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LEN, Nie u
Zeitſqhrift
Allgemeine Erdkunde,
Mit Unterftügung der Geſellſchaft für Erdkunde
zu Berlin
und unter befonderer Mitwirkung
von
9. w. Dove, €. G. Ehrenberg, 9. Aiepert m €. Ritter
in Berlin,
K. Andree in Dresten und I. E. Wappäus in Göttingen
herausgegeben
von
Dr. T. €. Gumprecht.
Sünfter Band.
Mit einer Karte.
Verlag von Dietrich Reimer.
1855.
—_
Anhalt.
I. &. Brandes: Die lebte Kunde über Sir John Franklin und feine
Gefährten. (Hierin eine Karte). . .
I. Gumprecht: Barth's Schickſale umd Unterfuchungen im centralen Nord
Afrika. (Schluß)..
III. &. Pieſchel: Die Vulkane von Merico. (Eortfepung) ...
IV. &. Ritter: Ueber die wiſſenſchaftliche Reife der drei Gebrüder Eälag-
intweit in Indien. . .
V. C. Ritter: Ueberſicht ber Shätigfeit ber Berliner geographiſchen Wejell
ſchaft in dem verflofienen Jahre vom 6. Mai 1854 bis 5. Mat 1855 .
VI. &. Pieſchel: Die Vulkane von Mexico. (Vortſetzung)
vu. Gumprecht: Zur Kunde von Süb⸗Afrika.
VIE. Fortſetzung der Nachrichten über die wiſſenſchaftliche Reife der. Gebrüder
Schlagintweit in Indien ..
IX. 6. 2. Schubarth: Vergleichende Ueberficht ber Ergebniffe dee Berg⸗
baues, Hütten: und Salinenbetriebes im vrenßiſchen Staate in den nö
ren 1823, 33, 43, 63 . . .
X. 8.2. Biernasli: Der Dangtſey Klang ...
xl. Gumprecht: Die neneften ruſſiſchen Erwerbungen im Amdriande
X. K. v. Klöden: Die Welſer in Augsburg als Beſitzer von Venezuela
und die von ihnen veranlaßten Erpebitionen ber Deutſchen dahin
Neuere Literatur.
A. Rutenberg und Gumprecht: The Mediterranean. A memoir physi-
cal, historical and nautical by Rear- Admiral Will. Henry Smyth etc.
London, J. W. Parker & Son. 1854. 500 $. 8, .
M. Willlomm: D. Manuel Recacho, Memoria sobre las nivelaciones ba-
rometricas etc. Madrid 1853. .
A. Rutenberg und Bumpredt: The Mediterranean. [N memoir physi-
cal, historical and nautical by Rear-Admiral Will. Henry Smyth etc.
London, J. W. Parker & Son. 1854. 500 S. 8. (Schluß) .
Baeyer: Die Terrainaufnahme rationell aus der Lehmann'ſchen Theorie der
Terraindarftellung entwidelt von H. v. Schintling ꝛc. München 1855 .
Briefliche Mittheilungen.
C. Ritter: Aus einigen Schreiben von I. H. Petermann über die Daſe
Jezd und die neueften Zuftände ber in ihr lebenden Parfi . .
Schreiben des Königl. Großbritannifchen General: I Gunfais € Sir Sohn Bow
ring an Herrn J. Klentz.
Miscellen.
C. Ritter: Die J Einſentuns der Erde in der Mitte des alten Conti⸗
nat . . j 0. 0...
236
362
76
297
88
Gumprecht: Höhenbefimmungen in Sibirien. . . .
Bumpredt: Die bedeutendſten Waflerfälle und trmfgnelen in "dem Ber:
einigten Staaten und in Canada . . .
Gumprecht: Topographifche Karte von New⸗ Jerſey
J. Altmann: Die Bolgaren⸗Colonien in Beſſarabien
Gumprecht: Anthracitkohle in China . . .
Gumprecht: Das lehte große Erdbeben in Japan ..
Gumprecht: Barth's Rückkehr nach Europa und Vesele Arbeilen im nörb-
lichen Central⸗ Afrika ..
Gumprecht: Das Bergſyſtem des Siaaies New⸗Vork
Gumprecht: Der Eishandel in Nordamerifa
Gumprecht: Der Verkehr auf dem Iſthmus von Banama
A. v. Etzel: Der Gnano und feine Hauptfundorte ..
Gumprecht: Die neneſten Erſteigungen der hoͤchſten Apengipfel . ..
N. Boeckh: Allgemeine Ueberſicht der Veroͤffentlichungen aus ber ehminfnu
tiven Statiſtik der verfchledenen Staaten . . .
Helfft: Das Klima und die Bodenbeſchaffenheit Agerlens .
K. L. Biernapfi: Triſtan d'Acunha...
Walter: Ueber einige Baſtardverhaͤltniſſe ber in Amerita lebenden Menfchen-
rafen .
G. Braubes: Die "Expedition bes Dr. Rane fe bes mies 1853
— 1855. . . .
Die Provinz Ghiloe in Chile
A. v. Etzel: Der Guano und ſeine Hanptfundorte (Schluß) .
R. Boeckh: Allgemeine Ueberficht der Veröffentlichungen aus ber abminifras
tiven Statiſtik der verſchiedenen Staaten (Boriietung) . .
Die Provinz Ehiloe in Chile (Schluß) .
Gumprecht: Gine neue Erpebition nad Paraguay . ..
G. Brandes: Der neue Ganges-Canal in feinem Bau und in feinen &-
gebnifien . ren
Sir. Bowring: Menſchen und Sitten i in China
ee über bie Elyung ber Veſcuſcheſt fir Erdkunde zu Berlin am 14. eis 1855
Desgl. : 19. Mai :
Desgl. Er SE | 7 Juni e
Desgl.. 277. Juli⸗
Desgll...B. Sept. -
Desgl. ee :s 13. Octob.⸗
Bibliographie.
W. Koner: Neu erfchlenene geographifche Werke, Nufläpe, Karten und Bläne
MW. Koner: Ueberfiht der von Juli bis November 1855 auf dem Gebiete
ber Geographie erfchienenen Werfe, Auffäße, Karten und Pläne .
Anhang.
515
5. Kiepert: Erläuterungen zu ber Karte der Cnideckungen im Norbpolarmeere
bis 1854. .
I.
Die lebte Kunde über Sir John Franflin und
feine Gefährten.
- Hierzu eine Karte (Tafel I).
1) Kriegsgericht über die Befehlshaber der legten
arktiſchen Erpedition.
Niemand wird ohne lebendige Theilnahme dem Zuge der Vorgaͤnge
und Ereigniſſe folgen, welche unmittelbar nach der Ruͤckkehr des arkti⸗
ſchen Gefchwaders im October 1854 die Aufmerkfamfelt des englifchen
Bolfs befhäftigten, und felbft durch die aufregendſten politifchen Nach⸗
richten und Kriegögerüchte — benn bie erften brieflichen Erzaͤhlungen
über die Kämpfe an der Alma, und die Täufchungen der fälfchlich ge:
meldeten Einnahme von Sebaftopol fallen in die erften Wochen bes
Monats October — nicht in den Hintergrund gedrängt werden fonnten.
Je beftimmter ſich damals fogleich die Ueberzeugung feitfehte, daß
nunmehr die Reihe der zur Rettung Franklin's und feiner Gefährten
entfandten Expeditionen gefchlofien fein werbe und daß fortan jedem
Gedanken an eine neue Ausrüftung für diefen Zwed entfagt werben
müfle, deſto flürmifcher erhob fich die Stimmung gegen den Oberbe
fehlshaber der verlafienen Schiffe, — zumal noch aldbald verlautete,
daß Gapitain Sir Edward Belcher in viel größerem Maße, als ans
fange vermuthet werben mochte, nicht nur die hochgehenden Erwartuns
gen jener Taufende, welche mit gefpanntem Blide feiner Erfolge harr⸗
ten, fonbern felbft das auf ihn gefehte Vertrauen der Behörben ftarf
getäufcht Hatte. Im bitteren Ergießungen wurde ihm ein fchimpflicher
Mangel an Muth, Entfchlofienheit, Thatfraft und Ausdauer zum Vor⸗
wurfe gemacht. Die Polarfee im hohen Norden, auf welcher Franklin,
Zeitſchr. f. allg. Erbfunde. Br. V. 1
2 K. Brandes:
den dermalen überwiegend gehegten Vermuthungen zufolge, die nord»
weftliche Durchfahrt gefucht, fchien diefen Seefahrer ſchon durch ihren
Anblick zurücgefchredt zu haben. Uneingedenk feiner Berheißungen hatte
er fich von dort wieder heimmärts gewandt, ohne auch nur einen ernft-
lichen Berfuch daran zu wagen. Und von dem Augenblide dieſes Ent-
fhluffes an war ed als ob mit dem Muthe auch das Glück gänzlich
von ihm gewichen wäre. Die Rüdfahrt im Wellington»Canal miß-
lang, und es kam dahin, daß er nicht blos feine beiden Schiffe im
Eife ſtecken ließ, fondern fogar, jedes glüdlichen Ausganges verzwei-
felnd, den Capt. Kellett durch wiederholte ftark betonte Befehle nöthigte,
auch die andern beiden Fahrzeuge den arktiſchen Elementen zur Zer-
flörung preiszugeben. Es Tonnte nicht anders als ben peinvolifien Ein-
drud machen, zu fehen, wie diefer Commander fo ganz erfolglos.fich
in Gegenvorftellungen erfchöpfte, wie er felbft die Zeugnifie feiner Of⸗
figiere aufrief, um eine folche voreilige Maßregel abzuwenden. Ber:
gebend wurde von diefen Männern geltend gemacht, daß der Standort
der Schiffe mitten in der Barrowftraße feine Beſorgniß einflößen fonnte,
daß ihre Dauerhaftigkeit ſich probehaltig erwies, daß die Ausfichten
auf bafvige Befreiung aus dem Eife gar nicht fern lagen, während
der Muth der Mannſchaft ohne Anfechtung und die Subfiftenzmittel
noch auf ein Jahr ausreichend erfunden waren, felb wenn die zu⸗
verläffig erhoffte Zufuhr aus England nicht erfolgte.
Wie nahe lag nicht bei folchen Betrachtungen die Auffaffung, daß
lediglich an der Zaghaftigfeit oder in einer beflagenswerthen Mipftim-
mung des Capt. Belcher die letzten Ausfichten für die Rettung ber
vermißten Schaar zu Grunde gegangen feien! Auf diefen Einen Mann
allein fiel in den Uriheilen der öffentlichen Meinung die Schuld des
nunmehrigen fchmachvollen Ausgangs der mit fo außerorventlichem Aufs
wande unternommenen und durch taufend Proben heldenmuͤthiger Auf⸗
opferung unvergeßlichen Rettungsverfuche für die im Dienfte des Va⸗
terlande® ausgegangenen Mannfchaften.
Zunächſt richteten ſich indeß alle Blide erwartungsvoll dem Ver⸗
lauf und Ausfpruch des Kriegsgerichts entgegen, welches, ven beftes
henden Borfchriften zufolge, die Anführer der verlafienen Schiffe alsbald
zur Rechenfchaft ziehen follte. Diefes Gericht trat am 17. October un
ter dem Borfig des Vice⸗Admiral Gorbon im Hafen von Sheerneff
Die letzte Kunde über Franklin und feine Gefährten. 8
auf dem Schiffe Waterloo zuſammen. Außer Belcher wurden auch
die Capitains M’Elure !) und Kellett und der Commander Richards
vor feine Schranfen geforbert. s
Das Urtheil über M’Elure, der zuerſt aufgerufen wurde, Eonnte .
feinem Zweifel unterworfen fein. Er hatte fich mit ſchmerzlichem Wis
derfireben durch die Entſcheidung des Capt. Kellett, als Altern Offi⸗
ziers, genöthigt gefehen, feinen Inveftigator und mit ihm feine begels
ſterten Wünfche auf die Bollendung der nordweſtlichen Durchfahrt auf-
zugeben. Seine Trennung von dem Hauptfchiffe Enterprife, wie fehr
fie ihm auch von Freunden Collinſon's als ein bisciplinarifches Ver⸗
gehen zum Borwurf gemacht werden konnte, blieb ganz unerwähnt.
Dagegen wurbe feinem Unternehmungsgeift, feiner Kühnhelt und Um⸗
ficht, mit welcher er fein Schiff erhalten, die glänzendfte Anerkennung
gezollt. Unter den Ausdrüden des ehrenpften Beifalls erhielt er feis
nen Degen zurüd. Weiter fonnte es Niemand überrafchen, daß auch
Eapt. Kellett und Commander Richards nicht blos gerechtfertigt, fon-
dern auch mit Ehren aus der Unterfuchung hervorgingen: fie hatten
nur den Befehlen Kolge geleiftet, welche der Oberbefehlshaber unter
eigener Veranwortilichkeit erließ, und namentlich hatte Kellett nur 35-
gernd und im Kampfe mit der von ihm yperfönlich gehegten Anficht
ſich gefügt.
So fiel denn zuleht die ganze Schwere des Gerichts auf Sir .
Edw. Belher’d Haupt. Der 19. October — denn drei Tage dauerte
die Unterfuhung — ift für ihn ein heißer Tag gewefen. In einer
mehrflündigen Bertheibigungsrede, von der und nur die umvollſtaͤndi⸗
gen Berichte englifcher Zeitungen vorliegen, bot er Alles auf, um nicht
blos die ihm ertheilte Berechtigung, fondern auch die unbebingte Roth»
wendigfeit feiner Ruͤckkehr nachzuweiſen. Letztes ift ihm indeß nicht
genügend gelungen. Gleichwohl bietet feine Darftelung vielfaches In⸗
tereffe. Sie fehildert in einer Iehrreichen, Hin und wieder felbft ergrei-
fenden Weife die Hemmungen und Gefahren der arktifchen Schifffahet,
1) Dem Gapt. Nobert 3. Le M. F. MElure R. N. war inzwifchen in ber
öffentlichen Sigung ber Londoner geographifchen Sefellfhaft am 22. Mai 1854 eine
der beiten von berfelben alljährlich für die im verflofienen Jahre um die Erdkunde
erworbenen hervorragendſten Verdienfte beflimmten goldenen Mebaillen (bie fogenannte
Patrons Medal) eriheilt worden.
1*
4 8. Brandes:
indem ſie uns mitten in die Schwierigfeiten und Kämpfe verfebt, auf
welchen feine Maßregeln berubten.
Ale Unbefangenen famen zu der Weberzgeugung, daß Belcher auf
Grund der im feften Vertrauen auf feine Thatfraft ihm ertheilten Voll
macht und Befugniffe nicht verurtheilt werben Fonnte; ja noch meht,
daß feine Rüdfehr mit allen Mannfchaften dem Buchitaben feiner In
firuetionen am ficherften entfprach und an fi) am meiften geeignet war,
das Maß feiner perfönlicden Verantwortlichfeit zu verringern. Allein
diefer Gefichtöpunft entfprach dem Sinne der Admiralität mit nichten.
Bielmehr pflegte dieſe Behörde bei den Entwürfen der Verhaltungs⸗
maßregeln für Entvedungsreifen offenbar von dem Geſichtspunkte aus»
zugehen, daß es vorzüglich ihre Aufgabe fei, den Unternehmungseifer
und die Thatenluft der Befehlshaber in beftimmten Schranfen zu hal
ten. Sie fchärfte gern zurüdhaltende Maßregeln der Behutfamfeit und
Borficht ein, um die Verantwortlichfeit von der Regierung abzumenben.
Es wurde vorausgefeht, daß die arftifchen Seefahrer ſich dadurch in
ifren Unternehmungen nicht lähmen laflen, ja daß fie felbft in geeig-
neten Fällen vor Meberfchreitungen der Inftruction auf ihre eigene Ver⸗
antwortlichfeit Hin nicht gurüdfchreden würden. In diefem Sinne
verfiel das Verfahren Belcher’8 der öffentlichen und allgemeinen Miß⸗
bilfigung. Man betrachtete es als eine Niederlage, daß er bie vier
‚ beften Schiffe feines Geſchwaders zurüdgelaflen Hatte und ein gewiſſer
Unmuth über diefe Verlufte fcheint die leidenfchaftliche Erregung gegen
ihn gefteigert zu haben. Konnte der Gerichtehof felbftverftändlich zu⸗
legt doch nicht umhin, ihn für gerechtfertigt zu erklären, fo ließ er in
das Urtheil eine fehr fühlbare Zurechtweifung darüber einfließen, daß
die Berathung mit Capt. Kellett Hinfichtlich des Aufgebens der Schiffe
nicht flattgefunden. In dem Wortlaut der Freifprehung Sir Edw.
Belcher's wurde der Beifag „mit Ehren“ ſchwer vermißt, und als ihm
zulegt der Degen zurüdgegeben ward, gefchah dies mit beveutungsvol-
lem Stillfehweigen, zum Zeichen, daß man mit feiner Handlungsweife
nicht zufrieden war. — —
In diefe Tage der tiefften Erregung aller berienigen, die von
Sehnfucht nach Auffchluß über das Schiefal Franklin's und feiner Ge⸗
fährten erfüllt ihre Blide nad) dem Hohen Polarmeer jenfeits des Wels
lington»@anal& richteten, follte indeß plöglich und unverfehens eine
Die Tepte Kunde über Franklin und feine Gefährten. 5
Trauerkunde fallen, welche allen bie dahin noch gehegten Hoffnungen
hoͤchft unerivartet ein Ziel fehte, und wie auf einen tüdifchen Schlag
plöglih Alles mit Bildern der graͤßlichſten Vernichtung erfüllte.
2) Die Ankunft des Dr. Rae in London !).
Am Sonntage den 22. October — drei Tage nach dem Schluffe
des Kriegsgerichts zu Sheernefi — erfchien der befannte arftifche Reis
fende Dr. John Rae unverfehens im Amtshaufe der britifchen Admi⸗
ralitaͤt ald Ueberbringer der letzten und erfchütternpften Botfchaft über
bie fo lange vergebens gefuchte Erpebition des Erebus und Terror.
Er Fam unmittelbar aus den arktifchen Gegenden. Im Anfange des Mos
nats Auguſt von der Repulſe⸗Bai, dem von ihm erfehenen Stapel
plage feiner Unternehmungen zur Erkundung der Küften von Boothia⸗
Land heimwaͤrts ſteuernd, hatte er am 1. September bereits York Fac⸗
tory erreicht, und war dort fo glüdtich geweien, ein in dem Jahre
noch nad) England abgehendes Schiff der Hudſonsbai⸗Geſellſchaft —
Prinz von Wales — zu treffen, mit welchem er nach einer in ber
Hudſons⸗Bai durch umtreibende Eismaffen gefährbeten, fpäter im at⸗
Iantifchen Dcean von heftigen Stürmen ſchwer bebroheten Fahrt an
dem oben erwähnten Tage glüdlich die englifche Küfte erreichte.
Konnte ſchon, wie wir bald fehen werben, Rae's Ankunft nicht
anders als fehr unerwartet fein, fo waren es die von ihm überbrachs
ten Rachrichten in noch viel höherem Maße. Niemand Hätte Daran
2) Unfere Quellen für dieſe, wie fich ergeben wird, noch lange nicht Hinläng«
lich anfgellärten Nachrichten, waren zunächft Die Mittheilungen und Gröffnungen in
engliſchen Zellungen Times, Daily News, Globe; ferner bie Wodhenblätter Illustrated
YA
News, Athenaeum, u.a. Gine am Ende bes vorigen Jahres angekündigte Schrift _
„Ihe Melancholy Fate of Sir John Franklin and his party, as disclosed in Dr.
Rae’s report; together with the despatches and lettres of Capt. M’Clure etc.“ (Sons
don, bei 3. Betis) enthält die nicht verkauften Cremplare der in d. 3. 1863 erfchies
nenen Schrift „Capt. M’Clure’s despatches etc.“ dazu, auf den vorgehefteten brei
Drudfeiten, den Bericht von Rae an die Admiralität sc. Etwas mehr giebt die fürz-
lich erfhlenene Ite Ausg. des Büchleins von P.L. Simmonds „Sir John Franklin
and the arctie regions“, in welcher ©. 254— 76 ein hinfichtlich der Vollſtaͤndigket
und Weberfihtlichleit nur mangelhaftes Reſumé⸗ der neueflen Nachrichten Hinzugefügt
iR, während die vorhergehenden Bogen den gleichen Drud der vorhergehenden Aus«
gaben, mithin aud) alle Mißverftändnifie, Unrichtigkeiten und Drudfehler verſelben
wiedergeben. |
6 8. Brandes:
gedacht, daß Rae noch befchieden fein fonnte, die letzten Auffchlüfle und
Zeugniffe über die fo lange Geſuchten zu bringen. Aus keinem Theile
der arftifchen Landichaften hätte man damals weniger der Auffindung
von Spuren der vermißten Mannfchaft ſich verfehen. Wie weit die Meis
nungen der Gewährsmänner und der ganzen gebilbeten Welt über die
Schickſale Franklin’ auch auseinander gingen, darin flimmten damals
doch faft Alle überein, daß unterhalb des 75ſten Grades n. Br. nach feis
nem Verbleiben nicht mehr zu fuchen fei. Bon allen Seiten her wurbe
die Anficht laut, daß es ein verhängnißvoller Irrthum geweſen fei,
nach jenen kuͤhnen Seefahrern in verhäftnigmäßig nievern Breiten zu
forſchen. Mit einer vermeintlich keinem Zweifel mehr unterworfenen
Beftimmtheit wurden auf den arktifhen Karten die Gränzlinien gezo⸗
gen, ienfeit deren allein das Feld für fernere Nachfuchungen fich er
ſchloß. Man glaubte bisher Faum noch bis über die Eingangsthore
dieſer geheimnißvollen Regionen binausgelommen zu fein. Mit Fühnem
Blide wurden ihre weiten Räume durchmeſſen, neue und großartigere
Pläne entworfen. Taufende erklärten fi) unerfchrodenen Sinnes bes
reit, die Wege über jene unerforfchten Eiswüften zu betreten. Allein
die Regierung war offenbar ſehr bedenklich, ein fo gefahrvolles Wag⸗
niß zu unterflüßen, und es laßt fich nicht abfehen, ob die in vielen
Geiſtern lebhaft gehegten Rieſenplaͤne, welche jet plöglic) vor dem
vernichtenden Schlage der Raefchen Kunde dahin fanken, auch unter
andern Umſtaͤnden jemals hätten zur Ausführung kommen können.
Rae hatte zwei Jahre zuvor (1852) der englifchen Admiralität
bie Anzeige gemacht, daß er in Folge feiner Dienftobliegenheiten — er
war Beamter der Hudſonsbai⸗Geſellſchaſt — fortan einer weitern pers
fönlicden Mitwirkung bei den Berfuchen zur Rettung der Franklin'ſchen
Erpebition zu entfagen fich veranlaßt fehe. In den Jahren 1846—A7
war von ihm die Aufnahme der Hubfond-Bai-Territorien im Außers
ſten Nord⸗Oſten des amerifanifchen Fefllandes mit anerfanntem Ers
folge begonnen. Am Ende des Jahres 1847, als unter den nach und
nach immer mehr überwiegenden Beforgnifien Anftalten zu planmäßi«
gen Nachforfchungen zur Ausführung kamen, fah man ihn mit freus
diger Begeifterung bereit, zuerſt als naͤchſter Begleiter des Dr. Sir
Sohn Richarbfon und fpäter als felbftändiger Anführer von Land- und
Boots Erpebitionen dem Rettungswerk fich anzufchließen. Die Hudſons⸗
Die letzte Kunde über Franklin und feine Gefährten. 7
bai⸗Geſellſchaft begünftigte dieſe Beftrebungen. Sie ließ es ſich um
jo mehr angelegen fein, ihre Theilnahme daran zu bethätigen, da es
ige zugleih darauf ankam, jeden Verdacht der früheren Eiferfucht gegen
bie Forfchungsreifen anderer Engländer Am arktifchen Amerifa fern zu
halten. Indeß läßt fih doch wohl denken, daß Rae bei jenen fo Höchft
mißlihen Unternehmungen für Franklin, welchen er unter großen Auf
opferungen, aber dennoch ohne pofitive Erfolge fi) gegen fünf Jahr ge
widmet hat, mit Borliebe und ſelbſt mit Berlangen nach dem unters
brochenen Werke in Boothia⸗Land ſich zurüdfehnt. Indem es jet
dahin fam, daß er fich ver Vollendung dieſes Werkes wieder zuwenden
follte, war ihm zu Muthe, als ob er damit der Angelegenheit Frank⸗
lin's gänzlich entfrembet würde. Durchdrungen von diefem Borurtheil
legt er in einer Zufchrift an die Admiralität vom 29. Juni 1852 wie
zum Abfchiede eine Reihe von Rathſchlaͤgen nieder, in welchen er quf
den Plan einging, den Strich des weſtlichen Wollafton nach Rorden
hinauf Bid zum Banksland nach den Schiffen von Gollinfon und M’Elure,
deren Anfunft in jenen Gegenden ihm noch nicht befannt war, zu durch⸗
fuden. Bon viefen Zeitpunkt an nahm er fodann feine Arbeiten zur
Erkundung des BoothiasLandes von Neuem auf.
3) Die arttifche Reife des Dr. Race 1853 — 54").
Sobald Rae am 15. Aug. 1853 bei der Stelle feines früheren Win-
terlager8 an ber RepulfesBai wieder angelommen war und bie nöthis
gen Borbereitungen für den kommenden Winter getroffen Hatte, ergab
fi) am 1. September, daß der Vorrat) an Lebensmitteln nur noch auf
3 Monate ausreicht. Er machte feinen Gefährten aus den Schiwies
tigfeiten und Gefahren dieſer Lage fein Geheimniß, und ftellte jedem
frei, zurüdzufehren. Die Männer erklärten fich jedoch ohne Ausnahme
feſt entfchlofien, bei ihm auszuharren, und boten zunaͤchſt Alles auf,
um Nahrungsmittel und Brennholz zu erlangen. Und ſowohl die Jagd,
als auch der Fifchfang zeigten fich fehr ergiebig, Gegen Ende des
Monats September hatten fie 54 Baar Schneehühner, 109 Rennthiere,
einen Bifamftier, einen Seehund erlegt, und etwa 100 Salme gefangen.
1) Man vgl. den Brief Rae’s an den Gouv. ber Hubfons:Bai: Comp. Sir
George Simpfon (u. A. abgedruckt in "The Gevugraphical and Commercial Gazette
Vol. I. No.1. Januar 1855) und London Hlustr. News 28. October 1866.
8 8. Brandes:
Am 28. October zeigte der Schnee die zum Bau eines Schnechaufes
erforderliche Härte; fo daß die Mannfchaft fortan nicht mehr auf das
Hägliche Obbach ihrer Zelte befchränkt blieb. Wie fireng der Winter
1883 fich auch zeigen mochte, fo empfanden die Männer doch in den
Schneehäufern bei Weitem nicht jene Kälte, von welcher fie im Winter
18% in dem von Rae dort erbauten Haufe (Hort Hope) fo viel aus⸗
zuftehen hatten. Bis zum 12. Januar legten fie, zuletzt jedoch ohne
allen Erfolg, in den Seen ihre Nebe aus. Als Dr. Rae am 31. März
1854 feine Fruͤhjahrs⸗Reiſe antrat, hatte er zuerft mit heftigen Stür-
men, mit tiefem Schnee und Nebelwetter zu kaͤmpfen. Erft am 17. April
erreichte er die fchon früher befuchte Pelly⸗Bai, weftlih der Simp-
fons Halbinfel. Hier traf er mit einigen Esfimo zufammen, unter wels
chen Einer in Folge der an ihn gerichteten Frage ausfagte, daß 10 bie
12 Tagereifen weiter gegen Abend eine große Zahl, mindeftens AO
weiße Männer, durch Mangel an Lebensmittel umgelommen wären !).
Bon der Pelly⸗Bai nahm Rae feinen Weg über die im Werften
ſich ausbreitende Landfchaft nach dem Bunfte ver arktifchen See, wo
der Gaftor» und Pollux⸗Fluß einmündet, um von hier aus die noch
unerforfchten Küftengebiete des Boothia⸗Landes nach Norden bin zu
1) Ein zuerſt in der Daily News vom 23. October v. 3., fpäter aber auch ans
berweit (3. B. in ber Eleinen Schrift The melancholy fate of Sir John Franklin
p. V; — in Simmonds Franklin and the arctic regions. 6th edit. p. 257.) mitges
theilter Auszug aus Mars Tagebuche enthält folgende Erzählung: Am 20. — ohne
Zweifel iR der Monat „April“ gemeint — begegueten bie Meifenden einem fehr
verfländigen Gekimo, der einen von Hunden gezogenen, mit Bifamftierfleifch belade⸗
nen Schlitten bei fi Hatte. Der Mann ließ fich bereit finden, auf zwei Tage mit
ihnen zu gehen. Gr grub feine Ladung in den Schnee und nahm einen Theil des Ge⸗
paͤcks ber Meifenben auf feinen Schlüten, fo daß fie nun mit großer Leichtigkeit ihren
Meg fortfeßen konnten. Dann trafen fie noch auf einen andern Cingebornen, der
am vorhergehenden Tage auf den Seehundefang ausgegangen und, als er an dem⸗
felben Morgen das Schneehaus fand, in welden Rae fein Obdach gehabt Hatte,
wie es fcheint aus einer gewifien natürlichen Nengier den Spuren ihres Schlittens
nachgefolgt war. Diefer Dann zeigte fich fehr rebfelig (communicative). Auf bie
Frage: ob er jemals weiße Männer, ober Schiffe, oder Böte gefehen? antwortete er
verneinend. Zugleich aber fagte er aus: daß eine Anzahl Kablounans — dies ber
@sfino s Ausbrud für „weiße Männer” — weit weitwärts jenfeits eines großen Fluſ⸗
ſes den Hungertod geftorben feien. Gr erörterte weiter, baß er den Ort ſelbſt, in-
bem er biefen niemals befucht, nicht anzugeben wife, und auch nicht im Stande fei,
die Reiſenden dahin zu begleiten. — Raum läßt ſich zweifeln, daß dieſe Kunde die
erfte geweſen if, welche dem Rae über die Vermißten enigegenirat.
Die Iehte Kunde über Branklin und feine Gefährten. 9
bejchreiten. Bei diefem Borhaben hatte er einen Kampf mit den ver
fhiedenften Hinderniſſen zu beftehen, wie er ihn auf allen feinen frü-
heren Reifen niemals erlebt zu haben behauptet. Die Wege länge
der an fich ſchon fehr unebenen Küfte waren bald durch ſchwer zu
überflimmende Eismaffen verfperrt, bald mit tiefem Schnee bedeckt; dazu
fam ber Ungeſtuͤm des finftern Sturm⸗ und Nebelmetters, welches
einmal die Sonne fall 5 Tage hindurch dergeſtalt verfchleierte, daß
Niemand während biefer ganzen Zeit auch nur ihren Stand anzugeben
vermochte, während der Compaß durch die Nähe des magnetischen Pos
led ganz unbrauchbar war. Dennoch hat Rae das Hauptziel feines
Borhabens erreicht; denn indem er bis zu dem vom Bapt. James Roß
im 3. 1830 entvedten Cap Porter hinauf vorbrang, war der Zwi⸗
ſchenraum des bis dahin ganz unbefannten Gebietes — innerhalb der
von Capt. Bad im 3. 1833 und von Deafe und Simpfon im 9.
1839 erreichten Punkte einerfeits, und der Entvedungen bes Gapt.
Sir John Roß auf feiner zweiten arftifchen Expedition (1829 —33)
andererfeits — von ibm burchmeflen. Es bedarf nur einer Verglei⸗
chung der neueften Admiralitätsfarte mit den früheren Darftellungen,
um die geographifche Wichtigkeit diefer neuen Erfundung zu erfennen.
Aber bier, obgleich nur wenige Tagereifen von der Bellotftraße ent
fernt, fah er fich gemöthigt, feinem Vorbringen ein Ziel zu feen, und
er fügte fih um fo eher in dieſe Nothwendigkeit, weil er die Unmögs
lichkeit erkannte, jebt auf einmal feine ganze Aufgabe zu löfen!). Die
Rüdreife zur Repulſe⸗Bai ging ungleich glüdlicher und ſchneller von
Statten, da das Wetter um Vieles günftiger und die Labung des
Schlitten leichter geworden war. Defto unangenehmer war es, als
nach dem Wiedereintreffen an der Repulfe-Bai (26. Mai) den bie-
herigen milden Tagen eine Die Monate Juni und Juli hindurch ans
haltende Kalte Temperatur folgte, und erft mit dem Anfang des Aus
guft auf dem dort eingefrornen Bote die Rüdfahrt nach York Factory
angetreten werben Fonnte.
1) Seltfam iſt es, daß Rae an biefer Stelle feines Briefes an Simpfon es
unterläßt, die entdeckten Nachrichten über Franklin ımb feine Gefährten als ein Mo⸗
tin feiner Mücdkehe auch nur anzuführen. Bel der Verwaltung ber Hudſonsbai⸗Ge⸗
ſellſchaft, welche flets die lebhafteſte Theilnahme für die Angelegenheiten der Vers
mißten beihätigt und den Dr. Rae auf 4— 5 Jahre beurlaubt hatte, Hätte dies doch
ſicher Teinen Auftoß erregen können.
10 KR. Brandes:
a) Rae's Botſchaft über die legten Schidfale eines Theile
der SranflinsErpedition.
Es konnte faum anders fein, ald daß Rae aufs Aeußerſte be
teoffen wurde, in diefem bei den Rachfuchungen bisher ganz außer Ob»
acht gelaffenen Territorium auf Nachrichten und Audfagen zu ftoßen, die
eine unausfprechlich furchtbare, aber gleichwohl unzweifelhafte Aufklärung
über das Ende eines Theild der Branklin’fchen Mannfchaften enthiels
tm. Im Eingange feines Berichts an die Admiralität erwähnt er
jener Begegnung in der Pelly⸗Bai, bei welcher er von einem ber dort
angetroffenen Esfimo die erfte dunkle Kunde fchöpfte, daß eine Anzahl
weißer Männer an einer entlegenen Stelle im Weften, jenfeits eines
mit vielen Waflerfälen und Stromfchnellen dahintreibenden Ylufies,
den Hungertod geftorben fei. Er fcheint dieſe Nachrichten anfangs
nicht ohne Mißtrauen und Bedenken aufgenommen zu haben. Allein
indem er feinen Weg weiter fortfepte und dem Schauplaße jener Scene
näher kam, gelang es ihm nicht blos an verfchiedenen Punkten man-
nichfaltige Auskunft zu gewinnen, fonbern auch eine Anzahl von Ges
genfländen einzuhandeln, welche über den entfegensvollen Untergang
einer Abtheilung, und vielleicht aller damals noch lebenden Mitglieder
der vermißten Erpebition feinen Zweifel übrig ließen.
Pergegenwärtigen wir und zunäcdft die wejentlichen Thatfachen
des an die Admiralität erflatteten Berichts feiner Ermittelungen. Sie
umfaflen zwei durch die Zwiſchenzeit einiger Wochen und durch eine
nicht genau zu beftimmende Entfernung getrennte Scenen.
1) Bier Jahre vorher (im Frühlinge 1850) Hatten einige Eefimo, die in ber
Nähe des nördlichen Geſtades der King Williams -Infel auf den Mobbenfang aus:
gegangen waren, weiße Männer, etwa 40 an ber Zahl, über das Eis dem Süben
zu wandernd gefehen, indem fie ein Boot mit fih führten. Niemand unter ihnen
vermochte die Eekimo- Sprache verflänblich zu ſprechen; fie konnten durch Zeichen
nur zu verſtehen geben, daß ihre Schiffe (ober „ihr Schiff”) im Giſe gerträmmert waren,
und daß fie nad) Gegenden gingen, in welchen fie Wild erlegen zu können erwar⸗
teten. Mit Ausnahme des Anführers waren Alle augenfcheinlich in einem elenden
Zuſtande; es ließ ſich vermuihen, daß fie Mangel an Lebensmitteln litten; fie er:
handelten von den Bingeborenen eine Eleine Robbe.
2) Einige Wochen hiernach, als bie Jahreszeit etwas weiter vorgerüdt, jedoch
der Aufbruch des Giſes no nicht erfolgt war, mwurben dreißig Leichuame weißer
Männer an ber Küfte des amerilanifchen Kontinents eine ſtarke Tagereife im Nord⸗
Weften eines großen Fluſſes, und bazu fünf andere auf einer nahe liegenden Sufel
Die lebte Kunde über Franklin und feine Gefährten. 1
gefunden. Gine Bergleichung der Angabe über diefe Dertlichtelt mit dem Berichte
des Bapt. Bad über feine Reife in den 3. 1833 — 35 wies unverkennbar auf das
Seftadetiefland in ber Nahbarfchaft des Point Ogle und auf die Infel Montreal
bin. Einige unter den Leichnamen — «6 mochten dies die zuerft Geſtorbenen fein —
waren zur Erde beſtattet. Die übrigen Tagen theils im Belt (ober „tn Zelten“),
theils unter dem Bote, welches wie zum fchügenden Obdach über den Tobten um:
gelegt war, theils auch einzeln zerftreuet, bie und da, in verjchledenen Richtungen.
Unter den Leibern auf der Infel glaubten die Wilden einen Anführer zu erfennen, denn
fie fanden ein Fernrohr um feine Schultern gebunden und unter ihm Iag eine Doppels
flinte. Aus dem zerfehten Zuflande einiger biefer Leichname und dem Inhalt der
neben ihnen noch befindlichen Kefiel folgerten fie, daß die zuletzt noch Ueberlebenden
unter der Berzweiflung ihrer Qual dem Gannibalismus verfallen fein mußten.
Es ergab ih, daß die Männer einen beträchtlihen Vorrath von Pulver in
Faßchen oder Kiften mit fich führten, der von ben Gelimo’s am Boden ausgefchüttet
wurde. Wnßerbem war ein Quantum Kugeln und Schrot, innerhalb ber Grenz⸗
linie des hohen Waſſerſtandes aufgefunden, — die Unglüdlichen mögen es nahe bem
Uferrande auf dem Ciſe ftehen gelaffen haben. Kerner muß eine Anzahl Uhren,
Compaffe, Yernröhre, Flinten vorgefunden und von den Wilden in Keine Stücke
zerbrochen oder auseinander genommen fein, da Fragmente biefer Artifel nebſt ſilber⸗
nen Löffeln und Gabeln von Rae weit und breit entdeckt und, ſoviel er vermochte,
eingelauft wurben.
Jene Erzählungen der Wilden, wie herzzerreißend und erfchütternd
fie find, bewegen fich augenfällig in einer großen Unbeftimmtheit und
Mangelhaftigkeit. Schon der Umftand, daß fie abermals auf Esfimo-
Ausfagen beruhten, die im Berlauf der Nachſuchungen jo manche bittere
Täaufchung gebracht, reichte Hin, um fie zu verdaͤchtigen. Es erfchien
ihrer Glaubwürdigkeit entfchieven ungünflig, daß Rae, wie er in feinem
Berichte ausprüdlich jagt, niemals und nirgend unmittelbare Augenzeus
gen der gefchilverten Scene angetroffen hatte. Alles was er über den
Hergang zu ermitteln vermochte, gründete ſich auf Hörenfagen, auf
Nachrichten aus zweiter Hand, die ihm wiederum nur durch den Mund
des Dolmetfchers zugänglich wurden, da er der Eskimo⸗Sprache nicht
mächtig war. Und auch auf diefem Wege wurben ihm Feine Haren und
beftimmten Angaben, fondern nur andentende Bezeichnungen über Ort
und Zeit der Kataftropfe. Der Ort des Zufammentreffend der uns _
gefähr vierzig Männer mit den auf Seehundsfang ausgegangenen Es⸗
fino’® wird von Rae als die Infel King Williams» Land angegeben;
allein er fagt nicht, daß die Eskimo diefe Infel ausdruͤcklich genannt.
Es iſt Höchft bedenklich, bei einem wilden Wolfe beflimmte geogra-
phifche Bezeichnungen über umfangreiche Landbildungen vorauszuſetzen,
. Da mm
12 8. Brandes:
bie von ihm felbft nicht befucht find. Dazu konnte die Unbefanntfchaft
mit der Sprache allerlei Mißverftändniffe hervorbringen. Die Zahlen
„vierzig“, „vreißig” bieten feinen zuverläffigen Anhalt; es wäre von
ber größten Wichtigfeit gewefen, wenn Rae den Gang ber Unterre-
dung, aus welchem er diefe Angaben gefchöpft hat, anfchaulich bezeichnet
hätte. Auch die Notiz, daß die Begegnungen im Jahre 1850 fich ereig-
net haben, giebt fich nicht als Relation einer einfachen Ausfage, fon-
dern als Ergebniß eines durch allerlei Berechnungen und Eombina-
tionen gewonnenen Wahrfcheinlichkeitsfchluffes.
Daher wenden wir und zuvörberft zu den von Rae überbrachten
Gegenftänden, ohne welche feine Erzählungen jedes ficheren Fundamen⸗
tes entbehren würden. Yolgendes ift das nad) der Reihenfolge in ben
offiziellen Liſten der Offiziere und Mannfchaften des Erebus und Ters
tor geordnete Verzeichniß derfelben '):
L Bon dem Schiffe „Erebus“.
1) Eine ovalrunde filberne Platte, ſcheinbar Knopfzierde eines Spazierſtocks,
mit eingravirtem vollen Namen ihres Beftgers „Sir John Franklin“.
2) Eine filberne Defiert-&abel mit dem Stempel eines aufwärts gerichteten
Delphinkopfes zwifchen zwei nad) beiden Gelten auseinander gehenden Lorbeerſtengeln
(Zamilienwappen Franflin’s).
3) Capt. Franklin's Guelphenorben, als foldher Eenntlih duch das Zeichen
»G. R. IH. 1815«.
4) Eine filberne Tiſchgabel mit den Initialen »J. F.«, wahrſcheinlich Gigen-
ihum bes muthvollen und von Franklin befonbers werih gehaltenen Commander James
Fitzjames 2).
5) Ein filberner Eßloͤffel und 6) eine filberne Tiſchgabel — auf beiden eine
Taube mit einem Dlivenzweige im Schnabel, das Familienwappen bes Sten Lient.
bes Brebus Fairholme eingravirt.
7) Gine filberne Tifchgabel mit den Buchſtaben »H. D. S. G.«, unzweifelhaft
Gigenthum des ftellvertretenden (acting) Sehilfs- Arztes Harıy D. S. Goodſir.
8) Eine filberne Tifchgabel, mit einem Delphinkopf auf zwei nad) ber rechten
1) Die vollkändige Perſonal⸗Liſte der Franklin: Erpebition hat Simmonds
a. a. O. p. 273— 76 abbruden laffen.
2) Mir folgen bei diefer Annahme ber Notiz in dem neueften Hefte ber Bier:
teljahrsſchrift North American Review (Vol. 80 und No. 167 p. 339). Faſt alle
englifhen Angaben haben die Lesart »J. T.«, bie entweder auf den Oberheizer bes
„Terror“ John Torrington, befien Grabmal im 3. 1850 auf der Beechey⸗Juſel ges
funden wurde, ober auf den Schügen deffelben Schiffes, James Thompſon, gebentei
werben müßte. Allein bei biefen beiden Mitgliedern der Exrpebition läßt ſich aus
Rückſicht auf deren Stellung der Beflg einer filbernen Babel kaum vorausfehen.
Die letzte Kunde über Franklin und feine Gefährten. 13
und linfen Getie hin ansgebseiteten Fittigen, ala Familienzeichen bes erſten Gteuer-
manns Robert D. Sergeant erkannt.
U. Bon den Schiffe „Zerror*.
9— 11) Drei ſilberne Tiſchgabeln mit den Buchflaben »F. R. M. C.«, unver
fennbar den Gapt. Francis R. M. Erozier Commander des Terror anzeigenb,
12) Ein filberner Deffert> Löffel, duch die Buchſtaben »G. A. M.« als Gigen-
tum bes zweiten Steuermanns A. Mac Been Eenntlich.
13) Eine filberne Tiſchgabel, an den Buchſtaben »J. S. P.« als ' Eigentum
des fiellvertretenden Arztes Sohn ©. Peddie erkannt.
14) Eine filberne Gabel, durch die Buchſtaben »A. Me. D.« ale Cigenthum
des Gehilfs⸗Arztes Alerander Mac Donald kennilich.
Die Gegenſtaͤnde wurden in jenen Tagen zu London von Tau⸗
ſenden in Augenſchein genommen und der genaueſten Pruͤfung unter⸗
worfen. Unter allen denjenigen, welche ſie geſehen, hat Niemand es
jemals bezweifelt, daß ſie von der Expedition des Erebus und Terror
herrührten. Vielmehr iſt allgemein anerkannt, daß ed unmöglich fei,
neben ſolchen thatfächlicden Zeugnifien die mitgetheilten Eslimo⸗Aus⸗
fagen noch als leere Gerüchte und Haltlofe Täufchungen zu mißach⸗
ten. Angefichts einer derartigen pofitiven Beglaubigung leitete eine
Anzahl anderer Artikel, die theild Feine Kennzeichen der früheren Eis
genthümer trugen (3. B. gegen zwei Dutzend filberne Löffeln und
Gabeln, vier Mefjer, Geldſtücke), theils als Fragmente verftümmelter
Inſtrumente und Geräthichaften erfannt wurden (3. B. ein golbener
Ehronometer ohne Gehaͤuſe, Meberrefte eines Fernrohrs), mit größter
Wahrfcheinlichkeit auf denfelben Urſprung. Nichts war zunaͤchſt un⸗
erflärlicher, als die Art und Welle, wie fo viele und mancherlei Stüde
in die Hände der Wilden gefallen fein mochten, und die Kügung, Durch
welche grade fo viele bezeichnungsvolle Beftandtheile aus dem Beſitz
der Bermißten ihren Weg fo weithin von dem Schauplage des endli⸗
chen Erliegens der Unglüdlichen gefunden hatten. An dieſe Betrach⸗
tungen fnüpften fich weiter unzählige andere Fragen, Gombinationen
und Vermuthungen.
Rae Hatte den obigen an die Admiralitat überreichten Bericht ſo⸗
gleich auch der englifchen Zeitung „Times“ mit einer Zufchrift über-
fandt, welche einige nicht unerhebliche Bemerfungen barbietet. Er vers
fichert aufs nachbrüdlichfte, daß nach allem, was er gehört und gefehen,
auch nicht der geringfte Grund zu dem Gedanken vorhanden fei, als
14 R. Brandee: -
ob jene Berunglüdten durch eine Gewaltthat der Eingeborenen umges
bracht fein Eönnten. Er fpricht die Meberzeugung aus, daß fie eines
jammervollen Hungertodes geftorben fein und daß die Kälte ein fol-
ches Ende unfehlbar bejchleunigt und unvermeidlicher gemacht haben
müßte. Aus den Erzählungen der Eskimo bringt er noch folgende
Umſtaͤnde bei: Die auf der großen Infel (King Wiliams-Land) er
blickte Schaar nahm ihren Weg längs dem Weftrande nach Süden zu.
Alle Männer, mit Ausnahme des Offizierd, zogen an den-Striden des -
Schlittens, auf welchem das Boot lag. Unter den einige Wochen ſpaͤ⸗
tee in einer füblichen Gegend, auf dem amerifanifchen Continent, ent
deckten Leichnamen wurden einige entkleidet angetroffen, andere Dagegen,
welche jene überlebt haben mußten, lagen in zweifacher und breifacher
Kleivung Hingeftredt. Sämmtliche überbrachte Gegenftände wurden ale
Zierrath oder Schmud an den Esfimo’s entvedt; fie hatten die Gelb:
ſtuͤcke vurchlöchert und trugen fie an Bändern. Ihren Erzählungen zufolge
follte auch eine Anzahl von Büchern bei den erflarrten Leibern vorfind-
lich gewefen fein, Die aber, von den Findern entweder vernichtet oder
außer Acht gelafien wären. Indeſſen fcheint Rae den von ihm gemachten
Erfahrungen zufolge, auf die natürliche Bevachtfamfeit und Sorgfalt
diefer Wilden die beften Hoffnungen zu fegen, und er zweifelt nicht,
daß faft alles, was jene Abtheilung der Vermißten in jenen Gegenden
hinterlaffen, fich noch werde auftreiben lafien. Er habe fich, verfichert
er, damals nicht in der Lage befunden, feine Nachforfehungen weiter
auszudehnen: da ihm weſentlich darauf anfam, mit feiner Botfchaft
heimwärtd zu eilen und da jede längere Verzögerung der Rückkehr
ihn der Gefahr ausgefeht haben würde, noch einen zweiten Winter in
feinen Schneehäufern zubringen zu müflfen. Zugleich ftellt er nähere
Fittheilungen für feinen Bericht an die HubfonsbaisGefellfchaft in |
Ausſicht, Die indeß, fo viel und befannt, bis jegt noch nicht an die
Oeffentlichfeit gelangt find ").
1) 88 ift kaum denkbar, daß Mae Hiermit auf ven vom 4. September aus Dort
Bactory datirten, an den Bouverneur des Hubfonsbai- Territoriums, Sie George |
Simpſon, gerichteten Brief Hingebeutet haben follte, da bie in demſelben enthaltenen
Müttheilungen über die verunglüdte Mannfchaft mit dem obigen Bericht an bie Ad⸗
miralität vom 29. Juli aus der Repulfe-Bai, abgefehen von einigen unbebeutenden
Abweichungen und Sufäpen, im Auedruck wörtlich übereinfimmen.
Die letzte Kunde über Franklin und feine Gefährten. 15
Bei der fieberhaften Aufregung, mit welcher die engeren Kreife
der Angehörigen und Freunde der Vermißten und bei der lebhaften
Spannung, mit welcher Die ganze gebildete Welt in Folge einer fol-
hen Kunde der Aufhellung des endlichen Schickſals der Angehörigen
entgegenjah, läßt es fih kaum erflären, weshalb die Mittheilungen
nicht im einer befriedigenderen, auf die Einzeinheiten mit Klarheit, Schärfe
und mit ber erforderlichen Ausführlichkeit eingehenden Darftellung dar⸗
geboten wurden, und daß es erft mancher dringenden Anfragen und
ſelbſt gehäffiger Vorwürfe beburfte, um einige weiter führende Erör-
terungen und Motivirungen der von Rae gehegten Anfchauung zu er
ringen.
5) Beurtheilung der Nachrichten und Anfichten des
Dr. Race.
Was wir an den Nachrichten des Dr. Rae vor Allem vermiſſen,
iſt die nähere Auskunft über die Orte, die genaue Aufzählung und
Bezeichnung der PBerfonen, bei welchen bie verfchiedenen Gegenſtaͤnde
aus dem Befib der verfchollenen Erpebition entvedt, und von welchen
die Ausfagen, deren Beziehung auf einen Theil der vermißten Mann
fhaften fo nahe liegt, aufgenommen wurden. Angaben bdiefer Art find
ein unbebingtes Erforderniß, wenn wir in den Stand gefebt fein fol-
len, über den Grab der Glaubwürbigfeit jener Erzählungen ung ein
beftimmteres Urtheil zu bilden. Es iſt von ber höchften Erheblichkeit zu
wiffen, mit wie vielen PBerfonen oder Gruppen der Eingeborenen, bie
ihm der Zufall unterwegs entgegenführte, und an welchen Stellen ſei⸗
ner Reife Rae hierüber in Verkehr getreten if? ob die Berichte der
verfchiedenen Erzähler in den Thatfachen übereinflimmen, oder ob fie
und in wiefern mehr oder weniger von einander abweichen? Unſtrei⸗
tig zwar bat fich Rae, foweit wir über ihn urtheilen können, als einen
gebiegenen und Faren Mann, ald einen überaus tüchtigen, verftänbi-
gen und zuverläffigen Reifenden bewährt. Zumal für die Gegenden,
aus welchen er die erfchütternde Kunde nach England brachte, iſt er
als erfte Autorität zu betrachten. Allein bei einer Angelegenheit von
einem fo allgemeinen, das menschliche Herz fo tief ergreifenden Ins
terefie ift Doch nichts natürlicher ald das Verlangen, den Urſprung
und die Entwidelung der ausgefprochenen Anficht Schritt um Schritt
16 K. Brandes: -
verfolgen, die Grundlage auf welcher fie erbaut ift, und bie Fäden,
welche in ihr zufammenlaufen, in moͤglichſt vollſtaͤndiger Unmittelbarkeit
fich zur Anfchauung bringen zu fünnen. — Wir wollen den Berfuch was
gen, nach Maßgabe der befannt geworbenen Thatfachen und Umſtaͤnde
über Ort und Zeit des vermeintlichen GErliegend der verunglüdten
Schaar eine nähere Verftändigung anzubahnen.
Rae ift dem von ihm vermutheten Schauplaße jener grauenvollen
Katafteophe, fo viel ſich aus feinen Berichten entnehmen läßt, am naͤch⸗
fien gewefen, als ex ungefähr im Anfang ber legten Aprilmoche 1854")
bei der Mündung des Caſtor⸗ und Pollux⸗Fluſſes, gute 60 englifche
Meilen weftlich von der Pelly⸗Bai, die Erkundung der Weſtkuͤſte von
BoothinsLand begann. Bon diefem Punkte aus Haben Deaſe und
Simpfon mit ihren Böten — noch dazu auf dem Umwege über Cap
Britannia und bei minder günfligem Winde — in faum zwei Tagen
(vom 20— 22. Auguft 1839) die Küftenlandfchaft erreicht, welche
als Wahlftatt der Kataftrophe bezeichnet wird. Es laßt ſich anneh⸗
men, daß Rae bei feinem Eintreffen an jenem PBunfte noch nicht im
Beſitz der ungweifelhafteften Zeugniffe oder auch nur beftimmter An-
haltspunfte der bis dahin mitgetheilten Erzählungen geweſen ift, da er
fonft gewiß alles aufgeboten Haben würde, um vor dem Aufgehen des
Eifed an jene verhängnißvolle Stätte zu gelangen ?).
1) Die genaue Angabe bes Datums fehlt; es ergiebt fi aus ben verſchiebe⸗
nen Mittheilungen nur, daß Rae am 17. April in Pelly-Bai ankam, daß er am
20. in der Nähe die erfle Kunde von umgekommenen weißen Männern erhielt, und
baß er am 26. Mai bereits bie Ruͤckreiſe von Cap Porter nach der Repulſe⸗Bai
vollendet Hatte.
2) Der Ginfender einer Zufchrift an die »Times« (mit der Chiffre E. J. H.;
in dem Blatte vom 30. October v. 3.) giebt fi als den Bruder eines auf
dem „Terror unter Segel gegangenen Offiziere zu erfennen, macht es dem Dr.
Mae zum bittern Vorhalt, daß er fih von der Michtigfeit der Gekimo » Berichte
nicht an Ort und Stelle überzeugt, und bafür auf unzuverläfftge Kundſchaft hin Er⸗
zählungen von fo vagem Charakter in Umlauf geſetzt Habe, die ſchon mit Müdkficht
auf ihre furchtbare Wirkung bei den Angehörigen und Freunden ber Vermißten beffer
ganz verfchtwiegen geblieben wären. — Auf biefen Angriff erwiedert Mae fogleich am
folgenden Tage (Times, 31. October), daß er die von ihm geforberte Nachforfchung
ohne befondere Schwierigkeit hätte ausführen Fönnen; allein ein zweiter Winterauf:
enthalt in der Repulſe-Bai wäre dann unvermeiblich gewefen. Ihm Habe jedoch
nichts mehr am Herzen gelegen, als biefe unzweifelbaften Nachrichten von dem Un⸗
tergang der über weite Strecken bin fo lange vergebens gefuchten Mannſchaft nach
Die Iepte Kunde über Franklin und feine Gefährten. 17
Die Ermittelung der angegebenen Dertlichleiten des Tobestampfes
ber Berunglüdten gründet fi, wie wir fahen, nicht auf namentliche
Bezeichnung ber Erzähler, fondern. auf Combinationen des Dr. Rae.
Die Eingeborenen befchrieben die Anzahl der Flüffe, welche zu übers
fpreiten waren, ehe man zu dem großen Strom gelangt, in welchem
er den Großen Fiſchfluß erfannte und fchilderten befien weftliche Um⸗
gebungen als flaches, von allen Anhöhen entblößtes Geſtadeland ). —
Allein Angaben diefer Art behalten immer etwas unficheres; zumal in
Landfchaften, deren Oberflächenbilvung fo wenig befannt ift und in wel⸗
hen der Begriff „lu“ kaum recht Har zu machen fein möchte: Der
Unterfchieb zwifchen ben dortigen Heinen Küftenflüffen und dem Großen
Fiſchſtrom ift fo groß, daß ein uncultivirted Naturvolt kaum beide uns
ter einem Namen begreifen wird. Endlich ift auch die Weſtſeite des
Meerbufens, durch welchen der Große Fiſchfluß einmündet, nicht ganz
ohne Anhöhen; e8 wurde dort von Capt. Bad der „Mount Barrow“
benannt und „ein kuͤhnes Felſengeſtade“, wiewohl nur zu der Höhe von
50 Fuß emporfleigend, beobachtet). Zudem wird die Unzuverläffigkeit
aller diefer Angaben noch durch den Umftand vermehrt, daß unter den
Esfimo, welchen Rae begegnete, Feiner jemald an Ort und Stelle war.
Allein es laßt fich doch fchwerlich denken, daß ein fo erfahrner
Reifender, wie Dr. Rae, über die Richtung und Gegend, aus welcher
die von ihm entdedten Artikel Herfamen, fich ganz getäufcht Haben
follte. Vielmehr drängt füch die Beobachtung auf, daß die letztern, we⸗
nigftend damals, noch nicht weithin verbreitet worden waren. Da die
Eskimo befanntlih nur auf einem ſchmalen Strid an der Nordfüfte
England zu überbringen, damit abermalige Ausrüftungen und neue Opfer von Mens
ſchenleben bei erneuten Rettungsverfuchen in Gegenden erfpart würben, bie weit von
dem Berbleib der Vermißten entlegen waren. — Erinnern wir uns hierbei, daß Mae
unter günfligem Wetter ſchon im Mai 1854 wieder in Repulſe-Bai eintraf und daß
er dort noch zwei lange Monate thatenlos dem Aufgange des Eifes entgegenharsen
mußte, fo werden wir kaum umhin fönnen, es zu bedauern, daß biefe Zeit nicht
einem fofortigen Betriebe authentifcher Nachforſchungen gewidmet werden Tonnte.
2) Diefe Erklärung hat Mae am 13. Nov. v. 3. in ber Sitzung ber Royal
Geographical Society zu London gegeben. Vgl. Daily News 15. Rov. und Sims
monde a.a.D. p. 262.
2) King Arctic Voyage II. 68. Auf ber Karte des Capt. Bad erſcheint bie
Weſtſeite der Mündung bes Gr. Fifchfl. noch von den »Chantrey mountains« und von
der » Queen Adelaide range« umgürtet.
Zeitſchr. f. allg. Erdkunde. Bd. V. 2
18 K. Brandes:
ded amerifanifchen Continents und ben vorgelagerten Infeln umher⸗
fireifen, ba fie mit dem weiter ſüdwaͤrts ſich ausbreitenden Indianern
in größter Feindſchaft leben, Fommt es lediglich darauf an, zu ermit-
ten, ob Gegenftände oder Geräthe weiter im Often oder Ins Wellen
fich gegeigt haben. Und Hierbei treten uns folgende zwei wichtige nes
gative Ergebniffe entgegen: 1) Rae traf in ben Gegenden von der
Repulſe⸗Bai bis zur Pelly⸗Bai — während ber erften 18 Tagereifen
— auf feine Spur, obgleich Erzählungen und Gerüchte biefer Art in
Gebieten, wo die Eingeborenen noch nie weiße Menfchen gefehen hat⸗
ten, und wo ungewöhnliche Greigniffe fo felten find, die Aufmerkſam⸗
feit in hohem Grade hätten auf fich ziehen müffen. — 2) In Victoria⸗
Land war weder von Rae im 3. 1851, noch von Collinſon — defien
Schiff Enterprife ven Winter 1852 —53 in der Cambridge⸗Bai ein,
gefroren lag, und der Im folgenden Fruͤhjahr die Oftfüfte von Victoria:
Land (der Infel King William⸗Land gegenüber) ausgekundſchaftet und
aufgenommen hat, — eine Spur der erzählten Kataflrophe entdedt ').
Hierbei iſt noch zu bemerken, daß die Eingeborenen auf Bictoria Land
mit Ihren Stammesgenofien auf dem gegenüberliegenven Bontinent in
Verbindung ftehen, mithin auch dort bis dahin Feine Spuren der Bew
mißten befannt geworben fein konnten. — Durch diefe Beobachtungen
gereinnt die Ausfage, daß die fchiffbrüdige Schaar auf dem King
Williams⸗Land erfihienen und von da fünwärts über die Simpfon-
Straße nach der AdelalvesHalbinfel gegangen fei, in fofern eine ge
») Mae fand indeß bei der Barker: Bai, 68° 62 N. Br. und 103°20W. Br,
am 20. Aug. 1851 einen etwas über 5 Fuß langen Fichtenſtab, an welchem in ber
Mitte ein Flicken weißes Leinen, wie zun Befag, mit Heinen Eupfernen Nägeln bes
feftigt war, vermuthlich das Endſtück einer englifchen Flaggenſtange, denn fowohl
ver Stab, ale auch Leinen uud Nägel, trugen den Gtenmel ber englifchen Regierung.
Ferner fand er nur % engl. Meile davon entfernt ein gegen 4 Buß langes, 3 Zoll
Breites und bides, offenbar für irgend einen Zweck bearbeitetes und durchlöchertes
Gtäd Cichenholz. Lieber beide Segenflände, die von Nord⸗Somerſet herabgefpült zu
fein fchienen, vermochte er jedoch Feine Auskunft zu erlangen (vgl. Parl. Papers 1852
Vol. 5. Report of the proceedings under Dr. Rae p. 8). — Gollinfon bat brieflichen
Nachrichten zufolge aus der Cambridge⸗Bai ein Bragment von einer Flügelihür mit
dem Wappen der Königin Bictoria mitgebracht, welches vom Erebus und Terror
berzurübren fehlen. Allein auch biefer Fund kann nicht zu weiten Erusittelungen
geführt Haben, da bie über Gollinfon bis feßt veröffentlichten Rachrichten mit dem
Ausipruch begleitet find, daß er Feine Spur der Bermißten aufgefunden.
Die legte Kunde über Franklin und feine Gefährten. 49
wifle Betätigung, ald dieſe Gegenden zwifchen Victoria⸗Land und ber
Pelly⸗Bai liegen.
Zur Ermittelung der Zeit, in welche die Linfunft der Mann
ſchaften auf dem King Williams⸗Land oder ihr Ende auf der Ade⸗
laide- Halbinfel fällt, bieten vie aufgefundenen Artikel feinen rechten
Anhaltepunf. An ſich erfcheint es auf ben erſten Bid nicht recht
annehmbar, daß fo viele Gegenftände, die bei wilden Voͤlkern doch
mehr nur den augenblidlichen und fchnell vorübergehenden Reiz ver
Neuheit als dauernde Freude am Beſitz gewähren konnten, lange auf
einen. verhältnigmäßig Fleinen Theil dieſer fpärlich bevölferten Land⸗
ſtriche concentrirt geblieben find, zumal da die Eingeborenen, wenn
au nur in rohen Zügen, den Charakter eines wandernden Handels⸗
volks Haben und oft für ihren Unterhalt mit großem Mangel und mit
furchtbarer Roth fümpfen müſſen. Bon viefem Geflchtspuntte aus
würde die Gavißheit, daß Fein Stüd der Gegenftände bis zum Früh-
jahr 1853 nad Victoria Land und bis zum J. 1854 nach der Pelly⸗)
und Repulfe-Bat gelangt war, den Zeitpunft 1850 für die erfle Be-
fisnahme feitens der Wilden auffallend früh erfcheinen laſſen.
Rae theilt über die Merhode, durch welche ftch diefer von ihm be-
zeichnete Zeitpumtt ergab, folgende charafterifiifche Ausfunft mit”). Er
befragte die Esfimo, auf welche er traf, über die verfchiedenen Orte,
wo fie den lebten, den vorlegten und fo weiter zurüd jeden Winter
bis zum 9. 1849 zugebracht hätten? Aus ven Antworten auf dieſe
Fragen ergab fich mit Zuverläffigfeit, daß ihre Erzählung in das Früh⸗
jahr 1850 fall. Man darf Hierbei nicht vergeffen, daß dieſe rohen
Wilden für Zahlen feinen Sinn und feinen Begriff Haben. Es kam
3 B. bei ihren weftlicheren, durch die Berührung mit Europiern mehr
eultivirten Stammgenofien vor, daß einige Nägel gegen bie gleiche
Anzahl Heiner gebadener Flſche verfauft werden follten. Diefer Hans
dei ließ ſich auf feine andere Weile vollziehen, als dadurch, daß im-
mer jeder einzelne Nagel gegen jeden einzelnen Fiſch ausgehändigt
1) Wie wir fahen, traf Rae auf dem Wege von her Belly-Bai nach dem Ca⸗
flor- und Pollux⸗Fluſſe am 20. April neben mehrern andern Gingeborenen, denen
das Ereigniß ganz fremb war, denjenigen, ber ihm die ecſte dunkle Kunde zubrachte.
2) Bol. fein ale Cewiderung auf vielfache Anfragen und Cinwürfe art die Times
gerichtetes Schreiben in der Nr. vom 7. Nov. p. 9.
2*
20 8. Brandes:
wurbe. Wie wenig Einficht fie von Zeitrechnung haben und wie ihnen
in dieſer Beziehung felbft alles Gedaͤchtniß fehlt, ergibt ſich aus ver
Antwort eines Eskimo am Cap Warren auf die Nachfrage M'Clure's
über die angebliche Ermordung eined weißen Mannes: „ES gefchah
voriges Jahr, ober ald ih noch Kind war”). So erflärt fi, daß
man von biefem Volke weit eher über den Monat, — fie rechnen und
beobachten nach Mondwechſeln — ald über das Jahr einer Thatſache
Auskunft erhält; fie Haben ihren Bären», Vogels, Fiſch⸗ und ihren
Robbenmonat. In die Zeit des Robbenmonats, Ende April oder An-
fang Mai, mußte die Begegnung der nach Süden wandernden Män-
ner auf der Ring Williams-Infel fallen.
Bei dieſer Befchaffenheit der Nachrichten des Dr. Rae dürfte es
. nicht ohne Interefie fein, den Verlauf und die Ergebnifie der Nach⸗
fuchungs» Erpeditionen zu vergleichen.
Die beiden Schiffe Erebus und Terror find bekanntlich am 26.
Juli 1845 in der MelvillesBai zulebt gefehen. Erft im Jahre 1850
— als der Annahme des Dr. Rae zufolge kein einziges Mitglied der
Mannfchaft mehr am Leben war — wurden auf der Beechey⸗Inſel
die Spuren ihres erſten Winterlagers entvedt. Es ift nicht zu zwei⸗
fein, daß beide Schiffe an diefem Geſtade eingefroren lagen, während
die Mannfchaften im Winter 1845 — 46 und im folgenden Frübiaht
theils die benachbarten Gegenden durchftreiften, theils dem Schiffe
dienſt oblagen, oder mit der Ausbeflerung der erlittenen Schäden oder
andrer Mängel an den Fahrzeugen befchäftigt waren, endlich eine Ans
zahl auserlefener Mitglieder den von der Koͤnigl. Gefellfchaft zu Lon⸗
bon ihnen aufgetragenen Beobachtungen und Arbeiten nachhing. Allen
Anzeichen nach ift die Erpedition damals noch in vollem Wohlbefinden,
in Kraft und Gefundheit gewefen. Aus fpätern Ermittelungen ergiebt
fih jedodh, daß der Sommer 1846 für die arktifche Schifffahrt fehr
ungünſtig war, und es laßt daher fich faum denken, daß die beiden
Schiffe vor Ende Juli wieder auf hoher See geivefen find.
Wohin Franklin fi dann weiter wandte? — das iſt die viel
fach erörterte Frage, über melde die Muthmaßungen weit auseinan-
') M’Clure’s despatches 25. Aug. 1850 »it might be last year, or when I
was a child.«
Die Ichte Kunde über Franklin und feine Gefährten. 21
der gegangen find und im Laufe der lebten Jahre einen außerordent⸗
lichen Wechſel erfahren haben. Die früher faſt allgemein angenommene
Anfieht, daß er ben WellingtonsGanal hinauf gegangen fei, erſchien
ben von Rae überbradhten Zeugnifien gegenüber nicht mehr haltbar. Der
Rückweg aus diefer Meeresfiraße würde die Expedition faſt unfehlbar
nach den Küften von Rorb» Somerfet, dem Leopolds⸗Hafen u. ſ. w. ges
fährt haben, wo ſeit 1848 Vorraͤthe und Nachrichten zu ihrem Empfang
niedergelegt waren. — Der arktifche Veteran, Rear Admiral Sir John
Roß if fo eben mit einer zweiten, fchon früher wenn gleich ſchwan⸗
fend gelegentlich von ihm gehußerten Anflcht hervorgetreten: Franklin
fol im Laufe des erften Winter Aufenthalts auf der Beechey⸗Inſel
die Schiffe als nicht zur arktifchen Seefahrt geeignet, feine Manns
daft, da unter ihr nur zwei oder drei Mitglieder bie erforderlichen
Kenntniffe und Erfahrungen befeflen hätten, als eine unglüdlich ge
wählte, überhaupt feine ganze Ausräftung als verfehlt und für feine
Aufgabe unangemeflen erfannt haben. Endlich fol er dadurch, daß
die Goloner’fchen Proviantlieferungen ſich ganz verborben zeigten, zur
fchleunigften Ruͤckkehr nach der Baffinsbai genöthigt worben fein‘). Allein
diefe Säge find entweder unerwiefen oder ſtehen mit der herrichenden
Ueberzeugung, mit allen befannten Thatfachen im ſtärkſten Widerfpruche.
Wie die Mannfchaften vier Jahre lang an ber fo vielfach befuchten
Baffins⸗Bai umhergeirtt fein, oder wie fie vom Wolftenholme-Sund
ihren Rüdweg über King Williams» Land und Adelaide» Halbinfel ges
fucht Haben follten, war vollends unerflärlih. In jener Sigung der
geographifchen Gefellfchaft zu London am 13. November 1854, welche
wefentlih der Verftändigung über die legten Schickſale Franklin's und
über die zur definitiven Aufbellung derfelben zu ergreifenden Maßregeln
5) Rear Admiral Sir John Franklin, A narrative of the circumstances and
causes which led to tbe failure of the searching expeditions 1. f. w. By Rcar-
Admiral Sir Jobn Ross. London bei Longmans 1855. 8. Die zuletzt ausgefpros
dene Bermuthung ſcheint aus der Thatfache entfprungen zu fein, daß am 9. Juli
1852 im Hafen Elarence bei der Behringeftrage 10570 Pfund eingemachtes Fleiſch,
welches von Goldner am 10. Der. 1847 geliefert worden war, in völlig verborbenem
Zuſtande gefunden und in das Meer gefchüttet wurden. Vgl. Parliam. Papers 1852
—53. Vol. 60. Arctic exped. p. 66. — Nber es ift in Anfchlag zu bringen, daß
diefe Borräthe auf jenem langſam fegelnden Schiffe zweimal die Linie paſſirt und
bereits 4 Jahr 7 Monate gelagert Hatten.
22 8. Brandes:
gewidmet war, vermochte Niemand, fich mit biefer Meinung au bes
freunden; fie wurde vielmehr als eine mit dem Charakter und der
Pflichttreue Franklin's unvereinbare Berbächtigung und Anſchuldigung
bezeichnet.
Es bleibt noch die dritte Annahme übrig, daß Franklin von ber
Beechey⸗Inſel aus weiter weftlich oder ſüdweſtlich nach dem großen
MelvilesSund feinen Lauf richtete. Erinnern wie und nun, wie
ungünftig die folgenden Jahre der arktiichen Schifffahrt geweſen find,
wie Capt. James Roß im 3. 1848 nur wit der Außeriten Anftren-
firengung bis zum Leopolds⸗Hafen fam, wie er dort erſt am 28. Aug.
des 3. 1849 durch die mit Aufwand aller ihm zu Gebote ſtehenden
Kräfte im Eife ausgehauenen Eanäle die hohe See wieder zu erreichen
vermochte, wie ed auch hier fich fofort wieder von Eisfeldern umſchloſ⸗
fen und mit unwiderftehlicher Gewalt gen Often getrieben fah, — nehmen
wir died Alles zufammen, fo wird e8 in hohem Grave mwahricheinlich,
daß auch Franklin mit feinen Gefährten. in den noch unerforfchten Theilen
ded Gr. MelpillesSundes unter langem vergeblichen Harren ſchwere
Prüfungen und die äußerfien Drangfale zu beitehen hatte. Kam es
dahin, daß die Schiffe entweder bei einer Untiefe oder im Packeiſe oder
an einer Landbildung im Süden des Melvilles Sundes eingefroren wa⸗
ren, daß fie ein Jahr nach dem andern darüber hingehen fahen, ohne
wieder eine offene See zu gewinnen, fo fonnte ihnen zuletzt feine andre
Wahl bleiben, als wenigftens einen Theil der Mannfchaften nad) der
Station der Hudſonsbai⸗Geſellſchaft in Nordamerifa zu entjenden,
In welchem Zeitpunkte diefer legte Ausweg ergriffen wurde, iſt
fchwer zu fagen. Immerhin bleibt daher beachtenswerth, daß bis Ende
1850 feine ver ausgeſandten RettungssErpeditionen in jene Gegen⸗
den gefommen if. Hätte das Syſtem der erften Nachforfchungen plan»
mäßig ausgeführt werden fünnen, wäre James Roß damals über Cap
Walfer Hinausgelangt, wäre der Beel-Sund bis zum Cap Nicolai von
feinen Mannſchaften ausgefundfchaftet, Hätte Nichardfon im Wollafton-
und VictoriasLand fuchen und hier etwa im Frühjahr 1849 mit den
Streifpartien des Invefligator zufammentreffen können, dann möchte
aller menfhlichen Vermuthung nach das Rettungswerk zum Theil ges
lungen fein). Aber wel ein Abftand zwifchen Entwürfen und Er:
2) Jeht ergiebt fi, dag unter allen ven zahlreichen Rettungsplänen, welche
Die letzte Kunde über Franklin und feine Gefährten. 23
folgen! Es ergiebt fih, daß in dem letzten Monat des Jahres 1849
und in ber erſten Hälfte des folgenden ſaͤmmtliche Hülfe-Erpebitionen
dem Melsille-Sund fern waren. Denn die Küftenfahrt des Lieut. Bullen
von der Behrings⸗Straße bis zum Mackenzie 1849 blieb weit. außer
dem Bereiche des Berbleibd der DVermißten; Dr. Rae war, nachdem
er im Auguſt 1849 das BictoriasLand unerreichbar jenſeits der von
toſendem Treibeis wogenden Meeresftraße gefehen, fchmerzlich in feinen
Hoffnungen getäufcht nach Hort Confivence, James Roß nach England
jzurüdgelehtt. Das Jahr 1850 wird abermals durch eine Reihe unzufant
menhängender, mißlungner Verfuche bezeichnet. Lady Franklin hatte wie
unter dem Antriebe einer tiefen Ahnung, ihrer Brigg die Nachfuchung
an der Offüfte von Boothia⸗Land empfohlen; aber Forſyth ſah fich
außer Stande, Prinz Regents Inlet zu durchfahren; er fehrte noch
in demfelben Jahre unverrichteter Sache nach England zurüd. Bullen
fam vom Madenzie her auf feinem Wege zum Bankso⸗Land nur bis
Eap Bathurſt. M’Elure vermochte nicht aus der Prinz Waled-Straße
in den Melville⸗Sund zu gelangen; ee mußte neben ben Princeß⸗In⸗
feln im Badeife fein Winterlager auffchlagen und ſich damit begnüs.
der Admiralität eingereicht worben find, vielleicht leiner fo viel Ausſicht auf Erfolg.
hatte, als der des Dr. Rihard King, bekannt ale Mitglied und Berichterftatter der
Expedition des Capt. Bad in den 3. 1833 — 35. Diefer gelehrte Reifende fchil-
derte im Febr. 1848 den Weg längs des Großen Fiſchfluſſes als die geradefle und
richtigſte Zugangsſtraße nad den Gegenden im Weſten von Nord⸗Somerſet. Dort,
meinte er, werbe Franklin mit feinen Gefährten am Sicherfien zw fülden fein. Ge
fei zwar nit daran zu denfen, den bort umherirrenden Mannfchaften auf diefem
Wege Lebensmittel mitzunehmen, dazu ſei diefer Zugang zu fehwierig, die Reife zu
weit; aber es werbe doch ſchon eine wefentliche Hülfe fein, wenn es gelänge, ihnen
kundige Wegweifer entgegen zu führen, mit welchen fie in jene wildpretreiche Land⸗
haften gelangen Fönnten, die ohne Führer nicht zu finden wären. Im 3. 1850 —
freilich diesmal für den Hauptzwed bereits zu fpät! — bot fih Dr. King wieder:
Holt zu diefem Unternehmen an, welches ihn unfehlbar anf die von Mae fo bedeu⸗
tungsvoll erkannten Bunkte, nach der Infel Montreal und Point Ogle gebracht haben
würde. — Man darf der Behörde Teinen Vorwurf daraus machen, daß fie dem Dr.
King Fein Gchör ſchenkte. Es ift eine Häufige Erfahrung, daß Meifende für den
von ihnen erfundeten Weg eine Art fangwinifcher Liebhaberei gewinnen, und man
mochte ſich eriunern, daß King ſchon in früheren Jahren eine geographifche Cul⸗
deckungsreiſe am Br. Fiſchfluß hinauf in's Werk zu fegen firebte, und daß es ihm
mißlang, durch Subferiptionen die erforderlichen Mittel aufzubringen. Endlich Hielt
es die Admiralität nicht mit Unrecht für flcherer, Nord-Somerſet u. f. w. durch ent:
fprechende Ansrüftungen von ber Barrow⸗Straße ans zu erforichen.
24 | 8. Brandes:
gen, die Exiſtenz jener nordweſtlichen Durcchfahrt auf einer Schlitten
reife zu erforfchen. Die Geſchwader, welche aus England und Korb»
amerifa nach der Barrows Straße entfandt wurden, fanden fowohl ben
Wellington- Canal, ald den MelvillesSund ihren Schiffen verfchloffen.
Erft im Frühjahr 1851 kam ces, während die Rückfahrt ber
Amerikaner unter den überrafchendften Erfahrungen mißlungen war,
durch die Organifation der Schlittenzüge zu einer weitern Ausdehnung
der Rettungsverfuche. Abgefehen von den Entdeckungen des Capt.
Benny am Wellington Canal, die einer entlegenern Gegend angehör-
ten, wurben jebt zu gleicher Zeit von Rae die Küften von Wollafton
und Victoria⸗Land ausgekundſchaftet; — von M'Clure der Weſtrand
des Prinz» Albert- und ein Theil des Prinz⸗Wales⸗Landes, dazu die
BaringsInfel bis zu dem von Barry 1819 entvedten Banks⸗Land⸗
Streifen; — von den durch Eapt. Auftin aus feinem Winterlager ent:
fandten Schlittenzügen die Ofthälfte der Melville-Infel, die Geſtade
der Byam-Martin-Straße, dad Cap Walker und von dort in füds
wetlicher Richtung, am Rande des Melville-Sundes bin, eine Strede
des Prinz Wales» Landes.
Hoͤchſt merfwürbig, wie biefe Erpebitionen, die von brei Selten
vollfommen unabhängig, jede einzelne ohne Kenntniß der beiden andern,
unternommen wurden, fich dennoch fo überrafchend ergänzten, ohne ein-
ander zu berühren, — wie M’Elure’8 Lieut. Haswell am 14. Mai
1851 am NRordrande der Mündung des PBrinz-Albert-Sunded (das
mals „Ruffel- Golf“ genannt) ankam, während 10 Tage fpäter Race
vom Südrande aus auf die damals noch geheimnißvolle Bucht feine
forfchenden Blicke richtete; und wie die Schlitten des Lieut. Wynniatt
vom Inveftigator und des Lieut. Osborn vom Pioneer am 23. und
24. Mat auf ein paar Tagereifen einander nahe gefommen find.
Kaum läßt fich denken, daß Franklin oder ein Theil feiner Mann⸗
ſchaften in dieſem oder felbft im folgenden Jahr, — in welddem Col:
linſon feine Schlittenzüge zur Durchfuchung des Prinz Alberts⸗ und
Wollaſton⸗Landes entſandt Batte, und Kennedy mit Bellot in Süd⸗
Rords Somerfet und im norböftlichen Theil des Brinz » Albertö- Landes
längs des Peel⸗Sundes forfchte — in jenen Gegenden noch verweilt
haben ſollte. Dagegen läßt fich mit ziemlicher Sicherheit annehmen,
daß Cap Walfer,.diefer vielgenannte mit feinem hohen Felsgipfel weit
Die letzte Kunde über Franklin und feine Gefährten. 25
hinaus bervortretende Punkt, niemals von den Vermißten erreicht wor⸗
den if. Denn gewiß hätten fie hier irgend ein Anzeichen ihrer Ges
genwart zurüdgelafien, welches bei fo vielfachen nachmaligen Befuchen
ſchwerlich unbemerft geblieben wäre"), und zugleich hätte von hieraus
der Zugang nad) Fury Beach und den dafelbft lagernden Borräthen
kaum Hindernifie darbleten können. Man erinnert fi), daß Kennedy
und Belot im Jahre 1852 ſich aus den großentheils noch unverdor⸗
benen Meberreften verproviantirt und ohne beſondere Schwierigkeit den
Weg nah Cap Walker zurüdgelegt haben.
