rande des Epithels
vorragend, so konnte ich ihn vielleicht einige Male übersehen, aber
über 20 Mal (so viele Uteri habe ich allein im Alter von genau
7 Tagen nach der Copulation untersucht) kann ich einen solchen
Körper, wenn ich darnach suche, nicht übersehen. Falls also dennoch
ein Irrthum in Bezug auf das Alter von meinen Vorgängern gemacht
sein sollte, so haben sie sich selbst in Bezug auf das, was sie über
die Entwicklung des Meerschweinchens eruirt hatten, schwer getäuscht,
und haben zugleich Abbildungen gegeben, die, wenn man das Object
kennt, nicht wieder zu erkennen sind.
Zuerst habe ich das Ei 7 Tage 4 Stunden nach der Copulation wieder
aufgefunden, es lag, Fig. 82, an der äusseren Fläche des Uterus-
epithels.. Darauf fand ich den Zapfen, Fig. 84, und da ich zunächst
von hier aus den Anschluss an. Fig. 65 haben wollte, weil mir die
betreffenden Zeichnungen fehlten, aber fand, dass der solide Zapfen
entweder einige Zeit seine Grösse nicht ändert oder zuerst in unge-
wöhnlich früher Zeit von mir beobachtet war, musste ich eine uner-
wartet grosse Reihe von Thieren opfern, um den Zweck zu erreichen.
Damit war die Periode des Sonnenscheins vorübergegangen, es folgten
Monate mit dem trübsten Wetter, die alles Suchen vergeblich machten.
So bin ich nicht im Stande, den Anschluss nach rückwärts zu gewin-
nen und kann höchstens hoffen, einen Nachtrag bezüglich einiger
Einzelheiten gelegentlich der Correetur anzufügen.
Bei keinem Säugethier ist die Behandlung des Eies so leicht wie
bei dem Meerschweinchen, sobald in dem Zapfen sich etwas Flüssig-
keit angesammelt hat, also vom Ende des 8. Tages an. Man spaltet
den Uterus genau von oben und findet leicht die Stelle, wo das Binde-
gewebe gewuchert ist. Diese Stelle zerlegt sich besonders leicht
in zwei gleiche Seitenhälften; an einer derselben liegt der Zapfen, den
man dann unschwer lösen und weiter behandeln kann. Am 8. Tage
und Entwicklung des Kaninchens- und Meerschweinchens. 403
thut man wohl, die bereits von BIsSCHOFF bemerkte leichte Isolirbar-
keit des Epithelschlauches zu benutzen. Später mag man den Uterus
frisch verwenden, für den Anfang empfiehlt es sich, ihn aufgespannt
und uneröffnet 8 bis 14 Tage lang in Mürrter’scher Lösung (2/, %/,
Kali biehromiei und 2?/, °/, Natrii nitrici) zu erhärten. Man legt
den erhärteten Uterus auf die Seite, steckt ihn fest und öffnet unter
Wasser von oben oder unten her, aber ein wenig seitlich von der
Ebene der Uterushöhle. Dabei muss man sich bemühen, die beiden
Epithelflächen nicht von einander zu trennen. Sie sind entweder gar
nieht oder nur schwach verklebt, an dem Tubarende oft (wenn Flüssig-
keit im Bauchraum) klaffend. Der Theil, welcher das Ei enthält,
hält am festesten zusammen, da hier nach oben zu das Epithel stark
verdickt und gewulstet ist. Dafür ist das Bindegewebe dieser Gegend
in der Nähe des unteren Randes fest mit dem Epithel verwachsen
und wenn es gelingt, die uns zugekehrte Seite davon frei zu machen,
bereitet die Lösung der anderen Seite um so mehr Schwierigkeiten.
Noch früher ist die Epithelhaut nicht so lose, es ist mir nicht
gelungen, dann eine Methode zu finden, sie ohne die Uterushöhle zu
eröffnen, herauszulösen. Nach meinen Versuchen möchte ich davon
abrathen, den Uterus in mikroskopische Querschnitte zu zerlegen, das
Ei entgeht doch. Eher könnten Längsschnitte nützen, doch ich weiss
keinen guten Rath.
An diesem Orte möchte noch zu erwähnen sein, dass von mir der
‘ Versuch gemacht wurde, Extrauterinschwangerschaft zu erzeugen. Zu
geeigneter Zeit durchschnitt ich die Tuben, als ich dann bei zwei
überlebenden Thieren nach zwei Wochen nachsah, fand sich am Tuben-
ende viel Bluteoagulum, doch darin kein Ei. Jedoch es könnte einmal
ein solcher Versuch glücken und das Ergebniss wäre sehr wissenswerth.
Für das Folgende bemerke ich, dass REICHERT mit Recht den
Körper in der Spitze des Zapfens als das Ei auffasst, BiscHorr Un-
recht hat. Ich werde den Beweis weiter unten geben.
In einem erhärteten Uterushorn, welches ein Ei von 7 Disen
4!/, Stunden nach der Copulation enthalten musste, fand sich genau
in der Mitte eine runde Fläche des Epithels, welche besonders hervor-
trat, weil rings um sie her das Bindegewebe der Schleimhaut sich
nicht hatte abtrennen wollen, während dies an allen anderen Orten
leicht erfolgt war. Bei genauerer Betrachtung zeigte sich eine leichte
Verdiekung des Bindegewebes der Schleimhaut an dieser Stelle, so
dass ich hier sicher das Ei vermuthen durfte. Am Rande des Epi-
thels war jedoch nichts zu entdecken. Die Stelle ward mit etwas
Karmin übergossen (übrigens eine schlechte Methode) und nach dem
Zeitschrift f. Anatomie. Bd. 1. 27
404 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung
Abspülen desselben trat sofort ein lebhaft gefärbter etwas excentrisch
in der Fläche liegender Punkt hervor, Fig. 82 A. Ich hielt denselben
sogleich für das Ei und zeichnete das Präparat. Darauf ward das
gesammte Epithel abgelöst und das Ei gemessen. Man erkannte deut-
lich, Fig. 82B, eine äussere ziemlich dicke zellige Hülle, einen schma-
len leeren Raum und einen zelligen Kern. Derselbe war so klein,
0,045 mm., dass ich zunächst Bedenken trug, ihn für das Ei anzuerken-
nen. Unterscheidende Merkmale zwischen wucherndem Uterusepithel
und Eizellen vermag ich nicht anzugeben. Beide enthalten kleine Fett-
tröpfehen resp. Dotterkörnehen, so dass in dieser Beziehung kein Unter-
schied gemacht werden kann, wenn nicht etwa Reactionen gemacht
werden sollen. Diese erfordern aber ein reichliches Material, welches
mir nicht zu Gebote stand.!) Die Form der Kerne bietet allerdings
einigen Anhalt, aber Sicheres lässt sich weder daraus noch aus den
wechselnden Grössenverhältnissen der Zellen entnehmen. Ich bin auf
Grund der Beobachtung späterer Stadien zu der Ansicht gelangt, dass
der innere Theil das etwas oval gepresste Ei gewesen sei.
Behufs weiterer Untersuchung ward ein von oben nach unten
verlaufender Schnitt durch das Präparat gelegt, wobei das Ei leicht
angeschnitten ward. Dann führte ich den Parallelschnitt, leider so
unvorsichtig, dass das Ei ausbrach. (Man denkt im Anfang, ein sol-
ches Präparat, einmal erhalten, lasse sich leicht wieder gewinnen!) ?)
Der Schnitt liegt Fig. 82C vor und ich versichere auf das Aller-
bestimmteste, dass das Ei von aussen her die Lücke, welche man dort
sieht, verschlossen hat.
Man findet, dass das Epithelstratum sich bedeutend verdickt hat,
aber keine Faltungen zeigt. Der Eilücke gegenüber erhebt sich ein
kleines ausgehöhltes Polster p, welches so aussieht, als wenn das Ei
hier gelegen und das Epithel gereizt habe. Fast genau gegenüber
findet sich in dem Epithelstratum eine weite Oefinung, deren Ränder
nach aussen umgebogen sind und sich, wie die wenigen losgelösten
Zellen verrathen, auf das Ei umgebogen haben. Nach unten zu wird
das Epithel des Uterus dünn, dies Verhalten erklärt, weshalb es Reı-
CHERT so schwer ward, den unteren Rand der „Epithelkapsel“ unzer-
stört zu erhalten. Die losgelöste Eikugel zeigt freie Zellenausläufer,
aber keine Fortsetzung, welche als Drüsengang zu deuten wäre.
Dennoch wird dem Leser der Gedanke nahe liegen, dass es sich um
eine Drüsenverstopfung bei dieser Beobachtung handle. —
1) Fast alle Thiere (23) hatten unter Inzucht gelitten und enthielten nur ein Ei.
2) Man vergleiche übrigens den Nachtrag, nachträgliche Anmerkung.
und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 405
Ein folgendes Stadium giebt die Fig. 83, das Ei in der Wan-
derung. Die Zeichnung giebt zwar nur die Umrisse, ist aber durchaus
nicht schematisch. Der Uterus war etwa 7 Tage 14 Stunden nach
der Copulation dem Thiere entnommen, es hatte um 12 Uhr Nachts
noch nicht gejungt, um 6 Uhr Morgens war die Copulation vorbei,
ich rechne von 4 Uhr Morgens an. Der Uterus ward erhärtet.
Die Bindegewebswucherung war an diesem Ei schon stärker ent-
wickelt. Das Ei mit Kapsel lag scheinbar dem Uterusepithel fest auf,
erwies sich aber doch als ziemlich beweglich. Das Ei lag an der
Spitze des Schlauches, der im übrigen von Zellen solide ausgefüllt
war. Es war 0,076 mm. breit, 0,062 mm. dick, die Länge konnte ich
leider, da es etwas stark gefärbt worden war, nicht genügend bestimmen.
Die Eizellen maassen 0,009 bis 0,015 mm., deren Kerne 0,0062 mm.
Der Schlauch war am Ei 0,093 mm., weiter unten 0,066 mm. dick.
Er sass mit einem Stiel an der Wand der Uterinhöhle fest und maass
mit diesem 0,156 mm. Die Insertion des Stieles war um 0,1865 von
der Kante des Uterus entfernt. Bei der Ablösung des Stieles rissen
Zellen des Epithels mit aus und es ergab sich, dass die Zellen des
Stieles mit diesen Zellen durch Fäden, welche als Producte unvoll-
kommener Theilung zu deuten waren, zusammenhingen. Das Ende
des Stieles bestand nur aus solchen Fäden. Ein Drüsenschlauch, der
etwa hätte verrathen können, dass das Ei in eine Drüse gerathen sei,
fehlte auch in diesem Präparat vollständig.
Den Beweis für die Richtigkeit meiner Auffassung der eben be-
schriebenen beiden Gebilde liefert das folgende Stadium), Fig. 84
bis 86. Der Schlauch ist an der Schneide des Uterusepithels ange-
lanst und bildet hier einen winzigen Zapfen. Die Länge des Zapfens
betrug 0,096, die Dicke 0,074 und 0,072, das Ei in einem Fall 0,0624,
in einem zweiten Breite 0,0624, Höhe 0,0672 mm.
Man sieht im Zapfen an der Spitze das Ei liegen, durch einen
. schmalen Raum von: den umhüllenden Uterusepithelzellen getrennt,
darunter findet sich ein aus zwei Zellenlagen bestehendes Polster.
Dieser Theil ist von REICHERT nicht ganz passend als Napf bezeich-
net, weil er ihn nur aus späteren Stadien kannte. Auf diese Lage
folst das Epithel des Uterus, welches Wulstungen und Faltungen zeigt,
welche in der Flächenansicht schwer zu deuten sind. Der Durch-
schnitt, Fig. 85, erklärt das Räthsel. Der Zapfen hat sich breit auf-
gesetzt, aber nicht auf die wirkliche Kante des Epithels, sondern auf
1) Mein College KUPFFER war auf meine Bitte so freundlich, dasselbe in
. natura anzusehen, da ich wünschte, mich darauf berufen zu können.
DI*
406 V. Hrnsen. Beobachtungen über die Befruchtung
einen neugeschaffenen Umschlagsrand desselben. Der Uterus-
kanal ist dabei rechtwinklig geknickt worden und verläuft — sagen
wir nach vorn. Diese Lageveränderung liesse sich aus einem Zuge,
den etwa der Eischlauch auf die hintere Epithelwand übe, erklären,
damit würde dann auch die Verengung, welche das Cavum uteri zu
beiden Seiten der abgekapselten Höhle erleidet, durch eine Drehung
erklärbar. Es stimmt damit überein, dass die Höhe der Epithelwand
unter dem Zapfen nur 1,248 mm. beträgt, während an anderen Stellen
dieses Stratum 1,450 mm. maass. Jedoch ich trage Bedenken, die Form-
veränderung auf diese Weise zu erklären. Die Wucherung des Binde-
gewebes spielt wohl auch eine Rolle dabei, auch kann ich noch nicht
einmal sagen, weshalb das Ei selbst nach oben wächst. Besonders
bemerkenswerth ist es, dass der Zapfen einen Fortsatz an der einen
Seite der Uteruswandung nach abwärts sendet, Fig. S5f. Die Con-
touren, welche diesen Fortsatz abgrenzen, dürften die Sache genügend
klar machen, wenn ich hinzufüge, dass ich an dem gezeichneten
Präparat den Zapfen vom Epithelschlauch abgelöst habe, dass dabei
jener Fortsatz an ihm sitzen blieb und dass ich die feste Versicherung
geben kann, dass der gezeichnete Contour als die richtige natür-
liche Grenzlinie sich erwiesen hat. Ich habe daher unterlassen
den abgetrennten Zapfen zu zeichnen, doch sieht man einen etwas
älteren abgelöst in Fig. 88. Nach mir vorliegenden Skizzen ist dieser
Fortsatz an noch weit älteren Zapfen darzustellen, er hat in der Regel
eine flossenartige häutige Verbreiterung an seinem Ende, mit welcher
er dem Uterusepithel anhaftet. _ Vergl. Fig. 68.
Nach dem Gesagten scheint es mir klar, dass das Ei den Gang
macht, welchen ich angegeben habe, also nicht am Rande, sondern
seitlich aus der Uterushöhle heraus trete. Meine Bemühungen, den
noch soliden Zapfen genauer zu zergliedern, blieben bisher erfolglos.
Die Anhaftung an die Epithelwand zeigt leider nicht mehr das
normale Verhalten. An frisch herausgenommenen Präparaten, Fig. 87,
fand ich in der Wand des Epithels eine klaffende Oefinung. Diese
verschwindet unter Einwirkung der MÜLrer’schen Lösung, wahrschein-
lich in Folge einer Quellung der hypertrophischen Lagen. Ich kann
zur Zeit nicht hoffen, das Verhalten dieser Oeffnung näher zu er-
forschen.
Die folgenden Stadien des Zapfens bestehen in einer Vergrösse-
rung unter Aufnahme einer in Alkohol nicht gerinnenden Flüssig-
keit. Ein Blick auf die Figuren genügt, um den Gang zu erkennen.
Ich habe mich demnach nur mit dem Ei einerseits, mit dem Napf
andererseits zu beschäftigen.
und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 407
Das frische Ei ist in früher Zeit, also in dem Stadium des soliden
und namentlich des eben hohl werdenden Zapfens von wunder-
voller Homogenität. Mit guter Linse (HArTNAcK 7) bei 300 ma-
liger Vergrösserung untersucht, bemerkt man ausser recht sparsamen
Dotterkügelchen gar keine Formelemente, nichts, was die voll-
endete Gleichmässigkeit des hellen Protoplasmaklumpens zu stören
vermöchte. BiscHoFF hat demnach, wie ich zu meinem Vergnügen
finde, in der Beschreibung dieses Verhaltens, hier und doch wohl auch
bei den übrigen Säugern, recht. Die Unmöglichkeit, Zellencontouren
und Kerne zu erkennen, war mir um so interessanter, als auch von
anderen Seiten auf Grund des gleichmässigen Aussehens von Theilen,
welche vorher Zellen erkennen liessen, der Process einer Zellenver-
schmelzung als erwiesen hingestellt worden ist. In dem vorliegenden,
m. E. ausgesucht schönen, Fall, ist jedoch von einer Verschmelzung
der Zellen nicht zu sprechen, Einwirkung der MÜLLEr’schen Flüssig-
keit bringt im Gegentheil die Zellen so deutlich zum Vorschein, dass
man sie leicht messen kann, ebenso lässt nachträgliche Karminfärbung
die Kerne auf das schönste hervortreten.
Während längere Zeit hindurch das Ei solide bleibt, aber sich
vergrössert, bekommt es am 10. Tage eine Höhle im Centrum, Fig. 67.
Diese Höhle rückt dann nach unten und am 11. Tage, Fig. 69, be-
merkt man an dem dickeren Theil des Eies eine Schichtung in zwei
Lagen. Nach unten ist die Höhle bald nur noch durch eine Membran
verschlossen, Fig. 71, welche im Durchschnitt, Fig. 72, sich als einzellige
Haut darstellt und das Hornblatt des Amnios ist. Der Rest des Bies
ist Keimscheibe. Von dessen äusserer Schicht, also dem inneren
Keimblatt der anderen Thiere, wächst eine zellige Haut an den Wän-
den des Zapfens hinab, welche also eine Art von Keimhaut bildet,
Fig. 75. Während diese Haut, die schon als Hypoblast bezeichnet
werden darf, weiter wächst, bildet sich in der Keimscheibe das mitt-
lere Keimblatt, jedoch habe ich dessen Bildungsgeschichte nicht genau
verfolgt. Der dem 14 Tage alten Thiere entnommene Durchschnitt,
Fig. 76, giebt bereits den Embryonalkörper mit Urwirbeln, Seiten-
platten, Medullarplatten u. s. w. Dann folgt der Schluss des Medullar-
rohres, Abschnürung der Chorda u. s. w. wie gewöhnlich. Uebrigens
erhärten die Embryonen des Meerschweinchens nicht so gut, wie jene
des Kaninchens. Ich beabsichtige nicht auf diese Verhältnisse weiter
einzugehen, will aber doch erwähnen, dass die Allantois, wenn sie als
millimetergrosse Blase zur Placentarstelle herabwächst, nicht hohl
ist und kein Darmdrüsenblatt enthält, sondern von einem hübsch
reticulirten Gefäss- und Bindegewebs-Netz ausgefüllt ist.
408 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung
Ich habe nunmehr den versprochenen Nachweis zu liefern, dass:
der als Ei bezeichnete Theil, wenn vielleicht auch nicht das ganze
Ei, so doch jedenfalls der einzige Eitheil in dem ganzen Zapfen ist.
In den Figuren 76 und 77 erkennt man, dass der vollständige
. Embryo noch von einer homogenen Haut h umhüllt wird, welche:
ihrerseits noch eine spärliche Zellenhülle trägt. Letztere vermag ich
von dem Stadium der Eiausstülpung an zu verfolgen, es sind die
Uterusepithelien, welche die Zellenwandung des Zapfens bilden. Das
Ei bildet sich, wie man sieht, ohne sie complet aus, auch sind sie
von demselben durch eine, in den früheren Arbeiten völlig übersehene,.
homogene Membran getrennt, so dass von einer Betheiligung an
der Bildung des Embryo nicht die Rede sein kann.
Die homogene Membran habe ich früher (y 2) als Zona pellueida
gedeutet, ich glaube jetzt nicht mehr, dass diese Bezeichnung richtig
war. Schon ‚sehr frühzeitig (das Ei Fig. 87) war diese Haut nur
0,0012 mm. dick und sie behält diese Dicke so ziemlich bei. Da-
gegen war in den noch jüngeren Eiern die Zona, wenn überhaupt, so
doch sicher nicht in voller Dicke vorhanden. Es kann also
daraus unmöglich die homogene Membran in ihrer späteren enormen
Ausdehnung abgeleitet werden. Dies war allerdings auch nicht meine:
Meinung, aber ich glaubte, die Zona bilde doch die erste Grundlage
_ dieser Membran. Demnach hatte ich erwartet, dass das Ei bei sei-
nem Austritt aus dem Uterus noch die volle Zona zeigen werde. Da
dies nicht der Fall ist, nehme ich an, dass die homogene Haut eine:
Ausscheidung des Epithels sei, da andere Möglichkeiten ausgeschlossen
sind. Gerne hätte ich über diesen Punkt grössere Sicherheit erlangst,.
da er von Bedeutung für die Beurtheilung der Lagenumkehr des
Eies ist.
Die Membran lässt sich unter günstigen Umständen unverletzt
von dem Uterusepithel isoliren. Ein solches Präparat wird durch
Fig. 75 dargestellt, ausserdem sieht man die Haut an den verschie-
denen Durchschnitten, z. B. Fig. 68h. Es ist merkwürdig, dass die
Haut an der Basis des Zapfens, und zwar an jenem Theil, den Rrı-
CHERT als Napf bezeichnet hat, stets eingeklemmt oder wenn man lieber
will, invaginirt ist. Dies Verhalten fand sich schon an den Eiern,
Fig. 87 und 88, d. h. also spätestens von dem Stadium der Flüssig-
keitsansammlung im Zapfen an.
Diese eigenthümliche Bildung der Basis des Zapfens habe ich
. jetzt zu besprechen. Die napfförmige Gestalt, Fig. 74, nimmt dieser
Theil erst in späterer Zeit an, man sieht dieselbe im Ausguss, Fig. 75,
im Durchschnitt Fig. 70 und 72. Vorher erscheint dieser Theil als
und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 409
dünner Stiel, Fig. 67 und 68. Der Uebergang des Zapfens in den Napf
geschieht an einer etwas getrübten Stelle, so dass es fast aussieht, als
befinde sich hier ein zweites Ei, Fig. 66. Dies hat, wie ich glaube,
REICHERT verleitet, zwei Eier in einem Zapfen zu beschreiben. In
noch früherer Periode erscheint dieser Theil als zelliges Polster in
der Basis des Zapfens, Fig. 84 bis 88. Mit Bestimmtheit lässt sich
aussagen, dass diese Bildung durch einen inneren, ziemlich soliden
Fortsatz des Uterusepithels entsteht, der vielleicht am Stiel mit
der Zapfenhülle in Continuität steht, aber sicher nicht weiter
hinauf. Dort wird er nämlich durch die homogene Haut von der
Epithellage des Zapfens getrennt. An älteren Stadien gewinnt es zu-
weilen den Anschein, als wenn es sich um eine Invagination handle.
Wenn man sich denkt, das Ei wandere in eine Drüse und diese in-
vaginire sich dann unter dem Ei, so wird man im Längsschnitt
sechs parallel verlaufende Zellenwände haben, nämlich zunächst die
beiden äusseren in normaler Lage befindlichen Wände, darauf die
beiden in entgegengesetzter Richtung verlaufenden Wände des invagi-
nirten Theiles und endlich in der Mitte den Kanal, welcher zur Aus-
mündungsstelle der Drüse in den Uterus verläuft. Letztere Bildung
fehlt entweder in den Präparaten völlig, oder ist nur als einfacher zelliger
Strang vorhanden, Fig. 70, jedoch es liegt ein secundäres Verschwinden
eines solchen Stranges nicht ausserhalb der Wahrscheinlichkeit. Ich
habe aber schon erwähnt, dass das Ei nicht in eine Drüse zu ge-
rathen scheine Es muss daher angenommen werden, dass in irgend
einer anderen Weise von dem Uterusepithel aus durch dessen, wie
erwähnt worden ist, weit klaffende Spalte, eine Eiwucherung ge-
schehe. Dafür spricht, dass es nicht gelingt, die Continuität an der
Spitze des Stieles zwischen innerer und äusserer Zellenmasse nachzu-
weisen, was doch bei einer Invaginirung keine Schwierigkeiten machen
dürfte. Leider misslang mir die Zergliederung der frühesten Stadien
mit Bezug auf diesen Punkt.
Nach der vorstehenden Beschreibung kann die Abnormität in der
Entwicklung des Meerschweinchens noch nicht durch den Eintritt von
Störungen so erklärt werden, dass man sagen könnte, das Ei dieses
Thieres werde sich in der Art der Eier anderer Säugethiere lagern
und schichten, wenn es daran nur nicht durch bestimmte Verhältnisse
gehindert werde.