Angefichts diefer Thatfachen bleibt kaum zweifelhaft, daß jene Ab»
theilung der Mannfchaft, welche die durch Rae nad) England über
brachten Artifel mit fich führte, nicht fpäter al8 im 3. 1850 nach der
Inſel Ring Williams⸗Land und in die Gegend gelangt ift, wo Ihren
Leiden das lehte Ziel geftedt war. Die Eskimo, denen ihre Habfelig«
keiten zunaͤchſt in die Hände fielen, gehören offenbar den uncultivirtes
Ren Gliedern dieſes weitverbreiteten Volls an. Sie find von ven Na⸗
tionen der Hudſons⸗Bai⸗Comp. durch fchwer zu bereifende Strecken
getrennt, durch die ununterbrochenen Kämpfe mit den etwas tiefer im
Lande wohnenden Indianerſtaͤmmen verwildert. ine Abtheilung der
‚ Emebition des Gapt. Bad fah fich bei einem Ausfluge auf der Weſt⸗
ſeite von Adelaide-Land am 12. Auguft 1833 von ihnen angegriffen;
es kam zum Blutvergießen, drei Männer des feinblichen Haufens wur⸗
den getöbtet, mehrere verwundet ?). Der Berfehr und bie Verbindung
der verſchiedenen Eskimozweige erſtreckt fich bekanntlich von der Behrings⸗
frage ſelbft bis nach Labrador Hin; wenigftens ift erwiefen, daß ein-
jene Gegenftände im Laufe der Jahre durch Taufchhandel dieſes Weges
gegangen find. ben fo gewiß ift aber auch, daß einzelne Eskimo⸗
gruppen mit ihren übrigen Stammgenofien nicht in Berührung kommen,
wie z. B. die von Sir John Roß in Boothia angetroffenen Eingebores
2) gs Könnte Hier freilich geltend gemacht werben, daß auch Kenneby und Bel:
lot die mehrfach zurücgelaffenen Spuren der Anwefenheit Auſtinſcher Mannfchaften,
welche fie noch dazu mit Gewißheit erwarteten, nicht vorgefunden haben. Allein bie
Nachſuchungen der letztern waren doch, eben weil hier mehre Schlittenzüge einander
erwarteten und nad) verſchiedenen Richtungen ausgingen, ungleich erfchöpfender.
2) King Narrative to the shores of the arctic ocean. London 1836. 8.
Vol. 2. p. 68.
26 K. Brandes:
nen und bad von M’Clure und Miertfching im Prinz Albert» Land
befuchte Naturvölfchen. So mögen auch die Artikel, welche die An
wefenheit einiger Mitglieber der Franklin'ſchen Mannfchaft unwider⸗
ſprechlich befunden, zuerſt in die Hände einer mehr ifolleten Gruppe
gefallen fein. Außerdem fehlen alle Anzeichen einer planmäßigen Bes
gegnung der dort umbherftreifenden Eskimoſchaaren; ihr gegenfeitiges
Zufammentreffen ift zufällig, und mag daher von Zeit zu Zeit erft
nach längeren Zwifchenräumen ftattfinden.
Endlich ift ed zwar nicht als gewiß anzunehmen, daß jene Schaar
der Weißen, über deren Anzahl die Mittbeilungen von Rae nicht aus
tbentifch und zuverläffig fein können, den ganzen noch überlebenden
Beftand der einft fo Fräftigen und unternehmenden Mannfchaft auss
machten. Aber unmöglich läßt fich denfen, daß heute nach mehr ale
5 Jahren, Einer von ihnen noch unter jenen armfeligen Wilden ums
herirren ſollte. Die bis jetzt zum Vorſchein gebrachten Gegenflände
(und diefe find gewiß nur ein Theil der dort umgebenden) gehören den
beiden Befehlshabern und einer Anzahl der erſten Offiziere beider Schiffe
an. Man wird nicht folgern, daß dieſe in Perſon unter den heim⸗
fehrenden gewejen find. Die Gegenftände mögen bei einer Kataftrophe
gerettet, fie mögen von den Eigenthümern bei der Trennung oder im
Augenblicke ihres Todes den Gefährten zum Weberbringen anvertraut
fein. Es kann nicht auffallen, daß lebtere auch in ven Augenbliden der
höchften Bebrängniß jene Pfaͤnder, deren materielle Laft äußerft gering
war !), nicht von ſich werfen mollten; fie haben es als Heilige Pflicht
angefehen, die Silbergefchirre mit den Familienwappen und Namens⸗
hiffer der bereits Berblichenen u. f. w. bei der von ifnen immer noch
gehofften Heimkehr den Angehörigen und Freunden der Berblichenen
gu überliefern.
Was aus den Schiffen Erebus und Terror geworben ift, ob das
eine oder das andere oder beide von den arftifchen Elementen zerftört
find? oder ob eines derfelben zulegt daran gegeben wurde, um einer
zufammengefchmolzenen Minderzahl des Schiffsvolks Feuerungsmaterial
zu gewähren? oder aber, ob ſie noch eingefroren in einem unbefuch-
1) Das ſammiliche von Rae überbracdhte Silbergeräih betrug, wie er in Times
vom 31. Oct. verfidert, an Gewicht nur 4 bis 5 Pfund.
Die letzte Kunde über Franklin und feine Gefährten. 27
ten Theil des Melville-Sundes flehn? ob fie von der Gewalt ver
Weftwinde und der weftlihen Strömung zum atlantifchen Ocean hins
weggeführt und im 3. 1851 von der Renovation aus gefehen find?!)
— das alles find Fragen, für welche wir vergebens noch einen Auf
ſchluß ſuchen. Gewiß if nur, daß die auf der King Williams⸗Inſel
u. f. w. umherirrende Schaar den Schiffen fern geweſen ift, daß bie
Schiffe den Esfimo nirgends erreichbar geworben find. Nae hat auf
eine überzeugende Weiſe dargelegt, daß die Bretter und Planken ober
Geräthe in diefen ganz holzarmen und doch des Holzes in fo hohem
Stade bebürftigen Gegenden über hunderte von Meilen bin weit und
breit verfchleppt fein würben °). Der Mangel an Holz ift bort fo
groß, daß die Eingeborenen oft genöthigt find, fich der durch den Froſt
gehärteten Biſamſtierfelle zur Anfertigung ihrer Schlitten zu bevienen.
Aber nirgends wurde auch nur bie geringfle Spur der Schiffe gefehen
— man müßte denn an die von Rae bei Victoria Land und von Col⸗
linfon an der Cambridge sBhi aufgefundenen Stüde denken, deren Urs
fprung und Beichaffenheit doch viel zu unficher if.
Zur individuellen Anfchauung der Lage, in welche Franklin mit
der Zeit verfeßt fein mochte, bieten fich zwei arktifche Expeditionen aus
der neuen Zeit dar. Eapt. Sir John Roß fah fich auf feiner zweiten
Reife, nachdem er drei Winter im Eife verlebt, zuletzt am 29. Mai
1832 genöthigt fein Schiff Bictory aufzugeben. Es war ein großes
Glück für ihn, daß er aus den zurüdgelaffenen Vorräthen des geftrans
deten Schiffes Fury, an welchen fein Rüdweg vorbeiführte, den Bedarf
für feinen vierten Winter im Eife entnehmen fonnte, daß er weiterhin
an der Küftle von Navy Board Inlet von dem dort zufällig vorübers
fegelnden Fahrzeuge aufgenommen wurde. — Capitain M’Elure fror
nach furchtbaren Bebrängnifien im September 1851 an der Mercy-
Bai ein und harrte im folgenden Sommer vergebens des Aufbres
chend der ihn umgebenden Eisfelder. Seine Borräthe fingen an fich
2) Bol. Brandes: Sir John Franklin S. 277 — 82. — Unter andern if von
Simmonds (Globe 9. Nov. 1864) behauptet worden, daß es mit den letzten Nach⸗
richten vollkommen im Ginklange ſtehe, jene beiden „Schiffe im Cisberge“ als die
Wende des Erebus und Terror anzunehmen. Der entgegengefegten Anficht iſt der
Berichterſtatter Times 24. Oct.
?) Bol. Rae's Erklärung in einer Zufhrift an ben Herausgeber ber Times
(Rr. vom 31. Oct. 1854).
28 RK. Brandes:
zu erfchöpfen, die Mannſchaft fiel bei den Inapp zugemeflenen Ratio
nen in Schwäche und Krankheit. Er erkannte die Unmöglichkeit, feine
Gefährten noch einen Sommer zu unterhalten, und wäßlte im Jahre
1853 das Frühjahr als die günftigfte Zeit zur Landreife, um den
größeren Theil feiner Mannfchaften in zwei Abtheilungen nach verſchie⸗
denen Richtungen Hin zu entlaffen. Aber auch bei ihm trat die glüds
liche Yügung ein, daß jeber der beiden zu entfendenden Abtheilungen
unterwegs eine Niederlage von Borräthen zu Gebote ftand. Die erfle
Abtheilung, welche auf dem Wege durch die Madenzie-Landichaften
nach den Hudſonsbai⸗Stationen gehen follte, würde auf den Royal Prin⸗
zeß⸗Inſeln die von ihm zurüdgelafienen Vorräthe gefunden haben. Die
zweite Abtheilung vermochte auf dem Wege nach der Baffinsbai in dem
am Leopolohafen auf Nord⸗Somerſet 1849 erbauten und ausgeftatteten
Vorrathshauſe, bei defien Anlage M’Elure als Lieutenant des Gapt.
James Roß mitgewirkt, Unterkunft zu finden und felbft ein Fahrzeug zur
Heimfehr zu benugen. So hätte M’Elure mit einer gewiſſen ruhigen
Zuverficht dieſe Männer von fich laſſen können, währen er felbft noch
einen Sommer hindurch der Möglichkeit Barren wollte, bie entdeckte
norbiweftliche Ducchfahrt zu vollenden.
Aber wie war das Alles ganz anders bei Franklin! Er konnte
den Seinigen auf ihren weiten und öden Wegen nach den Stationen
der HudfonsbalsLandfchaften Feine Vorräthe nachweifen, und ihm ahnte
nicht, daß im Leopoldhafen und in den MadenziesLandfchaften Rieder
lagen von Borräthen und Kundfchaft gebende Flaggenſtangen feiner
warteten. Indem feine Männer an den Norbfüften des Prinz Wales-
Landes ihre Wanderung antraten '), kam es darauf an, zu entjcheiden,
2) Der Anfangspunft diefer Wanderung an ben Norbfüflen des Prinz Wales:
Landes läßt ſich natürlich nicht beftimmt ermitteln. Da indeffen, wie wir oben bemerkten,
Gap Walter ſchwerlich von der Expedition Franklin's befucht worden war, fo ergiebt
ih, daß biefer Punkt eine beträchtliche Strecke weiter weftwärts zu fuchen iR; und
da weber Lieut. Wynniatt von Wehen her, noch auch Lieut. Osborn von Often ber
an bem von ihnen erforfchten Küftenzuge auf eine Spur trafen, Eönnte man ver:
muthen, bag Franklin's Männer auf der dazwiſchen unbefucht gebliebenen Küftenlinie
gelandet find. — Im letzten Aprilbefte des North American Review finden wir bie
Muthmaßung, daß die verunglüdte Schaar im Auguft 1849 am Sübrande von Wol-
lafton und BictoriasLanb Hülfefuchend umhergeirrt fei, während Mae an der gegen:
über Tiegenden Küſte des Feſtlandes drei Wochen lang mit Schmerzen und zuletzt
doch vergebens einer Möglichkeit zur Ueberfahrt Karte. Demnach müßten fie ben
Die lehzte Kunde über Franklin und feine Gefährten. 29
ob fie entweder die Richtung nach den Gegenden des Mackenzie⸗ und
Kupferminenflufies, wo Franklin im 3. 1821 faſt des Hungertobes
geforben wäre, ober bie Richtung nach dem Großen Fifchfluffe ein-
ſchlagen wollten. Die dazwifchen liegenden Landſchaften waren thells
wegen der größern Breite des Meeresarmes ſchwer zu erreichen, theils
fhredten fie durch ihre Außerfie Hüffslofigfeit gurüd. In biefer Lage
mögen fie durch die Ausficht auf Wildpret beivogen worben fein, ber
Richtung über Kings Wiliams-Land und über die Simpfon Straße,
gegen den großen Sclavenfee Hin, den Borzug zu geben. Die Stelle,
an welcher Sir John Roß noch einen Theil der Vorräthe des Schiffes
Fury übrig gelaffen, konnte ihnen nicht unbefannt fein. Ein unglüds
licher Ausſchlag hat fie von diefer Richtung, die ihnen noch Rettung
hätte bringen fönnen, zurüdgehalten. — Ferner ift e8 nicht undenkbar,
daß Franklin oder ein Theil feiner Gefährten — mit denfelden Ers
wartungen, wie einige Jahre hernach M'Clure in der Mercy Bai —
auf den Schiffen zurüdblieben, während jene verunglüdte Schaar mit
einer Anzahl der theuerften Gedenkſtuͤcke der Offiziere dahin ging, um
auf dem Landwege Rettung zu fuchen, vielleicht auch um eine Net»
tungs»Erpebition für die Zurüdgebliebenen in Bewegung zu, fegen.
Bei diefer Vorausſetzung bliebe wiederum zweifelhaft, ob jene im Eis⸗
meer ausharrenden Seefahrer fechenartigen Krankheiten, ober unter
den Gehrechen und Schwächen des Mangels an Lebensmitteln erlegen
find, ob ihnen eine plößlich hereinbrechende Kataftrophe der arftifchen
Elemente — man denfe an die fchnelle Vernichtung des Breadalbane
bei der Riley-Spite 21. Aug. 1853 — einen Untergang ohne langen
Todeskampf gebracht hat. Bon ihnen hat bis jeht noch Niemand eine
Spur gefehen.
Wir treten jetzt zu der lebten und furdhtbarften Scene am Ende ber
Lebenstage jener Hinwärtd wandernden Schaar. Rae rollt auf Grunds
lage der Eskimo⸗Kundſchaft ein unausſprechlich büfteres Bild berfels
ben auf. Er zeigt die Unhaltbarfeit des einft mit hoffnungsfrohem
Muthe gefprochenen, und jegt von Manchem ihm entgegen gehaltenen
Worts des Oberſten Sabine: „Wo Eskimo leben können, wo Rae fich
Winter 1849 — 50 auf Bictorin »Lanb zugebracht haben. Dies läßt fich jedoch kaum
denken, da die Spuren Ihres Winterlagere bei den mannichfachen Nachforſchungen
son Rae oder Gollinfon gewiß nicht unenideckt geblieben wären.
80 K. Brandes:
feinen Bedarf fchafft, pa werden Franklin's Männer nicht verfommen!“
— Denn Franklin Männer kamen aufgerieben durch Befchwerben
und Mangel zur ungünftigften Zeit des Jahres in einem ber hülf⸗
lofeften Striche des arftifchen Amerifa an, während zur Erlegung des
ſcheu und fpärlich umherirrenden Wildes die rafchefte Gewandtheit und
zumal zum Fangen der Robben eine jeltene Gefchidlichkeit und Uebung
erforberfich gewejen wäre !). Denjenigen bie es imglaublid) fanden,
Daß eine mit Flinten und Schießbedarf, mit Zelten, Schlitten und eis
nem Boot verjehene Schaar auf ihrem Wege fich mit einem Male
niedergelegt haben follte, um am den Leibern ihrer Gefährten die Qualen
des nagenden Hungers zu lindern und dennoch eines unvermeidlichen
Todes zu harten, daß bei einem folchen Ausgange nicht jeder Einzelne
auf möglichft weiten Wegen feine Rettung gefuccht haben follte?), ent-
gegnet Rae Folgendes:
Vergegenmwärtigen wir uns auf einen Nugenblid das Gemälde einer Schaar
muthvollee Männer, die duch Mangel und vielleicht auch duch Krankheiten in die
Außerfie Bebrängniß verfebt, nad den Mündungen eines Gtromtes, wie 3. B. bes
Großen Fiſchfluſſes, ihren Weg nehmen. Dort gedenken fie dem als nahe bevor:
fiehend erwarteten Aufbruch des Eiſes, dem Zeitpunfte entgegen zu harten, in wel-
chem fie auf ihrem Boote ſich einfchiffen fünnen. Allein bei ihrer Ankunft find Wie:
Ien die letzten Kräfte gefgmunden, fie vermögen ſich felbft nicht weiter fortzufchleppen,
gefhweige denn beim Wortziehen des Schlittens Hülfe zu leiften. Die Kräfte ber
übrigen reichen nicht Hin, um biefe Laſt weiter zu bewegen. Welche Auskunft blieb
ben Männern in einer folchen Lage? Ich meine nur diefe: zuſammen zu halten,
ihrer Wanderung vorläufig ein Ziel zu ſetzen. So konnten biefenigen, welche noch
Kräfte Hatten, auf die Jagd ausgehen, um für fi, und ihre ermatteten Gefährten
Unterhalt zu ſuchen, bis bie Cisdecke des Stromes fi loͤſte, und ihnen Allen anf
ihrem Bote ein leichteres Kortlommen ermöglicht wurde °).
Endlich Hat Rae wiederholt verfichert, daß die Mittelbarfeit feiner
Nachrichten — er jchöpfte fie nicht von Augenzeugen und konnte mit
den Erzählenden nur durch Bermittelung eines Dolmetichers ſich ver
fländigen — deren Glaubwürbigfeit nur erhöhen könnte. Hätte man,
fagt er, diejenigen angetroffen, welche die hinterlaffenen Gegenftände
von den Leibern Der Geflorbenen genommen, oder nahebei aufgefejen
hatten, fo möchte der Berbacht einer abfichtlichen EntRellung der Wahr:
!) Times vom 31. Oct.
2) In den Bemerkungen Daily News 26. Oct., 28. Det., Times 30. Dct.n. f. m.
2) In der Erflärung Times 7. Nov.
Die letzte Kunde über Franklin and feine Gefährten. 9
heit nahe liegen. Allein diejenigen, mit welchen ex verkehrte, konnten
fein Intereffe und keinen Grund haben, den Thatbefand zu fälfchen;
und eben fo wenig lafle fich zweifeln, daß Ihnen von den wirklichen
Augenzeugen bie richtige Kunde arglos mitgetheilt fe. Wie mannich«
fach auch Unguverläffigkeit, Lügenhaftigfeit, Tüde und Wildheit des Nas
tionalcharakterd der Eslimo ihm entgegengehalten wurde, wie oft auch
die Vermuthung ausgefprochen ift, daß er mit denjenigen Berfonen
jufammengetroffen fei, welche die Gegenftände felbft geraubt hatten,
und daß biefe den Hergang ihres Verbrechens durch ihre Erzählungen
ju verdeden bemüht gewwefen — Rae weiſet auf's Entfchievenfte den Ge
danfen zurüd, ald ob Mord ober PBlünderung an ben Verunglüdten
geſchehen fein Könnte.
Aus Anlaß diefer lehten traurigften Runde von der Vernichtung
ver Mannſchaft, die einft mit fo glänzenden hochgehenden Hoffnungen
die englifhen Küften verließ, ift verfchlevenen bis dahin mißachteten
Gerüchten und Nachrichten eine neue Bedeutung beigelegt worden. Im
Herbſt 1849 brachte der Capt. Barker aus dem Lanlafter- Sunde eine
Eskimo⸗Sage von vier großen Schiffen, welche in einem Meeresfunde,
befien nach Zagereifen angegebene Entfernung auf den Prinz Regent
Inlet paßte, eingefroren fein follten; zwei ver Schiffe follten feit vier
Jahren auf der Weftfeite, die beiden andern auf der Oftfeite liegen.
As M'Clure am 24. Auguft 1850 das Cap Warren befuchte, 30g bie
Ausfage zweier Eskimo, daß eine Anzahl weißer Minner — Niemand
wußte woher? — dort anlangte, fi) ein Haus erbaute, aber in Kolge
des an einem von ihnen verübten Mordes, Hinmeggeflüchtet fei, ans
fangs feine Aufmerffamfeit auf ſich, bis er dieſe Mittheilungen ale
gehaltlofe Beftanbtheile von veralteten unklaren Sagen erkannte. Ein
fonderbares Zufammentreffen, daß faft in denſelben Tagen der berüdhs
tigte Esfimo Adam Bed die zur Rettung Franklin's ausgefandten Ges
ſchwader an der geönländifchen Küfte Cin der Melvile-Bai) — durch
angebliche Gerüchte von zwei 1846 im Norden der Baffins⸗Bai ge
frandeten Schiffen und von den am Wolſtenholme⸗Sund erfchlagenen
Mannfchaften derfelden — auf einige Tage in die hoͤchſte Beſtuͤrzung
verſetzte Und um diefelbe Zeit war an der Behringsftraße, wo Das
mals die fabelhaften Erzählungen von ſchiffbrüchigen weißen Männern
zu hunderten umliefen, die fcheinbar begründete Ausſage über mehrere
32 RK. Brandes:
im Innern des ruffifchen Nordamerika angefiebelte Europäer von Col⸗
linfon einer ernfthaften Unterfuchung werth befunden. — — Alle Diele
Erzählungen, Angaben und Gerüchte waren indeß laͤngſt entkraͤftet und
befeitigt; die nunmehr auftauchenden Berfuche, diefelben mit der Bots
fchaft des Dr. Rae in Berbindung, zu ſetzen oder ihnen auf Grund
derfelben ein beflimmtes Intereffe zu vindiciren, wurben eben fo ſchnell
als verfehlt erfannt und vermochten nicht, dauernden Anklang zu ges
innen.
6) Pläne zu weitern authentifhen Nachforſchungen über
den Thatbeftand der Nachrichten des Dr. Rae.
Sogleih unter dem erſten Eindrude der erfchütternden Botfchaft
des Dr. Rae erwachte in England auf’8 Lebendigfte der Gedanke, daß
e8 eine heilige Pflicht des Baterlandes fei, das Schickſal der verun⸗
glüdten Erpebition an Ort und Stelle zu erforfchen und Alles auf-
jubieten, um über das furdhtbare Geheimnig die legte Aufhellung zu
erringen. Alle Blicke richteten fich nun mit einem Male auf den Gros
gen Fiſchfluß, auf die Halbinfel Adelaide und auf das King Williams;
Land. An den Wellingtond-Canal und die hohe Polarfee dachte Nies
mand mehr. Die bis dahin fo erbitterten Gegner des Capi. Belcher
verflummten und feine Angelegenheit trat fpurlos tief in den Hinter-
grund zurüd.
Unter den zurüdgefehrten Seefahrern, die im Laufe der wenigen
feit ihrer Ruͤckkehr verflofienen Wochen ſich von ihren Leiden und Be
ſchwerden fichtlih erholt Hatten, — es wird namentlich erwähnt, daß
feld an den Männern des Inveſtigator die fünfjührigen arftijchen
Drangfale nicht mehr zu fehen waren — fpracdhen Viele den Wunſch
und das Berlangen der Theilnahme an jeder neuen Expedition zur Aufs
Härung über den Untergang Franklin's und feiner Gefährten aus. Diefe
Männer wollten die erflarrten Leiber Ihrer Landsleute und alle ihre
Gebeine an den öden arktifchen Küften zufammentefen, um fie in einer
gemeinfamen öffentlichen Begräbnißfeier dem heimifchen Boden zurück⸗
zugeben; fie wollten mit unermüblichem Fleiße alles, was von ber
Habe oder Hinterlafienfchaft der Berunglüdten bei ven Eskimo noch
anzutreffen war, an fich bringen und den trauernden Angehörigen und
Sreunden in der Heimath überweifen.
Die Iehte Kunde über Franklin und feine Gefährten. 83
In der oben erwähnten Sitzung der geographifchen Gefellfchaft
zu London (13. Novbr.) kam es neben den Ausfprüchen der tiefften
Theilnahme an dem traurigen Looſe ber Berfchollenen, neben ben herz⸗
lichften Beileiböbezeigungen für die Hinterbliebenen und vor allem für
die edle „Wittwe“ — man nahm jet zum erften Male feinen An-
Hand das diesmal fo inhaltvolle Wort zu gebrauchen — Lady Franklin,
zu einer Anzahl von Borfchlägen neuer arktifchen Expeditionen. Aus
den Berichten über dieſe Verfammlung ergiebt fi), wie fo Manche
noch dem Gedanken nachhingen, daß die Mannfchaften in den ſchwe⸗
ren Stunden der Entſcheidung ihres Mißlingens ober ihrer Außerften
Gefahren fich zertheilt Haben Fönnten, und daß eine Abtheilung in den
Landſchaften fühlich von Lancafter-Sund gegen die Baffins-Bai hin
ihren Weg genommen haben möchte, während die andere am Strande
der Adelaides Halbinfel ihr Ende fand. Ja zwei gewichtvolle Stimmen,
Sroreaby und Kellett, erhoben fich für die Möglichkeit des Weberlebens
einiger unter ben DBermißten '), obgleich die übrigen Mitglieder der
Berfammlung nur die entfeelten Leichname und die Hinterlafienen Bes
fisthümer nebft den etwa noch vorhandenen Aufzeichnungen ale das Ziel
der weiteren Nachforſchungen betrachteten. Bon befonderem Eindrude
war ed hier, daß Capt. M’Elure die Nachrichten des. Dr. Rae für
hinreichend erklärte, um bie Meberzeugung von dem vollftindigen Un⸗
tergang der ganzen Franklin'ſchen Expedition zu bethätigen. Im Laufe
der Verhandlungen empfahl hierauf Sir John Roß — indem er zus
gleich auf die commercielle Rüglichkeit eines folhen Unternehmens hin-
wies! — die Ausfendung eines Schiffes nach der Weftfeite der Baf⸗
fins-Bai, d. h. nach den Gegenden fühlich von der Ponds-Bai, um
von dort aus die Gebiete bis zu dem Hudſonsbai⸗Territorium auss
1) Selbſt der in feinen alten Tagen für neue Auffellungen über Franklin noch
fanguinifch empfänglie Sir John Roß neigt jeht am Schluß ber oben angeführ-
ten vor Kurzem erfchlenenen Schrift dem Gedanken zu, daß doch wohl ber eine ober
andere von Franflin’s Männern noch am Leben fein könnte, das traurige Schickſal
der übrigen anzufagen. Er motivirt mit biefer Anſicht die Forderung, nad) Maß⸗
gabe des damaligen Standes der Angelegenheit die Nachforfchungen zu erneuern. —
Ran erinnert ſich, wie berfelbe arktifche Veteran fchon am 1. Nov. 1851 durch ein
an die Admiralitäts-GCommifflon gerichtetes Memorandum feine Weberzeugung dahin
ausgefprochen Hatte, daß weber Franflin, noch einer feiner Männer fo lange Zeit (d. h.
bis vor mehr als 34 Jahr) in der Polargegend am Leben geblieben ſein koͤnnte.
Zeitſchr. f. allg. Erbfunde. Bo. V. 3
34 | 8. Brandes:
zufundfchaften. Kellett flimmte dieſen Borfchlägen bei, indem er der
Möglichkeit gedachte, in jenen unerforfchten Einöden noch umherirrende
Mitgliever der Franklin'ſchen Mannfchaft zu retten. Dagegen richtete
Lieut. Osborn die Aufmerkſamkeit auf die Gegenden jenfeitd des Peel⸗
Sundes, indem er meinte, daß dort die Leichname und Weberrefte ans
derer Mannfchaften Franklin's aufgefunden werden müßten. Noch weis
ter gingen die Vorfchläge des Capt. Inglefield. Diefer Offizier war
von dem Berlangen erfüllt, fowohl den Bereich der lebten Kataftrophe,
als auch die Küftengebiete, an welchen die Schiffe entweder veruns
glüdt oder von den Mannfchaften verlaffen fein mußten, umfafiend er⸗
forfcht zu fehen. Hochgehenden Sinnes drang er darauf, im naͤchſten Fruͤh⸗
jahr zwei Fahrzeuge Cd. h. Dampfer) auszurüften; die eine dieſer Er-
pebitionen, für die Fahrt nach Cheſterfield⸗Inlet und der RepulfesBai
beftimmt, follte von dort aus die Umgegend des Großen Fifchflufies
auf dreifundert Meilen weit erforfchen und, wie er meinte, in demſelben
Jahre noch nach England zurüdiehren, die andere aber zunaͤchſt nad)
der Beechey⸗Inſel ihren Lauf richten und von dort aus gegen den
Peel⸗Sund vordringen.
Solche weitausfehende Unternehmungen lagen jeboch nicht mehr
in dem Sinne der Aomiralität, und es läßt ſich nicht leugnen, daß
diefelben theils auf zweifelhaften Borausfegungen beruften, theils wie
berum zu einem mehrjährigen Verweilen der Mannfchaft in ben arkti⸗
fhen Regionen führen konnten und mannichfachen, außer aller menſch⸗
lichen Berechnung liegenden Eventualitäten unterworfen waren. An-
gefichtö der entfcheidungsvollen Botfchaft des Dr. Rae, und felbft fchon
aus Anlaß der leuten arftifhen Erfahrungen, ließ es fich die Behoͤrde
fichtbar angelegen fein, fortan neue Gefahren und Opfer von Men
ſchenleben grundfäglic nach Möglichkeit zu vermeiden. Dagegen ging
fie fogleih in den Tagen nad Rae's Ankunft fehr Iebhaft auf die
Aufgabe ein, zur Unterfuchung der Gegenden, welche Rae als Wahl:
flätte des Untergangs jener verunglüdten Schaar bezeichnete, ohne al-
len Verzug die geeigneten Maßregeln zu berathen. Nichte lag näher,
ald dem Dr. Rae die Leitung biefer Expedition zu übertragen. Er
fand, wie fein anderer, in einer vollen und Haren Anfchauung der Er
jorberniffe und der bisher errungenen Bermittelungen und hatte aus
ßerdem auf jeden Ball jetzt die nächfte Anwartfchaft des Preifes von
Die letzte Kunde über Sranflin und feine Gefährten. 35
10,000 Pf. Sterling, welcher im Jahre 1850 für die erfte gewiſſe
Aufhellung des Schickſals der vermißten Expevition ausgefeht worben
war. Dennoch hat Rae alle ihm wiederholt geftellten Anträge auf die
Anführung dieſes Unternehmens mit der größten Entſchiedenheit zu⸗
ruͤckgewieſen, indem er fi theils auf feinen gefchwächten Geſundheits⸗
zuftand berief, theils die Nothwendigkeit der fofortigen Bearbeitung
feiner auf den legten Reifen gefammelten geographifchen Materialien
geltend machte. An den Berathungen der Lorb8s@ommiffionerd der
Admiralität in den Tagen vom 23— 27. Oct. hat er indeß den thaͤ⸗
tigften Antheil genommen. Diefe führten zu dem Ergebniß, daß bie
ganze Angelegenheit dieſer Nachſuchungen dem Directorium der Hubs
fonsbais ®efellfchaft anvertraut wurde. Bapt. Shepherd, der in Lon⸗
don anweſende Vice: Gouverneur der Gefellichaft, wurde bei der le:
ten und entfcheivenden Eonferenz zugezogen; er Bat an demfelben Abende
(27. October) noch dem in Amerifa refivirenden Gouverneur Georg
Simpfon die ausführlichften Mittheilungen zur unverzögerten Ausrüs
flung der Erpebition überfandt.
Anfangs brachte e8 für den Plan diefer Nachfuchungen eine ers
hebliche Berwidelung, daß gleichzeitig auch eine Rettungs» Expedition
für Eollinfon und feine Gefährten als unerläßlih erfannt wurde").
Nach dem Inhalt der Depefchen, welche Lieut. Mecham an der Prinz
Wales⸗Straße muffand, Hatte Eollinfon im Frühjahr 1852 die Abſicht,
eine öftliche Richtung einzufchlagen, vie ihn bei günftigem Erfolge nach
den von Rae fo verhängnißvoll bezeichneten Gegenden geführt haben
mußte. Wie es ihm jedoch hiebei ergangen fein mochte, blieb bei ber
von allen Seiten beftätigten Unſicherheit arktifcher Unternehmungen
hoͤchſt zweifelhaft. Die einzige angemefiene Auskunft beftand darin,
mittelft einer Boot-Erpedition vom Madenzie nach feinen Spuren zu
fuchen. Hierbei. fam es zu Statten, daß bei Fort Simpfon ein gros
ßes Boot, wie deren fich die Hudſonsbai zur Schifffahrt auf größern
Flüffen bebient, zur Bereitſchaft ftand. Dies war aber nicht genug;
ı) Gapt. T. B. Collinſon, Bruder des abwefenden Befehlshabers der Enter:
prife, dringt in Times vom 27. Dct. auf Entfendung einer von 2 bis 3 Offizieren
begleiteten Erpebition von etwa 30 Mann nad) der Mündung bee Madenzie u. f. w.
Er betonte, daß biefes Unternehmen ſich auch zur Aufhellung des Schidfals der Frank⸗
Iins@rpebition erfolgreich erweifen werbe. z
*
36 8. Brandes:
denn man mußte auch darauf bedacht fein, die nöthigen Vorraͤthe für
den Fall einer Begegnung mit hülfslofen Abiheilungen der Collinfon-
fchen Mannfchaft mitzunehmen. Außerdem war es erforberlich, fich mit
zwei Heineren tragbaren Booten zu verfehen, die man ohne Zeitverluft
am Athabaska⸗See herftellen zu können hoffte. Selbft die Zufammenfegung
der. Mannfchaft, vie Wahl der Offiziere und Steuerleute hatte ihre
Schwierigkeiten. Endlich mußte auch Bedacht darauf genommen wers
den, die Zurückkehrenden am großen Biren-See mit einem entfprechen
den Borrathe von Tebensmitteln zu empfangen und dadurch den furcht-
baren Rothfländen und Berlegenheiten bei ver einftmaligen Rüdkehr
Franflin’d vorzubeugen.
Daher war ed eine außerordentliche Erleichterung, als in ber
zweiten November Woche die Nachricht von dem glüdlichen Eintreffen
Collinſon's an der Behringsftraße ankam. Denn die Ausfendung je
ner Boots Erpebition auf den Madenzie konnte nunmehr ganz wider:
rufen werben; fie Hätte in der That Feinen Sinn mehr gehabt, da
gleichzeitig gemeldet wurde, daß Eollinfon den Winter 1852 —53 in
der Cambridge» Bai zugebracht und die Küftlen von Wollaftons und
Victoria⸗Land ausgekundfchaftet hatte.
Demnach blieb innerhalb des von der Admiralität angenommenen
Syſtems jest feine Aufgabe mehr übrig, als in den Landfchaften weſt⸗
ih von der Mündung des Großen Fifchflufies nach Den lebten Ueber⸗
teten und Spuren der Verunglüdten zu ſuchen. Sind dieſe Land:
ſchaften an fich auch lange nicht fo entlegen, als die meiften letzthin
durchforfchten Gebiete, fo find fie doch deſto ſchwerer erreichbar. Die
beiden unmittelbar dorthin führenden Meereöftraßen bedingen unver:
hältnigmäßig weite Ummege, und werden durch die Hemmungen des
Eifes hoͤchſt unſicher. Sämmtliche Landwege führen über lange Tages
reifen von unwirthlichen und hülfslofen Einöden. — Den beften Zugang
bot noch das eigenthümliche Stromfyftem des nordamerifanifchen Feſt⸗
landes dar; allein diefe Waſſerſtraße — es war die von der Erpe:
bition des Capt. Back 1832 — 34 zurüdgelegte und von feinem Be:
gleiter King nachmals wiederholt empfohlene — war Durch mehrere
Tragftellen (Portagen), außerdem durch Stromfchnellen und Waffer:
fälle vielfach unterbrochen. Sie erforderte tragbare Kähne (Canots)
und eine für den Dienft eingeübte Bemannung. Dr. Rae drang auf
Die Iegte Kunde über Franklin und feine Gefährten. 97
möglichfte Befchleunigung biefer Vorbereitungen. Ex hielt zwei Ca—
nots, jedes mit 6 bis 7 tüchtigen Leuten und zwei Offizieren bemannt,
für ausreichend und rieth, diefelben entwever am Athabasfas See oder
beim Fort Refolution oder irgend fonft wo am Großen Sclaven⸗See
im Boraus anfertigen zu lafien. Die Erpebition follte fich zeitig ger
nug auf ben Weg machen, damit fie vor dem Eidgange mindeftens
den Athabaska⸗See erreichen und bei guter Zeit Cim Juni) das Feld
der Nachforſchung betreten könnte. Endlich empfahl er noch beſonders,
den zur Zeit in Churchill verweilenden Esfimo- Dolmetfcher William
Ouligbuck, der den Expeditionen von Bad, Deafe und Simpfon fo
weſentliche Dienfte geleiftet, zur Thellnahme zu gewinnen. Doch wa—⸗
ven das alles nur vorläufige Rathichläge, die anfangs für die Aus⸗
fendung einer Erpedition von England aus berechnet, nunmehr dem
Gouverneur Simpfon, in defien Hand man die Ausführung legte,
lediglich zur Erwägung anheim gegeben wurden. Die eigentliche Auf:
gabe der Expedition befchränfte ſich darauf, die vorfinplichen Leichname
mit Ehren zu beftatten, und alles, was die VBerunglüdten zurüdgelaflen,
zur Vieberfendung nach England mit ſich zu nehmen. Die und vor
liegenden Zeugnifle beflätigen, daß Gouverneur Simpfon dem Vers
trauen ber englifhen Regierung gewifienhaft zu entfprechen bemüht
geweſen if. Ohne Zweifel haben die von ihm entſandten Männer
in dieſer Stunde längft das verhängnißvolle Feld ihrer Miffton er-
xeicht.
Die lange Reife der Unternehmungen für Franklin und feine Ge⸗
fährten neigt dem Ende zu. Aber welch ein Gegenſatz jener glänzenden
Hoffnungen, der belebenden Zuverficht bei ihrem Beginne, und des Jam⸗
mers der Verzweiflung angefichts der legten Ergebniffe. Als Dr. King im
Jahre 1850 feine fefte Ueberzeugung ausſprach, daß die Beichreitung
der Straße des Großen Fifchfluffes, fei es früher, ſei es fpäter, zur
Auffuhung Franklin's doch noch bevorſtehe!), ahnte ihm gewiß nicht,
in welchem Sinne fein Wort zur Zeit in Erfüllung gehen follte.
Nach mammichfaltigen Wechfeln, nach taufend Mißverftänpniffen, bits
tern Täufchungen und trüben Erfahrungen gilt die legte umfaflende
1) Parl. Papers 1850 Vol. XXXV Arctic Exped. p. 155 »That the route
by the Great Fish River will sooner or later be undertaken in scarch of Sir John
Franklin, I have no doubt«.
98. 8. Brandes:
That am Schluß des Drama nicht mehr den Lebenvigen, fonbern den
Todten.
Die Admiralität iſt unverkennbar beſtrebt, allem Hader und allen
Zerwürfniffen, welche aus dem Hergange der Rettungs» Expeditionen
entfeimt find, mit verfühnender Hand vorzubeugen und, fo viel an ihr
ift, jegliche drohende Nachwehen zu befeitigen. Mit anerkennenswer-
ther Umficht hat fie dem Verdienſt der verfchienenen Perſonen befrie
digende Anerkennung angedeihen laffen, und bei Uebertretungen Einzel
ner nach Möglichkeit Milde und NRachficht geübt. Sie hat den Namen
Prinz Alberts⸗Land im Norden des Wellington⸗Canals ausgelöfcht
und dafür die von eifernden Stimmen der Amerikaner beanfpruchte
Bezeichnung „Grinnell⸗Land“ auf ihrer neueflen arktiichen Karte ein-
geführt. Sie hat in der Belcher’fchen Angelegenheit, wiewohl die Foͤrm⸗
lichfeit des Kriegsgerichts unvermeidlich geworden war, eine beruhigende
Ausgleichung erreicht. Bei der neulichen Ruͤcklehr des Capt. Eollinfon
fahen fich die von ihm in Haft gehaltenen Offiziere mit Freundlichkeit
und Wohlwollen bei ihren Behörden aufgenommen, während anderjeits
bie Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens zur Unterfuchung der Dif-
ferenzen ferngehalten wurde, um diesmal jeden Eclat zu vermeiden. —
Das Andenfen der Verfchollenen wird unausgefeht in Ehren gehalten;
ihren Hinterbliebenen find Erweifungen des befonderen Wohlwollens
nicht verfagt. Auch den Namen verjenigen, welche bei den Rettungs⸗
Unternehmungen gefallen find, ift die gebührende Anerkennung gezollt').
Bor Allen ift den höheren und nieberen Offizieren, welche an ben
verfchiedenen Expeditionen Theil nahmen, eine angemefjene bevorzugende
Beförderung zu ‚Theil geworben, und wer die Schifföberichte in ven
englifchen Blättern genauer verfolgt, dem werben nicht felten Ramen
begegnen, die bei den Sranflin-Unternehmungen zuerfl genannt wur:
den und vielleicht noch eine glänzende Zukunft vor ſich haben.
Unter den geographifchen und wiflenfchaftlichen Ergebniffen ſteht
bie Entvedung ber nordweſtlichen Durchfahrten durch Capt. M'Clure
immerhin oben an. Ihm ift einftimmig die Palme der neueren Ent
») In der am 30. Mai 1855 gelefenen Jahresadreſſe des Praͤſidenten ber Lond
geograph. Geſellſchaft wird erwähnt, daß die Aufrichtung des Denkmals für Belloi
am Greenwich Hospital in der nächften Zeit zu erwarten ficht. Bemerkenswerth if,
daß biefe Adreſſe den Nekrolog Sir John Franklin’ als verewigten Mitgliedes der
Geſellſchaft enthält.
Die letzte Kunde über Sranklin und feine Gefährten. 39
deckungen augefchreiben, denn feiner Kuͤhnheit und Entſchloſſenheit ver-
danft England bie Löfung einer Frage — die endliche Befeitigung eines
Problems, welches feit dreihundert Jahren jo oft — man zählte achtund⸗
funfjig Male! — von den eriten Kationen Europa’8 vergeblich erftrebt
war und manches in unausfprechlihem Elend verfommene Menfchen-
ieben gefoftet hatte. Sein Name wurde in England gefeiert, während
er mit den Seinen nicht ohne Wehmuth über fo manches Mißlingen —
denn er hatte weber Franklin's Spuren gefunden, noch war ihm vergönnt
geweien, die Durchfahrt zu vollenden — fich unter den Hemmungen
der arktiſchen Schifffahrt der Heimath entgegenſehnte. Sir ©. Bad
nahm in der Jahresverfammlung der Beographifchen Gefellfchaft au
London am 22. Mai 1854 die Patrons⸗Preismedaille für den noch
nicht zurüdgefiehrten Entveder in Empfang. Die Admiralität hat ihm
zum Zeichen ehrender Anerfennung im Anfange des Monats Derems
ber eine Eoftbare goldene Uhr überreichen laſſen, deren Inſchrift feine
Berdienfte in angemeflener Weife hervorkebt '). Won der Geographi⸗
then Gefellichaft zu Baris wurde ihm in ihrer Hauptfißung am 27.
April 1855 ihre für die neueſte und wichtigfte Entdedung flatuten-
mäßig ausgefehte große goldene Jahresmedaille verliehen). Endlich
hat auch das Parlament am 19. Juni noch den erften Schritt einer
nationalen Anerkennung feiner weltgefchichtlichen Thaten befchloffen.
7) Die dritte nordamerifanifche Erpedition.
Schließlich Haben wir noch der fogenannten zweiten Grinnell⸗Ex⸗
pedition zu gedenfen, bie unter Anführung des Dr. Kane nach dem
Smith⸗Sunde jenſeits der Baffindbai ausgefahren und zur Zeit unter
allen zur Rettung Franklin's ausgefandten Expeditionen die einzige noch
nicht zuruͤckgekehrte geblieben ift. Diefe Erpebition ſteht in dem Kreiſe
der lebten arktifchen Unternehmungen binfichtlih der Großariigkeit des
Entwurfs unübertroffen; an Kühnheit und Thatenluſt bei verhältniß-
mäßig befchränkten Mitteln kann fich Feine andere ihr gleichftellen. Waͤh—
rend die britifche Admiralitaͤt den Grundſatz befolgte, für fünmtliche
Erpeditionen nach dem höheren Norden mindeftend zwei reichlich aus⸗
geftattete Schiffe zu entfenden, und biefen ausprüdlich Die Weifung er-
!) Moming Herald 11. Der., in Galign. Messenger 13. Dec. 1854.
2) Abbildung diefer Preismebaille in London Illustrated News 16. Juni 1854.
40 - - R& Brandes:
theilte, fich zur gegenfeltigen Unterflügung und Hülfeleiftung ſtets zus
fammenzuhalten, haben diesmal 16 amerifanifche Seeleute e8 unternoms
men, mit einer Brigantine von nur 144 Tonnen Gehalt durch das
neuentdedte Eingangsthor nach dem vermeintlichen offenen Polarmeer
ienfeits der Baffinsbai ihren Lauf zu richten. Kane gehörte zu den
eifrigſten Anhängern ver Meinung, daß Franklin auf jenem Polarmeer
fein Ziel zu erreichen fuchte und nirgends weiter, als dort, aufzufinden fei.
Sein Unternehmen ging auf einen Theil unferer Erde, über deſ⸗
fen Geftaltung die verfchiebenften Anftchten gehegt wurden. Jene merk⸗
würdige Landmaſſe, welche unter dem Namen Grönland die Davisfttaße
und Baffinsbat nad Often hin umfchließt und als Hauptförper des
arktifchen Archipels betrachtet wird, iſt bis zu den legten Zeiten Gegen⸗
ftand der verſchiedenſten Hypothefen in der fpeculativen Geographie
geweſen. Die frühere Vermuthung, welche dem Grönlande, hauptſäch⸗
lich auf Grund der merivionalen Richtung feiner Höchften Erhebungen ')
eine weite Ausdehnung nad Rorvden und vielleicht ſelbſt bis gegen den
Nordpol Hin zufchrieb, ift durch die Erfundungsreife des Capt. Ingles
field, der fchon in dem Walfiſch⸗ Sunde eine unabfehbare Meereöftraße
entvedte, ftarf erfchüttert. Allein die Frage, ob vom Smith» Sunde
ab grönländifche Infelbildungen ſich noch weit hinaufziehen, oder ob
ein freies Polarmeer in derfelben Weiſe, wie nordwärts des Wellington-
Canals, fortan als alleiniges Element in jenen polaren Zonen herrfche
und den Fahrzeugen Franklin’d einen unbegrenzten Spielraum bis zur
Spipbergifchen See eröffnet babe, harrt noch der Aufhellung.
Die Operations» und Verpflegungsmethode, durch welche Dr. Kane
die Erforfchung diefer geheimnißvollen Gegend zu erreichen hoffte, ift
eine eigenthümlich ſinnreiche Combination der verſchiedenen Erfahrun⸗
gen, welche theild die nordamerifanifchen Wilden, theild die Ruſſen,
theils auch die englifchen Expeditionen in Anwendung gebracht haben?).
2) Bappäus Handbuch der Geogr. und Stafiftif von Nord Amerika. Leipz.
1855. 8. ©. 253. Diefer Band bildet bekanntlich einen Theil der umfangreichen
und Außerft fleißigen neuen Bearbeitung bes Handbuchs der Geographie und Stati⸗
fit von Stein und Hörſchelmann, weldye noch im Erſcheinen begriffen ifl.
2) Dies fagt der Arzt der Erpebition, Dr. Iſaac I. Hayes, ausprüdlih in
feinem aus Pröven vom 20. Juli 1853 datirten, jedoch erſt am Ende bes vorigen
Jahres zur Deffentlichfeit gelangten Briefes. Der Drudfehler in Times vom 2. Nor.
1854, welche diefen Brief aus dem Jahre 1854 datirt, ift nicht ohne verwirrende
Die Iehte Kunde über Franklin und feine Gefährten. 4
Er wollte zuerft mit feinem Schiffe fo weit als irgend möglich im
Smith s Sund oder jenſeits defielben nach Norden vorbringen. Zu
berfelden Stunde jedoch, in welcher er zufegt durch die Hemmungen
des Eifes oder durch Landbildungen vor Anfer zu gehen genöthigt und
bie pafiendfle Stelle dazu gefunden fein würde, follten neun feiner
Männer mit ihm die Richtung zum Rorbpol weiter verfolgen. Dies
war der Moment, für welchen Schlitten und Boot (man gab diefem
den begeichnenden Ramen Forlorn Hope) mit einem Hunbegefpann
bereit fland. Weber die Auswahl der Männer, welche mitgehen follten,
hielt er ein gehelmnißvolles Schweigen; Alle harrten gefpannten Sinnes
dem mifcheidenden Ausfpruch entgegen, denn jevem verlangte unter
den Erwählten zu fein. Der Zweck dieſer Ausfahrt ging dahin, an
einer viele Tagereifen von dem Ankerplatze entlegenen Stätte einen
nördlichen Mittelpunkt für das eigentliche Erkundungsunternehmen im
kommenden Jahr zu gründen. Sobald hierzu die rechte Stelle erfehen
war, fobald Boot und Schlitten nebft den dazu mitgenommenen Vor⸗
räthen als erſte Grundlage des neuen „Eentral-Magazins” ficher ges
borgen waren, gedachte Kane durch die Hülfe des Kompafles und der
Steme — denn er berechnete daß inzwiſchen die lange arktifche Wins
ternacht hereingebrochen fein würde — feine Männer unverweilt wie⸗
der nach dem Ankerplatz der Brigantine Hinabzuführen, deren Räume
inzwifchen von den zurüdgebliebenen Gefährten zum Winterlager und
gaftlichen Empfang der Anfümmlinge eingerichtet waren. Hierzu boten
die einförmigen Wintertage die bequemfte Zeit, auf etwa weiter erfors
derliche Vorbereitungen zu ber bevorftehenden Reife zu finnen und ein»
zugehen. Dann aber beim erften Beginn des Fruͤhlings follte Die ges
fammte Mannfchaft mit angemeffenen Trandportmitteln, Vorräthen und
Apparaten aller Art zunächft nach dem im Herbſt erfehenen Stapel
platz aufbrechen. Die Kenntniß des Weges verfprach für dieſe Strede
eine erhebliche Befchleunigung und Erleichterung der Reife. Die Bors
räthe des Depots und der in demfelben begründete Bereinigungspunft
mußten den Mannfchaften außerorbentlih zu Statten fommen. Sie
mochten mit erhöhter Zuverficht von biefer weit vorgefchobenen Station
ausziehen, um bie unbefannten und geheimnißvollen Regionen gepen
Bolgen geblieben, 3.8. im Athenacum v. 4. Nov. p. 1337. — Unfere Zeitfchrift ent:
hält im Juli⸗Heft vorigen Jahres einen Brief von einem um 4 Tage jüngeren Datum:
42 K. Brandes:
den Nordpol hin mit Aufgebot aller Mittel und Kraͤfte in moͤglichſt
weiten Dimenſionen auszukundſchaften.
Man flieht aus Allem, daß Dr. Kane für dieſes Unternehmen,
welches recht eigentlich das Werk feiner perfönlichen Vermittlung und
feiner Bemühungen war, Jegliches mit der größten Sorgfalt und mit
der confequenteflen Umficht erwogen hatte. Ihm war bie dem fireben-
den Menfchen felten vergönnte Freude geworben, ‚hochgehende Ideen
und Hoffnungen, welche Geift und Gemüth Iebendig erfüllen, an ber
Wirklichkeit meſſen zu koͤnnen. Selbſt unterivege noch verfüumte er
feine Gelegenheit, das Gelingen feines Vorhabens zu ſichern. Rod
an den verfchiedenen Punkten der grönländifchen Küfte — Yiöfernaes,
Sufertoppen, PBröven, Upernavif — iſt er darauf bedacht geweſen, als
lerlei Nachrichten einzuziehen, fi) von Kundigen Rath zu erholen,
feine Ausrüftung mit dem geeigneten Bedarf zu vervollftändigen. Auf
feinem Schiffe hielt er die ſtrengſte Reinlichkeit und Disciplin, welche
man nur etwa Durch die unbändigen 15 bis 20 unterwegs erhandel
ten Esfimohunde geftört fah. Die Vertheilung von Speife und Tranf
während der Schlittenreifen war mit Außerfler Genauigfeit abgemefien;
die Transporibeträge waren mathematifch berechnet. Was er an Les
bensmitteln mit fich führte, namentlich der Pemmikan und das einge
machte Fleiſch, war unter feinen Augen aufs Sorgfältigfte zubereitet
oder mit vorfihtigem Bedacht ausgefucht. Weberhaupt hatte Kane,
wiewohl er feinen Gefährten mannichfaltige Entbehrung und Befchräns
fung auflegte, nichts außer Acht gelafien, was bie Sicherung des Les
bens und der Gefundheit erheifchte. Zür den Bau der Schnechäufer
hatte er die ſicherſten Vorkehrungen getroffen. Auf jede erfinnliche
Schwierigkeit des Weges war er gefaßt. Weberall zeigte fich bei fei-
nen großartigen Plänen eine wunderbare Klarheit und Einfachheit, ein
feltener Scharfblid. Nirgends fah man etwas Entbehrliches oder Ueber⸗
flüffiges; dennoch wurbe nichts vermißt, was zum Gelingen erforder
lich, fo weit es anging, nichts hintangeſetzt, was zu erfprießlichen ober
intereſſanten Ergebniſſen gereichen konnte. Ynter andern führte er eis
nen Daguerreotyps Apparat mit fich, der ſchon auf der grönlänbifchen
Küfte bei angeftellten Verſuchen fich vortrefflich bewährt hatte ).
') Wir verfagen es uns die höchſt anſchaulichen und anziehenben Bingelaheiten
zu wiederholen, welche Hr. Prof. Ritter im Juli⸗Heft 1854 Br. IH, S. 4— 77
diefer Zeitfchrift mitgetheilt Hat.
Die letzie Kunde über Franklin und feine Gefährten. 48
Aus brieflihen Mittheilungen verſchiedener Mitglieder dieſer Er
pedition ergiebt ſich, daß fie alle mit vertrauensvoller Hingebung auf
ihren Yührer blidten und mit enthuftaftifchen Hoffnungen von ben
Ausfichten ihres Unternehmens erfüllt waren. Einige unter ihnen dach⸗
ten an nichts geringeres, als die Spike des Nordpols zu befteigen.
Aber Kane Hat mit der ihm eigenthümlichen Feſtigkeit und Weberlegs
famfeit ausbrüdlich den Borfag ausgefprochen, nicht blos auf das Vor⸗
wärtögehn, fondern auch auf die Sicherung der Rüdfahrt Bedacht zu
nehmen, und zu dem Ende für das Winterquartier des Schiffes eine
Stelle auszuwählen, die außer dem hinlänglicden Schuß gegen die art
tifchen Elemente zugleich eine möglichht leichte Wiedererreichung der ofs
fenen See darbieten werde. Er war entichlofien, im Jahre 1854 zus
ruͤckzukommen und feine Vorräthe waren nicht auf einen längern Auf-
enthalt in unwirthlidden Gegenden berechnet.
Dennoch ift er bis jept nicht zurüdgelehrt; feit der Weiterfahrt
der Erpedition von Upernavif ift Fein Lebenszeichen derfelben nach Ame⸗
rifa oder Europa gelangt. Dennoch koͤnnte man nicht fagen, daß zur
Zeit in der Heimath der Ausgebliebenen eine verzweifelnde Anficht über
ihr Scidfal die Oberhand gewonnen hätte Dr. Kane Hatte unter
den mannichfaltigftien Erfahrungen während der hoͤchſt merfwürbigen
Rückfahrt der erften Grinnells Erpebition (1850—51) eine feltene Tuͤch⸗
tigfeit, außerordentliche Geiftesgegenwart, eine bewundernswerthe Kalt
blütigfeit in den Stunden der größten Gefahr, unermüdliche Friſche
und Ausdauer bewährt. In welchem Maße die überrafchendften Er⸗
lebniſſe fich auch Häuften, man hatte ihn nie rathlos gefehen, die Ueber⸗
fegenheit feines Blids hatte ihm nie verfagt. Daher mochte die Zus
verficht, daß er auch auf feiner zweiten kuͤhnen Fahrt Die Mittel zum
Unterhalt und zur Rüdfehr finden werbe, nicht fo leicht erfchüttert wer⸗
den. Auch das Bild der von ihm erlefenen kernhaften Mannſchaft bes
lebte unausgefeht günftigere Erwartungen. Ja wir finden noch aus
dem lebten Monat in einer wiffenfchaftlichen Zeitfchrift den Gedanken
angebeutet, daß Kane am Enbe durch ein andered Thor der Polarſee,
duch Wellington-Sund zurüdfehren und die von Belcher Hinterlaffe
nen Schiffe als glüdliche Prije mit ſich führen werde! ‘)
1) North American Review April 1855. p. 336. Man wird diefe Anbeutung
feeilich fo ernft nicht nehmen bürfen. Zubem Haben die Lords-Commiſſioners ber Ad⸗
miralität durch eine im letzten Herbft veröffentlichte Belanntmachung erklärt, daß bie
44 K. Brandes:
Indeſſen konnte es doch nicht fehlen, daß neben folchen Hoffnungen
auch ernfte Beforgniffe erwachten. In den legten Jahren feit der Ab
reife des Dr. Kane — dem die Fahrten M'Clure's und alle fpätern
Ergebniffe unbekannt geblieben find — war bie Ohnmacht aller menſch⸗
lichen Einfiht und Kraft gegen die Gewalten der arktifchen Natur,
die Unficherheit und Trüglichleit der Berechnung wiederum, und mehr
als je zuvor, anfchaulich geworben. Dazu kam die Beobachtung, daß
der Sommer 1854 im nörblichen Bolarmeer fich ganz befonders ſchlimm
und verfchloffen gezeigt hat, und der fühnen Mannfchaft verberblich ges
worben fein konnte. Endlich läßt fich denken, wie bie grauſenerre⸗
gende Botfchaft des Dr. Rae manche Gemüther mit Schreden ergriff
oder Doch mit finftern Ahnungen erfüllte.
Daher vereinigten fi) im December 1854 verfchiedene Körper:
fchaften der Vereinigten Staaten, um die Aufmerkſamkeit des verfammel:
ten Gongrefied auf diefe Angelegenheit zu lenken, die Ausfendung einer
Rettungs» Expedition herbeizuführen. Im Senat wurbe diefer Antrag
am 15. Jan. ohne erheblichen Widerfpruch genehmigt. Den Einwand
eines Redners, wie dieſes Unternehmen doch gar zu ungewiß fei und
neue Opfer von Dienfchenleben herbeiführen könne, erledigte vie Ent-
gegnung, daß Kane überall durch Signalftangen und Wahrzeichen
feinen Weg anzuzeigen verheißen Habe, und demzufolge fein Verbleiben
ungweifelhaft zu ermitteln fiehe. In dem Haufe der Repräfentanten
ſcheint die Angelegenheit zuerſt nicht ohne Bedenken aufgenommen zu fein;
wenigftens febte man fie zweimal aus, bi8 am 29. Jan. nachdem ben
geießgebenden Körpern in den Staaten New⸗York, Pennſylvanien und
New⸗Jerſey dringende Vorſtellungen überreicht waren, die Ausrüftung
eined Dampfboots mit einem Transportfchiff zum Befchluß erhoben wurbe.
Die Betätigung des Praͤſidenten Pierce erfolgte am 3. Februar.
Die. Ausführung der Vorbereitungen zu biefer Rettungs » Erpebi:
tion iſt nicht ohne mannichfache Schwierigkeiten und Verwickelungen
geblieben. Im März d. J. war für 50,000 Dollar das ehemalige
Poftdampfboot „City of Boston“ angefauft, jedoch hernach, als man feine
Herrichtung bereitö begonnen, theild als zu fchiwer, theils als zu alt befun-
den worden. Man kam zu dem Entfchluß, daſſelbe mit dem in Philadelphia
großbritannifche Megierung fich ihr Cigenthumsrecht auf jene fünf Schiffe (Aſſiſtance,
Reſolute, Inveftigator, Pioneer und Intrepid) fortwährend vorbehäft.
Die Iehte Kunde über Franklin und feine Gefährten. 45
gebauten Schraubendampfer „Aretic" (250 Tonnen) zu vertaufchen.
Diefem wurbe die Klipperbarfe Eringo beigefellt und demzufolge mit
bem bezeichnenden Namen „Releafe” benannt. Die Regierung hatte
zur Ausrüftung und Bemannung die Summe von 150,000 Dollars
ausgefeht; außerdem mußten auf die Schraubendampfmafchine noch
30,000 Doll. und auf die Klipperbarfe 17,000 Doll. verwandt wers
den. Henry Grinnell Hat feinen um die Sache Franklin's hochverdien⸗
ten Ramen von Neuem bewährt; er Hat es fich nicht nehmen laſſen,
auch diesmal zur Ausflattung der Männer, die mit Gefahr des eiges
nen Lebens auf die Rettumg ihrer Landsleute ausgehen, mit freigebiger
Hand beizufteuern. Die Borräthe der Expedition find auf reichliche
jwei Jahre berechnet. In dem glüdlichen Falle, daß die vermißte
Mannfhaft am Cap Alexander, dem nächften Beflimmungsort einer
folden Begegnung, Die vermißten Mannſchaften anträfe, würde ihrer
Rüdkehr fchon Im Monate September entgegenzufehen fein. — Zum Be
fehlöhaber iſt Lieut. Henry I. Hartftein aus Süd» Karolina ernannt.
Sämmtliche Mitglieder der Fahrt find nach den eingegangenen freiwils
ligen Meldungen ausgewählt. Unter ihnen finden wir einen Bruder
des Dr. Kane und zwei Männer, die während der erften Expedition
1850 — 51 unter feinen Gefährten waren. Der Schraubendampfer
Arctic if dem befondern Commando des Lieut. E. C. Simms aus Bir
ginien übergeben.
Die Expedition iſt den lebten Rachrichten zufolge unter mannich⸗
fahen Bezeugungen der Iebhafteften Theilnahme am 2. Juni in See
gegangen. Es wird erwähnt, daß Henry Grinnell dem Befehlshaber
wenige Tage vorher Eremplare der fämmtlichen arktifchen Parlaments:
Drudftüde und Admiralitaͤtskarten überreichte, Die ihm von dem jün-
gern John Barrow aus England eingefhidt waren. Inter den Kar⸗
ten befand fich ein vom Gapt. Inglefield mit bemerfenswerthen hands
fchriftlichen Noten verfehenes Eremplar feiner Aufnahme des Smithfun-
des. Lady Franklin hat gleichzeitig eine fleinerne Gedenktafel an Henry
Grinnell mit der Bitte überfandt, die Infchrift, welche in London aus
Mangel an Zeit nicht mehr vollendet werben fonnte, in New⸗York
eingraben und hiernach das Denkmal ihres jetzt als verloren bes
trauerten Gatten und feiner treuen Gefährten „welche zum Nutzen der
Wiffenfchaft im Dienfte ihres Vaterlandes gelitten Haben und geftor-
46 K. Brandes: Die letzte Kunde über Franklin und feine Gefährten.
ben find”, ven Offizieren und Mannfchaften der amerifanifchen Erpe
dition überweifen zu laflen. Ihrer Beitimmung zufolge wird dieſes
Monument auf der Beechey⸗Inſel neben dem Bellot«Denfmal „bei den
Stätten aufgerichtet werden, wo die Berunglüdten den erften Winter
zugebracht Haben, und von wannen fie aufgebrochen find, um die Wis
dermwärtigfeiten ihres Unternehmens zu überwältigen ober umzufommen.
Zum Gedächtniß der Trauer ihrer tief ergriffenen Vaterlandsgenoſſen
und Freunde und des im Glauben befiegten Herzeleivs Derjenigen,
bie in dem heldenmuͤthigen Führer der Expedition den hingebenpften
und liebevollftien Gatten verlor." Der Wortlaut dieſer Inſchrift bie
tet den würbigften Schluß unferer Darftellung:
TO THE MEMORY OF
FRANKLIN,
CROZIER, FITZJAMES,
AND
ALL THEIR GALLANT BROTHER OFFICERS AND FAITH-
FUL COMPANIONS WHO HAVE SUFFERED AND
PERISHED IN THE CAUSE OF
SCIENCE AND THE SER-
VICE OF THEIR
COUNTRY
THIS TABLET
IS
ERECTED
NEAR THE SPOT WHERE
THEY PASSED THEIR FIRST ARC-
TIC WINTER AND WHENCE THEY ISSUED
FORTH TO CONQUER DIFFICULTIES OR TO DIE.
IT COMMEMORATES THE GRIEF OF
THEIR ADMIRING COUNTRYMEN AND FRIENDS AND THE
ANGUISH SUBDUED BY FAITH OF HER WHO HAS
LOST IN THE HEROIC LEADER OF THE
EXPEDITION THE MOST DEVOTED
AND AFFECTIONATE OF
HUSBANDS
And so He bringeth them into the heaven where they would be.
1855.
THIS STONE HAS BEEN INTRUSTED TO BE AFFIXED IN ITS PLACE BY THE
OFFICERS AND THE CREW OF THE AMERICAN EXPEDITION, COMMANDED BY
LIEUT. H. J. HARTSTEIN IN SEARCH OF DR, KANE AND HIS COMPANIONS.
Jieuere £Literatur.
The Mediterranean. A memoir physical historical and nautical by
Rear-admiral Will. Henry Smyth etc. 8. London. J. W. Parker
and Son. 1854. 500 8.
„Das Bekannte überhaupt ift darum, weil es bekannt ift, nicht erkannt.“
Diefes Wort des Philofophen findet feine Anwendung auf den uns vorlie-
genden Gegenftand. Das Mittelmeer mit feinen Geſtadelaͤndern, als der ei⸗
gentliche Schauplatz aller culturhiftorifchen Entwidelung der Menfchheit, ift
feit Jahrtaufenden wie fein anderer Raum auf unferer Erooberfläche befannt
geworben; zur kigentlichen Erkenntniß aber, namentlich feiner maritimen und
nautifchen Verhaͤltniſſe, hat das Hier zur Anzeige zu bringende Werk de ſei⸗
nen Gegenſtand vollkommen burchbringenden und beberrfchenden englifchen
Admirals erft einen ernften, feften und fichern Schritt gethan. Der Hr. Ver⸗
faſſer Außert ſich über fein Unternehmen, vie Schwierigkeit deſſelben fo wie
bad verfpätete Erſcheinen des Werkes in der Widmung an feinen Freund,
ven Admiral und Gydrographen der englifchen Aomiralität Sir Fr. Beaufort;
er bezeichnet darin fein Werk als ein ſolches, welches ven Zuſtand ver nau⸗
tiſchen Kenntniß des Mittelmeeres bis zum Sabre 1824 aus eigener Beob⸗
achtung und Erfahrung enthalte, und deſſen Erfcheinen fich verzögert habe,
weil es einer forgfältigen Meberarbeitung unterzogen und dann auch erft ſpaqͤ⸗
ter durch Die Vermeſſungen des Archipelagus ergänzt worden ſei. Auch Au-
ßere Unglüdsfälle, wie der zerſtdrende Brand einer Druckerei, hielten die Ver⸗
öffentlichung dieſes Wertes auf, woraus jedoch, wie der Berfaffer meint, dem
engliſchen Seevienft Fein erheblicher Nachtbeil erwachfen wäre, indem feine
Seekarten, welche ven Inhalt dieſes Werkes zur Anſchauung brächten, laͤngſt
in den Verkehr und Gebrauch übergegangen feien. Außerdem wären bie ge=
fammten Materialien, welche feine Unterfuchungen umfaßten, jeberzeit ven
Freunden geographifcher Forſchung zugänglich geweſen.
Daß Bebeutung und Intereffe des Gegenſtandes weit reichende Kreife in
Anfpruch zu nehmen berechtigt ift, darin wird wohl jeder Kundige mit dem
Verfaſſer übereinftiimmen. Es giebt an unferem Erdenrund feine Meereß-
fläche, die in jeder Richtung menschlichen Interefien fo viel Lehrreiches, An⸗
ziehendes und Erhebendes aufzuweifen Bätte, wie gerade dieſe. Ein Seemann,
wie Admiral Smith, erinnert mit Mecht daran, daß es das Meer ift, auf
welchem vie Flotten von Karthago, Griechenland und Nom in frühern Zei⸗
ten fritten, wie die von Spanien, Frankreich, Italien und England in Tpätern
48 Neuere Literatur:
Jahrhunderten. „Eine Hauptaufgabe für's Meifen, bemerkte Dr. Johnſon dem
General Paoli, ift der Anbli der‘ Ufer des Mittelmeer.” An jenen Küften
entftanden over dehnten fich aus bie vier Weltreiche, von Affyrien und Per⸗
fien, das griechifche und römifche. So ift gefommen, daß faft jede Strede
diefer Meeresküfte in Biftorifcher Hinſicht eine clafflfche geworben, wie ſie im
Allgemeinen für den Urfprung der Religionsſyſteme, und für vie Entwicklung
faft aller Künfte und Wiflenfchaften vie ewig venfwürbigen Ausgangspunfte
aufzuweifen bat. Und immer von Neuem wieber, abgefehen von den unend⸗
lich anziehenven Iandfchaftlichen Naturreizen dieſer Küftengeftade und von ven
an fie gefnüpften claffifchen Erinnerungen, tritt dieſes Meeresbecken von Zeit
zu Zeit mitten in bie unmittelbaren Zeitinterefien Hinein und macht feine
ererbten Anfprüche, der culturhiſtoriſche Mittelpunkt für die Gejchichte der
Menfchheit zu fein, wieder mit Erfolg geltend, wie dies gerade in unfern Ta⸗
gen nach verfchienenen Richtungen Hin ganz unverkennbar fich barftellte.
Es möchte nun fonderbar erfcheinen, bemerkt ver Verfaſſer, daß folche
Küftenftredden von diefen außerorventlichen Intereffen ver Menfchheit feit alten
Zeiten bis auf die Gegenwart begleitet, noch heutzutage ver Vermeſſung und
genauen Beſtimmung ihrer Lage und Verhaͤltniſſe bevürften; und dennoch be»
weifen vie in dem Werke felbft nievergelegten langjährigen Arbeiten des Ber
faflers, daß allerdings dazu eine ziemlich dringende Nothwendigkeit vorlag.
Und zwar ift dies eine natürliche Folge ver fortfchreitenden Wiflenfchaften auf
den bier in Betracht Eommenven Gebieten geworden. Die bybrographifchen
Bermeflungen haben überhaupt große Kortfchritte gewonnen, weil ihnen ge-
nauere Snftrumente, beilere aftronomifche Tafeln, corrertere Seekarten und
grimblichere nautifche Anorpnungen zur Verfügung flanden ober nach und
nach erworben wurden. Geftügt nunmehr auf ſolche Bortfchritte im nauti-
[hen Wiflen, konnten die Seemänner aller Nationen leichter dahin gelangen,
die Praxis in der Schifffahrtöfunft zu verbeſſern, mit grünblichern Kenntnif-
fen audgerüftet die Erfcheinungen der Winde und der ozeanifchen Strömun-
gen zu beobachten. Auf viefem Wege Liegt in den unausbleiblichen Fort⸗
ſchritten, zu welchen ſich der menfchliche Geiſt hingebrängt fühlt, die auch in
dem Werke audgefprochene Hoffnung, daß es einft gelingen werbe, vie Tiefe,
Geſtalt und phyſiſche Natur des Ozeans zu beflimmen, was für die Kenne
niß aller Verhältniffe an unferem Erdglobus von tiefer Bedeutung fein möchte.
Wenn nun aber bei den Koften und Kräften, welche 3.3. die Unternehmung
und Herftelung einer vollftändigen ozeaniſchen Vermeſſung erheifchen würbe,
wohl vorläufig darauf zu verzichten ift, fo Liegt doch die Darftellung einer
unterfeeifchen Karte des Mittelmeerd nach des Verfaſſers Anficht in den Gren⸗
zen der Möglichkeit. Und zur Herbeiführung eines folchen Unternehmens if
allerdings die in Rede ſtehende Arbeit eine der wichtigften und intereffante:
fien Borftufen.
Die Schon erwähnte Genauigkeit in dieſer Arbeit verdankt fie, wie bier
W.H.Smyth: The Mediterranean. 40
anerkannt wird, ben inzwiſchen für ſolche Unternehmungen immer mehr der
Vollendung zugeführten Inſtrumenten und Apparaten, fo wie ihrer weiter
verbreiteten funbigen Handhabung, während in frühen Zeiten, bie nicht
allzu lange Hinter und liegen, der Mangel folcher Hilfmittel jede genauere
Beobachtung und Darfielung geographifcher Bermeflungsverhältniffe faſt un⸗
möglih machte. Noch um die Mitte des 17ten Jahrhunderts kannte man
nicht im Entferntefien vie wahre Geſtalt und Größe des mitieländifchen
Meeres, wie die Beichichte der Lnterfuchungen vefielben darihut; man
folgte immer faft blind den Angaben des Ptolemaeus; ja von Toledo bis
Gairo war fogar ein Fehler von 18 Längengraven auf allen Karten. Dieb
wird nicht überrajchen, wenn man weiß, daß noch im J. 1664 der berühmte
franzoͤſiſche Aſtronom Auzout in einer BZueignungsfchrift ven König Lud⸗
wig XIV. alfo anrebete: Mais Sire, c’est un malheur, qu’il n’y a pas un
instrument & Paris, ni que je sache dans tout votre royaume, augquel je
voulusse m’assurer, pour prendre pr&cisöment la hauteur du pole. Aber
weber in England, noch in Italien, noch im ganzen übrigen Europa gab es
bamald Werkzeuge, womit man eine genaue Längen- und Breitenbeflimmung
hätte machen köͤnnen. Kamen nun auch fpäterhin vie geeigneten Infirumente,
welche der menschliche Erſindungsgeiſt herſtellte, in Gebrauch, fo vergingen
doch große Zeiträume, bis mit ihnen nur die befannteften und zugänglidy“
ften Punkte des Mittelmeered feftgeftellt wurten. Ueber die wahre Größe
und Länge des ſchwarzen Meeres bat befanntlich vie Ungewißheit bis vor
wenigen Jahrzehnten fortgebauert und ift in allen Punkten bis jetzt kaum
feſtgeſtellt, was freilich in Solge der gegenwärtigen Kriegsoperationen auf die⸗
fem fonft eiwas abgefchloffenen Meerestheile fich anders geftalten vürfte. Schr
lehrreich ift im der Hinficht die Gefchichte ver hydrographiſchen Arbeiten im
Wittelmeere, wo fie der Verfaſſer unſeres Werkes in dem vierten ſehr voll-
ſtaͤndigen Abfchnitte veffelben (S. 310— 353) und vorführt. Aus ihr er.
giebt fich, daß Das Mittelmeer in der That die Wiege ifl, worin fich wie Hy⸗
drographie bildete, aber zugleich auch, wie es einer langen Reihe von Jahr«
hunderten, ja felbft mehrerer Sahrtaufende bedurfte, che man dieſes am mei⸗
fm von allen Meeren ver Erde befahrene nur einigermaßen genau Tennen
lernte; ja ſelbſt noch jeßt, ungeachtet der eigenen angeſtrengten Arbeiten
des Verfaflerd und aller fpäteren ununterbrochenen Beftrehungen fo vieler in«
telligenten Seeofflciere vergeht faft fein Jahr, das nicht zur genaueren Kennt«
niß des Mittelmeere® unerwartet Beiträge lieferte.
Die frübeften und befannten Forfchungen im Mittelmeer und an deſſen
Küften und Infeln reichen bis in ven Beginn des 6. Jahrhunderts vor un⸗
ſerer Zeitrechnung zurüd, indem der große Perferfönig Darius Hyſtaspis, als
er fih zu feinem Kriege gegen die Hellenen züftete, es für feinen Zweck wün-
ſchendwerth fand, die Eigenthümlichkeiten der Küften Griechenlands zu kennen,
und deshalb eine Fleine Eskadre ubrüſten ließ. Auf biefer ſchifften fih 15
Zeitſchr. f. allg. Grbfunde. Br. V on 4
50 Neuere Riteratur:
in gutem Aufe ſtehende Perfer unter Leitung eines griedhifchen Führers Des
mokebes mit dem Auftrage ein, die Küften Griechenlands zu unterfucdhen und
zu zeichnen, alfo eine wirkliche Aufnahme auszuführen. Wie Herodot be»
richtet (III, 136), wurbe ver Auftrag in Bezug auf den größten und bes
rühmteften Theil von Hellas vollzogen, vie Perfer kamen fogar bis Tarent
in Unter⸗Italien, wo aber ihre Erpebition gewaltfam unterbrochen wurbe,
weil man vie PBerfer für Spione hielt. Die über viefe Unterfuchung ge⸗
wonnenen Mefultate find und jenoch verloren gegangen. Einen Beitrag
anderer Art zur Kenntnig der Mittelmeerküften lieferte um vie Mitte bes
4. Jahrhunderts vor Chr. Geb. Skylar von Karyanda in feinem befannten
Periplus und in dieſem zugleich den erften Verſuch eines Schiffswegweiſers
(Sailing Directory), dem bis zu unferen Zeiten unzählige Arbeiten ähnlicher
Art für alle Meere der Erde gefolgt find. Schon in den fpäteren Zeiten des
Alterthums gab «8 eine ganze Reihe verfelben theild allein für das Mittel»
meer oder dad innere Meer, mie ber Sprachgebrauch damals dad Mittel»
meer zu nennen pflegte (7 drzos Galacca), theild gemeinichaftlich Für das Mit⸗
telmeer und das Welt» oder Außere Meer (7 dxros Odlacca). Marcianud
von Heraflea, der felbft eine Beichreibung der Küften des inneren und Aus
Beren Meeres lieferte (Geographi minores ed. Dodwell. Oxoniae 1708.
Vol. L), bemerkt in der Hinſicht ausdrücklich, daß eine große Menge von
Schriftftelleen folche Befchreibungen verfaßt hätten, wovon viele freilich keinen
Blauben verdienten, und er vechnete zu dieſen Autoren befonbers den Menip⸗
pus von Pergamus, ven Artemivoruß von Ephefus, welcher in ver 169. Olym⸗
piade einen großen Theil des inneren Meeres bis Gadir (Cadir) befchifft,
felbR das äußere Meer Eennen gelernt und darauf eine Umfchiffung des er⸗
fin in 11 Büchern verfaßt Hatte, ven Timoſthenes und Cudoxus aus Rho⸗
dus, den Androſthenes aus Thafus, den Euthymanes aus Waflalia, den Apelles
aus Kyrene, ven Phileas von Athen, ven Kleon aus Sieilien nebft mehreren
anderen, deren Schriften fammtlich verloren gegangen find. Wären ſie uns
erhalten, fo vermöchten wir ohne Zweifel beffer zu beurtheilen, bis zu welchem
Grade der Genauigkeit die Kenntniß des Mittelmeeres und feiner Küften im
Altertfum bereits gebichen war. Nach ver amtlichen Stellung bes Timo⸗
fihenes, der einft Admiral ver Flotte des Königs Ptolemäus II. Philadelphus |
zu Alexandria gewefen, nach der Angabe des Agathemerus (Kb. I, c. 5),
daß derſelbe den Umfang der Küften Siciliens berechnet habe, endlich nach
den den Schriften dieſes Mannes, wovon daB größere Werk, Periodos ge-
nannt, eine Schilverung der Klften in 10 Büchern, ein kleineres eine Be⸗
fhreibung der Seehäfen enthielt (Strabo Ed. II. Cas. 421; Marcianus 63,
64), durch einen fo ſachkundigen Beurtheiler, wie Eratoſthenes, gemachten
Lobfprächen war wohl anzunehmen, daß Timofthenes auch vie beſten Arbei⸗
ten der Art, entweder auf Grund eigener Borfchung oder wenigſtens ves ber
Ken damals vorhandenen Materials, geliefert habe. Dies fcheint aber nicht ver
Fall geweſen zu fein, weil fowohl Strabo (6. 92, 93) ald Marcian (64) .
-
W.H. Smyth: The Mediterranean. 31
dem Timoſthenes Unkenntniß des Wittelmeeres und des abriatifchen Meeres,
namentlich der Küften Italiens, Spaniens und Nord⸗Afrika's, vorwarfen.
Bon allen Hier zuledt angeführten Schriftfiellern, die in einer Geſchichte ver For⸗
ſchungen im Mittelmeere während des Alterthums einer Erwähnung verbient
hätten, nennt umfer Derfafler Leinen, außer daß er gelegentlich ven Timoſthe⸗
ned berührt. Wenn aber verfelbe dafür den befannten Seefahrer Pyhtheas
bie Infen Lipara und Stronghle (dad heutige Lipari und Stromboli) wife
ſenſchaftlich unterfuchen laͤßt und fich dabei auf die Scholiaften zum Apollo⸗
nius Rhodius (lib. IV. v. 761) beruft (©. 319), fo ift dies umeichtig, da
viefe bei ber angeführten Stelle nicht dad minbefle von einer foldhen Untere
fuchung reden, fondern nur bemerken, daß Pytheas von den vulcanifchen Er⸗
fheinungen beider Infeln fpreche (Apollonii Rhodü Argonantica. Ed. Brunck.
Lipsise 1813. II, 299, 600); nicht minder irrig ift, wenn der Verfafler ben
befannten griechifchen, im Alterthum wegen feinee Gewiſſenhaftigkeit gepriefe-
nen G@eographen Dicaearchus eine Zeichnung ber griecdhifchen Küſten nach
eigenen Aufnahmen machen läßt (S. 316), indem Cicero (Epistolae ad
Atticum VI, c. 2), Strabo und Agathemerus (lib. I, c. 1), die drei den Die
caearchus am meiften erwaͤhnenden Autoren, nicht das entferntefle Davon fagen,
und ebenfo wenig in M. Fuhr's neuefler Saumlung ber Fragmente des
Dicaearchus und der über viefen Autor aus dem Altertum enthaltenen An⸗
gaben (Darmftabt 1841) eine Stelle zur Beflätigung biefer Angabe vor«
kommt. Dagegen bemühte man fich in Altertum allerbings vielfach, wie
Längen-e und Breitnausbehnung des Mittelmeeres zu berechnen, un bie
Refultate flimmten in Bezug auf die Breite gut unter einander überein, wo⸗
gegen fle für bie Länge namhaft von einander abwichen. Die Breite zwi-
fchen der Aequinoctiallinie und Syracus fand nämlich Eratofthenes zu 25400,
Hipparchus zu 25600, Strabo zu 25400, Marinus von Tyrus zu 26075,
Prolemaens zu 26833 Stadien; dagegen die Länge vom h. Vorgebirge (C.
St. Vincent) bis zur ficilianifchen Meerenge Dicararcgus zu 7000 (Straba
U. Ed. I. Cas. 103), Eratoſthenes zu 11800, Hipparchus zu 16300,
Strabo zu 14000, richtiger zu 15000 ’), Marinuß zu 18583, Ptolemarus
gar zu 29000 Stadien (Smyth 823). Unter biefen Hefultaten iſt das für
die Entfernung von den Hereulesſaͤulen bis zur genannten Meerenge, wie
fdyon Goffelin bemerkte (Geographie de Strabon. Paris 1805. I, 335)
bei Steabo merfwürbig genau, indem ed von ben Ergebniffen ver neue⸗
ren Beilimmungen nur um etwa 150 Stadien verfchieven if. Goſſelin be⸗
rechnete nämlich nach d'Anville's Karten vie grade Linie zwifchen Gibraltar
2) Admiral Smyth irrt nämlih, wenn er Strabo diefe Entfernung zu 14000
Stadien fegen läßt. Lieſt man nämlich in den drei Stellen, wo vie
der Säulen des Hercules von der Straße von Meifina erwähnt wird (Ed. 11, Cas.
105, 106, 122), mit Goſſelin ge 12000 ©tadien (Geographie de Strabon
I, 286), fo beträgt jene erſte Zahl 15000, weil der griechiſche Beograph die Sau⸗
Ien nm 3000 Stadien von den h Borgekirge entfernt fein Täßt.
4 *
52 Neuere Literatur:
und Meſſina zu 21° 44’, maß unter dem 36° Nörbl. Br. gleich 12147 Sta-
dien fein würbe, währen Strabo 12000 Stadien angenommen hatte. Nach
Admiral Smyth's Beflimmungen von Gibraltar zu 5° 20° 9" Well. 2. Gr.
und von Mefjina zu 15° 34’ 40” Oeſtl. 8. Gr. ift bie Uebereinflunmung
der älteren und neueren Mefultate nicht jo groß, doch erfcheint fe bei dem
vürftigen und unzuverläffigen Material, deſſen fly der griechifche Geograph
bedienen konnte, noch groß genug. Die ganze Ränge des Mittelmeeres beſtimm⸗
ten ſodann Eratoſthenes und Hipparchus zu 27300, Strabo zu 25500, Aga-
themerus zu 26800 (lib. I, c. 4) Stabien, M. Bipfaniud Agrippa, wie Pli⸗
nius angiebt (VI, c. 88) zu 3440 römijchen Meilen, vie nad) Goſſelin 27520
Stadien betragen (Recherches sur la Geographie des Anciens. Paris
1798. II, 19), Marinus von Tyrus und Ptolemaeus zu 25080 Stadien,
Zahlen, welche vie wahre Längenauspehnung des Mittelmeeres um 20 und
mehr Brave Üiberfteigen. Der Grund dieſer Irrthlimer lag befonberd in den
falfchen Borftelungen, die man über vie Ausbehnung der oͤſtlichen Theile
des Mittelmeeres. beſaß und in dem Mangel zuverläfjiger aftronomifcher Be⸗
flimmungen, deren Wichtigkeit zur Verbefferung der alten Karten ſchon Hippar⸗
chus beſtimmt anerkannt hatte, obgleich von diefem Autor ſelbſt noch (Strabo
Ed. II, Cas. 63, 106) Maflalia und Byzanz in venjelben Breitengrab ver-
fegt wurben, während beide Orte, wie Goffelin bemerkt (Recherches sur 1a
Geogr. systömatique des Anciens I, 57; Gkogr. de Strabon I, 248) um
2° 16' 21” Br. aus einander liegen. Admiral Smyth, deſſen Bekanntfchaft
mit den Schriften des Altertbums, wie die angeführten Thatfachen zeigen’),
Teine beſonders genaue ift, vergrößert die Irrthümer ver Alten noch um ein Be
deutendes, indem er ungerechter Weile Strabo die Behauptung beilegt, daß
derfelbe Maffalia 13° fünlich von Byzanz verjegt habe, während jene Stabt
21° nörblich von dieſer Tiege (S. 321). Unter ſolchen Umſtaͤnden barf
man ſich nicht wundern, die kartographiſchen Darftelungen des Mittelmeeres
im Altertdum fehr unrichtig zu finden, indem namentlich die peutingerfche Tafel
daſſelbe nur als einen langen Canal zeichnete, worin auch vie Infeln ihrer
Lage, Geſtalt und Ausdehnung nach falfch angegeben waren. Erſt Agatho⸗
damon, ein alerandrinifcher Geograph des 5. Jahrhunderts, gab dem Mittel-
meere auf feinen Karten zum Ptolemäus ungefähr vie Geftalt, welche vaffelbe
auf ben heutigen Hat (Smyth 323),
- - Bei der beveutenden maritimen Thätigkeit, welche auch im Mittelalter, wie
hiſtoriſch nachweislich ift, in jeder Periode deſſelben flattgefunven hat, kann das
Borhandenfein einer zahlreichen Meihe kartographiſcher Arbeiten, wenigſtens
aus der fpäteren Epoche des Mittelalters, wo eine erneute wiflenfchaftliche
Thaͤtigkeit nach den früheren Verwüſtungen fi zu regen begann, nicht auf-
fallen. Regierungen und Private der ferfahrenden Nationen fahen überein-
ſtimmend die Nothwendigkeit ein, Schiffern und Handelsleuten zu Hilfe zu
’) So nennt berfelbe u, a. noch den Strabo einen Eretenfifchen Geographen (S. 11).
W.H. Smyth: The Mediterranean. 53
kommen, und fo entflanben zahlreiche Karten des ganzen Mittelmeeres ober
einzelner Theile deſſelben, vie, wie unfer Berfafler verjichert und nachweiſt,
öfters eine größere Benauigkeit, als gepriefene Karten felbft unferes Jahr⸗
hunderts befaßen. Rautifche Karten hatten vie fpanifchen Seefahrer ſchon um
das 3. 1286 nach dem Zeugniß des berühmten barcelonefer Handelshiſtori⸗
kers Gapmani in f. Quaestiones criticae, und fo ift es auch nach demſelben
Schriftfieller eine beftimmte Thatſache, daß die aragonefliche Regierung ihre
Galeeren im I. 1359 mit folchen Karten verfah. Etwa in dieſelbe Zeit (um
1320) fällt die von dem berühmten und vielgereiften Venetianer verfertigte
Karte des Mittelmeered, die zwar feit Ianger Zeit verloren iſt, ſich aber ihrem
ungefähren Charakter nach aus der Planifphäre zu veflelben Autors Werke:
Liber Secretorum Fidelium crucis in Bongar's Gesta Dei per Francos
abnehmen läßt. Im Beginn des 15. Jahrhunderts ordnete ſodann König
Heinrich V. von England, als er einen Kreuzzug nach dem Orient beabfich-
tigte, den bekannten belgiichen Nitter Sir Gilbert de Lannoy (evidently a
well qualified officer, wie unfer Autor fagt ©. 328), ab, die Küften Aeghp⸗
tend und Spaniens zu unterfuchen. Diefer vollzog den Auftrag und fein
noch erhaltener Bericht, worin die Meeredtiefen, vie verfehienenen Ankerplaͤtze,
Befeſtigungen, Kriegövorräthe, Produkte und Hülfsmittel an Holz und Waf-
fer verzeichnet find, gemährt nach dem Urtheile des Admiral Smyth, der ben»
felben einfehen Tonnte, eine authentifche Kenntnig der hydrographiſch⸗geogra⸗
phiſchen Berhältnifle jener Begenven, wie fie vor 430 Jahren beſtanden. Es
wäre fiher von Interefle, wenn dieſer Bericht mit ven Ergebniffen der neues
zen Forſchungen in jenen Gegenven verglichen und bekannt gemacht würde,
Aber beſonders reich wurde erſt der Schluß des 15. und der Anfang de?
16. Jahrhunderts an Beiträgen zur Kenntniß des Dittelmeeres, indem bamald
die zahlreich in den englifchen, franzöftfchen, italiänifchen und fpanifchen Bi⸗
bliothefen und Archiven vorhandenen Seeatlaſſe (Portolanos) entſtamden; von
ten im britifchen Mufeum zu London aufbewahrten theilt der Verfaſſer ein
langes Berzeichnig mit (S. 330—331). In dieſe Epoche gehören dann noch
die Karten zu der Schrift des Chriſtoph Bondelmonte über die ionifchen un
eoeladifchen Infeln (Liber insularım Archipelagi a G. B. de Sinner. Lip-
siae 1824), fo wie vie rulographifchen Karten des mit dem Agäifchen Meere
überaus vertraut gewefenen venezianifchen Capitains Bartolommeo zu beffen
Schrift über den griechifchen Archive, In allen viefen früheren Propucten
literariſcher Tätigkeit finden fich fchon zahlreiche Untiefen und Felſen verzeichnet,
die fpäter aus den Karten verfchwanven und von denen Admiral Sıuyth’&
Werk auch ein Verzeichniß giebt (S. 332— 336). Solche Fehler verurfachten
in allen Theilen des Mittelmeeres bis in vie neuefte Zeit eine große Menge
von Schiffbrüchen und anderen Unglüdäfällen, und noch vor kurzer Zeit wa⸗
ten die Karten der befschteften Regionen fo fehlerhaft, daß im I. 1848 das
Admiralſchiff des franzoͤſiſchen Admirals Baudin im Angeficht von Puzzuoli
54 Neuere Literatur:
auf ein ſubmarines Felſenriff auflief, weil daſſelbe, obgleich den neapolitawifchen
und malteflfchen Piloten unter dem Namen bed Fumoſoriff wohl bekannt,
in einer aus der großen italiänifchen Aufnahme Hervorgegangenen Karte,
welche auf der Flotte als Kührer diente, fehlte. Auffallend iſt aber bei ver
von unferem Derfaffer auf bie Geſchichte der früheren hydrographiſchen Li⸗
teratur verwandten Sorgfalt, daß er eine große Karte aud dem Beginn
des 16. Jahrhunderts und von ganz eigenthümlichen Charakter nicht er
mwähnte, obwohl viefelbe bekannt genug ift und auch in England wohl ber
fannt fein konnte, da Eremplare davon nicht allein in ven Bibliotheken
von Berlin und Dresven, fondern auch mehrfach in Bologna und Rom fi
befinden. Es ift dies der große unter dem Namen Bahrije ober Meer⸗
befchreibung bekannte Seeatlas des türfifchen Schiffscapitains Pir Heid. Gert
3. von Hammer nennt venfelben unitreitig das merkwürdigſte und zugleich
gehaltvollſte Werk der türkifchen Literatur in geographiſcher Ausbente, das
nicht aus anderen Werken gefchöpft, fonvern eine Frucht eigener Reifen und
Beobachtungen des Verfaſſers fei. Lieber diefe Arbeit berichtete ſchon v. Diez
in feinen Dentwürbigkeiten von Alten I, 33 — 57; dann Kerr v. Hammer
erſt in Berghaus Hertha 1825 IH, 66, und ausführlicher in ver naͤmli⸗
hen Zeitfchrift 1826 V, 99— 131. Pir Neid war der Bruber eines im Be
ginn des 16. Jahrhunderts im Mittelmeer ſehr gefürchteten türkifchen Gorfaren
des Kemal Heid, und verfaßte fein Werk in den Jahren 1520 — 1523 zu
Galipoli auf ausprüdlichen Befehl Sultan Soleiman’s ded Großen. Es bes
ſteht daſſelbe aus 128, nad Heren von Hammer's Urtheil, freilich über al
Ien Begriff fehlecht gezeichneten Karten des weißen Meered, (Aspri Thalassa,
Aongı Balacca), wie die Türken und Griechen das Mittelmeer im Gegen»
fag zum fehmarzen Meer (Mauri Thalasss, Maven Oalasca) nennen,
dann aber aus einer ausführlichen Beichreibung, deren Werth in ber Ans
gabe der Untiefen und fchiffbaren Furthen, fomwie ihrer Sonden, welche
der Verfaffer auf feinen Zügen mit Kemal Reis felbft aufnahm ober berich-
tigte, befteht. Noch im I. 18286, wo Admiral Smyth's und des franzöfi-
fehen Capt. Gauttier Arbeiten zum Theil freilich noch nicht vollendet waren,
bielt Herr von Hammer bie tärkifche Arbeit für fo wichtig, daß er glaubte,
eine Ueberfegung derſelben würde für die Schifffahrer im mittelänvifchen Meer,
befonders aber im Archipelagus, ein ermwünfchtes Linternehmen fein. @inen
zweiten tuͤrkiſchenSeeatlas verfaßte ſpaͤter Ben Hadſchi Hatiri Reis, Schmefters
fohn des Kemal Reis und brachte denſelben Soleiman des Großen nächkem
Nachfolger Selim dem II. var. (Hertha DI, 66.)
Auch vie zweite Hälfte des 16. und ber Beginn des 17. Jahrhunderts
blieb Hinter der nächkivergangenen Epoche in Bezug auf Borfchungen und Bei-
träge zur Kenntniß des Mittelmeered nicht zurücd, doch waren es wieder meifl
Staliäner, vie fich darin außzeichneten. So nahm auf Beichl Pabſt Sirtus
des V. der römifche Ingenieur Bartolomeo Grefcentio im J. 1585 die Küflen
W.H.Smyth: The Mediterranean. 55
Algeriend, im 3. 1612 Francisco Bafllicata vie des Inſel Candia auf, au
welche Arbeiten ſich dann bie ded Marfeilles I. Oliva und die von H. A. Magimi
anfchlefien. Im SI. 1630 unterfuchten endlich noch Giovanni Vitelli und
Geronimo Benaglio viele Theile des Mittelmeeres. Unter den gebrudten Wer⸗
fen aus viefer Epoche hebt Admiral Smyth die Schrift des ſchon genann⸗
ten B. Grefcentio: Della nautica mediterranea. Roma 1607, beſonders aber
das große, für feine Zeit auögegeichnete und namentlic auch auf dad Mit«
telmeer ſich beziehende Wert eines in Italien damals lebenden Engländers Mob,
Dudley: Arcano del Mare heraus, das im 3. 1676 in zwei dicken Bänden
erichien, enblich gehört Hierher ein Lange Zeit hindurch bei ven italiänifchen
Gapitainen und Steuerleuten fehr beliebter Beriplus in ver Prima parte della
Specchio del mare, nel quale si deserivono tutti li porti, spiaggie, baje;
isole, scogli e seccagne del Mediterraneo. Fol 1664 bed Francisco Maria
Levanto. Geringeren Werth Batten vie in dieſer Zeit erjchienenen Karten, und
namentlich zeigen fich bie von Grefcentio aus dem 3. 1607, dann bie von
vom Iekigenannten Autor nach de Ghaberts Urtheil (Memoires de l’Acad.
de Paris 1759. ©. 485) als fehr unvolllommene Darftellungen, fo wie felbft
vie von Dudley nach Admiral Smyth mangelhaft war, Wie in Italien,
waren in Frankreich die Karten noch im legten Biertel des 17. Jahrhun⸗
bertö voller Fehler, da bie Ortöbeflimmungen, bie man zum Grunde legen
mußte, bis auf einen halben Brad abwichen, und man von den meiſten
Orten nicht einmal eine Längenbeflimmung befaß. Die meiften Punkte waren
nur nach den Entfernungen roh beftimmt, ober man hatte Pofltionen nad
der Bouflole, deren Abweichung man fchlecht oder gar nicht Tannte, feſtge⸗
Alle. Da dieſe Karten überdies Planfarten waren, 3. B. die von Miche⸗
lot und Therni, fo entflanden auch dadurch wefentliche Fehler, auf welche
man erft ernfihaft aufmerkffam wurde, als Gaflendi und Payrefc die von
ven Eatholifchen Miſſionaren zu Cairo und Aleppo gemachten Beobachtuns
gen berechneten. Hatten doch die zu ihrer Zeit fehr berühmten beiden fran⸗
zöflfchen Geo⸗ und Kartographen, Nicolaus Sanfon, den die Brangofen ven
Schöpfer der Geographie in ihrem Lande nennen (Biographie universelle
1825. XL, 351) im 3.1652 und Guill. Sanfon noch im I. 1668 vie Länge
des Mitielmeeres vom 5. Vorgebirge bis zum Golfe von Iffus 60 Grade d. 5.
um ein Drittel oder Vieriel zu groß angenommen (Gosselin Göogr. des (irocs
analyase. Paris 1790 8.42). Endlich warf ver große Miniſter Golbert im).
1678 fein Auge auf den elenden Zuſtand ver mediterraneiſchen Kartographie,
und er flaunte mit echt, wie de Chabert fagt (a. a. O. 485), ein Meer,
welches der ältefte Schauplah des Seehandels und ver Schifffahrt if und
wegen feiner günftigen Lage zwifchen drei Welttheilen ſtets vas befuchtefie ge»
weien war, fo unvolllommen vargeftellt zu finven. Waͤhrend nämlich vie Kar»
ten der entfernieften Meere damals fchen fo zuverläffig waren, daß vie nmieiſten
Seefahrer ihnen verizauen konnten, zeigten ſich umgekehrt die de6 Mittelmearrd
56 Neuere Literatur:
ber Art, daß die Schiffer vie Küften nicht aus ven Augen verlieren durften und
ich fletö von zum Theil ſehr unwiſſenden Piloten geleiten laſſen mußten.
Deshalb fandte die franzöftiche Regierung bie beiden Linienfchiffscapitaine Co⸗
golin und Chevalier nebft zwei gelibten Ingenieuren aus, um vie fpanifchen
und italiänifchen Küften, dann vie Küſten des abriatifchen Meeres unb des
Archipelagus zu unterſuchen. Dies gefchab, noch blieben vie ungemein ſchoͤn
gezeichneten Karten in ven Archiven des franzöftfchen Marineminifteriums ru»
ben. Im 3. 1685 drang wieder ver Chevalier de Tourville in einem Briefe
an den Marineminifter auf die Nothwendigkeit der Serfielung einer beſſeren
Karte; dies und vie Vorbereitung zu dem 2. Bande des Neptune francais, wel⸗
cher das Mittelmeer umfaffen follte, beflimmte die Negierung, einen Schüler
Gafitni’s, ven Auffcher der Galeeren zu Marfeille ve Chazelles, welcher ſich fchon
durch feine aftronomifchen Beobachtungen an der Sübküfte von Frankreich ei»
nen Auf erworben Hatte, zu Aufnahmen an bie griechifchen, türkifchen und
ägyptifchen Küften abzuſenden. Durch Chazelled Beobachtungen erlangte man
endlich die Gewißheit, daß die dem Mittelmeer noch von den Sanfon’d gegebene
Laͤngenausdehnung völlig unrichtig war; bie Irrthümer der Alten, an denen
man gegen 600 3. hartnädig feftgehalten, wurden dadurch endlich befeitigt, und
das Mittelmeer erhielt von nun an feine richtigen Dimenftonen. Zu dieſem
Reſultate trugen auch die durch ven P. Feuilliee in nem I. 1700 und 1701
zu Tripoli und in Aegypten angeftelten aftronomifchen Beobachtungen weſent⸗
ih Bei. De Chazelles hatte vie Abficht, nach feinen Beobachtungen und aus
den in den franzöftfchen Archiven enthaltenen zahlreichen. Materialien einen
Atlas des Mittelmeeres in 32 Blatt herauszugeben, aber vie Schwierigkeit
der Arbeit war fo groß, daß als de Ehazelles im Jahre 1710 nach einer
langwierigen Krankheit flarb, fein Werk nicht beendigt war. In der Zeit
veröffentlichte Henrp Michelot, Pilote Hauturier sur les Galöres da Roi
im I. 1709 eine eompendiöfe Anleitung zur Befahrung des Mittelmeeres,
die bei den Seeleuten fo vielen Beifall fand, daß fle noch faft 100 Sabre
fpäter eine neue Auflage erhielt, und envlich erfchien zwifchen 1685 und 1718
mit Unterflüßung der venetianifchen Regierung und venetianifcher PBatrioten
ein mehr, ald 400 Karten flarfer, von zahlreichen Erläuterungen begleiteter
Atlas des Mittelmeeres, der Atlante Veneto des Padre Vincenzo Coronelli,
dem im 3. 1717 der Portolano del Mare Mediterraneo ein auögezeichnetes
Werk des genueflfchen Piloten Sebaftiano Oorgoglione folgte. Diefe mit
ſolchem Beifall aufgenommene Arbeit, daß bis zum 3. 1815 vier andere Aufs
lagen verfelben nöthig wurden, nannte ver letzte Held der venetianifchen Ma⸗
rine Admiral Angelo Emo fogar das wahrfte und klarſte Bild des
Meereö (la veritabile e luminossima face del mare. Smyth 345).
Troß dieſer mannigfachen Beftrebungen war doch um die Mitte des
vorigen Jahrhunderts an ven befuchteften und anfcheinenp befannteften Kü-
Ren des Mittelmeeres fehr viel, an den weniger befuchten fogar faſt al⸗
W.H.Smyth: The Mediterranean. 57
(ed zu thun, obgleich des berühmten Delisle Karte, vie ſich auf Chagelles
Reffungen an den Küften Aegyptens, Syriens und ver Infel Rhodus fügen
tonnte, viele Borzüge vor den früheren Hatte, und d'Anvilles Arbeiten durch
Genauigkeit, foweit feine Materialien es zuließen, wieder bie feiner Borgänger
übertrafen. Deshalb fchlug der öfters genannte Marquis de Ghabert, ein
ſehr intelligenter franzdfifcher Seeoffizier, im I. 1759 der parifer Academie
in einem Memoir vor, vie Wieneraufnahme ver de Chazelleöfchen Arbeiten zu
beantragen. Er felbft wurde in Folge deſſen von dem franzöflfchen Mini«
flerium zue Ausführung feiner DVorfchläge beſtimmt und fo befchäftigte er
fih während vier Erpebitionen bis zum I. 1775 damit; die Mefultate feiner
Arbeiten kamen ebenfowenig zur DOeffentlichkeit. Merkwärbiger Weite trugen
Caſſtns damalige Triangulationen zur Rectification der Kenntniß ver franzö»
ſiſchen Mittelmeerkuſten nur wenig bei. Grfolgreicher war vie in großem
Maßſtabe unter der Leitung Rizzi Zannoni’s, eines geſchickten Mannes, wie Ads
miral Smyth fagt, durch ein Corps von Ingenieuren unternommene Bermef-
fung der füdettalifchen Küften, mit Ausſchluß Siciliend, woraus der koſtbare
große und fchön geftochene Atlas: Atlante maritimo delle due Sicilie hervor-
ging. Derfelbe umfaßte zugleich pas Innere des Königreich Meapel, ba bie
Ingenieurs ihre Arbeiten dahin ausgebehnt hatten. Smth bemerkte indeſſen
ſpaͤter viele Fehler in viefen durch Rizzi Zannoni geleiteten Arbeiten. Endlich
erfchien noch im I. 1798 eine von Zannont und Vincenzo di Luccio, Piloten
des ehemaligen Dogen von Venedig, vereint bearbeitete Karte des abrintifchen
Meeres, die aber nach Smyth vol ver gröbften Irrthümer und fogar eine
Schande für die Geographie ift, obgleich di Zuccio 14 Jahre lang hydro⸗
graphifche Arbeiten dafür ausgeführt zu Haben verfichertee Auf einer uns
gemein höheren Stufe fanden die im Jahre 1783 begonnenen Arbeiten
der fpanifchen Seeofficiere, veren Karten fich fogar ven höchſten Ruhm durch
Genauigkeit und Schönheit der Ausführung erworben haben, ja die Carta
esferica, que comprehende las costas de Italia, las del Mar Adriatico
desde Cabo Venere.hasta las islas Sapiencia en la Morea y las cor-
respondientes de Africa, parte de las istas de Corcega y Cerdeña con
las demas, que comprehende este mar etc. Madrid 1804, nennt unfer
Verfaſſer, ver vollgiltigfte Beurtheiler, ſogar noch jetzt bie beſte des Mittel-
meered, welche wir befiten. Die ganze Bolge der fpanifchen Küftenkarten
und der Hafenpläne erſchien in 2 Bänden in Folio und bildet ven Atlas ma-
ritimo de Espana, zu deſſen Erläuterung in 2 Duartbänden das Derrotero
de la Costas de Espana. Madrid jchon im 3. 1789 trat. Die Ipanifchen
Küſtenaufnahmen erfolgten unter Don Vincente Tofino de San Miguel’s Leitung
von den Öfficieren Joachim, Luyando, Malefpina, Ciſcar, Bauza, Ferrar,
Gipinofa und anderen, die fpäter ‘die Yrüchte ihrer Verdienſte faſt ſaͤmmtlich
nicht erndteten, fonvern im Kerker oder in der Verbannung flarben. Nach⸗
bem ihre Arbeit in der Heimath beendigt war, wandten fich bie Officiere an⸗
56 euere Literatur:
deren Theilen bed Wittelmeeres zu, und D. Dionyſio Alcalı Galiano und
Don SIofef Maria de Salazar beobachteten im I. 1802 an ven Darbanellen,
ven Küften Klein» Aftens, Nord⸗Afrika's u. ſ. w. Der Huin ver fpanifchen
Flotte endete dieſe ruhmvollen Arbeiten, indem drei der ausgezeichnetften Of⸗
flciere, die Eapitaine Galiano, Ilcedo und Chirucco, ald Commandeure dreier
74sRanonenfchiffe, in ver Schlacht von Trafalgar am 21. October 1805 ven
Heldentod flarben.
Der Krieg mit Frankreich hatte am Schlufle des vergangenen und im
Beginn des jetzigen Jahrhunderts die englifchen Flotten häufiger als fonf
in das Mittelmeer geführt und die Notwendigkeit genauerer Karten, als bie
bisherigen waren, gelehrt. In weniger befuchten Gegenden zeigte ſich naͤm⸗
lich ein fo empfinplicher Mangel an zuverläfligen Daten, daß man nod
immer zu ben auffallendften Entdeckungen gelangte, mitunter fogar da⸗
durch in große Verlufle geriet. So fand die im J. 1800 durch einen großen
Sturm an der ägpptifchen Küfte überrafchte englifche Flotte unvermuthet eine
fichere Zuflucht in der Rhodus gegenüber an ver Fleinaftatifchen Küfte gelege-
nen Bai von Marmeriche, welche den fchönften Hafen, worin die größten Flotten
der Welt ficher ankern Lönnten, bildet, und doch Hatte Niemand auf der bri⸗
tiſchen Flotte eine Ahnung von der Eriftenz eines folchen Hafens gehabt.
Dagegen gingen ver britifchen Slotte in ven I. 1798-—1800 und fpäter meh»
sere größere und Fleinere Kriegsichiffe an der Agyptifchen Küfte theils auf
ben Grund, theild ganz verloren, weil die baflgen Untiefen auf den neueren
Karten ganz unberüdfichtigt geblieben waren, obwohl man fie auf ven älte-
ven ganz richtig verzeichnet hatte. Die afrikanifchen Küften waren überhaupt
bis auf Eapt. Smyth und die neueren franzöflfchen Arbeiten feit Eroberung
Algeriens fo wenig belannt, daß noch Baron Zach von ihren Bofltionen mit
Hecht fagte, daß fle weniger gut beflimmt feien, als die im inbifchen Ocean.
Bon dem griechifchen Meere galt faft vaflelbe, weshalb der englifche Gapitain
Beaver fi im Beginn dieſes Jahrhunderts beklagte, daß zwifchen ver Spo⸗
rabeninfelgruppe und dem Feſtlande von Alten Feine Seelarte zuverläffig fd,
einige der Sporaden fehlten ganz, feine fei richtig gezeichnet und, nachdem Beaver
noch mehrere ähnliche Fälle angeführt, erflärte er fehr energifch, daß bie meis
flen Karten in diefen Gegenden nichtswürdig ſchlecht fein (Life of Capt.
Beaver 154), ja der befannte Geograph Maltebrun fagte in noch viel fpäte
ver Zeit, daß er jedes Mal Zweifel Habe, fobald er eine Karte des Mittelmeeres
zu Hilfe ziehen mäfle (Smyth 354). inter folchen Umſtaͤnden entſchloß fich
pie britifche Regierung fchon im I. 1811, wenigftend einen ver unbefannte-
fien Küftenftriche, ven der Landſchaft Karamanien, durch ven damaligen Ca⸗
pitain, jegigen Admiral Beaufort, unterfuchen zu laffen. Dies fam zur
Ausführung, doch mußte die Unterfuchung ſchon im I. 1812 beenvigt wer-
den, weil Beaufort von Eingeborenen meuchelmörberifch angefallen und ſchwer
verwundet wurde.
W.H.Smyth: The Mediterranean. 59
Seine erſten Aufnahmen begann Admiral Smych felbft als Lieutenant im
3.1810 an der oͤſtlichen fpanifchen Küfte, wo er ein Kanonenboot befehligte.
E fegte diefelben Bier bis zum 3. 1812, dann im 3. 1813— 1814 an der
fieilianifchen Küfte fort, als ihn der Dienft dahin führte. Mit Hilfe guter
Juftrumente, unter der Protection der Admirale Sir Mobert Hal und Pen⸗
roſe, dann bed Generald und Gouverneurs von Malta Sir Thomas Mait-
land, endlich mit der wiflenjchaftlichen Unterflüßung des berühmten Aftrono»
men Piazzi gelang ed unferem unermüblichen Forſcher, feine Unterfuchungen
immer weiter außzubehnen, obgleich ex viejelben auf feine eigenen Koften un⸗
ternahm, bis envlich vie britifche Megierung auf ihn aufmerkfam wurbe und
ihm im Mai 1817 bie Unterfuchungen amtlich aufgab. Als Smyth im J.
1818 feine Arbeiten nach dem abriatifchen Meere übertrug, ſtellte vie öfter
reichifche Regierung eine Kriegejloop -von 20 Kanonen unter feine Befehle,
und ed wurben ibm noch acht dfterreichifche und nenpolitanifche Officiere
jugetheilt, um fich unter ihm im Beobachten auszubilden. Am Ende des
3. 1820 befand fih Smyth an ver genuefifchen Küfle, als ihn ein Befehl
feiner Regierung zurüdrief. Da aber gleichzeitig der audgezeichnete franzöfl«
ide Seecapitain Gauttier im Auftrage feined Bouvernements ähnliche Unter⸗
fuhungen im Mittelmeer ausgeführt, und Suyth Gelegenheit gehabt Hatte, fich
von Gauttier's Genauigkeit im Unterfuchen zu überzeugen, ging das franzöft«
he Miniſterium auf feinen Vorſchlag ein, um viefelben Regionen nicht dop⸗
pelt erforſchen zu laflen, das Unterfuchungsfeld zwifchen ihm und Bauttier zu
tbeilen, fo daß er den wefllichen, Gauttier ven öfllichen Theil des Mitttelmee-
res übernahm. So arbeitete Gauttier in den nächften Jahren in ben griechie
hen Gewäflern, Smyth dagegen, der fich fchon im Sommer 1822 mit einem
andern Schiffe nach dem Mittelmeer zurückbegeben Hatte, 6i8 zum I. 1824
an der afrifanifchen Küfte, an den Küſtenraͤndern von Sardinien und Corſica
und envlich im Ganal von Elba. Aus viefen 12jährigen Arbeiten find num
nicht weniger, als 105 Karten, deren Verzeichnung Smyth S. 397—405 mit⸗
tbeilt, nebft dem in ver Ueberfchrift angeführten Werk hervorgegangen. Bür
feine wiflenfchaftlichen Verdienſte verlieh vie geographifche Geſellſchaft zu Lon⸗
don dem trefflichen Borfcher in ihrer Generalverfamnlung am 22. Mai 1854
eine ihrer beiden goldenen Preismedaillen (The Founders Medal) in ven
ehrenvollften Ausprüden, indem er von dem Vorſttzenden ausdrücklich ver
Bater der britifchen Meeredaufnahmen genannt wurde, ber auf feine Kinver
ftolz fein könne.
Smyth's Werk ift übrigens micht allein eine umfaſſende und überaus
werthvolle Monographie des Mittelmeeres an fich innerhalb des Unferfuchungs-
feldes unſeres Forſchers, wie wir eine folche bisher noch nicht befaßen, ſon⸗
dern auch eine mit vielen intereffanten Bemerkungen aufgeftellte Beſchreibung
der gefammten Küftenränver, eine wahre Periegeſe im Sinne der alten geo⸗
sraphifchen Schriftfteler. Doch ift zu bedauern, daß das Werk nicht eigentlich
60 Neuere Literatur:
vollſtandig ift, da der äflliche Theil des Mittelmeeres von ihm nicht un⸗
terfucht worben war, und Gauttier's Beobachtungen, fo viel wir wiffen, nicht
publicirt worben find. Um eine volftändige Arbeit der Art herzuftellen, Hätte
der Verfafier alle Materialien feines franzoͤſiſchen Collegen zur Hand Haben
müſſen, und da dies nicht ver Kal war, fo bleibt feinem etwaigen Nachfolger
immer noch vieles zu thun übrig. Die neueren franzöftfchen Unterfuchungen
an ven algerifchen Küften, fowie die der Franzoſen währen ihres früheren
mehrjährigen Aufenthalts in Griechenlann hätten ſicherlich auch manches inter
eſſante Material zu einer vollſtaͤndigeren Monographie des Mittelmeeres gelie-
fert. Da ferner feit feinen Arbeiten mehr als 30 Jahre, für einige ber»
felben fogar eine Periode von mehr ald 40 Jahren verfloffen ift, fo bat
fih der Verfaſſer bemüht, feine Materialien zum Theil aus anderen fpäter
gefammelten zu ergänzen; indeſſen iſt nicht alles gefchehen, was hätte geſche⸗
ben können. Die ftatiftifchen Angaben in Siyth's Werk gehen nämlich wenig
über das Jahr 1829 hinaus, während vie meiften flatiftifchen Zahlen über
bie Bittelmeerländer uns jet fchon bis zum I. 1852 zur Dispofttion ſtehen.
A. Autenberg und Gumprecht.
(Schluß folgt.)
D. Manuel Recacho, Memoria sobre las nivelaciones barometri-
cas etc. Madrid 1853.
Dieſes ſchoͤn ausgeftattete, corrert gedruckte und in einem eleganten Styl
geichriebene Werk, welches ein glänzendes Zeugniß von der Wiffenfchaftlichkeit
und dem ernften Streben nicht allein des Verfaſſers, fondern des gefanımten
fpanifchen Geniecorps ablegt, nimmt unter den Schriften, welche in viefem
Jahrhunderte über die phyſikaliſche Geographie einzelner Theile Spaniens er-
ſchienen find, unbedingt den erften Plag ein und wird fonach die Hauptquelle
für die Orographie und Sybrographie des fo Höchft vermidelten und bisher
auf den Karten fo gänzlich verkehrt vargeftellten Gebirgsſyſtems ver basfi-
fhen Provinzen bilden. Die fogenannte „topographifche Brigade“ des fpa-
nifchen Ingenieurregiments, deren eigentliche Beftimmung die VBermeffung ver
Küften, Grenzen und militärifch wichtigen Punkte, fowie vie Anfertigung ver
Pläne der feften Plaͤtze ift, erhielt im I. 1849, wie der Verf. in der Ginlei-
tung erzählt, von dem Generalinfpector des Geniecorps ?’) den Auftrag, vie
— — —
) Es iſt dies der Generallieutenant Zarco bel Valle, Praͤſident der könig⸗
lichen Acad. der Wiſſenſchaften, einer der ausgezeichnetften Genieoffiziere Curopað.
beffen perfönlihe Bekanntiſchaft zu den angenehmften Brinnerungen des Ref. ans
Spanien gehört.
M. Recacho: Memoris sobre las nivelaciones barometricas. 61
Niveanverſchiedenheit von San Gebaftian und Vitoria mittelft einer genauen
barometrifchen Nivelation zu beflimmen, letzte zugleich auf vie hohen Ge»
birge von Abarra, Hernio, Aralar, ©. Adrian, Ardnzam und Arlaban aus⸗
zubehnen und einen topographifchen Plan des ganzen zwifchen ber Küfle, dem
Plateau von Mava und Navarra gelegenen Gebirgsélandes, welches in ben
Hayon biefer barometrifchen Nivelationen ftele, zu entwerfen, da die vorhan⸗
denen Karten fo böchft ungenau wären. Mit der Direction biefer eben fo
ehrenvollen als ſchwierigen Commiſſion wurde der Verf. Hauptmann des
Geniecorps, betraut und demſelben ein halbes Jahr Zeit dazu bewilligt. Der⸗
ſelbe verſah ſich mit zwei vortrefflichen Barometern von Bunten, deren eins
während ber Operationen verloren ging, mehreren Thermometern, einem Ekli⸗
meter (eclimetro nivelador) and Munchen, einer Tupfernen Meßkette von
50 Schritt Länge, einer großen Bouffole von Kater und mehrern Handbouſſo⸗
Ien und begab fich mit einer Section ber topographifchen Brigade im April
1850 nach S. Sebaflian, wo er feine Operationen damit begann, die Höhe
eines eine Legua von ©. Sebaftian und nahe hei dem Dorfe Lafarte gelege-
nen Punktes, welcher als Bafls für vie ferneren Nivelationen bienen follte,
auf das Allergenauefte zu beflimmen. Nachdem von hier aus vie Nivelatio⸗
nen der Straße nach Andoain und den benachbarten Ortichaften Buruntza,
Adarra und Belcoain ausgeführt worben waren, begannen die eigentlichen
barometrifchen Operationen am 18. Mai mit ver Beflimmung der Höhe des
Berges Adarra. Diefe, wie alle folgenden, gefchahen durch genaue und viele
fach wieberholte correfponvirende Beobachtungen, deren Reſultate nach ven
Formeln von Laplace und ven Tafeln von Biot berechnet wurden. Hierauf
begab ſich die Section nach Tolofa, Alegria und Villafranca, beftimmte bie
Höhe des Monte Hernio, der Berge von Aldaba und des hoben Aralarges
birges und fchlug Hierauf ihre Reſidenz in Idiazabal auf, wo fie lange blieb
und zahlreiche Beobachtungen machte. Die wichtigften waren die Meflungen
rer hoben Sierra de S. Abrian, deren culminirender Gipfel, ver Pic von
Criſto de Aizcorri, den hoͤchſten Punkt des badfifchen Gebirgsſyſtems bildet ’).
Dann kehrte die Section nach Ormaiztegui zurüd, unternahm von hier aus
die Nivelation ver Straße bis Onate und die Höhenbeflimmung der Sier-
ren von Mutiloa und Aranzazu und anderer Gebirge, und endlich die. Ni⸗
velation ver franzöflfchen Heerfiraße von ver Brüde von S. Prudencio,
wo die Strafe von Onate fih mit ihr vereinigt, bis Vitoria. Nachdem
von Vitoria aus auf höheren Befehl noch Excurſionen nach ven navarrifchen
an Guipuͤztoa und Alava grenzenden Gebirgen von Urquiola und Lecumberri
gemacht, ſowie eine volftändige barometrifche Nivelation von der Brüde von
2) Dies bemerkt der Verf. mehrmals in der befchreibenden Abtheilung feines
Werkes. Aus den beigefügten Höhentafeln geht aber hervor, daß das Gorveagebirge
die größte Höhe erreicht, Indem deſſen Haupigipfel den Pic von Nizeorri allerdings
nur um 9 Fuß übertrifft.
02 Neuere Riterhtur:
®. Prudencio an über Vergara, el Orrio und die Felſenpics von Amboto,
S. Antonio und Urquiola bis zu der berühmten, im Mai deſſelben Jahres
auch vom Ref. befuchten Peña Gorvea in Bizcaya, welche fich ald der zweit-
höchfte Gipfel des Baskenlandes herausftellte, ausgeführt worden waren, kehrte
die Section in ven legten Tagen des Detober nad ©. Sebaftian zurück umb
arbeitete daſelbſt den vorgefchriebenen topographifchen Plan aus. Diefer im
Maaßſtabe von „2,5 außgeführte Plan, weldyer in dem uns vorliegenden
Eremplare leider fehlt, umfaßt ein im Umfange 42 Legua® in der Wläche 31
Duadratleguns haltenbes Stud Land, das zwifchen 42° 51’ und 43° 23’
Breite, fowie zwifchen 1° 15’ 55” und 1° 41’ 38” öftlicher Länge von Ma-
drid gelegen ift, oder mit andern Worten ven größten Theil von Guipüzcon,
ungefähr die Hälfte von Bizcaya und bie angrenzenden Begenten von Alava
und Navarra. Auf vemfelben find 92 Ortfchaften von Guipuͤzeva und 24
von Alava, Pizcaya und Navarra nebft einer fehr großen Menge von hypſome⸗
teifch beſtimmten Gebirgägipfeln und andern Pımkten verzeichnet. Diefem
großen Blan find zmei Eleinere im Maßſtabe von „4, und 14, beigegeben,
welche wahrfcheinlich die von der Section in großer Anzahl angefertigten
Pläne von Ortfchaften und Straßennivellementd enthalten.
Auf diefe Schilderung der ausgeführten Arbeiten folgt der eigentliche in
drei Sertionen und drei umfangreiche Tabellen zerfallende Inhalt des Werkes.
Die erſte Seetion enthält einen kurzen Abriß der geographifchen, topographi-
ſchen und ſtatiſtiſchen DVerbältniffe des unterfuchten Landes; bie zmeite eine
Schilderung der GCommunicationen; die dritte allgemeine Bemerkungen über
das Vertheldigungsſyſtem jenes Grenzlandes. Wir wollen und bier auf ei«
nen Zurzen Auszug der erften Section befchränfen, va vie beiden andern für
die Geographie Spaniens weniger wichtig find. Die Gebirge der basfifchen
Provinzen find Verzweigungen eines im Allgemeinen in oftweftlicher Richtung
ftreichenden Gebirgezuges, welcher Guipuzcoa von Navarra und Alava ſchei⸗
det (daher von dem Verf. Diviforia principal genannt) und fich bei Ronces⸗
valles von der Pyrenaͤenkette abzweigt, ald deren Fortſetzung er betrachtet
werden muß. Nachdem viefer Hauptgebirgäzug, welcher während feines felt-
fam gewunvenen Laufes unter den mannichfachften Formen auftritt, indem er
ſich bald zu mächtigen Gipfeln erhebt, bald zu tief eingefchnittenen Päflen er-
niebrigt, der aber im Allgemeinen weniger hoch ift, als feine Verzweigungen
und deshalb fich in feinem Zuſammenhange nur höchft ſchwierig verfolgen laͤßt,
den Berg Engui emporgethürmt bat, von welchem aus eine Kette ſich von ihm
abzweigt, vie ſich in nörblicher Richtung bis Yuentarrabia erſtreckt), bildet
!) Diefe Kette wird vom Bidaſſoafluſſe zwiſchen Zumbilla im Vaſtanthale und
Deun durchbrochen. Ich habe diefelbe für ben Hanptgebirgszug gehalten. Sie bil⸗
det bei Prun den zadigen Branitgipfel des Monte de la Haya, deſſen höchke Spitze
ih durch barometrifche Mefiung 2479,9 par. Fuß hoch fand.
M. Recacho: Memoria sobre las nivelaciones barometricas. 68
er endlich noch an Höhe vafch abnehmend vie Bäfle von Velate'), Donamaria,
Huici und Lerumbesri, worauf er fich, feine biäher norbweflliche Richtung plöß«
lich in vie ſüdweſtliche Anvernd, dem hohen Aralargebirge zuwendet. Bon bier
and erſtreckt ſich die Hauptkette in weſtlicher Richtung durch vie Gebiete vor
Aya und Ataun, über bie Berge von Alyania, bie Bäfle von Echegarate, Ot⸗
jaurte und ©. Abrian, den Pic von Aitzcorri, in welchem fle, wie überhaupt
da8 ganze baskifche Gebirgsland, nach ſchon gemachter Angabe die größte Höhe
erreicht, über vie Sierra de Araͤnzazu, den Monte Artia, ven Pag von St. Juan,
bie Sierra de Elguea, den Monte Arurbin, den Vaß von Arlaban, die Berge
von Jarindo, Ataun und Baflibayeta, die Benas de Urquiola und ven Paß
von Burdineruci bis zu den Gebirgen von Gorvea und Orbuna, worauf fle
endlich mit ven Hochgebirgen von Santander fich verfnäpft. Diefe Hauptkette
zerfällt in einzelne meift aus terrafienförmig über einanver gefeten Bintenn’s
beſtehende und von hoben Pic’d over grotesk geformten Felsomaſſen uͤberragte
Gebirgsſtoͤcke, vie der Verfafler kurz, aber in fehr anziehenner Weiſe ſchildert.
Den erfien viefer Stöde bildet die Sierren, Penas oder Monte genannten
Gebirgömaffe von Aralar, welche ſich auf ver Grenze zwifchen Guipuzeoa und
Navarra erhebt und im SO. von dem Thale von Araquil, im Norven von
den Thälern von Aralz und Larramı, im Güben von dem Thale von Vo⸗
runda (alle dieſe Thäler gehören zu Navarra), im Weſten von den Gebieten
der zu Bulpuzeoa gehörenden Ortfchaften Amezqueta, Zaldivia, Abalcisqueta,
Ataun, Aya, Billafranca u. a. begrenzt wird. Ein Zweig des Aralarftodes,
welcher die Gebiete von Leeumberri und Albeaſu fcheidet, verbinvet jened maͤch⸗
tige Gebirge mit der Sierra Madre, über welche fich vie Hauptkette bis zu
den Sierren von Alzania erſtreckt. „Die mittlere, über 4000‘ (fpaniiche
Buß) betragende Erhebung des weitläufigen Plateaus (meseta), fährt ver
Verfafler fort, woraus der Aralar beftcht, macht aus ihren Hochflächen
(päramos) unbemohnbare Gegenven, welche blos währenn einiger Zeiten bed
Jahres tranfitabel find. Entblößt gegen die Gipfel Hin von jever Art von
Daumen, bietet ver Aralar ein nacktes und trauriges Bild dar, das blos Durch
Die Gegenwart der zahlreichen Viehheerden belebt wird, welche auf den vortrefflis
hen Weiden, womit bie Hochflächen bevedkt find, ihre Nahrung finden. Wenn
man von den Gipfeln binabfteigt, werben bie Abhänge der Verzweigungen
des Gebirges an Vegetation allmälig reicher, aber man bemerft, daß ver
Baumwuchs an den an Guipuzeoa grenzenden Abbängen viel tiefer, ale
1) Die Kette von Roncesvalles bis Lerumberri wird Montes be los Alduides
genannt. Der Paß von Belate, den ich Leider bei näffendem Nebel paffixt habe,
und welcher das Baflanthal vom Thale von Lanz fcheidet, muß noch eine bedeutende
Höhe beſitzen, da die Schenle des Heinen am Anfange ber gewaltigen, über den Poß
hinwegführenden Schnecke gelegenen Dorfes Almanfos nach meiner Beobachtung be-
reits 06,5" hoch liegt Das Gebirge iſt dort mit dichter fchöner Buchen waldung
bebe
64 Neuere Literatur:
auf der Säd- und Oftfeite beginnt, wo in geringer Entfernung vom Gipfel
mächtige Waldungen von Buchen, Eichen und andern Bäumen anfangen, welche
für fich allein den Reichthum der Ortfchaften ausmachen, denen fie gehören.
Die einzige permanente im obern Theile des Aralar gelegene Wohnung ifl
dad berühmte Hospiz (hermita hospederia) von ©. Miguel escelſis, das
nach dem Modell der Nipenhospize, nur im Kleinen, eingerichtet iſt und
wofelbft die Wanderer, in welcher Zahl fie anch kommen mögen, alles fin-
den, was fie brauchen, und zwar umfonft, wenn fte fich nicht in ber Lage
befinden, bezahlen zu fönnen. Bon diefen Hospiz aus Tann man auf einem
guten Rückwege nach Ugarte Araquil binabfleigen, einem im gleichnamigen
Thal gegen 2500’ tiefer gelegenen und anderthalb Stunden entfernten Dorfe;
auch gehen von da bie Fußpfade aus, welche nach Lecumberri, Araiz und
Amezqueta binabführen, u. f. w. Die größte Länge des Gebirgäplatenus bes
trägt 3 Leguas von Oſten nach Welten, die Breite anderthalb. Gegen das
Thal von Araiz und Guipuzcoa Hin fällt das Plateau außerordentlich ſteil
und bildet eine Menge von Pics und Deprefiionen, weshalb der Aralar
den Namen einer Sierra fehr wohl verdient. Unter viefen Pics find vie be-
merfenswertheften die von Naunarri, Balerbi, Irumugarrieta und Eftenarri,
weil fie fich plöglich und beinahe fenfrecht mehr, ala 4000’, über die Sohle
der Thäler erheben. Auf der entgegengefeßten Seite bat das Gebirge aller»
dings auch einige fleile Abhänge, allein fein Gipfel erfcheint in Form einer
Hochebene und wegen bed Baummuchfed, den man aller Orten entbedkt,
weniger wild. inter den verjchlevenen dieſem Gebirge entquillenden Baͤ⸗
hen find bie bemerfenswertheften vie von Amezqueta, Abalcisqueta, Aya,
Ataun und Erradqui, lauter Zuflüffe des Oris, und andere der entgegen-
gejehten Seite, die in den Ebro fließen; aber alle dieſe Bäche entfpringen
an ven untern Abhängen, weshalb es auf der Oberfläche bloß trodne Ge⸗
hänge (vertientes) giebt. Man findet vafelbft blos eine einzige Quelle und
eine- Eifterne, welche dad Hoſspiz von ©. Miguel mit Wafler verforgen.
Die Gebirgsart ift Kalk’), ver. einige Erzgänge, worunter ein Kupfergang
bemerft zu werben verbient, enthalt, indem verfelbe zu Ercavationen und
Stollen von mehr, ald einer Stunde Länge, Veranlaffung gegeben hat. Auch
befinden fich vafelbft mehrere auf Galmei bauende Gruben.“ Der nächte Ges
birgsſtock iſt die Sierra de Alzania. Sie erhebt fich auf ven Grenzen von
Navarra, Alava und Guipuzeoa und befigt eine viel geringere Höhe, zeichnet
fich aber durch ihre reiche Vegetation und beſonders durch ihre prächtige aus
eorpulenten Eichen und Buchen beftehende Waldung aus. Ihr Hauptgipfel
iſt der Monte Achu, der fich neben dem Paſſe von Echegarate oder Idia⸗
zabal erhebt, worüber die Duerftraße geht, welche die von Vitoria nad)
Bamplona führende Straße mit ver großen franzöftfchen Heerftraße verbinder.
2) Jedenfalls ver Kreideformation.
M. Recacho: Memoria sobre las nivelaciones barometricas. 63
Das Alzaniagebirge ſteht in unmitielbarem Zufammerhange mit dem mach⸗
tigen Gebirgäftode der ©. de San Adrian. Diefed Gebirge, welches einen
ähnlichen wilden und alpinen Charakter beſitzt, wie ber Aralar, beginnt mit
ben Montes de Alfafün und erhebt fich raſch bis über 5000’, um den Monte
Araz zu bilden, über ven die politifche Grenze zwiſchen Guipuzeoa und Alava
geht, waͤhrend vie Hauptwaſſerſcheide an feinem nörblichen Abhange Hin ſtreicht
und üßer den Paß von Otzaurte nach dem gleichnamigen Verggipfel laͤuft.
Dort beginnt ein anderes zu demfelben Store gehöriged Gebirge, welches
Aizcorri genannt wird, nach einem Verlauf von 4 Leguas über der Stadt
Onate mit dem Monte Aloña endet und ſich gegen Süden mit der Sierra
de Ardnzazu verknüpft. Die Oberfläche des Aizcorrigebirges, welches den
culminirenden Theil des gefammten Adrianſtockes bildet, ift ebenfalls ein Pla⸗
teau, das jeboch blos eine Länge von einer Legua beſitzt. Auch ift daſſelbe
nicht fo eben, wie die Gipfelflaͤche des Aralar, ſondern voll Schluchten und
Selten, „fo daß fich vafelbft nur wenige ebene, mit Gras⸗ und Baummuchd
bevedte Flaͤchen befinden. Dagegen find die Abhänge mit der üppigften Wal⸗
bung befleivet. Auch bei viefem Gebirge (wie faft bei allen ver Hauptfette)
find bie nach Guipuzcoa ſchauenden Abhänge ungleich fteiler, als bie nach
Alava und Navarra gefehrten; von dort aus Fönnen fogar Karren an man«
chen Stellen bis auf das Gipfelplateau gelangen. Im obern Theile des Ger
birges giebt es feine andere Wohnung, ale die Hermita und Venta von ©.
Abrian, welche ſich auf dem einzigen für Saumthiere practicabeln Paſſe be⸗
finden, der über biefes hohe Gebirge zwiſchen ven Gipfeln Araz und Alona
führt." Der Punkt, wo fich die Venta befindet, entipricht der Bereinigung
des Aizcorri und des Araz und war ehebem eine große Grotte ober Höhle
von einigen 50 Varas Tiefe und 9 bis 10 V. Weite. Später wurde die
Hintere Wand durch Menſchenhand durchbohrt, und fo befindet ſich an dieſer
Stelle gegenwärtig ein beinahe natürliches, Tunnel von 75 Varas Länge und
25 Barad Weite am Eingange. Dieſer Tunnel dffnet ſich durch ein unförm-
liches Loch von 8 bis 9 Varas Weite nach dem Fahrwege von Cegama (auf
der Seite von Alava), welcher fih jehr bald bei Salvatierra mit der von
Bitoria nach PBamplona führenden Straße vereinigt. In dieſer unter dem
Namen des Bafled von S. Adrian oder ver Peüa horadada (des durchbohr⸗
ten Felſens) bekannten Höhle, deren Gewölbe aus einer 80’ dicken Felsmaſſe
befteht, liegen mit der Ausficht nah NO. vie Venta von ©. Adrian, eine
elende Schenke, aber einzig im ihrer Art, und die Hermita beffelben Heiligen.
Auf der Oberfläche diefer Sierra giebt es wenig Waſſer; aber je mehr man
Binabfleigt, deito häufiger werben Die Quellen. Unter denſelben ift viefenige bon
Slurbeguieta die bemerkenswertheſte, theils, weil aus ihr der Rio Oriä ent«
Tpringt, theild wegen der Eigenthümlichkeit, daß viefelbe an dem dem mittel-
Yändifchen Meere zugekehrten Abhange des Araz entfpringt, und der Bach Halb
Ffünftlich über eine horizontale Fläche Hinfließt, bis er einen Vorſprung er-
Zeitfchr. f. allg. Erdkunde. Bd. V. 5
66 Neuere Literatur:
reicht hat, woſelbſt fiy, ſobald ver Bach nur etwas angeſchwollen ift, das
merkwindige Schaufpiel darbietet, daß ein umb berfelbe Bad Wafler nad
zwei verjchiedenen Meeren entſendet. Die Gebirgsart der Sierra ifl ein von
Spalten, Höhlen und fehr tiefen Schluchten wimsmelnder Half. Derfelbe ent-
hält einige Eifen- und Bleigänge und verſchiedene Mineralquellen.” An das
Adriangebirge fchließt ſich im Gebiete von Oñate vie viel niebrigere, aber eben-
falls unbewohnte umd ziemlich rauhe Sierra de Aranzazu an, welche im SW.
durch den ihr zugehörigen Monte Artia von dem Gebirgöfnoten der Sierra
de Elguen getrennt if. Das Aranzazugebirge ift berühmt wegen ver auf ihr
befindlichen gleichnamigen Hermita, eine beſuchten Wallfahrisortes, wohin
von Oñate au ein guter Saumpfad führt. Die Sierren von Eiguea, Arur⸗
din und Arlaban, welche von bier an vie Hauptkeite bilden, find von mitt-
lerer Höhe, aber ſtark und fchön bewaldet. Auf dem Arlabangebirge befindet
fich der gleichnamige Paß, über ven vie franzöftfche Heerfiraße aus dem Thale
des Deva nach dem bei Ulibarri⸗Gamboa von ihr erreichten Plateau von
Alava führt. In vemfelben Gebirge beſinden fich vie berühmten Steinfalzs
Iager, welche dem in ber Nähe dieſes Paſſes höchft maleriich gelegenen und
wohlhabenden Flecken feinen Namen (Salinad) gegeben haben. Weiter bin,
bereits innerhalb Bizcaya’9, erhebt fich die Hauptkette wieder fehr bedeutend
in der ans groteöfen nadten Felsmaſſen beftebenden Sierra de Urquiola ®),
deren erhabene Gipfel, unter denen die Pena Amboto die erſte Stelle ein-
nimmt, fi; anfangs in oflmefllicher Nichtung, fpäter in norpfüblicher an ein»
anber reihen, in welcher Richtung fich viefe Sierra biß zu dem mächtigen
Stode der Pena Gorbea oder Gorbeya erſtreckt. „Diefer liegt in Vizcaya,
5 Leguas (füpfünäftlih) von Bilbao an ver Grenze von Alava in den Ge⸗
bieten ver Ortfchaften Orozco, Geanuri und Ochandiano. Es wird von drei
rundlichen über einander gefeßten Hochfläcdhen, welche die Namen Sayambano,
Bicos Azulo und Penas de Gorbeya führen, gebilvet und hat einen Umfang
von 12 Leguad. Er vereinigt ſich mit der ©. de Urquiola durch die Pena
de Altamira und bildet einen Knoten, von dem eine Menge von Zweigen
ausläuft; einige der letztern erſtrecken fich unmittelbar bis an's Meer, andere
verfnüpfen die große Kette, der das Borbeagebirge angehört, mit ven centralen
Ketten (7. Auf dem Gipfel giebt es eine Kläche von beveutender Ausdeh⸗
mmg, auf welcher aromatifche Pflanzen im Ueberfluß wachfen. An den Ab⸗
hängen trifft man zahlreiche Quellen und eine Menge von Bäumen aller Art.
Die auf das Gebirge führenden Wege find auf der alava'ſchen Seite häufiger
und von geringerer Steilheit, ald auf der entgegengefehten, doch giebt es auf
beiden Seiten Stellen, wo man zu Pferde bis auf die Gipfelflädhe gelangen
fann. In dem Borbeagebirge befinden fich verſchiedene Höhlen, Grotten, na-
2) Diefes Gebirge if daffelbe, welches in nıinen Schriften unter dem Namen
Sierra de Durango vorkommt.
M. Recacho: Memoria sobre las nivelaciones barometricas.. 67
türliche Schneegruben und merkwürdige Wafferfälle; auch ift das Verſchwin⸗
den eined Baches bemerkenswerth, welcher nach langem unterirbifchen Laufe
bei Orozco wieder an's Tageslicht gelangt ).“
Die wichtigften der innerhalb des von dem Verfaſſer unterfuchten Gebietes
in oder an der Hauptkette entſpringenden Beräfler find Die Küftenflüffe Lezo,
Urumen, Oris, Urola und Deva und der in den Ebro abfließenve, das Pla-
teau von Alava durchfurchende Zadorra. Somohl die Baſſins (cuencas)
biefer Flüffe und Ihrer Nebenflüffe, als vie ſie ſcheidenden Gebirgsketten, welche
als Berzweigungen der Hauptfette betrachtet werden müflen, haben einen höchft
unregelmäßigen Berlauf. Died gilt beſonders von den Gebirgen, die ſich in
allen Nichtungen Hin verzweigen und in hoͤchſt irregulärer Weiſe bald hoch
erheben, bald tief deprimirt erjcheinen, fo daß es oft faft unmöglich ik, zu
erkennen, woher fie kommen und zu welchem Zweige der Hauptfette fie ge»
hören. Dazu kommt, daß nicht wenige dieſer Nebenketten von ven Flüſſen
durchbrochen und daher vielfach zerftüdelt worven find. Aus biefen Gründen
eriheint das Bergland von Guipuzcoa und Vizcaya ald ein wirre® Labyrinth.
— Unter den oben genannten Flüffen ift der Lezo der unbebeutendfle. Gr
entfpringt am Buße bed Monte ve la Haya, geht in ſuͤdweſtlicher Richtung
fließend bei Oyarzun und Renteria vorbei und mündet in die Mia oder Bucht
von Pafaged. Zur Zeit ver Fluth ift er bis Renteria ſchiffbar, ſonſt kann
er überall durchwatet werben. Sein kleines Baffin befinvet fich zwifchen dem
Hayagebirge im Süden, ven Bergen von Oyarzun, welche im Verein mit
denen bed Puerto de Gainzchusqueta und des Monte Jaizquibel e8 gegen Often
begrenzen und zugleich vom Baffin des Bidaſſoa ſcheiden, und einer miebrigen
vom Adarra anögehenven Bergfette, die das Baffin des Urumen gegen Often
begrenzt. Diefer Fluß entipringt in ven Gebirgen von Navarra bei dem
Dorfe Goizueta, fließt gen NO. und fällt nach einen Laufe von 8 Leguas,
während den er die Ortfchaften Goizueta, Hernani und Aſtigarraga berührt,
kei ©. Sebaſtian in's Meer. Während der letzten 3 Leguas iſt er zur Fluth⸗
zeit Schiffbar, ſonſt faſt überall zu durchwaten. Die Neigung feines Bettes
ift von Hernani an faft überall = 0,08’ auf 100'; über ihn find 6 Brücken
gefchlagen. Sein Baſſin wird im Süben durch die Berge von Goizueta, im
Oſten durch Die ſchon erwähnte Kette, im Weften durch eine Höhenkette, welche
fich zwoifchen demſelben und dem Baſſin des Oris und des in Iehtern fließen«
ven Lerzaran erhebt. Auch dieſe Kette geht vom Adarra aus, der mit dem
Druntza und den Bergen von Santa Barbara und Oriamendi die Barriere
bildet, welche die fchönen, obgleich engen Thäler von Hernani, Aftigarraga,
Loyola und Mivera de Santiago von dem Baffin des Urumea ifolirt. Mit
Ausnahme viefer Thaler beſteht das ganze Baffin ans hohen Hügeln und
2) Bol. über diefes intereffante Gebirge meine „Wanderungen bitch bie norbs
öflichen und centralen Provinzen Spaniens“ Bd. T, 1.
pw
5*
68 Neuere Literatur:
tiefen gewundenen Grünen, deren Abhänge und Kaͤmme in hoͤchſt malerifcher
Weife mit zerſtreuten Gehöften (caserios), Eichen= und Uepfelhainen bedeckt
find. Viel bedeutender ift ber Oris, der Hauptfluß vom Guipuͤzeoa, von
deſſen Urfprung bereitd oben die Rede war. Währenb ver erfien 4 Leguad
feines mäandrifch gefrummten Laufed bat dieſer wilde und fchöne Fluß. we⸗
nig Waffer, und er kann daher überall durchwatet werben; dann aber wird
der Vebergang jchwierig, und ton Tolofa an ift derſelbe blos noch mittelft
Fähren oder Brüden möglich. Die lebten anberthalb Leguas kann derſelbe
mit großen Böten and Eleinen Seefahrzeugen befahren werben. Leber ven
Ori« führen 22 Brüden; die franzöftfche Heerftraße allein, weldye von To⸗
loſa an in feinem herrlichen Thale abwärts Läuft, überfchreitet ihn acht Mal.
An feinen Ufern liegen 13 Mahlmühlen, 10 Eifenhütten, 1 Kupferhammer,
2 große Baumwollenfpinnfabrifen, 1 Tuchfabrit, 2 Bapierfabrifen, 1 Guß⸗
eifenfabrif und 1 Dampfmehlfabrif; auch vie übrigen Fabriken beflgen meiſt
Dampfmafchinen. Die Neigung des Flußbettes beträgt bid Cegama im Mit
tel 5 auf 100, von da an bis Tolofa 1 auf 100. Linter feinen zahlreichen
Zuflüfien find die bemerfenswertheflen: ver Fluß von Idiazabal oder Urfuas
ran, welcher am Monte de Echegarate entipringt, dad Thal von Idiazabal
bewäfiert und am Eingange des Thals von Segura in den Oria fällt; ver
Fluß von Ormaiztegui, der dem Berge Zumärraga entquillt, das fchöne Thal
von Areria, durch das die franzoͤſiſche Heerſtraße von Tolofa aufwärts gebt,
durchſchneidet und bei Tolofa mündet; die Flüſſe Arguunza und Amezqueta
und der Bach Zalvivia, vie fämmtlich von Aralargebirge berabfommen; ver
Otzarain, ver ſich aus den Quellen der Berge Aldaba und Hernio bildet;
endlich der Arajed, der bebeutenpfte von allen, welcher aus den Quellen des
Berges Aspiroz entſteht, parallel mit der von Pamplona nach Tolofa füh-
senden Straße, die ihn fünfmal auf guten Steinbrüden überfchreitet, in Das
Baffin des Oria, mit dem er fih in Toloſa vereinigt, binabfleigt und einen
Lauf von 5 Leguas befigt. Alle dieſe Nebenflüfie treiben eine Menge von
Mühlen und Eifenhätten. Das Baffin des Dria wird gegen Often und Sü⸗
den durch die fchon befchriebene Scheidegebirgöfette des Urumeabaſſins, gegen
Weften durch eine hohe Bergkette begrenzt, welche vom Aizcorri ausgeht und
über die Berge von Telleriarte, Alto de Aicealecoa, ven Paß von Legazpia
und die Berge von Gaviria bis zum Pafle von Zumärraga fireicht, fich von
dort gen Weften erſtreckt, vie links von Ormaiztegui befindlichen Berge bil-
dend und nun gen Norven verläuft. Diefes legte Stüd beſteht aus ven
Bergen von Beafain, Villafranca, Azpeitia, vem Alto de Goyaz, dem Monte
Hernio und ten an der Küfte liegenden Bergen von Aſteazu. Das ganıe
Baſſin umschließt viele fruchtbare Thäler, befteht aber größtentheild aus wil-
ben, doch meift fchön bewaldeten oder wenigſtens bebufchten Bergen. Zu den
bebeutenderen Berggipfeln gehört ver bei Vidania fich erhebende Hernio, deffen
nackte Belöfuppe ein Kreuz trägt. Der Fluß Urola entipringt ebenfalls im
M. Recacho: Memoria sobre las nivelaciones barometricas. 69
Aizcorriſtocke, aber etwas weftlicher als der Oria am Monte Araya im Ges
biete von Segura. Nachdem er zwifchen Billareal und Jumarraga die fran⸗
zöftfche Heerſtraße durchſchnitten Hat, fließt er durch ein fchönes Thal nach
den Vegas von Azpeitia und Azcoitia und von da zwifchen den Bergen Her⸗
nio und Ilzarriz hindurch nach der Vega von Ceſtona, hierauf durch vas
Thal von Arrona und nılindet, nachdem er bei Iraeta und Oiquina vorbei
gezogen ift, zwifchen Zumaya und Guetaria in ven Ocean. Der Urola bat
einen Lauf von 6 Leguas Länge, vom Legazpia an ein Gefälle von 2, fpäter
von 1 auf 100, trägt 5 Brüden und treibt 5 Eifenhütten und 18 Mühlen.
Bon dem Baffin des parallel fließenden Deva ift das des Urola durch
eine hohe, wilde und zerriffene Bergkette getrennt, welche vom Aizeorriſtocke
ausläuft und über ven Paß von Orate, den Monte Satui und den Pag von
Descarga, den die franzöfliche Straße überfteigt, nach dem Monte SIrine
fireicht, um von da über ven Monte Eloͤſua, M. Quirichu, Collado ve Azta⸗
rate und die Berge von Ilzarriz und Anduz nach ver Küfte zu laufen. Das
Baffin des Urola birgt Feine einzige Bega von Beratung, indem es gänz«
lich von Hohen fihroffen Bergen und tiefen engen gewundenen Gründen er»
füllt ift. — Der Deva entfpringt zwifchen ven zum Arlabangebirge gehörigen
Bergen Arurbin und Balvagarrain, eine Halbe Legua von Salinas, und flieht
über Gaftanared, Escoriaza, Arechavaleta, Mondragon, Vergara, Plaſencia,
Elgoibar dem Meere entgegen, in welches er fich bei Deva ergießt. Die letz«
ten 2 Leguas feines Kaufe, wo er den Namen Ria de Eibar führt, find
fhiffbar. Der Deva, nach dem Oriä einer der bedeutendſten Flüffe der bas⸗
fifchen Provinzen, nimmt unterwegs viele Gewäfler auf; vie wichtigfien fin
die Flüffe Bolivar, Aramayona, Aranzazı und Rio de Anzuola. Der Deva
beſitzt während feines obern Laufes bis Escoriaza ein Gefälle von 6 auf 100,
von dort an von 1 auf 100, fließt faft immer zwifchen fleilem Ufern Hin,
kann daher nur an wenigen Stellen vurchwatet werben, trägt 14 Brüden
und treibt eine Baummollenfpinnfabrit (bei Vergara), 3 Eifenhütten und
22 Mühlen. Unter den Zufläffen des Deva ift beſonders der Aranzazı ber
merkenswerth. „Diefer Fluß entfpringt in den zur Sierra de Aruͤnzazu
gehörenden Felfen von Zurcruz und flrömt, nachdem er die übrigen Gen
wäflee der meftlichen Abhänge dieſes Gebirges und diejenigen bes M. Artia
aufgenommen bat, gen Norden in einem engen Bette zwifchen erhabenen Fel⸗
fen, bis er in einem großen Loche, el Boqueron de Gueſalza genannt, ver⸗
ſchwindet, um unterirbifch fortzufließen bis gegenüber ver Höhle von San
Elind, welche am Abhange der Pena de Urrejola am Fuße einer faft ſenk⸗
rechten Wand von 800 bis 1000’ Höhe Tiegt; Hier vereinigen ſich mit dem
neugeborenen Aranzazu die vom Vaſſe von San Juan, der Sierra de Er
guea und von den Montes de Arauz berablommenven Wäfler, worauf der
Aranzazu feinen Lauf in nörblicher Richtung, nun bereits in weniger engem
Bette, bis 1 Legua nördlich von Onate fortjept. Die Quellen ver Abhänge
70 Neuere Riteratur:
des Alona und biejenigen der Sübabhänge des Monte Satul vereinigen fi
mit einem Bache, Namens Olavarrieta, welcher vom Paſſe von Onate in
Form einer natürlichen Kaskade berabfteigt, um ſich mit dem Anzueladserreca
zu dereinigen, einem Bache, welcher ebenfalls vom M. Satui berabfommt
und unterirbifch unter ver Stadt Oñate Binwegfließt, bis unter der Pfarr⸗
kirche, wo feine Bereinigung mit dem Dlavarrieta erfolgt. Der vereinigte
Bach fleigt parallel mit der Straße abwärts, um eine Biertellegua oberhalb
Zubillage in den Aranzazu zu münden, welcher feinen Lauf eine andere Bier-
tellegua fortfeßt, um einen andern Bach aufzunehmen, ver fich in den Bellen
von Zaraya und an den Norpabhängen ver Pena de Urrejola bilde. Nun
fließt er ohne weiteren Zuwachs fort, die Straße immer begleitend, bis zur
Brüde von ©. Prudencio, wo er fich dem Deva einverleibt. Die Neigung
feines Bettes wechjelt außerordentlich, unn feine ebenfalls wechſelnde Waſſer⸗
menge ſetzt 29 Mühlen, 3 Eifenhütten und 2 Eifenhämmer in Bewegung.“
Das Bafiin des Deva befindet fich zwifchen dem zwifchen vem M. Alona und
RM. Jarindo gelegenen Stüde der Hauptkette, ver Bergkeite, welche e8 von dem
Baſſin des Urola fcheidet, und den Ketten, vie fich zwiſchen ihm und den Bai-
ſins der weftlicher firömenven Flüſſe Campanzar und Ondarron erheben. “Diefe
lehten Ketten bilden ein Bebirge, welches vom Aoriangebirge ausgehend, fich
über die Penas de Ipizticoarriaga, de Udala, ven Paß von Campanzar, ven
M. Intzorta, Elgueta und den M. Azconavieta bis an die Meeresküfte zwi»
fihen Deva und Motrico erſtreckt. Das Thal des Deva iſt von einer herr⸗
lichen Bega erfüllt und fehr volkreich; darin liegen vie Flecken Escoriaza
und Arcchavaleta, die Stäpte Monpragon und Bergara und eine Menge Wei⸗
ler (barrios) und einzelner Häufer (caserios). Sehr volkreich iſt auch das
Baffin des Ardnzazu. In demſelben befinven ſich außer der Stabt Onate 10
große Flecken und viele Caſerios. In dem Valle de Leniz genannten und
von den Bergen S. Adrian, Jarindo und Murugain gebildeten Quellthale des
Deva Liegen die Ortfchaften Uribarri, Udala und die befuchten Bäder von
Santa Agueda. Der größte Theil des Devabaffind beſteht aber aus wilden,
theils bewalveten, theils nackten Belfenbergen und tiefen engen, unzugänglichen
Gründen. Die wichtigften Berggipfel find die Peüas de Zaraya und ber
Monte Aitzorroz, Glieder der ©. de Elguea, zwifchen denen und dem M.
Arurbin ſich das enge Bafjin des Bolivar befindet; die Penad de Urrejola,
ber M. Audarto und M. Eurchichiqui, Berge, die ebenfalls zu dem vom El⸗
gueagebirge ausgehenden Zweige gehören; ber M. Satui, ein dem kom Alone»
gipfel des Adriangebirges ausgehenven Zweige angehöriger Felſenberg, deſſen
Bafle 7 Leguas im Umfange hält und deſſen weflliche Verzweigungen bas
Thal des Deva bis Bergara begrenzen; die Berge von Descarga, welche ven
Satui mit dem Irimo, dem Ende des weitläufigen Monte Oloͤſua verbinden,
der dad Balfin des Deva gegen Norden von Vergara an begrenzt; ver M.
Udalach, ein Hoher bei Mondragon fich erhebender weithin fichtbarer Berg
M. Recacho: Memoria sobre las nivelaciones barometricas. 71
von vollenveter Kegelform, welcher im Verein mit den wilden Benas de Ur⸗
quiola dad Quellthal des Deva gegen Welten begrenzt; ber M. Inkorta, ber
von Mondragon an bis Dergara das Devathal in verfelben Richtung um«
wallt; ver Paß von Glgueta, über den die Straße von Vergara nach Bilbao
Dinwegführt; der M. Azconavieta, der das Thal des Ubera begrenzt u.a. —
Der Zadorra rinnt vom alaveflfchen Abhange des Aizcorri herab in ver Ge⸗
gend von Salvatierra, und fällt nach einem ruhigen Laufe zwiſchen unbebeu-
tenden Hügeln bei Miranda de Ebro in den Ebro. Er ift der beveutenpfle
Fluß von Alava.
Die Küfte ded von dem Verf. unterfuchten Theiles ver basfifchen Pro»
vinzen ift über alle Maßen fteil und rauh und deshalb für die Schiffe im
höchften Grade gefährlih. Don Yuenterrabia an bis zur Bucht von Paſages
wird fie von den fteilen Felſen der Baſis des langhingeſtreckten Berges Jaiz⸗
quibel umgürtet, zwifchen Paſages und der Mündung des Urumen von bem
nicht minder fleil in’d Meer hinabflürzenden Monte Ulia, dann zwifchen ber
Mündung ded genannten Ylufied und dem Eingange zur Bai von ©. Sebaftian
von den Belfen des M. Orgullo over Urtuͤll, deſſen Scheitel dad Caftillo de
la Mota, die Eitadelle von S. Sebaftian trägt, enplich von da bis zur Muͤn⸗
Dung des Oris von dem M. Igueldo. Die wenigen, meift aber unfichern Anker⸗
pläße dieſer Küfte find folgende: 1) Die Bucht von Pafages oder Ria ve
Lezo, ein mitten im Rande gelegenes, herrliches Bafiin von 11300’ Länge und
1880’ Breite, welches durch das hohe Küftengebirge vollfländig gegen alle
Stürme gefchägt if. Allein theild vie große, in Folge von Berfandung ein»
getretene Seichtigkeit, theils die Schwierigkeit und Gefährlichkeit, womit
das Einlaufen verfnüpft ift, verringert bie Bedeutung diefed an den Hafen
von Cartagena erinnernden Bafjind in folddem Grave, daß daſſelbe nur
felten von größeren Bahrzeugen befucht wird. Sein Eingang befteht aus ei⸗
nem gewunbenen, anfangs in oflfünlicher, ſodann in norböftlicher Richtung
verlaufenden, beiverfeitö von Hohen Belfen umgürteten Canal von 4825’ Länge,
930’ mittlerer Breite und 10,5 bis 4 Klaftern Tiefe, welcher ſich zwiſchen
ven Bergen Jaizquibel und Ulia, deren Vorfprünge die Namen Bancha del
Eſte und Bancha del Defte führen, befindet. 2) Die Enfenada de la Zur-
riola, gebildet von der Mündung bed Urumen, zwifchen ver Punta de las
Aniuras (dem Außerften Vorſprunge des M. Ulin) und dem M. Orgullo, ift
ein ſehr fchlechter Ankergrund, und blos Böten und Fiſcherkaͤhnen zugänglich,
indem die Barre nur 3’ Wafler halt. 3) Die Bucht von ©. Sebaftian, we⸗
gen ihrer Figur la Concha (die Mujchel) genannt, befindet fich zwifchen dem
M. Orgullo und dem öftlichen Vorfprunge des M. Igueldo, Sie gemährt,
trotzdem daß fie durch das Felſeneiland von Santa Clara und eine Reihe
Klippen gegen die hohe See hin adgefperrt ift, fo daß blos ein Canal von
1080’ Weite und 55’ mittlerer Tiefe zwifchen ver genannten Infel und bem
M. Orgullo übrig bleibt, geringe Sicherheit, Fann fogar bei Nordwinden ven
12 Neuere Literatur:
Schiffen fehr gefährlich werden. Der Hafen von ©. Sebaftian ſelbſt ift Hein
und ſchlecht und kann große Schiffe nicht aufnehmen. 4) Die Mündung des
Dris, ein guter Ankergrund, aber mit gefährlich zu paſſirender Barre. Gier
und zu Pafages giebt es Werften und Doggs für Handelsſchiffe. Am Ein-
gange der Barre ver Bidaffoamündung bei Yuanterrabia und auf dem Monte
Orgullo befinden fich Leuchtihlirme mit feſtſtehendem Feuer.