Die Hoffnung, einst dies sagen zu können, wird, wie ich gestehen
muss, einigermassen durch den ungewöhnlichen Modus der Furchung
und Keimkautbildung gestört; jedoch vielleicht liesse sich darin eine
nicht gerade unwahrscheinliche Anlehnung an die niederen Wirbel-
410 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung
thiere erblicken. Dies zugegeben, scheinen folgende Erklärungen der
vorliegenden Abnormität zur Erwägung zu stehen.
a) Man nimmt mit M. SCHULTZE an, dass aus den embryonalen
Zellen wirklich Alles werden könne. Man könnte sich dann
vorstellen, dass der Theil der Eizellen, welcher in die eiweissarme
Flüssigkeit des Zapfens vorragt, als der weniger gut genährte, keinen
Ueberschuss an Nahrung aufnehmende, sich zum animalen Blatt um-
wardle, die Zellen an der freien Fläche des Zapfens, welche in näch-
ster Berührung mit dem blutgefässreichen umhüllenden Gewebe stehen,
sich vorbereiten, das aufnehmende und resorbirende Darmdrüsen-
blatt zu werden. Jedoch wenn in dem einen Ei die Zellen durch die
von aussen hinzutretende Nahrung beeinflusst werden, warum sollten
sie sich in anderen Eiern anders verhalten? Da wir beim
Kaninchen finden, dass auch die Nahrung von aussen her dem Ei
geliefert wird, müssten wir auch bei diesem Thier eine Umkehr der
Blätter erwarten. Der Versuch, auf diese Weise die Abnormität zu
erklären, ist demnach missglückt, und damit auch der Eingangs auf-
gestellte Satz m. E. zurückgewiesen.
b) BiscHorr berichtet, dass das nackte Ei mit den Zellen des
Uterus verschmelze und aus diesem Product erst die Masse entstehe,
aus welcher der Embryo sich entwickle. Soweit dies Vorgänge in
der von mir nicht erforschten Periode betrifft, scheint dagegen, von
dem Standpunkt BiscHorrs und der neueren Zellentheoretiker aus,
ein Gegengrund nicht beigebracht werden zu können. Die Dottermasse
wird höchst wahrscheinlich nackt, die Epithelien des Uterus sind in
gereiztem und wucherndem Zustande, warum sollten sie nicht
mit dem Dotter wie Oeltropfen zusammenfliessen? Jedoch
ich will mir kein Urtheil in dieser, meinen Ansichten!) fern stehen-
den Sache erlauben. Geht wirklich der Process so vor sich, wie
BIsCHOFF annimmt, so braucht man keine weitere Erklärung über die
Abnormität der Entwicklung. Man wird dann im Gegentheil einen
ganz anderen Verlauf der Entwicklung für solche Thiere verlangen
müssen; — sucht ja auch keineswegs vergeblich!- Ich vermag jedoch
nicht solchen Ansichten beizustimmen und muss daher weiter suchen.
c) Ich betrachte mich als vom Glück begünstigt, dass ich in der
Lage bin, eine Erklärung wagen zu können. Lange Zeit stand näm-
lich die Sache so, dass ich mit allem Nachdenken eine Möglichkeit,
die vorhandene Abnormität zu erklären (in dem oben gegebenen Sinne
l) Untersuchungen zur Physiologie der Blutkörperchen, sowie über die Zellen-
natur derselben. Zeitschrift f. wissensch. Zoologie Bd. XI. 1861.
#.
“und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 411
‚des Wortes) nicht finden konnte, ohne geradezu ins Leere zu greifen.
Die Einzelheiten, welche ich zu geben habe, sind erdacht und werden
sich schwerlich in der gegebenen Form bestätigen, der Kern des Pro-
cesses aber, die Umstülpung des Eies, wird, wie ich nunmehr glaube,
durch die Zukunft als richtig erwiesen werden.
Wir verliessen das Ei als kleine Keimblase, Fig. 81, und dürfen
glauben, dass es bald seine Zona verliere, von dem Uterus festgehalten
werde und ihn reize. Wir finden es wieder in einem Loche der ge-
wucherten aber noch glatten Epithelwand. In der gegenüberliegenden
Epithelwand befindet sich gerade dem Ei gegenüber ein erhabenes
Polster, Fig. 82C. p., durch Epithelzellen gebildet. An dieser Stelle
hat offenbar ein Paar Stunden früher das Ei in der Uterushöhle gelegen.
Ich nehme an, es habe das nackte Ei hier so gelegen, dass sein
Keimhügel auf jenem Polster der unverletzten Epithelwand lagerte.
Ferner muss ich annehmen, dass das Epithel auf das Ei gedrückt habe
und die zarte Keimblase zerrissen sei. Nun wird das Ei vom Polster
gegen die gegenüberstehende, vielleicht schon ausgebuckelte Wand ge-
schoben, stülpt diese aus und damit beginnt die bereits geschilderte
Wanderung. Die Fläche des Keimhügels, welche die Epithelwand
durchbricht, ist die innere, diejenige des künftigen Darmdrüsen-
blattes. Sie geht bei der Wanderung voran, bleibt daher
aussen und entwickelt sich demgemäss. Die anderen Abnormi-
täten, wie das Fehlen einer wirklichen Keimblase, eines Dottersacks,
die scheinbar verfrühte Bildung des Amnios, der Allantois, sind zwar
mit dieser einen Annahme noch nicht erklärt, dürften aber bei einem
näheren Eingehen auf die Sache doch ziemlich innig damit zusammen-
hängen.
Wenn man mit mir annimmt, dass in die erste Zeit nach der
Furchung der Hauptvorgang in der histiologischen Differenzirung
liege, erst später die Formung der Organe und des Körpers in den
Vordergrund trete, wobei sich letztere Vorgänge aus ersteren hervor-
bilden, so werden jene Abnormitäten weniger überraschend, leichter
erklärbar.
Eine Gastrula in vorliegendem Falle aufzufinden, dürfte schwer fallen.
Indem ich hiermit meine Arbeit abschliesse, muss ich leider daran
erinnern, dass ich nur beabsichtigt habe, anzuregen. Ich habe wohl
zu empfinden geglaubt, dass einiges Neue, Wesentliche von mir bei-
gebracht werde, aber jetzt bedrückt mich doch vor Allem das Gefühl,
nur Fragmente gegeben zu haben. Solche können einen Abschluss
nicht geben und dem entsprechend müssen sich meine Wünsche und
Erwartungen über den Einfluss dieser Arbeit bescheiden.
412 V. Hessen. Beobachtungen über die Befruchtung
N:a,ec.hit nase,
In Folge einer Untersuchung von zwei Eiern, das eine von 7 Ta-
gen 5 Stunden, das zweite von 7 Tagen 1 Stunde nach der Copula-
tion, kann ich unsere positive Kunde vermehren, ohne jedoch in der
Erklärung der Vorgänge bei der Wanderung des Kies weitere Fort-
schritte machen zu können.
Das erste Ei entsprach völlig dem bereits geschilderten von 7 Ta-
gen 4 Stunden S. 403. Diesmal ward jedoch ein vollständiger Quer-
durchschnitt von Uterusepithel und Ei erhalten. Das Ei war dicht
an der Kante der Uterushöhle ausgetreten, die Höhle war an der Spitze
bereits ein wenig geknickt, das Epithel war gewulstet, zeigte aber
nicht deutlich jene Papillenbildung, von welcher ich oben vermuthete,
dass ihr der Keimhügeltheil der Eiblase aufgelegen habe. Ich muss
bei dieser Gelegenheit erwähnen, dass unmittelbar das Uterusepithel
umgebend eine sehr feine, ziemlich homogene Hüllhaut liegt. Diese
Hüllhaut wird von dem. „Eizapfen“ (dem Ei umgeben von seiner
Hülle von Epithelzellen) ausgebuchtet, bildet also eine Art von äusse-
rer Eikapsel, die jedoch an den erhärteten Präparaten sich sehr leicht
abhebt. In der Epithelwand des Uterus fand sich eine ziemlich weite,
durchbohrende Oefinung; diese ward von aussen her durch den Ei-
zapfen geschlossen, ohne dass das Ei noch in die Oefinung hinein-
‚geragt hätte. Im Uebrigen lehrte der Schnitt nichts Neues, denn die
Continuität zwischen Eikapsel und Uterusepithel konnte ich nicht
deutlich nachweisen. Nachdem der „Zapfen“ ohne bemerkenswerthe
Schwierigkeit abgelöst worden war, erinnerte er seiner äusseren Form
nach am meisten an die Gestalt einer Citrone. Die beiden Polhöcker
dieses Gebildes bestanden aus ein Paar Zellen und hatten dem Rande
der Oeffnung angelegen, wahrscheinlich oben und unten. Beide waren
durch einen Faserzug, wie mir scheint, aus Zellenausläufern be-
stehend, unter einander verbunden. Man denke sich an einer Citrone
von einem Pol zum anderen in einem Meridian (180°) einige Fäden
gezogen und diese dann so straff gespannt, dass sie die Oberfläche
stark einbuchten, so hat man den Eindruck, welchen mir der „Ei-
zapfen“ gab. Erst bei 400facher Vergrösserung erkannte man in der _
Masse des „Eizapfens“ das Ei. Dasselbe war etwas excentrisch ge-
legen, so dass man an dem Zapfen eine aus zwei bis drei Zellen-
und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 413
lagen bestehende Basis (im Bezirk des faserigen Stranges) und eine
"aus einer Zellenlage bestehende Kugelschaale unterscheiden konnte.
Ersterer Theil entspricht wohl zweifellos dem späteren „Napf“. Bei
leichtem Druck trennte sich die Kapsel mit zwei hohlkugelförmigen
Stücken von dem Ei ab, und dieses ward als kuglige Masse frei. _
Der Eizapfen war 0,075 mm. dick, ohne die Pole 0,081, mit
ihnen eirca 0,109 mm. breit. Das Ei selbst maass 0,042 bis 0,048 mm.
im Durchmesser, seine Zellen waren 0,01 bis 0,016 mm., deren Kerne
0,003 bis 0,004 mm. gross. Das Ei lag mit seinem Centrum 0,009 mm.
von der umgebogenen Kante des Uterusepithels entfernt.
Das jüngere Ei war im Uterus ungewöhnlich leicht zu erker-
nen und gab ein Bild, ähnlich demjenigen, welches Bıschorr (b.
Fig. 17) in seiner ersten Abhandlung von diesem Stadium gegeben
hat. Das Epithelrohr des Uterus löste sich noch leicht los und die
Abschnürung desselben um die Stelle, wo das Ei lag, war schon un-
erwartet weit fortgeschritten. Da das Ei sicher beträchtlich jünger
war wie die beiden Eier, welche als 7 Tage 4 resp. 5 Stunden alt
von mir beschrieben sind, und in diesen Fällen die Abschnürungen
nicht so weit gediehen, das Epithel kaum leichter ablösbar war, muss
ich schliessen, dass diese Verhältnisse sich nicht ganz dem Zustande
des Eies parallel entwickeln. I
Das Ei oder vielmehr der „Eizapfen“ lag noch, soweit es seine
Grösse zuliess, innerhalb der Uterushöhle. Bei der Präparation
entfernten sich die beiden Epithelwände der stets flachen Uterushöhle
von einander, so dass sie aus einander geklappt werden konnten, ohne
doch an der oberen Kante sich völlig von einander zu trennen. Nach-
dem dies geschehen war, zeigte sich in der einen Wand das Epithel
durch ein rundes, 0,072 mm. im Durchmesser haltendes Loch voll-
ständig durchbohrt. Der „Eizapfen‘“ hatte in demselben gelegen, war
aber bei der Präparation daraus hervorgezogen worden, denn er sass
noch der anderen Epithelwand an der entsprechenden Stelle fest
auf. Ich glaubte schon, dass damit die von mir oben ausgesprochene
Hypothese der Umstülpung des Eies bestätigt sei, jedoch es zeigten
sich Complicationen. Der „Eizapfen“ lag in einer tiefen Grube der
undurchhohrten Epithelwand, ja es schien sogar unter ihm in gerin-
gerer Ausdehnung das Epithel ganz geschwunden, also auch hier die
Wandung gänzlich durchbohrt zu sein. Jedoch es konnte nicht mehr
einem Zweifel unterliegen, dass das Ei durch die erst erwähnte Wan-
dung aus dem Uterus austreten werde, denn es stand so weit über
der Fläche hervor, dass es nicht nur jene Wand völlig durchbohrt
hatte, sondern noch darüber hinaus in das Bindegewebe hatte vorragen
414 V. Hessen. Beobachtungen über die Befruchtung ete.
müssen. An einem ersten ziemlich dieken Durchschnitt ergab sich,
dass der Eizapfen 0,0563 mm. von der Wand, an welcher er fest
sass, vorsprang. Ein Durchschnitt der gegenüberstehenden Wand ergab
deren Dicke zu 0,0313 mm. Der Zapfen war an der freien Fläche
ein wenig abgeplattet, war also wahrscheinlich frisch noch etwas höher
gewesen. Da die Uteruswände dicht auf einander schlossen, hatte das
Ei also mindestens 0,025 mm. in das Bindegewebe vorgeragt. In
der That zeigte sich im Bindegewebe eine entsprechende (etwas grössere)
von der homogenen Uterushaut abgegrenzte Aushöhlung.
Ein neuer Schnitt entfernte einen Theil der umhüllenden Zellen
vom Ei, ohne den „Zapfen“ zu lösen, und auch die weitere Präpara-
tion erwies, dass er zur Zeit noch recht festsitze; leider kam auch
hier der Zusammenhang zwischen Epithel und Zapfen nicht klar zur
Ansicht. Der Eizapfen maass 0,064 und 0,072 mm., das Ei darin
0,0045 mm. Im Ganzen schien der Zapfen ähnlich beschaffen, wie
in dem oben geschilderten Fall, jedoch als ich das Ei darin sicher
erkannte, war es auf einer Seite nackt; ich kann jedoch nicht ver-
lässlich angeben, ob die Epithelzellen wirklich noch nicht das Ei
völlig umschlossen hatte, oder ob durch die Präparation der betreffende
Theil des Zapfens entfernt worden war.
Aus diesem Befund ergiebt sich jedenfalls, dass beide Uterus-
wände sich an der Kapselbildung betheiligen, was jedenfalls sehr
beachtenswerth ist. Es ist ferner unzweifelhaft geworden, dass das
Ei selbst in dieser Periode kleiner wie !/,, mm. ist. Dadurch wird
die weitere Verfolgung sehr erschwert, denn ein solches Körperchen
lässt sich sehr schwer von den Flecken, welche die Mündungen der
Uterusdrüsen repräsentiren, unterscheiden. —
und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 415
Erklärung der Abbildungen.
TaeX
- Fig. 36. Stück eines Längsschnitts durch die Axe eines Embryo von der
Grösse der Keimscheibe, Fig. 26, 250fach vergrössert, ö* das innere Keimblatt
vor dem Knoten i® dasselbe, aber weit dünner, ein wenig von der Fläche ge-
sehen, hinter ihm; @ äusseres, 5 die beiden Lamellen des mittleren Keim-
blattes, deren Vorkommen an dieser Stelle sehr beachtenswerth ist. ce der Kno-
ten, in welchem alle drei Blätter verschmolzen sind.
Fig. 37. Querschnitt durch das vordere Drittheil des Embryo, Fig. 28
(Fig. 37 bis 42, 300fach vergrössert), a äusseres, b mittleres, ce inneres Keim-
blatt, pr Primitivrinne. Von dort bis nahe an a’ bleibt das äussere Keimblatt,
behufs Bildung der Labyrinthblase, verdickt. Bei m Verdickung des mittleren
Keimblattes, pA Spalt in dieser Verdickung, den primitiven Herzbeutel bildend.
edth Endothelzellen, die erste Spur des Endothels des Herzens. mp Membrana
prima.
Fig. 38. Durchschnitt in der Höhe der Urwirbel von demselben Embryo.
Buchstaben wie oben. edth Gefässblatt. n Fäden zwischen Medullarplatte und
Urwirbel, also Nerven. Die Gegend der ersten Urwirbel entspricht meiner An-
sicht nach eher dem Pous Varoli als dem Atlas.
Fig. 39. Durchschnitt desselben Embryo in der Höhe der Urwirbelplatten.
Bezeichnungen dieselben. Der Schnitt hat zwar die Lagerung der Zellen des
mittleren Keimblattes etwas gestört, doch sieht man den Contour der Horizontal-
spalte, welche als Cölomspalte im Text bezeichnet ist.
Fig. 40. Durchschnitt aus der Mitte desselben Embryo, dicht vor dem
Knoten. Bezeichnungen wie oben. ci Verdiekung des inneren Keimblattes, die
ich nur auf die Chordabildung beziehen kann. j
Fig. 41. Derselbe Embryo im Knoten durchschnitten. pr, a, b,c wie oben.
Bei d sieht man eine Verdiekung des mittleren Keimblattes, die vielleicht schon
auf die Extremitätenbildung zu beziehen ist. Die Verwachsungsstelle des inneren
Keimblattes scheint nieht voll im Schnitt zu liegen.
Fig. 42. Durchschnitt desse!ben Embryo noch weiter nach hinten. Der
Wulst im Seitentheil ist versehwunden, dagegen tritt hier, entsprechend dem
an Fig. 36 gezeigten, die Cölomspalte deutlich hervor. Diese Parthie muss aber
noch zum Embryo selbst gerechnet werden.
Fig. 43. Längsschnitt nahe der Axe eines 9 Tage alten Kaninchenembryo,
eirca 100 mal vergrössert. a, b, ce äusseres, mittleres und inneres Keimblatt.
'KD Kopfdarmhöhle, vielleicht durch den Druck des Schnittes etwas abgeflacht,
Hz Herz mit visceralem Pericardium; man unterscheidet nach hinten eine An-
deutung des Venenschenkels, in der Mitte den fast isolirt liegenden Körper des
Herzens, nach vorn dessen arterielle Fortsetzung. 7 parietales Pericardium,
aus Darmdrüsenblatt und Cutisplatte bestehend. Letztere scheint sich an dieser
Stelle nicht in die Keimhaut (Amniosfalte) fortzusetzen. Doch finde ich an
Zeichnungen anderer Durchschnitte Theilchen des mittleren Keimblattes dort
416 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung
auftretend. Die hier obwaltenden eigenthümlichen Verhältnisse dürften ein
näheres Studium verdienen. Ag Augenblase im Durchschnitt. Das Kopfende
des Embryo ist etwas verletzt. Die Bildungen des Hinterendes verhalten sich
nahezu so, wie es von GASSER in seiner hübschen Arbeit: Beiträge zur Entwick-
lungsgeschichte der Allantois vom Hühnchen beschrieben ist, nur scheint beim
Vogel die Schwanzkrümmung früher einzutreten. Al Wulst der Allantois. AU
Allantoishöhle. Cl erste Andeutung der Cloake, resp. beginnende Afterbildung.
Fig. 44. Die Membrana prima m. p. isolirt und von der Fläche gesehen
bei circa 400facher Vergrösserung. Der freigemachte Theil der Membran lag
in der Area opaca; weiter nach dem Embryo zu ist das mittlere Keimblatt sitzen
geblieben und namentlich die unteren Zellen desselben, gf die dem Anschein
nach dem Gefässblatt angehören, sind schärfer gezeichnet.
Fig. 45. 46. Querschnitte eines 8!/, Tage alten Embryo.
Fig. 45a. 150fach vergrösserter Durchschnitt durch das vordere Drittheil
des Embryo. md Medullarplatte, « Hornblatt, cz Cutisplatte, df Darmfaserplatte,
c Darmdrüsenblatt, gf Gefässblatt, ch Verdickung des Darımdrüsenblattes behufs
der Chordabildung.
Fig. 45b. Ein Theil der Darmfaserplatte df des vorigen Schnittes bei
350facher Vergrösserung, um das Gefässblatt gf deutlicher zu zeigen.
Fig. 46. Derselbe Embryo, Durchschnitt ein wenig weiter nach hinten,
wo der Schluss des Rückenmarks schon weiter fortgeschritten war. Vergr. 150.
Die Chorda ist in der Abschnürung begriffen. Links erkennt man deutlich die
Urwirbelhöhle. Buchstaben wie bei 45. \
Fig. 47. Durchschnitt des Körpers eines 9 Tage alten Kaninchenembryo
in der Höhe des dritten Urwirbels. Vergrösserung 400. Das Rückenmark ist
geschlossen, man sieht um dasselbe die Membrana prima mp’ der Medulla, und
zu letzterer hinstrahlend die Ausläufer der Zellen des Marks, die Nervenwurzeln.
Am Amnios, theilweise fortgeschnitten. a Hornblatt. U Urwirbel. pr. A pri-
mitive Aorta mit Blutkörperehen gefüllt. mp Membrana prima der Urwirbel.
ch Chorda, von einer homogenen Scheide umhüllt, die mit einer feinen Haut,
welche mittleres und unteres Keimblatt trennt, zusammenhängt. Diese Haut
ist viel feiner wie die Membrana prima, deshalb weit weniger leicht zu verfolgen
und darzustellen, so dass ich sie nur, in der Nähe der Chorda kenne. Die
Zellencontouren traten wegen Carminfärbung zurück.
Fig. 48. Derselbe Embryo näher dem Schwanzende in den Wandungen
der Urwirbel durchschnitten. Das Rückenmark dicht vor dem Verschluss. Das
doppeltgeschichtete Amnios Am überzieht den Embryo. Das Rückenmark ist
in Folge des Schnittes an einer Stelle gebrochen. Die Ungleichmässigkeit und
Lückenhaftigkeit der Zellen in ihm dürfte entweder durch geringe Quellung zu
erklären sein oder das Messer hat die in der Mitte des Markes liegenden Zellen
mit herausgerissen. Vom Mark sieht man auch hier Fäden in die, dasselbe um-
gebende, Membrana prima mp gehen. Hin und wieder kann man sie darüber
hinaus verfolgen, namentlich auch zu den Zellen des Hornblattes a hin, weiter
seitlich finden sich einige Fäden zwischen Hornblatt und der darunter liegenden
Membrana prima, welche möglicher Weise auch nervös sind. Ch Chorda. cu
Cutisplatte, 2 Erhärtungslücke, df Darmfaserplatte, gf Gefässblatt, pr. A primi-
tive Aorta, ce Darmdrüsenblatt, U Urwirbel.
Fig. 49. Durchschnitt desselben Embryo am Schwanzende. Das Mark ist
noch nicht von der Masse des mittleren Keimblattes geschieden, dagegen der
und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 417
Pleuroperitonealranm sehr entwickelt und es ragt sogar eine Leiste des Darm-
faserblattes, die der Genitalfalte zu entsprechen scheint, in ihn hinein. Am
Amnios, eu Cutisplatte stark verdickt, Beckenanlage (??), df Darmfaserblatt,
c Darmdrüsenblatt, etwas umgelegt, so dass es fälschlich zweischichtig erscheint.
Fig. 50. Durchschnitt aus dem hinteren Drittheil eines Kaninchenembryo
von 10 Tagen. Vergr. 150. Am Amnios, cv Cutisplatte, in derselben ein Rand-
gefäss G, df Darmfaserplatte, qf Gefässblatt. Die Darmfaserplatte ist auffallend
dünn, doch schien es mir, dass sich Elemente derselben in das Gefässblatt ein-
geschoben hatten. ce Darmdrüsenblatt, M Mürzer’scher ‚Gang, links vom Horn-
blatt gelöst, rechts demselben noch anhängend und mit ihm beweglich, Ur
Urnierengang, r Ecke, von der aus die Membrana reuniens superior sich bildet.
Fig. 51. Durchschnitt aus dem hinteren Drittheil eines fast 11 Tage alten
Embryo. Vergr. 150. Buchstabenbedeutung wie in der vorigen Figur. Der
Schnitt hat nur einen der beiden Urwirbel voll getroffen. Die merkwürdige
Formveränderung, welche dieser Schnitt der vorigen Figur gegenüber zeigt, und
welche die Disposition der Gewebe für die definitive Stratification des Körpers
bewirkt, lässt sich am besten darlegen, wenn von der Annahme ausgegangen
wird, dass eine Spannung in dem Rande der Cutisplatten, entsprechend etwa
dem Verlauf des Randgefässes, entstanden sei. Während um die Chorda herum
Bindesubstanzmassen sich entwickeln nud die Urwirbel rückwärts drängen, ver-
breitern sich die Cutisplatten (mindestens auf der dorsalen Seite) und das Amnios
spannt sich straff über den Körper. Die Cutisplatten werden zu der eigenthüm-
lichen Biegung gezwungen, welche die Figur zeigt, die dann weiter zur Ent-
wicklung der Membrana reuniens superior!) führt, die Gänge an die Oberfläche
des Peritonealraumes bringt und die Aorten einander nähert. In Bezug auf die
Entstehung der Bindesubstanz um die Chorda, welche ich von dem Verbin-
dungsstrang ableite, ist die Figur nicht besonders beweisend. Man könnte nach
ihr diese Substanz auch von dem Kern der Urwirbel herleiten und nach Fig. 50
von der medialen unteren Kante der Urwirbel. Nach anderweiten Präparationen
halte ich aber letztere Annahmen für nicht richtig. Die Darmfaserplatten haben
sich in einen äusseren Theil df und einen inneren Theil df” geschichtet, da-
zwischen befindet sich das Gefässblatt gf. f Fortsatz der Darmfaserplatten, wel-
cher die bis dahin nur aus einem Endothelrohr bestehenden Aorten zu umwach-
sen beginnt.
Taf. XI.
Fig. 52. Schnitt durch die rechte Seite eines gegen 10 Tage alten Ka-
ninchenembryo. Da ich die Methode, den feuchten Embryo in Paraffin einzu-
betten, noch nicht kannte, musste das Messer sehr nahe am Schnittrande auf
den Rücken des Embryo aufgesetzt werden und ging dann beim Durchschneiden
schräg aus der Fläche des Schnittes heraus, weshalb feinere Schnitte nicht in
grösserer Ausdehnung als der vorliegenden zu erhalten waren. Für mich genügt
!) Ich habe leider im Text unterlassen, mich über die Bedeutung dieser Benennung auszusprechen.
Ich lehne mich an Rırukz an, aber während dieser (das Original steht mir nicht zu Gebote) darunter
Cutis und häutige Wirbelbogen verstanden hat und sie aus den Urwirbeln hervorgehen lässt, verstehe ich
nur die Rückenhaut darunter, die aus der Cutisplatte hervorgeht. Ich habe jedoch die Bezeichnung
Membrana reuniens superior (im Text fälschlich als posterior bezeichnet) beibehalten zu dürfen geglaubt.
418 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung
ein so kleines Stückchen, da ich seine Entstehung unmittelbar beobachten konnte.
Vergleicht man die Lage des Urnierenganges in Fig. 50 mit der vorliegenden
Figur, so wird man in beiden die eigenthümliche tiefe Einbohrung desselben in
die Wand der vereinigten Seitenplatten erkennen. a Hornblatt. Unter einer
auffallend verdünnten Stelle des letzteren liegt der Urnierengang, Un, er
besteht aus einer helleren soliden Zellenmasse, den Hornblattzellen und einer
offenbar von den Seitenplatten abgegebenen Hülle. Diese Hülle ist im Druck
etwas zu dunkel geworden. U Urwirbel, gf Gefässblatt, eu Cutisblatt, df Darm-
faserplatten. Hier trage ich noch aus einer später aufgefundenen Notiz nach,
dass der jüngste Embryo, an welchem ich den Worr’schen Gang in der Bildung
überraschte, 8 Tage 231/, Stunden alt war und 3,48 mm. Länge hatte.
Fig. 55. Aus dem Rückenmark das Embryo, Fig. 50.
A. Durchschnitt durch die ganze Dieke des Marks bei 300maliger Ver-
grösserung. «a äussere Seite, die Linie weist auf das äussere Ende einer Radiär-
faser hin, 5 Nervenfäserehen, e an den Centralkanal heranreichende Enden tiefer
gelegener Zellen, d eine Lücke, aus welcher der Kern herausgefallen war.
B. Ein Zerzupfungspräparat desselben Markes 600mal vergrössert. a Stiele
der Zellen (Radiärfasern) abgerissen, b Nerven, 5’ ein Faden, der mir unzweifel-
haft aus dem Körper der Zelle zu entspringen schien, e Oberfläche des Central-
kanals.
Fig. 54. Schnitt durch das hintere Viertheil des Rückenmarkes eines circa
iltägigen Kaninchenembryo bei 400 mal. Vergr. Bildung des Ganglion spinale.
U Stück des Urwirbels, m. pr Membrana prima auf demselben, « Hornblatt,
R Rückenmark, p in der Bildung begriffene Rückenmarkshüllen (durch Anlage-
rung von Bindesubstanzzellen an die Membrana prima der Medulla). Zwischen
Urwirbel und Rückenmark wachsen die Ganglionzellen aus dem Mark hervor.
Fig. 55. Rückenmark eines Schaafembryo, dessen Kiemenbogen noch nicht
verwachsen waren. Vergr. 150. a Hornblatt, 5 Cutisplatte (Membrana reuniens
superior), ce Wirbelkörper mit der Chorda in der Mitte, d Sympathicusganglion
durch starke Karminfärbung in die Augen springend, e Gangliön spinale, f hin-
tere Spinalwurzel, M. pr. Membrana prima des Rückenmarks, die Pia ‘mater ist
noch nicht als etwas Besonderes von den übrigen bindegewebigen Hüllen zu
trennen. In den Nerven finden sich spindelförmige Zellen, welche ich für hinein-
gewucherte Bindesubstanzzellen halte, sie färbten sich nur schwach mit Karmin.
Zwischen Ganglion spinale und Rückenmark hat sich Bindesubstanz einge-
schoben. in derselben erblickt man ein Gefäss.
Am Rückenmark ist der Contour des Centralkanals wegen zu grosser Fein-
heit des Schnittes an einer Stelle unterbrochen. Zwischen Membrana prima und
Rückenmark findet sich ein Raum, der von Radiärfasern durchsetzt wird. v. C
erste Andeutung der vorderen Commissur. Man kann dieselbe als Längsstrang
ziemlich weit an der Peripherie des Rückenmarkes hin verfolgen. Am Mark
unterscheidet man eine aus 6 bis 8 Zellenlagen bestehende innere Masse, welche
jedoch durch ein Gefäss 9, das neben der vorderen Commissur sich in das Mark
einbohrt, auf der Figur aber nicht im ganzen Verlauf zu verfolgen ist, in zwei
Lagen (innere und äussere Körner) geschieden wird. Auf diese Schicht folgt
nach aussen eine Cireulärschicht, welche sich in der Breite von ein bis zwei
Zellen, von der vorderen Commissur bis über den Eintritt der hinteren Wurzel
hinaus erstreckt. Diese Schicht wird man auch ohne Hülfe von Buchstaben-
bezeichnung in der Figur erkennen können. Nach aussen von dieser Schicht
und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 419
folgen zerstreut liegende Zellen, welche an dem Eintritt der vorderen und hin-
teren Wurzeln zu grösserer Mächtigkeit angehäuft sind.
Fig. 56. Etwas älteres Rückenmark vom Schaaf eirca 300 mal vergrössert.
Die Zeiehnung ist, soweit nur irgend möglich, Zelle für Zelle copirt. Es ist
also keine Zelle gezeichnet, welche nicht da war, wohl aber sind Zellen, welche
über- oder unterhalb der Fokalebene lagen, nicht mitgezeichnet, da eine körper-
liche Zeichnung unmöglich ist, und der Schnitt doch drei Zellenlagen dick war.
M.pr Membrana prima, g in das Rückenmark einwuchernde Gefässe, h hin-
tere, vd vordere Spinalwurzeln. Die vorderen Wurzeln treten in einen ovalen
Zellenhaufen ein, der als Vorderhorn zu betrachten ist. Zwischen diesem und
dem gegenwärtigen Epithel des Centralkanals (Körnerschicht) liegt das Stratum
der eireulär verlaufenden Fasern und Zellen, welches im mittleren Theile des
Markes bis an den Seitenstrang reicht. Nach hinten zu geht das Stratum der
Circulärfasern in die Zellen des Centralkanals über. Bei R legen sich in Form
eines kleinen Ovals. die Hinterstränge an. Eine weit grössere ovale Masse,
welche wesentlich aus längs verlaufenden Nerven besteht, wird von den hinteren
Wurzeln durchsetzt. Dieser Längsstrang ist aus dem hinteren Höcker der
Fig. 55, also aus einer zelligen Masse entstanden. Dem entsprechend findet
man bei ö noch Zellenreste, welche sich etwas mit Karmin gefärbt haben. Die
Fasern des Stranges zeichnen sich durch grössere Dicke vor den Fasern der
anderen Längsstränge aus, jedoch hebt die Lithographie diesen Strang nicht so
deutlich hervor, wie es sein sollte. Von den Zellen des Centralkanals strahlen
überall die Radiärfasern r aus. Die Längsstränge zeigen ein retieulirtes Aus-
sehen, die Knoten dos Maschennetzes sind die Querschnitte der Nervenfasern.
Fig. 5%. Längsschnitt des Rückenmarkes von einem Rindsembryo mit
noch offener Thränenfurche 150mal vergrössert. Bei g sieht man Zellen der
Spinalganglien, welche letzteren noch nicht deutlich von einander gesondert
scheinen. Der Schnitt ist ziemlich durch die vordere Spitze der Ganglien ge-
sangen, so dass man auch schon die Fasern der vorderen Wurzeln austreten
sieht. M. pr Membrana prima, die Grenze des Markes bezeichnend, s Längs-
strang; derselbe zeigt noch einen unregelmässigen, verflochtenen Verlauf der
Nerven, welche hin und wieder aus der grauen Substanz entspringen, gr Zellen
der grauen Substanz. Die Halbeirkelschicht tritt an dem dünnen Längsschnitt
nicht hervor. Man sieht, dass die Zellen aus den verschiedensten Tiefen der
Epithelschicht bis zum "Centralkanal heranragen. Bei c ist die den Kanal aus-
kleidende einer Cuticula vergleichbare Schicht noch erhalten, weiter nach links
ist sie zum Theil völlig durch den Schnitt zerstört.
Fig. 53A. Ein Stück der vorigen Figur, von dem Buchstaben ce nach links.
bei 400maliger Vergrösserung. c Oberfläche des Centralkanals, m Radiärfaser
mit anhängenden Zellen respective Kernen, e Zellenenden am Centralkanal.
Fig. 55B. Die äussere Parthie eines anderen Längsschnittes von dem-
selben Rückenmark. m Radiärfasern, e Seitenstränge des Markes. Man erkennt
wie die Radiärfasern theils die Seitenstränge durchsetzen, theils sich beim Be-
ginn derselben stark zerfasern, und wenn auch nicht ganz, so doch grossentheils
in sie übergehen.
Fig. 59. Durchschnitt durch Kleinhirn X. H, und Pons, Md eines Schaaf-
embryo, um den Plexus chorioideus quartus zu zeigen. p Epithel des Plexus,
N Nerv, wahrscheinlich Trigeminus. Man sieht namentlich am Kleinhirn, wie
die Marksubstanz ganz und gar in das Epithel des Plexus aufgeht.
Zeitschrift f. Anatomie. Bd. 1. 98
420 V. Hessen. Beobachtungen über die Befruchtung
Fig..60. Epithelzelle des Rückenmarkes von einem Rindsembrye mit noch
offener Thränenfurche, durch Auspinselung isolirt, 600 mal vergrössert. a Epithel-
zelle, 5 Kern, einer Theilungsstelle anhaftend.
Meerschweinchen.
Fig. 61A u. B. Furchungskugeln des Meerschweinchens in beckenförmiger
Anordnung, A von oben, B von der Seite gesehen. Vergr. 300. Man sieht,
dass vier Furchungskugeln vorhanden sind, von denen eine, a, mit einem zungen-
förmigen Ausläufer versehen ist.
Fig. 62. Ei aus dem Uterus 5 Tage 3 Stunden alt, 150 mal vergrössert.
Das Ei war durch Ausschrapen erhalten. Man erkennt, dass die Furchungs-
kugeln verschiedene Grösse haben, da die Theilung nicht absolut gleichmässig
vor sich geht, doch möchte ich nicht wagen, hier schon eine Scheidung von
Epiderm und Endoderm anzunehmen, der weitere Verlauf der Furchung zeigt
ohnehin, dass beim Meerschweinchen jedenfalls von einem derartigen Nachweis,
etwa gar von der ersten Zweitheilung an, nicht die Rede sein kann. Ueber die
Seitenansicht habe ich nichts notirt.
Fig. 63. Körper aus einem 6 Tage trächtigen Uterus. Ich hielt es, na-
mentlich unter Berücksichtigung von REıcHErT’s Fig. 11 für möglich, dass hier
ein Ei vorliege, jedoch da der Körper 0,13 mm. mass, muss ich nach den mittler-
weile gemachten Erfahrungen diesen Glauben fallen lassen. Ich weiss nicht, was
die wirkliche Bedeutung dieser Bildung ist.
Fig. 64. Degenerirtes Ei von fast 7 Tagen, 50mal vergrössert. Auffallend
ist, dass die Zona hier noch so wohl erhalten war.
Fig. 65. Ei e, Zapfen z, und Kapsel %, 8 Tage alt, aus dem Bindegewebe
isolirt, 15 mal vergrössert, s Fortsetzung des Uterusepithels in das Epithel der
Uterushöhle, d anhängende Drüsenkanäle.
Fig. 66. Die Zeiehnung ist durch ein Versehen auf den Kopf gestellt.
Ei von 9 Tagen 4 Stunden in der Deciduamasse d. Es ist bezeichnet mit s der
Uteruskanal, % die Kapsel, e das Ei, n das Ende des Napfes. Man sieht den
Zapfen von der Kapsel bis zum Ei hingehen. Vergrösserung 10mal.
Fig. 67. Frischer Zapfen von 9 Tagen nach der Befruchtung. Vergr. 150.
k die Kapsel aus Uterusepithel bestehend, d Deciduazellen auf derselben, n der
Stiel des Zapfens, der später zum Napf wird, e das Ei im Zapfen, dasselbe zeigt
in diesem Falle relativ frühzeitig eine Höhlung genau im Centrum. Auf !der
Spitze des Zapfens beobachtet man eine Wucherung der Epithelzellen, welche
das Ei umgeben.
Fig. 68. Durchschnitt durch den isoliıtten Eizapfen, Fig. 66, Karmin-
präparat. Ich vermag nicht zu sagen, ob hier die Höhlung im Ei in Folge der
Erhärtung verschwunden ist, oder noch nicht gebildet worden war. Der Zapfen
ist um ein Geringes weiter entwickelt als in Fig. 67. e Eidurchschnitt etwas
verletzt, ep Uterusepithel, den Zapfen bildend, % homogene Hüllhaut des Zapfens,
f flossenförmiges Ende des Zapfens, vom Uterusepithel abgelöst, » Duplicatur
des Zapfens, aus welcher der Napf entsteht, der sich also zur epithelialen Pla-
centa materna umgestaltet. In dem von mir selbst gezeichneten Präparat sind
die Epithelzellen etwas zu klein gegeben. Vergr. 300.
und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 421
Fig. 69. Spitze eines 10 Tage alten, frischen Eizapfens. 200mal vergr.
e das Bi, darin die etwas excentrisch gewordene Amnioshöhle, ep das Epithel
des Zapfens, an der Spitze etwas geschichtet. Die Zapfen verhalten sich mit
Bezug auf diese Schichtung verschieden, bei einigen scheint sie ganz zu mangeln.
Fig. 70. Zapfen von 11 Tagen, circa 150mal vergrössert. Die Länge war
2,42 mın,, Breite 0,44, Länge des Stieles (Napf) 0,88, Breite des Eies 0,3 mm.
Es bildet sich am Ei schon deutlich das Amnios aus. Der Stiel » beginnt sich
zum Napf umzugestalten. Man sieht von der Convexität des Napfes einen Strang,
‚st, abgehen. Er besteht aus Zellen und ist solide, eine Deutung desselben ist
nicht zu geben.
Fig. 71. Kopf des Zapfens von cinem nur wenig älteren Ei. Vergr. 150.
Das Ei ist noch dünnwandiger geworden. Bei «a zeigt sich eine etwas auffallende
Asymmetrie, die mir regelmässig in diesem Stadium entgegentrat. Es macht
mir den Eindruck, als wenn sich entweder das mittlere Blatt oder das Gefäss-
blatt an dieser Stelle zuerst anlege, aber ich bin über den Process nicht zur
Klarheit gelangt. Man bemerkt eine Abplattung des Uterusepithels an der Spitze
(des Zapfens.
Taf IT.
Fig. 72. Ei und Zapfen des Meerschweinchens von 11 Tagen 12 Stunden.
Es ist der Länge nach eine Lamelle ausgeschnitten, doch ist leider das Ei dabei
gebrochen. Epth Epithel des Uterus am Zapfen, A homogene Membran, auf
welcher das Uterusepithel ruht, dieselbe ist an einer Stelle zerrissen, G in Folge
der Erhärtung entstandene Gerinnung, N Napf, bereits stärker ausgebildet, als
in Fig. 70. Die sich umschlagende Epithelzellenlage verläuft schliesslich in so
äusserst platte Zellen, dass die Verfolgung dieser Lage missglückt. Vergr. 150.
Fig. 73. Der Napf eines Eies von gleichem Alter. Von demselben geht
ein Stiel an die Spitze der Uterusflasche, F7, man sieht von dieser einen Faden
st abgehen (wie in Fig. 70), welcher von dem Stiel des Napfes umhüllt wird,
z ein Zellenanhang des Stieles, der sich, in der Regel doppelt, wohl an jedem
Ei aus diesen Tagen aufinden lässt. Vergr. 150.
Fig. i4. Spitze. des Zapfens vom Ende des 12. Tages. Die Keimscheibe
ist noch nicht deutlich geschichtet, das Epithel des Uterus auf ihr ist sehr zart
‚geworden. 200mal vergrössert.
Fig. 75. Ei von 12 Tagen aus dem umhüllenden Uterusepithel heraus-
geschält, jedoch noch von der homogenen Membran umgeben. Die Keimscheibe
besteht aus zwei Blättern, das äussere derselben, das Darmdrüsenblatt, wächst
in den Zapfen herab, indem es sich an-der Innenläche der homogenen Membran
hinabschiebt. Es endet bei © mit scharfem Rande. Die homogene Membran
hat bei f einen scharfen Rand, derselbe kleidete den Rand des Napfes aus. Der
Theil, welcher in den Napf hineinragte und ihn auskleidete, ist stark zusammen
gefallen.
Fig. 76. Querdurchschnitt durch einen Meerschweinchenembryo von etwa
15 Tagen, die Rückenmarksrinne noch weit offen, das Ei hat sich abgeplattet.
Am Amnios aus dem mittleren und äusseren Keimblatt «X bestehend, Md Me-
dullarplatte, Uw Urwirbel, mK Darmfaserblatt, g Gefässblatt, X „inneres“ Keim-
blatt oder Darmdrüsenblatt, A homogene Haut, Zpth Epithelzellen des Uterus,
Q x
28”
4223 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung
- Ch verdickte Stelle des inneren Keimblattes, aus welcher die Chorda m. E. hervor-
gehen wird. Vergr. 200.
Fig. 77. Ein feiner Querdurchschnitt eines ähnlichen Embryo, genau über
der Chordaanschwellung, 600mal vergrössert. Epth Uterusepithel, A homogene
Membran, iX Darmdrüsenblatt, mp Membrana prima, die Medullarplatte, Md,
‘von der Chordaanschwellung trennend. Die Haut scheint einen Ueberzug an
das innere Keimblatt abzugeben, doch habe ich denselben nie isolirt dargestellt.
In der Originalzeichnung war ein Znsammenhang mancher Zellen der beiden
Blätter dargestellt, im Druck ist dieser für die genauere Betrachtung ver-
schwunden. Eine Correetur würde so viel unstatthafte Schärfen in das Bild
gebracht haben, dass ich unter Hinweis auf das Gesagte den Druck uncorrigirt
bestehen lasse.
Fig. 78. Querschnitt des Rückenmarkes von einem Rindsembryo, dessen
Alter dem von Fig. 56 entspricht. Der Schnitt umfasst die Gegend des einen
Vorderhorns und ist stark ausgepinselt, so dass der grössere Theil der Längs-
stränge fortgerissen ist. Die Vergrösserung ist 150fach, doch ward hier wie
bei anderen Zeichnungen häufig eine stärkere Vergrösserung zu Hülfe genom-
men, um den Sachverhalt richtig zu ermitteln. %%k Halbkreisstratum, vA Vorder-
horn. Der Reichthum an Zellenausläufern tritt zwischen a und 5 deutlich hervor.
An dem Epithel des Centralkanals ce findet sich ein Beleg € Die Radiärfasern
lassen sich durch das Mark verfolgen. Die vorderen Wurzeln d scheinen mit
ihren Fasern in die Körner einzutreten und von diesen weiter bis zu den Epi-
' thelzellen auszustrahlen, doch gelang es nicht, den Sachverhalt klar darzulegen,
e Längsstrang, in Folge des Verfahrens verdrückt und zerrissen.
Fig. 79. Ei des Meerschweinchens 4 Tage alt aus dem Uterus. A. von der
Fläche, B. von der Seite gesehen, a die Richtungsbläschen. Vergr. 300.
Fig. S0. Ei des Meerschweinchens 5 Tage alt. A. von der Fläche, B. von
der Kante gesehen. «a Körnchen, wahrscheinlich ein vergehendes Richtungs-
bläschen. 300mal vergrössert.
Fig. Sl. Ei von 6 Tagen, es hat sich eine Art Keimhügel und Keimhaut
gebildet. 300 mal vergrössert.
Fig. S2. Präparate von einem 7 Tage 4 Stunden trächtigen Meer-
schweinchen.
A. ein Stück des Uterus der Länge nach gespalten in natürlicher Grösse.
a Muscularis, 5 Schleimhaut, c Epithelkanal des Uterus, d bindegewebige De-
cidua. In der Mitte derselben ist wieder das Uterusepithel als helle runde Fläche
frei gelegt und hier sieht man als feinen schwarzen Punkt, das Ei. Dasselbe
tritt jedoch zu deutlich hervor.
B. Der betreffende Theil des Epithels isolirt und bei 250facher Vergrösse-
rnng gezeichnet. a Rand des Uterusepithels, 5 Epithelhülle des Eies, ce das Ei,
d Mesometrium.
C. Durchschnitt der betreffenden Stelle des Uteruskanals, das Ei heraus-
gebrochen. a der obere Rand des Epithelkanals, p Oeffnung, auf welcher das
Ei ruhte, ihr gegenüber ein kleines Polster der Epithelschicht.
Fig. 83. Verspätetes Ei von 7 Tagen 14 Stunden am Uteruskanal. a Epi-
thelkanal, 5 das Ei in dem ‚.Zapfen“, nicht klar abzugrenzen, ce der Zapfen mit
gestricheltem Stiel der Epithelwand ansitzend. }
Fig. S4, 85 u. 56. Dem Uterus eines 7 Tage- 10 Stunden trächtigen Meer-
schweinchens entnommen.
und Entwicklung des Kaninchens und Meersehweinchens. 493
Fig. S4. Epithelkanal des Uterus mit Ei isolirt, eirca 5mal vergrössert.
d bindegewebige Decidua, soweit dieselbe an der abgewendeten Seite des Epi-
thels lag, es ist also die dem Beobachter zugekehrte Hälfte derselben entfernt.
a Zapfen, an der Spitze desselben das Ei, f die „Flasche“ des Epithels mit ver-
diekter und geknickter Randparthie.
Fig. S5. Durchschnitt durch das vorige Präparat bei etwa 100facher Ver-
grösserung gezeichnet. a Uterusepithel, 5 umgebogener Uteruskanal, c Fort-
satz an demselben, dessen Structur mir nicht klar ward, wahrscheinlich homogene
Hülle des Epithels, d das Ei, e Zellen, auf denen es ruht und welche später den
„Napf“ bilden, ‚f Stiel des „Zapfens “.
Fig. S6. Dasselbe Präparat bei 300facher Vergrösserung, von der Fläche
gesehen, ehe der Durchsehnitt gemacht ward. Buchstaben wie in 85. g Fort-
sätze der Zellen, welche nicht als Drüsenmündungen gedeutet werden dürfen,
h ein Zellenwulst, wahrscheinlich frühere Drüsenmündung.
Fig. S7. Eizapfen 8 Tage alt bei 50facher Vergrösserung. In dem Zapfen
hat sich Flüssigkeit ausgeschieden. Bezeichnung wie in 85. n eine polster-
förmige Vorragung der inneren Zellen des Zapfens in den Hohlraum desselben,
aus diesen wird sich der Napf bilden. p Spalte im Uterusepithel, aus welcher
das Ei hervortrat.
Fig. SS. Eizapfen S Tage 4 Stunden alt.
A. Epithelkanal des Uterus mit Erweiterung f, und darauf sitzendem Ei-
zapfen z, 11/, mal vergrössert.
B. Der Zapfen isolirt, 20mal vergrössert. a das Ei, db der Stiel des Zapfens.
Fig. S9. Feiner Durchschnitt aus dem hinteren Ende der Keimscheibe
eines Kaninchens. Dieser Schnitt gehört zu der Serie Fig. 20, Taf. IX und
fallt dicht hinter 20B. Man sieht deutlich die Wucherung der Zellen des
äusseren Keimblattes a, 5 mittleres, ce inneres Keimblatt. In Bezug auf diese
Zellen kann ich kaum glauben, dass sie im frischen Zustande rund seien, wie
LIEBERKÜUHN dies: Marburger Sitzungsberichte No. 1 v. d. J. urgirt; auch be-
merke ich, dass meine Präparate nicht, wie dort angenommen wird, mit Alkohol
in Berührung waren.
Fig. 90. Epithelzellen aus dem Rückenmark mit Radiärfaser. a freies
Ende der Zellen, b ein nervöser Faden, welcher rechtwinklig von der Radiär-
faser abgeht. 600 mal vergrössert.
Der Musculus „sternalis“.
Von
Dr. Karl Bardeleken,
Prosector und Privatdocent in Jena.