In der zweiten Section werben die Straßen von Vitoria nach Bayonne,
von ©. Sebaftian nach Hernani, von Tolofa nach Panıplona, von Bilbao
über Azpeitia, von Alfafua, Onate, von Bilbao über Elgueta, von Mondra-
gon und andere neue, damals im Bau begriffene und ſeitdem vollendete Chauſ⸗
feen geichilvert. Es ergiebt fich hieraus, was auch jener Reiſende in den bas⸗
fifchen Provinzen mit großer Freude bemerkt, daß dad Straßenweſen in feinem
Theile Spaniens befier beſtellt ift ald in jenen Provinzen, wo faft alle grö-
Beren Ortichaften durch gute Chaufleen verknüpft find, obwohl wenige Ge:
genden Spaniens, und Europa’s Überhaupt, vem Straßenbau ſolche Schwie⸗
rigkeiten entgegenfeßen bürften, als jenes wild verwickelte Berglabyrinth Can⸗
sabriene. Dennoch ift die Communication im Innern dieſes Laͤndchens noch
immer vieler Verbefferungen fähig. Der Verfafſer ergreift viefe Gelegenheit, um
fich am Schluffe des Abſchnitts über dad Project einer Eifenbahn von Ma⸗
drid nach Bayonne auszufprechen. Diefelbe würde blos innerhalb ver bas⸗
ifchen Provinzen Schwierigkeiten varbieten, ift jedoch auch hier nicht unmög⸗
Uch, obwohl ihre Ausführung daſelbſt mit enormen Koften verfnäpft fein
dürfte. Die Hauptfchwierigfeit befteht darin, daß man die Eifenbahn- nicht
auf demjenigen Wege durch das baskiſche Gebirgsland führen kann, welcher
die geringfien Schwierigkeiten barbietet, fondern fle nothwendigermeife über
©. Sehaftian, Tolofa und Vitoria legen muß. Auf diefer Linie würde bie
Eifenbahn aus einer faft ununterbrochenen Reihe von fchiefenen Ebenen, Tun⸗
neln und Viaducten beflehen müſſen.
Don außerorventlicher Wichtigkeit für Die Topographie ver basfifchen
Provinzen find die beigefügten Tabellen, welche die zweite Hälfte des Werkes
Bilden. Die erfte Tabelle enthält vie Statiftit von 90 Ortfchaften von Gui⸗
puzeoa, 6 von Alava, 12 von Navarra und 5 von Vizcaya. Bei jeder Ort⸗
fehaft find Die geographifche Lage, vie Zahl ver Bürger (vecinos), die Zahl
der Seelen und der Häufer, die Entfernungen von Tolofa, S. Sebaftian,
Pamplona und Vitoria, die Communicationen, die Communimtiondmittel, vie
Erzeugniffe, die Inbuftrie angegeben und Bemerkungen über Befchaffenheit des
Terraind, Wäffer, Wälder, Anpflanzungen, Bauart der Häufer u. f. w. beis
gefligt. Wir entnehmen dieſer intereffanten Tabelle folgende Einwohnerangaben
der wichtigften Ortfchaften. Die gemerbihätige Billa Andoain im Oristhale
Bat 1487 E.; Cegama, eine ebenfalls fehr gewerbthätige Villa, mit 3 Fa⸗
briken eiferner Reifen und Schienen, 8 Mühlen u. ſ. w., im Quellthale des
Oria am Fuße des Adriangebirges, Bat 2100 &.; Hernani, Vila mit Streich-
M. Recacho: Memoria sobre las nivelaciones barometricas. 73
hoͤlzchen⸗ und Lichtfabrifen und 3 Eifenfchmelzhütten, in fchöner Vega am
obern Urumea, bat 2363 E.; Mondragon, Billa im Quellthale des Deva
an ber franzoͤſiſchen Heerſtraße, mit 2 Eiſenhütten, einer großen Eiſengießerei,
einer Lederfabrik, 12 Mühlen u. f. w., hat 2120 E.; Onate, Billa in fehr
romantifcher Lage mit 3 Eifenhütten, 2 Eifenhämmern, 15 Mühlen u. f. w.,
bat 5600 E.; Paſages, Flecken mit einer Seifenfabrik, Spißenfabrik, mit Werfs
ten u. ſ. w., hat 1000 E.; St. Sebaftian, Ciudad, Feſtung und Hauptſtadt
von Buipuzeoa, mit einer Tapetenfabrif u. |. w., hat 10036 E.; Tolofa, Ciu⸗
dad und ehedem Hauptftabt berfelben Provinz, reizend im Thale des Oris
gelegen, mit einer Tuchfabrif, 3 großen Fabriken von Papier ohne Ende,
4 Sabrifen von Eifenartikeln, 8 Mahlmühlen u. |. w., bat 7220 E.; Ber:
gara, romantifch am Deva gelegene Villa, mit einer großen Baumwollen⸗
fpinnfabrif, 15 Mühlen u. f. w., hat 6807 E.; Vitoria, Ciudad, Feſtung und
Hauptftabt von Alava, mit 1 Tapetenfabrif, 1 Spiegelfabrif, 1 Goldrahmen⸗
fabrit, 1 Wagenfabrif, 1 Steingutfabrif, 6 Keverfabrifen, 4 Mühlen u. f. w.,
Hat 11266 E. Die zweite Tabelle enthält vie bei den audgeführten Nivelas
tionen der frangöfifchen Heerftraße, ver. Straße von Tolofa nach Navarra,
der Straße von Azpeitin nach Bidania, dem Wege nach Amezqueta, ber neuen
Straße nach Idiazabal bis zum Pafle von Echegärate, der Straße von Onate
Bid zur Brüde von ©. Prudencio, der Straße nah Bilbao von Vergara
bis Elorrio, und der Straße von ©, Sebaftian nach Hernani gemeflenen Hö⸗
ben, im Ganzen 461! Bei jenem Punkte iſt fowohl vie abfolute, als vie
relative Höhe über den vorhergehenden Punkt und die Entfernung beiver
Bunfte in ſpaniſchem Fußmaß angegeben, und bisweilen find noch befonvere
Bemerkungen beigefügt, Die bemerfenswertbeften Punfte find folgende:
. Buß abf. H.
1. Branzöfifhe Heerſtraße. DOrmalztegui (Ausgang) . . . 764,24
i ſFuß) abſ. H. Barrio de Andoaga (Herm. de
Ebene von S. Sebaflin. . . 70,05 ©. Lucie) . .. 868,17
Alto de Miranuz. . . . . 196,15 Puerto de Zumärraga . . . 1349,58
Eingang von Lafarie. . . . 92,88 Zumärraga (Eingang) . . . 1260,50
Andoain (Gi ri 0. 168,79 Billareal (Ausgang). . . . 1277,58
Billabona (PB 210,11 Venta de Glied . . . . . 1312,61
Tolofa (Ausg an N) . 276,88 s = Descarga . . . . 1702,06
Ansgangspunkt der Straße nad Puerto de Descarga . . . . 1762,73
Aypeltia . . . 316 Hermita de fa —8 .. 386,51
Alegtia (Platz). . 358,69 Anzuola (Platz). 826,07
Scaftiguieta (Ausgang) 414,74 Bergara —8 de © Antonio) 522,81
Legorreta (Blab) . . .» » . 461,58 Barrio Zablari . . . 527,49
Sfafondo (Eingang) . 0. 475,66 Buente de Urrieta. . . .:. 601,27
Villafranca GGlatz) 2 2.582,60 Hermita de S. Prubdencio . . 641,66
Beafain (Ausgang) . - 575,07 Auegangepunft | der ‚Straße na
Barrio de Yarza (Ausgang) . 578,68 Dünte. . 648,50
Ansgangepraft der Straße von Caſa Legorre 0... 731,31
Spiazgabal. . . 600,32 Mondragen (Pla) 2020. 757,18
1) 7 fyan. Buß find = 6 parifer Fuß.
74 Neuere Riteratur:
Buß abi. H.
Arechavaleta GPlatz). .3841,16
Escoriaza (Ausgang). . 1006,24
Gaflaäares 8) . 1141,25
Salinas (Eingang) . . 1582,38
s (Auegang) . . 1670,39
Buerto de Arlaban . 2213,93
Grenze von Alava . 2060,28
ulibarri⸗ Gamboa (Eingang) . 1947,29
⸗ uegang)
NArcoyave (Eingang) . . 1849,55
Mendivil (Bingang) . . . . 1836,96
Durana (Bingang)
Betono (Ausgangspunktd. ‚Straße
nad Bilbao) „2. . 1844,22
Bitoria (Playa be ©. Maria) . 1918,92
2. Straße nad Navarra.
Brüde von Ravarra in Tolofa 280,13
Barrio Amaryy . - 816,14
Lizarza (Musgang) - - » - 417,47
Grenze von Ravarra . 424,97
Atallo (Ausgang) . 594,20
Arribas (Ausgang) 604,90
Betelu (Ausgang) . 679,87
Venta de Lezacda . 923,27
Buerto de Aepiroz . 2085,17
3. Straße nad Aypeitia.
DVenta de Muüca . - - . . 963,36
Buerto de Ayzcomuita . . 1792,14
Bivanla . ». . - -» . 1719,42
4. Weg nad Amezqueta.
Dre am Auegange vo von alegria 359,61
. 508,16
Ugart 8,
Ameyqueta (Blat) . 659,62
5. Straße nad) Idiazabal.
Buß abſ. 6.
Ausgangspunkt von ber rangdf-
Strafe . . 607,49
Idiazabal (Eingang) . 262,45
(Ausgang) 779,83
Born de Ravar . . . . . 1022,15
s Urfuarin . . . . 1650,41
Puerto de Cchegaͤrate. . 2362,67
6. Straße von Düste.
Ausgangspunkt in Ormalztegui. 874,82
Gollado de Atagoitia. . . . 1858,43
Barrio de Tellerlarte. . . .
Hermita de S. Erifiöval . . 947,88
Dfiate (Plah) .
Barrio de Zubillage (Cingang) 720, 03
Buente de S. Prudenc . 648,03
7. Straße nad Bilbao.
Ausgangspunkt bei Vergara 552,51
Bergara (Blap) . 534,11
Barrio Ubera (Eingang) 707,59
Elgueta (Pla) . . . 1661,08
Bentas de Pagatza . 1620,67
Glorrio (Plak) . 631,68
8. Straße von ©. Sebaflian
nah Hernant.
Ausgangespunfi . . 31,00
Bentas de Oriamendi 472,85
Hernani (Bingang) 96,04
eringaagepant mit ber Eiroße
nad) Irun 103,13
Die dritte Tabelle enthält die Nefultate ver in ven Gebirgen und an ver
Küfte angeftellten barometrifchen Beobachtungen, im Ganzen 132 Höhebeftim-
mungen! Die wichtigften find folgende:
1. Sauptfette.
. Fuß abi. $.
Monte de Huici . 2981,95
Puerto de Aspiroz . 2035,17
Monte de Albeafu 2151,01
Alto de Irnmugarrieta (hochſter
Punkt des Aralar). .
Alto de Elcumus .
. 5282,25
. 5180,25
Buß abſ. H.
Monte Achu . 3415,16
Buerto de Idia abal . 2... 2330,29
Telegraph von Gehegärate . . 2705,29
Monte Echegärate . 2. 2741,92
Benta de ©. Adrian . . 3731,93
Monte Araz 2» 5196,47
Criſto de Azcorri ). .©% .5511,01
Monte Aria . . 2. 4122,58
2) Diefe Meſſung fcheint ſich blos auf die Kapelle zu begtehen, nicht auf den
daneben (Junto al ©. Erifto) befindlichen Pic, den höchften Bipfel des Aizcorri,
den der Berf. auf 6000' ſchaͤtzt (alfo nicht gemeflen Hat).
Dies dürfte den oben
berührten ſcheinbaren Widerfpruch, welcher aus den Höhenangaben des Wigcorri- und
M. Recacho: Memoria sobre
Buß abſ. 9.
Monte Arurbiä. . . . 3628,00
. Salbagarrain . . 3342,42
s Zarindo . . 3073,74
Peba de Amboto . . 4883,74
Puerto de Burbiäscruc . . 2468,44
Hermita de ©. Antonio S. de
Urgacola) 2... 2652,59
Monte Gorbea . . . . . 5520,39
2. Rebenfetten zwifchen Lezo,
Urumea und Dris.
Monte Achuandi zw. duo und
Umme . . . . . 1100,00
Monte Burunka . . 1828,06
s Mbarra . . 2419,43
s Benavita 1798,07
s Hure. . 2652,44
-BGagtelaech. 2707,70
> Bagota . 2921,55
s Afa . . 3154,87
= Dbavibio . 2938,97
Bico de Naunarri .
Monte Urmola . . . . . 1535,48
s Mranzagumendi . . . 2786,10
s Marinamendi. . . . 2926,67
s de ©. Barbara . . . 2621,22
Gorriti (Bieden) . 00. 2310,17
Air > 0... 1746,32
Albeafu 2 > 2... 1906,72
Drendain = . 1400,84
Ma =... 1044,03
Dlaverria E .0.0 2:00. 781,84
Segura ⸗ . . 868,62
3. Nebenketten wilden Dris
und Urola.
Monte Belcoain . 1808,56
Eraz de Hernio_. . 3818,41
Monte Aldaba üb. Wegrie . . 2038,68
Pico de Murumendi . . 3193,03
Monte Zaspi . .
s SZrapalata .
. 3474,58
. 2285,35
los nivelaciones barometricas. 75
Buß abf. 6.
Monte Nicealecoa . . 2930,37
3 ullloea . . . 1571,84
Soravilla (Ortſchaft) 212,43
Aduna ⸗ . . 777,42
Cizuͤrquil ⸗ . 415,32
Aldaba ⸗ . 1889,94
Ichaſo ⸗ . 1658,53
Gaviria ⸗ . 1587,57
Mutiloa ⸗ 877,56
4. Nebenketten zwiſchen Urola
und Deva.
Monte Satui . . 3118,25
=: Sim . . . 9208,27
BeHas de Alone . . 4653,79
= = Uneola . . . . 2898,70
Bico de Andarto (in der ©. de
Elguea) . . „9825, 34
Peñũas de Aritzorroz ob. Baray
in demſelben Daehitge - " 4108,20
Monte de Eurchichiqu
. 1583,76
5. Nebenketten zwiſchen Deva
und Gampanzar.
Monte Azconavieta . 2604,90
⸗Ingorta . 1862,58
Puerto be Sambanjar . 1646,35
Peua de Udalach. . 3880,59
Monte Murugain. . . . 2764,49
»s ©. Brian. . . 2829,56
6. Küftengebirge.
Bateria del Almirante auf dem
Zaizquibel 740,00
Monte Ulla. 720,08
Orgullo 485,00
gela de S. Clara” 174,00
Monte de Igueldo (ehemaliger
Leuchtthu 662,
one m Welbo (Höäfer ”
kt 1142,00
gyuelbs —8 5 2.49
Möchten recht bald in andern Gebirgsgegenden Spaniens ebenfo gründ⸗
lihe und vollſtaͤndige Nivellationen und orographifche Unterfuchungen ange-
ftellt werben!
Gorveagebirges mit ber Behauptung des Verf, bag
des Baskenlandes fei, erklären.
MM. Willkomm.
erſtes der Höchfte Dergeipfel
Sriefliche MittHeilungen.
Die Oaſe Jezd und die neueften Zuftande der in ihr
lebenden Barfi.
Oftfünöftlich von Ispahan und an dem wefllichen Rande ver ungeheuren
hohen Salzmüfte Perſtens Tiegt unter dem 32° 14’ nördl. Br. nach des fran-
zöftfchen Capitains und fpäteren Generald Trezel Beobachtungen und felbft
ringsum von Wüften umgeben vie merfwürdige Dafe von Jezd, deren Name fchon
im Altertbum in dem des durch Ptolemäus in dieſe Gegenven verfeßten Volks
ber Isatichae vorkommt und die Durch ihre Lage flet3 ein guter Raſtort für
die zwifchen Kerman, Herat, Meſched und Ispahan gehenden Raravanen geweſen
if. Hier verfammeln fich die Handelsleute von Schiraz, Kafıhan, Teheran,
Herat und Iöpahan, und durch dieſe Dafe geben zugleich die Waaren Indiens,
Kabuls, Kaſchmirs, Bocharas gegen Welten. If nun die Onfe dadurch und
durch die Induftrie ihrer Bewohner ein wichtiger Punft für vie Handelsver⸗
bältniffe eines großen Theils von Weſt⸗Aſten geworben, fo bat fich viefelbe
feit Jahrhunderten noch eine andere hohe Bedeutung in ven Augen ver Hiſto—
rifer, Geographen und Ethnographen erworben, indem bier fich vorzugereiie
die Refte der uralten Bevölkerung Perftens mit ihrem Feuer⸗ und Lichtvienfl
erhalten haben, weil dieſen die von jever Militairftraße, jedem Eroberungd-
zuge entfernte und im DVerhältniß zu Kandahar, Kabul, Balk, Herat und an«
deren Punkten gefchüßte Lage ver Dafe eined der ficherften Aſyle gewährte.
Aber eben viefe Befchaffenheit ver Lage war es, welche die Kemntniß von
Jezd und der neueren Zuftänbe ihrer Parfl- Bevölkerung dem Borfchungseifer
ber neueren europäijchen Reiſenden entzog, jo daß nur der britifche Capitain
Ehriftie und der franzöfifche NHeifende Dupre darüber aus eigener Anfchauung
zu berichten vermochten. Die Nachrichten ver beiden genannten Reiſenden und
diejenigen, welche Andere, wie M. Kinneir, Trezel und W. Oufeley aus den Bes
richten der muhamebanifchen Eingeborenen und auch von Parfi über Jezd einzu-
fammeln vermochten, hat Herr C. Ritter in feiner Erbfunde Bd. VII, S. 265
— 286 volftändig zufammengeftelt. In ven Iekten 30 Jahren flofien vie
Quellen zu der Kunde Oft» Perftens fpärlicher, und fo mußte ſchon Hr. Ritter
im Jahre 1842 das Geftänpnig ablegen, daß ver neuere Zufland von Jezd
wenig befannt fei. Um fo erfreulicher ift, daß es Heren Profeffor 3. 9.
Petermann, dem unfere Zeitfchrift ſchon die intereffante Mittheilung über vie
Johannesfünger (Mandaͤer) in Syrien verbankte (Bd. II, 220— 223), im
verfloffenen Jahre gelungen war, die Dafe zu erreichen und über die neue⸗
ſten Zuftände derſelben, fowie über vie der dort lebenden Parfi Kenntnig zu
geben. Wir verdanken Herrn Petermann's intereffanten, im Nachftehenven
Die Dafe Jezd und die neueflen Zuflänve der dortigen Parſi. 77
folgenden Bericht der gütigen Mittheilung des Herrn C. Ritter, der ihn brief-
lichen Nachrichten des Reiſenden an feine Familie entlehnte.
Gumprecht.
1) Reife nach Jezd und Aufenthalt daſelbſt.
„Am 21. Juli (1854) hatten wir nach achttägiger Meife zu Pferde
von Perjepolis immer gegen Nordoſt ven Tängften Marſch, 14 Farſang, wie
unser Muder (Pferbetreiber) und vorbergefagt, vor und. Wir Tamen erft eine
Halbe Stunde nach Sonnenuntergang, 74 Uhr Abends, fort. Die Nacht war
anfangs ſchwül, erſt gegen Morgen wurde es etwas frifcher. Wir ritten ſtets in
öftlicher Richtung durch vie waflerlofe Wüfte, kamen um 9 Uhr an einer
verfallenen Karawanſerei vorbei, wo wir nur kurze Zeit lagerten, ritten dann
in Der nur durch Sterne erleuchteten Nacht weiter und hielten, da und Mattig«
feit dazu nöthigte, abermald an und fchliefen kurze Zeit. Die Karawane war
mittlerweile weiter gezogen, Tein Kührer für uns zurüdgeblieben, und fo ritten
wir auf's Gerathewohl nach und erreichten fle glücklich bei Anbruch des Tages.
Die ganze Nacht war Fein Wafler zu fehen, weshalb viefer Marfch fo ftarf
ift. Dagegen fanden wir viele Salzſpuren auf der Erboberfläcdhe vor '). End⸗
lich nach Sonnenaufgang, nachdem wir bei einem alten Khan vorbeigefommen
waren, fahen wir in der Ferne Bäume und Waflerftreifen, und gelangten um
12 Uhr (di. 7 Uhr Morgens), alſo nach 114 Stunden glüdlichen Rittes,
in Das Dorf Dehfchire, Hinter welchem wir bei einem serfallenen Khane uns
fere Zelte auffchlugen.
Hier war Waſſer zwar nicht im Weberfluß, doc) gerabe genügend. Wei⸗
zen und Gerfte waren Hier fchon theilmeife (mit der Sichel) gefchnitten.
Kleine grüne, fcheinbar unreife Melonen wurden und zum Kaufe angeboten;
Bier waren viele Bäume, meift Weiden, Teine Sruchtbäume barunter.
Sormabend den 22. Juli ritten wir um 2 Uhr Morgens aus; erft zwei
Stunden in der Ebene fort, dann über einen zwar nicht fteilen, aber wegen
der glatten großen Steine fehr befchwerlichen Felspfad. Auf einem Plateau
lag das Salz ganz dicht zu Tage. Der Felſen war theild Schiefer, theils
Eifenflein mit rother Erbe.
Nah 5 Stunden, aljo um 7 uhr Morgens, kamen wir an das ganz
von Belfen eingeſchloſſene, gut bewaͤſſerte, mit vielen Weiden, Pappeln, Nuß⸗
und anderen Bäumen befette Dorf Alyabad, bis zu welchem eine Deputation
von Parfen unferen Reifegefährten von Tafft aus entgegenfam. In Alyabad
ſchlugen wir unfere Zelte auf einem von Bäumen umfchatteten Plate auf.
Sonntag den 23. Juli ritten wir von da das Thal entlang, welches
nicht viel weiter wurde und an beiden Seiten von ziemlich fchroffen, kahlen
2) Die Ebenheit und Salzfülle des Bodens, fowie die Waflerlofigfeit erweifen,
daß das Terrain um Jezd ſchon den Charakter der großen verfifchen Salzwüſte von
Koheſtan an ſich trägt und eigentlich felbit eine Dafe ift. ©.
78 Brieflihe Mitiheilungen:
Felfen umfchloffen war, vie auch Fleine Seitenthäler und Schluchten bilden,
durch einige trockene Strombetten, kleine Bäche und Banäle, und kamen nach
5 Stunden zu dem großen fchönen Dorfe Choräfchn, oder Feruſcha, wie bie
Leute fagten, daß ed in Tafft genannt werde. Kurz hinter demſelben kam
eine neue Deputation von Parfl’8 und einige Taufend Schritt weiter wieder
mehrere, fo daß ed im Ganzen etwa 20 Perfonen auf Eſeln und Maulefeln
waren; nur einer, ver Keihuda, der Vorfänger im Mathe ver Zwölf von ſaͤmmt⸗
lichen Parſi's in Perfien, war zu Pferde. Bei einer Mühle fliegen wir ab,
Iegten und auf Teppiche Hin, welche die Parſis nebft Gurken, Melonen und
Wein mitgebracht hatten, aßen und tranfen, wobei wir bemerften, daß fle die
Becher ſtets mit einem Tuche, nie mit ver bloßen Hand, nahmen.
Dann ritten wir in corpore nach Tafft weiter, trafen unterwegs nod
manche Parft zu Fuß, die Manekofchi, meinen Parji= Heifegefährten aus In-
dien, der von feinen Glaubensverwandten zu Bombay abgefandt war, um bie
noch exiſtirenden Reſte ver Parfi zu Jezd aufzufuchen und darüber zu bes
richten, begrüßten, und gelangten in zwei Stunden nach ber bebeutenven
Stabt Tafft *), wo wir neben Manefofchi dad Haus eined mit Gewalt muha⸗
mebanifirten Parſt zu unferer Dispofition erhielten. Es war fehr heiß. Me⸗
Ionen, Wein, Granaten, Maulbeerbäume u. f. w. wuchſen in und außerhalb
der Stadt in Gärten ?).
Montag den 24. Juli (2 Jahre nad) meinem Eintritte in Damaskus),
famen wir enblich nach Jezd, ohne Zweifel die dftlichfte Stadt, welche. ich be»
fuchen werbe, denn von nun an wenden wir und wieber wefllich nach dem
7 Tagemärjche von bier entfernten Ispahan ?).
Um 2 Uhr Morgens ritten wir aus Tafft in geraber Öftlicher Richtung,
bis etwa 2 Stunden vor Jezd, der Belfenkette links zur Seite, die 1 Stunde
weiterhin auch auf der rechten Seite aufhört. Der Weg zeigte fich fehr
fteinig, und namentlich war die ganze große Fläche vor Jezd fo voll von Steinen,
ale ob fie ein ausgetrocknetes Steinbette ſei. Der Morgen war heiß und bie
Vegetation gleich Null, nur Gärten gab ed, wie in Tafft, und eben fo weit
vor Jezd. Feigen und Granatenbäume hatten bier, wie in Tafft, von ber
Kälte des legten Winters fehr gelitten, viele Bäume waren erfroren. Einige
Stunden vor Jezd kam auch ber Deftur Mobed, ver Oberpriefter ver Varſi,
unferem Heifegefährten entgegen. Seine Kleivung war durchaus nicht ver-
fchieden von der aller Andern; fie beftand in einem fchöngelben Turban und
1) Da Tafteh ein perfiihes Wort für ein Seibenzeug zu Maunelleivern iR und
diefes dem von uns Taft genannten Seidenzeuge entipricht, enblich die Weber des be⸗
nachbarten Jezd berühmt durch ihre Seivenwaaren find, fo tft mit Sicyerheit anzuneh⸗
men, daß das Wort Taft von vem Namen des Ortes abflammt. ®.
2) Diefelben Gewächſe find auch der Vegetation in ben meiſten nordoſitari⸗
ſchen Daſen eigen.
2) Die früheren Berichterſtatter ſetzten bie terun Jezds von —* zu
117 engl. oder 35 — 36 geogr. Meilen an. Ritter VIII, 266.
Die Dafe Jezd und die neueften Zuflände ver dortigen Barfll. 79
einem ode von gleicher Farbe. In A Stunden flarfen Nittes gelangten wir
nach dieſer Hauptiſtadt einer bebeutenden Provinz und dem Sauptplaß ver
perfifchen Parfl, und fanden bei einem wohlhabenden Parſi ein Quartier.
Mein Heifegefährte, der vornehme Parft, heit Manekdſchi Limdſchi Ha⸗
darja. In diefem Namen ift Manek Rubin der Vorname, Limdſchi ber
Name des Baterd, Hadarja der Familienname, ven viele, aber nicht alle Gue⸗
bern noch daneben führen; endlich Heißt dſchi, was jedem Namen beigefügt .
wird, in der Buzarate- Sprache fo viel, ala „Herr”. Manekdſchi's 16 jähri-
ger Sohn, ver ihn begleitete und auch ſchon verheirathet ift, heißt deshalb
Ormuzpfhi, fein Koch Sapurdſchi, fein aus Jezd gebürtiger Secretair und
Dolmetfcher Kai Chosru; auch Hatte Manekdſchi einen Mobed oder Prie⸗
ſter in feiner Begleitung. Unſer Wirth in Jezd, ein vornehmer Gueber, nennt
fih Schirmerd (Ldmenmenn).
Die Zahl ver in Jezd wohnenden Parfen fol an 1200 Männer betra-
gen !), welche jährlich an 4000 Thaler Steuern zahlen müflen; in ganz
Perſien giebt es mehr, ala 3000 Parfi-Bamilien *). Die Guebern von
Adſerbeidſchan betrachtet Manekufchi nicht als feine Blaubensgenofien, ſondern
nur als eine Tegerifche Secte, deren beiliges Seuer aus 72 — 75 Arten von
Beuern bereitet werbe, worunter auch daß einer verbrannten Wittme und eines
verbrannten Hundes fei. Das allein reine Feuer von Jezd bereite man fo,
dag 12 Xöcher neben einander in die Erde gegraben werben; in jedes derſel⸗
ben ſtecke man ein Stüd koſtbares Holz, und daß erfte zunde man mit einem
Brennglad an. Dieſes Feuer verbreite fich bis zu dem Holze im zwölften
Loche und gebe dann das heilige Feuer. Die Barfen von Jezd dürfen pas
Feuer nicht anblafen, da ver menſchliche Hauch vafielbe verunreinige. Des⸗
halb dürfen fie auch nicht Tabak rauchen! Nur in Jezd, Tafft und in eini«
gen umliegenden Ortfchaften in Kerman und in Teheran wohnen noch Par⸗
3, aber nur menige derſelben. In Tafft ſah ich einige Betende; fle wendeten
fich Dabei nach der Sonne (e8 war gegen Sonnenuntergang) und legten ihre
weißen Gürtel ab, vie fie nach dem Schluffe des Gebets wieder umgürteten.
Leider behaupteten fie, gar Keine alten und nur wenig neuere Bücher zu haben.
Trotz aller Mühe konnte ich Feines zu Geftcht befommen ?). Der Secretair
2) Dupre rechnete in ven I. 1807 — 1809 eine noch geringere Zahl, gmlich
nur 4000 Guebern. Ritter a. a. O. 267
2) Dupre berechnete dagegen bie in ben 15 um bie Stabt gelegenen Orten les
benven Parfen allein noch auf 8000 Köpfe. Ritter 267. ®.
2) Roh im 10. Jahrhundert unſerer Zeitrechnung waren die Guebern in.
Jars nach der Geographie von GI Iſtachri im Befike ihrer heiligen Bücher (Orien-
tal Geography by Ebn Haukal ed. by W. Ouseley 114, 116); ja fogar noch im
Jahre 1722 befaß ein fehr gelehrter Bart zu Iegb Ruflam nach Angabe eines muha⸗
medaniſchen Gelehrten von Iſpahan Muhammed Ali Hazar mehrere Werke über die
Religion der Parſi und über Philoſophie, die Ali Hazar ſelbſt bei Ruſtam geſehen
hatte. Dieſe und andere Umſtände veranlaßten W. Ouſeley im Jahre 1819 es fall
„80 Briefliche Mittheilungen:
unferes Meifegefährten verfprach jedoch nachzufehen, ob er mir nicht eines
oder mehrere ihrer Zenpbücher verfchaffen könnte, vie er nach Bagdad bringen
will. Da Biele von ihnen Namen ihrer alten Könige führen, fo kündigen
fie damit den Muhamedanern an, daß fie die eigentlichen und urfprünglichen
Befiger des Landes find und daſſelbe wieder zu haben wünfchen. Dies er:
regt den Fanatismus ver ohnehin fanatifchen Moslems, und bei jedem Könige-
wechfel, wo das Land eine Zeit lang ohne Oberhaupt ift, fallen viefe über
fie Her, mißhanbeln, tönten wohl auch und berauben die armen Parſi's und
nehmen ihnen namentlich (wie fie fagten) ihre Bücher weg, fo daß ihnen nichts
übrig bleibt, wahrfcheinlid) um das Gedaͤchtniß an ihre Vorfahren bei ihnen
zu verwifchen. Ein Bruder unferes Wirths war bei dem legten Thronwechſel
auf dieſe Weife ungefommen. Wir konnten und auch felbft von der Unier«
vohrfigfeit ver Parſi's überzeugen. Oft famen Muhamedaner, um und gleich-
fam als Wunberthiere zu fehen, da Fremde überaus felten in dieſe Gegenven
eindringen. Unſer PBarfiwirth verhinderte fle nicht nur nicht, fondern nahm
fie auf das Freundlichſte auf und ließ ihnen Pfeifen reichen.
Die Parfen wiſſen nicht mehr, wie ihre Altvorbern ihre Todten begra-
ben haben, weshalb unfer Meifegefährte den Auftrag Hatte, Die Gräber von
Nakſchi Aufem genau zu unterfuchen, Seht begraben fie die Leichen nicht
mehr, ſondern haben für viefelben außerhalb ihrer Wohnorte hehe Thürme
mit einer Treppe von außen erbaut. Oben ift ein Bitter und zugleich find |
auf zwei Seiten Rinnen, mwoburc der Regen abläuft. Die Mitte ift Teer
und hohl, ein Koch, welches bis auf ven Grund geht. Zunächit derſelben
find rund herum Stellagen oder Lagerftätten für bie Leichen ver Kinder, dann |
eine Abtheilung für die ver Frauen und zuleßt eine für bie ver Männer.
In alter, weißer Kleivung werben die Leichen von 8 bis 24 Männern, je |
nachdem ver Verftorbene reich over angefehen ober arm war, abmechfelnd ta- |
hin getragen. Auch Geiftliche folgen, und zwar paarweife von 2 big 30, je
nach dem Reichthum. Eine Thüre des Thurmes ift von außen verfchloflen,
Tann aber von innen, fal8 Einer wieder aufleben follte, geöffnet werben; fie |
führt auf den nicht fehr Hohen Ihurm, der oben 80 Fuß im Durchmeffer hat.
Menn alle Bretter mit Leichen belegt find (man fängt von ver Weitfeite an), Ä
fo werben die Gebeine in dad Mittelloch geworfen, wohin auch der Hegen
von allen Seiten abläuft, und die Bretter werben auf’d Neue gebraucht. Ties
geichieht von den zwei Trägern, die übrigen Begleiter fichen auf einen ke: |
als gewiß anzufehen, daß ein einfichtsvoller europäiſcher Neifender, der die Haupt:
fige der noch beftehenden Gucher: Gemeinden in Perfien bereifen würde und fich das
Vertrauen ihrer Vorfteher zu erwerben im Stande wäre, einen reichlichen Lohn für
feine Mühe und Forſchung durch Auffiudung von Denfmölern und Echrijten erhalten
dürfte. Ouſeley's Unterredungen mit einem Parſi hatten ihn fehr begierig gemacht,
biefe literarifchen Schäpe zu heben (W. Ouscley, Travels in various countries of Ihr
East. 11, 359), woran ihn jedody feine perfönliche Stellung, wie er fagte, hinderke
Die Dafe Jezd und die neueften Zuftänbe ber dortigen Parfl. 81
tonveren Plage. If das Mittelloch ganz angefüllt, fo wirb, wie jetzt in
Jezd gefchieht, ein neuer Tobtentburm gebaut.
Vielweiberei haben fie nicht, daher auch Teinen Haren‘ Wenn ein Parſi
mannbar wird, jo erhält er.einen härenen Gürtel, ver nach der Verficherung
der Jezder Juden von Hundshaaren fein fol. Die Prieſter follen nichts eſſen
, bürfen, was fle nicht felbft gefchlachtet und vorbereitet Haben. Die Prieſter
ber unterften Klaffe beißen Mobed's, über ihnen ſtehen vie Deftur Mobed's,
und über biefen wieber die Defluran Deflur. Der Jezder Oberpriefter hat
12 Deflurs unter ſich; außer ihm befindet fih in Bombay noch ein anderer
Deſturan Deſtur für die dortigen Parft. Unter den Safjaniden Hatten vie
PBarft einen alleroberflen Priefter, unter welchem alle Anveren flanven. Dies
jer hieß nach Maneivfchi’8 Behauptung Schahfchän (vielleicht Schahi Schahan,
König der Könige), woher ver Name Saflan, bekanntlich der der Saſſaniden⸗
Donaftie, kommen fol, und er hatte venfelben Namen, wie der jedesmalige
König, der fi} feinen Befandten nannte und unter ihm fland.
Nach Manekdſchi's Verficherung giebt es in Indien keine Secten unter
den bortigen Guebern. Der einzige Unterfchied zwiſchen ven inbifchen und per
fiſchen Guebern fol der fein, daß die legten um einen Monat weiter in ihrer
Zeitberechnung find. Die Guebern rechnen das Sonnenjahr zu 365 Tagen
und legen nad je 120 Jahren einen Monat zu, mas bie inbifchen einmal
unterlaffen haben follen. Jever Tag, jeder Monat hat feinen beſonderen Nas
men; eine Wocheneintheilung kennen fie nicht.
Seit einigen hundert Jahren haben fich die perfifchen Parſi einen beſon⸗
deren Volksdialect aus der perfifchen Sprache gebildet, welchen die Moslems
nicht verfiehen. Dies if die Deri⸗Sprache, in verfelben wird Die Pehlvi⸗
Sprache das Huswärefch genannt ?).
Da fie ſich fo fehr vor den Muhamebanern fürchten, fo Haben fle in
Berfien keine allgemeinen Ateſchgahs (Feueraltaͤre), fonvern jeder Hausvater
bat in feinem Haufe einen Fleinen ver Art, vor dem er feinen Gottesdienſt
verrichtet ?). Sie halten viefelben aber fehr geheim, fo daß wir nie einen
Atefchgah fehen over einem Gotteövienfte beiwohnen Fonnten.
Es ift fehr übel, daß jetzt Jezd zugleich unter ven Gouverneur von
Kermän fleht; Kermän, ald Hauptſtadt der Provinz, ift auch feine Nefivenz.
In Jezd bat er feinen Sohn, einen Yjährigen Jungen, zum Statthalter ein-
gefeßt, der wieder einen Stellvertreter hat. Da nun Jezd ganz außer aller
Berbindung mit ver Hauptftraße Perftens ift, fo ift e8 fein Wunder, daß bie
moslemiſche Bevölkerung fich Vieles herausnimmt und nur geringe Furcht vor
1) Noch im 10. Jahrhundert Hatten die perfifchen Guebern in Bars neben dem
Parſi das Pahlavi (Pehlvi) als gewöhnliche Schriftfprache ihres Adels und ihrer
Priefter in In aebrauf Onfeley 111, 357. G.
2) Ouſeley hoͤrte im —* "hiefee Jahrhunderts, daß den Parſi von Jezd vom
Gouvernement der Gebrauch von 4 Ateſchgah's geftattet fei. Ritter VIIT, a2.
Zeiiſchr. f. allg. Erdkunde. Br. V. 6
82 Briefliche Wittheilungen:
ihrem Gewalthaber bat, dem auch nur wenig Leute, als feine Diener, zu Ge
bote ftehen. Kein Parſi darf ſich unterfichen, auf dem Marfte fich Hinzu-
fegen, und auch in ihren eigenen Häufern feen fie fich exft, wenn die anwe—
fenden Muhamebaner ihnen die Erlaubniß dazu gegeben haben. Gleich ihnen
und vielleicht noch mehr als fle, werben bie Juden in Jezd bebrüdt. Die Juden
leben überhaupt in ganz Berften unter ſtarkem Drud, aber vieleicht nirgends
fo fehr, als in Jezd. Einige von ihnen tragen einen weißen Turban, aber Alle
müflen auf ihrer Bruſt ald Abzeichen ein rundes Stüdchen Zeug, weiß mit
rothem Kreife, aufgenäht tragen. Died hat etwa vie Größe eined Viergro⸗
fchenftüds. Sie find fammtlich Weber; auch fie Elagen barüber, daß bei je
dent Thronwechfel eine allgemeine Plünverung der Raja’d, d. i. der nichtmos⸗
* Jemifchen Unterthanen flattfindet. Wir jelbft Hatten Gelegenheit, und von ver
Unbändigkeit ver Jezder Moslems gegen die Sremben zu überzeugen, bem
ald wir, um die großen und fchöngewölbten Bazard einmal zu befehen, eines
Tages dahin gingen, fammelte fi bald ein großer Haufen alter und junger
Zeute um und ber, der immer mehr wuchs und ven Weg verfperrte, fo daß
wir nur mit Mühe noch durchkommen fonnten. Unſere beiden Diener, ver eine
ein Muhamedaner, ver andere ein Jude, der fich aber auch für einen Moslem
ausgab, fuchten erft durch friebliches Zureben, dann mit ihrer Peitfche pas
Volt zurüdzutreiben, wurben aber dafür tüchtig burchgeprügelt. Eine Wache
in der Nähe fagte ihnen, fie ſollten jich felbft Helfen, während ver Gouver⸗
neur, den man um Hilfe anfprechen wollte, fchlief. Wir flüchteten in das
Haus eines jüpifchen Rabbiners und ließen und von dem Kethuba, dem
Borfteher der Guebern, 2 Mann zur Escorte bringen. Mein breitfrämpiger
weißer Hut, ift e8 beſonders, was den Drientalen, zumal in Gegenden, wohin
nur wenig Brembe kommen, aufflel. Ein Saiv (Nachkomme des Prophe⸗
ten Aly) fagte und, das Volt glaube, wir Franken trügen folhe Schirme an
unferen Hüten, um nicht in den Himmel zu fehen, wohin wir ja doch nicht
fommen fönnten, denn einem Ghriften fei verfelbe, wie jedem Nichtmoslem,
verfchloffen.
Natürlich Hatten wir kein großes Verlangen, weitere Befuche und Spa-
ziergänge in der Stabt zu machen, die überhaupt wenig Sehenswerthes dar⸗
bietet. Das einzige und bier Auffallende waren Kleine thurmartige Auf⸗
füge, die an allen vier Seiten Löcher nach unten hatten, und Budgi's d. 5.
„Windfänge* genannt werben, weil fie dazu dienen, ven Wind nach den un-
teren Gemaͤchern zur Abkühlung zu leiten. Die ganze Stabt ift mit einer
Lehmmauer umgeben, bat einen bedeutenden Umfang und fol nach der Bes
Hauptung eined moßlemifchen Mollah (Belehrten) 100,000 Einwohner zählen,
was offenbar übertrieben iſt ). Viele Häufer Tagen hier, wie in allen per
fifchen Städten, in Ruinen.
1) Fraſer gab in Uebereinſtimmung mit Gapt. Ehriftie 50,000 Einwo
bie Stadt Jezd an. Ri 8 pt. Chriſti in obere für
Die Dafe Jezd und bie neueften Zuftänve der dortigen Parfl. 83
Kurz nach unferer Anfunft fchidten wir unfer Empfehlungsfchreiben an
ben Stellvertreter des Stellvertreters des Gouverneurs, ber und ben Freitag
zu fehen wänfchte. Als wir an diefem Tage zu ihm ſchickten und ihn fragen
ließen, ob ihm unſer Befuch genehm wäre, ließ er uns fagen, er wünfche und
lieber den Sonnabend zu fehen, da Freitag ihr Feiertag fei. Wir Tießen uns
dies gefallen und fchidten am Sonnabend abermals zu ihm, worauf wir den
Beſcheid erhielten, er fei nicht dazu aufgelegt und wünfche vielmehr ven fols
genden Sonntag unferen Beſuch. Das war und außer allem Spaß; wir
ließen Manekdſchi allein zu ihm gehen und ihm fagen, daß dies unfer Feier-
tag fei, und wir daher nicht kommen koͤnnten.
Unfere Ankunft in Jezd mußte fich, wie ein Lauffeuer, verbreitet ha⸗
ben, denn ſchon am nächftfolgennen Morgen ganz früh kam ein Rabbiner
mit mehreren anberen Juden, um meinen Reifegefährten, Mr. Brühl, einen
englifchen Mifftonar, zu befuchen, und kurz barauf ließen neun Hindu⸗
Kaufleute aus Sind, und zwar aus Schifarpür am Indus, das erft feit
5 Jahren unter englifche Botmaͤßigkeit gekommen war, und fragen, ob fie
uns ihre Aufwartung machen bürften. Sie fanbten einen Diener mit gros
Gen Präfentirtellern vol Kandis und zum Geſchenk voran, und traten kurz
darauf felbft ein. Ale waren grün gefleivet und trugen bie hohe perfifche
Belzmüse, Gulah genannt. Sie waren ſaͤmmtlich auf der Mitte der Stirn
gezeichnet. Die meiften hatten dad Zeichen [T, der eine, ver Vorſitzende der⸗
felben, ein anderes (K), wovon ver obere Theil weiß war; einer ober zwei
Hatten auch das Zeichen (8) gelb. Sie boten uns ihre Dienfte und fo-
gar Geld an, fo viel wir deſſen bebürften, ein Zeichen, wie gut der englifche
Name bei ihnen angefchrieben fein mußte, denn fie Bielten und für Englän-
der °). Sie waren nur gekommen, bier ihre indiſchen Waaren zu verkaufen.
Da wir jenoch bald einfahen, daß ein langer Aufenthalt in Jezd uns
Beiden nicht von großem Nußen fein würde, fo mwünfchten wir nach wenigen
Zagen weiter zu reifen. Allein Dir. Brühl's Bedienter hielt und von einem
Zage zum andern Hin; ber Grund war, weil er ſich auf Eurze Zeit verhei⸗
ratben wollte, was dort oft gefchieht. Fremde Moslems thun das in Jezd
oft, und rauen und Mädchen gehen zu einem Mollab, bei vem fie ſich ein»
fchreiben laſſen. Diefer macht dann den fchriftlichen Contract und flipulirt
ven Kaufpreis. Mahmuds, des Diener, Wunfch fcheiterte daran, daß Fein
Frauenzimmer ſich auf fürzere Zeit, als einen Monat, mit ihm verheirathen
wollte. Er mußte füch endlich doch dazu bequemen, und Muder und Pferde für
Iſpahan zu frhaffen. Da ſie, wie er verficherte, Die einzigen in Jezd gerabe
anmefenden waren, fo verlangten fle mehr Lohn, ald gewöhnlich. Nach vielem
1) Diefe Angaben ſtimmen fehr wohl mit ven in biefer Zeitfchrift Bb. IV,
©. 477 mitgetheilten über die Autorität überein, bie ſich die Engländer in fo kurzer
Zeit bei den Bingeborenen der nen acquirirten Provinzen am Indus erworben haben.
6*
84 Briefliche Mittheilungen:
Hins und Herreden verfprachen wir ihnen envlich für ein Maulthier bis Iſpa⸗
Han (7 Xagereifen) 90 Kaan, etwa 10 Thaler. Da fle den folgennen Mor:
gen aber, wie verabrebet war, nicht kamen, Alles zurecht zu machen, fo fchid«
ten wir zu ihnen. Sie gaben und zur Antwort, fle wollten nun gar nicht
nach Iſpahan gehen, da fte aus Schiraz wären; dies gefchah, um noch mehr
Geld von und zu erprefien. Wir ließen fie zu und fommen und drohten, fie
durchzuprügeln und in das Gefängnig werfen zu laſſen, worauf fle envlich
nachgaben.
Unfer Wirth drückte wieberholentlich fein großes Bedauern aus, daß mir
ihn ſchon wieder verlaffen wollten. Er fagte, feit unferer Ankunft fei es hell
in feinem Haufe geworden, nun aber werde wieber Binfterniß in demſelben
eintreten.
Am Tage unferer Abreife waren wir noch von Hrn. Manekofchi zum
Mittagefien eingelaven worden, wobei es viele Gerichte gab, und wir gendthig:
wurben, dem Jezder Weine ſtark zugufprechen, ver aber nicht befonber8 gut
ift und zumal einen Nachgeſchmack nach Juchten Hat. Manekdſchis Sohn,
fein Secretair und ber Kethuba, den man zuvor einmal mit Gewalt zum
Moslem gemacht Hatte, worauf er in Dfehulfa (Iſpahan) in eine armenifche
Kirche geflohen war und fi von da aus von dem König einen Firman, daß
er wieder zu feinem Glauben zurückkehren dürfe, verfchafft hatte, aßen am
zweiten Tifche. Sie genofien Fein Bleifch, tranfen aber Wein und faßten vie
Glaͤſer ohne Tuch an, weil fle ſich vorher gewafchen Hatten.
Hier, wie in Ifpahan und andern Orten, müſſen die Felder alle 10 Tage
bewäflert werben, was aber in Jezd, wo es Ganäle giebt, weit leichter, als
in Iſpahan ift, wo bie Gärten aus einem tiefen Brunnen gefpeift werben,
aus welchen man das Waſſer mit Büffeln herausholt. Unterbleibt dies ein-
mal, fo gehen Feld⸗ und Gartenfrüchte zu Grunde. Regen giebt es auch
bier, wie in Iſpahan, das ganze Jahr nicht. Jedoch Hatten wir einmal zu
Jezd in der Nacht kurze Megenfchauer, vie und faft von unferem Lager auf
dem Dache herunter getrieben Hätten.
2) Reife von Jezd nah Ifpahan (vom 5. Auguft 1854).
Erft 3 Stunden nach Sonnenuntergang kamen wir fort und hatten ziem-
lich eine ganze Stunde durch die Stabt zu reiten; wir gelangten dann in bie
große flaubige Ebene, die in weiter Berne zur linfen Seite von kahlen Felſen
umgeben war, jo daß alfo auch die Felſenkette zur Rechten nicht, wie ich
früher glaubte, aufhörte, ſondern ſich nur weiter zurückgezogen hatte und Sest
umſchloß.
Lange ritten wir durch eine troſtloſe Wüfte ohne alle Vegetation; ſelbſt
fein Grashälmchen, Fein Dornenftrauch war zu fehen. Nach 24 Stunden
erreichten wir ein langes balbverfallenes Dorf mit Waffer und Bäumen, Mä-
mebabad (fo fpricht man Bier für Muhamerabad) und eine Stunde fpäter
Heife von Jezd nach Iſpahan. 85
ritten wir theils vorbei, theil® durch ein eben folches theilmeife verfallenes
Dorf, welches unfer Mucker Eſchkoſer (Esfiver?) nannte. 3 Stunden darauf
gelangten wir an das Dorf Hymnudabad (?), welches links von der Straße
lag und mit Bäumen und Anpflangungen von Baummolle und Ricinus ver-
fehen war. Eine halbe Stunde fpäter kamen wir nach Efiabad, wo wir bei
dem Gottesacker hinter dem Dorfe unfer Zelt auffchlugen, In und außerhalb
des Dorfes war ein Khan, in dem wir aber nicht bleiben wollten; uns ſüd⸗
weſtlich gegenüber lag ein anbered Dorf, Sad'rabad, etwa 4 Stunde entfernt.
Der Tag war ſehr heiß, aber das dortige Wafler vortrefflih. Einen großen
Theil ded Tages brachten wir in dem Leichenhaufe zu, wo es fchattig und
fühl war, und ſich Viele um und verfammelten. In dem binteren Theile des
Leichenhaufes befanden fich drei Hohe Stufen an ver Wand, auf denen wahre
fcheinlich der Iman fleht, um über ver Leiche zu beten. Rechts und linfs
waren zwei Bemächer, veren jedes ein Grab enthielt. Gegen Abend famen
viele Frauen, und um Urzeneien für ihre Leiden zu bitten.
Den 6. Auguſt. Nach kurzem Schlaf ritten wir in der Nacht in weſt⸗
licher Richtung fort. Der Weg war und blieb fo flaubig und vegetationd«
los, wie vorher. Kurz nach Mitternacht kamen wir an einem lang auẽge⸗
tehnten Dorfe vorüber, dad und wieder Mamedabad (Muhamedabad) genannt
wurde. Vorher aber fihon und zwar nur 4 Stunde nach unferem Ausritt
Hatten wir links vom Wege in einiger Entfernung ein Dorf, Tſchebaͤrdeh
(Bierborf) genannt, weil e8 in vier Abtheilungen gebaut war, und rechtd an
der Straße eine eingefallene Rarawanferei gefehen. Später kamen wir noch
bei mehreren verlaffenen Dörfern und Imänfäpes (Gräbern von Heiligen)
vorbei, und + bi8 2 Stunden hinter Maͤmedabad an das lange Dorf Meidls
Schar (die Dörfer find immer dem Waller entlang gebaut), dann durch ein
Thor, Hei welchem ein Abanbar (Watlerbehälter) war. Weiterhin war das
Erdreich auf eine merkwürdige Weife zerrifien und vielfach eingefunfen, was
wahrfcheinlich von Erdbeben herrühren mochte, theilmeife aber auch wohl von
dem Waffer, welches fich gewaltfam einen Weg vurchgebahnt hatte, bis zu dem
großen, theilmeife ebenfalls verfallenen und verlaffenen Dorfe Meybüd, wo
Baummolle und Ricinus gepflanzt waren. Wir ritten noch bis zu dem einen
Büchfenfchuß davon entfernten Dorfe Bivabad d. h. Weidendorf, wo ich aber
feine Weiden, ſondern nur Fruchtbäume ſah, wo wir gegen 10 Uhr arabifch
(5 Uhr Morgend nach Frankenuhr) anlangten und unfer Zelt auf einem freien
Plage vicht am Wege auffchlugen. Gute grüne Waffermelonen machten uns
die Hitze ded Tages etwas erträglicher. Auch hier, mie aller Orten, findet
fich viel Anbau von Baumwolle, und die Ränder find mit Ricinus bepflanzt.
- Wir fahen viele Schafe und Ziegen, erfuhren aber, daß dieſelben nicht von
bier jeien, fondern aus dem fruchtbaren Schiraz hierher zum Verkauf kommen.
Bidabad Hat kein Vieh, außer Efel, und dad Wafler ift fo gering, daß es
faum für den Bedarf binreicht. Ueberhaupt fol es von Jezd bis Iſpahan
86: Briefliche Mitiheilungen:
feine einzige Duelle geben. Ban findet hier erſt 120 Spannen tief Waſſer,
welches dann mahrfcheinlich in die Höhe geleitet oder berausgepumpt wird.
In Birabad wird auch Wein und Gerfte gebaut, das Land wirb nicht
geduͤngt, aber nad) jevem Jahre ein Jahre unbenutzt gelaffen, weil bier Kein
Mangel an Land if. Der Dünger, den man forgfältig wegfchafft und aufs
bewahrt, benugt man entweber für Gurken, Melonen u. f. w. oder ald Brenn
material. Die Bewohner find bier faft überall arm; fle nähren ſich nur
fümmerlich und vie Frauen weben orbinaire Zeuge.
Eine Viertelftunde ndrvlih von Bidabad liegt das Dorf Debabad und
2 Stunden davon in berfelben Richtung Aerdegün, ein Städtchen, worin viele
Guebern fein folen. Auch in Meibüp follen früher viele Guebern in Hoͤh⸗
Ien, die noch fichtbar find, germohnt haben. Bidabad hat viele Maulbeer⸗
bäume.
Dienftag den 8. Auguft Hatten wir eine weite Tour (alfo war wohl ver
7. Auguft ein Raſttag?) von 12 Barfang vor und und mußten uns gefaßt
machen, 12 Stunden und länger auf unferen Thieren zuzubringen, venn 1 Far⸗
fang, etwa fo viel, ala 1 Lieue, ift nach PBerferberechnung oft fall 2 Stun-
den lang, zuweilen auch weniger ald 1 Stunde. Wir ritten veshalb gleich
nach Sonnenuntergang fort, zuerft nordweſtlich 4— 5 Stunden im ärgften
Blugfande, hei mehreren Karamanfereien und verfallenen Bauten vorbei; bie
Begetation war fehr fpärlih. Nur einzelne Dorngefträuche, worunter auch
Kapperfträucher ftanden, und ein wohlriechenned Kraut niit Kleinen Knospen
ohne Blätter waren zu fehen. Wir bemerften bier und ba unterirbifche Ca⸗
näle, 2 bis 3 Fuß tief, und tiefe Brunnen, zu welchen Stufen führten.
Links und rechts Tiefen kahle Belfenketten; vie zur Mechten, welche ent⸗
fernter waren, ſchienen nach 6 Stunden aufzuhören, wenn fie nicht, was
ich troß dem Vollmond wegen des Dunftkreifes nicht bemerken konnte, fid
noch weiter entfernen. Nach 5 Stunden wurde der Erdboden fleinig, und,
wie ich fchon früher bemerkt Hatte, fchienen wir mehrmals durch ausgetrod«
nete Betten von Bächen, die vielleicht durch flarke Negengüfle im Winter ge:
bildet waren, zu reiten. Nach 5ftündigem Mitte Famen wir bei einem Dorfe
vorbei, wo mehrere Bäume ſtanden. Wahrfcheinlich Tſchfte, welches vierfach,
wie Bidabad, fein follte. Nach Angabe unferer Muder ift es verlaflen und
verfallen. 34 Stunden fpäter kamen mir wieder bei einer porfähnlichen Stelle
vorbei, was aber nur Gärten fein follten. Wir bemerften Gebäude (?), unter-
irdifche Candle und vielfady zerfpaltenes Erdreich. Diefe Spalten find nicht
Folgen von Erdbeben, welche in dieſen Gegenden, wie in Jezd, gar nicht vor⸗
kommen. Sie ereignen ftch, nach der Verficherung unſeres Sald, nur in ver
Nähe des Meeres, z. B. in Schiraz (?!), und entſtehen angeblich von den fies
fen Ahemzügen des Meeres. Eine halbe Stunde fpäter gelangten wir nad)
dem fchönen, theilweife ummauetten, mit einer Beftung verfehenen Orte Aghda
(Agdeh nach Trezel auf Kiepert's Karte). Gleich am Eingange ſieht man ein
Reiſe von Jezd nach Iſpahan. 87
neue ſchoͤne Karawanſerei, in deren Mitte ein ſchoͤnes 4 eckiges, oben 8eckiges
Minaret, gegenüber einer Moſchee, ſich befindet, Hier waren auch Bupgis
(Windfänge), wie in Jezd. Noch andere Karawanjereim giebt es, überall
mit Maulbeerbäumen umgeben. Hier ſah ich auch zum erften Male wieber
zwei Balmen. Außerhalb des Dorfes auf einem fchönen Plate fchlugen wir
unfer Zelt auf. Gier, wie in Bidabad, fanden wir zum erſten Male dffent«
liche Appartementd, davon zwei nahe unferem Nuheplap waren. Das Waffer
war nicht gut; e8 Hatte einen fchmwefeligen bittern Gefchmad,
In der Naht vom 11. zum 12. Auguft bemerkte ich kurz vor meis
nem Einmarfche in Iſpahan eine ungewöhnliche Menge von Sternfchnuppen,
bie aber ſtets cometen⸗ oder rafetenförmige Streifen Hinter fich hatten und
einen den Leuchtkugeln ähnlichen Punft zeigten, zuweilen verfchwanven, bald
auch wieder zum Vorſchein kamen, und zwar fletd am wefllichen Horizonte.
Die folgenden Nächte waren vergleichen zu Ifpahan wenig bemerkbar, wohl
aber wieder in der Nacht vom 18. zum 19. September auf dem Wege von
Hammadan nach Bifutan.“ ©. Ritter.
Herr A. v. Humboldt, den Herr C. Ritter die erwähnten meteorologiſchen
Beobachtungen mittheilte, erfreute ſich derſelben lebhaft. „Man begreift,“
ſchrieb derſelbe unter dem 20. April dieſes Jahres an ven Lehztgenannten, „daß
die trockene perſiſche Luft bei ihrer oft beſungenen Durchſichtigkeit zu Beob⸗
achtungen anregt. Der 12. Auguſt iſt nur ver etwas verfpätete Termin des
auf den 10. — 11. Auguſt fallenden Laurentiusſtroms. Von dem glühen⸗
den Trachen des Heiligen, wie eine Chronik in Bezug auf die Licht⸗
phänomene des Raurentiustages fagt, bis zum 19. October ift mir bis jetzt fein
einziger großer Sternfchnuppenfall befannt (Cosmos III, 605)." In Bezug
auf viefen Ausfpruch des berühmten Forſchers, der den meteorifchen Lichtphä«-
nomenen eine fo umfaflende Aufmerkſamkeit gewidmet bat, ift es vielleicht von
Intereſſe, zu bemerfen, daß der verftorbene afrikaniſche Reiſende I. Richard⸗
fon nach dem währenn feiner letzten Reife gehaltenen Tagebuche vor dem 19.
October wiederholt zahlreiche leuchtende Meteore während feined Aufenthalts
zu Zin Tellus im Lande Ahir beobachtet Hatte, denn unter dem 4. October
1851 fagt er, daß in ven klaren Nächten eine fehr große Zahl von Meteoren
über feinem Kopfe ſich Hin und ber bewegt Hätte; faft eine Minute lang dauerte
die Bewegung der einzelnen Phänomen. Einige leuchteten ſchwach und erfchienen
nur für einen Augenblick, während andere fehr ſchoͤn waren und einige Secunden
lang ſichtbar blieben (Narrative of a Mission to Central Africa performed in
the years 1850 — 1851. I, 10). Ebenfo beobachtete Richardſon dort am
8. Octbr. um 74 Uhr Abends ein Phänomen, wie er nie zuvor gejehen, nämlich
ein ungebeured, etwa 2 Minuten dauerndes Kichtmeteor, welche am füblichen
Horizont in nicht bedeutender Höhe über die Hälfte des Himmels in einer
wenig gefrümmten Bogenlinie von DOften nad) Welten dahin ſchoß, einen
88 Miöcellen:
Schweif wie ein Comet befaß und um feinen Kopf ein blaues Licht von
außerorbentlicher Intenſitaͤt glühend hatte. Er und Alle, welche das Meteor
fahen, fchrien vor Erflaunen auf. Darauf bemerkte ver Reifende nach Ver⸗
lauf weniger Deinuten noch viele Eleinere Meteore in berfelben Richtung, und
zwar einige in geraber (horizontaler? ), andere in abfleigenver Linie, am Him⸗
mel dahin ſchießen (a. a. ©. II, 19). Gumprecht.
Miscelſlen.
Die große Einſenkung der Erde in der Mitte des alten
Continents.
(Bei gelegentlicher Vorzeigung der E. v. Sydow'ſchen Waudkarte von Aflen im ber
Geographiſchen Geſellſchaft.)
Die lehrreichen Begleitworte, welche Herr E. v. Sydow ſeiner dritten,
zu Gotha bei J. Perthes herausgegebenen Auflage der Wandkarte von
Aſien beigegeben, machen ed unnöthig, die Verdienſte dieſer vortrefflichen
Arbeit für den geographiſchen Schulunterricht noch insbeſondere hervorzu⸗
heben. Die Begleitworte (S. 1— 19) reichen ſchon Hin, zu zeigen, mit wie
großer Gewifienhaftigkeit und ernfter Forſchung dieſe Kartenarbeit ausgeführt
wurde.
IH wi nur mit wenigen Worten auf die Darftellung ver großen aralo-
caspiſchen Erdſenkung hinweiſen, welche auf dieſer Karte fo überſichtlich und
anfchaulih in ihrem Geſammtzuſammenhange durch zwedimäßige Zeichnung
und Farbung niedergelegt erfcheint, wie mir dies noch von feiner anderen
Kartenvarftelung befannt geworten iſt.
Zwei große Hauptlinien der grünen Flächen, moburch die Niederung ded
Landes meift unter 500 Buß abfoluter Höhe bezeichnet ift, ziehen fich in dias
gonaler Richtung, die eine von NW. gegen SO. durch die ganze Mitte Eu⸗
zopa’8, auf der Grenze des ſüdlichen Gebirgslandes und des flachen nörkli-
chen Niederlande Hindurch, von Holland bis zum Südoſtwinkel des caspifchen
See's gegen Afterabad; die andere Kinie, weniger beftimmt hervortretend, von
NO. gegen SW. auf ähnliche Weile, am Oſtrande ver obifchen und aralis
chen Niederung durch ganz Weft- Sibirien, bis zu demſelben Sübenbe des
caßpifchen Binnenfee's Bin.
Hierdurch bildet fich ein mächtiger gegen Süden gerichteter ftumpfer Winfel
eines Tieflandes, das, ſich gegen den Norden immer breiter ausdehnend, vie
enorme Breite eined Triangeld erreicht, ver von Holland und dem Mheinvelta
norboftwärts bis zum Mündungslanve des Jeniſei (zueifchen 20 bis 100° öfl.
Die große Einfenfung der Erbe in der Mitte des alten Eontinente. 89
Länge) ſich gegen 1000 Meilen weit auspehnen laͤßt, und veffen Umfang
über 200,000 IPkeilen faft außfchlieglich mit europäifchem und aftatifchem
Zieflande erfüllt if. Denn allein die Meriviankette des Uralſyſtems durch»
ſchneidet dieſes Tiefland in einer Strede von 250 bis 300 Meilen von Nor⸗
ven nad Süden, und theilte erſt deſſen früheren uniformen Zufammenhang
durch ihre im geognoftifchen Sinne jüngfle Emporhebung in eine europäifche
und eine aflatifche Seite der Niederung.
Auf dem Südrande des mitteleuropäifchen Tieflandes, das von NM,
gegen SO., von Holland bis zur Wolga unterhalb Kafan am Weſtfuße des
Ural fortftreift, durch Norddeutſchland, Sachfen, Schleflen, Galizien, bis zur
Ukraine, nach Moskau und Kafan, Liegen vie folgenden Orte an ven gemefle-
nen Stellen auf insgeſammt einer geringen abfoluten Höhe vertbeilt: Amfter-
dam = 0’ im Spiegel des Oceans; Münfter und Paderborn 300 bis 400’;
Hannover 240’; Hildesheim 214’; Braunfchweig 200’; Magveburg 128’;
Berlin 100’; Leipzig 300’ (?); Wittenberg 204’; Dredven 280’: Breslau
375’; Brieg 424’; Krakau 669’; Warfchau 330’; Pinst 408’; Mosfau 325’;
Kafan 270’ Uferhöhe (Wolgas Spiegel 54’); Saratom 36’; Sarepta — 30’
unter dem Niveau des Oceans.
Nur die einzelnen Borfprünge des weftphälifchen Sauerlanves, des Teu⸗
toburger Waldes, des Wefergebirges, des Harzes, der Lauſitzer Höhen, bed
Miefengebirges, der Tarnowiger Höhen, ver Karpathen, der Plateaus von
Podolien oder Goch» Polen (bis 1000’), bilden mit ihren Ausläufern vie
Borgebirge dieſes Tieflandes, zwifchen denen fich die tiefern Buchten des Nie⸗
derlandes bie und da fünmärts verbreiten, wie die weftphälifche Bucht, vie
Weſerbucht, die Leipziger Bucht von Magdeburg die Elbe und Saale aufs
mwärts, die fchlefifche Bucht u. f. w.
Don Moskau und Kafan, in der Richtung von Don und Wolga, finft
diefe mitteleuropäifche Niederung zu der noch tieferen polnifchen und caspifchen
Niederung hinab. Zwiſchen Saratom und Sarepta Hat die Wolga ſchon bie
Niederung des Meerniveaus paſſirt; fie finft nun bis Aftrachan und zum
caspiſchen Seefpiegel bis zu 77 bis 78’ Pr. unter das Niveau bed Oreand
hinab. '
Die ganze flache Umgebung des caspiſchen See's, in gleicher Nieverung
wie der Spiegel des Sees, nimmt nah U. v. Humboldt's Berechnung ein
Areal von 6000 Duadrat- Meilen ein; das caspifche Meer bedeckt mit ſei⸗
nen Bewäflern 7500 DO.» Meilen; die Einfenfung beträgt alfo an 13500 O.-
Meilen, ein Erdraum, größer ald Srankreich oder ganz Deutfchland, dem Um⸗
fange des äfterreichifchen Kaiſerſtaats etwa gleich, die ganze Fläche tiefer ges
Iegen ald der Spiegel des Oeeans. Nimmt man die Niederung bed Aral⸗
See’ 3 mit feiner Wafferfläche von 1124 DO.» Meilen und vem flachen, gleich
niederigen Steppenboben Weftfibiriend hinzu, ver norbwärts bei Tobolsk
nur 108’ über dem Meere erhoben liegt, fo wächft das gefammte Nieverland
90 Miscellen:
zu beiden Seiten des Ural zu dem enormen Umfange von 200000 Q.⸗Mei⸗
len. Davon ſenkt fih aber nur der fürlichfte ſtumpfe Winkel in der Reihe
der Binnenfeen, 13000 bi8 14000 Q.⸗Meilen groß, tief unter bas Niveau
des Oceans. Denn wenn auch ver Aral» See + 33 bid 34’ über dem Spiegel
des Dceand (over 110 bis 112’ über dem Spiegel des caspiſchen See's) liegt,
fo ift doch feine Waflertiefe bis auf 222’ funbirt, und fein Seebopen liegt
alfo auch tiefer ald dad Niveau des Oceans.
Der cadpifche See ftürzt aber, nach Eichwald's Sundirungen in der Mitte
feiner Ueberfahrt (gegen den Karabogas Golf, an feiner Oftküfte unter 42°
n. Br.) über 600’ Tiefe hinab, wo man noch Feinen Grund fand. Frühere
Sundirungen, von Hanway, Iaffen fogar ven Einfturz gegen das Sübende des
See's bis zu 2700 Fuß Binabreichen.
Könnte man die jüngere Iodere Schutt“, Sand» und Geröll» Dede,
welche gegenwärtig die ganze aralo=caspifche Niederung überlagert (wie 2.
v. Humboldt bemerkt), abheben, fo würde die Einfenfung dieſes ungeheuern
Raumes His auf ihren Felsboden eine noch viel größere werben, als fie ge
genwärtig erjcheint.
Wie, drängt fich bier die Frage auf, fonnte eine dem Umfange nad) fo
ungeheure Vertiefung in der Mitte ver alten Welt entfichen, daß viefe fogar
unter das allgemeine Niveau der feiten Erdrinde hinabgedrückt wurde, jo
daß dann auf ihr nur die aral= und caspifchen Waflerftellen als ſchwache
Mefte, vielleicht fortfchreitende Verdunſtungen an Ort und Stelle früher grö-
Beren Meeresſtandes, zurüdbleiben mochten?
Bei einem fo einzig daſtehenden Phanomen von folcher Großartigfeit
ſollte man dafür Halten, daß deſſen genaueſte Erforfchung und Bildungsge⸗
ſchichte in dieſem Theile der Erdkruſte Ichrreich für die Bildungsgefchichte der
Ervoberfläche auch an andern Stellen verfelben werben müfle.
Noch weit ift man von dieſer Erforfchung entfernt; an Hypotheſen zur
Erforfchung dieſes Depreſſionsphaͤnomens Hat e8 nicht gefehlt; fchon feit des
großen Aftronomen Dr. Halley’3 Zeiten, ver bei feinen ernften Studien über
die Cometenbahnen es einft für wahrfcheinlich hielt, ein folcher Comet möge
an dieſer Stelle ver Erbe in den Weg gekommen fein und auf dieſe Weife
durch einen gewaltigen Erdſtoß fie eingeprüdt haben.
Einen wichtigen Beitrag zur weitern Erforfchung dieſer Gefammtverhält-
niffe giebt endlich der Geolog Dr. Grewingk) durch feinen Bericht über
die Erforfhung und Höhenmeffungen des Eranzförmigen Ringgebirges,
welches im Halbfreis ven großen Südrand dieſer Einfenfung mit feinen cos
loſſalen plutonifchen Maſſen umragt und bei feiner einfeitigen Hebung aus
I) Dr. &. Grewingf die geogneftifchen und orographifchen Verhaͤltniſſe des noͤrd⸗
lichen Berfiens. Gt. Petersburg. 8. 1853
Die große Einfenkung der Erbe in der Mitte des alten Eontinente. 91
der Tiefe wicht ohne Einflup auf den anderfeitigen Einflurz der Maflen in vie
Tiefen gewefen fein kann. Es erfcheint dies als fein iſolirtes Phänomen an
fih, fondern nur ald Kortfegung und Norpgrenze der Gefammterhebung ber
ganzen hoben Plateaumaffe des anſtoßenden Suüd⸗Aſtens und Nord» Afrikas,
die weiter oflwärts im Hochlande Tibet und ber Mongolei in flufenmweifen
Abſaͤtzen allmählich bis zum Baikal in die nord=fibirifche Geſtadelandſchaft
fich fenfte und abflel, Hier aber im Weſten vom iranfchen Hohen Plateaulande
plöglich in die hohlgewordene Tiefe hinabſtürzte.
Nicht wenig überrafchend ift e8, Bier, vom coloffalen Kaufafus im Weſt
der Sünfeite des ca8pifchen Sees, von der Abfcheron Halbinjel bei Baku an,
um die ganze Süpfeite dieſes Sees ein faſt ununterbrochenes Ringgebirge
(gleich den NRinggebirgen im Monde), im Halbfreid um den ganzen Südein⸗
ſturz des caspifchen See's und der anliegenden Nieberung bis zur Oflgrenze
der niedern Bucharei über Balk, von Aſterabad, über Meſched, Herat biß
zu dem riefigen Hindu Khu und dem Bolor» Gebirge verfolgen zu können.
Die genannte Karte, auf welcher wir die Höhenzahlen nach den Meffun-
gen eingetragen haben, giebt ſie in folgenver Aufeinanverfolge alſo an:
Der Kaukaſus 15000’ im W. mit dem Elborus 18500’, nach Abich's
Mefig., mit dem Craterſee eines erlofchenen Bulcand auf feinem Gipfel.
Der Urarat, 14656’ Pr., mit feinen Doppelgipfeln und 3 anderen um⸗
herſtehenden Eolofien gleicher Höhe, wie der Alagdy und andere plutos
nifche Gebirgsbildungen mit ihren Erpbebenregionen.
Die Sfahand» Gruppe, an ver Oftfeite des Urmia Sees, 11,345’ üb. M.
Dr Dfhamur Dagh, noch näher zum cadpifchen See gerüdt, 13—14000'.
Der Sfawalan, 12000’ Hoch, über Arvebil dicht zum Süpmeftwinfel des cas⸗
pifchen Seeabſturzes gerüdt, eine emporgehobene ganz trachntifche Ke⸗
gelgruppe.
Die lange Strede des fteilen Küftengebirged von Ghilan und Mazenberan
am Nordrande Hoch» Perfiend in Nordweſt von Teheran, indgefammt
trachytifche, plutonifche und felbft vulcanifche Bildungen, bis zum noch
thätigen Bulcan Demamend, wozu bad Randgebirge von Schemrun 8560’,
der Churchurah 7650’, Ver Demawend Nemo 8540’, das Plateau, auf
dem Teheran liegt 3400’, der Vulcan Demawend 13788’ Pr., und ver
neben dieſem Tiegende Kegel Enczan 6600’ gehören.
Dflwärts des Demamend folgen der Seria Khu 7200’, ver Shah Khu
dicht Aber Aſterabad, und der Sunduk Khu 7270.
Insgeſammt plutonifch aufgeblähte, gewaltige Trachyt » Gebirgsmaffen.
Weiter bin fenft fich zwar ver riefige Anfchwellungsring im Süden ber
bucharifchen Niederung, doch bleibt er immer in einer mittlern Höhe von 3400
bis 4000’ über dem Meere; an ihm liegen Meſhed 1832’, Herat 2628’;
oſtwaͤrts Herat fleigen die Maflengebirge jedoch wieder zu gleichen Höhen:
92 Miscellen:
coloffen empor, wie bei Dſchellallabad im Hindu Khu zu 18984’, in ven Hoch⸗
ebenen von Iſſikul an den Quellen des Orus (Gihon) zu 14664’, im be⸗
rühmten Bamir Hochpaß bis zu 18000’,
Bon dieſem innerften Winfel ver coloffalen Erhebung zeigt der Lauf des
Oxus gegen NW. die Senkung an, von dieſer Ringerhebung virect zum
Arals und caspiſchen See, vie ſchon bei der Stadt Buchara zur Niederung
von 1116’, in eine Steppenfläche Hinabgefunfen if, nach AL. Burnes. Diefer
birecte Stromlauf bezeichnet alfo von SO. her die große Depreſſton vom Hindu
Khu, den Bolorfoftem und dem perfifchen Hochlande, wie die Wolga zwifchen
dem Kaufafus und Ural vom NW, ber, vie große Senkung. Da, wo fie
beide in ihren Enden fich begegnen, liegt die größte Tiefe des caspiſchen See
Endes unter dem Niveau des Oceans.
Diefes hypſometriſche Verhaͤltniß der Gefammterfcheinung giebt des Aſtro⸗
nomen Arago Hypotheſe über die Geſammtbildung dieſer Deprefiton, melde
Al. v. Humboldt in feinem fo inhaltreichen Gentralaflen mitgetheilt hat, eine
gewiffe Wahrfcheinlichkeit. Statt die Einwirkung unbekannter Himmelsfräfte
zu Hülfe zu rufen, nahm Urago zu feiner Erflärung bie noch heute, wenn
auch in Eleinerem Maßſtabe, fortwirkenden telurifchen Kräfte, die plutonifchen
Kräfte der Beuerbildung und vie Gewalt ver hebenden Dämpfe in ver Ges
birgötheorie in Anfpruch.
An der Emporhebung großer Maflen ver Erbrinde, fagte er, koͤnne man
nach fo vielen befannt geworbenen geologifchen Thatfachen nicht mehr zwei⸗
feln. Erhebung großer Erdmaſſen fegen nothwenvig Erzeugung leerer Raͤume
in der Tiefe voraus, aus denen fle emiporgehoben wurben, und bamit fei,
eben fo nothwendig, pad Zurüdfinken der erflarrenden Maſſe verbinden, wenn
die hebende Gewalt der Dämpfe nach dem Durchbruch zu Ende gehe. Dies
fei eine befannte Erfcheinung bei Fleinern befannten Kegelbildungen in den
Grateren over den aufgebrochenen Halbkefieln ver Calderas, vie fih an fo
vielen emporgehobenen Maſſen zeige, va fle auch die Möglichkeit des Wieder⸗
einfintens der Emporhebung näher verfünven; es fcheine daher fehr natürlich,
auch bei dem in großem Halblreife emporgehobenen Gebirgsplateauringe an-
zunehmen, daß zwifchen feiner Franzförmigen Umgebung (melche nur bie
Michtungen der Erhebung bezeichnet) ein merkwürdige Sinfen, in Folge des
Hebens, flattgefunnen Habe, wodurch dvieſes coloflale Depreifionspyhänomen
hervorgegangen.
Fr. Arago Eannte, zu feiner Zeit, die plutonifche und fo vorherrſchend
trachytifche, zum Theil vulcanifche Naturbefchaffenheit- dieſes Ringkranzes noch
nicht, deren genauere Kenntniß wir erfi Grewingks Berichten verdanken. Da⸗
durch ſcheint diefe, gleichfalls durch A. v. Humboldt befürmwortete fehr fcharf-
finnige und doch fehr einfache Löfung des Problems (Gentral= Aflen. Deutfch
Ausgabe von W. Mahlmann IT, p. 539) eine nicht unwichtige Beflätigung
erhalten zu haben.
Höhenbeflimmungen in Sibirien. 93
Mit den Fracturen ber aus der Tiefe emporgehobenen und wieder zu⸗
fammengeftürzten Trümmer Eonnten, wenn die Richtung des Ausbruchd der
Gewalt von SO. nah NW. gegangen wäre, die im Norben vorliegenden
ſibiriſchen und pontifchen Nieverungen allervings mit ihren Iodern Maſſen
überfchüttet worben fein. Ob fich darüber Nachweife finden, vürfte fich aus
fortgefeßten genaueften Beobachtungen ermitteln laſſen.
@. Ritter.
Höhenbeftimmungen in Sibirien.
Für die Kenntmiß der Erhebung der Oberfläche Sibiriend über dem
Meeresſpiegel beflgen wir bis jet noch fehr wenig pofltive Data. Es iſt des⸗
halb von Intereffe, folgende zu erhalten, welche die Umgebungen des Baifals
fee'8 betreffen und in dem Compte-rendu annuel addresse & S. Exc. Mr.
de Brock, Ministre des Finances, par le Directeur de l’Observatoire
physique central A. T. Kupfer. Année 1853. St. Petersbourg 1854,
S. 53 und 54 mitgetheilt werben.
Höhe des Bailalfee8 - - - 2... 1308 engl. Buß,
= von Hlütdl. - » - 2 2 02.412377 ⸗
= von Werfholnef . . . ‚14559 =» +»
= eines Berges, 12 Werft von Irkrist,
auf ver Straße nach Jakütesk. 1638 = =
= ber Station Homutonäfaja . . . - 1296 = =
⸗⸗ =» Schervomßfala . . . . 13773 = -
. = =» Uflorvindfafa . . . . 1457 - =
= ⸗ Olſonofskaia... 1955 = =
⸗2 ⸗Bajendajewskaja.. . 1875 = =
= = ⸗ Chogotstkaia.... . 18023. =
: = » Malo Manfurdfaia . . 1730 -» =
. =» » Chorbatonmäfffja . . . 148 - =
= des Dorfes Katſchug ?) . . x. .1486 - >
. = ⸗Biroulky an ver Lena. . 1547 °. >
s von Lendfi Defiatof . . . 17935 = =
= ber Quelle der Lena (Fluß <fehanfeher) 2842 = «=
⸗des Lenaufers bei Goluft . 2021 = =
⸗Wdes Berges Soubfhaja nahe der Slu—
dinfa . . 2... . 3996 - =
2) Katſchug if das hier DB. 1V, ©. 432 erwähnte, als Einfhiffungsort auf
der Lena für den Verkehr dieſer Gegenden wichtige Dertchen Katfchuga.
94 Sigungsbericht der Berliner geographiichen Geſellſchaft.
Höhe ver Stuianfa . - . 2 0... 8990 engl. Buß,
s der Station SIuvina . . . . 4129 -» =
s der Vegetationdgrenze am Kharmadaban 5410 = >
⸗ der lebten Station unmittelbar unter
dem Gill . 2 2 2» dh
s von Tuna -. . 2» 2 2 2 0. . 1609
«e von Turn . 2. 2 202000. 21887
- der Mineralquelllen . . . . 1953
= des Militairpoftens Schanginsk . 3253
Vorſtehende Höhenmeſſungen wurden von dem Capitain Meglitzky an⸗
geſtellt.
Außerdem finden ſich in demſelben Compte-rendu ©. 54 und 55 bie
Höhen einiger Punkte des nörblichen Ural vor, nämlich von:
Tſcherdin 60° 24’ 11” nm. Br., 56° 30' 51” öl... Gr., 600 engl. F.,
Oronetz 6450’ — =» 570 51 “nn MA = €
Puftoferst 67° 32’ 3" = = 52° 9457" = nu 12. 0.