Die Beobachtung eines eigenthümlich gestalteten, meines. Wissens
in dieser Form noch nicht beschriebenen „Sternalis“ veranlasste mich
zu näherem Studium über diesen Muskel, das sich sowohl auf die-
Literatur als auch auf die vergleichend-anatomischen Verhältnisse er--
streckte. Die heftige Opposition, welcher meine Angabe über das
Ueberschreiten der Medianlinie Seitens des Sternalis bei Ge-
legenheit eines von mir in der Jenaer medicinisch-naturwissenschaft--
lichen Gesellschaft gehaltenen Vortrages von vielen Seiten her be-
gegnete — besonders aber die damals von einer Seite aufgestellte-
Behauptung, das Ueberschreiten der Medianlinie sei unmöglich, weil
es gegen das „Gesetz von den Antimeren“ verstosse, machen es mir
im Interesse der objectiven Forschung, der wissenschaftlichen Wahr--
heit zur unabweisbaren Pflicht, meine eigenen und die aus der Lite--
Erklärung des Holzschnitts auf 8. 422.
ce = clavicula.
stm = sterno-mastoideus.
ps = pectoralis superfieialis (abnorm).
pp = pectoralis profundus (der normale pectoralis).
pa = Abdominalzacke des rechten pectoralis.
Std = Sternalis dexter.
Ss = Sternalis sinister.
vRe = vagina recti abd.
Die längere, senkrecht verlaufende Linie ist die Medianlinie des Körpers..
Die von der Mittellinie nach links abweichende Linie trennt die beiden Ster-
nales von einander, soweit das Uebergreifen einzelner Muskelursprünge über
die in Rede stehende Linie es gestattet. (Auf dem Holzschnitt nicht ganz
deutlich.)
425
Der Musculus sternalis.
426 Dr. Kırı BARDELEBEN.
ratur entnommenen Beobachtungen zu veröffentlichen, ausser Anderem
auch ein für alle Mal nachzuweisen, dass trotz des Gesetzes der Anti-
meren der Sternalis in fast einem Viertel der überhaupt in dieser
Beziehung mitzurechnenden Fälle (s. u.) die Medianlinie überschreitet.
Meine eigenen Beobachtungen vom Sternalis erstrecken sich auf drei
Fälle. Den ersten sah ich in Leipzig im December 1872 an einer
äusserst musculösen männlichen Leiche; derselbe war einseitig und
setzte die Sehne des sternocleidomastoideus bis zur Rectusscheide der-
selben Seite fort. Der 2. Fall wurde an der Leiche eines 50 jährigen
Mannes (Muskel-Leiche No. 1) auf dem hiesigen Präparirsaal am
29/10. 1874 von mir beobachtet und sogleich in mein anatomisches
Notizenbuch eingetragen und abgezeichnet. Derselbe entstand museu-
lös von der Rectusscheide der linken Seite in Höhe des 6. Rippen-
knorpels, ging 2,5 ctm. breit, fleischig schräg median- und aufwärts,
erreichte den linken Rand des sternum in Höhe des 3. Rippenknor-
pels, wurde dort sehnig, überschritt in Höhe des 2. Intercostalraumes
die Medianlinie und endete in dem Sternalursprung des sternoclei-
domastoideus der rechten Seite. Die Länge des ganzen Gebildes be-
trug 17 ctm., die der Sehne davon 7,5; deren Breite 0,5 etm. — Der
Muskel lag selbstverständlich vor dem pectoralis major. — Der
3. Fall endlich, s. Fig., rührte von einem jungen, circa 20 Jahre
alten Manne her, der sich suieidii causa in der Nähe Jenas von
einem Eisenbahnzuge überfahren lies. Der junge Mann besass eine
stark entwickelte Muskulatur; — leider konnten, abgesehen von der
Verstümmelung der Leiche durch die Maschine, aus äusseren Gründen
nur einzelne Theile präparirt werden (Muskel-Leiche No. 9 — T. Dec.
1874). Das hier zu beschreibende Präparat konnte jedoch der Jenaer
anthropotomischen Sammlung erhalten bleiben.
Der Muskel entspringt links mit einigermassen trennbaren sechs
fleischigen Bündeln oder Zacken von der Rectusscheide in Höhe des
6. Rippenknorpels medial von der normal von der Rectusscheide kom-
menden Portion des pectoralis major; er geht, allmälig schmäler
werdend, in schwachem Bogen, dessen Concavität medianwärts ge-
richtet, median- und aufwärts, wird, am unteren Rande früher als am
oberen, sehnig und geht in das noch näher zu beschreibende, vor dem
sternum gelegene Sehnenblatt über.
In ganz ähnlicher Weise, nur in den Dimensionen etwas schwächer,
zeigt sich der rechte Muskel, dessen Sehne gleichfalls in das Sehnen-
blatt vor dem sternum übergeht, so dass die unteren Ränder der rech-
ten und linken Sehne einen nicht ganz symmetrischen mit der Con-
cavität nach unten gerichteten Bogen darstellen. Beide Muskeln liegen
Der Musculus sternalis. 427
selbstverständlich vor den Fasern des pectoralis major. Das eben er-
wähnte Sehnenblatt, dessen unterer Rand in Höhe des 3. Rippenknor-
pels liest, wird gebildet aus den Sehnen der oben beschriebenen beiden
abnormen Muskel, sowie dadurch, dass beiderseits Fasern vom pecto-
ralis, der in seiner oberen Hälfte enorm stark entwickelt ist und sich
dort auch eine Strecke weit in 2 Lagen trennen lässt — ungefähr
in der Mittellinie sich sehnig vereinigen. Die Muskelfasern des pecto-
ralis erreichen nicht nur, was ja schon an und für sich Ausnahme,
die Medianlinie, sondern überschreiten dieselbe an einzelnen Stellen
bis zu 4 mm. weit, d. h. sie schiessen sozusagen an denen der anderen
Seite vorbei, so dass es unmöglich ist, durch eine gerade Linie rech-
ten und linken pectoralis zu scheiden. Nach oben zu geht das Seh-
nenblatt allmälig in die Bandmassen über, die den oberen Theil des
sternum bekleiden, sowie mit dem Ursprung der Sternalsehnen des
sternocleidomastoideus in Verbindung stehen. Diese sehnige Vereini-
gung der Pectoralis-Fasern, die sich, je weiter nach unten, desto deut-
licher, als vor dem sternum gelegenes Sehnenblatt zeigt, hat eine Aus-
dehnung von 6 ctm. in der Mittellinie. Von der oberen Grenze des-
selben -bis zur incisura semilunaris sterni sind noch 3 ctm., von dem
unteren Bogen bis zur Spitze des proc. xiphoideus 9,5 ctm. Die Länge
des linken und rechten sternalis von seinem Ursprung an der Rectus-
scheide bis zu der Stelle, wo Pectoralis-Fasern an seine Sehne treten,
beträgt 10—12 ctm. (der verschiedenen Bündel), die Länge bis zur Mitte
(höchster Punkt des Sehnenbogens) 13 ctm., Breite des Muskels links
2,5—3,0—4,0 ctm., Basis horizontal. 5,0 ctm., der rechte sternalis 25—
3,0—3,5, Basis 4, 3. Die Sehne des linken Muskels ist 2,5—4,0 ctm.
lang, 1 ctm. breit, die des rechten 2,5 lang, 3—6 mm. breit.
Von der Basis der beiden Muskeln bis zur ersten inscriptio tendinea
des Rectus ist rechts und links eine Distanz von 4,0—4,5 ctm., die
Distanz der medialen Ränder der beiden sternales von einander an der
Basis beträgt 11 ctm.
Von den an das Sehnenblatt sich ansetzenden Fasern des pecto-
ralis, die wir als den „Versuch“ zu einem zweiten, vor dem normalen
gelegenen pectoralis betrachten können, haben die untersten Bündel
eine zu dem sternalis derselben Seite ungefähr senkrechte Rich-
tung, während die Fasern des entgegengesetzten sternalis als nur
durch die Sehnen der sternales getrennte Fortsetzung derselben er-
scheinen.
Die Fascie des pectoralis überzog auch die sternales, die sie
scheidenartig einhüllte.
An die Beschreibung dieser von mir selbst beobachteten 3 Fälle
428
Dr. KıRL BARDELEBEN.
schliesse ich in der unten folgenden Tabelle A. diejenigen Fälle in
der Literatur an, welche mit einigermassen brauchbaren näheren An-
gaben veröffentlicht worden sind.
Die Tabelle A. enthält in der 1. Col. die laufenden Nummern, in
der 2. die Nr. des Lit.-Verz., 3. die Beobachter, 4. die Körperseite,
5. u. 6. Ursprung und Ansatz, 7. allgemeiner interessante Bemerkun-
gen aus den Originalangaben.
Wo es mir nützlich erschien, habe ich die eigenen Worte der
Autoren eitirt, sonst aber kurz ausgezogen resp. übersetzt.
Tabelle A.
alas Be |
Ze | a Be Ursprung. Ansatz. , Bemerkungen.
EB SH . | .
Se |
1, 3 Cazrorıus. beide. joberer Theil des 8. (?) Rippe. |instar balthei,
| sternum und „long. duas spi-
‚Theil der elavi- thamas, lat. dig.
| eula. duos.“
2| 5 | Ruopıs ? ? „peetorali adhae- ‚dig. medii lati-
(HıEron. rens et omnino tudine.“
|SABONIUS). separatus.“
3 7 | DousLas. ? fleischig von der „into the os pec-,,m. in summo
- 1. Rippe. toris under the) thorace situs.“
tendon of the
| rectus.“
4| 8 AnonyMmtus rechts. |„fibris tendin. a| „oblique supra |„fibras eum illis
b.DousLas. parte sterni supe- rectum.“ museuli recti
rioreferemedia.“ confundens.“
oa ou Puy. | beide. r. „bord inferieur| r. „bord sup£- |,lesdeux muscles
du premier os durieur d. 1. VII. pulmonaires
sternum.“ cöte.““ manguoient dans
l. bord inferieur, 1. ebenda. ce sujet.‘“
du cartil. d.1. II.
cöte.“
6 | 12 WEIT- beide. „ex osse summo ‚„inscript. I. recti 3 dig.lat., unum
BRECHT. sterni communi maxima parte.“ crass., fibras ser-
aponeurosi.‘“ rati ant. decus-
sans.“
7|14 |pEraAFure. links. „par un tendon „confond: avec [figure ovale tres-
assez long le muscle obl. | allongee, cou-
attache au ster- ext.“ vrant le pect.
num.“ maj.
Verbindung mit
| sternocleidoma-
stoideus.
8| 15 Wiırpe. | beide. neben proc. xi-| Uebergang in Mann.
phoid. sternocleidoma-
stoideus.
9 |18.19|v. Harıer.| links. | cost. IV (V?) sternum.
- Der Musculus sternalis. 429
Ze Er er Paper Ursprung. Ansatz. Bemerkungen.
Eis |
10 | 20 BOER- ? v. rect. abdom. 3. Rippe. Fortsetzung des
HAAVE. | rectus. „In cor-
| pore juven. gi-
| ganteod.“
11 | 20 — links. v. sternum u. 7.| parti superiori |,pectoralis uter-
Rippenknorpel. |sterni infra ini-que erat validis-
tium sternoclei- simus.
| domastoidei.
”72| — = beide. rechts 5. Rippen- sternum, sterno-| Mehrfache zu-
knorpel, ster- | cleidomastoi- | sammenfliessen-
num, 7. Rippe, deus. de Ursprünge,
'Aponeurose des sowie Theilung
| obl. abd. der Ansatzseh-
nen in Zipfel.
links portio ten- „membrana pec- weit kleiner als
dinea des rech-| toralem in- rechts.
ten abnormen vestienti.“
| Muskels.
13 | 23 | HUBER. | rechts. „a supremo ster- 5.Rippenknorpel; 11jähriges Mäd-
no atque a costa „decussabat infi-, chen, „ein Hei-
suprema.“ mas fibras mu- denkind, ex eo
sculi pectoralis, |genere erronum,
ante hunc ince- quosCingarosseu
‚dens, inparteejus Aegyptios vo-
infima, quaecumcant. Musculus
miscebatur, seil.vix digitum la-
| terminabatur.“ tus.“
14 | 24 Bov- beide. vom sternoclei-| rect. abd. (?) | „jusqu’aux mu-
RIENNE. , domastoideus, seles droits du bas.
, beiderseits ge- ventre, ou les
trennt. fibres se confon-
doient (?) sans
aucune apparen-
ce d’intersection
tendineuse.““
15 | 25 | Porrar. | beide. beiderseits vom| rect. abd. (?) |„divises comme
sternocleidoma- ; ‚les muscles droits
stoideus. par deux Enerva-
tions tendineux.“
On 27 Bonn. ? sehnig vom 3. | 6. Rippe nahe Aethioper.
Rippenknorpel. | dem Knorpel.
120130 ALBIN. ? 6. u. 7. Rippen-| „ossi pectoris, ungefähr 2 Fin-
'knorpel, Aponeu- etiam conjuncetus ger breit.
rose des obl. ext.| cum prineipio
| peectoralis.‘“
2182132 IsEn- beide. | rechts Rectus- beiderseits beide Muskeln
FLAMM. scheide, Höhe | Uebergang in |hingen vor dem
des 5. Rippen- | sternocleidoma- | sternum durch
knorpels, links stoideus. eine Sehnenhaut
Gegend des 4.
Rippenknorpels
nahe dem ster-
num.
| zusammen.
>
(dt
(em)
Dr. Kırı BARDELEBEN.
No.
des Falles
Beob-
achter.
ı Körper-
seite.
Ursprung.
Ansatz.
ı Bemerkungen.
*
-
co
o
[94]
20 | 36
a BU
22 | 41
3A
24 |
RosEn-
MÜLLER.
|
|
|
BRUGNONE.
|
|
|
| ÜROUZET.
LoscHGE.
KeELcH.
beide.
links.
rechts.
rechts.
rechts.
links.
'rechts 2 Bündel,
‚beide „a mem-
brana sternum
tegente“, ein
\ Bündel in der
| Gegend des 6.
Rippenknorpels
eins in der des 5.
entspringend,
‚links Gegend des
5. Rippenknor-
| pels.
1) oberer Theil
| des sternum.
2) oberes Drittel
\ desselben.
|
4 Bündel: 1) u.
2) ähnlich Nr. 20.
3) von Aponeu-
\rose des obl., den
Rippenknorpeln
der 4. u. 5. Rippe
gegenüber.
'4) lateral. Partie‘
des sternum.
Handgriff des
Brustbeins, Zu-
sammenhang mit
sternocleidoma-
stoideus.
Verbindung mit
sternocleidoma-
stoideus durch
Sehne, die sich
an dem Brust-
bein in der Ge-
gend des 2. Rip-
penknorpels be-
festigt und pecto-
ralis major zum
Ansatz dient.
Verbindung mit
sternocleidoma-
stoideus.
„evanescebant
sub cute versus
regionem carti-
lag. cost. II.“
ähnlich dem
rechten.
1) 8. Rippe.
2) 6. Rippen-
knorpel.
1) vereinigt sich
mit Fasern des
pectoralis der an-
deren und der-
selben Seite, so-
wie mit 2).
1u.2 wie No. 20;
3 u. 4 vereinigen
sich sehnig, stei-
gen zum oberen
Rand der 2. Rip-
pe, bilden eine
Sehne, die sich
mit der von 1 u.)
2 vereinigt.
6. u. 7. Rippen-,
knorpel.
durch dünne seh-
nigte Membran
Zusammenhang
mit Aponeurose
des obl. ext.
5. Rippen-
knorpel.
„puella satis
robusta.“
alter Mann.
Muskel dop-
pelt.
fettes Weib.
60jähr. Frau.
Mann. Keine
Verbindung mit
Bauch-Muskeln.
Sternalsehnen
des sternocleido-
mastoideus mit
einander durch
eine Sehne ver-
bunden.
Der Musculus sternalis. 431
E Ke |
zE 2 sehten. a Ursprung. Ansatz. | Bemerkungen.
[ee] sa | |
= | A Mi |
25 43 | KercH. | beide. | rechts von der 6.Rippenknorpel. Weib.
Sehne des linken
sternocleidoma- |
stoideus. |
links vom Ster- 6.Rippenknorpel.
'num-Rand, Ge-
'sendder3. Rippe.
26 | 45 Orrto. | rechts. Gelenkkapsel des 5.Rippenknorpel. Fran.
'Sternalendes der
elavieula.
27 I — —_ links. 2. Rippe. 6. Rippe. Mann.
2383| — — links. | ıbid. ibid. kleines Mädchen..
29 | — = links. nahe der Schlüs- 5.Rippenknorpel. Mann.
'selbein. Verbin-
ı dung mit dem
‚Ende des sterno-
| eleidomastoi-
| deus. |
Otto bemerkt
ferner: linker
rectus abdominis:
| lief 1 Mal bis 4..
| | Rippe.
30 | 46 _ rechts. [starke Sehne, die weibliche, aber-
mitbeiden ster- muskelstarke
nocleidomastoi- Leiche.
| dei sich ver-
band.
31 | 47 JR. „Fortsetzung des bis zur 4. Rippe.
MEcKEL. rectus.“ |
a - _ | idem. idem.
3 | — — idem. bis zur 3. Rippe.
34 | — — ı 7. Rippe. manubrium
| sternl.
35 | 49 = rechts. Basis des 6. Rip- theilweise manu-| Kind. Muskel
ı penknorpels. brium sterni, | 1/, Zoll breit.
theilweise ver-
webt mit sterno-
cleidomastoi-
deus.
*36 | 54 — beide. rechts 6. Rippen- das äussere |Neger: rechts
knorpel.
Bündel verliert
sich im Zellge-
webe der Haut
auf der 3. Rippe,
das innere
Bündel über-
schreitet die
Mittellinie
und endist links
am „unteren En-
de des obersten
Brustbeins“.
dünn kaum 1
Linie breit, oben
und unten lange-
Sehne.
432 Dr. KARL BARDELEBEN.
285 |
SE Fr Sie er Ursprung. Ansatz. Bemerkungen.
a\Z2H ; ; |
3|°3 | |
links vom 7. Rip- verläuft an die 2.
penknorpel 1/5” Rippe über das,
' vom Sternum- | sternum nach
rande. rechts, geht |
‚durch die obere
Sehne in ein
Bündel des rech-,
ten pectoralis |
major über. —
Verbindung mit
lınkem pecto-
ralis.
*37 | 54 Vaads beide. wie 36. wie 36. Neger.
MEcKEL. | „Derselbe.“
38 | 61 LaAvTH. ‚Verbindung mit an Rippenknor- | „mehrmals“
sternocleidoma- |peln und Rectus- beobachtet.
stoideus und mit scheide.
Bündeln des pe-
ctoralis major.
39 | 70 | HALLET. festes Band vom Rectusscheide. „14 Horm.c
3.Rippenknorpel.
40 | — — rechts. obere rechte Sei-|mitdrei sehnigen „2. Form.“ 4
(nach ]). te des Brustbeins Bündeln von dem lang, 11/5‘ breit.
‚mit Fasern des | 4.—6. Rippen-
‚pectoralis major./knorpel der lın-
| ken Seite.
41| — _ mit 3 Köpfen: | Rippenknorpel, | Nervenzweige
vom Anheftungs- Bauch - Aponeu- | von Nn. inter-
‚punkt des sterno- rose, proc. ensi- costal. 3, 4 u. 5.
cleidomastoideus| form., Rectus-
am Brustbein; | Scheide.
manubrium ster-,
ni; Brustbein,
Höhe des 3. Rip-
penknorpels.
AB ein- |nicht näher be- 78jähr. Mann;
seitig. schrieben. alle anderen Re-
spirationsmus-
keln fettig ent-
artet, der sterna-
lis durch rothe
‚Farbe und kräf-
tige Entwicklung
ausgezeichnet.
43 | 74 | W. GRv- | beide. | Mit 1—5 flei- | vord. Fl. oder | Form: platt,
bis BER. 9 Mal, schigen oder apo-, Seitenrand des meist länglich,
61 “| neur. Zacken | sternum, von (dreieckig (6/7. d.
rechts. |\yom 3.— 8. Rip-' Mitte seiner F.), selten
6 Mal. | penknorpel. — | Höhe bis Mitte | schmal, band-
links. Von der Rectus-| des manubrium förmig oderplatt,
4 Mal. scheide. und an den En- breit, spindel-
V. Brustbein, |den der 2. u. 3.| förmig. —
(besond. Rand). | Rippenknorpel.
V. pect. ma). (9 Mal.)
Der Musculus sternalis.
433
No.
des Falles.
No. des
Lit.-Verz.
Beob-
achter.
Körper-
seite.
s
Ursprung.
Ansatz. Bemerkungen,
{er}
ID
75
77
DEnvc£.
SCHWEGL.-
links.
der vag. recti
l/, der Fälle von
dieser mit einer
Zaacke und noch
1—4 Zacken von
anderen Stellen.
!/, der Fälle mit
1—4 Zacken von
den angegebenen
Orten mit Aus-
schluss der vag.
recti.
|
I/, der Fälle von
allein; in noch
| Oder:
von man. sterni
kommende Por- |
tion beider mu-
caudatus) setzt
major.
Meistens aber
Oder: mit ei- Länge: (bei Er-
nem Bündel am) wachsenen) von
oberen Brust- 81/,—27 etm. (In-
ı beinkörperende, 'sertionssehne da-
‚mit dem anderen von 2—71/, etm.).
in den gegen- Breite:
‚seitigen pecto- Grundfläche:
ralis (2 Mal). |13—14 mm. bis
Oder: Setzt 7 ,ctm.
sich mit breiter) Insertionssehne:
, Sehne nur in 2— 28 mm.
ı den gegensei- |l Fall nur 3—
tigen pectoralis | 3!/, mm. breit.
‘(1 Mal) fort. |Fleischtheil. Bei
heftet | Kindern (2 F.)
sich mit seiner |4—51/, etm. lang
Sehne an eine |(Insertionssehne
breite Apon. an, 7—18S mm.),
welche die sonst/breit: 5—14 mm.
am Fleischtheil,
bis 21), mm. an
der Sehne.
Lage: immer
auf dem pecto-
ralis major oder
dem sternum,
überschreitet
mit seinem late-
ralen Rande nie
die Verbindung
sculi pectorales
vereinist.
(1 Mal).
Oder: (als bi-
sich mit der
Sehne der innern
Portion an die
ı Verbindung des | des knöchernen
Körpers mit dem und knorpeligen
manubr., mit | Theils der Rip-
der der äussern, pen.
Portion endigt Verlauf: meist
er in der Fascie,bogen- oder bis-
des pectoralis weilen S-förmig,
(1 Mal.) der coneave Rand
medianwärts, der
convexe lateral-
wärts. — Aus-
nahmsweise
gerade aufwärts.
(14 Mal) verlän-
gert er sich in
den Sternalkopf|
des st.-el.-mast.
4. u. 5. Rippen- |
knorpel.
von einer oder
mehreren Rippen
innerhalb der
2.—. Rippe.
len, z. B.1. Rıppe,
Brustbein, elavie., BRECHT, SUESs,
| Zusammenhang | Boxx, PORTAL,
der muskul. Bün- SANDIFoRT be-
‚del mit st.cl.mst.,| schr. Varietä-
mit pect. maj. u. ten; also min-
‚mitobliqu.ext.(?).destens 7 Fälle!
sternocleidoma- ,‚Ce muscle est
stoideus. | normal chez le
singe.“ (sic!)
von einer oder mehrere Fälle, in
mehreren Stel- 'allen von Augıs,
ı HALLER, WEIT-
434 Dr. Kırı BARDELEBEN.
&| ns | |
el n | |
zE Nr 2 Forner) Ursprung. | Ansatz. Bemerkungen.
171 35
395
64 | 78 |J. Bungee. rechts. En untern Ran-| schmale Sehne,
de und vordern | die nach rechts
Fläche, sowie mit und links sich
einem sehnigen theilend, mit
Zipfel von der Fleischbündeln
vorderen Fläche, beider pectora-
des Knorpels der) les zusammen-
6. Rippe. hängt. —
*65| 79 Har- beide. | beiderseits mit | gemeinsames | muskulöse Frau
BERTSMA. je 2 Portionen | Sehnenblatt vor | von 53 Jahren,
(einer medialen [dem öbern Theil|beiderseits 2 Por-
und lateralen): | des sternum, |tionen, die sich
laterale Portion:;welches die bei-Jan den Insertio-
rechts v.5.Rippe,|den sternocleido-| nen vereinigen;
links v. 4. Rippe. mastoidei ver- | beide Muskeln
mediale Portion: bindet. ziemlich gleich
rechts v. 5. u. 6. und symme-
Rippenknorpel, trisch. Grösste
links v. 4.—6. Breite 6 cm.,
Rippenknorpel, Länge 20 cm.,
ausserdem Rec- Dicke !/, cm.,
tusscheide. beiderseits ent-
| springt der
| grösste Theil der
| portio sterno-
costalis des
pectoralis nicht
vom sternum,
sondern in einer
Entfernung von
1l/o,.3, 41/, ctm.
lateral von den
fov. artie. — Die
Portio abdomi-
nalis stark ent-
wickelt.
66 | 81 | Carorı. | rechts. sehnig von dem Aus einem lan- | 80jährige Frau.
manubrium gen, platten C.bezeichnet den
sterni und theil- Muskelbauche Muskel als ‚‚mu-
weise von den entstehen 4kurze seulo inspiratore
Ursprungsseh- Sehnen, die sich sopranume-
nen der beiden an den oberen rario“. —
sternocleidoma- |Rand des 3.— 6.
stoidei. Rippenknorpels,
nahe dem rech-
ten Sternal-Rand
ansetzen.
67 | 83 | TURNER. 5 rechts. Zusammenhang | in 3 Fällen |21 Fälle: davon
bis 2 links. | mit Aponeurose |Sehne verbunden) 7 männl., 11
87 5 „eros- | des obliquus in [mit der vorderen| weibl. Leichen,
sed.“ 12 Fällen. |Fläche des ster-|bei 3 Geschlecht
°/9 beide. „additional num. 8 MalZu-| nicht ange-
attachment“ zursammenhangmit geben.
| Seite des ster- |einem oder bei-| Beim beidersel-
ı num nahe dem | den st.-cel.-m. | tigen Vorkom-
Der Musculus sternalis.
435
Se
SR > eoD- OTper- = ne | =
zE s” een ee Ursprung. Ansatz. | Bemerkungen.
Al de /
4.Rippenknorpel- 2 Mal Ver- Iren (9 Mal) wa-
Gelenkin einem/mischung (blen- ren die Ursprün-
Falle. Vom 5.| ded) mit den \ge stets getrennt,
Zeitschrift f. Anatomie.
Ba. I.
u. 6. Rippenknor-
pel nahe .der In-
sertion des rec-
tus: 6 Mal.
1 Mal von’ dem
knöchernen
Theil d. 6. Rippe.
1 Mal vom 7.
Rippenknorpel.
1Malvonden de-
cussating fibres
vor dem unteren
Ende des ster-
num.
1 Mal grossen-
theils von der
Aponeurose des
obliquus; ausser-
dem vom 5. un
6. Rippenknorpel
nahe ihren Ster-
nalenden.
oberen Sternal- 3 Mal blieben die
fasern des pect. Muskeln der bei-
In 4 Fällen | den Seiten ge-
theils in sterno- trennt, während
cleidomastoideus in 6 Fällen die
endend, theils | Insertionssehne
am sternum. jedes Paares mit
In 1 Falle jeinander das ma-
theilweise in der nubrium bedeck-
Substanz des lin- te, und (ausge-
ken pectoralis in nommen 2 Fälle)
Höhe der 2. Rip- mit dem sterno-
pe,theilweise vor, mastoideus zu-
dem manubrium,
theilweise in den
linken sternoclei-
domastoideus.
Einmal beider-
seits an der Vor-
derfläche des ma-
nubrium sterni,
theilweise in den
linken sternoclei-
ı domastoideus.
Einmal beider-
‚seits an der Vor-
derfläche des ma-
nubrium und an
den Fasern des
pectoralis in
‚Höhe des 2. u. 3.
‚ Rippenknorpels.
Einmal (ein-
seitig) ging das
eine Bündel (in-
nere) mit 2 rund-
lichen Sehnen
zum rechten
sternomastoideus
unter Entsen-
dung eines Aus-
Bündel ober-
läufers zum ma-
nubrium, wäh- |
rend das äussere
sammenhingen.
In dem Falle, wo
der Muskel von
der 5.—6. Rippe
entsprang, durch-
bohrte er schräg
den pectoralis.
In 2 Fällen
lösten sich Mus-
kelbündel ab und
verbanden sich
mit dem pecto-
ralis.
Nie. beobachtete
TURNER Conti-
nuität mit reetus
abdominis, nie
inseript. tendi-
neae. Mehrere
Male bestanden
gleichzeitig Ano-
malien des pecto-
ralis major.
flächlich in dem!
ob. Theil d. Pect.
Aponeur. endete.
Einmal (beider-
| seitig) war die
obere Sehne ganz
von der Apon. des
pect. bedeckt. |
29
DR. KARL BARDELEBEN.
Ursprung.
Ansatz.
| Bemerkungen.
436
als 8
s=|=2 | Beob- |Körper-
Z=ıs.| achter. seite.
za zZ a
HA |
88 | 85 | TURNER. | beide.
89 | — — rechts.
90 | 86 —_ beide.
91 188.389) MacaA- 2 Mal.
bis LISTER. | beide.
101 8 rechts.
1 links.
102,| 92 Woop. | rechts.
bandartig von
der5. Rippe,dicht
neben dem Ur-
sprung des Ser-
rat. ant. maj. —
Verbindung mit
den Interossei;
von der 4. Rippe
ein 2. Ursprung.
von der 4. Rippe
2‘ ]Jateral von
dem Innenende.
knöcherner Theil
des oberen Ran-
des der 4. u. 3.
Rippe und äusse-
re Fläche der 2.
Rippe mit ge-
trennten Zacken.
Gewöhnlich am
unteren Rande
des Manubrium.
Sehne des sterno-
mastoideus vom
bis zur 1. Rippe,
dicht neben sub-
elavius.
knöcherner Theil
der 1. Rippe,
3/4‘ lateral vom
subelavius.
1. Rippe, nahe
dem Ansatze des
Scalen. ant., von
ihm getrennt
durch Vena sub-
celavıa.
am oberen Rande
des 4+.—6. Rip-
penknorpels.
| sehnig von der fleischig auf der
Fascie, welche
die Muskel-
manubrium ster- scheide d. rect. u.
ni und Fascie des obl. ext. bedeckt.
cc
„rectus thoracis
TURNER. — Lon-
gitudinal auf der
Aussenfläche der
oberen wahren
Rippe und unter
(beneath) dem
pectoralis.
Mann. — 6” lang,
5/g‘‘ breit.
unter dem pe-
ctoralis minor.
„under cover of
the pectoralis
major.‘ — Weib,
flacher Muskel,
vertical aufstei-
gend.
In keinem der
Fälle, wo er breit
und fleischig war,
Verbindung mit
ı sternocleidoma-
'stoideus. Länge
| 3 — 6, Breite
1) BOY Ga
Nie Inscript.
| tendin. — Der
Muskel lag im-
mer vor pectora-
\ lis major.
(95) 1. e. 8. 454
bemerkt dagegen
MACALISTER:
rectus abdominis
geht manchmal
bis zur 4. Rippe,
|tiefer (internal)
‚als der pectoralis
major. Dies
‚scheint ihm eine
‚Andeutung, Ver-
|such (attempt)
eines rectus ster-
nalis zu sein.
masc. — M. gut
entwickelt. 31/9‘
lang.
pectoralis major.|
437
Der Musculus sternalis.
lnN
10 © . A
ze A De un Ursprung. | Ansatz. Bemerkungen.
& Zi = |
103) 92 Woo». | rechts. sehnig vom ma-|Rectusscheide infem. Keine Ver-
nubrium sterni, |Höhe des 6. Rip-bindung mit st.-
gegenüber der | penknorpels. |mast., schlanker
2. Rippe. M.-Bauch all,
lang, 3/4” breit.
104 —. _ 1 Mal » ? Im Ganzen beob-
bis beide. achtete Woop
108 3 rechts. also 7 Fälle, wo-
1 links, von 5 Männer
und 2 Frauen.
*109| *%) | Lanpoıs. | beide. |rechts sehnig mit| Vereinigung in | Muskel beider-
2Zipfeln gemein-| der Mittellinie |seitig von der 5.
sam mit dem Ur-zueinem Sehnen-| Rippe an flei-.
sprung des pe- bogen, an den | schig; Breite
ctoralis. Fasern vom rech- links 3/4,
links sehnig von| ten und linken | rechts 1/,” Ab-
dem die Basis |pectoralis treten,| stand des Mus-
des proe. xiph. während der kels von der
und das Ende | Muskel gleich- | Mittellinie 1/5“.
des corpus sternijzeitig nach oben
bedeckenden mit der Ur-
Sehnenstreifen, |sprungssehne des
sowie von der | linken st.-mast.
Reetusscheide. | zusammenhängt.
110 — = links. fleischig von dem sehnig im sterno- platt, fingerbreit,
2.—4. Rippen- cleidomastoi- | auf der linken
knorpel. deus. Sternumhälfte
Rippenknorpel
mit bedeckend.
Da, wo er liegt,
fehlt die ent-
sprechende fin-
gerbreite
Strecke des pe-
etoralis, der dort
also das sternum
nicht erreicht.
11 — | _ ein- in sternocleido-
seitig. mastoideus.
*112) 96 _ Enters. | beide. [rechts 6. Rippen-'rechts mit brei-, unsymmetrisch.
knorpel. ter Sehne in der
Fascie des pecto-
ralis,. mit einer
vom medialen
Rand abgezw.
dünnen Sehne
zum sternoclei-
domastoideus. |
links Fascie des| links Mitte des
pectoralis, Nähe manubrium ster-
des untern Ran- ni nahe dessen |
des desselben. | oberem Rande.
*) Die drei Fälle 109 bis 111 verdanke ich einer Privatmittheilung des Herın Professor LawDo1s
29*
438 Dr. Kırı BARDELEBEN.
E& En ne Ursprung. Ansatz. | Bemerkungen.
un ri
AuE
113) 96 BereMmann.| beide. [rechts 6. Rippen-rechts 3. Rippen-| Kreuzung.
knorpel rechts. | knorpel links.
links 6. Rippen-|links 3. Rippen-
knorpel links. | knorpel rechts.
114| — | Merker. | beide. | medialer Rand [gemeinsame Seh-| Kreuzungsstelle:
des pectoralis. ne vor dem obern.der Sehnen war
Rande des ster-, durch lockeres
num, aus der der Bindegewebe an
sternomastoi- | das Brustbein
deus entsprang.| befestigt. Vom
lateralen Rande
des rechten, wie
vom medialen
Rande des linken
sternalis zweigte
sich ein schmales
Bündel ab, jenes.
in die Fascie
d. gleichseitigen
pectoralis, dieses
in die Beinhaut
des Brustbeins
sich inserirend.
115| — | HeExLE. | rechts. | Rectusscheide Imusculös zu den] 2 mm. breite
rechts. von der 2. Rippe Mittelsehne, die
stammenden Fa-| im Bogen vor
sern des linken | dem Brustbein
pectoralis. hinwegging.
116) 98 BB: beide. ? ? „very muscular'
PERRINn. | male“; nähere
Angaben fehlen.
*117| 100 | - Cuup- beide. |von einer aus der rechts 3. Rippen-| Liegt zwischen
ZINSKI. Verschmelzung |knorpel, links 5.den beiden mus-
der beiden Seh-| Rippenknorpel. | ceuli pectorales
nen des sterno- majores, „dont
cleidomastoideus, les tibres les plus.
gebildeten Seh- superieures s’at-
ne, die sich in tachent sur les
Höhe der 2.Rippe cötes de la par-
in zwei Muskel tie superieure du
theilte. tendon du muscle
presternal.“
118 K. Barpe- | eins. | Rectusscheide. | sternocleidoma-
LEBEN. stoideus.
119 _ links. | Rectusscheide recht. sternoclei- R
links. domastoideus.
120 — beide. Rectusscheide. Sehnenblatt vor
demsternum, das
ı mit den Fasern
‚beider pectorales
zusammenhängt.
®
Die in Tabelle A. mit einem Stern (*) versehenen Fälle (5, 12, 18, 19, 25, 36, 37, 65, 109, 112, 117)
sind beiderseitig, aber unsymmetrisch.
Der Musculus sternalis.
Zur Erleichterung der Uebersicht folge hier:
Tabelle B.
Beobachter. sternum.
CABROLIUS. |oberer Theil.
Douvstas. —
.ÄNONYMUSs. sup. med.
fr premier os.
ou Pvy. \
E
WEITBRECHT. | ex osse sum-
mo sterni.
DE LA FAYE. —
P)
WILDE. neben proc.
xiph.
HALLER. —
BOERHAVE.
— pars sup.
sternl.
(i& =
lı.
HUBER. a supremo
i sterno.
BOURIENNE.
PorTaLr.
Bonn.
ALBIN. —_
ISENFLAMM. \
no membrana
ROSENMÜLLER. \ sternum teg.
l. ?
BRUGNONE oberer Thelıi.
(doppelt). Jjoberes Drittel.
CROUZET
(4 fach).
LoscHG6e. manubrium.
KErcH. _
(5
ı.
OTTO.
Rippen.
sfP).
ie
Dar Kopl.
2. Kpl.
1.7. Kpl.
4. (5.)
3.
7. Kpl.
5. Kpl.
Tl.
ie
5. Rkpl.
3. Kpl.
6.
6.u.7. Kpl.
4 Kpl. (?)
8.
6. Kpl.
.7.Kpl.
. Kpl.
. Kpl.
5
6
6. Kpl.
5. Kpl.
2.
6.
2.
6.
elavi-
cula.
st.-cl.-
mast.
pecto-
ralis.
Fascie des
pectoralis.
439
Aponeur.d.
oblig. oder
Rect.-Sch.
rectus.
Haut.
Gelenk-
kapsel.
In den Rubriken ist durch Striche (—) oder, wo es wünschenswerth schien, durch nähere Bezeichnung ange-
geben, mit welchen Theilen der betreffende Fall in Zusammenhang stand.
440 Dr. Karı BARDELEREN.
un
er
N 1. Beobachter. sternum. Rippen. 3 &
Be
29 OTTo. | 5. Kpl. —
30 _ —_
31 MEcKEL. 4. —
32 — 4, —
33 — 3: —
34 — manubrium. 7%
35 —_ — 6. Kpl. _
36 fe l. manu- | 6.Kpl.
und — brium. —-
37 ü 7. Kpl el
38 LAUTH. Kpl. — _ — _
39 HALLETT. 3. Kpl. _
40 = — 4.—6. Kpl. =
manubrium
41 _ und Kpln. _ _
proe. xiph.
43 . — 3.—8. Kpl at
bıs GRUBER. { 12 mal. _ allein
61 a 14mal.|3mal. — |u.and.
62 DENUc£. 4.u.5.Kpl. _
64 BUDgeE. 6. Kpl. =
T lat. Seh- 5. =
65 | HALBERTSMA. I nen- r u. 6.
1. med.) blatt, 6 Kpı. &
66 | CALORI. manubrium. /3.—6. Kpl. =
67 U. 2 mal. 15.—-6. Kpl.
\ 6.R.
bis TURNER. | 7 K ] 13 mal. —_
87 \eeKpl:
J. 11 mal. 15mal. 4mal.| —
88 TURNER. v.5.u.4
zur I.
89- _ v. 4. zur 1.
90 — 4.8.2.2. 1.
102 Woon». manubrium. — —_ ?
103 — manubrium. ? —
> T. jSehnen- U a
109 Lanpois. streifen - 17 nn ?
l (I st. ha U. —
110 - 2.—4. Kpl er
111 —_ —
no | U. 6. Kpl: J. —
112 EHLERS. | J. manubr. —
1 | U. —
113 | BereMmaAnn. en (kreuzweise.) |
114 MERKEL. periost. u an
115 HENLE. Tu =
117 | Onunzusser. |} L 5 Ki U =
118 [K. BARDELEBEN. a —
119 —_ | — _
120 — | _
Die in Tabelle B. gebrauchten Abkürzungen bedürfen wohl erst keiner weiteren Erklärung, U. ist für Ur-
sprung, I. für Insertion gesetzt, Ein horizontaler Strich bedeutet eine Anheftung an den betreffenden Theil; die
Zahlen in der Colonne „Rippe“ sind Ordnungszahlen, also 3, = dritte Rippe.
Der Musculus sternalis. 441
Aus diesen Tabellen lassen sich eine Menge interessanter und
wichtiger Resultate entnehmen. Was zunächst die Betheiligung der
Geschlechter an dem Vorkommen des sternalis betrifft, so finden wir
unter den 52 Fällen, wo das Geschlecht angegeben, 27 Männer und
25 Weiber, also, falls wir voraussetzen dürften, dass in den nicht an-
gegebenen Fällen ein gleiches Verhältniss obgewaltet hätte, — und
wenn wir ferner annehmen dürften, dass überhaupt männliche und
weibliche Leichen in gleicher Anzahl zur Untersuchung gekommen
sind, — eine ziemlich gleich starke Betheiligung beider Geschlechter.
Nun dürfen wir aber meines Erachtens keine der beiden Voraus-
setzungen pure annehmen; es ist höchst wahrscheinlich, dass die
grosse Mehrzahl der Fälle, wo kein Geschlecht angegeben ist, Männer
waren, dass also die Zahl der an solchen gemachten Beobachtungen
sich absolut höher, als die an Weibern stellen dürften — anderseits
ist aber nicht zu vergessen, dass überall mehr männliche Cadaver als
weibliche seeirt werden, — und somit glaube ich, dürfte sich aus der
absoluten Mehrzahl schliesslich doch eine relativ gleiche Zahl für
beide Geschlechter ergeben. 5 Fälle stammen von Kindern (13, 28,
35, 43 bis 61 2 Fälle).
Sehr interessant ist das relativ sehr häufige Vorkommen des
sternalis bei aussereuropäischen, resp. nichtkaukasischen Racen. Wir
haben hier die sehr beträchtliche Zahl von 5 Fällen, die in Hinsicht
‚auf die ausserordentliche Seltenheit der Section eines Nicht - Kau-
kasiers bei uns zum Nachdenken auffordert und auch schon MECKEL
zu Reflexionen veranlasst hat. Dieser sah selber den sternalis bei 2
Negern (Fall 36 und 37), was ihn zu der theilweise recht unwissen-
schaftlichen Bemerkung veranlasste (Lit.-Verz. No. 54, S. 234): „so
scheint er, nach den erwähnten Thatsachen zu schliessen, beim Neger
häufiger vorzukommen, als beim Europäer, was insofern nicht un-
wichtig wäre, als dieser Muskel offenbar, wenn er gleich über
dem Brustmuskel liegt, eine Andeutung des bei den meisten
Thieren Statt findenden Hinaufreichens des geraden Bauchmuskels
bis zu den oberen Rippen ist.“ Weiter unten werden wir sehen,
dass die MEcker’schen Fälle 36 und 37 mit dem rectus abdominis
absolut gar nichts zu thun haben, dass aber vielleicht, in allerdings
ganz anderer Weise, der dieser MECKEL’schen Aeusserung zu Grunde
liegende Gedanke der Thierähnlichkeit aufrecht erhalten werden kann.
Fall 13 betrifft ein Zigeunerkind („ex eo genere erronum, quos
Cingaros seu Aegytios vocant“). Die Zigeuner mögen nun sein, was
sie wollen, höchst wahrscheinlich kann man sie in einer später näher
zu erläuternden Weise als eine den Thieren „näher stehende“ Race
442 Dr. KARL BARDELEBEN.
betrachten. — Bonn’s Fall rührte von einem Aethiopen her, nähere
Angaben, als die in der Tabelle vermerkten, fehlen, s. SANDIFORT,
Lit.-Verz. No. 27, S. 82 fl. Aus neuerer Zeit stammt der Fall von
CHuDzinskı (Lit.-Verz. No. 100), von einer nögresse d’Angola, die
gleichzeitig ein abnormes 3. Bündel des sternocleidomastoideus hatte.
Ob wir schon jetzt berechtigt sind, Unterschiede in der Häufig-
keit von Muskel-Varietäten überhaupt, wie speciell unseres sternalis,
bei den verschiedenen Hauptstämmen der Indogermanen: der Celten,
Germanen, Slaven und Romanen zu statuiren, erscheint mir in An-
betracht des an sich hierfür zu geringfügigen Materials und besonders
wegen des häufigen Fehlens einer Angabe über die Gesammtzahl der
zur Untersuchung gekommenen Leichen durchaus zweifelhaft. MacaA-
LISTER (Lit.-Verz. No. 90) wollte Unterschiede in den Angaben von
GRUBER (Slaven), Woop in London (Germanen) und seine eigenen
in Dublin (Celten) gefunden haben — aber abgesehen davon, dass
gewiss keiner der drei genannten Forscher nur Leichen von der be-
treffenden Race unter den Händen gehabt haben mag, sind auch die
dort angeführten Zahlen alle zu klein, um daraus eine Statistik machen
zu können. Bei unserem sternalis ist dies aber erst recht der Fall;
nicht einmal für die verschiedenen Formen desselben (cf. u.) wage ich
ein definitives Häufigkeitsverhältniss. anzugeben, noch viel weniger
kann ich dies thun in Bezug auf das Vorkommen bei verschiedenen
Völkern, da hier weder Zähler noch Nenner des Bruches auch nur
mit annähernder Sicherheit bestimmt werden kann.
Wenn ich nun näher auf das specielle Verhalten des sternalis,
zunächst die Frage nach der Vertheilung auf die Körperseiten, ein-
gehe, so ergiebt Tabelle A, dass der Muskel unter 102 mit hierauf
bezüglichen Angaben versehenen Fällen:
rechts in 36 F.
links in 20 E.
beiderseits in 43 FE.
einseitig (ohne nähere Angabe) in 3 Fällen vorkam. In nicht weniger
als 18 Fällen überschritt derselbe entweder nur von einer Seite her.
oder auch von beiden Seiten her kreuzend die Medianlinie. Vielleicht
müssen wir, wenn wir diesen Punkt ganz streng auffassen, 3 Fälle,
nämlich 64 (Bunge), 65 (HALBERTSMA) und 120 (mein letzter Fall)
aussondern, wo das Ueberschreiten der Medianlinie ebenso als eine
Vereinigung in einem unpaaren, vor dem sternum gelegenen, Sehnen-
blatte aufgefasst werden kann; anderseits fand aber auch wohl in
dem einen Falle von GRUBER, 44 bis 62 unter: „Ansatz“ alinea 4
Der Musculus sternalis. 443
(m. bicaudatus), sowie in dem Falle von CArorr (67) ein Ueber-
schreiten der Medianlinie statt.
Einseitig, aber doppelt, ist Fall 20, einseitig und 4fach Fall 21.
Das bei unserem Muskel so relativ häufige Ueberschreiten der Median-
linie steht in der ganzen Morphologie so einzig da, dass es nicht zu
verwundern ist, wenn man, ohne einen derartigen Fall gesehen zu
haben, gestützt auf das Gesetz der Antimerie (Homotypie) der Körper-
‘ hälften, die Möglichkeit eines derartigen Vorkommens überhaupt in
Abrede stellen konnte. Nun, dass das Ueberschreiten der Medianlinie
Seitens unseres Muskels nicht nur möglich, sondern in mindestens 15
Fällen bereits beobachtet worden ist, zeigt ein Blick auf die Tabelle
(ef. No. 25, 86, 37, 41, 48 bis 61 2 Fälle, 68 bis 88 5 Fälle, 114—
116, 120). Und stände mir auch nicht die grosse Anzahl fremder
Beobachtungen zur Seite, so würde mir doch schon mein eigener Fall
(119), für den ich Herrn Prof. SCHWALBE in ‘Jena als Augenzeugen
anführen kann, genügen, um eine Ausnahme von dem Gesetze der
Antimerie zu statuiren und wenn von anderer Seite ein derartiges
Gesetz als ausnahme-unfähig, analog einem mathematisch -physika-
lischen, hingestellt wird, das „Gesetz“ als von wirklich beobachteten
Thatsachen für durchbrochen ober umgestossen zu erklären. —
Bei näherer Betrachtung der von mir in den Tabellen möglichst
kurz und präcis angegebenen Ursprungs- und Ansatzstellen des Mus-
kels, sowie aus den (unter „Bemerkungen‘) verzeichneten sonstigen
besonderen anatomischen Verhältnissen ersieht man bald, dass die
Bezeichnung sternalis ein ganzes Conglomerat von anormalen Bildungen
umfasst, die sich erst bei Betrachtung einer grösseren Anzahl von
Fällen, wie ich sie hier zusammengestellt habe, in Gruppen sondern
lassen. Schon die grosse Anzahl von Bezeichnungen, wie sternalis,
praesternalis, episternalis, sternalis brutorum, reetus thoracieus oder
thoraecis, rectus sterni, rectus sternalis, accessorius ad reetum, lässt
vermuthen, dass wir es mit heterogenen, künstlich in eine Rubrik
zusammengefassten Gebilden zu thun haben. — Es wird nun meine
Aufoabe sein, zu zeigen, dass der Begriff Sternalis in mehrere,
durchaus wesentlich verschiedene aufzulösen ist.