Sie find vermuthlih Herrin Komaldfy zu danken, der an dem britten
Punkte magnetiiche Beobachtungen anſtellte.
u u 4%
Gumprecht.
Sitzung der Berliner Geſellſchaft für Erdkunde
am 14. April 1855.
Diefelbe wurde flatutenmäßig zu Berathungen über innere DVerhältnifie
der Gefellfchaft verwandt und dabei der Gefchäftsbericht über die Verwaltung
ver Kaffe im Ießtverfloffenen Rechnungsjahre vorgetragen. Danach war ber
- Beftand der Kaffe nach erfolgter Berti
lung am 8. April 1854 ... . 7200 Thlr. — Ser. — Vi.
E3 gingen ein im Jahre 1824 ...... 2131 = 5=- — ⸗
Die Summe der Einnahmen belief fich auf 9381 Ihlr. 5 Ser. — Pi.
Die Ausgaben betrugen... 2.2... 1941 = 18»: 6 =
Der Kafienbeftand ſchloß am 14. April
1855 ab mit .. 2.222020. 7439 Thlr. 16 Sgr. 6 Pf.
Walter.
Sitzung der Berliner Gefellihaft für Erdkunde
am 19. Mai 1855.
Herr Dove legte die von ihm und Herrn Kiepert au&gearbeiteten beiven
Karten der nörblichen Hemijphäre und der Norbpolarlänter vor und beglei-
tete fie mit Bemerkungen, woraus ſich ergab, daß durch die bedeutende Ver⸗
Sigungsbericht der Berliner geographifchen Geſellſchaft. 95
mehrung des bezüglichen Materials die Temperatur⸗Verhaltniſſe ver arktiſchen
Regionen neuerlichſt viel fchärfer, als früher, Hätten feſtgeſtellt werben können.
Diefe neuen Unterfuchungen lehren, daß die Bewegung ver Iſothermen in ver
jährlichen Periode in Aften eine ganz andere ift, als in Amerika, und daß bie
fältefte Stelle, welche im Juli vie Form eines Dreiecks annimmt, von Aſien nad
Amerifa und wieder zurück wandert, wobei aber bie Geflalt der Sfothermen
fich völlig verändert, endlich daß fich die Annahme zweier Kältepole ald irrig
ermweift. Herr Dove legte ferner dad Werf: Notes on Meteorology of Ire-
land by Humphrey Lloyd. Dublin 1854, vor und theilte daraus die That⸗
fache mit, daß in Irland die Meereßtemperatur im Mittel um 2° Bahrenheit
höher ift, al8 vie Temperatur ver Luft an der Küfle. Die Urfache dieſer Er-
fcheinung ſucht der VBerfaffer in ver Bemegung des Meeres, wie dies auch von
den Seeleuten allgemein behauptet werde. Gin ähnliches Phänomen, fügt
Hr. Dove hinzu, komme auch bei Kopenhagen vor, wo jedoch nach feinen Bes
rechnungen bie Meereötemperatur nur um 4° im Mitiel höher fei, als bie
der Luft. Bei der Borlegung feiner Abhandlung über vie klimatiſchen Ver⸗
bältniffe des preußifchen Staats macht noch der Vortragende darauf aufmerk⸗
fam, daß ver diesjährige Februar der kältefte Februar fei, ven man fe in Berlin
beobachtet babe, und daß die Kälte ihren Weg von Welten genommen babe. Am
1. Ian. ſtand dad Barometer in Oftpreußen 1” niebriger, ald am Rhein; und
dies möge die Veranlafſung geweſen fein, daß fich Auftfiröme aus dem weft»
lichen Europa gegen Oſten ergofien, ferner, daß dadurch wieber die Lufte
maflen Amerifa’d gegen Europa hin in Bewegung Tamen und ben rauben
Winter Nord» Amerita’d nach Europa verpflanzten. Eine Schrift von €.
Defor: Les Cascades du Niagara. Neufchätel, veranlaßte envlich Herrn
Dove, über das öfters behauptete Nückwärtöfchreiten ver Waflerfälle des Nia⸗
garaftromd zu fprechen; er theilt vie Anficht des Verfaſſers mit, daß die Fälle
feit 2 Jahrhunderten fich faft gar nicht verändert hätten, indem bie von ihrem
Entbeder, dem Pater Hennequin, im Jahre 1678 gelieferte Beichreibung noch
ganz auf die heutigen Verhaͤltniſſe paſſe. Zuletzt legte Herr Dove eine
Schrift über Ebbe und Fluth von Dr. G. Schröber, Manheim 1855, ſowie
den Sahresbericht der Geſellſchaft für nüßliche Kenntniffe zu Trier vor und
begleitete beide mit furzen Bemerfungen. — Herr Mitter las ein Schreiben
des Seren I. ©. Kohl über feine Meife in Canada und in den Vereinigten
Staaten vor (daffelbe findet fich bereitö Hier Bo. IV, ©. 498 — 504 mitges
theilt), fowie Auszüge aus zwei Briefen des Herrn ©. E. Petermann über
feine Reife in Perſten und feinen Aufenthalt bei ven Parſi in Jezd (ſ. Hier
S. 76—88). — Herr Walter Hielt endlich einen Vortrag über die Baſtard⸗
verhältniffe ver in Amerika lebenden Menfchenrafien und wies barin nad,
Daß wenn die Mulatten im Allgemeinen ein fchwächliches, zur Fortpflanzung
wenig geeignetes Gefchlecht find, noch zwifchen ven aus ver Verbindung von
Anglofachien und Negerinnen bervorgegangenen Kindern und ben birecten Ab⸗
⸗
96 Sigungsbericht der Berliner geographiſchen Gefellſchaft.
fömmlingen von Romanen und Negerinnen ein auffallender Unterfchien flatt«
finde, indem jene viel zahlreicher und Fräftiger feien, al& viele. Unterſuchun⸗
gen über die Ergebniffe von Verbindungen zwifchen Inbianerinnen und
Anglofachfen, dann zwifchen Inbianerinnen und Romanen ergäben ähn⸗
liche Mefultate, Die Nachlommenfchaft von jenen in Norpamerifa fomme
nämlich fehr fpärlich vor, während aus ver zweiten Art von Berbinbung
in Mexico und Sübamerifa fi eine eigene ungemein zahlreiche Meftizen-
klaſſe gebilvet Habe. — Herr Bumprecht las envlich einen Brief Barth's von
Wurno und Kano vor (ed ift dies der im IV. Bde., ©. 411 — 413 bereits
mitgetheilte). — Als Geſchenke für die Bibliothek der Geſellſchaft waren ein-
gegangen: 1) Zeitichrift für allgemeine Erdkunde, herausgegeben von Dr. T.
E. Gumprecht. Bd. IV, Heft 4; 2) Neuer Atlas über alle Theile der Erde,
entworfen und bearbeitet von Dr. H. Kiepert. Lief. 1. Berlin 1855; 3) Karte
der nörblichen Hemifphäre innerhalb des 70. Breitengrades, entworfen und
bearbeitet von Dr. H. Kiepert, nebft Darftellung der Wärmeverbreitung von
Dr. H. W. Dove; 4) Karte der Norvpolarländer, entworfen von Dr. &.
Kiepert, nebft Darftelung ver Wärmeverbreitung von Dr. 5. W. Dove.
Sämmtlich Geſchenke des Verleger, Herrn D. Reimer; 5) Ergänzungäheft
zu dem Schulatlad von Theod. Freih. v. Kiechtenftern und Henry Lange. Ser
tion 2. Geſchenk des Hrn. Dove; 6) Bulletin de la Societs de Geographie.
Ser. IV. T. 8. Paris 1854, von der Parifer geograph. Gefellfchaft; 7) Dry
Leaves from Young Egypt. By an Ex-Political. London 1849. 8., von
Herrn 2. v. Orlih; 8) Mittheilungen über wichtige Erforfchungen auf vem
Gefammtgebiete ver Geographie von Dr. A. Petermann. Gotha 1855. Heft I—
IH, von dem Herren Verleger; 9) Karl Kreil, Reſultate aus den magnetifchen
Beobachtungen zu Prag. Wien 1855. 4., von vem Hrn. Verf.; 10) Archiv für
Zandesfunde im Königreich Preußen. Heft L Berlin 1855. 8., von ven Heraus:
geber Hrn. Meyer; 11) €. v. Sydow, Orographifcher Atlas, 24 Bodenkarten
enthaltend. Gotha 1855, von dem Hrn. Berf.; 12) Pacific Railroad Surveys.
Washington 1854; 13) Report and charts of the Course of the U. St.
Brig Dolphin by Lieut. S. P. Lee. Washington 1854. 8. Nebft 1 Karte:
14) Report of the Secretary of the Interior, communicating a report
from Mr. Bartlett on the subject of the boundary line between the United
States and Mexico. 8.; 15) Second report on Meteorology by James
P. Espy. qu. fol. Nr. 12 —15 find Geſchenke ver Smithsonian Institution
zu Wafhington; 16) Abhandlung über einige Denkmäler des nörblichen Sp:
riend von C. Ritter. Berlin 1855. 4., von dem Hrn. Verfafler; 17) Ueber
pie Elimatifchen Verhältniffe des preußifchen Staats von H. W. Dove. Berlin
1855. 8., von dem Hrn. DVerfaffer. Zur Anficht endlich war ausgeſtellt die
Wanpfarte von Deutſchland von Freche, Schullehrer und Cantor zu Neurode.
II
Barth's Schieffale und Unterfuchungen im cen-
tralen Nord-Afrifa.
(Schluß.)
An die früher mitgetheilten höchſt erfreulichen Nachrichten über
das Wiedererfcheinen Barth's (Bd. IV, ©. 404 — 414) fchließen wir
nun in einer geordneten Weberficht eine Reihe anderer an, welche den
für die Kunde Central⸗Afrika's überaus wichtigen Zug des Reiſenden
von Kufa nach Timbuftu betreffen. Diefelben wurden vorzüglich meh⸗
teren in dem 1. und A. Hefte von Herrn Petermann’s Zeitfehrift ver-
öffentlichten Briefen Barth's an die Herren Bunfen, Beke und an
den Herausgeber felbfl, dann den in dem neueften Bande der Schrif-
tn der Londoner geographifchen Gefellfchaft (XXIV, 2833 — 285) ent
haltenen Schreiben des Reiſenden entlehnt und ergänzen bie „Älteren
bier gelieferten Berichte (II, 67 — 68, 313 — 363; III, 59-—-69, 223
-226, 392 — 396, 517— 519) in der wünfchenswertheften Weiſe.
Indefien find, um das Bekannte nicht zu wiederholen, in der folgenven
Zufammenftellung alle diejenigen Nachrichten weggelaffen worven, bie
fh in den bereits mitgetheilten Documenten vorfanden.
Bon den dur Barth in den lebten zwei Jahren (feit dem No⸗
vember 1852) unterfuchten Gegenden Gentrals Afrifa’d war nur ein
Theil, nämlich der große, zwiſchen Kuka und Sofoto gelegene Strich
bei Gelegenheit der erſten britifchen Expevition und dann bei Clap⸗
perton's zweiten Befuche diefer Gegenden von Europäern betreten
worden. Leider entbehrte Clapperton bei feinen Yorfchungen einer
ſeht wefentlichen Hilfe, indem die ihm zur Begleitung mitgegebenen
BZeitſchr. |. allg. Erdkunde. Dh. V. 7
98 Bumpredt:
Raturforfcher, Dr. Oudney bei der erften, Dr. Morrifon bei der zwei⸗
ten Reife fehr bald ein Opfer des afrifanifchen Klima’s wurden. Clap⸗
perton's frühzeltiger Tod zu Sofoto unterbrach diefe Forſchungen fogar
ganz; aber troß Der mannigfachen Unglüdsfälle war die Kenntniß des
angegebenen Theil der Nigerländer, welcher bei ven Eingeborenen unter
dem Namen Haufla, bei den Bornuern unter dem Namen Afnu, bei
den Arabern unter dem Namen Sudän !) befannt ift, bis zu Barth's
Eintritt in denfelben fo weit vorgefchritten, daß derſelbe mit Bornu
zu den befannteften Regionen Central⸗Afrika's gerechnet werden Fonnte.
Einen großen Gewinn erlangte die pofitive Geographie des Continents
aber befonderd dadurch, daß Clapperton es nicht unterlaffen Hatte, die
Lage der wichtigften, auf feinen beiden Reifen befuchten Orte aftrono:
mifch feftzuftellen. Biel weniger befannt waren dagegen die nächften weft
lich von dem durch Glapperton Durchzogenen Gebiet gelegenen Theile Een-
tral⸗Afrika's, da in diefelben weder vor dieſem Reifenden, noch nach⸗
her, je ein europäifcher Fuß eingedrungen war. Wir müflen nämlich
von Mungo Park abfehen, der nur die Flußfahrt von Sanfading bie
Boufja den Niger abwärts unternommen hatte, ſowie von Hornemann,
über deſſen Reife bis Nyffi, wo er feinen Tod gefunden zu haben
fcheint, wir aller Rachrichten entbehren. Selbſt Berichte von Einge
borenen fehlten über die an beiden Seiten des mittleren Niger zwifchen
Timbuftu und Boufja gelegenen Landfchaften gar fehr, indem wir dar-
über nur einige Stinerare befaßen, von denen das erfte der im Jahre
1820 zu früh am Senegal verftorbene franzöfifche Orientaliſt Rouzée
aus dem Munde eines Bellanpilgers, des Hadſch Befchir, aufgezeichnet
hatte (Nouv. annales des voyages 1827. VIII, 202 — 204), dann
ein zweites durch Fresnel mitgetheiltes (Bull. de la Soc. de Geogr.
3= Ser. XIV, 154 — 156), ferner ein drittes, in biefer Zeitfchrift
(III, 52) enthaltenes, endlich ein viertes, öfters erwähntes (II, 359,
360), das des Scheifh Ahmedu, unzweifelhaft das befte, hierher gehören.
Wären aber auch dergleichen Stinerare in größerer Zahl vorhanden
und enthielten fie mehr als trodene Namen, fo vermörhten fie doch nicht
einen einzigen, von einem Europäer aus eigener Anfchauung verfaßten
’) Es if dies der enger begrenzte Begriff von Sudan, zu dem die afrifantfchen
Araber weber Timbuftu, noch Bornu umb noch weniger die welih von Timbuitn
oder Rlich von Bornu gelegenen Ranbfehaften zn reinen pflegen.
Barth’ Schidfale und Unterfuchungen im centralen Norb-Afrifa. 99
Bericht zu erfehen, da Zuverläffigkeit, Unbefangenheit und Eindringlich⸗
keit im Beobachten nur Reifenden von europäifcher Race und Bildung
verliehene Gaben zu fein fcheinen. So ift alfo Barth's Reife von
Sokoto nad Timbuktu ein überaus wichtiges Moment für die Erwei⸗
terung unferer Kunde des centralen Afrika, welche um fo mehr Werth
dadurch erhält, daß fich ihre Ergebnifie im Often unmittelbar an die durch
@lapperton in Haufia, im Weften an die durch Caillis und M. Park,
enblich im Süben an die Durch Elapperton, Laird gemeinfchaftlich mit
Olfield und die Gebruͤder Lander gewonnenen Nefultate anfchließen. Da
unfer Reifender eine Reihe von Längen- und Breitenangaben für die Lage
der von ihm befuchten Orte geliefert hat, fo wirb auch bie zwifchen Samt
am oberen Niger, wo M. Park feine legte aftronomifche Beobachtung
machte, und Sofoto nebft Boufia, beides Orte, deren Lage Elapperton
feftftellte, gebliebene Lüde zur Entwerfung einer Karte von EentralsAfrifa
auf feften Pofttionen in der Danfenswertheften Weiſe ausgefüllt ').
Ende November des Jahres 1852 war Barth mit feinen Vorbe⸗
reitungen zur Reife nah Timbultu fertig, nachdem er die lebte ihm
gebliebene Zeit mit der ihm eigenen löblichen Vorforge benupt Hatte,
um feine Papiere und Tagebücher zu vervollſtaͤndigen, zu orbnen
und möglihft in Sicherheit zu bringen, fall8 er auf der bevorftchen-
den Reife dem Tode nicht entgehen follte. In einem kurz vor feinem
Berlafien Kuka's am 20. November 1852 gefchriebenen und von Herrn
PBetermann veröffentlichten Briefe berichtet er, wie er fich damals in
befter Gefundheit befunden und von dem Scheifh von Bornu in ber
freundlichfien Weife Abfchied genommen habe, bei welcher Gelegenheit
er fich noch bemühte, defien Mißtrauen in Bezug auf den von ihm be-
abfichtigten Befuch der Yellanftaaten zu befeitigen, was ihm auch ge
(ungen zu fein fehien, da der Scheifh ihm zum Abſchiede zwei fchöne
Kameele für feine Reife fandte. Wenn er aber damals dem Scheifh
die Ausficht eröffnete, daß kinnen Yahresfrift ein englifcher Conſul
nad Kuka kommen und hier feinen Aufenthalt dauernd nehmen würde,
fo war dies, wie der Verfolg zeigte, eine ſehr verfrühte, obwohl
England allerdings früher furze Zeit hindurch in Bornu einen Conſul
1) Ob Barth felbft aftronomifche Beobachtungen anftellte, was Herr Petermann
zu bezweifeln fcheint (Mittheilungen I, 13), darüber f. den Schluß dieſes Auffapes
(6. 123). .
7
100 Oumpredt:
in der Berfon des Mr. Tyrrwhit gehabt Hatte. Die neueren Bornu-
herrfcher waren nämlich einfichtsnoll genug, den Einfluß der europät-
fen Givilifation und den Werth directer Handelöverbindungen ihres
Landes mit Europa gebührend zu würbigen, da fie feit etwa 35 Jah:
ren in fleter Verbindung mit Murzuf und Tripolis ftehen unb von
hier aus mannigfache europäifche Gegenflände für ihren Bedarf bes
ziehen. So war ed fchon ein Dreingender Wunſch des zu Den
ham's Zeit In Kuka refivirenden Scheilhs von Bornu gewefen, einen
Engländer als Conſul bei fich zu befigen, damit derfelbe die etwa
anfommenden Kaufleute feiner Nation in Empfang nehmen fönnte.
Tyrrwhit, der Denham's Erpebition nachgereift war und fi ihr zu
legt noch angefchlofien Hatte, ließ fich bereit finden, nach Denham's
Abgange zu Kufa zu verbleiben, fiel aber bereitd wenige Monate bar
auf dem Klima zum Opfer (Denham I, 275, 334; I, 151). Faſt
unmittelbar nach Overweg's Tode hatte Barth am 7. October 1852
zu diefem Zwed ein Geſuch an Herrn Bunfen gerichtet (Zeitfchrift I,
205, 207), worauf er demfelben die Angelegenheit zum zweiten Male
am 12. October deſſelben Jahres dringend zur Unterſtuͤtzung empfahl,
Indem er mit Recht dabei fagte: „Laffen Sie das Angefangene
nicht fruchtlos zu Grunde gehen, das, wenn es mit Ener-
gie und Durdbringung einiger Opfer verfolgt wird,
große Früchte für Aufbellung diefes Welttheils in jeber
Beziehung gewähren fann.“
In feinem Schreiben vom 12. October berichtete noch Barth, daß
er fünf größere Wörterbücher (mohl Vocabulare! &.) vollendet, dieſel⸗
ben aber zurüd behalten Habe, um, wo möglich, eine Einleitung dazu
zu fehreiben, dann, daß er mit verfelben Gelegenheit die durch Over—
weg bei feiner legten Ercurfion nach Gubfcheba (Gujeba) gefammelten,
aber von ihm nicht abgefandten Steine ſchicke (es find dies biefelben,
welche unfer Reifender in feinem unmittelbar nach Overweg's Tode ge
fchriebenen Briefe erwähnte (Zeitjchrift I, 207), von deren Ankunft in
Europa wir noch immer nichts wiffen), endlich, daß durch den Scheifh
von Bornu und feinen Bezier Ihm verfprochen worben fei, eine Copie
des Buches des Edris Alasma nach England zu übermacdhen. Es
fei dies ein Werk, fügt er hinzu, das feinem Namen nach von einem
der größten Beherrfcher Bornu’s herrühre und, wie er hoffe, ein ganz
Barth's Schickſale und Unterfuchungen im centralen Nord» Afrika. 101
neues Licht über die Geichichte und Geographie von Central⸗Afrika vers
breiten werbe '). Ob die Zufage erfüllt wurde, ift ung unbekannt, jeden⸗
falls iſt e8 von Intereffe, in der Angabe eine Beftätigung zu erhalten,
daß eine literarische Thätigkeit bei der muhamevanifchen Bevölkerung
Central⸗Afrika's nie ganz gefehlt hat. Aus neuerer Zeit gaben hier-
über ſchon das hiſtoriſch⸗geographiſche Werk des Sultan Bello über
das Neih Takrur, wovon des Verfaſſers Secretair einen durch Elap-
perton nach Europa gebrachten und fpäterhin veröffentlichten Auszug
machte (Denham II, 158 — 170), dann die dur Barth zu Wurno
gefundenen intereffanten Bücher, aus denen derſelbe viel zur Gefchichte
des Landes lernte (Zeitfchrift IL, 61, 224), Zeugniß; aus älterer Zeit
gehört zu folchen Titerarifchen Documenten Gentral-Afrifa’8 das ausführs
liche Werk des Sidi Ahmed Baba, eines in der Saharaoafe Arowan
Arauän, Geogr. von Afrifa 255) geborenen hiſtoriſchen Schriftftellers,
über die Gefchichte Timbuktu's, wovon der franzöfifche Generals Eonful
Baron Rouffeau zuerft Kenntniß erhielt und Rachricht mitteilte (Bull.
de la Soc. de Geogr. 1” Ser. VI, 157, 158; IX, 152, 153).
Diefer Berichterftatter erfuhr, daß das Werk, worauf wir früher
bereit Bezug nahmen (Bd. II, 343), fih in mehreren Eremplaren
im Sudan finde, und er hoffte, eines derſelben fich zu verfchaffen.
Ueber den Erfolg feiner Bemühungen wurde nichts befannt, dage⸗
gen lernte Barth Sivi Ahmed Baba's Werk während feines Aufents
halts zu Timbuktu kennen, und er entlehnte daraus eine chronologifche
Tabelle, die er an Herm Bunfen fandte, durch defien Güte Herr Bes
termann im Stande war, fie in dem neueften A. Hefte feiner Mitthei⸗
lungen zu veröffentlichen (S. 97 — 98). Bedeutende Excerpte aus
demfelben Werke beabfichtigte endlich Barth, der von Rouffeau’d Er⸗
wähnung feine Kunde gehabt und eine neue literarifche Entdeckung
gemacht zu haben fiheint, von Timbuftu aus nach Europa zu befürs
dern. Dur ihm erfahren wir zuerfi auch den Titel: Tarikh el
Sudan d.h. Geſchichte des Sudan, dieſer, wie er fagt, wichtis
gen Arbeit.
2) In der Reihe der Bornuherricher von 1512 — 1677, über bie vor einigen
Jahren eine von einem franzöflfchen Schaven zu Tripolis verfaßte, Notiz veröffentlicht
worben {fl (Bull. de la Soc. de G£ogr. 1849. XI, 252 — 259), fommt ber Name
des Edris Alaoma nicht vor.
102 Gumprecht:
Ungefähr am 25. November 1852 (das beſtimmte Datum ergiebt
fih nicht aus den nach Europa gelangten Briefen) verließ Barth
Kuka, um fi) nach dem Welten zu begeben, indem er zunaͤchſt das
wohlbefannte, 70 geogr. Meilen weftnorbweftlih von Kufa entfernte
und fchon öfterd erwähnte Zinder befuchen wollte. Hier langte er glüd-
lich an und verweilte wenigftens einen ganzen Monat. Denn ſchon
früher Hatten wir einen durch Ihn dort am 1. Januar 1853 gefchries
benen Brief mitgetheilt (II, 67), ein zweiter, jeßt durch Herrn Peter⸗
mann veröffentlichter wurde am 29. deffelben Monats dafelbft von un⸗
ferem Reiſenden gefchrieben. Am 20. Januar hatte Barth zu Zinder
die Freude, eine große Hilfe zur Förderung feiner Forſchungen im We⸗
ften in 1000 Dollars zu erhalten, die einen Theil der ihm von der
englifchen Regierung bewilligten Unterflügung ausmachten. ‘Diefelbe
fam ihm um fo gelegener, als feine eigenen Mittel bei der Abreife
von Kufa fich bis auf 200 Dollars verringert hatten, und er großer.
Maarenvorräthe zu Gefchenfen für die einheimifchen Fürften und ihre
Diener behufs Erwerbung der Möglichkeit und Sicherheit feiner Wei⸗
terreife bedurfte. Andere 400 Dollars nebſt einer Kifte mit fchönen
und nüglichen, durch die englifche Regierung gefandten Stahlwaaren
famen zu fpät in Zinder an, als er den Ort bereit verlaflen hatte.
Beides blieb zwecklos dafelbft liegen, indem der Reifende auch nicht von
Kätfena aus im Stande war, dieſe Gegenftände, die fpäter dem Uſur⸗
pator von Bornu in die Hände ftelen und ihm felbft ganz verloren
gingen, an fich zu ziehen.
Von Zinder beabfichtigte Barth, fich zunächft nach Kätjena zu
wenden, um fobann Sofoto zu erreichen. Einen Theil diefes Planes
änderte er anfänglich, weil man ihm die Unficherheit der Umgebungen
Kaͤtſena's zu groß vorftellte, weshalb er fich entfchloß, gerade nad
Kano, der größten Hanbelsftabt diefes Theils von Eentral- Afrika ober,
wie fle Richardfon nicht unpaffend genannt hatte (A mission II, 309),
dem London des Sudan zu gehen. Aber auch auf den Wege ftell-
ten fih ihm Hinderniffe durch Räuber entgegen, die heidniſche Marias
di's geiwefen fein mögen, indem Richardſon früher ſchon gehört Hatte Ca.
a. O. II, 351), daß diefe den Weg für Reifende gefährden. Er fam
deshalb auf feinen früheren Plan zurüf. Seit der Regierung des
fhlaffen Sultan Aliyu find nämlich die Handelsftraßen im Yellanreiche
Barth's Schickſale und Unterfuchungen im centralen Nord» Afrita. 103
von Sofoto durch Räuber beunruhigt, während dieſelben früher zur Zeit
von Aliyu's unmittelbarem und Fräftigem Vorgänger Atiktu fehr ficher
geweien fein follen (Zeitfchrift II, 61). Bon Kätfena theilt Herr
Petermann ein Schreiben Barth's vom 6. März an Herrn YBunfen
mit, muthmaßlich daſſelbe, wovon früher hier die Rebe war (Zeit
ſchrift IT, 59). Seinen dortigen Aufenthalt bis zum 21. März
benußte der Reifende theils zu wifienfchaftlichen Borfchungen über das
gegenwärtig in Hauffa regierende Bolf der Yellans, theild zum Ans
kaufe einer bedeutenden Mafle von Manufakturwaaren, womit ver Markt
von Kätfena ſtets reich verforgt if. Dadurch erfchöpfte er wieder feine
Kaffe bis auf 350 Peſo's (Dollars) und 100 türfifche Machuben,
legte eine für ihn werthlofe Münze, die feinen Cours im Suban
bat und ihm merhvürdiger Weiſe aus Tripofi oder Murzuf, wo man
doch die Geldverhältniffe des Sudan genau fennen muß, zugefandt
worden war (unter den Machuben find wahrfcheinlich die Zermahbuͤb
oder türfifchen und aͤgyptiſchen Goldzechinen zu verftehen, welche etwa
14 Thle. Pr. C. in Golde gelten). Die eingehandelten Manufakturwaaren,
wovon Barth ein Verzeichniß mittheilt, beftanden größtentheild in Klei⸗
dungsftoffen (Turkedis und Toben), Die in ber großen, am unteren Niger
gelegenen und hier öfters genannten Landfchaft Nyffi (Nyfe), forwie zu
Kano verfertigt werben, und in Geflchtöbinden. Denn Nyffi's Bewohner
gehören zu den induftriöfeften Völferfchaften Nord⸗Afrika's und zeichnen
fih vorzüglich im Spinnen von Baumwolle und Weben von Kleidungs⸗
floffen aus (Clapperton bei Denham II, 54, 113; Schön in den Bas
ſeler Miffionsberichten 1845, ©. 71, 78; R. and J. Lander, Jour-
nal II, 316), ja deren Zeuge flehen in dem Rufe, die beiten im Rigers
lande zu fein, fo daß fie Gegenftand eines fehr bedeutenden Handels⸗
verkehrs in Central⸗Afrika find und daß Kaufleute von allen Seiten,
von Kotonkora, Your, Kano, Sokoto, Bornu zu ihrem Einfaufe her
beiftrömen. Bon bdiefen Zeugen werden beſonders die zu Zagofchie
gefertigten ihrer außerorbentlichen Künftlichkeit wegen gefchägt, indem
diefelben europälfchen Babrifen felbft feine Schande machen würden.
Die Fabrikation hat zu Zagofchie eine folche Ausdehnung erlangt, daß
Oldfield diefen von ihm befuchten Ort das Mandhefter Eentrals
Afrita’s zu nennen nicht Anftand nahm (Laird and Oldfield,
Narrative of an expedition into the interior of Africa by the
104 Bumpredt:
River Niger. 2 Vol. 8. London 1837. II, 63, 109). Die Stadt Kano
ift Dagegen in dieſen Theilen Eentral-Afrita’8 berühmt durch die fehr
gute blaue Färbung, welche ihre Bewohner den Kleidungsftoffen zu geben
wiſſen, und befigt zu dem Zwecke große Faͤrbereien. Im Jahre 1827
foftete nach Glapperton hier eine Tobe 5000, eine Turfevi 3000, das
Farben einer Tobe vom dunfelften Blau aber 3000 Kauris (d. h. 2
bis 24 Thlr. Br. E&)'). Für das Glänzgendmachen einer Tobe, was
nur mittelft mechanischer Mittel durch eigene Werkleute gefchieht, zahlte
man damals 700 Kauris (Denham I, 61), Preife, die von den auf
dem Markt von Kätfena von Bart angetroffenen wenig abweichen
werden und zur Berechnung ber von ihm verwendeten großen Summe
dienen fönnen.
Ueber das Betragen feiner Leute füllte der Reiſende noch von
Kätfena aus das günftigfte Urtheil, da fie ihm mit der mufterhaftes
ften Treue anhingen. Leider verlor er einen jüngft erſt in Dienft ge
nommenen maroffanifchen Scherif aus Mefnas (Mequinez) der ihn als
Führer nach Timbuftu dienen follte, aber hier an der Dyfienterie farb,
ein neuer Beweis, wie wenig felbft Eingeborene der Küftenländer Nord⸗
Afrifa’s von arabifcher Rationalität dem Klima der Rigerländer wider-
Mi fehen. Dies darf freilich nicht verwundern, da Barth's Aufenthalt
zu Katſena bereits in den Beginn der Regenzeit fiel. Dagegen ſchloß
Barth hier mit feinem bisherigen Begleiter, dem Mejebriffaufmann
(sic! G.) Ali Laggeren, welcher lange Jahre hindurch nach Sofoto und
Gonja, letztes das Land der Sourounüfle, gereift war, feite Bebin-
gungen, die fih auf Die ganze Reife nach und von Timbuktu zu bes
jiehen Hatten. Der Lohn der Begleiter und Diener follte mit Aus:
nahme des mit All Laggeren verabreveten nach der ehvaigen glücklichen
Rückkehr nach Zinder gezahlt werden. Es ift aber Alt Laggeren oder Ali
Lagran berfelbe Begleiter Barth’, von dem früher berichtet war, baß er
zwei feiner Gefährten von Kano nach Kuka gefandt habe, um bier den
angeblich zu Mariadi erfolgten Tod Barth's zu melden (IV, 84).
Die Nachrichten über Barth's Weiterreife von Kätfena, das er
wegen eined unerwarteten feindlichen Einfalls der Bewohner Guber's
+) Barth nennt hier (Petermann 1, 8) die Rauri Kurdi, was nah Miffiener
Schön der in Hauffa übliche Name if. Carette fagte deshalb ſchon (IT, 206), die
Neger nennten bie Kanri's Kourdi naouga, was woͤrtlich Landesmünze bedente.
Barth's Schielfale und Unterfuchungen im centralen Nord -Afrita. 105
erſt am 21. März verlafien konnte, nach Wurno waren bisher ziemlich
dürftig (Zeitfchr. IT, 59 — 61, 227) und befchränkten fich wefentlich auf
die Mittheilungen unferes Reifenden über Wurno ſelbſt. Sie erhalten
auch jegt durch die von Heren A. Petermann mitgetheilten beiden Schreis
ben an die Herren Beke und Bunfen aus Wurno vom A. April und
Zind vom A. Mai einen wefentlichen Zuwachs, indem deren Inhalt
durch Herrn Petermann's darauf gegründeten ausführlichen Bericht
vom 3. Januar 1854 bereitö befannt war. Dagegen find die drei von
Barth entworfenen und im 1. Hefte von Herm Petermann's Zeitfchrift
mitgetheilten fartographifchen Skizzen: 1) der Landſchaften Kebbi und
Zanfära, 2) des Lanbflrichs zwiſchen Sofoto und Wurno, 3) des
Rigerlaufes zwiſchen Saraljamo und Kabra (die legte Skizze wurde
fon in Barth's Schreiben aus Timbultu vom 14. December 1853
(Zeitſchrift IT, 394) erwähnt; ein anderes Kartenblatt, welches Barth
hier auch als in der Ausführung begriffen erwähnt, fcheint nicht
nach Europa gekommen zu fein), wie ich früher bemerkte (Zeitſchrift
IV, 333), ungemein dantenswerthe Gaben zur Orientirung in biefen
Gegenden, deren Kenntniß dadurch ganz umgeftaltet wird, indem wir
über Das weftlihe Hauͤſſa bis jeßt einzig die beiden fehr bürftigen
Kartenfkiggen in den Werfen über Denham’s und Clapperton's gemein, _
ſchaftliche Reife, dann über Clapperton's zweite Reife befaßen. Die zwi⸗
ſchen Hauͤſſa und dem mittleren Laufe des Nigers gelegenen Landfchaften,
forwie der Lauf dieſes Stromes finden fich Hier zuerft theilweiſe nach Aus
topfie europäifcher Augen dargeftellt, eine Menge bisher ganz unbekann⸗
ter Namen von Orten und Landfchaften erfcheinen gleichfalls zum erften
Male, und namentlich erhält die Kenntmiß der hydrographiſchen Ber
hältniffe in dem zwar fchon durch Elapperton in verfchiedenen Richtungen
durchzogenen Hatıffa die wefentlichften DBeränderungen und Vermeh—⸗
rungen. So finden wir auf Barth’8 Karten zum erften Male im Nord»
Nordweſten des großen und fchönen, zwifchen Sofoto und dem Niger
gelegenen Kebbi ( Zeitfchrift III, 62, 65, 225) die bisher nur durch
Dupuys befannt gewefene fruchtbare und weidenreiche Landſchaft Za⸗
berma (Janberma in Dupuys, Journal of a residence in Ashantee.
London 1824. App. CI, CIII) richtig verzeichnet; fo erſcheint über,
haupt zum erften Male auf einer Karte die von civilificteren und bes
triebfamen Tuarifs zu beiden Seiten des Niger bewohnte Landfchaft Den⸗
106 Oumpredt:
bina (oder Dindina Zeitfchrift IT, 62) ) und endlich fehen wir im
Süden Kebbi's nunmehr die Landfchaft Gando *) beftimmt niedergelegt,
da diefe mit dem durch Blapperton und Zander bekannt gewordenen
Lande Jauri (Youri Zeitfchr. III, 68) im Süden zufammengrenzen fol.
Nicht minder treffen wir bier zum erfien Male den ganz unbefannt
geivefenen Ort Kaurin Namoda als Haupifladt der Landfchaft Zanfära,
während noch Blapperton den feit langer Zeit befannten und neuerlichft
wieder durch Bart befuchten Ort Zurmie (Zyrmi ober Zulamie) als
Hauptort Zanfära’s kennen gelernt Hatte (Denham II, 70, 74, 117.
Indeſſen ift Kaurin Namoda wahrfcheinlih nur berfelbe Ort, den
Elapperton ohne Namen ald neue Hauptflabt von Zanfära erwähnte
(Denham II, 107). Hier finden wir endlich den Niger außer mit dem
Kamen Iſſa, der ihm von dem Son’rayvolf und der alten eingebos
renen Bevölkerung Timbuktu's gegeben wird (Zeitfchr. III, 62, 68), zum
erfien Male mit dem Namen Majo belegt. Der lebte iſt jedoch fein
fo unbefannter Name, indem wir benfelben bereitd im Beginn dieſes
Jahrhunderts in einer bisher ganz unberüdfichtigt gebliebenen Mitthei⸗
lung Seetzens, welche diefer Reiſende im Jahre 1808 zu Cairo von
einem aus dem centralsafrifanifchen Lande Adar °) gebürtigen Fellan⸗
ftudenten über feine Heimath einzog, als den eines ſehr großen
Fluſſes kennen lernten, doch ift es faft gewiß, daß der Majo des Fel⸗
lan nicht der Niger, fondern ein amberer größerer centralsafrifanis
fer Strom, wahrjcheinlich der Hauptfluß von Hauͤſſa, welcher weis
terhin noch gefchifdert werden fol, if. Dies ergiebt ſich daraus, daß
in Seetzens Bericht gefagt wird, der Majo liege 30 bis 40 Tagereis
fen [üblich von Adar (v. Zach, Monatl. Eorrefpondenz 1810. XXIV,
233). Sehen wir nämlich auf Barth's Karte von Kebbi und Zanfära,
1) Diefe beiriebfamen Tuariks nennt Barth Dendi (Petermann I, 14); es find
bies die nämlichen Tuariks, in Bezug auf welche früher fchon bemerkt war (II, 68),
bag man das fo weit fübliche Vorbringen des großen Tuarikvolks bisher nicht ge⸗
kannt habe.
3) Das Ericheinen einer eigenen Landfchaft Gando darf nach dem früher Mit:
geteilten (III, 65, 225) nicht auffallen, wohl aber if es auffallend, daß nach Barthe
Kaärtchen von Kebbi und Zanfära die gleichbenanute Stadt gar nicht zu der Landfehaft
Gaudo gehört, fondern vie Hanptſtadt von Kebbi ift, was wohl durch politifche Ber:
änderungen, die hier fehr häufig vorfommen, zu erflären fein mag.
3) Dies Adar iſt nicht mit der Landſchaft Adir oder Tanfala zu verwechfeln,
welche Glapperton in der Nähe Sokoto's werfüdmweftlich davon kennen lernte.
Barth's Schickſale und Unterfuchungen im centralen Nord⸗Afrika. 107
daß die Landfchaft Adar genau nörblich von dem Hadffafluffe angegeben,
und noch durch ein großes Land, durch Guber, von dem Hauffafluffe ges
trennt ift, fo paßt Lage und Entfernung des letzten viel beffer auf den
Seegen’ihen Majo, als auf den Niger, der nur weftlich oder höch⸗
tens ſuͤdweſtlich von Adar feinen Lauf nimmt. Daß ferner der Fellan-
ftudent feinen Majo durch Guber und Kano fließen Iäßt, ift eine weitere
Beftätigung der hier ausgefprochenen Anficht, da der Hauffaftrom dieſe
zu Haüfla gehörenden Landfchaften wirklich durchfteömt, während dass
felbe mit dem Niger bekanntlich nicht im entfernteften der Fall IR.
Daß aber Barth den Niger Majo nennt, darf gar nicht irre führen,
indem Majo ein Wort der Hiefigen Landessprache von allgemeiner
Bedeutung iſt und gleichmäßig zur Bezeichnung des Niger, wie des .
Haüſſaſtromes dienen Tann. Dies folgt fehr befimmt aus zwei Anga-
ben bed Fellanfludenten, der einen, daß Majo (nad) Seetzens Verdol⸗
metfchung) fo viel, als Meer heißt, dann einer anderen, daß bie Ein-
geborenen den Majo noch Gulbi nennen. Seetzens Verbolmetfchung
ift jedoch unzweifelhaft theilweife irrig, weil an ein Meer hier nicht
im entfernteften zu denfen iſt. Der Fellan wird fich zur Erklärung
von Majo des arabifchen Wortes Bahar bevient haben, welches frei«
lich Meer, zugleich aber jedes größere Waſſer, mithin auch jeden grös
Beren See und jeden anfehnlihen Fluß bebeutet, wie denn bie Aras
ber den weißen Nil Bahar el ablad befanntlich zu nennen pflegen
(Ritter’d Erdkunde, Aftifa. 2. Ausg. ©. 521) 1. Genau daſſelbe gilt
von dem Namen Gulbi, wonit zwar auch der Ril bezeichnet wird, zus
gleich aber jedes Waffer bezeichnet werben kann. So fagte Lyon jchon
vor 35 Jahren nach feinen Erfundigungen in Fezzan mit fehr beftimms
ten Worten: The river called Goulbi or Nile (d. 5. der Ril der
Neger, Zeitfehrift II, 347, oder Niger); the former is Soudan term
(nämlich ein Hahflawort f. hier ©. 98) for all waters and by
no means applicable to the Niger alone (Lyon, Narra-
tive of travels in Northern Africa. London 1821. 8. 145). Webers
einftimmend damit Außerte ſich der Amerikaner Hodgfon nur wenige
Jahre fpäter nach feinen in Algier eingezgogenen Nachrichten, daß Golbi
der Nigername in Hauſſa fei, und auch er fagt, daß dieſes Wort fo
3) Der bekannte Meifende Brown fprach in der Hinficht ſchon ausdrücklich aus:
Bahr is applied to a great lake, as well as to a river (Travels p. XX).
108 Gumprecht:
viel, wie Bahar, sea a bedeute (Notes on Northern Africa. New York
1844. App.), eine Betätigung ber aufgeftellten Deutung des Namens
Majo in dem Berichte des Fellanſtudenten. Den Namen Gulbi für
den Niger lernten wir übrigens fchon im vorigen Jahrhundert Eennen,
indem ver berühmte Reiſende Niebuhr von einem im Jahre 1772 zu
Kopenhagen anweſend gewefenen tripolitanifchen Gefandten Abb er rha⸗
man oder eigentlich von defien aus Hauffa gebürtigem Diener den Niger
fo nennen hörte (Neues deutfches Mufeum 1790, IL). Später Fam
berfelbe in den von Lyon's Reifegefährten Ritchie in Fezzan gefam-
melten Nadjrichten über GentralsAfrifa wirklich al6 Name des Hauffa-
ſtromes vor. Einer von Ritchie's Berichterflattern, der Hadſch Hamet,
erzählte nämlich demfelben, daß ein Strom aus dem See von Ryffi
komme, das Land Kafchna durchfließe, hier den Namen Gulbi erhalte,
dann durch Gano (Kano), Bornu und Känem gehe und enblich in
Bagermi eintrete, wo fich jede Spur von ihm verliere (Quarterly Re-
view 1820. XXIU, 234). Freilich iſt in diefer Notiz Wahres mit
Falſchem reichlich gemengt, indem der Hadſch den nach Weften gehen:
den Hatffaflrom mit dem entgegengefeßt nach Often fließenden Yẽu ver:
bunden hat, ein Mißgriff, welcher befanntlich oft bei afrifanifchen Bericht:
erftattern in Bezug auf Fluͤſſe vorfommt, deren Quellgebiete nahe liegen,
wie e8 bei dem Hauͤſſaſtrom und Deu wirklich der Fall ift (Clapper-
ton, Journal 168) und der zu vielen Berwirrungen in der Geographie
Central⸗Afrika's Beranlaffung gegeben hat. Endlich beftätigt noch
Barth's Karte von Kebbi und Zanfara das über die allgemeine Bedeu⸗
tung des Wortes Gulbi Gefagte, da fie, wie weiterhin fpeciell ange:
geben werden wird, zu vielen Blußnamen in Haufla ausdruͤcklich Gulbi
oder Gulbin ſetzt (S. 110). Berüdfichtigen wir zuletzt den erſt Durch
Glapperton in Europa befannt gewordenen Namen Quorra bed mitt-
leren und unteren Riger, fo ergeben die neueren linguiftifchen For⸗
ſchungen ein ähnliches Refultat, nämlich daß auch dieſes wahrfcheinlich der
Hauͤſſaſprache entlehnte Wort eine allgemeine Bedeutung hat und faſt
Gleiches mit Majo und Gulbi bezeichnet. So hörte Hodgfon (a. a. D.
S. 110), daß Korama im Haufla Fluß heiße, und der deutſche Mif-
fionar Schön beftätigte Died in feinem Werke über diefe Sprache, wo ed
unter Anderem heißt (Vocabulary of the Haüssa language. London
1843, s. voc. river): River s. Koramma pl. Korammu. Might not
Barth's Schickſale und Unterfuchungen im cemtralen Nord⸗Afrika. 109
Quorra be a corruption of this word? Daß aber dieſes Quorra⸗
Wort in den Nigergegenden eine große Verbreitung erhalten hat und
@lapperton befannter, als die übrigen hiefigen Namen des Niger, bie
er nicht gefannt zu haben fcheint, geworben ift, darf nicht wundern,
da das Hahffa eine fehr reiche, ausgebildete und wohlflingende Sprache
ift, welche eben dieſer Vorzüge wegen in den Nigergegenden weit über
ihre urfprünglicde Heimath, hinaus Eingang gefunden hat").
Durch Barth's Karten erhält beſonders die Kenntniß der hydro⸗
grapbifchen Verhältniffe in den Gegenden zwifchen Kätfena und Tim
buftu mannigfache Veränderungen, indem hier zum erften Male viele neue
Kamen von Flüffen und der Lauf derfelben erfcheinen. Eine Zufammen-
ſtellung der neuen Refultate mit den älteren wird dies anfchaulich machen.
Nah Barths Erkundigungen entfleht der Strom von Haufja füb-
fübsftlich von Kätfena in etwa 10° 20’; er nimmt dann feinen Lauf
zuvörbderft nach Nordweſten, indem er in einiger Entfernung weftlich
von Kätfena vorbeifließt. Yngefähr unter dem 10° 20’ nörbl. Br. ver⸗
einigt fi) mit ihm ein anderer von Rorboften fommender Fluß, deſſen
Namen unfer Reifender aber nicht anführt. Bon da an ändert der
Strom feine Richtung in eine weftlidhe um, mit welcher er durch die
Landſchaft Ouber geht und deren Hauptort Kalaua (Kalawawa bei
Denham II, 79, 114) berührt. Weſtwaͤrts Kalaua bei Guangäfo nimmt
er noch einen zweiten anfehnlicheren, von Sübfüdoften kommenden Fluß
auf, der Zanfära durchzieht, Kaurin Ramoda berührt und feinerfeits
unfern von Sanfanneh Ayfa (Zeitfchrift IN, 59, 224) fih durch ein
von Süpfünoften kommendes und nach der von ihm befpülten Stadt
Zirmie Zirmiefluß bei Clapperton (Journal 180) genanntes Waffer
verftärkt. Bei Wurno erhält endlich der Hauffaftrom den Namen Rima
(Gulbin Rima auf der Karte); von hier geht er nach Suüͤdweſten
bis zu der in der Landſchaft Kebbi gelegenen Stadt Bunfa, wo er
1) Dagegen ift zu bemerken, daß das Wort Gulbi weber bei Schön, noch unter
den von Koelle gefammelten Haufiaworten vorfommt, indem jener das Waſſer im
Hauffe Iia, dieſer rua nennt (Polyglotta africana or a comparative vocabulary
of nearly three hundred words and phrases by Rev. S. W. Koelle. Fol. London
1851, f. Water). Die Verſchiedenheit dieſer beiden Worte erklärt ſich dadurch, daß in
der Hauffafprache die Labialen I umd x fehr Häufig verwechſelt werben, was nach Bow⸗
dich (Mission to Ashäntee 196) nnd Schön (a. a. O. 46) auch in andern Theilen
Afrika's wicht ungewöhnlich if.
110 Gumprecht:
nochmals in eine ganz weſtliche Richtung umſetzt, bis er zieht ober⸗
halb des in etwa 14° nörbl. Br. und 39 45’ öfll. 2. Gr. gelegenen Orte
Geitſchr. II, 331) in den Niger fällt. Unterhalb Wurno vereinigt ſich mit
dem Strome und zwar auf deſſen linfer Seite die Raba (Gulbin
Raba) oder Bugga, ein unbebeutendes (Denham II, 114), ſtark ge
wundenes Flüßchen, das abermals von Sübfüdwehten fommt und furz
vorher, ehe es in den Rima fällt, Sofoto berührt. Bei Argungu ver:
läßt envlich die Rima das Fellanreich von Sofoto, und tritt in die
Landfchaft Kebbi ein, wo fie den Namen Gulbin Kebbi oder Gul⸗
bin Sofoto führt. Gegenüber Bunfa ') verflärkt fie fi von der Süd⸗
feite her duch den Gindi (Gulbin Bindi) oder Zoma (Gulbin
Zoma) ?), einen fehr langen und anfcheinend anfehnlichen Fluß, deſſen
Quelle Barth nicht befannt geworben zu fein fcheint, und der in dem
größten Theile feines Laufes, namentlich während feines Verweilens in
Kebbi, einer faſt genau weſtlichen Richtung folgt. Zuleht fallt noch
ein Wafler, Ranneo oder Karinrua genannt, dad wiederum von Süd⸗
fünoft fommt, in den Hauffaftrom.
Vergleichen wir mit biefen neuen hydrographiſchen Ergebnifien
bie früher bekannten, fo ergeben fi) namhafte Abweichungen, ohne
daß wir bis jebt zu beftimmen vermöchten, welche von den Dar
ſtellungen, bie ältere oder neuere, zuverläßiger ift; ficher dürfte nur
das fein, daß, da beide Darftellungen auf einzelnen, von den Rei-
ſenden betretenen Routen beruhen, feine eine vollfommene Richtigkeit
bat. Barth's Karte zeichnet ſich allervinge, wie erwähnt, durch
einen großen Reichthum von Gewäflern aus; da aber die meiften
davon nad Angaben der Eingeborenen niedergelegt find, fo muß eine
weitere Betätigung abgewartet werben. Was fpeciell den oberen Lauf
des Hahfjaftromes und feiner dortigen Zuflüffe betrifft, fo möchte
1) In Denbina nennt Barth außer Bunfa noch die Städte Delu und Baya (Gayı),
die erfle auf der Norbfeite des Gulbin Kebbi, unfern der Mündung dieſes Blufies in
ben Niger, Gaya aber unmittelbar an dieſem Strome oberhalb Say.
2) Diele oftmalige Wiederholung des Beiworts Gulbin bei ben eigentlichen Fluß⸗
namen darf nicht unbeachtet bleiben, wie ©. 108 bemerft war. And Dupuys nennt
einen Ghnibi Kherba (App. C). Dagegen laſſen fich bie zahlreichen, von demſelben in
Aſchẽnti gefammelten fehr vagen Daten über einen zweiten Ghulbi (LXIII, XCUI,
XCVN, XCVII, CV, CXXVIH m. f. w.) weder auf ben Niger, noch auf den Hauffe:
from, fondern nur anf Ströme im Weſten des Niger beziehen.
Barth's Schidfale und Unterfuchungen im centralen Nord⸗Afrika. 111
ih der Darftellung auf der Karte zu Elapperton’s zweiter Neife vor
ber Barth'ſchen fogar den Borzug geben, da jener Reiſende feinen Weg
viel nörblicder, näher am Steome hin genommen und benfelben zwei
Mal in aller Muße zurüdgelegt hat, während Barth durch den hier
(S.104) erwähnten Einfall des feindlichen Quberanerheered gezwungen
wurbe, eine fehr fühliche, von dem Steomlaufe entfernte Route nach
Zirmie einzufchlagen, und die Nähe des Feindes Ihn überbied zu gros
Ber Eile nöthigte, wobei ihm Feine Zeit zu grünblicheren Beobachtungen
geblieben fein kann. So mußte er bis Bunfa, einem Orte vor Dir
mie, einen ermüdenden 19flündigen (Petermann I, 12) und von Bunfa
einen zweiten 26 flündigen Marfch durch das veröbete und verwilderte
Quber zurüdlegen, bis er erft unter dem Schuge von Allyu's Heer
Ruhe und Sicherheit fand. Deshalb ift es erfläclih, daß mandhe
Namen auf Barth's Karte fehlen, deren Kenntnig wir fchon durch
Glapperton erhalten hatten. So giebt Barth weder auf der Karte,
noch in feinen Briefen dem erwähnten, in Zanfära und Bart bei Kau⸗
rin Namoda vorbei fließenden Strome einen Namen, obgleich ein fol
cher bei Efapperton, wenn auch in vier verſchiedenen Formen, vorfommt,
fo daß man die beliebige Auswahl hat. Einmal nennt nämlich der
britiſche Forfcher den Fluß Futſchie (Denham I, 116), ein zweites Mal
Felſche Cebenvort II, 78), das dritte Mal Fuiſchir (Futchir, Journal
179) und endlich erfcheint derfelbe auf den nach Clapperton's Ermit-
telungen gezeichneten beiden Karten als Fulſche. ES vereinigt ſich
derfelbe nach Elapperton eine halbe Tagereife nörblih von der auch
auf Barth's Karte von Zanfära und Kebbi genannten Stadt Bada⸗
raua mit dem die Grenze der Provinzen Kätfena und Kano bildenden,
in feinem höheren Laufe von Glapperton ald Fluß von Duncami (ein
Ortsname, der bei Barth fehlt), dann aber ald Quarrama (Den-
kam II, 70, 73) aufgeführten Zirmiefluffe. Durch die neu gewonnene
Kenntniß der Hiefigen geographifchen Verhältniffe mobificitten ſich natürs
lich auch in manchen Stüden die früher hier (III, 67, 68) aus Glapper-
ton’8 Berichten mitgetheilten hybrographifchen Angaben. Ob die neuen
Darftellungen Barih's bei Gelegenheit von defien Ruͤckreiſe, wie er hoffte,
Veränderungen und Berichtigungen erhalten haben, läßt fich noch nicht
ermeſſen, doch dürften folche kaum zu erwarten fein, da der Reifende von
Wurno diedmal einen fogar noch viel fünlicheren Umweg genommen
112 Gumprecht:
zu haben ſcheint, wenn nämlich der Ort Gandi, über den er ging, mit
der erwähnten Capitale Gando identiſch iſt.
Ueber Wurno und feine Umgebungen erfahren wir aus ben neuen
Berichten zu den früher (III, 60, 223) mitgetheilten Nachrichten end⸗
lich noch, daß der Ort urfprünglich zu der großen Landfchaft Guber,
Sokoto dagegen zu Kebbi gehörte CPetermann I, 11), ferner, daß biefe
beiden Landfchaften durch ein Fluͤßchen getrennt feien, befien Name in
dem Berichte nicht genannt wird, das aber wahrfcheinlich die Raba ift,
da beide Städte wohl auf derfelben Seite der Rima, Dagegen auf verſchie⸗
denen der Raba liegen, enblich daß in der Nähe Wurno's in ber legten
Zeit eine große Zahl von Fellan⸗Anſiedelungen entftand. Diefe Berbreis
tung des Fellanvolles in Central⸗Afrika (ſte laͤßt fich oͤſtlich bis Dar Fur
verfolgen, wo Anftebelungen der Fellans fchon durch Brown (S. 269,
271) und den Scheifh EI Tounfy (Dar Sur 134) ') beobachtet worben
find, ift überhaupt eine höchft merfwürbige Erſcheinung. Denn während
wir fonft in dem afrifanifchen Eontinent ein fortwährendes Drängen ber
Binnenvölfer gegen die Küfte fehen, wie dies namentlich bei ven Gall,
Mandingo und den Anwohnern des oberen Gaben der Fall ift, vers
folgen die am oberen Senegal, urfprünglich aber in der Landfchaft Fu-
lahdu d. 5. Kellanreich heimifchen Fellans ein entgegengefehtes Bes
fireben nach Oſten und in das Innere des Continents hinein.
| Die Temperatur fand Bartf u Wurno, wie früher angegeben (II,
62), fehr Hoch; fie erreichte nach feinen jebigen beflimmteren Angaben
um 2 Uhr Nachm. 108— 111° Fahrenh. (34— 35! R.) und Abends
fogar noch 95 — 98°. (23 — 290 N). Aus der fehr baumarmen
Flora bei Wurno fiel ihm nächft den früher fchon genannten Bäumen
(OL, 61) die Kufa auf, die hier aber wohl nicht die Adanfonie (Zeit
ſchrift IV, 254— 256), fondern eine baumartige Euphorbie iſt
Zu Wurno hatte Barth fehr viele Materialien gefammelt, wovon
er einen Theil an den um die central=aftifanifche Geographie hoch⸗
verbienten britifchen Borfcher Desb. Cooley zu ſenden beabfichtigte.
Diejes Autors befanntes, das centrale Nord-Africa im Mittelalter
nach den Anfichten der arabifchen Schriftfteller betreffendes Werkchen
(The Negroland. London 1811) glaubte er nicht genug preifen zu
’) In neuerer Beit hörte noch Fresnel von ven Fellan in Dar Fur (Bull. de
la Soc. de G£ogr. 3= Ser. XIII, 91).
Barth's Schickſale und Unterfuchungen im centralen Nord⸗Afrika. 113
fönnen, da, wenn er auch darin manche unnüge Conjectur tabeln nrüffe,
3. B. daß Eooley Kalaua, Gubers frühere Haupiftadt (f. Hier S. 109),
irrthuͤmlich mit den Keluituarifs in Verbindung bringe, ferner die uns
auläffige Identifieirung Surami's, der einfligen Reſidenz Kantä’s, des
möächtigften Fürften von Kebbi (Bello’8 Bericht bei Denham UI, 163 —
164), mit Zyrmi (Zirmie), endlich Eooley’s Combinirung der Kelgeres-
tuari8 (Zeitfchrift III, 61, 67) mit dem Hauffanamen Kilingiwa,
eines Sultans von Kätfena, fich doch im Allgemeinen des Verfaſſers
Hauptfäge auf eine wunderbare Weife beivahrheiteten, und dieſe Wahr⸗
heit, feßt der Reifende Hinzu, müfle auch in England zur Geltung
fommen (Betermann I, 12).
Nach faſt Hwöchentlichem Aufenthalte zu Wurno trat Barth) etwa
um den 5. Mai 1853 feine Weiterreife nach Zimbuftu an, indem er
ſich zuerfi nad) Say wandte, was aber nicht auf dem graben Wege,
fondern mit einem Umwege über die fübweftlich von Say gelegene und
hier wohl öfters erwähnte Stadt Gando (Zeitfchrift III, 225) geſchah.
Hier refidiet der Hellanfürft Khalilu, ein Glied der Herrfcherfamilie
von Sofoto, Sohn Abu Allahis, eines Bruders des Begründers der
Fellanmacht im Sudan, Danfodio (Zeitſchr. IU, 224, 225). Derfelbe bes
fist ein großes Reich '), das ſich nad) Barth auf ber linken Seite des
Niger nicht allein über Dendina, einen großen Theil von Kebbi und
angeblich auch über die ausgedehnten Landſchaften Nyffi und Jauri?)
und dem Worte nach über die Landfchaft Zaberma, fondern auch im
Weſten des Stromes über die große Landſchaft Gurma erfiredt.
An ihn war Barth von Aliyu empfohlen (Zeitfchrift II, 225),
aber der Reifende fand Kebbi in großer Unrufe, da bie alte Bevöl-
ferung des Landes im Aufftande gegen die Fellaneroberer begriffen
2) Weber bie Entfiehung dieſes zweiten Fellanreichs gab ſchon Clapperton (Jour-
nal 206) Kunde. Nach feines Vaters Danfoblo im Jahre 1816 erfolgtem Tode trat
nämlich defien Sohn und Nachfolger Mohammen Bello alle im Weften Haufja’s ge:
Iegenen Lande an ven Mohammen ben Abballah ab, den Glapperton Danfodio's Bru⸗
dersſohn nennt; mit ihnen ift wahrfcheinlich das früher Hier nach Ahmedu erwähnte
(II, 360) Reich Khalili gemeint.
2) Nach Schön’s (80, 87), Oldfield'e, umb der Gebrüder Lander Nachrichten bil⸗
deten die Fellan in Nyffl ein eigenes großes Reich mit ver Hauptſtadt Rabbah, zu bem
aber Jauri nicht gehört zu haben fcheint, und das dem Sultan von Soloto tributair
war (Laird und Oldfield a. a. O. II, 86).
Zeitſchr. f. allg. Erdkunde. Bd. V. 8
114 Gumpredt:
war !). Zu diefer Erhebung mögen vie Kebbler durch den Charakter Kha⸗
lilu's ermuntert worden fein, indem dieſer Fürft zwar eine eigenthlümliche
Verfönlichkeit, welche allen weltlichen Glanz verachtet, aber nad) ben
von Barth gehörten Urtheilen nicht die nötbige Energie zur Regierung
feines weiten Reiches befigt. Leider ift ein von Say aus an Herm
Bunfen gerichtetes Schreiben Barth's mit einem Berichte über deſſen
Zug von Sofoto bis zu der letztgenannten Stabt noch immer nicht in
Europa angelommen ?), fo daß uns alle Nachrichten über die Bes
fchaffenheit des Landſtrichs zwifchen beiden Städten, fowie über des
Reiſenden Aufnahme bei Khalilu fehlen.
In der großen Stabt Say *), die auf einer 3 Meilen breiten,
10 Meilen langen und nach Weften zu von einem flachen, bei Barth's
Anwefenheit aber trodenen Arme des Fluſſes eingefchlofienen Riger-
infel liegt, febte der Reifende über den Strom (Zeitſchrift II, 331),
worauf er an deſſen rechtem Ufer in einer ziemlich geraden, norbnorb-
weftlich gerichteten Linie, die, wie bereitö früher gemuthmaßt war (I,
360), eine Sehne des von dem Niger zwifchen Timbuftu und Say
gebildeten und nach Often gewandten Bogens if, feinen Weg durch
die fammtlich noch nie von einem Europäer betretenen Landfchaften
Burma, ibthäfo und Dala nahm. Deshalb gewährt Barth's Befuch
1) Empörungen der durch die Fellan unterjochten Urbeiwohner des Landes gegen
ihre Beherrfcher in Folge ber arten Behandlung, bie fie von ihnen zu erleiden ha⸗
ben, Tommen fehr oft vor. Namentlich wiffen wir durch Clapperton, daß dergleichen
in Banfära und den durch die Fellan eroberten Theilen von uber ſich ereigneten
(Journal 154, 207). ©. auch Seitfchrift II, 223.
2) Mit diefen Häufigen Berluflen von Briefen und Sendungen in der Sahara
und im Süden contraftiren Ruſſeggers Grfahrungen im Often gar fehr, wo biefem
Neifeuden während 5 Jahren in den Mehemed Ali unterworfenen Ländern nicht ein
Brief oder ein Paquet abhanden kam (Meifen II, 14).
2) Say foll nad Barth In dem öftlihen Son'raydialect (f. über die Son'ray
und ihre Sprache Berl. Monatsber. N. F. IX, 301-303; geitfchrift IT, 329, 332,
353, 357) gleichfalls ein allgemeines, Fluß beventendes Wort fein, wogegen ber
weſtliche Son’raybialect, d. d. der von Timbultu, dafür das Wort Ifa hat (Berliner
Monatsber. IX, 303, 304; Zeitfchrift III, 68). So wirb auch ber gleich noch zw er:
wähnende Fluß Sirba allgemein Say genannt. Die Lage der Stadt Gay wurbe von
Barth in 13° 10" nörbl. Br. und 3° 7’ öfll. 2. von Gr. gefeht (Petermann's Mitthei⸗
‚ Tungen I, 94), alfo nicht in 14° 40’ n. Br. und 0° 30’ AfL. 8. Gr., wie früher
(1, 331) nad) Herrn Betermann’s Aufſatz in den Times vom 28. März 1854 ange:
geben war. Die eine Uferfeite des Niger beflcht hier aus 80 Fuß hohen Felſen.
-
Barth's Schickſale und Unterfuchungen im centralen Nord⸗Afrika. 115
biefee Gegenden wieder eine neue wichtige Bereicherung der central
afrifanifchen Geographie, Die um fo erfreuficher ift, als ſie fih un-
mittelbar an ein fchon ziemlich befanntes Terrain im Süden anfchließt. .
Gurma grenzt nämlich an die große Landfchaft Borgu, deren Kenntniß
wir @lapperton’d zweiter Reife, dann der Reife der Gebrüber Lander
verdanken. Bon Gurma war aber bisher fo viel wie nichts befannt ges
wejen. Selbft der aus Bello’s Werf gemachte Auszug (Ghoorma bei Den⸗
ham II, 163), Bowdich (Goorooma ©. 206) und Dupuys (Ghoroma
S. XLIV) führen davon allein den Namen ohne weitere Bemerkung
an und auch Elapperton (Journal 117) bemerft nur, daß Gurma ein
großes Land fei, welches nach Ausfage der Muhamedaner ein civilis
firtere8 Bolt bewohnt und die Fellans beherrfchen, andere Berichter
ftatter @lapperton’d aber von nadten Wilden, aljo Heiden, bewohnt
fein laſſen. Beide anfcheinend fich mwiberfprechende Nachrichten mögen
indefien richtig und mit einander zu vereinigen fein, denn da Barth
in feinem von Döre in Libthafo aus am 16. Juli 1853 an Herrn
Bunſen gerichteten und durch Herrn A. Petermann ganz neuerlichft
mitgetheilten (I, 94 — 98) Briefe anzeigt, daß Gurma ein größten-
theils hochgelegenes bergiges Land ſei, wo ſich feine durch den Aufents
halt zu Say angegriffene Geſundheit vermöge der reineren Luft fehr
gebefiert habe, fo ift es möglih, daß, während die Fellan nur einen
Theil des Landes einnehmen und die civilifirten Bewohner Gurma’s
von Clapperton's Berichterftatter ſind, die Urbewohner des Landes das
gegen ſich in dem größeren gebirgigen, ſchwerer bezwingbaren Theile
des letzten ald Heiden in ihrer ganzen Rohheit erhalten Haben. Barth
fcheint in der That eine ſolche Vermuthung zu beftätigen, indem nad) ihm
die Fellan nur einen Heinen Theil von Burma im Norben inne haben,
wo große Strecken wilder Wälder Die wenigen cultivirten Stellen, an
denen fie drei Heine, gleich zu erwaͤhnende Staaten gebildet Haben, von
einander trennen. Gurma's gebirgige Befchaffenheit möchte endlich
wohl daher rühren, daß Aeſte jenes großen Gebirgszuges, welcher im
Süden im Lande Yoruba beginnt, dann Borgu durchzieht und fi
noch auf der linfen Seite des Stromes durch Youri, Zanfara, Guari
und Zegzeg verfolgen läßt (Elapperton Journal 117), bis in dieſe
Landfchaft überireten. Don der Sprache der Eingeborenen Gurma's
berichtet enblich Barth die merfwürdige Eigenthümlichkeit, daß fie einige
. 8 *
116 Gumprecht:
Worte mit der Sprache der Bewohner Guinea's an der Beninbucht
gemein habe. Koelle gab davon neuerlichſt in ſeinem S. 109 erwaͤhnten
großen ſprachlichen Werke Proben. Der gewoͤhnlichſte und hervorragendfte
Baum dieſer Landſchaft iſt die Kuka, worunter bier, wie S. 115, wohl
nicht die Kuka der Bornuer (IV, 254), ſondern eher eine Euphorbiacee
zu verftehen ift, da der Reifende viefelbe das wohlbefannte Candela-
brum nemnt (f. hier ©. 112), bei feinem anderen Gewächfe aber, als bei
baumartigen Euphorbien armleuchterförmige Bildungen fo vorherrfchen.
Die zweite von Bart durchzogene, ſüdlich von Gurma begrenzte
Landſchaft Libthäfo liegt nach deffen Karte (Taf. TI bei Petermann) zwi:
fhen dem 14 — 15° nörbl. Br. und dem 0 — 2° wefll. & von Gr.,
15 Tagereifen oder 180 — 200 engl. Meilen von Timbultu und be
fteht aus einer öden Hochebene mit faft Tahlem Boden ohne Bäume
und Sträuder. Ein Granitterrain beginnt fchon bei Say und feht
nach Weften zu durch dieſe Landſchaft fort, erfcheint aber bei dem gleich
zu erwähnenden Ort Tſchampagoͤre mit vielem und zum Theil fchönem
Gneis gemengt. So bildet Granit Höchft wahrfcheinlich auch die hohen |
Felſen an den Rändern des Niger bei Say. Etwas weiter nach We
ften zu, wo das Plateau eine Abdachung hat, liegt ein großer See, der
periodifch troden if, wovon fich auch Bart} überzeugte. Eine befondere
Stadt Libthaͤko giebt es nicht, wie nach den erften nach Europa gelangten
Berichten Barth's aus Diefen Gegenden (Journ. of the Geogr. Soc. of
London. XXI, 215; Zeitfchr. II, 331, 359) anzunehmen war, da Barth
nun ausdruͤcklich ſagt (Betermann I, 94), daß der Ort, von wo er feinen
Brief vom 19. Juli an Herrn Bunfen richtete, Döre, die Landfchaft aber
Libthaͤko Heißt; Kibthäfo alfo, von wo aus der Reifende an Lieut. Col.
Herman einen ausführlichen Brief ſchrieb (ebend. 328), ift denmach aud)
dieſes Döre. — Die dritte und nörblichfte Landfchaft Dalla war meines
Wiſſens biöher nur durch Ahmedu befannt (Journal XXI, 216).
Ueber Barth's weiteren Weg, den von Say nach Timbuftu, find wir
durch Das oben erwähnte Schreiben aus Döre viel beffer unterrichtet, als in
Bezug auf den erften Theil des Weges nach Say. Bon der letztgenannten
Stadt paffirte der Reiſende bis Döre die Orte Tſchampagoͤre, Tſcham⸗
paslauel, Boſebaͤngo, Bundoͤre und Sebba, welche zum Theil die Wohn:
orte Kleiner Hellanhäuptlinge von Gurma find, indem das zwiſchen Say
und Döre gelegene Land in brei Territorien getheilt if, wovon das
Barth's Schickſale und Unterfuchungen im centralen Nord⸗Afrika. 117
eine mit der Hauptfladt Tſchampagoͤre in 13° 12’ nörbl. Br. und
2° 41’ öfl.2 von Gr. in flaatlicher Hinficht beffer organifiet if, als
die beiden übrigen. Sein Fuͤrſt, der einft das Land Maſſena im Nord⸗
weften von Timbuktu regierte (Cailie II, 160, 217), es aber gegen
den ehrgeizigen fpäteren Beherrſcher Iinnie’s und Timbuktu's Ahmed
Labu verlor und ſich mit vielen feiner Fellans in diefe Gegend zurüd-
309, Hält in feiner Refivenz einen Heinen Hof, wie Barth fagt, von
wirflich fürftlichem Charakter, welcher eine Welt für fich bildet und mit
Allem, was ihn umgiebt, in jchroffem Contraft fteht. Tſchampa⸗lauel,
13° 12’ 30" nördl. Br., 2° 33’ öfll. 2. Gr., iſt eine ähnliche Reſidenz
des Gebieterd von Toroͤde, deſſen Yellanunterihanen, vie Zoröde, alle
ſchwarz find und zu der vornehmften Klaffe der Fellan gehören. Barth
jcheint den Urfprung des Namens Toroͤde nicht zu kennen; aber un
zweifelhaft ift derfelbe von dem Namen des Landes Futa Toro am Se⸗
negal abzuleiten, von wo ein großer Theil der jetzt am Niger und im
Sudan wohnenden Fellans berfiammt, wie Clapperton beſtimmt an⸗
giebt 3). Am Senegal gelten die Torödes jedoch nicht für reine Yel-
lang, fondern für eine Mulattenrace, indem fie aus der Bermifchung
der urfprünglich Bellen Fellans mit den ſchwarzen dort einheimifchen
Zolofs und Mandingo's Kervorgegangen find (Mollien, Voyage dans
Yintörieur de l’Afrique. Paris 1818. I, 275, 276; Raffenel, Voyage
dans l’Afrique occidentale. Paris 1846. S. 262). Sebba, 13° 12’
30” nörbl.Br., 2° 33’ öfll. L. Gr., ift die Hauptſtadt des dritten Heinen
Staats in Gurma, Namend Yaga, der von dem von Toroͤde wieber
durch eine A Tagereifen breite, fehr ausgedehnte und unfichere Wildniß
getrennt ifl, und worin man nur bei einem einzigen Orte Namens Bofe-
bango, defien Lage Bart in 13° 34' 30” n. Br. und 1° 19’ Sf. L.
von Gr. verſetzte, vorbeiflommt. In Yaga wird Durra faſt allein
gebaut. Bofebängo, das aber nicht mehr zu Gurma gerechnet zu wer
den pflegt, bewohnt ein unabhängiger Stamm ber Son'ray, die Ka⸗
2) Melly or the petty kingdoms of Foota-’Torra, Foota-Bonda and Foota-
Jella (d. 5. Sata Tora, Bondu umd Buta Jallon, Geographie von Afrifa 206, 235)
were the places, from whence they (d. 5. die Fellan) spread themselves eastward,
until they became very considerable (Clapperton Journal 205). Daun fagte der⸗
felbe Berichterftatter noch von den Gingeborenen der Stabi Zaria: They are mesily
all Fellatahs; a great. many of ıhem from Foota-Bonda and Foota-Torra (a. a.
D. ©, 159).
4
118 Gumprecht:
fäbe, nahe Verwandte der Larba, welche ein wenig noͤrdlich von ber
Straße angefeflen find und fle täglich unficher machen. Zehn Minu-
ten weſtlich davon giebt es endlich einen Fluß, den ſchon erwähnten |
Sirba (f. hier S. 114), deſſen oberer Lauf nach Barth den Eure
paͤern erft vor einigen Jahren befannt geworben fen fol‘). Der
felbe macht eine Biegung von Nordweſt nach Nordoſt und fließt weiter
nah Weiten am Saume der Straße hin. Unſer Reiſender fand ihn
an der Stelle, wo er über ihn febte, 12 Fuß tief, und da Boote
völlig fehlten, fo wurde er gezwungen, den Webergang mittelft zu-
fammengebunbener ungeheurer Bunde von Binfen zu bewerffteligen.
Es ift diefer Fluß der anfehnlichfte, den man auf dem Wege von Say
nach Döre antrifft; einige andere, ebenfalls von Barth paflirte Ge⸗
wäfler, wie der Goͤrebi, den derfelbe eine Meile weftlih von Tſchampa⸗
lauel fah, und der Yali, angeblich ein Zufluß des Sirba, find nämlich,
wenn auch nicht ganz unbebeutend, doch viel Kleiner, als der Sirba.
Bundöre, 13° A3’ 30" nördl. Br., 1° 39’ 30" öfl. 2, iſt endlich ein
von dem Emir von Yaga abhängiges und durch Gurma's bewohnte:
Dorf zwifchen Bofebängo und Sebba Tore, 14° 28’ n. Br., 0° 40’
oͤſtl. L, gehört endlich ſchon zu Libthäfo und Hat, obgleich Außerlicy
ein ungemein elender Ort, einen nicht unbebeutenden Handel Hier
iſt man ſchon innerhalb des Handelögebiets von Timbuktu, denn Araber
aus feiner Umgebung find e8, welche den Markt Doͤre's vorzugsweiſe
verforgen. Wie zu Timbuktu, macht hier das Salz, welches in ber
Saharavafe Taodennt (oder Taudeyni, Geogr. von Afrifa 248, 257;
Zeitfchrift II, 349) in großer Menge gewonnen und nach den Niger:
ändern verführt wird, einen Haupthandelsartifel aus. Die Rata davon
(etwas mehr, als ein halber Eentner) galt während Barth's Anwefenheit
5—6000 Kauri’s, d.h. etwa 8 Thlr. Pr. C. Außerdem bringen die Araber
nad) Doͤre Gold, das unzweifelhaft aus der Berglandfchaft im Süden in
der Nähe des Kong, nämlich aus Maniana, Gaman, Moft und Afchänti
ſtammt. Naͤchſtdem finden fih hier Tuariks ein, welche von den Fellans
Peli, d. 5. Bögel?), wahrfcheinlich wegen ihrer Agilität, oder auch
») Ich weiß wicht, bei weldyer von. Barih angebenieten Gelegenheit bies ge:
{
2) Daß andy bie heutigen Tibboz wegen ihrer Gelenligkeit Bögel genannt zu
werben pflegen, erwähnt Lyon (227).
Barth's Schickſale und Unterfuchungen im centralen Nord⸗Afrika. 119
Wodẽbe, Rothe, muthmaßlich wegen ihrer braunen Hautfarbe, genannt
werben. Zwifchen Timbuktu und Say iſt nämlich das Rigerthal beinahe
gänzlich in ben Händen von Tuarifs, deren groͤßtentheils auf den Inſeln
angefievelte Stiaven den Boden für fie bebauen. Zu den Tuariks ge
hören zuvörderft Die von Dindina oder Denbina, vorzüglich aber dies
jenigen, die zu Gar’o, in der 7 Tagereifen NRW. von Döre gelegenen
und einft berühmten, jeßt aber nur in elenden Reften vorhandenen
alten Hauptfladt des früheren Son'rayreichs ) wohnen (Zeitſchrift IE,
328; IV, 411, 414). Ebenfo bringen die Bewohner des früher gelegent-
lich ausführlicher Hier erwähnten Reichs Moſi (Zeitfchr. I, 385, A28)
nah Döre ihre berühmten Efel, ihre vortheilhaft befannten breiten
Baumwollenftreifen, Leppi genannt ?), ihre wohlfellen ſchwarzen Hems
den und eine Menge befonderer großer Gurunuͤſſe (oder Colanüſſe,
Nüſſe von Sterculia acuminata) zum Verkauf. Die Nüffe ſtanmen,
wie Bart ausprüdlich bemerkt, nicht von Selge, fondern von Tangere
ber *). Bon den Bewohnern des Ortes, welche theild Abkümmlinge
der urfprimglichen Son’raybenölferung, theils Fellans find, zeichnen ſich
ine durch ihre Inbuftrie aus, wogegen die Iehten in dem gewöhnlis
chen Charakter ihres Volls laͤßig find und fat nur Biehzucht treiben,
da fie einzig Milch, und zwar nicht allein faure, fondern, wie ber
Reifende hervorhebt, auch füge Milh auf den Markt bringen. In
den öftlichen Theilen der von Barth auf dem rechten Ufer des Stromes
in biefen Regionen durchzogenen Lanbfchaften find die Son'ray auf
das Flußthal befchränft, weiter im Weften findet man fie hauptfaͤch⸗
lich zwifchen der Straße und dem Fluſſe, an einem beträchtlichen und
vielverzweigten, in den Sommermonaten aber trodenen Bette deſſel⸗
ben angefievelt. Endlich giebt es Anfievelungen dieſes Volksſtammes
1) Die Lage dieſer alten Haupiflabt Hatte Barth, wie er fagt, zuerft in 16°
40’ nördl. Br. und im Meridian von Greenw. zu finden geglaubt; fpäter gab er da⸗
für 17° 19’ nörbl. Br. und 0° 47’ 20” Sl. 2. Gr. (Petermann’s Mitteilungen
I, 93).
2) Die Zeuge werden nämlich im Sudan meif nur in Streifen gewebt, die man
dann aneinander heftet (Schön 78; Beitichrift II, 68).
3) Selge ift die Hauptflabt Sallagha oder Gelga der am Nordrande bes Aſchanti⸗
reiches gelegenen großen und durch ihre bedeutende Probuchion von Gurunüſſen be:
Taunten Landſchaft Sonja (Bowdich 178; Dupuys XXXVI, XL, CXXV, CXXX).
Zangere war dagegen, wie ich glaube, biöher ganz unbefannt.
120 Oumpredt:
ſelbſt nörblich von Döre in mehreren Dörfern zwifchen Arribinda und
dem Omborigebirge, und zuletzt gar noch näher an Timbuktu. Yür die
Korifebung feines Zuged war es dem Reiſenden böchft unangenehm,
zu Döre die Erfahrung zu machen, daß er jeine Kano⸗ und Nyffi⸗
waaren nur mit enormen Verluſte zu verkaufen vermochte. An baa⸗
rem Gelde fehlte e8 gänzlich und auch Kauris haben von Doöri bis
Timbuktu Teinen Cours, was bei der fonfligen Allgemeinheit dieſes
Zahlmitteld in den weftlichen Nigerländern allerdings auffallend ift.
Dagegen hatte Barth die Befriedigung, zu Döre mit großer Aufmerf-
famteit und felbft mit Verehrung behandelt zu werben, indem man von
ifm feinen Segen verlangte, obwohl es nicht unbefannt war, daß er
ein Chriſt ſei. Selbft die Araber behandelten ihn nicht als einen ges
wöhnlichen Chriften, theild weil er von Often kam, theild wegen fei-
ner Gelehrſamkeit Cwahrfcheinlich im Lefen. und Verſtehen des Koran).