Zunächst haben wir diejenigen, sehr seltenen Fälle, auszusondern,
welche wirklich als Fortsetzung des Rectus abdominis über seine nor-
male Insertion hinaus (beim Menschen bekanntlich 5.—7. Rippe), also
als eine Varietät des Rectus, die ihr Homologon in dem Thierreiche
hat, aufzufassen sind. Es gehören hierher ein Fall von BOERHAVE
(10), 3 Fälle von TuRNER (89 bis 91) und die Fälle 31 bis 33 von
MECKEL, wenn wir seine Worte (Lit.-Verz. No. 47, $. 38) wörtlich
AA Dr. KırL BARDELEBEN.
nehmen dürfen. Er sagt 1. c.: „status minime a fabrica normali re-
motus est, ubi rectus abdominis solito longior evadit. Hanc formam
nonnumquam vidimus, ut rectus in duobus casubus ad quartam, in
tertio ad tertiam usque costam adscenderet.“ —
Im Ganzen haben wir also 7 Fälle!), die wirklich eine Fort-
setzung des rectus abdominis, eine Varietät dieses Muskels darstellen;
andere Fälle, die nach oberflächlicher Uebersicht auch eine Fortsetzung
des Rectus zu sein scheinen, sind es durchaus nicht, der Rectus der
Thiere liest in seinem vorderen Theile, dem die hier in Frage stehende
Varietät homolog ist, stets bedeckt durch die Brustmuskel, niemals
oberflächlicher als die musculi pectorales.. Es haben also alle Ge-
bilde beim Menschen, welche von der Rectusscheide entspringen resp.
in sie übergehen und die weiter oben sämmtlich vor dem pectoralis
major liegen, mit dem rectus abdominis absolut nichts zu thun, weder
mit dem des Menschen, noch dem anderer Wirbelthiere.
Der Rectus abdominis verhält sich übrigens innerhalb der Wirbel-
thiere verschieden.?) Während er bei Amphibien in den Sternohyoi-
deus übergeht und noch in einiger Verbindung mit dem pectoralis
major, also der Extremitäten-Muskulatur, steht, reicht er bei Vögeln
nur bis zum hinteren Ende des sternum, kommt also dort bereits, wo
ja überhaupt wegen der freieren Entwicklung der vorderen Extremität
viele Aehnlichkeiten mit dem Menschen sich finden, dem Verhalten
bei letzterem nahe. Bei den Säugethieren sehen wir den Rectus ent-
weder ununterbrochen oder aber mehr oder weniger unterbrochen, sich
bis zur ersten, resp. zu den ersten Rippen erstrecken. In letzterem
Falle stellt sich sein oberes Ende als besonderer Muskel dar, der
l) Die Fälle 4, 14, 15, 18 resp. rechne ich, als durchaus unzuverlässig, nicht
hierher. Wenn von Fall 4 gesagt wird: „oblique supra musculum reetum‘“ ver-
laufend und dann: „fibras cum illis musculi reeti confundens“, so kann hier nur
die Rectusscheide gemeint sein, die wohl auch in den übrigen Fällen mit dem
eigentlichen Muskel selbst verwechselt worden ist, zumal sie in dieser oberen
Gegend meist dünn ist und bei nicht ganz frischen Präparaten, besonders wenn
sie an den dahinter liegenden Muskeln angetrocknet ist, sehr wenig in die Augen
fällt. Auch den betreffenden Angaben bei Fall 14, 15 und 18 kann ich keine
Zuverlässigkeit vindieiren, da ich nicht recht weiss, wie ein vom sternocleido-
mastoideus entspringender, also vor dem pectoralis major liegender Muskel zu
den Fasern des rectus gelangen soll; zumal bei Fall 18, wo „beide Muskeln vor
dem sternum durch eine Sehnenhaut zusammenhängen“. .Die Quelle für Por-
tar’s Fall, Juppın’s Mittheilung (Lit.-Verz. 25) ist überhaupt wegen ihrer ten-
denziösen Färbung mit Vorsicht aufzunehmen.
2) Die folgenden Angaben beruhen grossentheils auf eigenen Untersuchungen,
theilweise sind sie den Werken über vergleichende Myologie, soweit möglich
aber auch erst nach eigener Kritik, entnommen.
Der Musculus sternalis. 445
manchmal nur noch mittelbar mit dem Rectus zusammenhängt, sowie
von der sagittalen Richtung dieses letzteren abweicht. Ob wir dann
überhaupt noch berechtigt sind, dies Gebilde als Fortsetzung des Rectus
zu betrachten, erscheint fraglich. Mögen wir dies nun aber thun oder
lassen, jedenfalls finden wir bei sämmtlichen Säugethieren (soweit die
bisherigen Untersuchungen reichen) den rectus abdominis weiter nach
vorn sich erstrecken, als beim Menschen. So geht er bei herpestes
und didelphys bis zur 2. und 1. Rippe, wo er sich fleischig inserirt
(HALBERTSMA Lit.-Verz. 79), ebenso (GuRLT Lit.-Verz. 117, S. 279),
noch bis zur 1. Rippe beim Hund; anders HALBERTSMA, der diese
vorderste Portion des Rectus als Transversus costarum auffasst, der
aber nach GURLT noch ausserdem vorhanden ist.
Bei lutra und cereopitheeus (macacus cynomolgus) wird der
Rectus in der Gegend der vorderen Rippen häutig und geht bis zur
Höhe der 1. Rippe, ohne dem transversus costarum Ursprung zu geben,
der hier, wie bei herpestes und didelphys selbstständig (unabhängig
vom Rectus) ist. Jedoch findet sich bei cercopithecus eine beide
Muskeln verbindende Aponeurose (HALBERTSMA). Meiner Ansicht nach
kann man die dünne, sehnige Fortsetzung des Rectus beim Hunde
vom 4. Intercostalraum vorwärts, die sich von hier schräg nach aussen —
vorn bis zur 1. Rippe erstreckt, nicht mehr als rectus abdominis be-
zeichnen, sondern muss dieselbe als besonderen Muskel auffassen, der
mehr einem obliquus ext. (intercostal. ext.) als Rectus entspricht und
den wenig bezeichnenden Namen „transversus“ costarum mit sehr zwei-
felhaftem Rechte führt.
Bei antilope, eapra, hircus, felis, papio (cynopithecus) niger läuft
der Muskel nach vorn in eine Sehne oder Aponeurose aus, die sich
am Brustbein entlang erstreckt und sich von diesem, sowie den Sternal-
enden des betreffenden Rippenknorpels befestigt. Dort geht das Sehnen-
blatt in einen neuen Muskel über, den von GURLT (zunächst für die
Haussäugethiere) sogenannten transversus costarum. .Dieser Muskel,
den ich auch (s. 0.) bei canis domesticus, lepus caniculus, cavia cobaya
und vespertilio murinus fand, entspringt bei antilope, capra, canis,
cynopithecus aponeurotisch, bei felis fleischig vom Ende des Rectus !)
I) Genaue Untersuchungen an zwei auf der hiesigen Anatomie, grossentheils
schon präparirt vorgefundenen Affen, welche ich mit grösster Wahrscheinlichkeit
als cebus capueinus und. cynopithecus niger bestimmte, ergeben: bei cebus gehen
die Muskelfasern des Rectus bis zur 3. Rippe, dort wird er sehnig und steigt
senkrecht bis zur 1. Rippe auf; der transversus costarum entspringt vom 2. Inter-
costalraum an, etwas über der Grenze zwischen Muskel und Sehne des rectus,
geht mit schräg aufsteigenden Fasern nach aussen, wird durch Convergenz der-
446 Dr. Kırı BARDELEBEN.
und befestigt sich, schräg nach aussen und vorn aufsteigend an der
ersten oder den ersten Rippen. Auch bei herpestes und didelphys
ist derselbe vorhanden, entspringt dort jedoch, vom Rectus unabhängig,
vom Brustbein. Bei lutra, macacus geht der Rectus (HALBERTSMA)
bis zur Höhe der 1. Rippe, ohne dem transversus, der hier, wie bei
den soeben genannten beiden Thieren, selbstständig auftritt, als Ur-
sprung zu dienen. Bei macacus hängen jedoch die Aponeurosen beider
Muskeln zusammen. Beim Pferd, Rind, Schwein ete., kurz den sog.
Haussäugethieren (s. 0. Ausnahmen) geht der Rectus bis zur 4. Rippe;
der transversus costarum bildet einen platten, sehnig-Heischigen Muskel,
der von tiefen Brustmuskeln bedeckt wird, an der äusseren Fläche
der 1. Rippe unter der Ursprungssehne der unteren Rippenhalter ent-
springt, schräg nach hinten und unten geht, und sich an den Knor-
peln der 2., 3. und 4. Rippe befestigt. Mit seinem oberen und hin-
teren Theile geht er direct in den geraden Bauchmuskel über, weshalb
man ihn beim Pferde als eine Fortsetzung des letzteren ansehen kann.
Beim Rinde ist er breit und reicht bis zur 6. Rippe, bei den übrigen
Haussäugethieren, mit Ausnahme des Hundes (s. o.), wo er die Ur-
sprungssehne des Rectus bedeckt und an den Knorpeln der 5—6 ersten
Rippen endet, verhält er sich im Wesentlichen wie beim Pferde. Bei
Katze, Otter, Biber, Stachelschwein geht der Rectus bis zur 1. Rippe,
(TURNER), beim Kaninchen fand ich denselben bis zum 2. Intercostal-
raum reichen (KRAUSE: 2. Rippe), woselbst er schräg wird, mit dem
Sternum zusammenhängt und sich in den transversus costarum bis
zum 1. Rippenknorpel festsetzt. Bei der Hyäne geht der Rectus nur
bis zur 4. Rippe, wenn die bezüglichen Angaben von REIMANN (Spi-
eileg. observat. anat. de hyaena. Dissert. Berol. 1811) richtig sind. —
Es sei an diesem Orte erwähnt, dass ich beim normalen Menschen,
zumal muskelstarken, in der Gegend der über dem Rectusansatz ge-
legenen Intercostalräume öfters fibröse Fasern fand, welche einem höher
-hinaufreichenden Rectus abdominis entsprachen, da sie nicht die schräge
Richtung der ligg. corruscantia hatten, sondern vor denselben verlaufend
senkrecht aufstiegen. Ich setze dies Gebilde in Parallele mit jenem
bei verschiedenen Individuen gleichfalls verschieden stark entwickelten
Sehnenblatte zwischen serrat. post. super. und infer. Vielleicht kön-
nen wir ersteres wie letzteres als Homologon eines bei Thieren vor-
selben schmaler und endet an der 1. Rippe. Bei eynopithecus gehen die Rectus-
fasern bis zur 4. Rippe, der Ursprung des transversus costarum reicht bis zur
oberen Grenze der Rectussehne hinauf, derselbe ist also breiter wie dort. Im
Uebrigen verhält sich hier Alles ebenso.
Der Musculus sternalis. 447
handenen Muskels (dort der unteren, hier der oberen Partie der Rumpf-
wand) ansprechen.
Fassen wir obige Beobachtungen zusammen, so ergiebt sich das
Resultat (allerdings bedarf es zu einer definitiven Erledigung dieser
Frage noch weiterer ausgedehnter Untersuchungen, die aber doch erst
in langen Zeiträumen gewonnen werden könnten), dass der Rectus bei
den meisten Säugethieren (auf die anderen Classen darf man wohl
kaum zurückgehen) sich bis zur 4. Rippe, bei einigen noch weiter
nach vorn erstreckt resp. an den vorderen Rippen in den transversus
costarum mehr oder weniger direct sich fortsetzt.
Werfen wir jetzt einen Blick auf die hierher gehörenden Fälle
in der Tabelle: in Fall 10 erstreckt sich der Rectus bis zur 3. Rippe,
ebenso in Fall 33, bei 31—32 bis zur 4. Rippe, — in allen diesen
4 Fällen wird die Varietät als Fortsetzung des Rectus abdominis be-
zeichnet, wir haben somit hier eine dem normalen Zustande bei vielen
Thieren entsprechende Abnormität, die in Fall 10 „in corpore juvenis
eiganteo“ bestand. |
Die 3 Fälle von TURNER (885 — 90) entsprechen einigermassen
einem selbstständigen transversus costarum; alle 3 haben das Gemein-
same, dass sie an der 1. Rippe inseriren, während die Ursprünge von
der 5. bis zur 2. Rippe variiren. TURNER selbst nennt den Fall 88
(Lit.-Verz. 85) reetus thoraeis. —
HALBERTSMA hat für den ihm, wie es scheint, allein bekannten
Fall von BOERHAVE (10) den Namen accessorius ad rectum vorge-
schlagen. Auch ich halte diese Bezeichnung für diese Fälle für
passend, die TURNER’schen könnte man, da der Name doch einmal
adoptirt ist, als transversus costarum bezeichnen.
Ausser den mit dem Rectus resp. transversus costarum der Thiere
zu vergleichenden Fällen findet sich dann noch eine kleine Reihe von
meist wenig genau beobachteten Fällen, für die ich allenfalls eine
Homologie in dem Thierreiche anerkennen könnte, obgleich, wie ich
nachweisen werde, diese von TURNER aufgestellte Muthmassung auf
weit schwächeren Füssen steht, als für die eben betrachteten Fälle.
Es sind dies diejenigen Fälle, die, ohne mit dem Rectus, dem sterno-
cleidomastoideus und dem pectoralis major zusammenzuhängen, vor
dem letzteren, also zwischen ihm und der Haut gefunden wurden.
Man könnte derartige Fälle in Parallele setzen mit dem Hautmuskel
der Thiere und erscheint es nothwendig, um die Berechtigung hierzu
prüfen zu können, die einschlagenden Verhältnisse näher ins Auge
zu fassen.
448 DR. KırL BARDELEBEN.
Meiner Ansicht nach ist der sogenannte sternalis brutorum !)
des Frosches, abgesehen davon, dass der Frosch überhaupt selbst für
die begeistertsten und phantasievollsten Anhänger der Descendenz-
theorie recht wenig verwandtschaftliche Momente mit den Säugethie-
ren, speciell dem Menschen aufzuweisen haben dürfte, durchaus nicht
hierher zu ziehen. Die Hautmuskulatur tritt erst bei höheren Wirbel-
thieren auf, sie ist also als eine Differenzirung zu betrachten, „für
welche die Skelettmuskulatur wahrscheinlich den Boden bildet“ (GEGEN-
BAUR |]. c. S. 706). Wir können aber den Sternalis des Frosches
kaum als eigentlichen Hautmuskel betrachten, um so weniger, als bei
höheren Wirbelthieren an dieser Stelle des Körpers sich niemals ein
Hautmuskel vorfindet. Soweit wenigstens meine Kenntniss der Lite-
ratur und eigene Untersuchungen reichen, lässt der grosse Brust- und
Bauchhautmuskel der höheren Wirbelthiere gerade jene Stelle, wo
beim Frosch der „Sternalis“ sich befindet, frei; er lässt aber ebenso
frei diejenigen Stellen, wo wir beim Menschen den Sternalis finden,
speciell jene Punkte, wo die hierher gehörenden Fälle No. 12, 19, 36,
37, 112 und der vorletzte von TURNER 67 bis 37 beobachtet wurden.
Der fragliche Hautmuskel entspringt (GÜNTHER 1. c. S. 138)
mit breiter Aponeurose von den ligg. interspinalia und geht in den
Schulterhautmuskel über ete. Am oberen Rande des pectoralis major
zweigt sich eine Sehnenplatte von dem Muskel ab, die mit jenem
unter den Vorderschenkel tritt, mit ihm verläuft und endet. Ferner
entspringt der Muskel mit seiner Aponeurose auf dem pectoralis major
und an der linea alba und geht von da nach hinten zum hinteren
Schenkel. GURLT unterscheidet einen Gesichts-, Hals-, Schulter- und
Bauchhautmuskel und sagt von letzterem, dass er mit dem pectoralis
major weiter nichts zu thun habe, als eine gemeinsame Anheftung
am Humerus: ein „tieferes markirtes Sehnenblatt tritt am oberen
Rande des grossen Brustmuskels an die innere Fläche des Vorder-
schenkels, verläuft mit dem grossen Brustmuskel und endigt mit ihm
am Armbein“ (l. c. S. 820).
Auch an den von mir untersuchten Thieren fand ich die Haut-
muskellage nach vorn und medianwärts den pectoralis major nur
soweit überziehen, dass dessen weitaus grösster Theil und zwar, worauf
es hier vor Allem ankommt, derjenige Theil, wo Sternalis beobachtet
wird, frei blieb.
1) So bezeichnet ihn M. FÜRBRINGER. Ducks nennt ihn „abdomino-guttural“,
KLEIN: „abdomino-cutaneus‘“, ZENKER: „subeutaneus pectoris“, ECKER: „cutaneus
pectoris“ (ef. Lit.-Verz. 107, 110, 114).
. Der Musculus sternalis. 449
So lange nun nicht, was doch unwahrscheinlich ist, nachgewiesen
wird, dass es höhere Wirbelthiere, speciell Säugethiere giebt, bei denen
auch die fragliche Gegend der Brust mit einem Hautmuskel über-
zogen ist, können wir kaum unsere obigen Fälle als Homologon eines
solchen betrachten resp. dieselben als Rückschlag, Atavismus, Resi-
duen bezeichnen. Dagegen sprechen ferner noch zwei Punkte. Erstens
liegen derartige Sternalisfälle tiefer, als ein Hautmuskel liegen würde
und zweitens ist ja bekannt, dass schon das Aussehen eines Haut-
muskels, sein ganzer Habitus ein so auffälliger ist, dass wir in den
betreffenden Literaturangaben füglich eine Bemerkung darüber zu er-
warten hätten. Ich finde deren aber nicht. Weder die Blässe des
Muskels noch seine besondere Dünnheit wird hervorgehoben.
Sollte aber- auch durch spätere Entdeckungen die Möglichkeit
einer Homologie an dieser Stelle nachgewiesen werden, so könnten
wir dann allenfalls diese wenigen (6) oben genannten Fälle hierher
rechnen. Die anderen Fälle aber von Sternalis, an denen ich auch
nicht die geringsten Kriterien eines Hautmuskels entdecken konnte,
mit diesen zu vergleichen, wie TURNER geneigt ist, halte ich für ganz
unrichtig. Muss doch TURNER selbst hervorheben, dass der Sternalis
tiefer liege als ein Hautmuskel.
Die nicht in obige Kategorie gehörenden Fälle bilden aber die
bei weitem grössere Mehrheit. Den 13 bisher betrachteten Fällen
stehen, wenn wir von den 120 Fällen 20 aus sogleich anzugebenden
Gründen absondern, über 80 entgegen, die wir als Varietät des
sternocleidomastoideus oder des pectoralis major aufzufassen gezwun-
gen sind.
Als für specielle Untersuchung unbrauchbare Fälle streiche ich
diejenigen, wo mir entweder sehr mangelhafte oder zweifelhafte oder
wegen ihrer Allgemeinheit unbrauchbare Angaben begegnen; es sind
dies die Fälle 2, 42, 63, 91—101, 104—108 und 116, in Summa 20.
Sonach blieben gerade 100, von denen also obige 13 abgehen, der Rest
87 ist demnach jetzt näher zu analysiren.
Aus Tabelle B. ($. 439 £.) geht hervor, dass 55 Fälle mit dem
sternocleidomastoideus und 21 Fälle mit dem pectoralis major in
Verbindung standen, als Fortsetzung genannter Muskeln sich zeigten;
zusammen macht dies 76 Fälle Von dieser Zahl müssen wir 4, die
beiden Muskeln gemeinsam waren, abrechnen (23, 38, 109, 114), also
72; bleiben von den obigen 87 noch übrig 15, die weder Hautmuskeln
waren, noch mit rectus, pectoralis major oder sternocleidomastoideus
direct zusammenhingen. Es sind dies die Fälle No. 1, 3, 5, 6, 9, 11,
450 Dr. Kırı BARDELEBEN.
16, 21, 26—28, 34, 39, 103, 113. Sehen wir uns auf Tabelle A. die
bezüglichen Angaben näher an.!)
Fall 1, 3, 5, 6, 11, 21, 34 und 103 enden alle (oder entspringen)
am oberen Theil des sternum (manubrium, ex osse summo, premier
08 ete.). Fall 26 an der Gelenkkapsel der Clavicula, also alle neun
ganz in der Nähe des Ursprungs des sternomastoideus. Etwas tiefer
am sternum begann Fall 9, 27, 23 an der 2. Rippe, also noch sehr
nahe, und schliesslich an der 3. Rippe: Fall 16, 39 und 113.
Aus neuerer Zeit stammen von den oben angeführten überhaupt
nur die 4 letzten Fälle, alle anderen gehören älteren Beobachtern an
und war es, da man früher doch wohl weniger exact beobachtete,
wie ja schon ein Blick auf die erste Seite der Tabelle B. zeigt, bei
vielen sehr möglich, dass Verbindungen, welche zwischen dem seh-
nigen Ursprung des sternomastoideus mit dem oberen Ende unseres
Sternalis bestanden, übersehen wurden. Bedenkt man, dass sich in
dieser Gegend kaum sagen lässt, wo hört der sternomastoideus auf,
wo beginnt peetoralis major, wo die membrana sterni ant. etc., so
ist es wohl nicht zu kühn, auch obige Fälle, zunächst die vom oberen
Theil des sternum kommenden, mit dem sternocleidomastoideus in
Zusammenhang zu bringen. Und die membrana sterni, bekanntlich
aus der Verflechtung der verschiedenen ligg. sternocostalia (radiata)
gebildet, führt uns auch zu den Rippengelenken und Rippenknorpeln
hin, sodass auch die beiden von dem 2. Rippenknorpel und die drei
von dem 3. Rippenknorpel kommenden Muskeln sich hier ungezwun-
gen anschliessen lassen.
Bei der näheren Beleuchtung der äusserst mannichfachen Varia-
tionen, denen die mit dem sternomastoideus zusammenhängende Kate-
gorie unterliegt, werde ich mich indessen streng an diejenigen Fälle
halten, wo ein direkter Uebergang nachzuweisen ist.2)
Es fragt sich also, von wo kamen diese Muskeln oder, nach mei-
ner Auffassung: wohin, bis wie weit hatte der sternomastoideus seinen
Ursprung zurück — nach unten hin — verlegt, oder auch, woher
bekam er Verstärkungsfasern, die wir manchmal als accessorischen
„Kopf“ betrachten dürfen.
Den einfachsten Fall, tieferen Ursprung des sternomastoideus am
sternum, treffen wir unter den (s. Anm:) 26 Fällen 8 Mal (7, 8, 12,
l) Ueber Fall 4 s. o. beim rectus.
?) Leider sind die zahlreichen und genauen Beobachtungen von GRUBER und
TuRNER in der Weise zusammengefasst mitgetheilt, dass es nicht möglich ist,
dieselben (29 Fälle) hier zu verwerthen, sonach können nur die übrigen 26 Fälle
in Betracht kommen.
Der Musculus sternalis. 451
22, 23, 41, 66 und 109), 4 Mal darunter gleichzeitig noch mit einem
Bündel von Rippenknorpeln (12, 22, 41, 66). Von diesen allein (d. h.
- zunächst nur: nicht vom sternum) 10 Mal (24, 25, 29, 35, 38, 62, 65,
110, 112 und 117).
Bis zur Rectusscheide hinab entspringen, falls ich die von älteren
Autoren jedenfalls ungenau mit dem Reetus selber in Verbindung ge-
brachten Fälle: 7, 14, 15 mitrechne (wozu Anmerkungen wie „couvrant
le pect. maj.“ vollständig berechtigen, vergl. auch oben): 13 Fälle,
nämlich 7, 12, 14, 15, 18, 23, 38, 41, 65, 102, 109, 118, 119, zu
denen wohl noch als 14. Fall No. 8., wo als Ursprung „neben proc.
xiph.“ angegeben ist, hinzukommt. — Combinirten Ursprung von
Rippen und Rectusscheide nehmen: 12, 38, 41, 65, vom sternum
und Rectusscheide: 12, 109.
Weit seltener als eine Varietät des sternocleidomastoideus scheint
der Sternalis eine solche des pectoralis major zu sein. Unter den 100
Fällen haben wir 35 in die erste Kategorie gehörende Fälle, aber nur
21 für die letztere. Wenn auch (und diese Bemerkung möge ein für alle
Mal hier ihren Platz finden) die Zahlen nicht gross genug sind, um
den Procentsatz der verschiedenen Kategorien bestimmen zu können,
so sind sie doch immerhin gross genug, und ja die Verschiedenheit
der von mir gesammelten Fälle eine so ausserordentliche, dass man
doch ungefähr über die mannichfaltigen möglichen Fälle und ihr un-
gefähres Häufigkeitsverhältniss ein Bild erhält. Von den eben ange-
führten 21 Pectoralis-Fällen muss ich aus demselben Grunde, wie oben,
die Fälle von GRUBER und TURNER aussondern, es bleiben also 14.