Hier erfuhr endlich Barth, daß der Mörder Laing’s, der Sheilh von
Arauän, welcher beinahe AO Jahre hindurch zugleich über die Sahara-
Dafe Afoad geherrfcht Hatte (Zeitfchrift IT, 340 — 341), vor einigen
Monaten geftorben fei, und er fah Died ald eine gute Vorbedeutung
für Die Möglichkeit feines Gelangens nach Timbuftu an. Bon vielleicht
praftifcherem Werthe aber war für ihn der Umftand, daß er bier einen
fehr gefcheuten und wohlbefannten Araber aus Timbuktu, welcher zur
Bartei des geiftlichen Oberhaupts diefer Stadt, des fchon oft genannten
Scheilh Bakay, gehörte, antraf und ihn gleich in feine Dienfte nehmen
fonnte, woburch ihm der Eingang in Timbuftu erleichtert wurbe.
Von Döre oder, wie ed noch in einem aus Timbuftu an Dr. Befe
am 7. September 1853 gefchriebenen Briefe heißt (Journ. of the Geogr.
Soc. of London. XXIV, 282), von Libihäfo hoffte Bart Timbuktu
in 20 Zagen zu erreichen; Heftige Regen, die angefchwollenen Flüſſe,
die Schwäche der Kameele, von denen 6 feit feinem Abgange aus
Bornu gefallen oder unbrauchbar geworben waren '), enblich die Krank
heit und die Hanbeldgefchäfte des zu Döre in Dienft genommenen
Timbuktuers verzögerten die Reife, die auch nicht auf dem geraden
MWege über Kombori (einen bisher unbekannt geweſenen Ort) ober
12) Es if eine in Gentral: Afrifa wohlbelannte Thatſache, daß die Kameele das
feuchte Klima der Nigerländer nicht ertragen nnd auch nicht auf dem feuchten Boden
fortfommen koͤnnen.
Barth's Schidjale und Unterfuchungen im centralen Nord⸗Afrika. 121
auf bem gewöhnlichen Karawanenwege durch Gilgodi, Dalla und über
den Ort Duenza (Duanza bei Ahmedu), fondern mit einem Umwege
in nordweſtlicher Richtung ging, wobei die Gefellfchaft zwei Tagereifen
weftlih von Duenza das Omborigebirge, auf defien hoͤchſtem Punkte
Duenza liegt, quer durchzog. Dan fam babei duch einige Meine uns
abhängige Städte der von den Timbuktuern Koar genannten Son’ray,
dann mitten durch die Stämme der Tademeffet, weiche bi 60 Meilen
füblich vom Niger wohnen, und endlich am 27. Auguft nach Sarais
jamo, dem größten Orte, den Barth feit Say gefehen hatte. 300
Yards von Saraljamo fchiffte fich der Neifende am 1. September auf
einem Zuflufle oder Arme des Niger ein, der aber ungenchiet feiner
Breite und Schönheit fich weiterhin viel mit Pflanzen überwachien
zeigte 5), weil er wegen feines Zidzadlaufes wahrfcheinlih ein ſehr
geringes Gefälle Hat. Beſonders fiel Barth während ver Fahrt bie
außerorbentliche Menge von Canälen, rijl bei ven Arabern genannt,
auf, die ſich währenn der Ueberſchwemmungen bilden und das Land
netzſoͤrmig durchziehen. In der Hinficht, meint er, ließe fich der Strom
mit feinem anderen vergleichen. Bei der von dem Aſte und dem Ni⸗
ger felbft bei ihrem Zufammentritte gebilveten großen Inſel Kora
gelangte Barth endlich in Den Hauptſtrom, der hier Majo, wie ers
wähnt (S. 106), oder auch Iſa Balléͤo ?) Heißt und von Suͤdſuͤdweſten
fommt. Am 5. September, um dad Ende der Regenzeit, erreichte ex
Kaͤbarah, wo er erfuhr, daß die Wafferverbindung mit Timbuktu nur
während 4 — 5 Monaten im Jahre möglich fei, wenn bie Regen reich⸗
(ih fallen, im April wäre es fogar ganz unmöglich, zu Waſſer von
2) Aehnliche Ueberwachfungen mit Pflanzen traf Gaillie bei dem gleich weiter
zu erwähnenben Canal, ber von Käbarah nach Timbuftn führt (Zeitfchr. II, 361).
2) Balleo, Baleo oder Baleio iſt ein Wort der Fellanſprache und bedeutet ein-
fach ſchwarz (Mollien II, 175). Die am Senegal wohnenden Fellan nennen gleich
falls den Senegal fo (Mollien II, 125) ober auch Maio Baleio d. h. ſchwarzer
Fluß, welches Iehte ein Name if, den auch ver Niger bei den Fellan führt (Journ.
of the Geogr. Soc. of London. XXI, 218). Ans der bei Hequard (S. 286) und im
Barth's Itineraren übereinfimmend vorlommenden Deutung von Maio Baleio ergiebt
ſich alfo, daß Maio gleich Ifa, Sai, Gulbin und Koara ein allgemeines Wort für
jeven Fluß ift, welches ven Kellan gleichmäßig zur Bezeichnung bes Niger, wie bes
Hauffafromes dienen fann (f. bier ©. 106 — 107), ferner daß der Name Ifa Ba:
leo auf Barth's Karte (Petermann Taf. I) irrig fein muß, da er eine Zufammen-
fegung zweier, ganz verfchievenen Sprachen entlehnter Worte fein würde.
122 Guͤmprecht:
Kaͤbarah nach Timbuktu zu gelangen (Zeitſchrift II. 332). Den über
Kaͤbarah nach der letztgenannten Stadt führenden Canal fand er
ſo wenig tief, daß den Bootführern, die ſaͤmmtlich ausſtiegen und mit
der größten Schwierigkeit das Boot mit dem Reiſenden weiter zogen,
das Waſſer nur bis an die Knie ging '). Während in dem Ha
fen von Käbarah nur wenige Fahrzeuge vor Anker lagen, hatte unfer
Meifenver zu Koromeh ?) unterhalb Käbarah und nahe an der Einmin-
dung bes Käbarahflüßchens in den Niger, eine Reihe beträchtlich gro>
Ger Barken, die einen prächtigen Anblid gewährten, wahrgenommen.
Die bewegliche Stadt, wie er diefe Barfenanhäufung nannte, und
die zwifchen Käabarah und dem großen Strom, gegenüber Koromeh,
liegende Inſel oder die Infeln Day verdienen, wie er ausfipricht,
eher, als Kaͤbarah, Timbuktu's Hafen genannt zu werben). In dem
Majo traf Barth einen wirklich prächtigen Strom, den er von allen
Strömen, die er in Afrifa gefehen, nur mit dem Nil während feines
höchften Standes vergleichen Fönne, Doch reiche derfelbe nie bie Käba-
rah heran.
In Barths zulegt erwähnten, in der Zeitfchrift der Londoner geo⸗
graphifchen Gefelfchaft enthaltenen Briefe an Dr. Bele findet fi end⸗
ich nochmals die Beftimmung der Lage von Timbuktu (18° A’ 0”
nördl. Br., 1° 45’ öfll. 2, Gr.), dann noch die einiger anderen Punlte,
die bisher nicht befannt waren, fo bie
von Saraljamo 17° 6’ 0” nördl. Br., 1° 50’ 0” öſtl. 2,
der Verbindungsftelle des Käbarahflüßchens mit dem Niger 17° 76’
0” nörbl. Br., 1° 50’0" oſtl. L.,
des Ortes Böne 15° 50’ 0" nördl. Br., 1° 0’ 0” öfll. L.,
des Ortes Kübo 15° 19’ 0" nördl. Br., 0° 22’ 30” öftl. &,
des Ortes Arribinda *%) 14° 53'0" nördl. Br, 0° 6’ 10” öfll. L
2) Diefe Schilderung des Canals oder Flüßchens flimmt, wie früher (II, 361)
gezeigt war, ganz mit der von Gaillis überein und ift ein Beweis mehr für die
Wahrhaftigkeit des franzoͤſiſchen Reifenden, an der Barth anfangs felbft gezweifelt Hatte
(Berl. Monatsber. N. 5. IX, 288). Dagegen finden wir ben von dem Tartaren
Uargi erwähnten Namen Mazza des Flüßchens bei Barth nirgends vor.
2) Koromeh Fam fon in den früher angelangten Berichten Barths vor ( Beits
ſchriſt 11, 382). Ä
3) ©. Zeitſchrift 11, 332, 361.
*) ©. Hier ©. 120 und Journ. of the Geogr. Soc. of London. XXI, 216 nad
Abmebn, ber über dieſes Arribinda zog.
Barth's Schickſale und Unterfuchungen im centralen Norb- Afrika. 123
Die drei leptgenannten Orte liegen auf dem Wege, den Barth
von Döre nach Saraljamo zog, fo daß der Reifende im Ganzen von
nicht weniger als 15 von Say bis Timbuftu gelegenen Punkten vie
fee Lage angiebt.
Bei dem Intereſſe, das jedes pofitive Datum zur Kunde des
centralen Nord» Aftifa hat, wäre es nun allerdings wünfchenswerth,
den Grad der Zuverläßigfeit beurtheilen zu fönnen, den Barth’s
Ortöbeftimmungen beiten. Namentlich gilt dies von Timbuftu, deſſen
Lage, wie früher (Zeitfchrift II, 354— 356; IV, 80) angegeben, oft
®egenftand der Unterfuchung gewefen if. Unferes Reifenden Beſtimmung
von Timbuktu weicht nämlich anfehnlich von derjenigen ab, welche Jos
mard nach den ihm zu Gebote flehenden Daten als die wahrfcheinlichfte
glaubte annehmen zu Fönnen, in der Länge des Orts fogar um 2 Grabe,
indem Barth diefe zu 1° 45’ weſtl. &. von Greenw. oder 40 5’ weft.
2. von Paris angab, wogegen Jomard 6° well. 2. von Paris annahm.
Weniger bifferirt die Breite, für die Barth 18° 3’ 30" bis 18° A’ 5"
(Zeitſchrift II, 329, 333) oder endlich 189 3’ 48” (Petermanns Mit
theilungen I, 13), Jomard aber 17° 50’ fehte. Herr Petermann
hält fi) nun für überzeugt, daß die Jomard'ſchen Zahlen die richtiges
ren find und fpricht fogar die Meinung aus, daß alle von unferem
Reiſenden angegebenen Pofitionen nur auf Ableitungen (computa-
tions of a dead reckoning, I, 13), nicht aber auf wirklichen aſtro⸗
nomifchen Beobachtungen beruhen. Wäre dies richtig, fo verlören
allerdings auch alle früheren Angaben Barth’, 3. B. die am oberen
Tſchaddalauf und in Adamaua (Berl. Monatsberichte N. %. IX, 368),
einen großen Theil ihrer Zuverläffigfeit, und wir haben es deshalb
mit Grund zu beflagen, daß Barth in feinem feiner Berichte auch nur
‚mit einem Worte die Beobachtungen anführt, woraus er feine pofitiv
hingeftellten Zahlen gefunden hat. Leider ift zu fürchten, daß Herrn
Petermann's Bermuthung nicht ungegründet ift, indem unter Barth's
Bofitionen eine 3. B. vorfommt, die beftimmt nicht auf an Ort und
Stelle gemachten Beobachtungen beruft. Es ift dies die von Gar’o,
wohin der Reifende nach feiner auf dem Kärtchen des Landſtrichs zwi⸗
fchen Sofoto und Timbuktu (Petermann Taf. IT) eingetragenen Reife-
te gar nicht gekommen ift.
8 r Gumprecht.
II.
Die Vulkane von Mexico ').
Zweiter Artikel.
Nördlich von dem Pic von Orizaͤba fteigt unter dem 19° 28’ 57"
nördl. Breite und 99° 28’ 57" weſtl. Länge
der Nauhcampatepetl oder Eofre de Peröte
(Nauhcampa heißt indiſch ein vierediges, cubifches Ding, tepel
Berg *) zu 13,416 Fuß Höhe auf. U. v. Humboldt giebt feine Höhe
auf A089 Meter oder 2089 Toifen an). Er hat feinen Namen von
ber Eofferartigen Geſtalt des Felſens auf feinem Gipfel, und bietet Das
Bild eines fchroffen, duͤſtern und größtentheild von dichten bunfeln
Pinienwaldungen bevedten Yelfengebirges dar. A. v. Humboldt vers
fichert, übereinftimmend mit Mühlenpfordt, daß man auf feinem Gipfel
feinen Krater bemerfe, und daß nur die dichte Lava⸗ und Bimſtein⸗
2) Nach einer gefälligen fpäteren Mittheilung des Herrn Verfaſſers iſt Dolg-
non's Schilderung feiner Erfteigung des Pic von Orizäba (Bd. IV, S. 389 — 394)
einem Berichte diefes Reifenden entnommen, ben dverfelbe in einem zu Mexico unter
dem Titel: Trait de l’Union, erfcheinenden Blatte während bes Verfaſſers Anweſenheit
in dem Lande veröffentlichte. Bin hier noch fpäter vorlommender Begleiter Doiguon’s,
Mojerns, angeblich Belgier von Geburt, hatte ſich nämlich gerühmt, den Gipfel
bes Pics erftiegen zu haben, und verfaßte wahrſcheinlich nur nach Doignon's Pit
theilungen feinen Bericht darüber nebft einer Zeichnung des Kraters, die er ſodaun in
Belgien und Frankreich befannt machte. Diefes Verfahren veranlaßte nun Doignon,
bie unwahren Angaben des M. Majerus zu berichtigen und barzuihun, daß berfelbe
gar nicht fo Hoch hinaufgelommen ſei, als er angiebt. Doignon's Mittheilungen hält
übrigens unfer Herr Verfafler für fehr glaubwärbig, ba fie ihm bei feinem eigenen
Berfuche, auf deu Bipfel zu gelangen, ſowohl durch die Behörden, als durch ine
läßige Perfonen aus der Gegend beftätigt worben feien.
2) 9. v. Humbolvt, Essai I, 265. =
2) A. a. O. II, 226. G.
C. Piefchel: Die Bulfane von Mexico. 125
kruſte, welche dies Porphyrgebirge umlagere *), fowie die großen Lava⸗
lagen zwifchen den Dörfern La Dja und Las Vigas, über die an fei-
nem Fuße die Straße von Jalapa nach Perdte führt, auf die vulka⸗
nifhe Ratur und einen Ausbruch des Berges fchließen laſſen. Nach
meinem Dafürhalten fpricht jedoch auch die Geſtalt des fleilen, röthli-
hen Felsabſturzes Des Berges im Often dafür, indem der Abſturz Die
Kraterwand eines ehemaligen Vulkanes gebilpet haben dürfte, Der
Krater felbft befand fich ohne Zweifel auf dieſer öftlichen Seite nad
Jalapa zu, da die verfchiebenen Lavaſtroͤme und die tiefen vulfanifchen
Abftürze und Baranco’8 gerade nach der Seite hin auf einen Aus
fluß und ein Zufammenftürzen in fich fchließen laſſen. Giebt auch feine
Gefchichte oder Sage von einem ſolchen Ereigniffe Kunde und iſt das
jelbe fogar bereitd unter einer vieljährigen Dede der uͤppigſten Vege⸗
tation begraben, fo liefert Doch Die ganze Umgegend zu fprechende und
deutliche Beweife, daß auch hier einft das vullanifche Element feine
Schreden verbreitende Macht in einer Welfe und in einem Umfange,
wie vielleicht nur bei wenigen Bulfanen, geübt hat. Namentlich iſt dies
mit den vorhin erwähnten weiten Lava⸗ und Schladenfeldern, welche
man auf der großen Straße von Vera⸗Cruz nad Merico von Jalapa
aus am nörblichen Fuße des Eofre de Peröte paflirt, der Fall.
Der Gipfel ift von dem Fleinen Städtchen Peröte, welches am
nörblichen Abhange liegt, leicht In wenigen Stunden zu Pferde zu er
reihen und foll eine herrliche Ausficht auf die ihn umgebende Hoch
ebene und auf die ganze Abdachung nach der Küfte von Bera-Eruz
gewähren. Der Berg dient, wie der Pic von Orizäba, ven Schiffen,
welche fih dem Hafen von Vera⸗Cruz nähern, ald Wahrzeichen der
Richtung, fowie den umwohnenden Randleuten als Wetterprophet.
Der Belgier Majerus, der im Jahre 1848 den Eofre de Peröte
beftieg und feine Höhe zu A090 Mötres beftimmte, fah von feinem
Gipfel aus eine eigenthümliche Kichterfcheinung, nämlich auf einer Höhe
von 13,000 Fuß über dem Meere vor YAufgang der Sonne, furz vor
ber Lichtverbreitung der erften Strahlen, die ganze Sonnenfcheibe plöß«
2) 9.9. Humboldt Essai II, 205. Das Geftein it wahrfcheinlich, wie bei dem
Bic von Orizaͤba, Trachyt. Bremplare davon fehlen in den hiefigen Sammlungen,
fo daß feine genauere Beſtimmung unmöglich ift. ©.
126 C. Pieſchel:
lich als Reflex uͤber dem Horizonte ſchweben. Die Erſcheinung dauerte
nur einen Augenblick; fie fol übrigens ſchon von mehreren Reiſenden
von derartigen hohen Standpunften in biefen Gegenden beobachtet
worben fein.
Bwifchen dem Cofre de Peröte und der Malinche bei Puebla er-
heben fich aus der weiten Sandebene viele Hügel und Bergfpigen, die
ſich theils durch ihre kegelfoͤrmige Geſtalt und ihre fanft abfallenden
Afchenlinien, theils durch ihr Lavageftein ald vulkaniſche Produlte er-
geben. Darunter zeichnet fich namentlich der 2 Stunden von Peroͤte
entfernte, eigenthlimlich Fegelförmige ſchwarze Lavahuͤgel, Cerro de Pis
jarro genannt, auß.
Außerdem find in der näheren oder ferneren Umgebung des Pic
von Orizaͤba und des Cofre de Peröte, die man beide wegen ihrer
Nähe auf einem Gebirgsrüden zu einander ald zwei Ventile eines vul⸗
fanifchen Heeres anfehen kann, noch andere vulfanifche Erfcheinungen
zu erwähnen, die früher mit den Ausbrücdhen dieſer Vulkane vielleicht
mehr oder weniger in Verbindung geftanden haben. Es befinden ſich
nämlich auf der weftlichen Seite diefer beiden Vulkane, namentlich in
der Hochebene von San Andres Chochicomula eine Menge Vertiefun⸗
gen in einem poröfen vulfanifchen Geſtein oder Sande von einer bis
zwei Stunden im Umfange, die mit falgigem Waſſer angefüllt find und
deren Grund oft mit einer 400 Klafter langen Sonde noch nicht ge
funden worden fein fol. Darunter zeichnet fih namentlich die Laguna
von Aljajaca aus, deren Tiefe angeblich zu 321 Klafter ermittelt wurde.
Bon ähnlichen Lagunen befinden ſich zwei durch ihr fchwefelhaltiges
Waſſer ausgezeichnete auf dem Wege von Peroͤte nad San Andres.
Ebenfo erhebt fih einige Meilen von San Andres ein einer vulfani-
fcher Kegel, an deſſem Buße ein warmer, fchmwefelhaltiger Quell, Ome⸗
208 (oder Jomeros) genannt, der vielfach von Kranfen gegen rheuma-
tifche Leiden benugt wird, entfpringt. Das ganze Plateau von San
Andres zeigt ebenfalls eine Menge ſolcher Kleinen conifch geformten
Hügel vulfanifchen Urfprungs. Bier Meilen weftlih von San Andres
follen fich bei einer Hacienda, Jalapasco, noch vier Heine Vulkane bes
finden, wovon zwei in ihrem Krater mit Waſſer gefüllt find, während
die inneren Kraterränder des dritten, von fruchtbarem Sande bebedt,
mit Maid bebaut werden. In der Nähe dieſer befindet ſich auch der
Die Vulkane von Mexico. 127
Heine Bulfan von Acojuca, deſſen in fi) gufammengefunfener Krater,
wie ich erfuhr, zwei Feine Seen einfchließt.
Das verbindende Glied zwifchen den Vulkanen von Pucbla und
ven von Peröte und Orizaͤba bilbet
bie Malincdhe oder Sierra de Doña Maria,
ehemald das Gebirge Matlacueye oder die Sierra de Tlascäla genannt,
indem biefed Gebirge einft die Grenze zwifchen den Republifen Eholula
und Tlascaͤla bildete. Die höchften Spitzen befielben find die Malinche und
der Bonete. Die Malinche zeigt, von allen Seiten gejehen, einen aus
der Ebene mit vulfanifchen Afchenlinien anfteigenden Kegel, deſſen Spike
ein zerriſſener und zerklüfteter Yelsrüden bildet, und ber in feinem wild
durcheinander geworfenen Geftein in den verfchievenften Farben erfcheint.
Alles died läßt auf vulfanifchen Urfprung fchließen, obgleich Feine Nach»
richt eriflirt, daß der Berg jemals eine vulfanifche Thaͤtigkeit entwidelt
hat. Derfelbe erreicht faft die Schneelinie und iſt in den Wintermos
naten oft mit Schnee bebedit, welcher fich angeblich felbft den Sommer
über in einzelnen Schluchten und Tiefen erhält und zur Erfrifchung
nah Puebla gebracht wird. Seine Abhänge fteigen allmählig aufwärts
und find mit zahlreichen Hacienda's und Rancho's (größeren und klei⸗
neren Sandgütern), fowie mit umfangreichen Pinien« und Eichenwaͤl⸗
dern bededt, deren Fruchtbarkeit und Friſche Durch die vielen Bäche,
welche in großer Menge den Abhängen und Schluchten entfpringen und
die weiten Ebenen befruchten, unterhalten wird.
Der Popocatepetl
(popocani rauchend, tepetl Berg) '), unter dem 18° 35’ 27” noͤrdl.
Breite und 100° 53’ 15” weftl. Länge von Paris, ift der höchfte Berg
!) 9. v. Humboldt Essai I, 265. Der Erzbiſchof von Merico, Lorenzana, ber
NH im zweiten Drittel des vorigen Jahrhunderts durch die Herausgabe der officiellen
Verichte des Ferdinand Cortez an den Kaifer Carl V. über feine Eroberung Merico's
fo verdient gemacht Hat, fagt ansbrüdli, daß ver Name Poporatepeil einen Berg
bevente, welcher rauche (Los Indios llamaban à este Volcan Popocatepec 6 sterra,
que humea; Historia de nueva Espafla escrita por su esclarecido conquistador
Hernan Cortts. Mexico 1770, p. 70). Einer von Gortes Gefährten auf feinem
Groberungszuge, Bernal Dias, nennt den Bulcan ähnlich, wie Lorenzana, und ab⸗
weichenb von dem heutigen Sprachgebrauche, Popocatepeque, und ſeht ausdrücklich
128 C. Pieſchel:
der mexicaniſchen Republik, und nach A. v. Humboldt (I, 266) da
zweithoͤchſte Berg nach dem Mont St. Elias auf dem ganzen noͤrdlichen
amerifanifchen Continent von dem Iſthmus von Panama bis zur Beh |
ringsſtraße ). Derfelbe giebt feine Höhe auf 5400 Meter oder 2771
Toifen, alfo auf 16,626 Pariſer (17,717 engl.) Buß und 600 Meta
höher, als die hoͤchſten Spitzen des alten Continents an ?). Rad) den
Meffungen des Englänvers F. Glennie °) ift der Höchfte Punft des
Kraters 17,884 engl. Fuß über dem Meere. Man nennt ihn in Der:
bindung mit feinem Nachbar, dem Irtaccihuatl *%), die Vullane von
Puebla, da beide Berge zu dieſem Staate gehören und ber gleicnani
gen Stadt am naͤchſten liegen °).
Glavigero fagt in feinem befannten Gefchichtswerte über Mexich,
daß dieſer Vulkan zur Zeit der mericanifchen Kriege oft feurige Aus
brüche gehabt und noch im 17. Jahrhundert häufig mit großen Acer
maffen die benachbarten Ortfchaften bevedt habe, daß aber in bem ver:
floffenen Jahrhundert nur noch etwas Dampf und Rauch aus demie
ben aufgeftiegen fei 5). Ebenſo erzählt Bernal Diaz, daß, ald Cortez
Hinzu, daß der Berg hier alfo Heiße (Popocatepeque, que assi se llamora aquel
bolcan; Historia verdadera de la conquista de la Nueva Espana escrita por el (x
pitan Bernal Dias el Castillo. Madrid 1632. Fol. 55, b). Da bie beiden genau:
ten Werke, Lorenzana’s Ausgabe der Driginalberichte des Cortez fowohl, ale die
Geſchichte des Bernal Dias zu den feltenften in Dentfchland gehören und die neneren
in Dentfchland erfchlenenen Uebertragungen bes lepten die interefianten Angaben X
Verfaſſers über den Vulkan nicht mittheilen, fo werde ich im folgenden si
Gtellen zur Erläuterung in der Originalfprache anfchließen.
1) Siehe feboch bier IV, 390. |
2) 9. v. Humboldt Essai I, 265; Fleinere een » 463.
2) Bulletin de la Soc. de Ge£ogr. 2=* Ser. IX, p
) Nach Herrn von Humboldt (Tleinere Schriften 1 u liegen beide Ber
24 deuntſche Meilen auseinander. ®.
*) Der Popocatepetl wird, wie Herr v. Humboldt bemerkt (Hl. Schrift. I, 4).
als der größere ber beiden Berge und zugleich als ber in neuerer Zeit noch thätigt
von dem Irtaccihnatl im Lande andy wohl unter dem Namen Volcan grande de
Mexico unterfchieven. G.
©) Storia naturale del Messico, Cesena MDCCLXXX. Vol. I, p. 41. Pit
Angaben Glavigero’s ftimmen fowohl mit den Berichten von Gortez und Dich
wie mit den neneren Grfahrungen äberein, indem die beiden genannten Berichiet:
Ratter ausführlich und mit ven befimmieften Worten die große Thätigfeit des Bu
fanes während ihres Croberungsezuges in Mexico ſchildern, wogegen der Bay U
nenerer Beit feine Ihätigfeit fo wenig fund gab, daß man ihn ſelbſt im der Elali
Merico für erloſchen hielt, bio im Jahre 1824 die Bebrüber Gleunie mit mem
eeaoae_
Die Bulfane von Merico. 129
im October 1519 mit feinem fpanifchen Heere und den verbünbeten
Tascalteken von Cholula nach Tenochtitlan ') marfchirte, und er den
die Sierra Nevada oder Irtaccihuatl mit dem Popocatepetl verbindenden
Gebirgeruden von Ahualco überfchritt, der Gapitain D. Diego Ordas
in feinem Auftrage mit 10 anderen fühnen Gefährten den Bulfan er:
Riegen habe, um die Urfache des Rauches zu ermitteln ®), und daß
derjelbe dabei wirklich bis zum Kraterrande gelangt fei”), weshalb ihm
Karl V. erlaubte, einen brennenden Bulfan in feinem Wappen zu füh-
Gefährten Taylenz durch ihre Erſteigung des Berges die Mexicaner hierüber aufklaͤr⸗
ten (Burkhart in Schweigger’s Sonrnal für Ehemie 1827. L, ©. 386). Da aber
vie Thätigfeit des Popocatepetl in der That während ber legten Jahrhunderte abge-
nommen zu haben fcheint, fo wird die von bem Heren Derfafler in Bezug auf bie
Verminderung ber vullanifchen Intenfität in Merico im Allgemeinen ansgefprochene
Anſicht (f. Hier IV, 380) beftätigt, hoch hatte der Krater früher ſchon, wie bie gleich
anzuführenden Aeußerungen von Dias erweiſen, längere Epochen ver Ruhe. G.
') Tenochtitlan fft der alte aztefifhe Name der Stadt Merico, ver bis zum
Jahre 1530 allgemein im Gebrauch war. G.
2) Dias Worte hierüber find im Original folgende: Y es que el bolcan, que
esta cabe Guaxocingo (ein in der Nähe des Popocatepetl gelegener altmericanifcher
Ort) echava en aquella sazon, que estavamos en Tlascala mucho fuego, mas que
otras vezes solia echar; de lo qual nuestro Capitan Cort&s y todos nosotros, como
no avriamos visto tal, nos admiramos deilo y un Capitan de los nuestros, que sc
dexia Diego de Ordas, tomole cedicia de ır & ver, que cosa era y demandò licen-
cia ä nuestro General para subir en U... y los principales (Indianos), que con-
sigo llevava, ponian le temor con dezille, que quando estuviesse ä medio camino de
Popocatepegue no podria sufrir el temblor de la tierra, ni llamas, y
piedras y ceniza, que del sale & que ellos no se atreverian, 4 subir mas de
hasta, donde tienen unos Cues de idolos .... el Ordas y los dos soldados vieron al
subir, que commencö el bolcan de echar grandes Nlamaradas de fuego y piedras
miedo quemadas y livianas y mucha ceniza y que temblava toda aquella sierra y
montaa adonde esta el bolcan y estuvieron quedos sin dar mas passo adelante,
hasta de allä ä una hora, que sintieron, que avia passado aquella Ilamarada y no
echava tanta ceniza ni humo y subieran hasta la boca que muy redonda y
ancha y que avia en el anchor una quarto de legua y que desde alli se parecıa
la gran Ciudad de Mexico (a. a. DO. Fol. 55, b). G.
3) Nach den durch Herrn v. Humboldt angeſtellten Unterſuchungen über die älte⸗
ven Befteigungen bes Popocatepetl (Essai I, 164; IV, 16— 19) bleibt es trotz Dias
Angaben zweifelhaft, ob Ordas wirklich ben Gipfel des Berges erreicht ober ſich
nur defien fpäter in Spanien gerühmt habe, indem Gortez in feinem offlciellen Be:
riht an den Kaiſer ansdrücklich und ausführlich angiebt, daß die große Kälte auf den
höheren Theilen des Berges, der Echnee, das erſchreckende Getöfe und die Aſchenaus⸗
twürfe die Erpedition gehindert habe, den Gipfel des Berges zu erreichen, obgleich die⸗
felbe auch wach Gortez wenigſtens bis in die Nähe des Gipfels gelangt war. ©.
Zeitſchr. f. allg. Erdkunde. Bo. IV. 9
130 C. Vieſchel:
ren. Im Jahre 1522 ſoll ſodann nach einem Berichte von Cortez
ſelbſt der Spanier D. Francisco Montaño ſich 70 bis 80 Klafter tief
in den Krater hinabgelaſſen und Schwefel aufgefunden haben, den man
in Folge deſſen zur Fabrikation des Pulvers ausbeutete.
Der Popocatepetl wird jetzt noch zu den brennenden Vulkanen
gezaͤhlt, obgleich man ſeit mehr als 3 Jahrhunderten keinen Ausbruch
von ihm kennt und derſelbe nur zeiweiſe Aſche und Rauch ausgewor⸗
ten haben ſoll, ja zur Zeit fogar nur Schwefeldämpfe aufſteigen läßt.
Am 4. Januar 1804 foll er jedoch einige Stunden vorher Das an
diefem Tage ftattgehabte Erdbeben und den heftigen Sturm durch eine
gerade auffteigende Rauchfäule, fowie durch Ausmerfen von Sand unt
Bimftein, verbunden mit unterirdifchem Donner, angekündigt Haben;
und noch fpäter fanden nad Mühlenpfordt Ausbrüche von Afche umd
Rauch, namentlich im Monat Mai der vorigen Jahrzehnte, beſonders ftart
und fichtbar ftatt, wovon ich aber während meiner mehr als zweijährigen
fpäteren Anwefenheit in Merico nicht das Geringfte bemerkt habe.
Eine intereffante Zufammenftellung über diefe Erfcheinungen und
namentlich über den unterirdifhen Donner, den man von Merico in
der Richtung zum Popocatepetl häufig gehört Haben will, wurbe von
einem der ausgezeichnetften Gelehrten Mexico's, D. Pablo de la Llave,
in einem im Registro trimestre, I. Band des Jahres 1832, publicir-
ten Auffabe veröffentlicht. Die ſtets gleichmäßige Richtung der Er-
fcheinungen beflärft die Annahme, daß viefelben ihren Urfprung in die
fer unterirdifchen Werfftatt, in der oben bereits erwähnten vulfanifchen
Linie, haben, die ihre fortwährende Thätigfeit durch die Vulkanreihe
vom mericanifchen Golf bis zum ftillen Meere auf der Oberfläche do
eumentirt.
Der Popocatepetl galt und gilt vielleicht noch jebt wegen feines
angeblichen fortwährenden Rauchens für die Bervohner der umliegen-
den Ortfchaften ald Wetterprophet, indem es nämlich Regen giebt, fo- |
bald bei Sonnenuntergang ein ſchwarzer, zu diden, nad Norden ge:
neigten Wolfen ſich verbichtender Rauch auffteigt, während, wenn ber
Rauch nah Süden ſich neigt, ed Kälte und Reif giebt. Offenbar nur
eine Wirfung der auffteigenden Dämpfe bei veränderter Luftſtroͤmung
und wechfelndem Winde,
Die Form des Vulkans ift die eines ziemlich regelmäßigen Ke⸗
Die Bulfane von Merico. 131
geld, der, von Süben aus gefehen, fich in einem fpigen Winkel zu⸗
jpigt, während er, von Dften und Welten gefehen, mehr einen ftumpfes
ven, breiteren Kegel barftelt . Der Gipfel if, wie der des Irtacci⸗
huatl, feines Nachbar, mit ewigem Schnee bevedt, welcher fich befon-
ders nach Rorden, gefühlt durch den Schnee des Srtaceihuatl, weiter
hinabzieht, als gegen Süden und Südoſten, wo die Schneelinie fich
oft bis auf 1000 Fuß von der Spige zurüdzieht. Diefe Schneelinie
erleidet aber in den verfchledenen Jahreszeiten große Schwanfungen.
Man fieht nämlich in den Monaten März bis Mai den wenigften
Schnee auf dem Gipfel, während in der Regenzeit vom Juni bis October,
wo Die Schneeberge allerdings nur felten fihtbar find, und namentlich
in den Monaten December und Januar, zuweilen plöglich fo viel Schnee
fällt und derſelbe fich fo tief herabzieht, Daß ver ganze niedrige Ge
birgsiug zwifchen dem Popocatepetl und SIrtaccihuatl davon bedeckt ift,
und beide Gipfel zu einem Schneegebirge verbunden find ). Doc in
ven Wintermonaten ift der Schnee nicht von langer Dauer, ba bie
heißen Sommenftrahlen bei dem ewig heiteren Himmel ben Schnee täg-
lich fortfchmelzen, wenn nicht über Nacht zu viel gefallen if, oder Die
Luft zu anhaltend kalt bleibt.
Die ganze vulfanifche Thätigfeit des Vulkans fcheint fich jebt nur
auf dad Aushauchen von Schwefeldämpfen zu befchränfen, die auch zu-
weilen, je nach der Beleuchtung des Berges, den Gipfel in einem gelbli-
hen Fichte erfcheinen laffen °). Einen impofanten Anblid gewähren aber
beide Schneeberge mit ihren weißen Abhängen gegen Abend, wenn fie
duch die gebrochenen Strahlen der untergehenden Sonne in einer
Khön rofenrothen Beleuchtung erglänzen und den Bewohnern der nur
7 deutiche Meilen davon entfernten Haupiſtadt Merico und ihrer Um⸗
gegend eines ber prächtigften Schaufpiele darbieten *).
+) Herr v. Humboldt nennt den Gipfel abgeftumpft (Vue des Cordilleres 108;
Essat I, 161), wie ben Pic von Orizäbe. G.
2) Die Anficht des Popocatepetl in Hrn. v. Humboldt's Atlas zu feinem Essaı Taf. 16
if von Lonis Martin in dem Moment gezeichnet, wo ſich die Schneelinie durch friich
gefallenen Schnee bis zur Bipfelhöhe des Pic von Teneriffa herabgefenft hatte. G.
2) Ganz viefelbe Beobachtung machte Hr. v. Humboldt Essai II, 345. G.
+) Here v. Humboldt verſichert, daß der. Anblick dieſes Bergtoloſſes mit feiner
glaͤnzenden Schneemaſſe ſogar viel großartiger fei, als Alles, was tie Gebirgslaͤnder
Merico's darbieten (Kleinere Schriften I, 464). G.
g*
132 C. Pieſchel:
Der Popocatepeil iſt in neuerer Zeit vielfach erſtiegen worden,
namentlich haben ihn die Gebrüder %. und W. Ofennie und J. Tan:
leur durch ihren Befuh am 17. April 1827 in den Kreis wiſſenſchaft
licher Beobachtungen und Korfchungen gebracht '). Der Weg, den dieſe
- Reifenden zur Befteigung des Berges einfchlugen, bildet einen foͤrmli⸗
chen Umgang um denfelben, indem fie von Merico über Ameca, San
Nicolas de 108 Ranchos, Atlireo, Tochimilco und die Hacienda Santa
Catarina — Ortfchaften, die ringd um den Fuß des Berges liegen —
gingen, und auf diefe Weiſe A Tage gebrauchten, um den Gipfel zu
erreichen. Sie hatten einen höchft befchwerlichen Weg eingefchlagen,
vermuthlich aus Mangel unterrichteter Führer. Erſt nach einem mühe
vollen Steigen von der Grenze der Vegetation um 3 Uhr früh an,
das bei den fortwährenden Heftigen Schmerzen im Kopfe und im den
Kniegelenfen in Folge der dünnen Luft, ſowie bei dem gefahrvollen
Klettern über zerrifiened bafaltifches Geflein auf dem loderen Sande
und Bimfteingerölle, wie auf den zadig gefrorenen Schneemaflen dor-
pelt beſchwerlich wurbe, erreichten fie Abends 5 Uhr ihr Ziel, ven
Kraterrand. Sie wurden dabei noch wiederholt durch einen Regen von
Heinen Steinen und Afche, welche der Vulkan unter donnerähnlichem
Geräufche auswarf, beläftigt.
Sie fanden den Krater nad Südoften geneigt, einem ungeheuren
Trichter gleichend, defien Seitenwände nur wenig Neigung hatten unt
defien Tiefe man nicht erfchauen konnte. Die Seiten waren durch
rabienähnliche Spalten der Länge nach geflreift. Drei Freisförmige Aus-
höhlungen theilten fie, fo weit man hinab fehen Fonnte, in A Guͤrtel
von ungleicher Breite und ungleichem Durchmeſſer. Der oberfte Gürtel,
welcher den Kratermund umfaßte, war der größte und beſtand aus Fels, |
während die anderen nach ihrer Meinung aus Sand gebilvet zu fein
fhienen. Im Innern fand fi Schnee nur an der Norbfeite, Doc
fonnte man ‚nicht fehen, wie weit er hinabreichte. Die Süpfeite bes
1) Die Befleigung des Popocatepeil durch Fr. und W. Glennie und Taylear
wurde von bem erſten in ber Seitung von Mexico geſchildert. Mittheilungen aus
dem Bericht finden ſich theile in dem Bullet. de la Soc. de Geogr. 1° Ser. 1828.
1X, 1 —14, theils in Schweigger’s Journal für Phyſik und Chemie 1827. L, 387
— 395 nad einem Artifel in der mericanifchen Zeitung EI Sol vom 8. Mai 18327,
Pr. 1432. G.
Die Vulkane von Mexico. 133
Kraterd zeigte fi uneben und von geringerer Dide als die Nordſeite,
die zugleich auch glatter war. Im Krater felbft hörten die Reifenven
ein ununterbrochenes Getöfe, dem einer fernen Meeresbrandung gleich,
das, fobald e8 fich zu einem heftigen Raſſeln verflärfte, jevesmal von
einem Auswurfe von Steinen, Afche und Sand begleitet wurde. Die
meiften Steine fielen in den Krater zurüd. Sowohl innerhalb, wie
außerhalte der Mündung des Kraterd fliegen Dampffaͤulen von vers
ſchiedenſtem Umfange auf, wovon namentlich die aus der Tiefe foms
menden am bebeutendften waren ').
Die Quedfilberfäule des Barometerd fand am Rande des Kra-
ters auf 15” 3,60”, und das Thermometer zeigte 30° Fahrenheit in
freier Luft. Die Reifenden beflimmten die Grenze der Vegetation auf
12,693 engl. (12,043 Barifer) Fuß, die der Nadelhölger auf 12,544
engl. (11,890 3.) Fuß, endlich, wie früher bemerkt, die höchften Punfte
des Kraterd auf 17,884 engl. (16,837 P.) Fuß über dem Meere.
Am 10. November 1827 beftieg der Engländer Samuel Birdbed
den Popocatepetl und ermittelte feine Höhe zu 10,347 Buß über dem
Niveau der Stadt Merico, deren Meereshöhe nah N. v. Humbolbt
2276 Meter over 7,238 Fuß beträgt *), alfo zu einer abfoluten Höhe
von 17,585 Fuß. Die Duedfilderfäule feines Barometers zeigte um
3 Uhr Nachmittags 15,616 engl. Zoll bei einer Temperatur von 22°
Fahrenheit.
Am 29. April 1834 gelang die Erfteigung dem damaligen preußis
ichen Gefchäftsträger fin Merico, v. Gerolt °), in Gefellfchaft des frans
zöſiſchen Gefchäftäträgers, Baron Louis Gros, und eines englifchen
Landfchaftsmalers, Fl. Egerton, nach einem bereits im Monat Mai bes
vorhergegangenen Jahres vergeblich gemachten Berfuche, den Popoca⸗
tepetl über die Dörfer Ozumba und Allautla zu erfleigen, nachdem fie
Tags zuvor die Grenze der Vegetation erreicht hatten. Sie ritten von
1) Diefe Beſteigung iſt befonders dadurch von Interefie geworden, baß fie den
Mericanern zuerfi die Gewißheit verfchaffte, wie ©. 129 erwähnt war, daß der Bul-
fan ein noch thätiger if, indem man in Merico felbit darüber in Ungewißheit war.
®.
2) 9. v. Humboldt Essai II, 144. ®.
3) Herr v. Gerolt beichrieb nach Prescott, History of the conquest of Mexico.
New York 1844. 1, 46 feine Grfleigung des Popocatepetl in ber revista Mejıcana
1, 462 — 482, G.
134 C. Pieſchel:
früh 2 Uhr an noch 14 Stunden im tiefen Sande, bis fie ſich vor
Kälte in den Füßen nicht mehr auf den ermübeten Pferden Halten
fonnten, worauf fie, begleitet von vier Dienern und Yührern, in der
Richtung des Pico del Fraile (Moͤnchsſpitze) Über eine Sandwäfte von
Kleinen feinen Bafaltlava» und Bimfteinftüden, aus welchen vereinzelte
Trachyt⸗ und Porphyrfelſen bervorragten, ihren Weg nahmen. Gegen
9 Uhr gelangten fie an den Pico del Fraile, einen etwa 150 Fuß Hohen
rothen Thonporphyrfelfen im Welten des Vulkans, wo die Indianer ſich
weigerten, weiter zu folgen, und mit den Inſtrumenten zurüdblieben.
Diefe fchroffe Felswand, die ſich bergaufwärts nach dem Gipfel zicht,
binderte fie, in grader Richtung fortzufleigen, und fie wurben ge
nöthigt, fich Sftlich zu wenden und in einer weiten Schneewaſſerſchlucht,
welche fich etwa 1000 Zuß unter der Spitze des Vulkans in fühlicher
Richtung in einer Neigung von 35 Grad herunterzieht, aufwärts zu |
Klettern. Obgleich fie fi) bereitS 2000 Fuß über der Grenze des wis
gen Schnee’8 befanden, fo hatten fie nur an wenigen Stellen auf
diefem Wege Schnee angetroffen, was fie theild ver fleilen Neigung
ded beweglichen Sandes, theild der Erwärmung des Bodens durd
dad unterirbifche Feuer zufchrieben. Nach mehr als dreiſtündigem, be-
ſchwerlichen Steigen erreichten fie den Anfang der Schlucht, und auf
dem Schnee, in den fie zuweilen bis an die Hüften einfanfen, im Zick⸗
zad weiterfletternd, gelangten fie gegen 3 Uhr Nachmittags nach 19:
flündigem Steigen auf die Spitze des Berges, wo fie plöplich in einem
unermeßlichen Abgrunde den Krater vor fich hatten. |
Die Krateröffnung, deren unterer Rand gegen Often liegt, hatte
eine unregelmäßige elliptiſche Form. Die große Are lag in der Richtung
von Rordiweft und wurde auf eine Länge von 5000 Buß, die furge auf
4000 Fuß nah Augenmaaß abgeſchaͤtzt, woraus ſich eine Beripheric
von circa einer halben deutichen Meile ergiebt '). Die innern Seiten
wände des Kraterd fanden fie fenkrecht gegen 800 bis 1000 Buß ab:
fallend und den Boden deffelben von gleicher elliptifcher Form, wie bie
1) Gortez fagt, muthmaßlich nach Montaſo's Bericht, Folgendes über die Krater:
nündung: Y habia de la una parte de la boca à la otra dos tiros de Ballesta, por-
que hay en torao quasi tres quartos de legua y tiene tan gran hondura, que no
pudieron ver el cabo y alli al rededor hallaron Azufre de lo que el humo expile
(Lorenzana 318). G.
Die Vulfane von Mexico. 195
Deffnung. In biefem Abgrunde fahen fie zwei Schwefelgasquellen in
weißen Dämpfen dem Boden entfteigen, deren fefte Brobucte fich in den
unteren Räumen ald Schwefel nieverfchlugen. Sie fanden den ganzen
Boden fowohl, wie die Seitenwände, mit Schwefel bedeckt und fchloffen
daraus, daß dieſer Prozeß ſchon viele Jahre angedauert habe, und
vielleicht die Ebene im Krater von vielhundertjähriger Anhäufung des
Schwefeld herrühren möge. An den Kraterränbern trafen fie keinen
Schwefel, fondern nur eine Menge Kleiner runder Löcher von 1 bis 3
Zoll Durchmefler, woraus fchwefelige Waſſerdaͤmpfe mit Geräufch und
abwechjelnd mit größerer und geringerer Gewalt auffliegen. Das ſie
umfchließende Geftein ift ein fefter lavaartiger rother Porphyr mit vie
lem glafigen Zeldfpath '), der durch die warmen Dämpfe, wo biefe
entfteigen, ganz erweicht wird. Die Kraterwaͤnde beftanden aus horis
zontal gefchichteter braͤunlich grauer Lava und fielen fo fleil nach Innen
ab, daß die Reiſenden Feine Stelle finden fonnten, um hinabzuſteigen.
Bon den Seitenwänden fielen unter dumpfem Widerhall fortwährend
Steine in den Abgrund, und in ziemlich gleidhmäßigen Zwifchenraäumen
hörten fie von Zeit zu Zeit ein unterirdiſches, bonnerähnliches Getoͤſe,
wie eine Artilleriefalve aus weiter Entfernung.
Der körperliche Zuſtand von Bellemmung und Erfchöpfung und
die durch den fo fehr verminderten Luftdruck auf's Aeußerſte getriebene
Spannung der Blutgefäße, befonderd im Vorderkopfe und in den Aus
gen, geftatteten den Reifenden nur einen kurzen Aufenthalt.
Ihren phyſikaliſchen Beobachtungen nach betrug die Höhe an der
Grenze der Vegetation 5144 engl. Fuß über Merico, und das Wafler
fochte bei 90° Centig. um 6 Uhr Abends. Auf dem Pico del Braile
fochte um 9 Uhr früh das Wafler bei 82° Centigr., und feine Höhe
wurde auf 9400 engl. Fuß über Merico berechnet. Die barametrifche
Höhe des Popocatepetl ermittelten fie auf 17,938 engl. Fuß ?).
Am 27. Februar 1851 fand die erfte Unterfuchung des inneren
Kraters, der fogenannten Solfatara, auf dem Popocatepeil ſeitens zweier
—
1) Wohl Trachyworphyr mit Dligoklaokryſtallen. G.
2) Gs if ſehr zn bedauern, daß wir von Herrn v. Gerolt, ver bekannilich ſelbſt
Geognoſt und Bergmann war, feinen Bericht über feine geognoſtiſchen Beobachtungen
an dem Berge befigen, ta er bisher der einzige naturwiſſenſchaftliche Forſcher geweſen
if, der eine Erſteigung des Popocatepetl unternonmen hat. G.
136 C. Pieſchel:
Franzoſen ſtatt. Dieſelben gingen von Atlixco, im Südoſten des Vul⸗
kans, über San Nicolas de los Ranchos, wo ſie zwiſchen letztem Orte
und San Juan Teankismanalco einen breiten und 50 bis 200 Meter
langen Lavaſtrom überſchritten. Sie paſſirten Zalizintla, das höchſte
indiſche Dorf am ſüdöſtlichen Fuße des Vulkans, 2500 M. über dem
Meere und umgeben von vullaniſchen Sandhügeln. Ihr Nachtquartier
nahmen fie in dem aus wenigen Bretter» und Erbhütten für Arbeiter,
ſowie aus einfachen Anlagen zu Schwefelöfen beftehenben Rancho de
Llanacas unter den legten Tannen, indem eine furze Strede aufwärts,
in 3826 M. Höhe, fich die Grenze der Baumvegetation befindet. Einige
Gräfer und eine Art Immortellen ſchmückten das vulfanifche Geröll,
verfehwanden aber bald noch eine kurze Strede höher hinauf auf dem
todten ſchwarzen Sande, 3872 M. hoch. Mit großer Mühe fliegen
die beiden Reiſenden auf einer ſchwarzen beweglichen Afchenfläche, bes
jaet von Bimſtein⸗ umd Lavaftüdchen, aufwärts. Zerrifiene Lavafeljen
und Bafaltblöde lagen in einzelnen Gruppen zerftreut, oft halb bes
dedt vom Sande in verſchiedener Höhe. Einzelne bildeten lange Fels-
fümme, Weberrefte eines erflarsten Lavaſtromes, andere iſolirte Fels⸗
fpigen, ausgeworfene erfaltere Lavablöde, die bei dem geringfien Ans
ſtoß auf der fchrägen Sandfläche Hinabzurollen drohten. Porphyr, Tra⸗
chyt, Obfidian, Bafalt und andere vulfanifche Gefteine fanden fich bier
repräfentirt. Nach zweiſtuͤndigem Steigen erreichten fie die untere
Schneegrenze, die aus einer in Zaden und Spitzen gefrorenen 2 bie
3 Fuß hohen Cismaſſe befland, und auf der fie wie auf einer Terraſſe
aufwärts kletterten, was ihnen aber in Folge der guten Anmweifungen
ihrer Fuͤhrer fo wenig Schwierigfeit machte, daß fie die Befleigung des
Bopocatepetl in Zukunft für eine Promenade der mericanifchen Stuper
erklärten, die nicht mehr Schwierigkeiten, als die Befteigung des Bes
fuvs oder Aetna, darbiete. Sie hatten wegen einer ftarfen Wolken⸗
ſchicht, die fi um den Kegel während ihrer Beſteigung legte, nichts
von dem Nefler der Sonnenftraglen auf dem Schnee zu leiden, und
fühlten bei ihren noch jungen und Fräftigen Conftitutionen keinerlei
Beichwerden beim Einatmen der dünnen Luft. Der Krater ſtieß fort-
während fchiwefelwaflerftoffhaltige Dünfte aus, welche die dicke Kuftfchicht,
obgleich fie noch einige Hundert Meter unterhalb der Kratermündung
fih befanden, ihnen entgegenwarf, und das Steigen in dieſer duͤnnen
Die Vulkane yon Mexico. 137
Luft bei dem unerträglichen Geruche dieſer Gaſe fehr unangenchm -
machte. Biele follen dieſer Luft nicht widerſtehen fönnen und ohnmächs
tig niederfallen. Die Führer nennen dieſes Unwohlſein: Seekrankheit
des Vulkans (el mareo).
Beim Erreichen des Kraterrandes nah 5 Stunden hörten fie
dumpfes Getöfe aus dem Innern, ähnlich dem eines fernen Waſſer⸗
folle8 oder der ferien Brandung des Meered. Der Kraterrand, 5344
Meter über dem Meere, umfchließt in einem circa *ftünbigem Umfange
einen 500 Deeter tiefen, xunden, nach Innen fpipzulaufenden Keſſel,
deffen Seitenwände fchroff abfallen. Aus der Tiefe erhoben fich Rauch⸗
faulen, die aus Oeffnungen in verjchledener Höhe (fumeroles) auf:
fliegen. Das Geräufch der ausſtrömenden Gaſe wurde untermifcht von
dent Getöfe der fich Iöfenden, hinabſtuͤrzenden Felsblöcke und der hin⸗
abrolienden Afche. Die Reifenden fliegen 86 Meter tief in das Innere
des Kraters hinab, wo fie unter einem großen Yeldblode Raſt mach⸗
ten, und fih ſodann an einem Selle in den Abgrund etwa 71 Meter
tief hinabließen. Auf einem fchrägen Abfape von 400 Meter Länge
zwifchen großen Felsblöcken und breiten, Schwefelwaſſerſtoffgas aus⸗
hauchenden Spalten hindurch gelangten fie auf den Fuß des Abgrun-
des. Hier befanden fich drei Hauptdampföffnungen: In Süboften, Süs
den und Nordoſten, von denen die erfte die ftärffte war; außerdem
zählte man noch über 30 ſolcher Deffnungen von 1 bis 2 Fuß Durchs
meffer, die alle unter ſtarkem Donner mit großer Gewalt dicke Dampf⸗
faulen mit Salzen und Schwefel gefchtwängert, auswarfen. In der
Mitte des rundes, im Sande, befand fich eine Bertiefung mit reis
nem Trinkwaſſer, das vermuthlih aus dem geſchmolzenen Schnee
feinen Urfprung hatte. .
Nach dreiſtuͤndigem Aufenthalte im Krater traten die beiden Reis
fenden ihren Rüdweg aus der Tiefe defielben an. Er war weit müß-
famer und gefährlicher, als das Hinabfleigen, indem fie bald auf dem
beweglichen Sande zurüdzutichten, wobei oft große Steine mit hinab»
tollten, bald vergeblich mit dem Fuß nad) einem fiheren Stanppunfte
auf den lockeren zerbrödelten Steinen fuchten, bald die heißen übelries
chenden Schwefeldämpfe fie halb ohnmächtig machten, bis fie endlich
die fenfrechte Felswand erreichten und ſich an einem einfachen Seile
hinaufziehen ließen, wobei fie mit Händen und Züßen arbeiten mußten,
138 C. Pieſchel:
um dem Seile die nöthige Richtung an den Felokanten und Spihzen
vorbei zu geben.
In neuefter Zeit, namentlih im Jahre 1853, ift der Popocate⸗
pet! innerhalb weniger Monate von mehreren Gefellfchaften erfliegen
worden. Der Marquis de Radepont gelangte auf venfelben in Bes
‚ gleitung eined Branzofen und eines Schweizers von Puebla aus über
San Nicolas de los Ranchos, wobei die Gefellfchaft eine Racht am
Abhange der inneren Kraterwand unter Steinen und Yelsvorfprüngen,
welche die zur Zeit dort mit der Schwefelausbeute beichäftigten Arbeiter
zu ihren nächtlichen Wohnungen eingerichtet hatten, zubrachte, und fid
felbft an Seilen in den 300 bis A00 Fuß tiefen Krater hinabließ, um
die Löcher und Aushöhlungen in Augenſchein zu nehmen, woraus ber
Schwefel gewonnen wird.
Einige Zeit darauf erflieg endlich noch der franzöfifche Maler Bin-
gret aus Merico den ‘Bopocatepetl. Er ließ fich gleichfalls in den Krater
hinab und fertigte fpäter einige interefiante Bilder und Anfichten da⸗
von an. Derfelbe brachte die Racht in jener Nifche zu, weiche, 50 Fuß
tief am inneren Kraterrande gelegen, von den Schwefelarbeitern ale
ein Zufluchtsort für die Nacht mit großen Felsbloͤcken umfeht war und
von ihm fcherzweife „Uhötel du Popocatepeil“ genannt wurde. Bon
hier wurde er an einem Seile auf einen Abſatz in ben Krater hinab-
gelafien, wo die Arbeiter den Schwefel ausbeuten, und von wo er bie
andere Hälfte der Tiefe des Kraters, ungefähr 300 Fuß, zu Fuß bin
abftieg. Er vergleicht den Krater mit einem großen Schmelgofen, ver
mit den theild in zerriſſenem und verwittertem ausgebrannten Geſtein,
theild in vulfanifchem Sand- und Steingerölle beftehenden Weberbläbs
feln des legten Auswurfs gefüllt ift, und woraus Hier und da durch
Spalten Schwefelvämpfe auffteigen. Die Nifchen und Löcher am ins
neren Kraterrande, die fogenannten Schwefelminen, wo die Arbeiter
den Schwefel gewinnen, nennt er Solfataren und bezeichnet fie ald
Hauptfig eines etwaigen neuen Auswurfmaterials. Die ftarfen Schwefel:
dünfte hindern Hier oft Die Arbeiter bei ihrem Werke. Auf dem Grunde
des Kraters zeigten fi) mehrere Heine Deffnungen, fumeroles, die
Dampf und vulfanifches Geröll mit innerem Getöje auswarfen. Den
ganzen Umfang des Kraters fcehägte Der Reiſende auf 4 Stunde.
Ich felbft beftieg den SBopocatepetl am 26. März 1853 in Gefell
Die Bulfane von Merico. 139
haft von fieben anderen, den verfchiedenften Nationen angehörigen Reis
jenden (dem Franzoſen M. Birlet d'Aouſt, den Engländern MM. George
Hamilton, Sir Francis Lyon, N. Davidfon, R. I. Budley, dem Nords
amerifaner John G. Eofter aus New⸗York und dem Deutfchen H.
Hubdemann aus Hamburg). Wir brachen Tags zuvor von dem Eifens
werke San Rafael auf, gingen über Amecameca, wo wir bie nöthigen
Führer refp. Träger für die Nahrungsmittel für Menfchen und There
mit und nahmen, und gelangten über die Heine Hacienda Tamacoco
nach einem Aftündigen Ritte über die Vorberge, durch einen ununter
brochenen Tannenwald auffteigend, gegen Abend nach dem Rancho Tla⸗
nacad. Mir waren größtentheild dem Wege von Amecameca nad
Puebla gefolgt, welcher zwijchen den beiden Bulfanen den Bergrüden
überfteigt, und auf welchem einft Cortez mit feinem Croberungsheere
zum erften Male in das Thal von Tenochtitlan hinabgeftiegen ifl. Der
aus wenigen Holz⸗ und Erbhütten, fowie aus einigen einfachen Oefen
befichende Rancho Tlanacas ift von zwei Gefellfchaften, der aus Mes
xico und ber aus Puebla, die gegenfeitig das ausfchließliche Eigen-
tbumsrecht der Schwefelminen im Krater für fih in Anfpruch nehmen
und deshalb ſchon darüber in PBrocefie verwidelt find, erbaut, um den
vom Krater herabgeichafften Schwefel zu ſchmelzen und gereinigt fofort
nad) den Städten Mexico und Puebla zu verfenden. In einer mit
Gras und Erbe bedeckten zeltartigen Hütte von Tannenflämmen fans
den wir, wie unfere Diener in einer zweiten, binreichended Unterkom⸗
men. Der Abend war bereits fehr fühl und die Luft fo fein, daß
man fich troß der warmen Kleider und Deden nur in der Rähe eines
mächtigen Feuers wohl fühlte Die Höhe dieſes Punktes mittelft Ko⸗
chen des Waſſers feftzuftellen, mißglüdte, da der Apparat bereitd auf
dem Transport gelitten hatte. Der Rancho liegt mitten in einem Tan
nenwalde am Anfange einer Fleinen Schlucht, die etwas Waſſer liefert,
was auch fein indifcher Name Tlanacas bezeichnen fol. Die Spige
des Bulfans erfchien von hier wie ein runder weißer Schneerüden,
der leider nur noch kurze Zeit in den Straßlen der untergehenden
Sonne erglänzte und fich bald in bide Nebelwolken hüllte, die ber
Wind hinauftrieb und um ihn legte. Um 3 Uhr am andern Morgen
waren endlich die vielen Pferde gefattelt und mit den jäumigen Füh—
vern Alles geordnet. Wir ritten eine halbe Stunde im Binienwalde
140 C. Pieſchel:
fort und uͤberſchritten bald nach dem Aufhoren deſſelben die Grenze ver
Vegetation. Unfer Weg führte Durch einen Baranco auf ber nörblis
chen Seite des Bergfegeld nad Oſten zu ſtets in tiefem vulfanifchen
Sande bergan fleigend. Obgleich derfelbe nur almählig an dem Kegel
anftieg, war ber Sand Doc fo tief, daß die Pferde bald fehr ermüde⸗
ten, und wir e8 bei dem langfamen Gehen faum vor Käfte aushalten
fonnten. Nach 14ftündigem Steigen ließen wir die Pferde nach dem
Rancho zurüdbringen, feßten mit unferen indifchen Führern den Weg
zu Fuß fort, unterflügt von langen, mit Eifen befchlagenen Alpen
ſtöcken, und gelangten kurze Zeit darauf an einige aus dem Sande
hervorragende Lavafelfen, worauf ein Hölzerned Kreuz errichtet war,
Luaco genannt. Hier fing der Tag am zu grauen. Der Sand wurde
mit jedem Schritte bergan fefter Durch den Froft, und wir famen bald
auf eine glatte ſchwarze Eismaffe, auf der das Steigen fehr gefährlich
wurde. Es war Died der Uebergang zum Schnee. Der Sand wir
durch das am Tage herabfließende Schneewafler fo getränft, daß die
ſes, während der Nacht gefrierend, eine fürmliche Eisfrufte bildet. Schon
hier vermochten einige unferer Gefährten, die weniger ficher und fell
auf den Fügen waren, kaum zu folgen und mußten oft ifre Hände
zu Hilfe nehmen. Die Steigung mochte mehr ald 35 Grad betragen.
Nach einer halben Stunde erreichten wir den Schnee, der nicht ſehr
tief war. Um mir das Steigen in demfelben zu erleichtern, folgte id
dem Beifpiele der Indianer, bie fich die Stride um die Sohlen der
Schuhe banden, um das Ausgleiten zu verhindern, und trat flets in
die Fußtapfen der vorangehenden Führer. Auf dieſe Weiſe immer
fhräg am Kraterfegel, deſſen Neigung ftets fteiler wurde, auffteigend,
waren wir von ber weflichen Seite ganz nach der öftlichen des Bub
fans herumgekommen. Se höher wir famen, deſto eiftger und feſter
wurbe der Schnee, der bald fogar in fürmliche Heine Eisfpalten über
ging, welche dadurch entftehen, daß die heißen Sonnenftrahlen am Tage
den Schnee fchmelzen, deſſen Wafler dann bei dem flarfen Abfall ded
Kegels in dem Eife rinnenartige, allmählig fehräg am Berge hinab:
laufende Bertiefungen bildet. Man muß fo treppenartig aus einer
Spalte in die andere fohräg aufwärts klettern; dabei find die Ränder
derfelben oft fo fpis und Fantig von harten Eiszaden gebilvet, daß he
die Füße und die bei diefem Klettern nothwendig oft in Anſpruch ge
Die Vulfane von Merico. 141
nommenen Hände blutig reißen. Sch beivunderte einige Indianer, die
ohne Sandalen oder Schuhe mit bloßen Küßen auf diefem Schnee und
Eife fortlletterten, ohne fh zu verwunden oder über Kälte zu Flagen.
Als die Sonne auf dieſer Stelle uns überrafchte, bot fih uns ein un-
beichreibliches Schaufpiel dar, wie ich es einft nur ähnlich von dem Pic
Teyde auf Teneriffa gefehen hatte. Ein weißes Wollenmeer hatte den
Luftraum gegen Often in zwei Etagen getheilt; unter bemfelben lag
die Ebene von Puebla (Anahuac) mit den bewaldeten Abhängen, und
über demfelben erjchienen die düfteren Yelsrüden der Malinche und des
Cofre de Peröte, ſowie der bfendende Schneefegel des Pic von Ori⸗
zaba, neben welchem die mächtige Sonnenfcheibe fich gravitätifch in den
blauen wolfenlofen Aether erhob.
Unfer Weg wurde durch die Sonne befchwerlicher, indem der
Schnee fih loderte und das Eis durch das Schmelzen fchlüpferig
wurde; dazu fam, daß wir jet unfer Geſicht durch Schleier und um-
fere Augen durch farbige Brillen gegen die auf der Schneefläche re
flectirenden Eonnenftrahlen fhüten mußten, um nicht das Schidfal
des Herrn v. Gerolt und feines Gefährten zu haben, bie ihren erften
Verſuch der Befteigung aufgeben mußten, weil ihnen das ganze Ges
ſicht und die Augen fo geſchwollen und entzündet waren, daß fie erſt
nach vier Wochen fich von diefer furchtbaren Einwirfung des Schnee’s
wieder hergeftellt fahen.
Die Luft wurde fühlbar immer dünner und geftattete nur 30 bie _
40 Schritte zu thun, nach denen man wieder neue Kräfte durch Still
ftehen fammeln mußte. Das Steigen war auf dieſe Weife weniger
gefährlich und befchwerlich, als augenblidlich ermattend und erfchlaffehb.
Endlich nah 8 Uhr, alfo ungefähr nad Sflündigem Steigen vom
Rancho, wie man und vorhergefagt Hatte, erreichten wir nad) einander
den Kraterrand, und zwar im Often, an feiner niebrigften Stelle. Der
Auf der erften Ankömmlinge, daß glüdlih das Ziel erreicht fei, gab
Manchem der Nachzügler, wovon einige fchon fo erfchöpft waren, daß
fie vom Weiterfteigen abftehen wollten, und andere fogar fchon nahe
daran waren, vor Erfchöpfung in Ohnmacht zu fallen, fo viel Kraft
und neuen Muth, daß wir uns bald Alle oben glüdlidh und wohlbes
halten verfammelt fahen.
Die Luft war dünn und falt, und die didften Deden genfigten
142 \ C. Pieſchel:
ſelbſt in der Sonne kaum, uns zu erwaͤrmen. Das Thermometer zeigte
nur 60 R. an. Auffallend war die Erſcheinung, daß die Luft in der
Nacht bis zu Sonnenaufgang weniger kalt ſich fühlbar gemacht Hatte,
al8 nach Sonnenaufgang, und in der That ſank auch das Thermo-
meter am tiefften unmittelbar vor und nah Eonnenaufgang, wo «6
faum 1 bis 2° R. angeigte. Yür den Körper war diefer Contraft
um fo fühlbarer, als die Luft bis zu Sonnenaufgang auffallend ruhig
und fill blieb, während mit dem Erfcheinen der Sonne eine flärfere
Luftftrömung entftand, und vielleicht auch durch den Einfluß ver
Sonnenftraßlen die Haut mehr erwärmt und deshalb empfindlicher ges
gen die Külte der Luft wurde.
Der Krater zeigte eine ovale Deffnung, die von Nordweſten nad)
Südoften ihre Rängenare und einen Umfang von ungefähr einer
Stunde hat. Im Süpdmeften befindet ſich der höchfte Punkt des Kra⸗
terrandes, der ſich gegen Oſten zu dem niebrigften Punkte Hinabzieht.
Ich verfuchte, nach dem höchften Punkte zu gelangen, fonnte aber nur
auf der Nordſeite des Kraterrandes herum bis zu Dreiviertel biejer
‚ Seite, dem zweithöchften Punkte des Kraterd, gelangen, da der jühe
Abfall der Kraterwand auf der inneren Seite, fteile rauchende Felſen
und eine tiefe Schlucht im Eife auf dem Außeren Rande am weiteren
Vorbringen auf diefer Seite hinderten. Der Krater bat eine trichter:
fürmige Geftalt, deren Tiefe ich auf 500 bis 600 Fuß abfchäte, und
. die ich noch bei Feinem Vulkan fo fchön regelmäßig geformt gefehen
habe. Die Wände fallen fteil zu allen Seiten ab, und nur an ber
öftlihen, wo wir angelangt waren, laflen die Arbeiter der Schwefel:
minen fi an einem 240 Fuß langen Seile hinab.
Seit dem Jahre 1848 Hat man nämlich hier mit der Ausbeutung
des Schwefeld begonnen, der fich eines Theils gefchmolzen, indem er
ſich ftrahlenförmig um die Deffnungen ergießt, anderen Theil aus den
Dämpfen condenfirt, in Zaden, Blumen, Kriftallen und Staub geformt,
findet. Man gewinnt ihn in einer Tiefe von 300 bis A400 Fuß auf
einzelnen felfigen Abfägen aus der Kraterwand. Derfelbe wird in Hei-
nen Säden mittelft einer Winde nach oben gezogen und dann, auf
Rindshäuten zufammengepadt, auf einer Art Rutſchbahn auf dem Eiſe
und Schnee bi8 an den Fuß des Kraters hinabgerutfcht, von wo er
mit Efeln nach dem Randho zum Kochen weiter beförbert wird. Ter
Die Vulkane von Merico. 143
Schwefelreichtfum fol ganz bedeutend fein, doch wird über den Betrag
der Ausbeute nach mericanifcher Art tiefes Schweigen beobachtet, ente
weder weil man fich Feine Concurrenz fchaffen will, oder weil man felbft
ven Ertrag nicht genau anzugeben vermag. Andererſeits hat aber theild
ber Streit über das Eigenthumsrecht, theils der befchräntte Confum im
ganzen Lande bei den hohen Betrieböfoften noch jeden flarfen Betrieb
gehindert. Die Arbeiter bringen die ganze Woche über im Krater bei
ihrer Arbeit zu, haben fich bereits dort unter Felsbloͤcken einen ganz
wohnlichen Aufenthalt für die Nacht eingerichtet und fleigen nur bes
Sonnabends herunter, um bis zum Montag im Kreife ihrer Familie
zu leben.
Die Wände des Kraters find von Schichten verfchievenen Ges
fteind gebildet, von deren Abſaͤtzen im Innern oft ganz malerifch lange
Eiszapfen herabhängen. Die Schichten liegen horizontal und geben
durch ihre verfchievdenen Farben ein eigenthümliches Bild. Sie wech
fein vom dunfelften Roth in's Yleifchfarbige, in's Gelb, Braunroth,
Gelbbraun ıc. Daß dieſe Schichten durch die vulfanifche Thaͤtigkeit
aus dem Innern ver Erde aufgetriebene Steingebilve fein follen, das
gegen feheint ihre Freiöförmige, Horizontale Lage zu fprechen. Ich Halte
dieſelben deshalb vielmehr für einzelne Lava» und Auswurfsfchichten,
pie fich je nach der Thätigkeit des Vulkans in Folge jedes Ausbruchs
gebildet und fo mit der Zeit über einander gelegt Haben. Daß man
jeßt die Schichten, wie Bänder, über einander liegen fieht, hat das
Snfichzufammenfinfen des Krater nach dem lebten Auswurfe hervors
gerufen, indem das Geftein des äußeren Kraterrandes erfaltet ift und
ſich verhärtete, während der inwendige noch meichere Rand durch wies
derholte Ausmwürfe eine glattere, fteilere Abdfchleifung erhielt.
Die Bodenflaͤche des Kraters, die man ganz deutlich vom oberen
Rande überfehen kann, mag vielleicht ein paar Hundert Schritt im
Umfang haben. Sie ift mit Schnee und Eis und an einigen Stellen
mit hinunter gerutfchtem Steingerölle bevedt. An zwei Stellen fah
ich aus derfelben dunkle Rauchwolfen auffteigen, die fich ſtoßweiſe aus
dem Krater erhoben, in freier Luft aber bald verfchwanden. Obgleich
ihre Farbe eine Mifchung mit anderen Subflanzen, vielleicht mit Afche
oder Sand ꝛc., verrieth, fo fonnte ich doch nichts als Dämpfe wahr:
nehmen. Ebenſo befanden fich zwei Stellen auf dem Kraterrande im
144 G. Vieſchel:
Süden und Rorbweiten, welche leichte Schwefeldaͤmpfe aus Spalten
aushauchten. An der legten, wo zwifchen dem Lavageftein die heißen
Dämpfe emporfliegen, war das Geröll einige Finger breit unter ver
Oberfläche brennend Heiß, und die ganze Oberfläche warm und weid,
Die auffteigenden Dämpfe lagern ihre falzgigen Theile auf dem Geftein
in einer weißen Krufte ab und bilden durch Riederfchlag Feine Waſſer⸗
rinnen nach innen, die fich theild in dem vulfanifchen Sande verlaus
fen, theils zu Keinen Eiszacken erftarren. Sie enthalten im Ganım
viel Alaun, Kochſalz und Kupferoryd. An dem oberen Kraterrande
bemerft man feinen Schwefel, obgleich die Dämpfe an einzelnem Ge⸗
ftein, wo fie ausfteömen, dünne braungelbliche Schwefellagen abfehen;
doch fchon einige 20 Fuß an der öftlihen Kraterwand hinab bemerh
man zwifchen dem Geflein große Stüden Schwefel, die ſich nad der
Tiefe des Kraters zu mehren fcheinen.
Bon einer weiteren vulfanifchen Thätigfeit, von Afchen- und Sant:
auswürfen, von unterirvifchem Getöfe, Erfchütterungen ıc. war mäh-
rend unferer Anmefenheit nicht das Geringfte zu fpüren. Es herrſchte
eine Ruhe auf und in dem Krater, wie auf einem längft entihlum
merten Bulfan, und hätten jene Dampffäulen nicht die Thätigkeit eined
unterirbifchen Elementes verrathen, jo würde man nicht gewußt haben,
daß man auf einem Vulkan fleht.
Außer der imponirenden Form dieſes Kraterd zog namentlich nes
die Formation der Schnee» und Eisgebilde, die wie ein weißer Mantel |
mit aufrecht ſtehenden, fein gezadten Kragen den Kegel umbüllen, mein:
Aufmerffamfeit auf fih. Der Schnee, der fi durch die tägliche Ein
wirfung der Sonnenftrahlen auf der oberen Spike des Kegeld zu ir
nen Eislanten geformt hat, umzieht den oberen Theil des Kraterkegel?
in fchrägen, von Welten nach Oſten herablaufenden Spalten, deren
Ränder oft 2 bi 3 Fuß hohe fpigzulaufende Eisfanten von ben Hr
ſchiedenſten Geftaltungen bilden. Diefe umfchließen den Kratertand
auf eine Entfernung von circa 12 bis 18 Fuß von der höchften Linie
deffelben abwärts, je nachdem die innere Wärme bed Gefteines durch
die fortdauernde vulfanifche Thätigkeit das Eis und den Schnee zu⸗
rüddrängt, und fchmüden gleichfam die Krateröffnung wie ein weikt,
geftärkter, hochftehender Kragen, wodurch das Ganze ein eigenthümli
ches Ausfehen erhält.
Die Vulkane von Mexico. 145
Gletſcher Hat der Poporatepetl gar nicht, da die Neigung bes
Kegels zu flark ift, und ber Schnee, wie das Eis, nur wenige Fuß
hoch Kegt, auch die Schluchten nur von geringer Tiefe zu fein fcheinen.
Der Schnee ift Törnig und ähnelt dem Firne auf den ſchweizeriſchen
Gletſchern, indem er fich meift zu Heinen Eiskoͤrnen geftaltet. Eine
eigenthümliche Erfcheinung bieten auf dem norbweftlichen Abhange bie
burgartigen, gefchichteten Eismaflen, bie als große oblonge, vieredige,
Iharfabgelantete Schneelaften fich zwiſchen der Spike und dem Pico
del Fraile neben tiefen Spalten im Schnee herabjiehen. Es waren
Formen von Schneemafien, wie ich fie nie gefehen. Sie näher in
Augenſchein zu nehmen, hinderten die vielen Schluchten und Abfchüffe
im Schnee zwiſchen und und ihnen. Die Entftehung diefer Maflen
blieb mir eben fo räthfelhaft, wie ihre Form felbft, und ich fann bie
fcharfen, Iangen Seitenfanten mir nur durch ein gewaltfames Abbrechen
der Maſſen durch eine herabrollende Lawine oder duch flarfe Waſſer⸗
firöme in Folge von Regen erflären.
Auf der füblichen Seite des Kegeld fah ich bei meiner fpäteren
Rundreiſe um den Bopocatepetl im December 1853 fehr wenig Schnee
und nur große Felder von fchwarzem vulfanifchen Sande, die fich in
dem Gerölle fleil herabzogen und um fo mehr ſich dem Auge bemerkbar
machten, als fie von großen rothen Flecken und Streifen am oberen Ende
eingefchloffen waren. Diefes war ohne Zweifel ein ausgehranntes,
rothes, vulkanifches Geftein, das ifolirte, aus dem Dunklen Gerölle her
vorragende Felsmaſſen bildete.
Was aber die Mühen und Anftrengungen der Beſteigung des
Popocatepetl am meiften belohnt, das ift das herrliche, über alle Bes
fchreibung überrafchende Banorama, welches der weite Gefichtöfreis bei
fhöner Beleuchtung und Harer Luft gewährt. In vielen Geographien
und Reifebefchreibungen heißt e8, daß man von diefer hohen Spige die
beiden Meere, den atlantifchen, wie den ftillen Ocean fehen fönne. Die
Möglichkeit mag in Berüdfichtigung der Höhe vorhanden fein, doch
trage ich Bedenken, ob je ein fterbliched Auge dieſen Genuß gehabt hat,
indem es wohl felten ober nie Augenblide geben dürfte, bie auf Dies
fer Höhe nach beiden Seiten hin einen fo weiten Gefichtöfreis in der
nöthigen Klarheit gewähren, da je nach der Luftſtroͤmung eine Dunft-
ablagerung fich ſtets auf einer Seite zeigt. Wir Hatten es mit. dem
Zeitſchr. f. allg. Erdfunde. Bo. V. 10
146 C. Pieſchel:
Wetter Außerft glüdlich getroffen. Die Nacht, wie der ganze folgende Tag,
war fehr ruhig, und nur gegen Often hatten bie wärmenden Strahlen
beim Sonnenaufgang den Dunft zu Wolfen zufammen gezogen, und eine
ſchneeweiße Wolkenſchicht hatte zugleich den Horizont in zwei Etagen
geteilt. Während darunter das weite Thal von Puebla mit der Stabt
gleiches Namens und vielen zwifchen den bewaldeten Bergabhängen und
fruchtbaren Feldern der Ebene zerftreut liegenden Ortfchaften und Land»
gütern ſich ausdehnte, und durch die verfchievdenartigen Farbennuancen,
durch die eigenthümliche Beleuchtuug und den Schattenrefler der Mor
denfonne ein intereffantes Bild ſich darbot, erhoben fich über der weis
Gen Wolfenfläche die dunklen zerrifienen Felsruͤcken der Malinche und
des Cofre de Perote, fowie der weiße Kegel des Pic von Drizäba,
von rofigem Morgenlichte gefärbt, in dem eigentbümlich durchſichtigen
blauen Aether. Am füblichen Buße des Berges dehnt fi das Thal
von Amilpas mit feinen hellgrünen Zuderfeldern aus. Gegen Welten
begrenzen die Berge von Ajusco, fowie Binter denfelben bie Hochebene
von Toluca mit ihrem ſtolzen Schneegebirge, dem Nevado de Toluca,
den Horizont. Gegen Süden und Südweſten ſchweift das Auge über
unendliche mannigfach geformte Bergrüden der Sierra madre in den
Staaten von Dajaca und Puebla. Gegen Norden und Nordoſten
breitet fich das Thal von Merico mit der lang gebehnten weißen Häufer-
mafle der Hauptftabt und den hellerglänzenden Waflerfpiegeln der 2a
gunen von Ghalco, Xochimilco, Tescoro, San Eriftobal und Zumpano
aus, defien Hintergrund die Gebirge der Bergwerksdiſtricte von Pa
chuca, Real del Monte, Atotonilco el Chico, Zimapan, San Zofe dei
Oro, el Doctor, und in weiter Ferne die von Guanajuato bilden. Zu
unferen Füßen lag der Irtaccifuatl mit langem zerrifienen Schneerüden
und präfentirte fich in einer fchöneren Form und Beleuchtung, als von
irgend einer Seite aus dem Thale gefehen, indem die weiße Schnee
maſſe einen überrafchenden Contraſt mit den büftern Schluchten feiner
Abhaͤnge bildete.
Bon Beängfligungen und Andrang des Blutes zum Kopfe, wos
von fo viele Reiſende bei einer derartigen Beſteigung erzählen, ver-
fpürte Feiner unferer Gefährten das Geringfte. Einige, die fehr er-
Höpft angelangt waren, erholten ſich allerdings nur langſam wieder
und genoffen nur mit Widerwillen einige Erfriſchung. Ich ſelbſt Hatte
Die Vulkane von Mexico. 147
auf das Sorgfältigfte auf meinen Förperlichen Zuftand Acht, muß aber
geftehen, daß ich nach einem mehr ald zweiſtündigen Aufenthalte in
diefer dünnen Luft, den ich meiftentheild zu Unterfuchungen und Sam⸗
meln der verfchievenen Gebirgsgeſteine und des Schwefels, fowie zum
Entwerfen einiger Skizzen benußte, nur einen ganz unbedeutenden Drud
oberhalb der Augenhöhlen im Kopfe verfpürte, der fich mit jedem
Schritte bei dem fpäteren Hinunterlaufen verringerte.
Zu dem Hinabfteigen gebrauchten wir faum den britten Theil der
Zeit des Hinauffteigens, indem wir namentlich auf dem loderen Schnee
und Sande in langen Sprüngen hinabeilten, wobei wir allerdings oft
bis zur halben Wade in bemfelben verfanfen. Wir entbedten auf dies
fem Wege ein langes Seil, welches ftellenweife am Boden im Eife und
Schnee, wie im Sande, befefligt war, und wahrfcheinlich den Arbeitern
beim SHinauffteigen behilflich fein follte, indem dieſe ſich an demfelben
hinaufziehen. Wir benußten es gleichfalls bei dem Hinabrutfchen. An
der Schneegrenge, am Ende der Nutfchbahn für die Schwefelfäde, fans
den wir in einer Kleinen Schlucht ein Kleines hoͤlzernes Haus, eine
Zufluchtöflätte der Arbeiter bei böfem Wetter, das aber zur Zeit größ-
tentheild mit Schnee angefüllt war.
Um 2 Uhr waren wir, in jeder Weife vom fchönften Wetter bes
günftigt, glüdlich wieder im Rancho Tlanacas, wo wir leider weder
unfere Diener, Pferde, noch Lebensmittel fanden, da biefelben auf Res
quifition des Richters aus San ago, der das Befleigen des Pics
ohne befonvere Erlaubniß von ihm oder den Pueblaer Eigenthümern ber
Schwefelminen zu hindern firebt, auf Pueblaer Territorium in Befchlag
genommen und abgeführt waren, fo daß wir und genöthigt fahen, bie
A Leguas bis Amecameca noch zu Fuß zu machen, um Lebensmittel
und Pferde zu erhalten. Abends 10 Uhr gelangten wir, obgleich fehr
ermübet, doch glüdlich und ohne weiteren Unfall in San Rafael an,
von mo Ich den folgenden Tag bei guter Zeit das 13 Leguas entfernte
Merico erreichte.
(Fortſehung folgt.)
10*
IV
Weber die wiflenfchaftliche Reiſe der drei Gebrüder
Sclagintweit in Indien.
Nach Originals Doenmenten und Briefen im Anszuge mitgetheilt (Mitte Juli).
Es iſt dem Unterzeichneten durch die gütigen Zuſendungen des
Herrn Alexander von Humboldt vergoͤnnt, aus den Original⸗Docu⸗
menten ber bisher bei und eingelaufenen verſchiedenen Berichte und
Briefe der genannten deutfchen Reifenden, bie, wie fchon durch Je
tungsblätter befannt geworben, glüdlich in Indien angefommen und
von Bombay über Madras nad) Calcutta förtgefchritten waren, einige
genauere Ergebniſſe ihrer für verfchiedene Zweige pofitiver Wiſſenſchaf⸗
ten wichtigen Unternehmung zu veröffentlichen.
Wenn fte auch nicht, wie unfere beutfchen afritanifchen Reifenden
im centralen Sudan, eine bisher faft gänzlich in Zabel und Dunfel ge
hüllte Terra incognita topographifch zu entveden Haben, fo ift ihre
Aufgabe, die noch verfchleierten phyſikaliſchen Geſetze der Natur in den
wunberreichen Bormen und Erfcheinungen des umfangreichften und colof
falten Hochgebirged unjeres Planeten, des Himalaya» Syfemd,
näher zu erforfchen, doch nicht weniger großartig und ſchwierig. Sie
werden dies auf das Sorgfältigfte mit allen Mitteln thun, melde
felbfteigene Uebung und Erfahrung in den Riefenhöhen der Alpen Eu
ropa’s ihnen an die Hand geben, und die der mitgeführte Schah
für alle Erfcheinungen geeigneter Meß⸗ und Beobachtungs-mftrw
mente und Apparate ihnen darbietet, und zwar fo weit ihre jugend
lichen Kräfte ihnen dies zur Vervollſtaͤndigung vorangegangener, eng
liſcher Beobachtungen, die und noch in der jüngeren Zeit von ba
Die wiffenfchaftliche Reiſe der Gebrüder Schlagintweit in Indien. 149
hochverbienteften Männern, einem Br. H. Hodgſon, Th. Thomfon, A
Campbell, Joſ. Hoofer, &. Strachey und Anderen zu Gute gekommen
find, geftatten werben.
Ihre wiffenfchaftlihe Vorbildung hierzu iſt von ben Meiftern in
Deutfchland und auch in England, wo wir nur einen Faraday nennen,
erprobt; ihre Haffifchen Arbeiten über die bairifchen und ſchweizer Als
pen, zumal über den Monte Rofa, liegen bereit vor, und die Webers
windung der großen Arbeit ihrer neuen Aufgabe wird durch Das er⸗
freuliche Zuſammenwirken dreier Brüder wohl möglich fein.
Kur durch großmüthige mehrjährige Unterſtuͤtzung Sr. Majeftät
unſeres allergnädigften Königs unter dem Patronate eines A. v. Hum⸗
boldt, der einft von dem Cordillerenſyſteme herab den ganzen Planeten
mit einem neuen wiffenfchaftlichen Lichte überftrahlte, konnte eine folche
Arbeit unternommen werben. Dank der raftlofeften Förderung unferes
Großmeifters aller wifienfchaftlichen Reife» Erpeditionen, Dank aber auch‘
der eifrigften Hingebung des damaligen Gefandten in London, des
Ritters Bunſen, und deſſen Vermittelung bei den Gebietern Indiens,
wozu er den energifchen Beiltand der Royal Society und der oflindi-
fchen Compagnie unter der Leitung des die Wiſſenſchaft überall för⸗
dernden trefflichen Golonel Sykes gewann und fich der befonderen
Stüße der magnetifchen Commiffion, unter des edeln Colonel Sabine
einfichtöreicher Leitung, zur Mitwirkung und Durdhführung des großen
Unternehmens erfreute. Nun erft, nach Jahre langer Vorarbeit und
auf das forgfältigfte mit einem reichen Schatz Foftbarer phyſikaliſcher
Inſtrumente, mit Borkenntnifien, Brieffhaften und Geldmitteln ausge
rüflet, wurde e8 den unter ſich brüderlich vereinten und jeber in fel-
ner Art befählgten jungen Männern möglich, durch den indiſchen Ocean
fchiffend, ihrer großen Aufgabe vertrauensvoll entgegen zu gehen. In
der indiſchen Welt war ihnen durch die perfönliche Befreundung und
den Weltruf ihres überall befannten und bewunderten Beſchützers,
A. v. Humboldt, der Weg zu den oberften Gipfeln der Staatsbehör-
den, wie zu allen wifienfchaftlichen Gapacitäten gebahnt.
Das erfle Schreiben der drei Brüber Adolph, Hermann und
Robert Schlagintweit an ihren Föniglichen Beſchirmer nad) der
Ueberfahrt von England im Dampfichiffe nach Aegypten und von Da
durch das vothe Meer nach Indien ift vom 14. Rovember 1854 von
150 &. Ritter:
Bombay aus datirt und am 10. Januar d. 3. Hier in Berlin ange
langt. Man hatte am 20. September Southampton auf dem großen
Dampfer „Indus“ verlaffen und landete am 5. October, alfo nad
16 Tagen, in Alexandrien. Nach raſcher Reife durch Aegypten fuhr
man am 8. October von Sues ab, erreichte Aden am 14. und Bom⸗
bay am 26. October, alfo in 19 Tagen. Die Bemüßung, an ver-
ſchiedenen Punkten möglichft genaue Angaben über die Temperatur
und über das fperififche Gewicht des Meerwaſſers zu erhalten, ergab
zunächft, daß die Temperatur deſſelben im Mittel fehr conflant war,
dagegen bebeutenb zunahm, je weiter man nach dem Süben gelangte.
Während z. B. im Mittel der verfchievdenen Beobachtungen die Tempe
ratur des Waſſers im nördlichen Theile des atlantifhen Meeres zwi-
Liſſabon und Gap St. Vincent 20 bis 21° Celſ. zeigte, war die im
wittelländifchen Meere von Gibraltar bis Malta 21 bi 22° C., von
Malta bis Alerandrien 23 bis 24° €.
Sehr beveutend iſt die Wärme im rohen Meere; im nördlichen
heile von Sues bis zum 23° nördl. Br. wurden 24 bis 28° E., im
ſuͤdlichen Theile von 23° nörbl. Br. bis gegen Babsel-Mandeb 30
bis 319,5 Eelf. mittlere Temperatur des Meerwaſſers beobachtet. In
dem perfifchsarabifchen Meere wurbe die Temperatur wieber etwas
geringer; fie betrug bei Üden und Bombay 27 bis 28° Eelf.
Das rothe Meer iſt nicht nur das mwärmfte, fondern auch bei
weitem das falzigfte Diefer verfchiedenen Meere. Das Marimum
des fpecififhen Gewichts betrug 3.3. im Golf von Sues 1,393.
Im Mittel für das rothe Meer fanden die Reifenden 1,031, während
das Mittel im atlantifchen Meere 1,0277 und im arnbifchen Dieere
1,0278 betrug '). Diefer Unterſchied wird dadurch hervorgebracht, daß
das rothe Meer ein Binnenmeer ift, welchem die Nähe der heißen Länder
mafjen von Afrifa und Arabien eine bedeutende Erwärmung mittheilt.
Der Zufuß von füßen Waſſern if nicht hinreichend, um die große
Berbunftung in Folge der Hige zu compenfiren, fo daß nothwendig
nach und nach der Salzgehalt des Meerwaflerd zunehmen muß. Diele
Ungleichheiten in dem Salzgehalte und in der Temperatur der vers
’) Wergl. Monatöberichte der Königl. Preuß. Alademie der Wiſſenſchaften, Fe:
bruar 1855, S. 73.
Die wiffenfchaftliche Reiſe ner Gebruͤder Schlagintweit in Indien. 151
fHiedenen Meere werden theilweife durch Die Meeresſtroͤmungen aus-
geglichen, welche man da, wo zwei Meere nur durch fchmale Ganäle
verbunden find, oft in fehr ausgezeichneter Weiſe beobachten kann. Die
Meerenge von Gibraltar und die Straße von Babsel-Mandeb zwis
hen dem rothen und arabiſchen Meere boten in biefer Beziehung einige
interefjante Erfcheinungen dar. In der Straße von Gibraltar geht
ein Talter Strom aus dem atlantifchen in das mittelländifche Meer.
Das kaͤltere Waſſer befindet fih Hier auf der Oberfläche, und erſt in
der Tiefe begegnet man dem wärmeren Strome des Mittelmeeres. Man
follte eigentlich Die umgekehrte Erfcheinung erwarten, nämlich daß das
wärmere Wafler, als das leichtere, ſich an ber Oberfläche befinden
müffe. Diefes anomale Verbältniß erflärt fich jeboch daraus, Daß das
Wafler des atlantifden Dreand weniger Sal enthält, ald das bes
Mittelmeeres, und daher ungeachtet der größeren Kälte doch noch abs
folut leichter bleibt, ald das wärmere, aber falgreichere Waſſer des letz⸗
tern. An der Straße von Bab⸗el⸗Mandeb war der kalte Meeresitrom
aus dem arabifchen Meere durch Die geringere Temperatur des Waſſers
ebenfalls fchon lange vor der Einfahrt in die Straße felbft deutlich
bemerkbar.
Die Reife durch Aegypten war fehr interefiant, aber nur flüchtig.
Die Wüſte, die wie durchzogen, fagen die Reifenden, befleht nicht aus
bloßem Sande; es find im Gegentheil zahlreiche Keine und große Ges
ſchiebe eingemifcht, die dem Boden eine größere Feſtigkeit verleihen, als
man vermuthet. Die Wüfte ift entfchieven ein: ehemaliger, jebt empor⸗
gehobener Meeresboden. Wir waren im Stande, eine Reihe alter
Meeresſtrandlinien, voll von Seemufcheln, gegen 200 Fuß über dem
Meere aufzufinden.
Die Lage von Bombay ift ausgezeichnet ſchoͤn. Die ganze Inſel
dieſes Namens mit beinahe einer halben Million Einwohner iſt bevedi mit
ihönen Lanphäufern, Balmenhainen aller Art und Anpflanzungen. Die
Ausficht auf das Meer auf der einen Seite und auf die blaue Kette
der Ghats auf der anderen bildet einen fehr ſchoͤnen und wechſelnden
Hintergrund der Landſchaft. Ueberraſchend ift die große Anzahl ber
verfchlenenen Racen, welche man bier vereinigt finde. Die erflen
Verſuche, verfchievene ethnographifche Photographien mit einen vorzuͤg⸗
lichen Apparate zu fammeln, find bereitd gemacht.
152 &, Bitter:
Der Gouverneur der Bräfiventichaft Bombay, Lord Ekphinftone
— der große Staatsmann (f. Allgem. Erdk. VI, 1078-1087), welcher
durch feine Gefandtfchaftsreife nach Cabul und feine Geſchichte von In⸗
dien auch Iiterarifch berühmt ift — war bei ver Ankunft der Reifenden
ſehr frank, empfing fie aber doch fpäter wiederholt und Tonnte ihnen
wefentliche Dienfte leiften, da ex felbft vor wenigen Jahren Das noͤrd⸗
liche Indien und zwar Nepal, Kaſchmir bis Jokardo und Ladak bereiſt
Hatte, worüber er nad Abreiſe unſerer Landsleute, die ihm durch Hrn.
A. v. Humboldt empfohlen waren, an dieſen am Jahresende den 31.
December 1854 einen verbindlichen Brief ſchrieb, durch welchen zu⸗
gleich die Hoffnung bekraͤftigt wurde, daß unſere Reiſenden in Hin
ſicht auf den v. Humboldt ſchen Nachweis des Unterſchiedes der ewigen
Schneegrenze an der Süd» und an der Nordſeite des Himalaya ent⸗
ſcheidende Beobachtungen würden anftellen können.
Bon Bombay lief demnaͤchſt ein Eonvolut von Zeichnungen und
Photographien der Reifenden ein. Es find 12 fihöne Photographie
bedeutender Perfönlichfeiten aus Bombay, an deren Spige die der bes
beutendften Perſon, des geiftvollen und großen Staatsmannes Lord
Elphinſtone felbft, vortrefflich gelungen ift; dann folgen 7 verfchiedene
Racenbilder mit Bemerkungen und Meſſungen einzelner Gliedertheile
und ihrer Berhältniffe in Meters nach einem beigefügten, von Robert
Schlagintweit ausgearbeiteten tabelarifchen Schema, wie ein folches mit
den gefundenen Angaben alle nachfolgenden Racen-Photographien bes
gleiten fol. Die Handzeichnungen enthalten Skizzen der Küften vom
Dampfichiffe und den Stationen aus gefehen, theils in doppelten far-
big ausgeführten, teils in nur ffizzieten Umriſſen, meift in einem gro
Ben Mapftabe, und find auf das Lehrreichſte mit Winfelmeffungen der
Reigungsflächen und mit geodätifchen, geographifchen und geologifchen
Roten verfehen. Sie bilden faft ſaͤmmilich geologifch Höchft intereffante
und durch die genaue Darftellung lehrreiche Anfichten. So ftellen fie
aus dem atlantiſchen und mittelländifchen Meere die Küftenumriffe von
Galicien, das Cap Finisterre, die Berlanges⸗Inſeln, das Gebirge von
Eintra, die Tajomündung, Gibraltar von verfchiedenen Seiten, Pie
Küften von Tunis, die GalitasInfeln, Cap Bon, Pantellaria, Malta,
Gozo u. f. w. dar.
Die wiſſenſchaftliche Reife ver Gebruͤder Schlagintweit in Indien. 153
Unter den 10 Anflchten von Aegypten find die der Wüftenlinien,
zumal um den Telegraphen- Thurm zwifchen Sues und Cairo, ſowie die
des berüßmten ‘Dfchebel Attafa, von der letzten Wüftenflation von der
Nordſeite her gefehen, Ichrreich durch die Darſtellung der langen Linien
der horizontalen Paralellſchichten, die von unzähligen Schluchten und
Niffen, den Erofionsthälern heftiger Regengüffe, quer durchbrochen wer⸗
den, und an ihren Füßen in der Wüfte überall zahllofe iſolirte Feld-
blöde zerftreut Haben, wovon einige die colofjale Größe von 10,000
bis 20,000 Eubifmeter erreichen; lebtere liegen auf alten, mit Meeres-
mufcheln, deren obere Grenze auf der Skizze durch Linien nachgewie⸗
fen wird, angefüllten Seeufern.
Ein drittes Dutzend von Käftenanfichten giebt ein fehr anfchaus
liches Bild von den Geftadeländern des rothen Meeres von Sues bis
BabselsMandeb und den vielen vorliegenden Infeln, die oft in ben
ſchroffften vulfanifchen Kormen aus dem Meere ganz fteil emporftarren.
Die Straße Bab⸗el⸗Mandeb ift durch beſonders große Conturanſich⸗
ten von der Nord⸗ und von der Sübjeite bedacht, woburd der Unter⸗
fhied des arabifhen und afrikaniſchen Geſtades deutlich Hervortritt.
Auch die mit dem geübten Blide des Geologen aufgefaßten Formen
und Darftellungen des Golfs und des dicht unter dem furchtbar zer-
riſſenen Bulfane und dem hohen Gebirgsräden des Dfehebel Scham:
fhan gelegenen Hafens von Aden find fehr Ichrreich.
Bon Bombay aus erreichten die drei Brüder, gegen Süoften
die ganze Halbinfel Dekhans glüdlich durchziehend, die Haupiftabt der
weiten Präfiventfchaft, Madras, am 19. Februar 1855, um von
da mit dem Dampffchiffe nad Calcutta zu gehen. Ihr Bericht
aus Galcutta vom A. April fagt uns, daß fie bei ihrer Landreife Durch
Gentral»Smdien ') fo viel, als möglich, beftrebt waren, verſchiedene
Wege zu befolgen, theils um gegenfeitig correfpondirende Beobachtuns
1) Da vie Lage von vielen in den Berichten nur dem Namen nach angegebenen
Ortfchaften nicht allgemein bekannt fein möchte, und ſelbſt manche diefer Namen auf
feiner der gebräuchlichen Karten eingetragen find, fo haben wir hier und ba kurze los
cale Andeutungen, ſowie zur leichteren Orientirung, 3. B. auf Berghaus Generalfarte
von Vorder⸗Indien, bie aſtronomiſche und hypſometriſche Lage wach dem Haffifchen
Werke Ehw. Thoraton’s: Garetieer of India. 4 Vol. London 1854, beigefügt.
154 C. Ritter:
gen anzuftellen, theils um biefelben über eine etwas größere Flaͤche
auszudehnen. Da ein Hauptzwed ihrer Unternehmung die Bekim-
mung magnetifcher Eurven im Innern von Indien if, wo
diefe bis jetzt gefehlt Hat, fo mußte weit fühlicher bis Madras gegan
gen werben, um bie magnetifche Lage biefer Stabt an den Himalaya
nördlich anzummüpfen; Doch rüdte man füblich nicht bis zur Hochebene
der Nilgherry in Süd» Dekan, welche fchon außerhalb des Itinerard
liegen blieb, vor.
Nachdem von Bombay aus eine Excurſion auf die Nachbarinſeln
beendigt war, begann Adolph Schlagintweit am 5. Novbr. feine Reife
nah Puna, im SO. von Bombay im Hochlande der Mahraitha, im
Oſten der Ghatkette, unter 18° 31’ n. Br. und 1823 engl. Fuß über
dem Meere gelegen. Auf Lord Eiphinftone's Rath ging er jedoch nidt
ben directen Weg borthin, fondern über Die feine Gruppe ber weſilichen,
zwifchen den Quellen bes Krifchnas (Kifinas) und des Nira⸗Fluſes
und zwifchen 18° 1’ und 17° 55’n. Br., 4500 bis 4700 Buß in
dem Meere gelegenen Ghats von Mahabalefhiwar, die den Engländen
durch Sir John Malcolms Einrichtung feit 1828 als ein Sanatarium
dient. Diefe in Eimatifcher Beziehung und durch ihre Naturſcenerie
einzig merfwürbige Geſundheitsſtation liegt nur 70 engl. Meilen ſüd⸗
oͤſtlich von Bombay. Bon Puna aus, das eben fo weit von bem
Sanatarium entfernt if, wurden in die Umgebungen ber Provinz ver
ſchiedene geologifche Excurfionen gemacht, unter Anderem nach Sholapur
im Süboften, zur Gebirgsfeftle Sinhgarh, A162 Zug über dem Met,
und noch zu einer Der älteften Landesfeſten in Maharaſhtra, Burandhar,
AA72 8. über dem Meere, bie jetzt ebenfalls ein Sanatarium if.
Erft am 30. Decbr. folgten die beiven Brüder Hermann und Ro⸗
bert Schlagintweit nach Beendigung ihrer Arbeiten in Bombay auf der
directen Straße über den Poß des Bhor Ghat, der, durch Sir John
Malcolm als Kunftftraße eingerichtet, AO engl. Meilen ſüdöoͤſtlich von
Bombay aus dem nörblichen Konkan über die Chats, unter 18° 48
n. Br., ſehr bergan nach Buna führt, von wo fie alle drei gemeinſchaft⸗
ih am 3. Januar aufbrachen, um ſuͤdwärts dem Kiftnafluffe entlang,
buch die Provinz Bidfchajapur (Bedjapur), über Sattara, 17° 451
Br, Terdal, 16° 30’ n. Br., am rechten Ufer der Kifina, und Mudhal
Die wiffenfchaftliche Reiſe ver Gebrüder Schlagintweit in Indien. 155
im Südweſten der Stadt Bedjapur, den Ort Kalapghi unter 16°
11’ noͤrdl. Br. und 75° 33° fl, & von Gr. zu erreichen. Hier hiels
ten fie fi 3 Tage auf, um eine vollfländige Reihe magnetifcher
Beobadtungen auszuführen Hierauf reiften fie fübwärts über
Badamy und den Tumbudra⸗Fluß nach Bellary.
Bellary (Balahart), werlich der Oſt⸗Ghats und noͤrdlich von
Myſore, liegt unter 15° 8’ nördl. Br. und 76° 59’ öfll. 2. auf einer
Hochflaͤche von 1600 Fuß Meereshöhe und ift der weftlichfte Haupts
ort in der Präfidentichaft Madras. Die Stadt hat 30,000 Einwahner
und bildet eine militaixifche Hauptflation mit vielen Artillerie» Depöts
und einer berühmten Selfenfefte, ebenfo ift diefelbe der Centralpunkt
der Juftigverwaltung im mittleren Dekhan.
Bon hier aus verfolgten die Reiſenden erft zwei, dann brei vers
ſchiedene Straßenzüge, um fih in Mabras, das füböftlich von Bellary
liegt, wieder zu vereinigen. Hermann und Robert Schlagintweit gins
gen am weiteften, nämlich, fühwärts über Bairur und Devanhally in
Myfore einvringend, bis Bangalore, der einfligen Reſidenz des
Sultans Zippo (feit 1809) mit prächtigen Braminen»Tempeln und
englifchen Truppen» Cantonnements, 3000 Fuß über dem Meere, im
Nordoſten des berühmten Seringapatam, unter 12° 58’ nörbl. Br.
Bon Bangalore aus wurden die Gebirgsfetten ver öftlichen Ghats
auf verſchiedenen Päflen überfliegen. Hermann Schlagintweit ging
gegen Oſten über Tſchittur, unter 13° 12°’ nörbl. Br., am Panifluſſe,
104 engl. Meilen von Bangalore gelegen, und dann über Vellor und
Arcot am Balsrfluffe durch einen Hauptpaß nach Madras. Robert
Schlagintweit nahm einen füdlicheren Weg über Kifinagirri eben»
dahin. Adolph Schlagintweit ging viel nörblicher von beiden über
Baganpally (oder Banyapilly, im Nordoſten von Condapetta gelegen)
und über Kaddapa, zunächft um bie Diamant» Minen und die fih
bier als die früher fo berühmte Golfonda- Gruppe der Diamantlager
vom Pennar nordwärts bis zum Kiſtna ausbreitenden, ferundären
Gebirgsfchichten des Terrains, in dem bie Lager liegen, zu unterfuchen.
Kaddapa liegt im Welten des Nellor- Küftenviftriets, im Nordweſten
von Madras, am Sübufer des Benmar, wo biefer Fluß Die Ghats
nach Dften Hin durchbricht, ſchon in einer Depreffion von 450 Fuß
156 C. Hitter:
über dem Meere, unter 14° 28’ nördl. Br. Bon Kaddapa ging endlich
Adolph Schlagintweit ebenfalls nach Madras, aber auf einem öfliche
ven Wege, gerade ſuͤdwaͤrts fiber Tripetty, wo fich einer der berühn⸗
teften Hindutempel in Süd» Dekhan befindet, und über Nagagiri, unter
‘13° 19’ nördl. Br., 33 engl. Meilen norböftli von Arcot, am Ba
Iarflufie gelegen, und von da gegen Often nach Madras, wo er am
19. Februar 1855 eintraf.
Die Reifenden machten diefe faft A Monate (vom 5. Rovenhe
bis 19. Februar) dauernde Landreiſe durch das weitlaͤuftige gebirgige
Dekhan Vorderindiens zu Pferde, und zwar auf Dekhan⸗Ponnies Das
Gepaͤck fowohl, als die Mehrzahl der Inftrumente nebft den Zelten
wurden auf 20 Kameelen transportirt. Die Barometer und die 10 Zuß
langen Geothermometer wurden von den Kulie's getragen. Die Re
fenden hatten, wie fie felbft berichten, dad Gluͤck, ihre Inftrumente, auf
die Barometer, während der ganzen Reife im beften Zuftande erhalten
zu fehen. Vom Generalftabe in Bombay waren ihmen zwei Quiben,
Eleazar und Salomonbfchi, zugetheilt worden, die recht bald das Ableſen
der Snftrumente lernten und zur Verallgemeinerung der Beobachtungen
fehr wefentliche Dienfte leifteten. Beide waren Indier von ber Alten
Anfiedlung in Bombay.
Der erfte von Calcutta aus eingelaufene wiffenfchaftliche Bericht
(ein engliſch gefchriebener Report) enthält außer dem fihon ange
zeigten Stinerar für das Allgemeine der geographifchen Wiſſenſchaft
fehrreiche neue Ergebniffe und Andeutungen über magnetifche de
obadtungen, über Meteorologie und Geologie, fo daß «
wünfchenswerth erfcheint, biefelben, wenn auch nur in allgemeiner Ueber
ſicht, in dieſer Zeitfchrift als Beifpiel mitzuthellen, um zur Kenntnip zu
bringen, nach welcher Richtung die Beftrebungen gehen, deren tiefere,
in die einzelnen Zweige verwandter MWiffenfchaften einbringende dor:
fehungen anderen Fach⸗Journalen zur Veröffentlichung durch den Drud
vorbehalten bleiben, wie etwa ben berühmten Poggendorff'ſchen Anne
len der Chemie und Phyſik, der Zeitfchrift der deutſchen geologiſchen
Gefellfchaft in Berlin oder den Monatsberichten der Berliner Acade⸗
mie der Wiffenfchaften, je nachdem es die Abficht der Herren Verfaſſer
fein wird. Die ald Gemeingut der geographifchen Wiſſenſchaften ſich
ergebenden Refultate des erften Reports find etwa folgende:
Die wiffenfchaftliche Reiſe ver Gebrüder Schlagintweit in Indien. 157
Magnetifche Beobachtungen.
Der magnetifchen Stationen, an denen mit dem kleineren Unis
verfals Magnetometer, weldes Colonel Sabine eigens für dieſe
Reifeunternehfmung conflruirt hatte, Beobachtungen angeftellt wurden,
find ſechs, nämlich zu Bombay, Mahabaleffwar, Puna, Kaladghi,
Bellary und Madras.
Die zu Bombay gemachten Beobachtungen wurden mit den durch
Adolph Schlagintweit in Mahabalefiwar gleichzeitig unternommenen,
fowie mit den auf der Bombayer Sternwarte ebenfalls zu derfelben Zeit
angeftellten, verglichen. Die Sternwarte von Bombay liegt auf einem
Felſen von boleritifchem Trappgeftein, aus welcher Gebirgsart auch ein
großer Theil des von den Reiſenden durchwanderten Dekhan⸗Ter⸗
rains beſteht. Wir fanden, ſagt der Report, die Einwirkung dieſes
Trappgeſteins auf Die Magnemadel durch Dekhan im Allgemeinen viel
geringer, als gewöhnlich angenommen wird. Schon in Bombay war
die Differenz der Obfervation auf dem Trappfeld der Sternwarte nur
eine fehr geringe von dem Kleinen Magnetometer, der auf der Esplas
nade auf einem von tiefliegender Süßwaflerformation gebildeten Erd⸗
grunde aufgeflellt war.
Die Declination ift in Bombay weftlich, wie an ben Küften; fie
wird landeinwärts, etwas weſtwaͤrts von Sattara, gleich O, und nimmt
dann öftlih, im directen Verhälmiß mit der Zunahme der öftlichen
Lange, regelmäßig zu. Die Inclination nahm in ber Strede von Bom⸗
bay nach Bellary rafcher ab, ald von da nach Madras, nämlich von
18° 24’ auf 12° 5".
Meteorologie.
Außer den gewöhnlichen Beobachtungen über Temperatur, atmos
fphärifchen Drud und Feuchtigkeit der Luft, drängten ſich während ber
Landreife durch Dekhan noch gar manche andere atmofphärifche, jenen
Rocalitäten eigenthümliche Phänomene zur Beobachtung auf, zumal über
die Sonnenftraflung am Tage und bie nächtliche Rabiation auf dem
Plateau von Buna und die Damit zufammenhängenden Wechfel der Tem⸗
peraturen, deögleichen über bie veränderliche Durchfichtigkeit der Luft
158 C. Ritter:
bei Sonnens Auf» und Untergang und die damit in Verbindung ftehen-
den Färbungen ded Morgen: und Abendroths, fowie über andere Luft:
Erfcheinungen an ven Seegeftaden. Schon von Aden bis Bombay, ſowie
auf der Küftenfahrt von Madras bis Ealcutta war die Aufmerkfamfeit
der Relfenden Hierauf gerichtet gewefen. Die Vergleichung der auf den
genannten Seeftreden gemachten Beobachtungen mit den auf der Land»
reife jeden Morgen von 4 bis 5 Uhr angeftellten erwies, daß die Phä-
nomene der erfteren dem Continentalgebiete gänzlich fehlten.
Die Abnahme der Tagestemperatur zeigte ſich in Indien viel ra⸗
pider, als in Centrals Europa und in den Alpen.
Die häufigen fyftematifch angeftellten Unterſuchungen über perio-
difche Phänomene der Vegetation, über die Anfänge der Jahreszeiten;
winde und die Regenzeiten in den Alpen Hatten gutes Material dar
geboten, um fpäterhin durch Vergleichung Eurvenlinien für diefe Phaͤ⸗
nomene Auch hier aufzufinden. Als allgemeine Eigenheit Tann ſchon
hervorgehoben werden, daß in den Tropen die Differenzen in dem An
fange der verfchiedenen Perioden und in ihrer Dauer viel weniger von
afteonomifchen Breiten und den mäßigen abfoluten Höhen, wie fie in
EentralsIndien nur vorfommen, als vielmehr von den Grenzen ba
wechfelnden Monfoone abhängig find, weshalb auch hier die Entwids
fung und die @ultur der Gewaͤchſe das ganze Jahr hindurch anderen
Berhältniffen unterworfen fein muß.
In Bombay, Madras und Galcutta haben fich Hilfreiche Männer
gefunden, welche bereit find, durch betailirte meteorologifche Beobad:
tungen zur Bergleihung mit denen auf den Stationen der Reifenden
einige Jahre hindurch die wiffenfchaftlichen Beftrebungen der lebten zu |
unterflüßen.
In Madras und Calcutta wurben ein paar der Geothermomete, |
die man behufs der Beobachtungen 2 Meter tief in den Boden einge |
fenft hat, zuruͤckgelaſſen. Glüdlich genug waren beide lange Inftıw |
mente gut erhalten an diefen Stationen angelangt.
In alten drei Präftventfchaften haben Die Neifenden ein reiches
meteorologifches Material mitgetheilt erhalten ').
— —
) Die nachfolgenden ſpeciellen meteorologiſchen Bemerkungen werden vollſtändi⸗
Die wiffenfchaftliche Reife der Gebrüber Schlagintweit in Indien. 159
Geologiſche Bemerkungen.
Die Trappgefleine in Dekhan.
Die erſte großartige geologifche Erfcheinung, die dem Wanderer auf
dem Wege von Bombay gegen Madras durch das centrale Indien ent
gegentritt, if die große Trappformation im Dekhan. Das Trapp⸗
geftein diefer Landfchaft gehört zu der Klafie der eruptiven Gebirgsarten
der Dolerite und erinnert an ähnliche Felsarten in den vulfanifchen
Diftrieten Islands. ES wechfelt zuweilen mit bafaltifchen und olivin-
baltigen Gefteinen, und ift bald von compacter, bald von zelliger oder
amygdaloider Structur. Die Scheidelinien, die oft zwiſchen den ver-
ſchiedenen Trappgeftein-Schichten in vollfommener Horlzontalität und
auf fehr lange Streden an den Seiten der Bergzüge fi) durch das
Auge verfolgen lafien, find entfchieven Feine Demarkationslinie verfchies
dener Lavaftröme, denn von Lavaftrömen, Schlafen oder von Kras
tern, aus denen fie herrühren könnten, findet fich nirgends eine Spur.
Die horizontalen Trennungen foheinen nur ein Abfonderungsphänomen
zu fein, hervorgerufen durch die Spannung, welche in ven großen
Trappmaſſen während des Prozeſſes ihrer Abkühlung unter dem laſten⸗
den Drude mächtiger Waſſermaſſen ftattgefunden hat.
Die allgemeine Form der weftlichen Chats und der angrenzenden
Theile von Dekhan und Konkan fcheint durch eine Reihe von Spalten
und Verwerfungen ihre Geftaltung erhalten zu haben. Das eine Sys
ſtem diefer Verwerfungen ftreicht von Norden nah Süden, parallel
mit der mittleren Richtung der Ghatfette und vieler untergeorbneten
Ketten in Dekhan und Konfan, ſowie mit den allgemeinen Küftenlinien.
Das zweite Syftem flreicht von Oſt⸗Suͤd⸗Oſt nach Weſt⸗Nord⸗Weſt,
jedoch mit vielen Abweichungen; man kann bemerfen, daß viele Seiten-
äfte der großen Hauptfette der Ghats, fowie der obere Lauf vieler
Flüſſe in Dekhan fehr auffallend mit diefem zweiten Syfleme der Ber-
werfungen libereinflimmen.
An den fühlichen Grenzen der großen Trappausbreitung beobach-
Exer in Poggendorff's Annalen, fowie die geologifchen Nachrichten in der deutſchen geo⸗
Togiſchen Zeitſchrift mitgetheilt werben.
160 C. Bitter:
tet man lange Ausläufer derfelben in den Tälern und Depreffionen
jroifchen den, wie Infeln aus dem ihre Baſis umlagernden Trapp her
vorragenden Sandfteinbergen.
Das merkwürdige, mehr oder weniger eifenhaltige, dem Backſtein
ähnliche, rothe Geftein, von englifchen Reifenden gewöhnlich Laterit ge:
nannt, ift feine unveränderte vulfanifche Gebirgsart, fondern erft durch
Zerſetzung des Trapp, zumal feined manbelfteinartigen Theiles, entſtan⸗
den. Man ann feine deutlichen Webergänge aus der primitiven Form
des Trappbodens verfolgen, wozu viele Detaild in Profilen und Karten
zeichnungen die Beweiſe liefern werben. An vielen Stellen, wo der
fogenannte Laterit mit Schichten des foliden Trappgefteins zu wechfeln
fcheint, bildet er nur die äußere Krufte des inneren unverändert geblie:
benen urfprünglicden Gefteins, und geringe Nachgrabungen genügen,
um in der Tiefe den zelligen, leicht zerreiblichen Mandelftein zum Bor:
fehein zu dringen. Dazu kommt, daß der bei den Engländern gebraͤuch⸗
lich gewordene Name des Laterits fehr verfchledenartigen, nur an-
ſcheinend ähnlichen Gefteinsvorfommniffen beigelegt wird und von kei⸗
ner beftimmten Bedeutung in der geologifchen Terminologie if. Er
fann keineswegs für den bezeichnenden Ausbrud von Ablagerungen
einer und berfelben Periode der Erbbildung angefehen werben. In
Dekhan und Konkan ift diefer Laterit das Product einer Zerfegung von
Trapp und Mandelftein an Ort und Stelle. In Mahiffüra (Myfore)
ift er aus Fryftallinifchen Schiefern entftanden, deren Beftandtheile darin
noch deutlich wahrgenommen werben können. Bei Nagagiri, Arcot und
Madras iſt er nur ein Conglomerat von gerollten Sanpfleinfragmen
ten, die durch ein rothes, zelliged Cement von Eifenoryd» Hydrat zu:
fammengebaden find. Diefes letztere Conglomerat ift im Alter vom La
terit des Dekhan fehr verfchieden und fiher unter ganz anderen phy⸗
fifalifchen Verhältniffen, wie jener, gebildet worden.
Die fecundären Gebirgsarten von Kaladghi und Babdami,
von Bangapilli und Kaddapa.
Im Süden der Kiftna und der Gutipurwa, eines fühlichen Zus
fluſſes der Kiftna, beginnt ein ganz anderes, vom Trappgebiet vers
ſchiedenes, aus ferundären Geſteinen zufammengefehtes Syftem von
Die wiffenfchaftliche Reiſe der Gebrüder Schlagintweit in Indien. 161
Bergen, deren Streichungslinie von Often nach Welten geht. Obwohl
nicht ſehr Hoch, bringen fie doch eine wichtige veränderte Geftaltung in
der Orographie des füblichen Dekhan’s hervor, da der Krifchna, wel-
cher biß dahin von Norden gegen Süden floß, ſich von hier an plöß-
ih gegen Often wenden muß und weiterhin bie zwiſchen der Trapp⸗
bildung im Norden und der füblicher auffteigenden Serundärformation
liegende Depreffion einnimmt.
Diefelben Serundärformationen, welde fih im Kaladghi⸗ und
Badami-Diftricte finden, find noch weit mächtiger um Banganpilli
und Kaddapa entwidelt. Diefe beiden fecundären Gebirgsfetten find
vollfommen von einander geſchieden durch Die große Maſſe der cryftal-
liniſchen Schiefergebirgöformation der Mahifjuras Ghats und der Süd-
Mahrattha⸗Gebiete (Beded + Diftriete). Hier nur wenige Andeutungen
über die beiden mehr weftlichen und öftlichen ſecundaͤren Gebirgsreihen.
Die Ipdentificirung der Secundärgebirge von Badami mit denen von
Kaddapa beruht auf folgenden Gründen. In beiden zeigt fich deut⸗
lich ber Unterfchieb zweier Gruppen: 1) eine untere Gruppe von mers
gelichem Kalkftein und Schiefer, welche gehoben und zerftört find, und
2) eine mächtigere Maſſe von Sandftein und Sandſtein⸗Conglomerat,
welche in beiden Gegenden jene zerflörten Schichten ungleichförmig
überlagert.
Die Sandfteinfchichten find im Allgemeinen wenig geneigt, oft ganz
horizontal. An verfchiedenen Localitäten, zumal nahe Tripelty im Kad⸗
dbapa-Diftrict und zu Gutipurwa im Often von Badami, fah man
diefe Sandfleinfchichten auf der einen Seite abweichend auf Die Schie-
fer= und Kallſteine aufgelagert, während fie auf ber andern Seite in
der Entfernung von wenigen Meilen unmittelbar auf cryftallinifchen
Gebirgsarten ruhen. Diefe überrafchende Thatfache Hatte zu der An-
ficht Veranlaffung gegeben, als müfje man hier zweierlei Sandſtein⸗
formationen annehmen, eine obere und eine untere, wovon aber in
den genannten Diſtricten nach den bereits ausgeführten Unterfuchungen
nicht Die Rede fein fann.
Sowohl die Mergelfalkfteine, als die Sandfleine, find fehr arm
an organifchen Reſten. Rur menige Spuren von Corallen, einige
Heine Bryozoen und fehr undeutliche Fragmente eines zu d'Orbigny's
Gruppe der Fimbriaten gehörigen Ammoniten, welche im Süben von
Zeitſchr. f. allg. Grofunde. Bb. V. 11
162 C. Ritter:
Kaddapa gefunden wurden, machen zu der Anſicht geneigt, biefelben
dem unteren juraffüfchen Syſteme anzureihen. Doch find dies nur vor:
läufige Bemerkungen, die genauerer Beflimmungen in den Kaddapa—
Bergen bebürftig find.
In den SandfleinsRevieren liegen einige der berühmteften Dia-
mantgeblete Indiens, doch in den Sandfleinen von Kaladghi und Ba
dami hat man bisher noch Feine Diamanten gefunden. Die Unter:
fuhung der Diamantminen um Kaddapa (zu Banganpili, Tſchinnuͤr
u. a.) hat gezeigt, daß der Diamant fowohl aus dem feften @efteine
feldft, wie aus feinem Schutte gewonnen wird.
Zu Banganpilli fenkt man Kleine Schachte und Gruben ein, um
zum Sandflein» Conglomerat zu gelangen, in welchem nach Ausfage
der Arbeiter allein die Diamanten gefunden werben, nicht aber in bem
feinförnigen Sandſteine. Man zerfleint das Conglomerat erft und
wäfcht e8, um die Diamanten herauszufinden. In Tfchinnür dagegen
werben bie Diamanten aus einem Haufen von Sandfteinfchutt am
Fuße der Berge, deren unterer Theil aus Schiefern, der obere aus
Sandftein befteht, gervonnen. An einem dritten Orte (ob Saruldimin?)
gewinnt man die Diamanten fowohl aus der foliden Gebirgsart, als
aus ihrem Detritus, der ſich In geringen DQuantitäten in einigen Ber:
tiefungen angehäuft Bat ').
Die erpflallinifhen Schichten der Ceded⸗Diſtricte und
von Mahiffura (Myfore).
„Eine große Strede eryftallinifher Schiefer trennt jene beis
den oben genannten Gebiete fecundärer Gebirgsformationen. Auch bie
Schiefer bilden ein ausgedehntes Syftem von Spalten und Berwerfungen,
Das von Norden nach Süben ſtreicht. Die langen Bänder des dunklen,
hornblendereichen Grünfteins, welche das Land durchſetzen, flreichen pa
rallel mit dieſen Spaltungen und ftehen offenbar im innigften Zufam
menhange mit ihnen. Die granitifchen und fyenitifchen, domartig ges
ftalteten Berge, die fih an vielen Stellen 500 bis 1000 Fuß übe
die welligen Ebenen erheben, zeigen eine fehr beflimmte concentrifck
Abfonderung, eine Thatfache, die auch ſchon in den trefflichen geologi⸗
2) Meber biefe Diamantlager in Indien ſ. Allgem. Erdk. VI, S. 343, 368.
Die wiftenfchaftliche Heife der Gebrüber Schlagintweit in Indien. 163
ſchen Papieren des verforbenen Capt. Newbold erwähnt if. Durch
biefe concentrifhe Abfonderung und durch zwei Syfleme von Klüften,
welche einander in rechten Winkeln durchſetzen, ift die ganze Oberfläche
der Berge in eine Menge ifolirter gigantifcher Blöde aufgebrochen, die,
wenn fie durch Die Wirkung von Negengüffen abgerundet find, das
Anjehen enormer, durch Waſſer gewälzter Blöde gewinnen, eine Ans
nahme, die jedoch ganz unbegründet erfcheint. Diefe Vorkommniſſe find
ganz analog ähnlichen Anhäufungen von Granitblöden in den Granits
Diftrieten des Schwarzwaldes, des Harzes und Fichtelgebirges In Deutfch-
land, fowie in anderen Theilen der Erde, die den Geologen zu verfchies
denen Meinungen Beranlafjung gegeben haben. Aber nach dem, was
der betreffende Reifende im großartigften Style in Myfore fah, hofft er
durch mehrere Riffe und detaillirte Kartenzeichnungen nachweifen zu
fönnen, daß 2. v. Buch's Anficht die richtige ift, indem dieſer Forfcher
zuerft die Aufmerkfamkeit auf den Urfprung der fchaaligen eigenthüms
lichen Abfonderung des Granits lenkte und die Abrundung deſſelben
feinem coneentrifchen Gefüge, aber nicht dem Negennieberfchlage zu-
fchrieb.
Der emporgehobene Meereögrund an den Küflen der
Halbinfel Indiens.
Es ift auch zu beachten, daß die Halbinfel Indiens an ihrer Um⸗
füumung einer bedeutenden Emporhebung unterworfen geweſen ift und
zwar innerhalb der gegenwärtigen Periode der organifchen we
oder ihr doch ſehr nahe.
An der Weftküfte zu Bombay, Baflein und ſuͤdwaͤrts gegen Goa,
ſelbſt Höchft wahrfcheinlich bis zur Außerften Südfpige der Halbinfel,
wie auf der Infel Eeylon (von wo der Reifende einige fehr intereffante
Sperimina von Mufchelbildungen durch die Güte des Fredrick Layard
Esq. erhielt), und wiederum längs der Oflfüfle von Madras an ſuͤd⸗
warts fanden fich erhabene Seeufer, mit Seemufcheln bebedt, oft bis
in bedeutende Diftancen landeinwärte. So fah der Beobachter bis
40 engl. Meilen weit weftwärts der jeßigen Seefüfe von Madras
Seemujcheln Im Sande gelagert.
Dr. Buift ift wohl der erſte, welcher diefe wichtige Thatſache mit
Sicherheit auf der Weftküfte von Bombay nachgewielen Hat.
11*
164 C. Ritter:
Viele diefer Mufchelfperies, von Cardium, Arca, Venus, Tellina,
. Gerithium u. a. m., find offenbar ganz iventifch mit den jeßt lebenden
. Mufchelthieren am dortigen Geſtade bes indifchen Oceans. Eine fall
yolftändige Sammlung diefer Mufcheln, die der Reiſende Durch den
gütigen Beiftand mehrerer Theilnehmer aus den verfchiedenften Lorali-
täten diefer Küftenumfäumung erhielt, wird ihn in den Stand ſetzen,
genauer zu erforfchen, in wie fern die Mollusfen fpecififch von den jeht
abweichen follten, oder ob, wie fich jet herauszuftellen faheint, nur in
lebenden Bezug auf die Vergefellfchaftung und relative Zahl der Ins
dividuen eine Differenz zwifchen den organifchen Formen des erhöhten
Seebodens und der noch heute im benachbarten Drean lebenden Yauna
zu beobachten ift.
Die topographifchen und fonftigen Angaben.
In Beziehung auf den topographifchen Charakter dürften im mitt-
feren Indien folgende zwei Gruppen mit Beftimmiheit zu unterfcheiden
fein:
1) Die Uferlandfchaften und Infeln, die fih durch üppige Vege⸗
tation auszeichnen.
2) Das Defhan, eine weit ausgebreitete Trappformation, mit
zahlreichen, fehr regelmäßig geformten Hügelzügen bedeckt, alfo kein ein;
faches, etwa ganz ebenes Plateau. Der ftetd wiederfehrende Typus
diefer Hügel ift durch treppenförmige Abfäte charakterifirt, Die mit der
Klüftung des Gefteind in unmittelbarem Zufammenhange ftehen. Zu:
gleich find alle Abdachungen gegen Süden und Weften weit fteifer, ale
die entgegengefeßten. |
Das Land iſt fehr cultivirt, aber Palmen, Bambus, Aloen x,
die im Allgemeinen den tropifchen Character einer Landfchaft wefent
lich erhöhen, find hier verhältmißmäßig nur felten.
Die Sandfteinformation von Kaladghi bis Babami befteht aus
fteil abgedachten Tafelbergen. Die granitifchen Diftricte von Myſore
find zwar auch zum Dekhan (fo heißt die ganze fübliche Halbinfel) ge
hörig, unterfcheiden fich aber, wie in geologifcher, fo auch in topographi-
ſcher Geftaltung auf das Beſtimmteſte von der Trappregion. Hier find
die Fugeligen und fchaaligen Formen granitifchee Abfonderungen auf
Die wiflenfchaftliche Reiſe der Gebrüder Schlagintweit in Indien. 165
das. Schönfte entwidelt. Die Reifenden Haben wiederholt verfucht, fie
zu zeichnen und zu photographiren.
Die Umgebungen von Kaddapa bilden ein für ſich fehr fehon
entwideltes Gebirge mit tiefen Thälern und zahlreichen Mulden laͤngs
der Abhänge, und haben in der Geftaltung ihrer Berge große Aehn-
lichkeit mit Wales,
Die Abdachungen der Miyfore»Landfchaften gegen den bengalifchen
Meerbufen find vorzüglich von Berwitterungsprobucten, den Laterit’s,
bevedt. Hier bezeichnet fowohl die üppige Wegetation, als auch die
periodifche Seuchtigfeit und relative Kühle der Luft die Nähe des Mee⸗
red. Die Seebrife erſtreckt fich, wenn nicht weiter verbreitete Luftftrö-
mungen fie befchränfen, 60 bis 80 engl. Meilen landeinwaͤrts.
Die Wege find hier, fobald man die unmittelbare Nähe der Kü-
ften verläßt, fehr fchlecht und im Innern durch die primitivften Fuß⸗
pfade erſetzt, während in Bengalen und den oberen Provinzen bie große
Trunkroad (Hoßbahn) Hunderte von Meilen weit das Land durch⸗
zieht. Auch die Militair- und Eivil- Stationen find auf der zuruͤckge⸗
legten Route fehr felten; man mußte wochenlang in Zelten wohnen.
In etönographifcher Beziehung waren die Reifenden, befonders der
jüngere Bruder Robert, ſtets bemüht, außer den Zeichnungen auch aus⸗
führliche Meffungen, Photographien, Gipsmasfen ıc. zu machen.
Die Sammlungen und Zeichnungen werben fo lange in Ealrıtta
aufbeiwahrt, bis Die im Laufe des Sommers zu machenden damit vers
einigt werben fönnen.
Von den Photographien konnten während der Reife nur die ne
gativen ©lasbilder angefertigt werden; die furze Friſt, die den Rei⸗
jenden in Calcutta vergönnt war, um nicht durch die Regen der Ebe-
nen in ihren Beobachtungen unterbrochen zu werben, geftattete ihnen
nicht, fchon jegt die pofitiven Bilder abzunehmen, die erft nach ihrer
Rückkehr aus dem Himalaya nebft ven anderen in Calcutta copirt
werden jollen.
„Unfere Pläne für diefen Sommer,” fehreibt Hermann Schlagint-
weit am A. April von Calcutta, „find folgende: Adolph und Robert
gehen über PBatna und Benared nach Almora und Gerhwal, und
werben dann von der MWeftfeite nach Nepal zu fommen verfuchen.
Die indische Regierung und insbefondere Lord Dalhouſie haben ven
166 &. Ritter:
Kefidenten in Khatmandu ermächtigt, diefen Plan beftens zu unter
fügen. Ich felbft gehe nach Dardſchiling, um von dort durch Silhim
zu reifen und fpeciell die Umgebungen des Kintſchindſchinga zu unter:
fuchen. Diefer bis jet noch nicht befuchte Theil des Himalaya (die
von Hoofer und Campbell befuchten Paͤſſe liegen bedeutend öſtlich und
weſtlich davon) dürfte ſowohl für phyſikaliſche Experimente in großen
Höhen, als auch in topographifcher Beziehung von befonderem Inter
effe fein. Doch find bis jeht vom Radſcha bedeutende Schwierigkeiten
erhoben worben, über die ich erft in Darbfchiling Beftimmtes es
fahren Tann.“
Dom 16. März und 28. April 1855 liefen von den oberften Be
hörden in Calcutta und Darbfchiling, an der Südgrenze von Sifhim,
die zuvorkommendſten Briefe an Herrn A. v. Humboldt, mit den Zeug:
niffen der ehrenvollſten Aufnahme und hilfsreichſten Theilnahme an
den Beflrebungen der von ihm fo warm empfohlenen Reifenden, em
In Abweſenheit des Generals ®ouverneurd von Oftindien, Lord Dal:
houſie, Hatte Sir James William Eolville, Präfldent der Royal So-
ciety in Galcutta, die Sorge für das Yortfchreiten der Unternehmung
übernommen. Obwohl mit Gerichtögefchäften überladen, die ihm weni
ger Muße ließen, als er wünfchte, um den Reifenvden, wie er jagt,
nüglich zu fein, Hatte er fie feinem Freunde, dem berühmten Brian 9.
Hodgfon, vieljährigem Reſidenten des britifhen Gouvernementd am
Hofe von Nepal und thätigem Freunde des Botaniferd Joſ. D. Ho
fer während defien Himalaya Reifen, dringend empfohlen, und auf dee
Generals Gouverneurs Befehl Alles von Seiten des Gouvernements in
Bereitfchaft ſetzen lafien, die Behörden in den Provinzen und den Ge
birgen zum Beiftand der Wanderer aufzurufen. Zwar lebt noch ber
alte Feind der europätfchen Reifenden in Sifhim, der Diwan (wohl der;
felbe, der zu Hooker's Zeit ihm und dem Dr. Campbell als Premier:
Minifter des Radſcha von Siehim fo gefährlich entgegentrat), aber
in Ungnade gefallen, fagt der Präfivent, werde er hoffentlich den For⸗
[dungen Hermann Schlagintweit’8 das Eindringen in das Hochgebirge
nicht veriwehren fönnen. Den beiden anderen Brüdern wiünfche er,
fehreibt derfelbe ferner, daß es ihnen gelingen möge, in diefer Saifon
Die wiffenfchaftliche Meife der Gebrüder Schlagintweit in Indien. 167
Khatmandu zu erreichen; der dortige britifche Refident werbe ſchon bie
rechten Mafregeln ergreifen, um ihnen bie eiligfte Durchreife durch
das in der böfen Jahreszeit fo ungefunde Morung oder Terai, d. i. bie
Sumpffieberregion, möglich zu machen. Daß fie tief in Repal eins
zudringen vermöchten, habe er zwar wenig Hoffnung (ſelbſt dem Prin⸗
zen Waldemar von Preußen war dies ja verfagt worden), doch würs
den fie, wenn auch die öffentliche Meinung des Landes ihnen hinder⸗ |
lich fein follte, unter dem Schuge der Minifter Dſchang Bahadur's von
Repal, ven fchon Dr. Hooker als Begünftiger wiflenfchaftlicher euros
päaifcher Reifender rühmte, ficher fo viel durchführen, als ihnen felbft
möglich fein werde; daran zweifle er feinen Augenblid.
Bom 28. April lief auch von dem um die wifienfchaftliche Kenni⸗
niß des Himalayaſyſtems fo hochverbienten Major B. H. Hodgfon an
Herrn A. v. Humboldt ein Schreiben ein, welches die rührendften Aus-
drüde Der Verehrung und des Danfed für den deutfchen Neftor der
Raturforfchung, ſowie die Nachricht enthielt, daß Hermann Schlagint-
weit ihm die Briefe v. Humboldt's überbracht habe, und, wie es ihm
leid gethan, daß er wegen der fchiweren Krankheit feines Sohnes den
Reiſenden felbft nicht in fein Haus habe aufnehmen Fönnen. “Doch
hoffe er, derfelbe werde mit feinem Aufenthalte zu Dardſchiling, dem
Sanatarium, zufrieden fein; in wenigen Tagen erivarte er die Ankunft
der Erlaubniß, daß der Reifende feine Wanderung nach Sifhim forts
feßen könne, was im erfien Moment feines Gintreffensd nicht möglich
war. Den Brüdern in Kamaon habe er ebenfalld Empfehlungsbriefe
zugefandt, die ihnen Hoffentlich für ihre Wanderung durch Nepal
nüglich fein würden. Es iſt Ichrreih, am Schluffe diefes Briefes die
befcheinenen Worte des hochverbienten Mannes über feine eigene, po⸗
litifch, wie wiftenjchaftlich fo bedeutende, awanzigiährige Wirkſamkeit im
Hochgebirge zu lefen, deren Wichtigkeit ſchon aus Dr. Hoofer’d Hima⸗
layabriefen wiederholt befannt geworden wäre, wenn man fie nicht
bereits feit Jahrzehnten aus dem Calcutta Journal der Asiatic So-
ciety of Bengal fennen gelernt hätte.
Die lebten Nachrichten von den beiden Zweigen der Reifeabtheis
(ung find vom 24. April aus Dardſchiling und vom 17. Mai aus
Rainy Tal an Herren A. v. Humboldt eingelaufen.
Hermann Schlagintweit Außert fich aus Dardſchiling den 24. April
168 C. Ritter:
danlbar für die große Theilnahme, welche von ben engliſchen Behoͤrden
allen feinen Beftrebungen, wie denen feiner Brüder zu Hüfe fam. Der
Name v. Humboldt drang überall duch, denn er fei dort jo befannt
und verehrt, wie überall; „felbft viele der unterrichteten Natives in
den Städten,” fchreibt Hermann, „überrafchten uns ſehr haͤufig mit
den fpeciellftien Exrfundigungen nach Ihnen, nachdem fie gehört Hatten,
daß wir aus Deutfchland kaͤmen.“
Am 5. April von Calcutta abgereift und glüdlih in Dardſchiling
angelangt, wollte Hermann Schlagintweit alsbald nah Silhim weiter
gehen; aber erft bier erfuhr er, daß die deshalb gefchehene erſte Ans
frage der englifchen Regierung von dem Radſcha zu Sikhim entſchieden
mit „Nein“ beantwortet fe. Da aber aus Dr. Hooker's Geſchichte
befannt genug ift, wie hier die Radſcha's unter dem Einflufie ihrer Mi-
nifter ftehen, fo fommt e8 vorzüglich auf gefchirfte Unterhandblungen mit
diefen an, um feine Zwede zu erreichen. Es wurde daher zunuächft der
Vorſchlag gemacht, nur dirert an den Fuß des Kintichindfchinga zu
gehen, und dies durch Dr. Campbell, den Refidenten des oſtindiſchen Gou⸗
vernements, der auch feinem Freunde, dem Botaniker Dr. Hoofer, als
Bermittler mit dem Sikhim⸗Radſcha fo wefentliche Dienſte geleiftet Hatte,
zu bewerfftelligen. Es wurde dabei bereitd angedeutet, daß es hierzu
ganz unvermeidlich fein werde, ven Beamten des Radfcha, oder vielmehr
ihm felbft invirect bedeutende Geſchenke im Betrage von 1000 Rupien
(a 20 Sgr.) zu machen, um nicht unterwegs aufgehalten zu werben.
„Dazu wird und nun die gütige Unterftügung Sr. Majeftät des Kö-
nigs verhelfen, die uns hier auf das Freudigſte überrafcht hat,“ fchreibt
der Brieffteller.
„Die gemachten Sammlungen beftehen vorzugsweife in Inſekten
und Berfteinerungen, fowie in einer ziemlich vollſtaͤndigen Reihe aller
harafteriftifchen Fluß⸗ und Quellmaffer, die wir auf unferer Reife in
Indien fanden. Sie find in Glasfläfchchen mit eingeriebenen und gut
verfiegelten Stöpfeln verfehen, für fpätere chemifche Erforſchung wohl
aufbewahrt.”
„Unter den etfnograpbifchen Gegenftänden bürften von und viel
leicht befonders die Photographien und Abgüffe des Geſichts in Gyps
zu erwähnen fein. Alles bis jegt gefammelte Material liegt im Sur-
veyor General Office zu @alrutta und wird fpäterhin mit dem im
Die wiffenfchaftliche Reiſe der Gebrüder Schlagintweit in Indien. 169
Himalaya gewonnenen nad Europa gefchidt werden. — Dahin find
auch Briefe zu abrefliren.”
Adolph Schlagintweit fehreibt vom 17. Mai an Herrn A. v. Hums
boldt; ber Brief ift zu Nainy Tal in der Provinz Kamaon, im Süb-
often von Almora, datirt, derfelben Station, von wo aus auch Prinz
Waldemar feine Nordweftreife nach den Gangesquellen und Kafchmir
begann. Rad der am 25. März von Ealcutta erfolgten Abreife der
Brüder Adolph und Robert hörten beide ſchon in Patna am Gans
ges, Daß theilweife wegen der zwifchen den Nepalefen und den Tis
betanern ftatifindenden Grenzftreitigfeiten für diefen Sommer durchaus
feine Hoffnung vorhanden fei, daß die nepalifche Regierung ihnen
geftatten werde, fih von der Hauptftabt Khatmandu aus tiefer in das
Innere des Landes zu begeben. Sie befchlofien daher, weiter weftlich
nad Kamaon zu gehen, und erreichten in der Mitte des Monats
April die Hübfche englijche Station NRainy Tal, an 6400 engl. Fuß
über dem Meere, in der Borfette des Himalaya, etwas füblich von
Almora gelegen ’).
Bon der Hige des April, die gewöhnlich in den Ebenen Benga-
lens ſehr groß ift, Hatten fie verhältnigmäßig nur wenig gelitten, da
diefed Jahr ungewöhnlich; Fühl war, d. 5. im bengalifchen Sinne für
den Monat April. Das Thermometer fteht um Mittag ſtets 30° Eelf.,
gewöhnlich 33° und oft 36° bis 37° Celſ. (28°, 6 bis 290, 6 R.).
Aber fie fanden die Hitze in der That mit einiger Borficht weit wenis
ger unangenehm und flörend für ihre Beobachtungen, als fie früher
gefürchtet hatten. Von Nainy Tal aus machten fie verfchiedene fehr
interefjante geologifche Excurfionen in die Vorketten des Himalaya, bie
bier aus eocenen Schichten (untere Tertiärformation) mit $oraminis
feren und Fucoiden beftehen, die mit alpinen Schichten die größte Aehn⸗
lichkeit haben.
Sie wohnten je drei Tage auf zwei der höchften Punkte der Bor
feiten des Himalaya, auf dem Tfchinnur Pic, 8700 engl. Fuß, und Loe⸗
ria Kantha (9), an 8200 Fuß über dem Meere, von wo aus fie den
1) Eine fchöne Zeichnung der lieblicden Lage dieſes Nainy Tal, d 5. See des
Nainy, vom Prinzen Waldemar ift in dem fo eben von feinen Königlichen Gefchwiftern
unter dem Titel: Zur Grinnerung an die Reife des Prinzen Waldemar von Preußen
durch Indien in den Jahren 1844 bie 1846. Berlin 1853. Bol. edirten Prachtwerke,
Th. 1, Taf. XXXIII in Kupfer geftochen erjchienen.
170 @, Ritter:
ungemein fchönen, belehrenden Weberblid des Himalaya von den nepa-
lifchen Ketten an über Nanda⸗Devi, Trifüla, Niti, Badrinatha und
bis über Gangotri (das Ganges⸗Quellgebirge) hinaus genofien. Sie
verfuchten mehrere Zeichnungen diefer prachtvollen Himalayas Pics zu
entwerfen, und maßen zu verfchiedenen Malen mit ihren vortrefflichen
Piſtor'ſchen Theodoliten die Horigontals und Höhenwinfel aller wichti⸗
gen Punkte. Sie erhielten bier einen jeher guten Weberblid‘ über bie
Orographie dieſes Theiled des Himalaya. Der Commiffioner Mt.
Batten und Capt. Ramfay, welche mit der Topographie von Kamaon
fehr vertraut find, unterftüßten die Beobachtungen der deutjchen Rei
fenden auf die zuvorfommendfte Welfe. Eine große Eigenthümlichkeit
ift es, daß die hoͤchſte Kette oder vielmehr die hoͤchſten von Oſten nad
Weſten fortziehenden Gruppen, da fie überall durch tiefe Thalein⸗
fchnitte getrennt find, fih mauerartig fehr plößlich über die nie
deren Vorketten erheben. Es verleiht Died dem Himalaya den Alpen
gegenüber einen ganz eigenthümlichen Charakter.
„Wir haben noch zu wenig vom Himalaya gefehen,” fagen bie
Berichterftatter, „um einen Vergleich mit den Alpen wagen zu Fönnen;
überrafchend fchön iſt jedenfalls feine Vegetation. Die prachtvollen
Eichen am Tfchinntr und das frifche und üppige Grün aller Laubbaͤume
an den Abhängen find ficher in den Alpen nirgends fchöner zu finden.
Die Rhododendronbäume, die gerade vol rother Blüthen hingen, ale
wir hierher Famen, verleihen der Landſchaft einen ganz eigenthümlich
reichen Charafter.”
„Wir haben vor einigen Tagen 70 Eoolied (Laftträger) mit meh
reren Inftrumenten, Zelten u. f. w. nad) Almora vorangefandt. Ro:
bert ift Heute Morgen abgegangen, ich werde morgen nachfolgen. Wir
werben uns von hier zunächft auf zwei verfchiedenen Wegen nach Milum,
einem Dorfe der Bhotias am Oftfuße der Nanda⸗Devi⸗Gruppe, begeben.
Mein Bruder Robert geht mit dem größeren Theile der Eoolies den
directeren Weg; ich felbft werde zuerft die Gletfcher am Urfprung bes
Pindar- Stromes befuchen und dort den Sübfuß der NandasDevi und
Randa-Kota unterfuchen, von da aber öftlih In das Thal von Milum
(etwa 11,400 engl. Fuß über dem Meere) einbiegen.“ ')
ı) Nach Edw. Thornton's Gazetteer liegt Milum in Dfchewahir, 13 engl. Mei:
len fünlich des Dſchewahir-Pafſſes, unter 30° 25’ n. Br. und 86° 11’ öfl. &, von
Die wiſſenſchaftliche Heife der Gebrüder Schlagintweit in Indien. 171
„Bon Milum wollen wir nach 14tägigem Aufenthalte, nur mit
dem nöthigften Gepäd verfehen, nach Tibet gehen. Daſelbſt wird bie
weitere Ausdehnung der Reife jehr von den Umftänden und von dem
Zufammentreffen mit den Eingeborenen abhängen. Wir haben von dort
aus und weftlich zu wenden und über den Mana Ghat nah Badri⸗
nath zurüdzufommen. Don da gehen wir nach Gangotri, dann aber
auf zwei verfchiedenen Wegen nah Simla, wo wir Mitte Ortober
anzufommen hoffen. Durch das gütige Intereſſe, welches Mr. Colvin,
der Lieutenant-Gouverneur der Nordiweils Provinzen, an unferen Be-
obachtungen nimmt, werden wir in den Stand gefeht werben, fchr zus
verläßige correfpondirende Barometers Beobachtungen mit guten Inftrus
menten fowohl hier in Rainy Tal, ald in Agra, zu erhalten.”
Bon dem Bruder in Dardfchiling hatten fie zwar feine neuen
Nachrichten erhalten, doch von ihm erfahren, daß er in Sifhim reichen
Stoff für feine Beobachtungen angetroffen habe, und daß er fih in
vollfommen gutem Gefundheitdzuftande befinde. Bon Milum aus fol
wieder gefchrieben, auch eine Heine Sammlung von Photographien
gefendet werden, die Robert Schlagintweit im Himalaya mit gutem
Erfolge begonnen hat.
Gr., die Stadt 11,430, der Tempel über verfelben 11,706 engl. Fuß über dem Meere.
Es Hat 140 Steinhäufer, und liegt an der Bifurcation der Flüſſe Gunkha und ori.
Der Ort ift nur vom Juli His Detober bewohnt; wegen des tiefen Schnee’s wird er
dann von den Einwohnern verlafien, welche in bas untere Kamaon gehen, von wo
fie aber das nächte Jahr zurückkehren, weil von hier über den Dſchewahir-Paß der
Haupthandel nach dem tibetifchen Gebiete von Undes geführt wirb, indem bis jeht
den Hindn’s ansfchlieglich der Markt auf tibetifhem Territorium unter chinefifcher
Oberhoheit geftattet ift.
Zuli 1855. C. Ritter.
Sigung der Berliner Geſellſchaft für Erdkunde
am 9. Juni 1855.
Herr Maßmann theilte Auszüge aus den Briefen eines jungen Steuer⸗
mannes mit, welche Ende 1854 und zu Anfang 1855 während einer Fahrt
durch das ſtille Meer von Auftralien nach Callao gefchrieben worden waren.
— Herr Ritter legte einen Brief des Herrn de Angelid aus Valparaifo, Mit
gliedes der Befelfchaft, vom 20. Februar 1855 vor, worin eine Senbung
von gelehrten Arbeiten für die geographiſche Geſellſchaft verheißen wird. Hier:
auf las derfelbe eine Mittheilung des Herrn v. Humboldt nad) “Briefen von
Dr. 3. Macgowan in Macao und Berichten in dem North China Herald
über das Erpbeben, welches Ende 1854 und zu Anfang 1855 in Japan
große Verheerungen anrichtete, vor (dieſe Mittheilung wird im nächften Hefte
der Zeitfchrift enthalten fein). — Herr v. Garnall fprach über den Berg⸗
werföbetrieb in dem preußifchen Staate und den außerorventlichen Aufſchwung
deffelben in ven letzten Sahren, insbeſondere des Steinfohlen» Bergbaued. Im
Jahre 1820 betrug die Steinfohlenförverung des ganzen Landes nur 44 Mill.
Tonnen (= 4 Scheffel over 74 Kubiffuß, ohngefaͤhr A Gentner wiegen?)
mit einem Werthe von wenig mehr, als 1 Mill. Thaler; Braunfohle wurde
nicht voll 1 Mil. Tonnen gewonnen, und der Werth aller Bergwerkspro⸗
dukte (Kohlen und Erze aller Art) mag faum 2 Millionen Thaler betragen
haben; im Jahre 1834 war diefer Werth auf 4 Millionen Thaler geftiegen
und kam im Sabre 1854 auf reichlich 20 Millionen Thaler. Preußen bat
mit feiner Bergwerföprobuftion, das einzige England ausgenommen, alle ans
deren Zänder Europa’3, und — nur England und Norbamerifa ausgenom⸗
men — alle Länder ver Erde überflügelt. Der Redner gab nun zunächft
eine allgemeine Leberficht von der Zufammenfeßung des die Steinfohlen ein-
fohließenden Gebirged, feiner Lagerung, Verbreitung, Bedeckung nıit jüngeren
Schichten u. f. w., ferner von der Mächtigfeit und Befchaffenheit der Stein
Tohlenflöge, und ging dann zur Betrachtung der einzelnen Steinfohlengebirgs-
partien in Preußen über, und zwar ver in Oberfchlefien, Nieverfchleften, Pro⸗
vinz Sachſen, Weftphalen (Hauptzug von Dortmund bis an den Rhein und
die Bergwerke des Staated bei Ibbenbüren) und auf ver linken Rheinſeite
(Bergbau des Staated bei Saarbrüden und die Kohlenminen bei Aachen) —
zufaınmen von der Erboberfläche 50 Quadratmeilen einnehmend, aber fich uns
ter den aufliegenden Bildungen noch viel weiter verbreitennd. Die Summe ver
Mächtigkeiten übereinanderliegenver bauwürdiger Steinfohlenflöge, bemerkte ver
Vortragende, Tame auf 120 und felbft bis nahe 200 Fuß. Dies fei wichti⸗
ger, als die Größe der eingenommenen Bläche, nur wäre zu bevauern, daß
gewiffe ausgedehnte Theile des Landes, nanıentlich die nörblichften und öſtlichſten
Provinzen unfered Staats, der Steinfohlen entbehrten. Das Steigen der Stein:
Sitzun goͤbericht ver Berliner geographifchen Gefellfchaft. 173
kohlenforderung beruhe theild auf allgemeinen Verhältniſſen, theils auf drtlis
chen Urſachen, meift aber auf beiden zugleih. Unter die erften gehöre vie
Zunahme ver Bevölkerung innerhalb ver Abfatkreife, die Abnahme ver Wäl-
ber und das Hinaufgehen ver Holzpreife, ferner vie Verbefierung ver Trans⸗
portmittel, die Anlage von Straßen, und ganz beſonders vie Herſtellung von
Eifendahnen, welche nicht nur felbft viele Kohlen confumiren, fondern auch
vermöge Ermäßigung der Transportkoſten ven Steinfohlen neue und weit
ausgedehnte Debitöfreife eröffneten. Als mehr oder weniger örtlich erfcheine
ver Verbrauch bei der Metall» Inbuftrie, namentlich bei der Eifenerzeugung
und Verarbeitung, wo die Steinfohlen an vie Stelle ver Holzkohlen getreten
feien; ferner bei ven Dampfmafchinen aller Art, ven Brennereien, Brauereien,
Zuderfabriten, vem Ziegel» und Kalfbrande u. f. w. Faſt überall fei darum
ver Begehr nach Steinfohlen fo geftiegen, daß die Förderungen ihn nicht zu
befriedigen vermocht hätten, wa8 in den meiften Revieren ein Hinaufgehen ver
Derfauföpreife zur Folge gehabt Habe. Mehr würde man haben fürbern
können, wenn es nicht an Arbeitern gemangelt Bätte, ein Mangel, welcher
noch fortbeftehe und dem fich bei ven eigenthümlichen Schwierigkeiten ber
bergmännijchen Arbeit nur langfam und nur mit großem Koftenaufwande ab»
helfen ließe. Im Teßtvergangenen Jahre (1854) feien auf den fänuntlichen
Steintohlenbergmerfen (392 Gruben) 48,573 Arbeiter befchäftigt geweſen.
Die Iehtjährige Foͤrderung betrage:
darunter auf Gruben des Staats
Pe EEE un —æ]
in Oberfihleften . - .. 8,650,273 %.
in Rieverfehleften . . . 2,484,842 = | 35,7 p&t. 1,547,654,%. (2 Grub.)
in dem wettiner Bezirk 196,919 » 06 = 119,390 =» (2 Grub.)
in Weltphalen . . . . . 13,593,371 » 39,9 = 177,372 s (2 Grub.)
in Saarbrüden .... 6,363,463 =
in dem bürener Bezirk 2,767,405 » | 26,8 - 6,071,397 » (15 Grub.)
Summe 34,056,274%. 100 pCt. 7,915,813 %.(21 Grub.)
Gegen die Vorjahre fände die flärffle Steigerung in Weftphalen und in Saar⸗
brücken ftatt, bauptfächlich durch ven Debit auf den Eifenbahnen und den
Verbrauch bei der Eifen-Inbuftrie. Die Verkaufspreife auf den Gruben haͤt⸗
tem ſich bis zum Jahre 1847 allmählig etwas gehoben; in jenem Jahre be»
rechnete fich für alle Bergwerke des Staates ein Durchfchnitt von 11 Sgr.
72 Bf. für die Tonne; fle fein dann im Jahre 1848 gefallen und erft 1852
ziemlich wiever auf den früheren Stand gefommen; im I. 1854 war biefer
12 Ser. 3,2 Pf., was 14 Sgr. oder 11 pCt. mehr, als im 3. 1851 betrage.
Im Einzelnen ſtellten fich die Preife je nach ver Dualität der Kohlen ober
bermöge der Concurrenz mit anderen Brennmaterialien fehr verſchieden. Als
Mittelfäe Hatte man im J. 1854: im oberfchleftfchen Bezirke 6 Sur. 4,7 Bf,
im niederſchleſiſchen Bezirke 11 Sgr. 1,5 Pf., im wettiner DBezirfe 23 Ser.
174 Sitzungsbericht der Berliner geographiſchen Geſellſchaft.
7,9 Pf., in ven weſtphaͤliſchen Bezirken 13 Sgr. 7,0 Pf., im faarbrüder Be⸗
zirke 14 Sgr. 5,7 Pf., im dürener Bezirke 17 Sgr. 4,7 Pf. für die Tonne ges
habt. Im Allgemeinen lafje ſich amehmen, daß von dem Kaufgelde (12 Ser.
3,2 Pf.) nahezu die Hälfte in Arbeitälöhnen (der Arbeiter auf ven Gruben
felbft) ausgegeben wird, alfo pro Tonne... ......- 6 Sgr. — Pf.
nicht voll + betragen die übrigen Ausgaben aller Art, von
denen wieder ohngefähr die Hälfte in den Koften des Zim⸗
merholzes beftehe, mithin circa .. 2.2.20 ree00 ne 2 = 89 =
Hiernach ergäben fich ald Nettos Ertrag für die Beſitzer der
Steinkobhlengruben ..-.- 222er en en 3 = 63»
zufammen 12 Sgr. 3,2 Pf.
Der Werth der Steinfohlenförverung nach den mittleren Verkaufspreiſen,
welcher im Jahre 1820 nur gegen 14 Million Thaler betragen Hatte, fei im
Jahre 1851 auf ......5 . . . . ...... .... 8,326,822 Thlr.
und im Sabre 1854 2... ... 2. 2202er. 13,909,912 =
gefommen und habe ſich aljo in 3 Jahren um... ... 5,583,090 *hlr.
oder um 67 pCt. vermehrte. Davon kaͤmen etwa 4 Mil. Thaler auf die
Vermehrung im Quantum und 14 Mil. Thaler auf die Steigerung der Ver⸗
kaufspreiſe. Der Gewinn ber Betreiber, einfchließlich der Zinfen der Anlage:
Kapitale, laſſe fi) auf wenigftens 4 Mil. Thaler anfchlagen. Bei dem jüngs
ſten Steigen der Steinfohlenpreife, welches in einzelnen Mevieren, namentlid
im Weftphälifchen, bis 50 pCt. des früheren Preifes betrage, möge vie Bes
forgniß der Eonfumenten nicht unbegründet erfcheinen, daß dadurch manche
Induftriezweige in ihrem Fortbeſtande gefährvet werben Fönnten; allein es
feien viele neue Steinfohlenwerfe in der Aufnahme begriffen und zwar im
großartigften Mapftabe; dabei würben die Hohen Generalkoften zu flarfen
Förderungen drängen, und dies müfle eine Goncurrenz im Angebot berbeifüh:
ven, von ber ein Herabgehen ver Preife zu erwarten fei. Das einzige, was
bie verzögern Tönne, fei der Mangel an Arbeitern, welcher fih nur allmaͤh⸗
lig beheben laſſe. Mebrigend wäre nicht zu verfennen, daß bie gezogenen Ges
winne meift auf neue Anlagen verwendet würben, auch neue Unternehmer an
Iodten. Alles dies müfle zu einem Aufſchwunge unferes Steinfohlenbergbaucs
führen, den man früher nicht habe ahnen fönnen, der aber durch die uner⸗
ſchoͤpflichen Niederlagen unferer Gebirge auf Jahrtauſende gefichert erfcheine.
Um eine Mafle von 34 Mil. Tonnen auch für Diejenigen anfchaulich zu
machen, welche vergleichen zu beurtbeilen nicht geübt find, gab der Redner
an, daß jene Maſſe dem Fubifchen Inhalte eines Würfeld von 632 Fuß Seite
entſpreche; die Länge biefer Seite ift alfo etwas mehr, als der Durchmeſſer
unfered Belle» Alliance» Plabes (circa 50 Authen = 300 Fuß). Denkt man
ſich nun ein cylindrifches Maß von der Grundfläche dieſes Blades, fo würde
man bemjelben, wenn es 34 Millionen Tonnen Steinkohlen aufnehmen fol,
Situngdbericht der Berliner geographifchen Gefellfchaft. 175
eine Höhe von 8564 Fuß zu geben Haben, was mehr, ald 22 ver ‚Höhe des
Petrithurmes oder, wenn man für die Häufer des Platzes ringsum eine mitt-
Ine Höhe von 50 Fuß annimmt, eine 17malige Ausfüllung des Platzes bes
tragen würde. Denken wir und nun, bemerkt der Redner ferner, die abger
dachte Maffe follte mit zweifpännigen Fuhren weggefahren werben, und ſetzen
babei den beften Weg und die flärffien Pferde und fomit eine Labung von
je 80 Gentnern voraus, und nehmen an, daß ein Wagen vicht Hinter dem
anderen fahre, fo erhielte man einen Wagenzug von einer dem Erd»
durchmeſſer gleichen Ränge. Bei pen Steinfohlen laffe fich das Verhaͤltniß
im Mae zu der anftehenven feften Maſſe im Durchfchnitt wie 4 au 3 annehmen
(d.i. 1 Kubiflachter 554 Tonnen fchüttend). Demnach wären im Jahre 1854
an Flögmafie circa 600,000 Kubiklachter umbauen worden oder auf einem
4 Lachter (34 Fuß) mächtigen Flötze 1,200,000 Quadratlachter oder, rund
gerechnet, nahezu I; Duabratmeile. Wäre nun in unferen Steinkohlenfelvern
überall nur ein einziged 4 Lachter flarkes Flotz vorhanden, fo würde man
daraus bei feiner Bläche von 50 Quadratmeilen eine ver 1854er gleiche Foͤr⸗
verung auf 500 Jahre beftreiten können. Wir können aber im Durchfchnitt
mehr, als 10 Lachter bauwürdige Steinkohlenmächtigkeit (alfo 20 folchen
Flögen entfprechend) annehmen, und fo vie Nachhaltigkeit unferer Steinfohlen-
becken auf mehr als 10,000 Jahre berechnen. Hiernach mögen wir, fchloß
der Rebner feinen Vortrag, immerhin unfere Börberungen verftärfen, auch
nicht Anftand nehmen, davon an unfere Nachbarn zu verkaufen, wenn fie
ung die Waare in gutem Gelde bezahlen; venn, wie einer unferer reichen
Bergwerföbefiger zu fagen pflegte, wenn man ihm von Schonung der Sub-
ftanz fprechen wollte, „meine Erben werben fidy mehr über das Gelb im
Kaften, als über die Mineralien in ven Bergwerken freuen.” — Zum Schluß
legte Herr Kiepert den Entwurf zu einer neuen Karte von Paläflina, vor«
nehmlich nach Mobinfon’d und vieler Anderen neueften Angaben, vor. —
Bon Herrn Ritter wurden enblich die folgenven eingelaufenen Geſchenke vor-
gelegt: 1) Zeifchrift für das Berge, Hütten und Salinenwefen in dem preußi⸗
Ihen Stante, herausgegeben von R. v. Carnall. Jahrg. I, II und II, Lief. 1.