Alle diese Fälle haben das Gemeinsame, dass nicht, wie so vielfach
beim sternocleidomastoideus, der abnorme Ursprung vom ersten Theile
(Knochen etc.) herrührt resp. über Zusammenhang mit einem solchen
Statt findet, der dem pectoralis normal nicht zukäme, wie oben der
sternomastoideus von Rippen und Rectusscheide entsprang — son-
dern sie entspringen sämmtlich an auch normal dem pectoralis major
zum Ursprunge dienenden Theilen, d. h. dem sternum, den Rippen
und der Rectusscheide, aber sie entspringen entweder von Punkten,
deren Lage den Verlauf von Muskelfasern abnorm macht, zu hoch
oder zu niedrig, oder aber von der andern Körperseite. — Der
Ansatz, oder allgemeiner: das andere Ende der Fasern ist meist ein
durchaus abweichendes, sie können aber auch mit den Fasern der
im Uebrigen normalen, oder auch sonstige Besonderheiten zeigenden
(übermässig, theilweise doppelt etc. entwickelten) pectorales sich ver-
einigen. Die bisher zar’ 2£0y7v so bezeichneten „Pectorales-Varietäten“
werden hier natürlich nicht einbegriffen. —
Zeitschrift f. Anatomie. Ba. TI. 30
452 Dr. KırL BARDELEBEN.
Von den 14 Fällen (13, 17, 20, 21, 23, 36—38, 40, 64, 109, 114,
115, 120) haben Zusammenhang mit der Rectusscheide 5 (17, 23, 109,
115, 120), mit der Rippe 9 (13, 17, 20, 21, 36, 37, 38, 40, 64), mit
dem sternum ebenso viel (meist dieselben Fälle, nur statt 38 und
64: 23 und 109), zu denen dann vielleicht als 10. Fall 114 zu rech-
nen ist. Fall 13 scheint mehr als indirekte Fortsetzung des sterno-
mastoideus aufgefasst werden zu müssen, er kreuzt („decussabat“) die
Fasern des pectoralis und endet an dessen unterstem Theile, vielleicht
der Rectusscheide, oder liegt hier eine meinen Fall 119 oder 120 ähn-
liche Erscheinung vor? Auch Fall 17 hat mit dem peectoralis nur
nebenbei („etiam‘“) zu thun. In allen anderen 10 Fällen (die unter
No. 38 sind nicht präcis genug charakterisirt) ist eine Ursprungs-
anomalie von Pectoralisfasern zu erkennen, und in nicht weniger als
8 von diesen 10 kommen letztere von der anderen Körperseite her,
der linke pectoralis entspringt theilweise an einer für den rechten
normalen Stelle und umgekehrt. Eclatant ist dies Verhalten in mei-
nem Falle 120 (s. Fig. S. 425, wo dieses Verhalten auf der rechten
Seite dargestellt ist), wo der pectoralis der einen Seite neben der nor-
malen von der Rectusscheide stammenden Portion des gegenseitigen
Muskels entsteht. Aehnlich haben sich entschieden die Fälle 36, 37,
40, 64, 115 verhalten. 20 und 21 (nebenbei der eine doppelt, der
andere vierfach) sind weniger prägnant.
Meine Ergebnisse sind demnach folgende:
1) Der Begriff: „Sternalis“ ist aufzulösen, aus der Anatomie zu
streichen.
2) Die bisher unter diesem Namen zusammengefassten Muskel-
varletäten sind entweder Varietäten:
a) des Rectus abdominis (7 auf 100) oder
b) des Pectoralis major (21 auf 100) oder
c) des Sternocleidomastoideus (55 auf 100) oder
d) Hautmuskel (6 auf 100) oder aber Combination von c)
und d).
3) Bei b) und c) kommt etwa in einem Fünftel der Fälle ein
Ueberschreiten der Medianlinie vor.
4) a) und d) sind vielleicht Homologa von Vorkommnissen
in dem Thierreiche, b) und ce) sind es nicht. —
Was sind nun aber diese letzteren Fälle? Diese Frage führt uns
naturgemäss zu der allgemeinen Frage, was sind und wie ent-
stehen überhaupt Muskelvarietäten?
Die Beantwortung dieser Frage erheischt vor Allem eine ganz
genaue Sichtung der bisher trotz vielfacher genauer Beobachtungen
Der Musculus sternalis. 453
noch allzuwenig nach Prineipien, rationellen Gesichtspunkten geord-
neten Muskelvarietäten.
Es würde zu weit führen, hier diese Gesichtspunkte zu ent-
wickeln. Vor Allem würde es aber augenblicklich unmöglich sein,
an die Beantwortung der Cardinalfrage: „wie und warum entsteht in
dem gegebenen Falle eine Varietät?“ zu gehen. Dies erfordert erst
specielle Untersuchung über die Frage vom Wachsthum des Muskels,
und zwar der normalen Entwicklung vom Jugendzustande zum er-
wachsenen sowohl wie des Wachsens eines schon fertigen, erwachsenen
Muskels bei besonderer Uebung (Hypertrophie oder Hyperpiasie?). Die
Untersuchungen von B. RIEDEL (Untersuchungen aus dem anatomi-
schen Institute zu Rostock, herausgegeben von FR. MERKEL. Rostock
1874. S. 78) genügen zur Entscheidung darüber, ob eine Vermeh-
rung oder Vergrösserung der Elemente Statt findet, oder ob dies
- vielleicht bei den soeben bezeichneten zwei Arten von Wachsthum in
verschiedener Weise geschieht, meines Erachtens nach nicht.
Nr arerheue ar 0%
Durch gütige Vermittelung des Herrn Prof. SCHWALBE hierselbst
erhalte ich noch Skizze und Beschreibung eines Falles, den Herr Prof.
Azpy in Bern beobachtete und dessen Veröffentlichung derselbe gütigst
gestattet hat.
Bei einem kräftigen männlichen Individuum entspringen beider-
seits breite flache Muskelbündel von den vorderen Enden, links des
5.—7., rechts des 2.—7. Rippenknorpels. Nach unten gehen beide
in die Scheide des Rectus über. Oben vereinigen sich beide End-
sehnen vor dem manubrium sterni zu einer einfachen, platten starken
Sehne, die durch lockeres Gewebe an der Vorderfläche des Knochens
geheftet, sich mit zwei Zipfeln in die beiden sternomastoidei fortsetzt.
An die Sehne des linken Sternalis läuft ein Bündel transversaler
Pectoralisfasern.
Dieser Fall erinnert an Fall 109 von Lanpoıs, er gehört in die
Kategorie der Varietäten des sternocleidomastoideus, abgesehen von
dem kleinen Bündel Pectoralisfasern. Nach der Skizze zu schliessen,
setzte der linke Sternalis den rechten sternomastoideus fort und um-
gekehrt, — also auch hier eine, wenigstens mittelbare Kreuzung, eine
Verdoppelung meines Falles 119.
30*
454
Dr. Kırı BARDELEBEN.
Von mir eingesehene
Literatur der Muskelvarietäten.
* bedeutet die auf den Sternalis Bezug habenden Schriften. In den mit ** bezeichneten sind Fälle-
#323.
"#24,
von Sternalis beschrieben,
Vesalii, Andreae, de humani corporis fabriea libri VII. Basil. 1542.
1175927282. VabaNVeE
Columbus, R., de re anatomica. Ven. 1559.
acc. Joann. Posthii observat. anatom. Francof. a. Moen. 1593.
- Cabrolius (Cabrol), Barthol., &Apaßntov averouızov, h. e. anatomes
elenehus. Monspel. 1604. p. 96.
Riolani, Joann., opera anatom. Lutet. Paris. 1650. Anthropograph. Lib. II.
Cap. VIII, p. 83.
. Rhodii, Joann., mantissa anatomica ad Thom. Bartholinum. Hafniae
1656. p. 9.
Tyson, Edw., Orang-outang, sive homo sylvestris, or the anatomy of a
pygmie. London 1699. p. 84. R
. Douglas, myographiae comparatae specimen. London 1707. p. 61.
. daselbst: Anonymus, handschriftliche Bemerkung d. d. 28. Sept. 1726.
Nosoc. Caritat. Paris.
Douglas, deseriptio compar. muscul. corp. hum. et quadruped. Lugd.
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. Santorini, observat. anatom. Venet. 1724.
. du Puy, in Histoire de P’Acad. d. sc. d. Paris. 1726. p. 26.
. Weitbrecht, J., observat. anatom. in: Comment. acad. scient. imperial..
Petropolit. T. IV. ad a. 1729. p. 258.
. Walter, A. Fr., observat. nov. de musceul. Lips. 1733.
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*48. ——— Handbuch der menschliehen Anatomie. Band II. Halle u. Berlin
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**49,. ——— Handbuch der pathol. Anatomie. Leipzig 1816. Band II. S. 27.
50. ——— Ueber einige seltene Bildungsabweichungen, im deutschen Archiv
für Physiologie (Mecker’s Archiv). IV. S. 412. (1818).
5l. —— Ueber mehrere Abweichungen im Muskelsystem des Körpers.
MAL Si hin:
52. Beschreibung zweier, durch sehr ähnliche Bildungsabweichungen
entstellter, Geschwister. M. A. VII. S. 9.
53. Beschreibung einiger Muskelvarietäten. M. A. VIII. S. 585.
+54, — anatomisch-physiol. Beobachtungen. Halle 1822. S. 234.
55. Tiedemann, Fr., seltene Verdoppelung mehrerer Muskeln. M. A. IV.
S. 412. 1818.
456
56.
57.
98.
59.
*60.
** 6],
62.
63.
64.
65.
66.
67.
68.
‚69.
**70,
71,
72.
73.
Era:
KT,
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hier nicht aufgeführt. Siehe dies. in den M&m. d. Petersbg. Akad. von Anfang der 50er Jahre bis jetzt.
82.
2283:
84.
*+85.
87.
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Dr. Kırı BARDELEBEN. Literatur der vergleichenden Myologie.
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Carus, C. G., Lehrbuch der vergl. Zootomie. Leipzig 1834.
Stannius,-Lehrbuch der vergl. Anatomie der Wirbelthiere. 2. Buch. Zoo-
tomie. Berlin 1856.
Ecker, die Anatomie des Frosches. Braunschweig 1864.
Günther, K., topograph: Myologie des Pferdes. Hannover 1866.
Krause, W., die Anatomie des Kaninchens. Leipzig 1868.
Gegenbaur, C., Grundzüge der vergl. Anatomie. 2. Aufl. Leipzig 1870.
Fürbringer, M., zur vergl. Anatomie der Schultermuskeln. Jenaische
Zeitschrift für Naturwissenschaft. Bd. VII, 237. VIII, 175.
Humphry, G. M., observations in myology. Cambridge and London 1872.
(Auch im Journal of Anatomy. Vol. VI.)
Huxley, T. H., Handbuch der Anatomie der Wirbelthiere. Deutsch von
F. RatzeL. Breslau 1873.
Gurlt’s, E. F., Handbuch der vergl. Anatomie der Haussäugethiere. Neu
bearbeitet v. A. G. T. LEIserıng u. 0. Mürter. 5. Aufl. Berlin 1873.
Vergeblich suchte ich die in der Literatur erwähnten Fälle von Sternalis
in den Werken von Fabricius, Sylvius, Willich und Behrends.
Vergeblich suchte ich ferner in fünf deutschen Bibliotheken, darunter
Berlin und Göttingen:
Isenflamm, J.F.(W.C. Hammer), diss. de museul. varietate. Erlangen 1765.
Hoffmann, Chr. J., diss. de aliqu. museul. differentiis. Altorf 1772.
Lauth, el&mens de myologie et syndesmologie. Vol. I. Bäle, Paris et Stras-
bourg 1778.
Sels (Rudolphi), diss. museul. variet. sist. Berol. 1815.
Quain, the museles of the human body. London 1836.
Froment, recherches sur plusieurs points d’anatomie. 1853.
Upsala läkareförenings förhandlingar. Bd. II. u. III. 1868. (Clason.)
Fernerer Fall eines Musculus sternalıs.
Beschrieben
von
Dr. Fr. Hesse,
Prosector in Leipzig.
Im Anschluss an vorstehende Arbeit, in die Verfasser so gütig
war, mir vor dem Drucke den Einblick zu gestatten, füge ich die
Beschreibung eines abnormen Musculus pectoralis major bei, der sich
in Verbindung mit einem Musculus sternalis vor kurzem auf dem
hiesigen Präparirsaal fand. Der Musculus sternalis ist den von BARDE-
LEBEN beschriebenen und citirten Fällen ähnlich, ohne einem von
ihnen völlig gleich zu kommen. Die Leiche, an der sich die Ano-
malie fand, war die eines kräftigen, mittelgrossen, etwa 35 Jahre
alten Mannes. —
1. Musculus sternalis dexter. Nach Wegnahme der Haut
und der oberflächlichen Fascie findet sich über dem medialen Theile
des Musculus pectoralis major der rechten Seite ein platter, dünner,
4 Ctm. breiter, am medialen Rande 9 Ctm., am lateralen 10 Ctm.
hoher Muskel, der mit kurzen Sehnenfasern in 3 Zacken von der
Vorderfläche des Sternums gegenüber dem Ansatz des 5. Rippenknor-
pels, von der Rectusscheide vor der Spitze der 6. Rippe und eben-
daselbst mit der Abdominalportion des Musculus pectoralis major ent-
springt. In der Höhe des Manubrium sterni endigt der Muskel mit
einigen seiner lateralen Bündel in der Fascie des Musculus pectoralis,
zum grössten Theil aber in einem Sehnenstreifen, der dadurch zu
Stande kommt, dass beide grosse Brustmuskeln vor dem Manubrium
_ theilweise in einander übergehen (s. u.).
Einwärts vom medialen Rande des Musculus sternalis ragt der
Sternalursprung des rechten Pectoralis major etwa noch 1 Ctm. unter
jenem hervor.
2. Musculus pectoralis major. Nachdem der Musculus ster-
nalis quer durchschnitten und nach auf- und abwärts gelegt worden
460 | Dr. Fr. Hesse.
ist, lässt sich der rechte Pectoralis in zwei Abschnitte trennen, von
denen der tiefere völlig dem normalen Muskel mit Clavicular- und
‘ Sternalportion entspricht. Aus diesem hebt sich ein der Höhe des
Manubrium sterni fast entsprechender, 3!/, Ctm. hoher Muskelstreifen
ab, der nicht am Manubrium endigt, sondern durch einen vor diesem
gelegenen Sehnenstreifen mit der Manubriumportion des linken Brust-
muskels verschmilzt. Dieser Sehnenstreifen kreuzt die das Manubrium
halbirende senkrechte Linie und geht schief nach aufwärts, zum Sternal-
ursprunge des linken Sternocleidomastoideus. Die medialen Enden
der Pectoralisbündel, die sich von rechts her in den oberen Theil
dieser Sehne begeben, ragen daher etwa !/, Otm. über die Mittellinie
nach links hinüber. Vom unteren Rande der 2. Rippe an nach ab-
wärts reichen beide Pectorales symmetrisch bis zur Mittellinie des
Sternums.
Der linke Pectoralis entbehrt des Ansatzes am Manubrium voll-
ständig; der ganze, der Handhabe entsprechende Theil geht vermittels
des erwähnten Sehnenstreifens in die hohe Portion des rechten Brust-
muskels über.
Der untere Abschnitt dieses Stückes ragt entsprechend der schie-
fen Richtung des Sehnenstreifens etwa !/, Ctm. nach rechts hinüber,
wie der obere Theil der rechten Pectoralisbündel nach links. Nur
ist für den linken Pectoralis das Ueberschreiten der Mittellinie viel
auffälliger, da er muskulös von der Zwischensehne entspringt, während
die Bündel des rechtseitigen es durch kurze Sehnen thun.
3. Der Sehnenstreifen, welcher die Nath zwischen diesen
Portionen beider Pectorales bildet, liegt frei über der Handhabe des
Brustbeins, dient in seinem unteren Abschnitte dem grössten (media-
len) Theile des Musculus sternalis zur Befestigung und setzt sich,
indem er schief nach links aufwärts verläuft, an dem Sternalursprunge
des Musculus sternocleidomastoideus fest.
Das Ueberschreiten der Mittellinie, namentlich durch den linken
Pectoralis, ist hier so eng an die Lage des Sehnenstreifens gebunden,
dass sich die Wahrscheinlichkeit einer Abhängigkeit beider Erschei-
nungen von einander von selbst aufdrängt. Selbst wenn der Sehnen-
streifen, in den der Musculus sternalis übergeht und welcher den
beiden beschriebenen Peetoralisportionen zum Ursprunge dient, ur-
sprünglich senkrecht zu seinem Befestigungspunkte empor gestiegen
wäre, so musste doch im Laufe der Zeit eine Abweichung seiner
Richtung nach rechts erfolgen. Denn während nur der mediale Theil
des Musculus sternalis in senkrechter Richtung nach abwärts einen
Zug üben konnte, zog der ganze übrige, auf der rechten Körperhälfte
Fernerer Fall eines Musculus sternalis. 461
liegende Muskel schief nach unten aussen, und zwar theils direct so
weit er sich an dem Sehnenstreifen befestigte, theils indirect durch
die Bündel, welche in die mit dem Sehnenstreifen verbundene
Fascie des Pectoralis major übergingen. Die in horizontaler Richtung
nach aussen wirkende Componente dieses Zuges musste die Zwischen-
sehne mit den aufsitzenden Pectoralisbündeln nach und nach über die
Mittellinie hinüber auf die rechte Seite ziehen.
Brustbein und Rippen.
Die Asymmetrie der beiden grossen Brustmuskeln durfte die Ver-
muthung erwecken, dass der Thorax und besonders das Brustbein eben-
falls unsymmetrisch sein würden. Wenn die Gestalt der Knochen
von dem Zuge der anhaftenden Muskeln beeinflusst wird, so stand zu
erwarten, dass beide Hälften des Brustbeinhandgrifts verschiedene Form
besässen, da die rechte Hälfte von den normalen Ursprüngen der
Pectoralisbündel bedeckt war, während sie an der linken fehlten.
Ueber den Grad der Difformität konnte ich mir im Voraus nicht
senügende Rechenschaft geben, da wir über den Einfluss des Muskel-
zuges auf die Gestaltung des Knochens im besonderen Falle nur un-
genügend unterrichtet sind und da das Manubrium sterni noch unter
anderen formbedingenden Einflüssen steht. Insbesondere schien es
mir von Bedeutung, dass die Clavieularportion des linken Pectoralis
major normal entwickelt war, da die Gestalt des Brustbeins von dem
Zug und Druck, den es vom Schlüsselbein her erfährt, wesentlich
beeinflusst werden muss; wahrscheinlich mehr als von den Pectoralis-
bündeln, die ihren Ursprung auf dem Sternum nehmen. Denn wäh-
rend letztere nur direeten Zug auf das Brustbein üben, kann durch
die Muskeln, welche das Schlüsselbein bewegen, ein viel energischerer
Zug und Druck erfolgen, da sie an einem Hebelarme anfassen. Trotz-
dem sind in diesem Falle die Unterschiede auf beiden Seiten noch
sehr auffällig. Das Manubrium ist sehr schlank, schmal und hoch,
wie ich es an keinem Sternum unserer Sammlung und des Präparir-
saales wiederfinde, während der Körper des Brustbeins die gewöhn-
liche Breite besitzt.
Entsprechend dem Verlauf des oben beschriebenen Sehnenstrei-
fens zwischen den beiden Manubriumportionen der Museuli pectorales
zeigt sich auf dem Manubrium eine flache Vertiefung, die mehr der
rechten Hälfte angehört und schief nach links aufwärts geht. Sie
verdankt ihre Entstehung dem Druck und der gleitenden Bewegung,
welche durch die Contraction des Musculus sternalis und der sich
462 Dr. Fr. Hesse,
vereinigenden Pectoralisbündel die Zwischensehne auf das Brustbein
übte.
Bei der Betrachtung des Brustbeins von oben (der Incisura semi-
lunaris) her fällt es in die Augen, dass die linke Hälfte des Manu-
brium mit dem ersten Rippenknorpel stärker nach rückwärts steht
als die rechte Seite; das Manubrium ist um eine vertikale Axe circa
10 Grad linksum gedreht.
Der Raum zwischen erstem und zweitem Rippenknorpel ist links
reichlich um 4 Mm. höher als rechts. Es ist. nämlich der senkrechte
Abstand des unteren Randes der Verbindung des ersten Rippenknor-
pels mit dem Manubrium von dem zweiten Rippenknorpel rechts
17,5 Mm. links 22,0 Mm. Dem entsprechend beträgt die kürzeste
Entfernung der inneren Enden des ersten und zweiten Rippenknor-
pels rechts 23,0, links 27,0 Mm.
Da ich an anderen Brustbeinen für dieselben Maasse nie so grosse
Differenzen erhielt, zweifle ich nicht, dass sie in diesem Falle mit
der bestehenden Muskelanomalie im Zusammenhange stehen. Und zwar
scheint sich mir die freiere Entwicklung der linken Hälfte des Manu-
brium dadurch zu erklären, dass die Widerstände, auf welche dasselbe
bei seiner Vergrösserung stösst, hier geringer waren. Denn wenn sich
die Handhabenportion des Peetoralis major, als auch der hier vor-
handene Musculus sternalis zusammenzieht, so wird eine Componente
der entwickelten Kraft in beiden Fällen als Druck in der Richtung
der Längsaxe des Manubrium erscheinen. Diesem Drucke ist aber
hier die rechte Hälfte des Sternums viel mehr ausgesetzt als die linke,
welcher die Handhabenportion des Pectoralis und des Musculus ster-
nalis fehlt. —
Die Form- und Lagerungsanomalien der Organe des mensch-
lichen Körpers haben bisher ausser vom praktisch-chirurgischen, fast
ausschliesslich vom vergleichend anatomischen Standpunkte aus Inter-
esse, und es liegt darüber ein Vorrath in den Büchern, von dessen
Fülle uns ein Blick in das Literatur-Verzeichniss der vorstehenden
Arbeit eine Vorstellung geben kann. Für das Verständniss des gegen-
seitigen Einflusses, den die Organe auf einander üben, würde die sorg-
fältige Beobachtung möglichst aller mit einer Anomalie verbundenen
Veränderungen von grösstem Nutzen sein; es würden uns diese Be-
trachtungen bis zu gewissem Grade das Experiment ersetzen, das uns
die Natur der Sache anzustellen verhindert. _ Zu dem Material, aus
dem sich später allgemeine Schlüsse ziehen lassen werden, schien es
mir nicht werthlos, einen kleinen Beitrag zu liefern.
Besprechungen.
\
ie
Topographisch-Chirurgische Anatomie des Menschen, von Dr. Rüdinger.
I.— III. Abtheilung. Stuttgart 1874—75, Cotta. 40 M.
Besprochen von W. Braune.
Das vorliegende Werk, welches in der I. Abtheilung die Brust, in der
II. den Bauch, in der III. den Kopf, Hals und die obere Extremität
behandelt, will in bündiger Darstellung und im Verein mit einer reichen und
“übersichtlichen Illustration den Studirenden und Aerzten das schwierige Stu-
dium der Topographie der Körperregionen erleichtern.
Die Wichtigkeit, welche die topographische Anatomie an sich, aber ganz
besonders für den Kliniker hat, ist in neuerer Zeit auch in Deutschland immer
mehr anerkannt worden und hat eine Reihe von literarischen Erscheinungen
hervorgerufen, die entweder zu der Kategorie der Atlanten, oder zu der der
Lehrbücher gehören. Das Rurpınger’sche Werk hält die Mitte zwischen
beiden und ist eine Vereinigung von beiden. Es bietet in handlichem Format
‚und in vorzüglicher Ausstattung eine solche Fülle von naturgetreuen Original-
abbildungen in verkleinertem Maassstabe, dass es ebensogut den Namen eines
hervorragenden topographisch-anatomischen Atlas verdient, als es mit seinem
selbstständigen reichhaltigen Text, der durch zahlreiche Holzschnitte noch
besonders erläutert wird, den besten Handbüchern auf diesem Gebiete sich
anreiht. |
464 Besprechungen.
Der Text ist übersichtlich und klar geschrieben, und besteht nicht aus
einer durch die Regionen zerrissenen Aufzählung der einzelnen Organe in
ihrem System und ihrer Lage zu einander, sondern behandelt in zusammen-
hängender Darstellung die einzelnen Kapitel, so wie sie für den Praktiker
beschrieben werden müssen. Als ganz besonders gelungen und auch für
Militärärzte wichtig muss das Kapitel Brust bezeichnet werden.
Die Abbildungen sind kolorirte Lichtdrucke, nach Rurpınser’schen Prä-
paraten von GEMOSER angefertigt; sie vermeiden daher alle Willkührlich-
keit der Zeichnung. Sie sind im verkleinerten Maassstabe wiedergegeben
worden, um dem Leser ein handliches Buch in die Hand zu geben, und nicht
einen unbequem zu dirigirenden Atlas.
Wenn auch die Farbengebung nicht immer eine wohlthuende ist, nament-
lich das schreiende Roth der Muskelflächen unangenehm auffällt, wenn auch
der schwarze Hintergrund die Schönheit der Bilder stark beeinträchtigt, so
ist doch anzuerkennen, dass durch die verschiedenen Farben die Klarheit der
Bilder wesentlich gewinnt, und sofort die verschiedenen Organe deutlich sich
von einander abgrenzen lässt.
Ausser der Wiedergabe einer grossen Reihe sehr werthvoller Durch-
schnitte am gefrorenen Körper sind besonders diejenigen Abbildungen bemer-
kenswerth, welche Präparate wiedergeben, die durch Combination eines Durch-
schnittes mit Flächenpräparation gewonnen wurden, wie sie auf Tafel II und
III sich finden. Es ist dies eine Methode, die RuEDINGER schon früher
bei Bearbeitung des Gehörorgans mit grossem Erfolge angewendet hat,
deren Werth auch hier jedem Beschauer einleuchtet. Die erste Figur auf
Tafel III bietet emen Rücken, auf dessen linker Seite die Wand so hinweg-
genommen ist, dass das im frei präparirten Eingeweide, Lunge, Milz, Magen
und Colon descendens in ihrer Lage zu einander sowie zum Skelet und den
Nachbarorganen sehr schön ersichtlich wird. Tafel IV bietet einen Situs
viscerum von hinten, dessen Darstellung nichts zu wünschen übrig lässt.
Ebenso bemerkenswerth sind die Flächendarstellungen des fötalen Kreislaufes
auf Tafel XIII, sowie die Darstellungen der Herzlage bei Erwachsenen mit
Berücksichtigung der Bewegung des Herzens, wie sie zuerst von HExkr ge-
geben wurden. Durch verschiedene Linien wird das jeweilige Herzverhält-
niss auf die vordere Thoraxwand projicirt.
Unter den Durchschnitten ist besonders hervorzuheben ein Frontalschnitt
durch die gesammte Länge des Truncus auf Tafel VI, sowie ein sehr schö-
ner Flächenschnitt durch die Hand auf Tafel XIV der III. Abtheilung.
Es ist nicht möglich, bei der Fülle des Gegebenen sämmtliche Abbil-
dungen, die namentlich auch den Bau des Kopfes in sehr eingehender Weise
behandeln, der Reihe nach aufzuzähllen. Wenn auch durch die nothwendige
Verkleinerung manches Detail gerade bei den Kopfdurchschnitten verloren
Besprechungen. Rn 465
gegangen ist, was nur bei Behandlung in Lebensgrösse ersichtlich wird, so
- gewinnt man doch durch dieselben auch auf diesem Gebiete eine Reihe von
neuen und werthvollen Anschauungen.
Da organisirte Körper nicht wie geometrische gebaut sind und daher
nicht durch Schnitte nach den drei Richtungen des Raumes, auch wenn sie
in noch so zahlreicher Menge angefertigt würden, vollständig erschöpfend dar-
gestellt werden können, sondern jede neue Richtung, deren Zahl eine unend-
liche ist, neue Bilder liefern muss, — so ist auch durch die RuEDINGERr’sche
Arbeit das Gebiet der topographischen Anatomie nicht vollständig erschöpft
zu nennen. Es wird immer noch Raum für neue Arbeiten übrig bleiben.
Das was aber das vorliegende Buch von allen früheren ähnlichen Er-
scheinungen auszeichnet, ist die glückliche Combination von Atlas und Lehr-
buch, die so gut durchgeführt ist, dass es für den Arzt und Kliniker zur
unentbehrlichen Hülfe wird.
2.
Die Entwicklungsgeschichte der Unke, als Grundlage einer vergleichen-
den Morphologie der Wirbelthiere. von Dr. Alexander Goette.
Referirt und besprochen von W. His.
(Schluss von S. 306.)
Die nächstfolgenden Abschnitte von GoErTE’s Schrift enthalten die Ge-
schichte von dem Hervorgehen der Organe- aus den Keimblättern und von
ihrer weiteren Umbildung. Ehe wir Einzelnes hervorheben, wird es gut sein,
des Verfassers Grundvorstellungen über das Wesen der organischen Entwick-
lung kennen zu lernen, wie er sie wiederholt auseinandersetzt, und wie er
sie auch der Schilderung seiner Beobachtungen entschieden zu Grunde legt.
Nachdem GoETTE von seinem Axiom ausgegangen ist, das Ei sei eine
Anfangs durchweg homogene Masse, nachdem er sodann die in ihm auf-
tretenden ersten Entwicklungsvorgänge als Folge von „radiärer Diffusion“, die
Schichtengliederung des Keimes als solche von Zellenwanderungen verstanden
zu haben glaubt, stellt er den ferneren Satz auf, dass die Keimblätter für
die Gewebsbildung gleichgültig seien, dass der Grund der besondern Gewebs-
bildung in den Beziehungen des Zellenmateriales zu seiner jeweiligen äusseren
Umgebung zu suchen sei. „Eine genaue Beobachtung, so lautet seine eigene
466 Besprechungen.
Auseinandersetzung (p. 562), widerlegt nicht nur vollständig die speeifische
Bedeutung der Keimblätterschichten für die Gewebsbildung, sondern erweist
auch die rein lokale Begründung ihrer Verschiedenheiten durch die morpho-
logische Entwicklung. Die activen oder Bewegungsursachen der Histiogenese
sind natürlich die in jeder Embryonalzelle sich entwickelnden, anfangs überall
gleichen physiologischen Vorgänge, deren Massenwirkungen zuerst in der
schon geschilderten morphologischen Entwicklung zu Tage treten, in der
Folge aber sich in die einzelnen histiologischen Erscheinungen auflösen. Die
Bedingungsursachen dagegen, welche jener Bewegung Form und Ziel vor-
schreiben, und dadurch eben allein die histiologischen Unterschiede begründen,
sind nun, wie ich aus einer Vergleichung der Beobachtungen glaube ent-
nehmen zu können, in den örtlich verschiedenen, von der vorausgegangenen
morphologischen Entwicklung gesetzten Formbedingungen zu suchen, d. h. in
der Summe von Lagebeziehungen der ganzen Anlage und ihrer Elemente,
wozu die äussere Form, Grösse, Umgebung der ersteren und das besondere
Gefüge der letzteren gehören. Im Anfang der Entwicklung sind die Em-
bryonal- und Dotterzellen nach Inhalt und Zusammensetzung und selbst in
der indifferenten rundlichen Gestalt einander vollständig gleich, aber schon
die ersten Abweichungen, welche die Gestalt betreffen, werden von der mor-
phologischen Entwicklung herbeigeführt, indem diese einige Zellenmassen in
epitheliale Schichten zusammendrängt, andere in lockerem Gefüge lässt oder
in Netze auseinander zieht.“ i
Referent hat hier einen möglichst klaren Satz herausgesucht, denn an
manchen anderen Stellen erscheinen des Verfassers Gedanken in weit ver-
hüllterer Form. So stossen wir z. B. p. 843 und 844 auf die grossgedruck-
.ten Sätze: „Das Formgesetz ist der Inbegriff der rein mechanischen Momente,
welche die lebendigen Kräfte der sich lösenden Dottersubstanz zu den ein-
heitlichen Formleistungen der Entwicklung zwingen, und dadurch unmittelbar
in derselben die einzelnen Lebensthätigkeiten erzeugen und zur individuellen
Einheit verbinden“ und „Die Entwicklung ist die nothwendige Entstehungs-
form des Lebens und kann anderseits nur an einem nicht lebenden aber mit
Spannkräften erfüllten Substrate beginnen“, Sätze, über deren Sinn selbst
der wohlwollendste Leser im Zweifel bleiben wird. Auch, wenn wir weiterhin
lesen „die Individualität sei der physiologische Ausdruck des Formgesetzes“,
werden wir kaum viel verständnissreicher, vollends aber stehen wir verblüfft
da, wenn uns z. B. p. 774 zur Erklärung der Blutbildung gelehrt wird:
„die conservative plastische Thätigkeit des den ganzen Organismus durch-
strömenden Blutes ist nicht der Ausdruck eines unfassbaren „formbildenden
Principes“, sondern stellt im Ganzen nur eine von den Metamorphosen jener
ursprünglich so einfachen, aber gesetzmässig geregelten organischen Entwick-
lung dar, sowie im einzelnen die überwiegende Spannung des Dotterblutes
Besprechungen. 467
gewissermassen in die erste Muskelaction des Herzens übertragen wird.“ Es
würden sich noch zahlreiche gleich schwierige Stellen anführen lassen, wie
2. B. die Ideenentwicklung in Betreff der Anlagenscheidung im mittleren
Keimblatte p. 241 u. f, die Besprechung des Stammskelettes p. 409 u. £.
u. A.m. DBemerkenswerth ist es, dass der Verfasser dieser schwer fasslichen
Darstellungen bei anderen Forschern so vielfach auf Unklarheiten zu stossen
angiebt, wie er sich u. A. berufen fühlt, auch gegenüber von K. E. v. BAER
den Vorwurf unklaren Denkens zu erheben (p. 570).
In Betreff der Indifferenz der ersten Anlagen geht GorrrE so weit,
dass er die stofflichen Unterschiede in der Zusammensetzung des Dotters für
nebensächlich ansieht. Ref. führt zur Vermeidung von Missverständnissen
wieder einen Originalausspruch an. p. 855 sagt GorTTE: „Die verschiedene
chemische Beschaffenheit der Dottersubstanz kann zunächst natürlich nicht
festgestellt werden. Auch scheint sie mir in den vorliegenden Fragen von
geringer Bedeutung zu sein und erst später, namentlich in der Histiogenese,
zur vollen Geltung zu kommen. Denn einmal können wir den am leichtesten
nachweisbaren stofflichen Unterschieden, nämlich. hinsichtlich des Pigmentes,
jeden Einfluss auf die fundamentale morphologische Entwicklung absprechen,
da dasselbe oft in derselben Art einem nicht unbedeutenden Wechsel unter-
worfen ist, und ferner finden wir ebenso oft eine so grosse Uebereinstimmung
in der ersten morphologischen Entwicklung ganz verschiedener Thiere (Gastrula
von Coelenteraten, Echinodermen, Würmern, Ascidien und Amphioxus), deren
Eiern man unzweifelhaft eine verschiedene chemische Constitution zuschrei-
ben muss, dass wir auch in diesem Falle eine unmittelbar massgebende Ein-
wirkung der letzteren auf jene Entwicklungsresultate nicht wohl annehmen
können. Dagegen kommt die Beschaffenheit der Dottermasse allerdings in
Betracht, soweit es sich um ihre Verschiedenheit in demselben Ei handelt,
also insbesondere um die Ausbildung einer Rindenschicht und deren relative
Maassverhältnisse, und soweit durch jene Beschaffenheit das Maass der im Ei
angesammelten Spannkräfte relativ bestimmt wird. Im ersteren Falle liegt
aber bereits eine von den mechanisch wirkenden Formbedingungen vor, welche
das Formgesetz construiren, und das Maass der Spannkräfte wirkt natürlich
nicht unmittelbar formbildend, sondern stellt sich, indem es das Quantum der
für die morphologische Entwicklung verfügbaren Elementaractionen bestimmt,
dem Formgesetz eben als der zweite der beiden Factoren der Gesammtent-
wicklung gegenüber, dessen Werth wir gerade nach der Höhe der morpho-
logischen Entwicklung bemessen. So müssen wir auch bei den bevorstehenden
Vergleichen stets von den Formverhältnissen ausgehend auf den Causal-
zusammenhang des Vorganges schliessen, aber alsdann auch die Werthschätzung
der ersteren oder die Homologien nur auf diesen genetischen Zusammenhang
begründen.“
Zeitschrift f. Anatomie. Bd. T. 31
468 Besprechungen.
An einer anderen Stelle allerdings (p. 570) wird die bestimmte Zu-
sammensetzung der Dottersubstanz als Voraussetzung für den Beginn der
Entwicklung bezeichnet, indem die darin begründete Wechselwirkung mit dem
umgebenden Medium die Bewegungen und Veränderungen des Stoffes erzeu-
sen, welche die activen Entwicklungsursachen (Elementaractionen) wären.
„Aber erst die Summe der Bedingungen, so fährt GoETTE fort, welche zunächst
weder den Stoff, noch jene seine Wechselwirkung dem Wesen nach ver-
ändern, dagegen das Maass und die Anordnung, dadurch aber die Leistung
derselben bestimmen, ruft die Entwicklung thatsächlich hervor. Die Bedin-
gungen habe ich, da sie sich nicht auf die stofflichen Veränderungen an sich
beziehen, als Formbedingungen, ihre Gesammtwirkung als Formgesetz
der Entwicklung bezeichnet.“
Damit mögen vorerst der Originaleitate genug sein.
Der gesunde aus GoETTE’s Auseinandersetzungen herausschälbare Gedanke
scheint Referenten der zu sein, dass äussere Entwicklungsbedingungen und .
ihr gesetzmässiger Wechsel nicht allein auf das Ei im Ganzen, sondern auch
auf seine Theilproducte und in letzter Instanz auf die einzelnen Zellen be-
stimmend einwirken, dass, um ein Beispiel zu nennen, eine zwischen Nach-
barn eingekeilte Zelle anders sich formen wird, als eine frei sich entwickelnde.
Der Gedanke ist ein naheliegender, und Ref. hat ihn bei seinen eigenen Form-
ableitungen reichlich in Anwendung gebracht. GoETTE nimmt ihn indess mit
. einer Ausschliesslichkeit auf, welche zur starken Uebertreibung wird, und er
bleibt uns jeglichen Nachweis der Berechtigung schuldig. Wenn von früh
ab die Massen, aus welchen später das Centralnervensystem hervorgeht, rascher
sich zerklüften und wachsen, als z. B. die Massen, aus welchen die Muskeln,
oder aus welchen Epithelien werden, so verlangt die Behauptung, dass diese
Entwicklungsdifferenz nur auf äusserer Entwicklungsbedingung beruhe, durch-
aus positive Beweise. Sollte das befruchtete Ei wirklich eine homogene
Masse sein, so würde es schwer werden, auch nur in den allgemeinsten
Umrissen die Möglichkeit erblicher Uebertragung sich vorzustellen.
Ref. verzichtet darauf, hier Gegenkritik gegen die Urtheile auszuüben,
welche seine Anschauungen und zum Theil seine positiven Angaben bei
GorrtE erfahren haben. Leser, welche sich über des Ref. Ueberzeugungen
ein eigenes Urtheil bilden wollen, finden in dessen Briefen „über unsere
Körperform“ eine Darstellung, die ihnen zur Controlle dessen, was GorrrE
darüber berichtet, dienen kann.
Medullarrohr und Sinnesorgane. In gewisser Entfernung von der
Mittellinie verdickt sich die Grundschicht des oberen Keimblattes, faltet und
erhebt sich, um sich dann endlich zum Rohre zu schliessen, eine Reihenfolge
yon Vorgängen, deren Darstellung Gorrrz durch Hineinziehung von „Zellen-
Besprechungen. 469
wanderung“, von „Zusammenziehung“, von „selbstthätiger Bewegung der
Rückenwülste“ (162) u. A. m. ungewöhnlich complieirt hat. In Betreff der
Terminologie finden sich einige Besonderheiten. Axenplatte heisst bei G.
die Anlage des Centralnervensystems und der drei höheren Sinnesorgane,
einschliesslich der Deckschicht, Medullarplatten die zwei Seitenhälften
ihres Rumpftheiles, Hirnplatte und Sinnesplatte deren Kopftheil. Ver-
schiedene der von GoETTE eingeführten Bezeichnungen sind entschieden glück-
lich, dagegen ist es im Interesse der ohnedem schwierigen Verständigung
entschieden zu tadeln, wenn bereits gebrauchte Ausdrücke wie Axenplatte
und Medullarplatte in neuer, von der bisherigen abweichenden Bedeutung
gebraucht werden.
Riechgrube, Gehörblase und Augenblase gehen nach G. aus der Sinnes-
platte hervor, einem nach aussen von der eigentlichen Hirnanlage liegenden
Substanzstreifen. Laut Fig. 60 entspricht derselbe dem vom Ref. Zwischen-
strang genannten Gebilde, aus welchem dieser ausser den Ganglienanlagen, die
Geruchs- und Gehörgrube abgeleitet hat. Den Nachweis eines Hervorgehens
der Augenblase daraus vermisste Ref. Was p. 172 und 180 darüber gesagt
wird, kann als solcher nicht gelten und nach Fig. 127, Taf. VII liegt die
Augenblase übereinstimmend wie beim Hühnchen.
An dem geschlossenen Medullarrohr lässt Go@rrE die Scheidung weisser
und grauer Substanz se vor sich gehen (p. 276), dass an einem Theile der
Zellen eine Auflösung erst der Dotterkörner, dann der Zellgränzen erfolgt, und
dass in der also entstandenen klaren, secundär. von einem (Cutieular-) Häut-
chen umgebenen Masse feine Fasern auftreten. In den zur Bildung grauer
Substanz verwendeten Zellen findet gleichfalls eine allmählige Aufklärung
statt, wobei zuerst kuglig helle Räume (Umbildungskugein, GorrrE) inmitten
eines Netzes von trübem Protoplasma auftreten. In der Darstellung von
der Entwicklung des Gehirns begegnet Ref. mehrfach Anschauungen, welche
den seinigen verwandt sind, der Hervorhebung von der Bedeutung der Ver-
wachsung der Hemisphärenwurzel mit der Riechgrube für die Bildung des
Riechlappens (p. 295 und 313), der Darstellung der Beziehungen zwischen
Hemiphaeren und Zwischenhirn (p. 293) und vor allem dem Hinweis auf die
Bedeutung der Krümmungen der Axe des Gehirns für dessen Gliederung
(310— 315). Auch stimmen die vom Verf. Taf. VIII, 142 und 145 ge-
gebenen Zeichnungen in einer im Ganzen befriedigenden Weise mit des Ref.
Erfahrungen (vergl. Körperform Fig. 102).!) Die peripherischen Nerven und die
!) Ueber den in der Note p. 305 dem Ref. gemachten Vorwurf ist des letzteren
Aufsatz, über die Gliederung des Gehirns, Verh. der naturf. Ges. in Basel 1869
zu vergl., durch welchen derselbe gegenstandslos wird.
31
470 Besprechungen.
Ganglien, sowie das Eingeweidenervensystem lässt GoErTE an Ort und Stelle
aus den Anlagen des mittleren Keimblattes und aus dem sog. interstitiellen,
durch Dotterbildungszellen sich vermehrenden Gewebe hervorgehen. Ein Aus-
wachsen der Nervenfasern aus den ersten Zellenanlagen anerkennt er nicht,
sondern nur eine Bildung von Fasern mit sammt der SchwAnn’schen Scheide
durch Differenzirung aneinander gereihter Zellen.
Für die Glieder des mittleren Keimblattes sind die von G. ge-
wählten Bezeichnungen: äussere und innere Segmentschicht (Urwirbelrinden
mit Kern), Parietalblatt (äussere Seitenplatte) und Visceralblatt (innere Seiten-
platte). Die Aufgaben der verschiedenen Glieder sind nach ihm. folgende
(p. 215): 1. Die Wirbelsaite ist die Grundlage des ganzen Stammskelettes.
2. Die innere Segmentschicht liefert die Anlagen der Rückenmuskeln, der
inneren, ursprünglich der Körperaxe parallel laufenden und segmentirten
Bauchmuskeln, der Nerven des Stammes, der Bauchwand und ihrer binde-
gewebigen Theile. 3. Die äussere Segmentschicht liefert die Muskeln, Kno-
chen, Nerven und bindegewebigen Theile der Gliedmassen, die äusseren
Rumpfmuskeln, die Lederhaut und das subeutane Bindegewebe. 4. Das Pa-
- rietalblatt bildet das Epithel (Endothel) des parietalen Bauchfelles und Herz-
beutels, die Epithelien der Harm- und Geschlechtswerkzeuge, die Keimsubstanzen
der letzteren und den Fettkörper. 5. Das Visceralblatt: das Epithel (Endo-
thel) des visceralen Bauchfelles, alle bindegewebigen und muskulösen Theile
des Darmes und seiner Producte, die Gefässknäuel der Urmieren und das
Herz mit Ausnahme des Endocardiums. Die Segmentation (Urwirbelbildung)
des mittleren Keimblattes erstreckt sich auch auf den Kopf und es bilden
sich hier vier Segmente, von welchen eines auf den Vorderkopf, drei auf den
Hinterkopf fallen (p. 206). Lateraler und Stammtheil der Segmente stehen
sich hier sehr selbstständig gegenüber. In ihrer weiteren Entwicklung be-
wahren sie indess wenig Uebereinstimmung mit den homologen Theilen des
Rumpfes. Kurz vor Entwicklung des Schädels schwinden die segmentalen
Muskelplatten zum grösseren Theile (p. 232) und die homologen oberen
Wirbelbogen werden zu einer ungegliederten Masse, daher für die Wirbel-
theorie des Schädels jene Vorgliederung keine zuverlässigen Anhaltspunkte
gewährt.
Zunächst aus den inneren Segmenten lässt GoETTE das aus verzweigten
Zellen bestehende Gewebe hervorgehen, das er als interstitielles Bil-
dungsgewebe bezeichnet. Es umhüllt zuerst die Wirbelsaite und liefert
deren äussere Scheide, dann aber tritt es überall in den Zwischenräumen
zwischen den Organanlagen auf, und füllt diese aus. Seine Vermehrung hängt
zusammen mit der Einwanderung von „Dotterbildungszellen“, d. h. von
Blutzellen, welche aus den Aorten und aus den übrigen Blutgefässen durch
den Stoss des Herzens herausgepresst, und in die lockeren Maschen der
Besprechungen. 471
umgebenden Substanz hereingetrieben worden sind (p. 497). Aus dem
interstitiellen Gewebe werden nicht nur Bindegewebe, Knorpel und Ge-
fässe, sondern auch Nerven. Knorpelbildung erfolgt da, wo die eingewan-
derten Zellen massenhaft sich angehäuft haben (p. 360). Letztere klären
sich und in ihrer Umgebung tritt eine scharfgezeichnete Kapsel auf. Die
ersten Blutgefässe dagegen gehen aus schlauchförmig sich erweiternden
Lücken des interstitiellen Gewebes hervor (p. 499), später bilden sie sich
durch Hohlwerden von aneinander gereihten Zellen, und es sind daher die
primären Gefässe als Intercellulargänge. die secundären als Intracellulargänge
- aufzufassen.
Auf eingewanderte Dotterbildungszellen wird auch die Bildung der Ex-
tremitäten zurückgeführt (p. 475). Jene Einwanderungen bedingen eine
lokale Wucherung der äusseren Segmentschichten. — Ziemlich verwickelt wird
die Bildung des Lymphsystems dargestellt. Die erste Anlage derselben
ist ein, unter der Wirbelsaite sich hinziehender, vom Darmblatt abzuleiten-
der Strang, Gorrre’s Axenstrang, nach hinten verlängert sich dies sub-
vertebrale Gefäss durch ein den Schwanz durchziehendes, als Schwanzdarm
aufgefasstes Rohr (774), und die peripherischen Abschnitte des Lymph-
systems sind mit den Lücken des sich bildenden Bindegewebes identisch.
Das Herz (746) entsteht als Lücke zwischen den von den Kiemenbogen
herabhängenden Seitenplatten und dem Boden des Darmblattes. Sein Endo-
cardialblatt leitet Gowrre von den Wandungen dieser Spalte, vor Allem aber
vom Darmblatt, d. h. gleichzeitig vom unteren und mittleren Keimblatt ab. —
Das Blut stammt aus der Zerklüftung oberflächlicher Elemente der Dotter-
zellenmasse. Umgebendes interstitielles Gewebe liefert das Dottergefässnetz
und auf dem Weg der Dottervenen werden die neugebildeten Elemente nach
dem Herzen geführt.
Für die Einzelheiten in Betreff der Organbildung wie besonders der
Bildung des Schädels, derjenigen des Darmes und seiner Adnexen, derjenigen
der Harn- und Geschlechtswerkzeuge muss auf das Original, vor allem aber
auf den brillanten Atlas verwiesen werden. Letzterer verleiht überhaupt dem
ganzen Werke einen Werth, der unabhängig von jeglicher Schätzung des
Textes ist. Letzteren kann man kaum anders als mit gemischtem Gefühle
aus der Hand legen. Mit der in erster Linie sich aufdrängenden Achtung
vor der grossen Energie und Arbeitskraft des Verfassers und mit der Freude
über zahlreiche in seiner Schrift enthaltene Lichtblicke und positive Errungen-
- schaften, mischt sich das Bedauern darüber, dass dessen Urtheil so befan-
sen, man kann geradezu sagen, so eigensinnig, seine wissenschaftliche Denk-
weise meist so durchaus unmethodisch ist, nicht zu reden von dessen un-
gerechtfertigter Schroffheit im Auftreten gegen andere Forscher.
472 Besprechungen.
Der Atlas aber bleibt eine so eminente Leistung, dass ihm gegenüber
alle eventuell zu machenden Vorwürfe verstummen müssen. Seine Früchte
für die Wissenschaft werden unter allen Umständen bleibende sein, und wenn
einzelne Tafeln bes. im Gebiete der Schnitte mit der Zeit durch minder
schematische verdrängt werden mögen, so werden andere, und zwar die
Mehrzahl sicherlich als bleibender und werthvoller Bestandtheil im Inventar
unserer Forschungs- und Lehrmittel sich erhalten.
Druck von Metzger & Wittig in Leipzig.
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