Derlin 1854 und 1855. Bon dem Herrn Herauögeber. 2) Zeitfchrift für
Mgemeine Erdkunde, Herausgegeben von Dr. T. E. Gumpredt. IV. Band,
Heft 5. Berlin 1855. Von dem Verleger Herrn D. Reimer. 3) Mitthei⸗
lungen aus 3. Berthes’ geograph. Inftitut über wichtige neue Erforfchungen
auf dem Befammtgebiete ver Geographie von Dr. U. PBetermann, 3. Heft.
Borha 1855. Bon dem Heren Verleger. 4) Zwei aufgezogene Wanpfarten,
Nord» und Süd⸗-Amerika, von E. v. Sydow. Gotha. Bon dem Herrn Ver⸗
faffer. 5) Die norbbeutfche Ebene, insbeſondere zwifchen Elbe und Weichfel
genlogifch Dargeftellt von H. Girard. Nebft 1 Karte und 2 Taf. Profile
Berlin 1855. Von dem Verleger Hm. ©. Reimer. 6) Address to the
Royal Geographical Society of London; by tlie Earl of Ellesmere.
176 Sigungsbericht der Berliner geographifchen Gefellfchaft.
London 1854. 7) Proceedings of the Royal Society. Vol. VOL. No. 12.
Gefchenfe des Herrn Dove. 8) Memorial of Aaron Haight Palmer. 1855.
Bon dem Berfafier. 9) Iahreöbericht der naturforfchennen Geſellſchaft in
Emden für 1853. Emden 1854. Bon der Gefelfchaft. 10) Tablenur mit
erläuternden Bemerkungen in portugieftfcher Sprache über Telegraphie, Geo:
daͤſte, Steinktohlen« Kormation jammt ihren Einfchlüffen und über die Sem
mering= Bahn. Don dem Berfafler, vem Kaif. braſil. General⸗Conſul Herm
Sturz. 11) Karte vom Rieſen⸗ und Eulengebirge, gezeichnet von E. Haupt,
in Kupfer geftochen und herausgegeben von Heinrich Brofe. 1855. Gefchenf
des Herausgeberd. 12) Seventeenth Annual Report of the Aborigines
Protection Society. London 1854. 13) Drei kleine Brochären, entbal-
tend: Proceedings, Report of tbe Council und Acessions to the Library
der R. Geographical Society in London. Se Königliche Hoheit ver Prinz
Adalbert übergab in feinem und feiner Gefchwifter Namen ver Geſell⸗
fchaft als Geſchenk dad Prachtwerk, betitelt: Zur Erinnerung an die Reiſe
ded Prinzen Waldemar von Preußen nach Indien in den Jahren 1844 bie |
1846. Bd. J und U. Berlin 1853. Mit Karten und vielen Anſichten nah
den Driginalgeichnungen des hohen Reiſenden, und mit einer Vorrede ve
Herrn Al. v. Humboldt. gr. Bol., wofür der Vorſitzende, Herr Ritter, ven
Dank ver Gefelfchaft ausſprach. |
V
Ueberſicht der Thaͤtigkeit der Berliner geographi⸗
ſchen Geſellſchaft in dem verfloſſenen Jahre vom
6. Mai 1854 bis 5. Mai 1855 ').
— — — —
Dem Paragraph 27 der Statuten gemäß wird in ber jedesmali⸗
gen Mai⸗Sitzung von dem Dirertor eine Meberficht der Thätigkeit der
Geſellſchaft im Iegtvergangenen Jahre gegeben. Da aber bie jedes⸗
maligen monatlichen Verhandlungen und felbft ein großer Theil der
gehaltenen Vorträge ausführlich bereits in der Zeitfchrift für allgemeine
Erdkunde veröffentlicht worden find, fo ift e8 Hinreichend, hier nur an
den „Hauptinhalt der gehaltenen Vorträge zu erinnern.
Zunaͤchſt gedenken wir des fchmerzlichen, durch den Tod herbeige-
führten Verluſtes von zwei hervorragenden Mitgliedern, nämlich des
Senerallieutenants von Scharnhorft und des Geheimraths Engel-
hardt, welcher Iehte zu den Mitftiftern des Vereins, zu feinen Be
amten und bis an fein Ende zu den thätigften Mitgliedern und Be-
förderern defielben gehörte. Seinem Andenken und feinen Berbienften
um das Baterland und um die geographifche Wiflenfchaft Bat fein viel-
jähriger Freund und College, der Director des ftatiftifchen Bureau's,
Herr Geheimrath Prof. Dr. Dieterici, in dem biographifchen Entwurfe
feiner Gedaͤchtnißrede, die in diefer Zeitfchrift abgebrudt wurde, ein
fhönes Denkmal gefebt. Engelhardt's letztes Werk, an dem er viele
Jahre gearbeitet, war das wichtige: „Weber die Flächenräume der euros
päifchen Staaten und der übrigen Länder der Erde.” Scharnhorft’s
3) Vorgetragen von Herrn C. Ritter in der Sitzung der Geſellſchaft vom Bi Mai
1855.
Zeitſchr. |. allg. Erdkunde. Br. V. 12
178 C. Ritter:
raftlofe Thätigfeit für geographifches Studium wird ihm lange in ſei⸗
ner hinterlaffenen außerorbentlichen Kartenfammlung, die einzig in ihrer
Art genannt werden muß, überleben.
Ungeachtet der Berfegung oder des Abganges mehrerer Mitglie
der unferer Gefellfchaft Hat ſich die Zahl derfelben doch vermehrt und
ift bis auf mehr als 250 geftiegen, worunter wir die zehn zuletzt nad
faft einflimmiger Wahl mit und vereinten neueften Mitglieder auf das
Herzlichfte willfommen heißen und fie im Namen unferes Vereins um
thätige Förderung unferer wifjenfchaftlihen Zwecke erfuchen, da bei ver
herangewachfenen Größe und dem Umfange des Vereins in feiner in-
neren Einrichtung gar manche Ermeiterung, Vervollftändigung und Ber:
befierung nöthig fein möchte, befonders was das bisher durch fo vie:
fache Theilnahme und Gaben vermehrte literarifche Beſitzthum in un:
feren Kartens und Bücherfammlungen betrifft, um daſſelbe für Ale
nutzbar machen zu koͤnnen.
Als die erfreulichfte Bereicherung der Art dürfen wir das fol
bare Reliefbild des Monte Rofa betrachten, welches wir der Gnate
Sr. Majeftät des Königs, ald Zeichen feiner fortbauernden Huf, zur |
Förderung unferer wifjenfchaftliden Beftrebungen verbanfen. Durch
die forgfültigften Vermeſſungen und Vorarbeiten aller Art von den
Gebrüdern Schlagintweit an Ort und Stelle und durch die genauefte
Ausführung des Basreliefs von dem Künſtler Heren Warnſtedt dürfte
bafielbe als das vollendetfte Meiſterwerk aller bisher veröffentlichten
Reliefbilder gelten. Auch ift es begleitet von wiffenfchaftlichen Beilagen
in Beziehung auf Hypfometrie, Geologie, Meteorologie und anderen
originalen Beobachtungen der genannten Phyſiker, die fich gegenwärtig |
zur Erforfchung des Himalaya -Syftems und zu analogen Arbeiten in
einem noch größeren Umfange und Maßſtabe auf ihrer wiffenfchaftli-
hen Miffion in Indien befinden, von wo ihr erfter Bericht an Herm
AL v. Humboldt bereitd aus Bombay einging und uns zu den größ
ten Erwartungen in Bezug auf die ferneren Forfchungen und Mitthei⸗
lungen dieſer jüngeren Mitglieder unferer Gefellfchaft, beſonders über
Geologie, Meteorologie, Magnetismus, Hypfometrie und auch über
Geographie, in der That berechtigt.
Ueber die frühere Expedition nad) Central⸗Afrika, an welcher un
Die Berliner geograpbifche Gefellfchaft im Jahre 1854 — 1855. 179
jere Gefellfchaft ſich, beſonders zur Ausrüftung und Fortſetzung derfelben,
jo eifrig betheiligt hatte, war bie früher fo rege und belebte Mittheilung an
den Verein Durch den frühgeitigen Tod Overweg's und nicht lange darauf
duch das ſcheinbare Verſchwinden Dr. Barth's aus den Kreifen der
Lebenden, auf dem Rüdwege von feiner großen Entvedungsreife nach
Zimbuftu, zu unferer Betrübniß verfümmert; wir Tonnten uns nur
einzelner Mittheilungen des dritten nachgefolgten Gefährten, des rüfti-
gen Afteonomen Dr. Bogel, aus Briefen an feinen Bater über die
Umgebungen des Tſadſee's erfreuen, bis endlich in ver letzten Zeit
nach langem Harren die hocherfreuliche fichere Kunde aus eigenhändis
gen Briefen Barth’8 zu und gelangte, daß ec vollfommen geſund
und frifchen Muthed aus den großen Gefahren der Timbuktu⸗Reiſe
mit reicher wifjenfchaftlicder Beute nach Kuka zurüdgefehrt ift, und in
feinem Schreiben an den Ritter Bunfen in Heidelberg die Hoffnung
ausfpricht, ſchon in den naͤchſten Monaten über Murzuf und Tripolis
nach Europa zurückkehren zu können. Es wird dies für unferen Kreis,
wie für Die geographifche Wiffenfchaft, ein Hohes Weit und eine große
Freude fein.
Die vielen, unferen Sammlungen zu Theil gewordenen gütigen
literarifchen Gaben find in den Protokollen und monatlichen Berichten
dankbar verzeichnet; wir erinnern nur an Die reichhaltigen Gefchenfe
der Smitbsonian Institution in Waſhington, an die vortrefflichen Muſter⸗
farten Ziegler’d in Wintertfur von den Gantonen St. Gallen und Aps
penzell, an v. Sydow's große Wandfarte von Allen, und an die Mits
tbeilungen vieler gelehrten Gefellfchaften, deren Zahl fich, um in Aus⸗
taufch mit unferer Zeitfchrift zu treten, von Jahr zu Jahr mehrt, fowie
an die Gefchenfe zahlreicher neuer geographifcher Werke von ihren Vers
faflern oder Verlegern, die von Peteröburg bis Wien, London, Paris,
Madrid, News Mork und Boſton, alljährlich das Feld unferer Wiften-
ichaft erweitern und bereichern. Desgleichen an die und zu Theil ges
wordenen Gorrefpondenzen aus Bambobfcha, Japan und China ven Dr.
Bowring und Philippi, dann aus Mefopotamien, Bagdad, Iſpahan,
Jezd von Petermann, Mufeid Bey, Fresnel, Oppert u. A., aus Alge⸗
rien von Graf Schlieffen und Gerard, aus Nordamerika von Möll⸗
haufen und Dr. Kohl, aus Central» Amerika von Squier u. A., Die
| 12 *
180 C. Ritter:
alle die wachſende Theilnahme an unferen Beftrebungen auch im fernen
Auslande beweifen.
Zu ſolchen Mittheilungen gehörte auch das Borzeigen von ein
paar Hundert Gemälbeffiggen in Del, welche der Maler Herr Kiefe
wetter auf feinen 16 jährigen Reifen in Oſt⸗Furopa und Weſt⸗Afien,
zumal in Schweden, Yinland, Rußland bis zur Krim, im Kaufafus,
nah Baku und zu den Kalmüden entworfen, und die derfelbe mit lehr⸗
reichen charafteriflifchen Bemerkungen, befonderd über feine in den ge
nannten Ländern gemachten ethnograpbifchen Beobachtungen, begleitete.
Auch den wifienfchaftlichen Vorträgen fehlte e8 nicht an Mannig
faltigleit; im Gegentheil mußten, leider nicht felten, bebeutende Bor
träge aus Mangel an Zeit zurüdgezogen ober vertagt werden, was
gewöhnlich nicht ohne Nachtheil für ihre fernere Publicirung blieb.
Herr Wolferd gab von der v. Struve'ſchen Gradmeſſung von der |
Donau bis zum Eismeere nach defien zugefandtem Memoire einen Be
richt und bemerkte, daß dieſe ofteuropäifche Operation ihrer Vollendung
nahe fei und bereit 25 Breitengrade umfaſſe, alfo die ebenfalls groß
artige Meflung in Oftindien von 21 Graden an Ausdehnung noch
übertreffe. Er fügte aus Beſſel's nach den zehn letzten vorzüglichkten
Gradmeſſungen abgeleiteten Refultaten defien Angaben über Größe und
Geſtalt der Erde Hinzu. — Derfelbe machte auf ein Zeitbeſtimmungs
Inftrument aufmerkfam und erflärte daſſelbe; auch befprach er feine
Schrift über die Bergleichung der Temperaturverhältniffe ver Winter
Berlins.
Herr Solly zeigte einen von ihm erfundenen Wanderſtab vor,
welcher ſich zu Höhenmefjungen auf Reifen eignet; er flellte den ein
fahen Meßapparat vollſtaͤndig auf und erklärte deſſen Gebrauch.
Herr Schröner legte einen kürzlich bei Fehrbellin in die dortigen
ZTorfmoore gefallenen Meteorftein vor und las den Bericht über deſſen
Auffindung von den Beobachtern des Niederſchlages, worauf Hr. Dove
Bemerkungen über dergleichen Phänomene hinzufügte.
Herr Dove theilte in mehreren Vorträgen feine Bemerkungen über
die verfchievenen Theorien mit, die zur Erklärung der Erfcheinungen
der Gletſcher und der erratifchen Blöde aufgeftellt find, fowie über die
Beobachtung der neuerlichft in Grönland aufgefundenen Eisfelder. Zur
Erläuterung der Gletſcherbildungen begleitete er das Prachtwerk de
Die Berliner geographifche Geſellſchaft im Sabre 1854 — 1855, 181
Abbildungen von Dollfuß über diefe Erfcheinungen mit Anmerkungen.
— Ueber die Berichtigung der jährlichen Quellentemperatur nach den
bisher unzufammenhängenden einzelnen Beobachtungen in der Falten und
warmen Jahreszeit teilte derfelbe feine Anficht mit, und zwar in Bes
ziehung auf die in dem Werke von Dr. Hallman niedergelegten mehr-
jährigen zufammenhängenden und vergleichenden Unterfuchungen.
Rah feiner Rüdfehr aus England machte Herr Dove mannige
faltige Mittheilungen über die Vorträge der Naturforichers Section bei
den wiflenfchaftlichen Zufammenfünften in Liverpool, ſowie auch über cos
loſſale Schiffsbauten und über das Syſtem der Schaufelräder und der
Schrauben, die bei den Bewegungen in Anwendung gebracht find, ferner
über felbftzeichnende meteorologifche Beobachtungen der Mafchinen auf
photographifchem Wege, über die Durch electrographifches Verfahren neu
beftimmten Lüngenunterfchiede zwifchen ven Sternwarten von Greenwich,
Paris und Brüffel, und über die Störungen der Magnetnadel durch
das Eifen in den Schiffen und die Verfuche, durch angebrachte Ver
befierungen diefelben aufzuheben.
Unter Vorlegung vieler in diefe und andere phyſikaliſche Gegen⸗
fände einfchlagenden Darftelungen und Werfe befprach Herr Dove
auch die Berichtigungen, welcher die Theorie der Ebbe und Fluth bes
dürftig fei, dann des Aftronomen Lamont in Münden magnetifche
Karte von Deutichland, worin die bedeutenden Störungen der magne⸗
tischen Curven am Rhein und in Böhmen auf den vulfanifchen Ter⸗
rains dargeftellt find; endlich berichtete derfelbe über vie Wahrnehmung
des Colonel Sabine, nach welcher wahrfcheinlich die Sonne auch als
Magnet wirkfam if.
Später wurde von Heren Dove Capitain Allen’s Project, das
mittellänbifche Meer über das 1200 Fuß unter demfelben liegende Baſſin
des todten Meeres mit dem rothen Meere durch Canalifation in Ver⸗
bindung zu feßen, mitgetheilt; derfelbe gab Nachricht über die Verthei⸗
lung der Wirbelſtürme im indifchen Meere, über die Temperatur ber
Oſtküſte von Afien nach neueren Beobachtungen in Hongfong, über
das Klima von Cayenne nach 7Tjährigen Beobachtungen von Dalton,
über die Temperatur des preußifchen Staates nach 7 jährigen Beob⸗
achtungen des meteorologifchen Inftituts, über die Erbwärme in Ber⸗
iin big zu einer Tiefe von 5 Fuß und über den wärmenden Einfluß
182 C. Ritter:
eines Fluffes bei firenger Winterfälte auf die zunächft liegende Luft
nach eigenen Beobachtungen an der Spree in Berlin.
Herr Heinr. Rofe hielt nad) Anleitung des Werkes von Withnen
„über den Metallreichthum der vereinigten Staaten von Rordamerifa,
Philadelphia 1854” in mehreren Sitzungen ausführliche Vorträge über
den Metallreichthum Nordamerika's im Vergleich mit dem der übrigen
Erbtheile. Es wurde das verfchienene Vorkommen der Metallſchaͤtze
und deren Gewinnung nach Verhältniß und Zunahme feit dem An-
fange unferes Jahrhunderts in Beziehung auf Gold, Silber, Eiſen,
Kupfer, Zink, Quedfilber u f. w. mitgetheilt, ſowie die lehrreiche An-
wendung biefer Verhältniffe auf Induftrie und Eultur der Bölfer un
Staaten der Erde. Herr Tamnau hatte die Güte, aus feinen reichen
mineralogifchen und metallurgifchen Sammlungen, eine fehr lehrreiche
Folge von gebiegenen Kupfer» und Silbermaflen, fowie von Erzen aus
den Gruben und Bergwerfen am Oberen See in den Vereinsſtaaten
Rordamerifa’s vorzuzeigen und mit Bemerkungen über deren merkwuͤr⸗
diges und eigenthümliched Vorkommen zu begleiten.
Herr Ehrenberg legte fein großartiges, mit 100 Kupfertafeln in
Folio ausgeftattetes Werk über Mifrogeologie oder über das „Erben
und Felfen fchaffende Wirfen des unfichtbar kleinſten felbfiftändigen Le⸗
bens auf der Erde,” Leipzig 1854, vor. Er hielt einen ausführlichen
Vortrag über deffen Plan und Inhalt. Bei der überfichtlichen Erklä⸗
rung der Darftellung der Raturförper auf den einzelnen Kupfertafeln
ergab fich von felbft, wie er durch eigene Sammlungen auf feinen Reis
fen in Europa, Aften und Afrika, ſowie durch reichhaltige Zufendungen
der ausgezeichnetften Reifenden von Erdgebilden aus faft allen Gegen:
den der Erde, wie der Dceane, vom Nord⸗ bis zum Sübdpole, aus
den Tropen, aus Ebenen, von Berggipfeln, aus dem tiefften Seegrunde,
aus atmofphärifchen Niederfchlägen und aus den Delta’s großer Fluß
betten in allen Grotheilen bei feinen Forſchungen unterftügt wurde
Er zeigte, wie er dadurch nach 14jährigen phyſiologiſch⸗mikroskopiſchen
Unterfuchungen aller dahin einfchlagenden Phänomene im Stande ge
weſen fei, dieſes Fleinfte Leben in feinen bis dahin unbekannt geblicbe
nen Individuen zu entdeden und deren Formen, wie fie faft über ven
größten Theil der Erde verbreitet find, in feinem Werke zuſammenzu⸗
faffen, zu zeichnen, zu befchreiben, zu claffifisiren und fie ſelbſt aui
Die Berliner geographiiche Sefelichaft im Jahre 1854 — 1855. 183
eine eigenthümliche Weife für fernere Unterfuchungen compendiarifch
aufzubewahren. Es ergab fich, wie dieſes kleinſte Leben feinen großen
Anıheil an der gefammten Erbbildung nimmt und von jeher genoms
men bat.
Gehen wir nun von diefen allgemeineren zu den fpecielen Mit-
theilungen aus den einzelnen Erdtheilen über, fo ift es fehr erfreulich,
hierbei in Bezug auf das Gebiet von Alien ein von den Geographen
längft gehegtes Verlangen zur Ehre eines faft verfchollenen und doch
ausgezeichneten deutſchen KReifenden, des Dr. Seegen, der ald Märtyrer
für feine Wiffenfchaft im Jahre 1811 in Arabien den Tod fand, nam
lich die Veröffentlichung feiner Tagebücher und feines Nachlaffes, end⸗
lich realifirt zu fehen. Wir verdanken dies einem Mitglieve unferes
Bereind, Herrn ©. Reimer ald Verleger, und nächft Hrn. Krufe auch
Hrn. Dr. Müller’ mühfamfter und kritiſcher Entzifferung diefes ſchon
halb verblichenen inhaltreihen Nachlaſſes. Seetzen, der ehrenwerthe
Nachfolger eines Niebuhr, der wiſſenſchaftlich gebildete Vorgänger eines
Burkhardt, ift der erſte Wegweiſer am Anfange dieſes Jahrhunderts
ju vielen Entdedungen im Orient, zu denen er zuerſt für feine Nach»
folger die Wege gebahnt Hat. Ich Habe mich bemüht, in einem Vor⸗
tage die großen Verdienſte dieſes Reijenden für feine Zeit hervorzu⸗
heben.
Ebenfo fuchte ich in einem Vortrage aus den biographifchen Zus
jendungen, die mir von dem englifchen Gouverneur zu Hongkong zus
gefommen waren, eine Weberficht von den Berbienften des Fürzlich ver:
ſtorbenen Groß- Mandarin Lin in Ehina um die Hortfchritte der chines
ſiſchen Geographie in Bezug auf die Kennmiß des Auslandes, d. h.
der übrigen Erde, zu geben, und zwar nach dem geographijchen Com⸗
yendium, das Fin, einer der gelehrteften Chinefen der neueren Zeit,
unter dem Titel: „die oceanifchen Königreiche,” feiner Nation hinter⸗
lafien bat.
Herr Walter fprach über die Temperatur des öftlichen Aſiens,
welche durch die dafelbft vorherrfchenden Winde bedingt wird.
Here Kleng berichtete nach einem an ihn eingelaufenen Schreiben
bes Gouverneur Borwring zu Hongkong über die ethnologijchen Zu:
fände in China und über den Handel der Fremden bafelbft, dann über
Bowring’& Korrefpondenz mit dem König von Siam und über deſſen
184 C. Ritter:
Reiſen dahin, wie nach Japan, mit lehrreichen Angaben über dortige
politifche und @ulturzuftände. Ein zweites fpäteres Schreiben gab Bes
richt über feinen Aufenthalt auf einer Flotte von 5 englifchen und
amerifanifchen Schiffen vor Anker an der Mündung des Peihofluffes
im gelben Meere, und über die Verfuche, einen directen Handelöver-
kehr mit der benachbarten Reſidenzſtadt Peking zu Stande zu bringen,
nebft andern Rachrichten über die dortigen Volközuftände,
Aus Honolulu, der Refidenzftadt des Sandwich» Infelreiches, lief
an den Vorſtand von dem dortigen englifchen General⸗Conſul Wil.
Miller ein Memoir über ethnographiſche vergleichende Beobachtungen
unter auftralifchen Infulanern, Peruanern und amerifanifchen Indie
nern, wozu Miller’8 langer Verkehr mit biefen Volksſtaͤmmen Gelegen-
heit geboten Hatte, ein.
Herr Philippi theilte zwei Briefe eines vaterländifchen, im chine⸗
ſiſchen Meere fegelnden Sciffscapitains im Auszuge mit, welche neuefte
Nachrichten über das Königreich Cambodſcha und deſſen Beherrfcher,
fowie über die dort neu begründete und ſchnell aufgeblühte Stadt und
den Hafenort Kongport enthielten, nebſt Nachrichten über die Stadt
Amoy und die im chinefifchen Reiche fortfchreitenden Verheerungen buch
die Mebellenfriege.
Ebenſo vermochte ich einen Bericht des nordamerifanifchen Schiffe:
Capitains Perry über die Aufnahme feiner, ihn von den Vereinsſtaa⸗
ten anvertrauten Flotille bei den Japanern und über die von ihm
dahin geführte Gefandtichaft, welche mit der Eröffnung eines Handels⸗
verfehrs zwifchen Japan und den Vereinsflaaten beauftragt war, fer
ner über den ihm geftatteten Zutritt feiner Schiffe zu den japanifchen
Häfen Simoda und Hakodadi, wie über feine beabfichtigte Küftenauf-
nahme ber Infelgruppe Japans mitzutheilen.
Aus dem von Prof. Petermann an feine Familie gelangten und von
diefer uns zur Veröffentlichung überlafienen Schreiben aus Mefopota-
mien berichtete ich noch Über Die von demfelben im Süden von Bagdad
am Euphrat befuchte Gemeinde der Johannisjünger, und legte feinen
merfwürbigen Bericht über das fo felten von Europhern befuchte Jet
in GentralsBerfien vor, wo fich die größte Gemeinde der Buchen
oder Feuerbiener, die in Indien unter dem Namen Parfi jeht zerſtreut
leben, in ihrer Urheimath erhalten hat.
Die Berliner geographifche Geſellſchaft im Jahre 1854 — 1855. 185
Ebenſo Hielt ich zur Erklaͤrung der großen, farbig gebrudten, neue
ſten Wandkarte Aftens von unferem Mitglieve, Herrn v. Sydow, einen
Bortrag über das große aralo=caspifche Tiefland in der Mitte der
alten Welt und über die colofialen Höhenverhältnifie feines füplichen,
im Halbfreis daſſelbe umgebenden Gebirgsfranzes nach den neueften
Bermeffungen, fowie über verſchiedene Verfuche, fi) von der Entſtehung
diefer merkwürdigen Hauptienfung in der Mitte der größten Conti⸗
nente Rechenfchaft zu geben.
Herr Bifchon, jetzt evangelifcher Prediger in Eonftantinopel, berich-
tete in zwei Sitzungen ausführlich über feine Reife im Frühiahr 1853
von Conſtantinopel über Smyrna, Eypern und Beirut nad) Serufalem,
und fügte Bemerkungen über feinen dortigen Aufenthalt und die neueften
Zuflände der von ihm bejuchten Küftenländer und Ortfchaften hinzu.
Ueber Afrika fielen aus dem fchon angegebenen Grunde unfere
diesjährigen Originalmittheilungen fparfamer aus, doc dürfen wir
nun hoffen, daß in Kurzem die Quellen von daher uns defto reichlis
her fließen werben. Außer den fragmentarifchen Notizen unferer Mif-
fion Tiefen nur Schreiben des Dr. Bleek ein, der ald Sprachforfcher
die Erpebition des englifchen, zur Befchiffung des Nigerftromes bis zu
bem von Barth entvedten Benus beflimmten Dampfichiffes Plejade
begleitete, aber fhon in Fernando Po durch Krankheit zur Heimfehr
gezwungen wurde. “Derfelbe ift fpäter mit dem Biſchof von Nas
tal nach der Oftfüfle von Afrika abgegangen, um dort für die Mif-
fion ein Wörterbuch und eine Grammatif der Zulufprache auszuarbei-
in, was ihm auch zu anderen ethnographifchen Forſchungen Veran⸗
laffung geben wird. Sein letzter Reifeberiht an den Vorſtand, ver
auf fernere Mitthellungen rechnen läßt, If in einem der neueften
Hefte der Zeitjchrift mitgetheilt. Dom Grafen Schlieffen, jetzt in Al
gier, lief der Meifebericht eines Scheikhs ein, den er als Stinerar
aus dem Munde des Scheikhs auffchrieb, weil diefer im Innern
Afrika's auf längere Zeit mit unferem beuifchen Reifenden Dr. Barth
zufammengetroffen war und von ihm Nachricht ertheilte. Durch Herrn
v. Humboldt wurde ein an ihn gerichteted Schreiben des in Algerien
berühmteften Löwenjägers, des Lieut. Jules Gerard, mitgetheilt, in wel⸗
chem berfelbe auf die Anfragen des Herrn v. Humboldt über Die Aus;
dauer des Löwen in den verfchiedenen Temperaturgraden des fchrers
186 C. Ritter:
reichen Gebirgslandes von Nord⸗Afrika Auskunft giebt, wo er, wie
fi) aus Gerards Löwenjagden ergeben hat, die Winterfälte von — 18
Grad gut ertragen kann.
Herr Dr. v. Klöden jun. bielt einen ausführlichen Vortrag über
den Namen des weißen Nil8 und denjenigen Yluß, welchen dieſe Be
nennung im eigentlichen Sinne nur zufommt. Der über 400 Jahre
dort üblich gewefene Name wurde in feinem verfchiedenen Gebrauche
bei den afrifanifchen Reifenden nachgewieſen. Diefe Mitteilungen bil⸗
den Bruchftüde eines größeren Werkes. Weber die Fortſchritte der Ent-
defungen in Südafrifa konnten nur Bruchflüde angezeigt werben.
KReichhaltiger waren die Nachrichten über Amerika eingelaufen.
Herr Lichtenftein theilte bei Webergabe eines jchönen Geſchenks des
preußijchen Conſuls Herrn Angelrodt in St. Louis an die Geſellſchaft,
nämlich der großen Colton'ſchen Karte der Bereinsftaaten, deſſelben
ftatiftifche Nachrichten über den außerordentlich fehnellen Anwachs ber
Stadt und des Gebietd von St. Louis bis zum I. 1854, zumal durch
deutſche Eolonifation, mit. Derfelbe gab auch eine Ueberſicht von Hm.
Moͤllhauſen's Wanderung mit der großen Erpebition der Vereinsſtaa⸗
ten aus dem Miffiffippi- Thale gegen Weften duch die Rocky⸗Moun—⸗
tains nach Californien nebft Nachrichten über dortige Gebirgsarten und
die Buebloss Indianer, bei denen 7 Stod hohe Haͤuſer für ganze Dorf
gemeinden, Spuren von alten Kicchen, von chriftlichem und nichtehrift-
Iichem Gotteödienfte, aber auch noch von Verehrung ihres Ahnherrn
Montezuma vorgefunden werben.
Nach feiner glüdlichen Rüdfehr in die Heimath Hat Herr Möll
haufen Proben von den Verfteinerungen eines Urwaldes, den er in ben
Rocky Mountains unter 35° nörbl. Br. und in einer Höhe von A000
Fuß über dem Meere enivedte und 2 Tagereifen lang mühfam durch⸗
reifte, nebft Zeichnungen dortiger Zuftände auf einem Terrain, dem
gegenwärtig aller Baumwuchs fehlt, vorgelegt. Zugleich wurde ein
Bericht des Herrn Möllhaufen Hierüber von mir vorgelefen.
Herr Walter befprach das in Amerifa herausgelommene ethno>
graphifche Werf von Rott und Glivvon: Types of Mankind, und
ihloß daran einen Vortrag über die verfchiedenen Menfchenracen; in
einem Nachtrage hierzu entwidelte er feine Anficht über eine Streit⸗
frage der Zeit und theilte feine Gründe mit, die ifn bewogen, die Ur:
Die Berliner geographifche Gefellfchaft im Jahre 1854 — 1855. 187
bewohner Amerifa’8 für eine felbftftändige und eigentHlümliche Menfchen-
race zu halten.
Aus einem Briefe des Herrn Squier vom September 1854 aus
Gentrals Amerika theilte Ich defien neue, während feines dortigen Auf-
entHalts gemachte Beobachtungen über die Rahuals Indianer mit, die
nach ihrer patriarchalifchen Verfaſſung, ihren Sitten, Gebräuchen und
ihrer Sprache als beachtenswerthe Refte der Urbewohner Mexico's zu
betrachten find. Ihr Hauptgewerbe befteht im Verkauf des aus ihren
Waldungen gewonnenen fo berühmten mericantfchen Balſams.
Herr v. Ledebur berichtete ausführlich über Die mericanifchen ans
tiquarifchen Schäße des hiefigen Föniglichen Mufeums, zumal an Bilds
werfen und Kunftarbeiten aller Art; er wied durch fie den früheften
Einfluß der Chinefen auf mericanifche Bildung nad. Seine Befchreis
bung ſchloß fih nur an die in der Föniglichen Sammlung befindlichen
ädhten Idole an, die man fireng von den Häufig nachgemachten ber
neueren Induſtrie zu unterjcheiden habe.
Herr v. Klöden sen. las eine Abhandlung über die während der
erften Hälfte des 16. Jahrhunderts ftattgehabten Eroberungszüge der
Teutfchen in Benezuela, das Kaifer Karl V. zum Erblehn den reichen
Kaufferren der Welfer zu Augsburg gegeben hatte, von Denen nun nach
einander verfchiedene Expeditionen zur Eroberung und Erwerbung dies
ied nermeintlichen Eldorado ausgefandt wurden. Unter ven beutfchen
Kriegsoberften zeichneten fich befonderd die Alfinger, Georg v. Speyer,
Federmann und Phil. v. Hutten durch ihre wunbergleichen Ihaten,
aber auch durch ihre Grauſamkeiten, aus.
Mit Borlegung einer von Herrn Kiepert entworfenen Karte bes
nörblichen Sübamerifa hielt ich noch einen Vortrag über unfere gegen⸗
wärtige Kenntniß des riefigen Amazonas und feiner großen Zuftröme,
fowie über die Ausfichten zu einer Dampficifffahrt auf demjelben, und
zu der wünfchenswerthen Befreiung der bisherigen Monopole feiner
Beichiffung und feines Handelöverfehre, wozu der ganze, das Strom⸗
baffın umgebende Staatenfranz von Republifen in dem Werfe, Das über
die jüngfte Befchiffung des Amazonas unter Lieut. Herndon und Larb-
ner Gibbon im Auftrage des Gouvernements der vereinigten Staaten
Bericht giebt, aufgefordert wird, mit den Nordamerifanern vereint bie
Hände zu bieten.
188 @. Ritter:
Zu den jüngften Mittheilungen gehören die von unferem audwärs
tigen Mitglieve Dr. Kohl im Herbft vorigen Jahres am mich gerichtes
ten Reifeberichte, die in wiffenfchaftlicher Beziehung manchen intereſſan⸗
ten Auffchluß über die neuefte Hiftorifche Entwidelung der nordameris
fanifhen Staaten und Zuftände von New⸗NYork norbwärts bis zum
St. Lorenzo, Quebec und der großen Seegruppe geben, von wo der
Verfaſſer durch die inneren Staaten nach Wafhington zurüdfehrte, um
dort, wo möglich, fein großes geographifch-hiftorifches Werk uber die
Entdedungsgefchichte Amerifa’8 nach Columbus bis auf die Gegenwart
mit Beiftand der Smithsonian Institution zu veröffentlichen.
Es bleibt uns nur noch übrig, an einige Europa's geographiſche
Verhaͤltniſſe betreffende Meittheilungen zu erinnern.
Herr Kiepert machte eine kurze Anzeige von Herrn Viquesnels
Bereifung des Gebirges Rhodope und von feiner geographifchen, wie
fartographifchen Aufnahme dieſes altthracifchen Gebirgsſyſtems, das zu
vor auf allen Landkarten der Türkei ganz irrthuͤmlich dargeſtellt war,
nun aber durch die vorgelegte verdienftliche Arbeit feine Berichtigung
erhalten hat.
Herr Rammelöberg hielt einen längeren Vortrag über die von
ihm bereifte und fo eben vollendete Semmerings-Eifenbahn in den
öfterreichifchen Alpen, über deren Gefchichte und Einrichtung, fowie
über die dabei zu überwinden gewefenen, burch die beveutenden Stei⸗
gungs- und Krümmungsverhältniffe verurfachten Schwierigfeitn; er
legte Bläne und Anfichten zur Erläuterung vor. Herr v. Sydow theilte
fpäter auch feine Bemerfungen über diefe Eifenbahn mit und befpracdh
die dabei überwundenen Schwierigkeiten, indem er gleichfalls Anfichten
derjelben vorlegte.
Endlih machte ih in einem ausführlichen Vortrage auf Das von
feinem Berfaffer, Heren Dr. Schmid! zu Wien, eingefandte Werk: Zur
Höhlenkunde des Karftes, Wien 1854, aufmerkfam, welches als erfte
wifienfchaftliche Befchreibung dieſes weitverbreiteten Hoͤhlenſyſtems und
feiner merfwürdigen Erfcheinungen von verfchwinvenden und wieder
bervorbrechenden Fluͤſſen u. f. w. angefehen werden muß.
Herr W. Roſe legte mehrere Anftchten von Schweizergegenven,
die er kuͤrzlich beſucht hatte, mit Bemerkungen darüber vor; er beſprach
vorzüglich die große Zunahme der Bejucher ihrer Naturwunder in ben
Die Berliner geographifche Gefellfchaft im Jahre 1854 — 1855. 189
höheren Gebirgeregionen und die auch in den entlegenften Winkeln ver
Thaler und Berghöhen getroffenen Einrichtungen zu ihrer Aufnahme.
Herr Dieterici übergab der Gefellfchaft ven 5. Kolioband feiner
„Statififchen Nachrichten über den preußifchen Staat für das Jahr
1849”, befonders die Gewerbetabellen enthaltend, und entwidelte dabei
ven Plan und den Zweck dieſer Arbeit des flatiftifchen Bureau's, in
welcher zum erften Male auch der Aderbau und die Vertheilung des
Aderlandes in dem ganzen Staate unterfucht und befprochen wird.
So dürfte unfer Verein denn wohl mit einiger Hoffnung, für bie
Zeitgenofien auf feinem Gebiete nicht ganz unwirkfam geblieben zu
fein, mit Vertrauen. auf die Zukunft in ein neues thätiged Lebensjahr
eintreten und auch fernerhin fein Scherflein zur fortfchreitenden Ers
fenntniß des großen Exrbenfchauplages beizutragen bemüht bleiben.
@. Ritter.
— — — — — -
VI.
Die Vulkane von Mexico.
Dritter Artikel.
Nördlich zur Seite des Poporatepetl, 24 Meilen entfernt, gleich—
fam zufanmen ein Ehepaar bilvdend, erhebt fich
der Irtaccihuatl,
(indifh: ixtac weiß, und cihuatl Frau) !), unter 19° 10’ nördl. Br.
und 100° 55’ weftl. Lange, von den Spaniern auch Sierra nevada
de Puebla genannt. Diejer Vulkan fol zur Zeit der agtefifchen Ka
nige Rauch und Afche ausgeworfen haben, ſcheint jedoch bereits jeit
langer Zeit erlofchen zu fein). A. v. Humboldt giebt feine Höhe auf
2) A. v. Humboldt Essai I, 265; Heinere Schriften I, 467. Der Name würde
alfo fo viel, ald Weiße Frau (Dame blanche), unzweifelhaft nach der Schnee⸗
und G@isbevedung des Berges, beveuten und er erhielt diefe Erklärung ſchon im einem
alten, nur manuferipflich vorhandenen Werfe, nämlich in Camargo, Historia de
Tlascala, woraus Prescott a. a. O. II, 44 folgende Stelle mittheilt: La Sierra ne-
vada Ixtaccihuatl, que quiere decir la sierra, que humea y la blanca muger, fe:
wie auch Gomara ſich darüber in ähnlicher Weife äußert: i con otro, que por tener
siempre nieve, diceen Sierra Blanca (Cronica de la Nueva Espaßa in RBareia'.
Historiadores primitivos de las Indias occidentales. Madrid 1749. II, 234). Der
Berg führt außerdem bei den Bingeborenen den Namen Eihuatepetl (Frauenberg) und
Eihuapiltepetl oder Damenberg, von Cihuatl mit dem Zufage pilli, was fo viel ale
Edel oder Edeldame bedeutet (v. Humboldt, Fleinere Schriften I, 467). Aber es
ift nach unferem berühmten Reifenden ganz ungenau, wenn Lorenzana dafür ben Na:
men Zihnaltepec hat (La otra sierra inmediata, que los Gentiles creian era la muger
de el Volcan y por esto la llamaban Zihualtepec, a. a. O. 71). G.
2) Herr v. Humboldt zweifelt nicht, daß der Berg ein erloſchener Vullkan fei,
obwohl felbft bei den Indianern fich Feine Sage vworfände, daß berfelbe einft Feuer
ausgeworfen habe (Essaı I, 162). Wine geognoftifche Unterfuchung des ganzen Ber:
ges fand noch nicht flatt, nur Sonnefchmid, der den Irtaccihnatl bis zu dem Beginn
der Gletſcher befuchte, bemerft, daß das Geftein aus Porphyr und flellenweife aus
Porphyrbreccie, d. 5. alfo in der Sprache der neueren Geognoſie aus Trachyt und
Trachyt: Conglomeraten beftehe (Mineralogifche Beſchreibung der vorzüglichften Ber:
werfs: Reviere von Merico oder Neu: Spanien. (Schleiz) 1804. ©. 322). ©.
C. Piefhel: Die Vulkane von Merico. 191
4786 Meter, 2455 Toifen oder 15,703 engl. Fuß an’). Sein Gipfel
jeigt mehrere eigenthümlich gezadte Spiten von verfchiedener Höhe, die
mit ewigem Schnee bebedt find, und die Phantaſie Bieler macht noch
iegt eine auf dem Rüden liegende Frau daraus, woher auch die in-
diihe Benennung ftammen fol. Der ganze Gebirgsfamm ift von vie-
in Schluchten gerriffen, worin ſich der Schnee fammelt und vielen
Baͤchen den Wafjerreichtbum gewährt, welcher die zu beiden Seiten lies
genden Ebenen von Buebla und Merico befruchtet. Die eigenthümlich
zerriſene Form des Berges macht die Bildung von Gletſchern möglich,
die fih von allen merlcanifchen Schneevullanen auf diefem am zahl
reihften finden, und deren großer Eisvorrath hHauptfächlich die Städte
Merico, Buebla, Eholula, fowie die umliegenden Ortfchaften Jahr aus
Jahr ein verforgt.
Schon im Jahre 1746 foll der Verbrauch des Eifes in der Haupt-
Radt fo bedeutend gewefen fein, daß er 15,522 Befos (1 Peſo =
1 Thle. 13 Sgr. A Pf. preuß.) und einige Jahre fpäter jogar 20,000
Peſos an Abgaben eingebracht haben fol. Noch jett fieht man täglich
in den Straßen von Merico große Ladungen von Eis, in trodenes
Gras verpadt, ankommen, die vom Irtaccihuatl auf Efeln nach Ehalco,
und dann auf Kähnen zu Wafler nach Mexico gebracht werden. Der
Preis des Eifes fol im Verhältniß zu der fonftigen hier herrfchenden
Theurung nur fehr gering fein ?).
Der aus diefen Gletfchern entjpringende Waſſerreichthum ift die
Urfache, daß die Abhänge des Vulkans mit üppigen Wäldern und einer
auffallend reichen Vegetation bevedt find, wie man ſie fonft nur an
wenigen von gleicher Höhe findet.
Bei meiner Reife von Merico über Cuautla, Atlirco nach Puebla,
auf der füdlichen Seite diefer beiden Vulkane herum, fah ich die füd-
’) Oltmanns berechnete aus v. Gerolt's Angaben in befien Perfiles geognosticos
de los principales districtos minerales del estado de Nlexico con las elevaciones
sobre el mar en pies ingleses, die Höhe des Irtaccihuatl zu 2454,8 Toiſen (14,728,8
Bar. Fuß) oder zu 15,698 engl. Fuß (Aſtronomiſche und bypfometrifche Grundlagen
ver Erdbeſchreibung. Stuttgart 1831. ©. 27). G.
2) Ueber die Schnee⸗ und Cisgewinnung am Irtactihnatl berichtet bereits Los
tenzana (S. 71) und auch Sonneſchmid (a. a. O. 321) giebt davon Nachricht. Letzter
fand bei feinem Beſuche des Berges 40 Indianer, die Eisftüde, jedes ungefähr einen
Gentner ſchwer, brachen. ®.
192 €. Biefpel:
öftliche Seite des Irtaccihuatl von Cholula aus und war überrafcht,
in den wilden zerrifienen Beldwänden und Spalten auf dieſer Seite
die Weberrefte eined alten Kraterrandes zu fehen. Nach der großen
Ausdehnung, welche diefelben einnehmen, muß dieſer Krater einft von
ungeheurem Umfange gewefen fein und mehr eine von Sübwelt nad
Nordoſt gevehnte, fpaltenartige Form gehabt haben.
In dem weftlih und nordweſtlich von biefem Bulfanen- Ehepaare
ſich erſtreckenden Hocplatenu von Merkco begegnet man vom Fuße
diefee Berge, namentlich von den Ortfchaften Amecameca, Zlalmanalco,
Chalco bis zur Hauptſtadt Merico hinab einer Menge vulkaniſcher
Bergfegel und Kleiner Erhebungsfrater, die gleichfam ald Trabanten
fih um die großen Bulfane lagern und von deren auögebreiteter Thaͤ—
tigkeit Zeugniß geben. Die Form von vielen ift fo regelmäßig coniſch
gebildet und die abgeſchnittene Spige mit einer fo auffallenden Krater
vertiefung verfehen, daß fie der ganzen Gegend einen eigenthümlichen
Charakter verleihen. Man fteht oft in ihnen das fehönfte Bil eines
Bulfans in verfleinertem Maßſtabe, und vielleicht haben fie auch in
ihrer Weiſe eben fo thätigen Antheil an der Bildung dieſes Hochlan-
des genommen, wie die großen Vulkane. Viele von ihnen find mit
Bäumen bevachten, tragen jetzt auf ihrem Scheitel eine Wallfahrtd
firche, und bilden durch ihre Form eine große Zierde der ganzen Ge
gend. Andere find nur mit dürrem Gras und Cactuspflanzen bewach⸗
fen und dienen zu Steinbrüdhen.
Einer der merfwürbigften diefer Fleinen Vulkane, Coschumac
genannt, befindet fid) in unmittelbarer Nähe des Dorfes Ayotla, 7 Le
guas von Merico, die zweite Station auf der großen Straße nah
Veracruz. Die hoͤchſte Spige ift nach barometrifcher Meflung 852
engl. Fuß über der Ebene von Merico. Diefer Krater ift von ziemlich
runder Form und Hat 300 Fuß im Durchmeffer. Die Hauptausflußs
öffnung an dem unteren Rande liegt gegen Often; fowohl innerhalb,
wie außerhalb des Kraterd iſt der Berg mit einer grünlich grauen,
wenig feſten Maſſe bevedt, welche im Bruch erdig und deutlich ge
fchichtet iſt; fie ift mit runden Körnern gemifcht, die ihr ein poröfes
Anfehen geben. Daß dieſe Maſſe den einfligen Lavaftrom gebildet hat,
beweifen die gleichförmigen Schichten, welche, mantelförmig um ten
Krater abgelagert, ihm feine conifche Geftalt gegeben haben. Inner
Die Vulkane von Merico. 193
halb, wie außerhalb Des Krater findet man Städe von bafaltifcher
Lava und anderen vulfanifchen Felsarten, wie porphyrifches und tras
chytiſches Geftein im Lavaſtrom eingefittet, wie man fie über das ganze
Thal von Merico al8 Elemente der vulkaniſchen Auswürfe zerſtreut
fieht.
Eine andere Art von Felskegeln, die man nicht weniger zahlreich
auf diefem Hochplateau bemerkt, fcheint dagegen einen ganz anderen
Urfprung zu haben, indem ſie fchon in ihrer Außeren Yormation und
Beftalt ein von den eben befchriebenen Kraterfegeln völlig verfchienenes
Ausfehen zeigen. Zu biefer Klafie von Hügeln gehört ver 3 Stunden
von Merico, dicht an der großen Straße nad) Pucbla und Vera⸗Cruz
belegene Felshuͤgel, EI Peñon viejo genannt (Peüon bebeutet im
Spaniſchen einen ifolirten hohen Berg), deſſen eigenthümliche runde
Geſtalt, fowie die concentrifhe Schichtung der Felsmaſſen auf die Ent-
Rehung durch Emporfteigen einer flüffigen Maſſe, welche gehoben nad)
allen Seiten gleichmäßig abgeflofien und dann erflarrt ift, fchließen
lt. Die Maſſe beftcht größtentheild aus einer rothen poröfen Lava,
die an einzelnen Stellen in ein compactes Porphyrgeftein übergeht.
Auf der ganzen Oberfläche findet man hohle Blafenräume von biefer
Lava, die fich durch das Austrodnen und Entweichen der wäfjerigen
Theile gebildet haben. Sie dienen theild den armen Leuten zu Woh—⸗
nungen, theil8 zu Ställen für das Vieh. Ein diefem ganz ähnliches
Gebilde zeigt der Peñon nuero, ein Heiner ifolirter Felshügel, ber
eine Stunde nörblid von Merico ſich aus dem flachen, moorigen Ufer
des See's von Tescoco, links von der Straße nach Vera⸗Cruz, er
hebt und durch fein iſolirtes Erjcheinen auf der weiten Ebene dem
ganzen Thalbilde eine befondere Eigenthümlichkeit giebt. Diefer Peñon
hatte bei feiner fuppelföürmigen Geftalt und feinem fchichtweife gehobes
nen, wildzerriſſenen Geftein von rother und fehwärzlicher poröfer Lava,
worin er gleichfalls Höhlen und Lufträume darbletet, ohne Zweifel dies
ſelbe Entftehung, wie der ‘vorhin befchriebenee Das Emporfleigen Dies
fer Mafien muß zugleich mit einer vulfanifchen Eruption verbunden
geweien fein, indem das Geftein aus einer Miſchung faft aller vulfa-
niſchen Felsarten und ihrer verfchiedenen Uebergaͤnge beſteht. Man
findet Hier die rothe und ſchwarze poröfe Lava in dichtere rothe und
ſchwarze Maſſen übergehen, die bald Feldſpathkryſtalle aufnehmen und
Zeitſchr. f. allg. Erdkunde. Br. V. 13
194 C. Pieſchel:
verſchiedene Porphyrarten bilden, bald als Bafalt, Mandel⸗ und Kling:
ftein, fowie ald tradhytifche Yeldarten auftreten und fchöne traubenfor:
mige Hyalithe zeigen.
Am Fuße des Berges entipringen” heiße fchwefelhaltige Quellen, die
von den Merifanern vielfach als Heilbäder benupt werben, und deren
Temperatur auf AL R. angegeben wird. Das Waſſer enthält viele
Kohlenfäure, Schwefelfäure, Chlornatrium und fchwefelfauren Kalt.
Eine ähnliche, reich mit Kohlenfäure gefchwängerte Schwefelquelle
befinvet fih in dem 1 Legua von Merico entfernten mericanifchen Wall:
fahrtsorte der heiligen Guadalupe, gleichfalld am Fuße eines Kleinen
Hügeld. Ihr Waſſer wird getrunfen und vielfach zum Baden von den
gerwöhnlichen Leuten benugt. Die Apotheker und Chemiker aus Merico
fammeln ſich hier mit leichter Mühe ihre Koblenfäure vermittelft eines
einfach über die Quelle gebedten Helmes, indem fie jo das Gas auf:
fangen und in wenigen Augenbliden mehrere Schweinshäute damit
füllen, um baffelbe zur Stadt zu bringen.
So find auch die fchönen, Haren, warmen Schwefelquellen auf
dem Weitabhange des Popocatepetl, in der Nähe von Guautla unt
Huastepec, Die von rheumatifch Leidenden oft zum Baden benupt wer
den. Erftere entfpringt aus einer vulfanifchen Felswand und hat un
gefähr 28 R. Wärme; letztere bildet ein ſchoͤnes, von üppigen Platanen
umfchlofienes Beden, aus deſſen weißkiefeligem Grunde das Waffer in
ſchwefelwaſſerſtoffhaltigen Gasbläschen aufperl. Das Waſſer biefer
Duelle ift fchwefelhaltiger und wärmer, als Das der erfteren.
Der Porphyrhügel von Chapultepec, 1 Legua fübweftlich von
Merico, am Wege nad) Tacubaya und Toluca, ift hier gleichfalls noch
als ein folcher emporgehobener Hügel zu nennen, welcher fich iſolirt
aus der Thalebene erhebt und früher wahrfcheinlich von Wafler um-
flofien war. Seine Höhe beträgt 204 Fuß über dem Platze der Haupt:
ftabt. Er beſteht, wie die erfien, aus röthlichem, dunkelgruͤnen Porphyr⸗
geftein mit eingefchloffenem Feldſpath und Hornblende. Aus feinem
Buße entfpringt eine reiche, mit vielem Fohlenfauren Kalt gefchwängerte
Duelle, deren Wafler auf einem 10,800 Fuß langen Aquaduct zur
Hauptfladt geführt wird. Der aztelifche Name fol Berg der Graͤ—
ber bebeuten und Ghapultepec die Begräbnißftätte der alten Herrſcher
geweien fein, worauf auch der fchöne alte Cedern⸗ und Cypreſſen⸗Hain
Die Bulfane von Mexico. 195
(Cupressus disticha), der ihn in ehrwürbigen, majeftätifchen Exem⸗
ploren umfchließt, Hinweifen duͤrfte. Andere behaupten, Ehapultepec
jei vor der Eroberung Merico’8 der Luflort der Könige von Anahuac
gewefen. Der Vicekoͤnig Graf Galvez erbaute auf königliche Koften
ein Schloß auf feinem Gipfel; fpäter ift daſſelbe wegen feiner beherr⸗
Ihenden Lage befeftigt worden und Hat in Revolutiongzeiten oft zu
Waffenplaͤtzen gedient; jetzt ift e8 zu einem Militair-Collegium umges
wandelt und der den Felſen umgebende Garten mit feinen alten Cy⸗
prefien dem täglichen Befuche des Publikums geöffnet.
An den drei legtgenannten Hügeln findet fi) Feine Spur von
einem Krater oder einer gewaltfamen vulfanifchen Eruption; fie tragen
vielmehr, wie bereits erwähnt, das Gepräge eimer ruhigen Erhebung
duch unterirdifched Feuer umgebildeter, mehr ober weniger gefchmolges
ner Maſſen, die an der Oberfläche der Erde duch Einwirkung von
Luft und Waſſer erflarrt find. Daß das lebte Element hier vorzüglich
mitgewirkt hat, dafür fpricht namentlich die Lage ber Hügel, die darauf
hinweift, daß fich diefelben einft aus dem Wafler des See's von Tescoco
erhoben Haben, welcher früher, wie jebt noch oft bei anhaltender flarfer
Regenzeit, fie wie Infeln mit feiner Waflerfläche umgeben haben mag.
Weſtlich vom Srtaccihuatl erhebt fich der
Cerro de Ajusco,
der mit ſeinem ſich von Oſten nach Weſten hinziehenden Gebirgsruͤcken
im Süden das Thal von Mexico unter dem 19° 15’ 27” n. Br. und
101° 32’ 45” weftl. &. fchließt. Derfelbe führt den Namen von dem an
kinem norvöftlichen Abhange gelegenen Heinen Dorfe Afusco, und feine
Höhe wurde durch Meflung zu 12,054 Fuß beftimmt '). Er erreicht
nicht die Grenze des ewigen Schnee’8 und nur in den kälteren Winters
monaten December bis Februar fieht man zuweilen Tage lang feine
Spike und Abhänge mit Schnee bevedt, was Dann bei der nur etwa
10 bis 12 Leguas betragenden Entfernung von ber Hauptflabt die
Aufmerkſamkeit der Mexicaner ald Prophezeiung einer Falten Witterung
auf fich zieht.
!) Dltmanns beflimmte die Höhe nach v. Gerolt's geognoflifcher Karte au
12,064 engl. Fuß oder zu 1886,65 Totfen (11,319 Par. Fuß) a. a. ©. 1, 1, 28.
G.
13*
196 | C. Pieſchel:
Ich beſtieg den Cerro de Ajusco am 16. September 1852 in Ge
fefchaft eines ehemaligen preußifchen Offizierd, Bar. v. H., mit dem
ich einen mehrtägigen Spaziergang und eine Jagbpartie in den Bor
bergen dieſes Vulkans gemacht hatte. Wir Drachen, begleitet von einem
anderen Deutfchen und zwei indiſchen Führern, am gedachten Tage früh
6 Uhr zu Fuß aus dem Dorfe Santa Magdalena de lad Kontrerad
auf und gingen über das hochgelegene Dörfchen San Nicolas, welches
fchon eine herrliche Ausficht auf das Thal von Merico darbietet, über
die Hacienda Islada, durch die bewaldeten Bergabhänge in directer
Richtung dem Gerro de Ajusco zu. Der Weg durch einen forwwaͤh⸗
venden Pinienwald, durch üppig bewachſene Schluchten, über Hare und
wafferreiche Sturzbäche, über Wiefengrünbe, offene Walpftellen, auf
weichen iſolirt Heine Rancho's mit Viehwirthſchaft liegen, ſowie über
zomantifch gelegene Holsfchneidemühlen war reich an mannigfachen Ab:
wechfelungen und fchönen Raturfcenen. So paffirten wir den Beinen
Waſſerfall Cascada de Llano del negro, den Rancho viejo, Rancho de
Campana und gelangten gegen 10 Uhr in die elenden Holzhütten des
Heinen Rancho agua es condida. Nach Beforgung eined anderen fun
digen Führers bis zur Spitze Des Berges fegten wir nach 12 Uhr un-
ter Anführung eines 14 jaͤhrigen Knaben, Ceſario Naba, der uns auf
die höchfte Spige zu führen verfprach, unferen Weg fort, immer im
dichten Pinienwalde auffleigend und einem Kleinen Bache folgend.
Rah einer halben Stunde gelangten wir auf eine Hochebene,
Monte alegre, in deren hohem Grafe Rindvieh und Pferbe weibeten,
und Die im Süden von einer pittoredfen Yeldpartie begrenzt und von
einem waſſerreichen Bache durchriefelt wurde. Die Spitze des Gern |
trat hier bereitd majeftätifch und entgegen und zeigte fich deutlich ald
Kratertvand eines gegen Norbweften geöffneten Kraterfegeld. Wir über
fchritten am Zuße diefe Oeffnung, Die vieleicht den vierten Theil des
Kraterd einnimmt, und fliegen im Norden auf dem äußeren, fchrägen
Abhange des Kraterrandes über loſes, mit üppigem Grafe und alten
Tannen bewachjenes Geftein aufwaͤrts. Die Kraterränder find nad
innen, wie nach außen bis zur hoͤchſten Spitze bewachſen; die inneren
fallen fteiler ab, al8 die Außeren, und tragen bis zum oberften Rande
die fchönften Pinien, ein Zeichen, daß hier bereits feit vielen Jahrhun:
derten jede vulkaniſche Thätigkeit erlofchen if. Wo einft die Natur ein
Die Vulkane von Merico. 197
maͤchtiges, Verderben bringendes euer fchürte, da brennt jet der arme
Kohlenbrenner mühfam feine Kohlen zum täglichen Erwerbe.
Wir erklimmten die höchfte, von dem norböfllichen Rande des
Kraterd gebildete Spige auf dem Außeren Kraterrande zwifchen dem
lockeren Geftein und dem üppigen Graſe ohne Gefahr, wobei wir oft
auf entwurzelten alten Tannenflämmen die bequemften Ruhefige fanden,
um neue Kräfte, die bei der binnen Luft doppelt erforderlich waren,
u fammeln. Gegen 3 Uhr erreichte ich auf dem höchſten Rande,
deſſen Rüden oft kaum 3 Buß breit ift und von wild durcheinander
liegenden Felsblöden gebildet wirb, über dieſe einige Hundert Schritte
hinkletternd, vie höchſte Spige, Cerro grande de Ajusco. Ich hatte
die reichfte Ausficht um mich; das Thal von Merico mit der weißen
Häufermafje der Hauptftadt fchien fo dicht unter meinen Füßen zu
liegen, daß man die einzelnen Straßen zu erkennen glaubte; dahinter
und zur öftliden Seite lagen die Seen von Tescoco und Zochimilco,
eingefehlofien von der grünen Thalfläche und einem weiten Gebirgs-
freife, defien hoͤchſte Spigen, die Schneehäupter des Srtaccihuatl und
Popocatepetl, majeftätifch herüberjchauten. Alles dies, ſowie die unzäh:
ligen Ortfchaften mit ihren weißen Kirchen, San Angel, San Auguftin
de las Cuevas, Zochimilco, Tepeca, Mircoac, Tacubaya nebft anderen,
und die mit ihren dunklen Obftgärten und üppigen Feldern ſich von
den Abhängen in die Ebene hinabziehenden Hacienda's gaben dem Bilbe
einen fo mannigfaltigen großartigen Charakter, daß man wohl felten
ein ähnliches wiederfinden möchte.
Die Kraterwaͤnde fallen fchroff ab, find aber dennoch größtentheild
mit einer üppigen Vegetation, namentlich mit ſchlanken Pinienftämmen,
bedeck.. Im Süden erhebt fich der Kraterrand zu einer abgerundeten,
gewoͤlbten Spige und fcheint dem erſtgedachten dreifantig fpitzulaufen-
den Gipfel den Rang hinfichtlich der Höhe flreitig zu machen. Jene
Spige iſt vielleicht nur wenige Fuß niedriger und hindert Deshalb die
weitere Ausficht in die dahinter liegende Tierra caliente, nach Cuer⸗
navaca und Tasco. Der Kraterrand zeigt nur an einigen Stellen in
der inneren Seite nadtes Geftein, wo wegen feines fteilen Abfalles
feine Vegetation zu haften feheint. Das Geftein befteht aus Trachyt
und bafaftifchen Lavaftüden. Gegen Nordweſten ift der Krater zum
vierten Theile bis auf feinen Grund geöffnet, und von feinen gewaltis
198 € Pieſchel:
gen Auswürfen und Ausſtroͤmungen nach diefer Seite geben die lan-
gen, von vulkaniſchem Schlamm und Aſche gebildeten Bergrüden Hinter
den Ortfchaften Tacubaya, Mircoac, Tlacopaque, San Angel, San
Hieronimus, Santa Magdalena bis San Auguftin, ſowie der foge
nannte Pedregal, ein ſchwarzer Lavaſtrom zwiſchen San Angel, Tiiv
pan, Eoyacan und San Auguftin, offenbar das Produkt der legten
Eruption, die großartigften Beweiſe. Den Krater umgeben vide Fel⸗
jenfegel und vulfanifche Hügel, die fich auf den einzelnen Abftufungen
der Abhänge bis in die Ebene von Merico Hinabziehen. Sie find alle
dicht bewachfen und beftehen aus vulfanifchem Geftein.
Sintereffant iſt e8, in der Kormation des gedachten Pedregal's noch
den Fluß der einft flüffigen Lava zu erfennen und zu fehen, wie fih
dieſe mächtigen Maffen in deutlichen Gefchieben über einander gelegt
haben. Derfelbe it noch wenig bewachen, und feine Vegetation zeich⸗
net fich merklich von der benachbarten aus, indem die Pflanzen meilt
den Euphorbien angehören, milchigen Saft haben und einen tippigen,
aber Traftlofen Wuchs zeigen, fo daß ich diefe Vegetation eine vulfa
nifche nennen möchte. Ihr fonderbarer Character wird dadurch hervor:
gerufen, daß fie noch wenig Humus auf biefer poröfen Lava findet
und fi nur durch das Regenwaſſer und den nächtlichen Niederichlag
nähren kann. Eben fo eigenthümlich für die Lage ift die Thierwelt
auf diefem Ravafelde, wo man unter anderen viele Schlangen antreffen
fol, die fonft nur Bewohner wärmerer Landflriche find. Auch bemerkt
man Infelten hier, 3. B. rothe Ameifen und befondere Arten von Baum:
wanzen, die fonft nicht im Thale von Merico gefunden werden und nur
in den tiefer gelegenen, der Tierra caliente angehörigen Orten leben.
Ein nicht minder intereffantes Product dieſes Vulkans iſt ein
brödliches, leichtes Lavageſtein, welches in den Bergrüden hinter Ta-
cubaya gebrochen und vielfach zum Bau der Häufer in Merico, wie
in den umliegenden Ortfchaften verwandt wird. Daffelbe ift eine mäd:
tige, haufig Gerölle ſchwarzer doleritifcher Laven enthaltende Ablagerung
von Trachyttuff, der fich leicht bearbeiten läßt und, in regelmäßige vier:
fantige Steine gehauen, an der Luft ſich erhärtet. Diefer vulkaniſche
Tuff, fowie der tiefer fich ihm anfchließenve abgelagerte Mergel zeigen
auf's deutlichfte, Daß beide zu einer Zeit ausgeworfen, reſp. abgefegt wur⸗
den, als das Thal noch in einem weit größeren Umfange und zu eine:
Die Bulfane von Mexico. 199
weit beträchtlicheren Höhe mit Wafler gefüllt war, als jebt, und das⸗
felbe noch feine bindende Kraft auf diefed Eonglomerat, wie man es
jegt findet, ausüben konnte. Daß diefe Tuffmaffe vulfanifchen Urfprungs
it, beweift auch die Lage von ſchwarzer Lavaafche, die man dicht Hins
ter Tacubaya darunter in einer Tiefe von 15 bis 20 Fuß beobachtet,
und die dad Ausjehen einer ganz frifchen, erft Fürzlich ausgervorfenen
vulkaniſchen, blaufchwarzen Afche hat. Nach dem Umfange diefer vul⸗
fanifhen, den Cerro de Ajusco umziehenden Abhänge zu fehließen, muß
diefer Bulfan einft eine außerordentliche Thätigfeit entwickelt haben,
und es fcheint faft der ganze ihn umlagernde Bergrüden, nach feiner
vullanifchen Befchaffenheit zu urtheilen, ihm feinen Wrfprung zu vers
danfen.
Wir beabfichtigten, am Abend vom Cerro de Ajusco nach dem
auf dem füdlichen Abhange gelegenen Rancho del Flojo zu gehen, wurs
den aber durch unferen Führer theild wegen der heranrüdenden Nacht,
theild wegen der angeblich weiten Entfernung veranlaßt, denfelben Weg
urüd einzufchlagen, den wir binaufgeftiegen waren, und fehrten erft
mit einbrechender Nacht in den Rancho Agua es condida zurüd. Die
freundlichen, einfachen Bewohner gewährten uns mit vieler Bereitwillig⸗
keit ein, wenn auch fehr einfaches Obdach für die Nacht. Anderen Tages
Riegen wir über die Thalabhänge, neben vielen Heinen vulfanifchen Hüs
geln vorüber, nach Mexico zuruͤckkehrend, nach dem Heinen elenden Ge-
birgedorfe Ajusco und nad) Tlalpan oder San Auguflin de Ind Cuevas
hinab. Der lept erwähnte Ort liegt auf der Straße von Merico nad
Acapulco, am Fuße des Cerro de Ajusco, umgeben von vulfanifchen
Alchenfeldern und Lavahuͤgeln. Er hat feinen Beinamen de lad Eue-
vas von mehreren Höhlen in dem nahen Gebirge, die durch unterirdi⸗
Ihe Gänge mit einander in Verbindung fiehen und 3 bis A Stunden
weftlich von hier zwifchen den Ortfchaften Santa Fo und Guajimals-
pan auf der Straße von Merico nach Toluco ausmünden follen. Die
Sage erzählt von ihnen, daß heidniſche Myſterien vor dem eindringen-
den Ehriftenthum darin Schuß gefucht hätten. Auffallend if «8, daß
trotz der eifrigften Nachforfchungen jegt über diefe Höhlen und Gänge
richte zu erfahren iſt.
(Bortfeßung folgt )
VII.
Zur Kunde von Suͤd⸗Afrika.
Während die wiſſenſchaftliche Erforſchung der Nordhaͤlfte des afri⸗
kaniſchen Continents fortwaͤhrend im gedeihlichſten Fortſchritte begriffen
iſt und faſt jedes Jahr neue dankenswerthe Beiträge zur Erweiterung
und feſteren Begründung des Bekannten liefert oder Lüden ausfüllt,
it man in Süd⸗Afrika nicht weniger thätig, wo man freilich ver
bältnigmäßig mehr von den Umftänden begünftigt wird. Hat auf
Süd-Afrifa in feinem größten Theile Teine fchiffbaren Fluͤſſe, welche
den wifienfchaftlichen Forfcher, wie unter den norbafrifanifchen Strö-
men der Ril, Senegal, Gambia und Niger, mit Leichtigkeit tief in das
Innere zu fchaffen vermöchten, fo erfreut es fich dagegen mehrerer an⸗
derer für den europätfchen Reifenden nicht weniger wichtigen Borzüge,
wozu namentlich der meift fehr fanfte Charakter der Eingeborenen, die
faft gänzliche Abwefenheit des muhamedanifchen Yanatismus, die unges
heure Ausdehnung deſſelben Sprachgebiets und endlich das beſſere Klima
innerhalb eines fehr bedeutenden Theils feines Bereichs gehören. Aber
vor Allem wurden Hier die Korfchungen durch die Verhältniffe des Cap»
landes begünftigt, welches, ungeachtet feines völligen Mangels an ſchiff⸗
baren Strömen, durch die fortfchreitende Ausdehnung feiner Grenzen,
die fleigende Zahl feiner Bewohner, das MWachfen feiner @ultur und
feines Wohlftandes, feine georonete Verwaltung, endlich durch die auss
gezeichnete Trefflichkeit feines Klima immer den beften Ausgangspunft für
Reiſende nach dem füdafrifanifchen Binnenlande geboten hat. Deshalb
ſah diefer Theil des Continents viel mehr, als jedes andere afrifanifche
Küftenland, die von ihm ausgegangenen Forſcher nach Erreichung ihres
Gumprecht: Zur Kunde von Süd⸗Afrika. 201
Zweckes heimfchren. So finden ſich in der überaus langen Reihe von
Märtyrern, welche die Erforfchung Afrifa’s während der lebten 60
Jahre erforderte, nicht mehr als ſechs Männer '), die, von dem Cap⸗
lande auögegangen, als Opfer ihrer Beftrebungen einem frühen Tode
verfielen. Es waren dies die im Jahre 1807 in den Betfchuanenländern
ermordeten Engländer Cowan und Donavon, dann bie beiden Schotten
Cowie und Green, welche im Jahre 1829 an der de Lagöa⸗Bai das
flimatiiche Fieber hinwegraffte, ferner der Engländer Martyn und ber
deutfche Naturforſcher Seivenftüder, die im Norden des Garip gleich⸗
falls von den Eingeborenen ermordet wurden, endlich der Engländer
Alfred Dolman, den muthmaßlich feine eignen Leute, Hottentoten von
Geburt, auf feiner Rüdkehr vom großen NgamisSee im Jahre 1851
erihlugen. Hatten aber die vom Eaplande aus begonnenen Forſchun⸗
gen fo treffliche Folgen, daß in den Testen Jahren ein großer Theil
Suͤd⸗Afrika's von der Capſtadt bis Angola durchfucht werden fonnte,
jo fehlen dagegen von den Welt» und Ofträndern des Gontinents
in dem Inneren gewonnene, Refultate in hoͤchſt auffallendem Grabe,
wenn man die von den beiden muthigen deutſchen Mifftonaren Krapf
und Rebman erworbenen ausnimmt. “Died wäre- um fo auffallender,
als bekanntlich feit mehr als 300 Jahren eine europätfche Macht, die
der Bortugiefen, ausgevehnte Beftgungen dort befaß, finden fich nicht
in dem mörberifchen Klima der Küftenländer, wodurch jede europäifche
Eolonifation derſelben unmöglich wird, in dem Drude, der Habfucht
und dem Fanatismus der portugieftfchen Behörden, dem überall ver:
breiteten Sflavenhandel, der jedem freundlichen Verhaͤlmiſſe der Ein-
geborenen mit den Portugiefen im Wege fteht und dadurch eine ges
nauere Erforfchung der Binnenländer hindert, in der fleigenden Auf-
merffamfeit, die Portugal früher Brafilien zuwandte, je mehr man deſſen
Schaͤtze kennen lernte, endlich in der langen, durch die fpanifche Herr⸗
(haft veranlaßten Erfchlaffung des portugiefifchen Nationalgeiftes, in
dem fchlechten Zuftande des Unterrichts im Mutterlande, wodurch meift
unwiſſende Beamte In die Eolonien kamen, fowie in den falſchen Han-
1) ine lange und doch keineswegs vollſtaͤndige Lifte der Opfer afrikaniſcher Ent:
befungsreifen bis zum Jahre 1851 habe ich in den Monatsberichten der Berliner geo:
graph. Geſellſchaft N. F. VI, S. 73— 86 zufammengeflellt.
202 Gumprecht:
delsprincipien der Regierung, welche bis in die lehten Jahre allen
fremden Schiffen den Zutritt in die Häfen der Colonien abfchloß '),
und in der unausgeſetzten Finanznoth Portugals hinlängliche Grünte
für diefe Erfcheinung ). Aber ungeachtet aller folcher ungünftigen Um:
fände würde unfere Kenntnig Suͤd⸗-Afrika's Doch viel umfaffender fein,
hätte nicht ein im Beginn des 16. Jahrhunderts gegebenes und lange be:
ftandenes Geſetz jede Veröffentlichung über die portugieftfchen Entdeckun⸗
gen ohne Genehmigung der Regierung bei Todeöftrafe unterfagt (Le
Bret, Gefchichte von Venedig. II, 869), was zur unmittelbaren Folge
hatte, daß die portugieflfche Regierung fich zuletzt felbft ohne alle ge
nauere Kenntniß des Zuftandes ihrer afrifanifchen Befigungen befand ’)
und daß eine große Menge von älteren portugiefifchen hiftorifchen und
erdkundlichen Arbeiten ungebrudt bleiben mußte oder völlig verloren ging,
und wären auch die in neuerer Zeit in. Portugal erfchienenen Werke
der Art im übrigen Europa bekannter geworden. Wie reich 3.2. einſt
die portugiefifche Literatur an Schriften über Aftifa war, viel reicher,
2) Erſt durch ein Decret vom 5. Mai 1844 wurden die Häfen bes portngient:
ſchen Afrifa dem fremden Handel geöffnet. Dies gefchah an der Weftfeite des Conti:
nents mit denen von Loanda und Benguela und hatte fo guten Grfolg, daß ſich ver
Verkehr felb mit Poringal fofort hob (T. Omboni, Viaggi nell’ Africa occidentalr.
Milano 1846. ©. 393).
2) Don den faft unzähligen Zeugnifien und Urtheilen Seitens wohl unterriäte:
ter Männer aus den meiften feefahrenden Nationen über viefe Berhältniffe genügt es,
zwei hier anguführen. So fagt der mit den Verhältniſſen Sud⸗Afrika's durch feine
longiährigen gründlichen Studien fo wohl vertrante Desb. Cooley Folgendes: The
Portuguese could never engraft commercial prosperity on the systerm, which withered
bencath their grasp. The avarice and fanatism, which in the sixteenth century ren-
dered them equal to the boldest enterprizes, at the same time made their con-
quests barren and spread desolation around their paths. Edinburgh
Review 1837. LXI, 383. Ebenſo äußerte fi) mehr als 30 Jahre früher der frau:
zöftfche Seeoffizier Ohier de Degrandpre, ein trefflicher und zuverläffiger Beobachter,
nach eigenen Beobachtungen im portngiefiihen Wefts Afrifa in feinem Werfe: Voyage
à la cöte occidentale de l’Afrique, fait dans les anndes 1786, 1787. 2 Vol. 8. Parıs
1801. 1I, 34: ... Les diablissements des Portugais en Angola sont gouvermnes par
Pavarice et la cruaute.
3) Schr wahr fagt in ber Hinficht der britifche Capt. Tuckey: Les Portugai
furent ensuite les premiers, qui s’avanctrent des cötes dans P’interieur et ils y receuilli-
rent sans doute beaucoup de renseignements. Malheureusement pour l’univers il
entrait dans leur plaisir de tenir leurs decouvertes secretes et ils l’executörent sı
bien, que leurs €crits furent perdus m&me pour eux. ( Branzöfifche Ueberſetzung von
Tuckey's Reife nach dem Gonge. Paris 1818. I, 8.)
Zur Kunde von Süd= Afrika. 203
ald die Zahl der befannt gewordenen gebrudten ahnen läßt, ergiebt ſich
ihon aus den noch in den Archiven und Sammlungen Portugals und
des Auslanded vorhandenen ungebrudten Manuferipten oder auch nur
aus den Titeln der einft vorhanden geweſenen Werke. Dahin gehört
die allgemeine Geographie des berühmten Hiſtorikers João de Barroß,
die von ihm erwähnt wird, der dritte Theil der Chronik des Königs Jos
hann des I., unter dem fein Sohn, der Prinz Heinrich, die glänzende
Reihe der portugieflichen Entvedungen begann, der Auszug der Memoi⸗
ren dieſes Prinzen felbft über die neuen Entvedungen, die Beichreibung
von Afrifa (Methiopien) des berühmten Seehelden Vasco de Gama, bie
Beichreibung von Guinea von Franz Lamos, die der Minen des öftlichen
Aethiopiens vom P. Franz v’Avelar, endlich D. Man. Barrada's Beichrei-
bung von Aethiopien, Schriften, die wahrfcheinlich fammtlich verloren ges
gangen find (Menges de Drumond in Berneur Journal des voya-
ges. Paris 1826. XXX, 199). Bon anderen Werfen der Art fennt
man wenigftens ihre noch jetzige Eriſtenz. So’ befindet fich in Der gro⸗
Ben Bibliothek ded Herzogs von Cadaval ein Band in Folio, enthals
tend eine Gefchichte von Afrifa, ebendort ein Heft in Folio über bie
medicinifchen Pflanzen und Wurzeln in den Wüften Angola’s ’), fowie
eine Sammlung von auf die Entdedungen der Portugieſen bezüglichen
Documenten in nicht weniger als 18 Foliobänden nebft vielen anderen
Bänden von geringerem Umfange, ferner in der öffentlichen Bibliothek
zu Liffabon ein merfwürbiges portugiefifches Manuſcript von Dominif
©. Abreu de Brito unter dem Titel: Summariſche Befhreibung
des Königreihe Angola, der Entdeckung der Infel Lo—
anda und der Größe der Landeshauptmannſchaften Bras
filiens, gefchrieben im Jahre 1592 und durch den Verfafler dem
König Philipp I. (Philipp II. von Spanien) mit dem Zwecke gewids
met, ihm über die Vergrößerung feiner Staaten und bie Bermeh-
rung feiner Einnahmen Rath zu ertheilen ); in ber Bibliothef ber
3) Im I. 1841 fandte die Sanitäts:Commiffion von Angola eine Saumlung
von 57 verfchievenen heilfräftigen Wurzeln, deren fich die Cingeborenen Angola’s mit
großem Nupen bevienen, nach Liſſabon, wo fie bie jeßt noch feinen Bearbeiter gefunden
haben. I. v. Minutoli, Portugal und feine Kolonien im Jahre 1854. 2 Bde. Stutt-
garbt 1855. 11, 305. Auch Omboni giebt ein Verzeichniß folcher Wurzeln (389400).
2) Nah Menzzes de Drumond, ver dies Manufeript abfchreiben ließ, giebt das⸗
jelbe fehr wichtige Nachrichten über die Landcommunication quer durch Afrika von
204 Gumprecht:
liſſaboner Akademie der Wiſſenſchaften ein 3 Foliobaͤnde ſtarkes Ma—
nuſcript, verfaßt unter der Regierung König Johann des IV. (re
gierte von 1640 bis 1656) von Anton Dliveira de Cadornega, deſſen
erfte zwei Bände die Eroberung und @olonifation Angola’ im Detail
behandeln, der dritte die Geographie und Statiſtik dieſes
Landes enthält (Mendzes de Drumond a. a. O. 200), endlich in der
Bibliothek des Grafen Vimieyro eine Befchreibung Angola's von Joäo
Mendes de Vasconcellos (Relagäo do Reino de Angola) "), und eine
Beichreibung Guinea's von P. Manoel Alvared (Descripcäo geo-
graphica da Africa, chamada Guine) ?), fämmtlicd Arbeiten, die den
neueren Schriftftelleen über das portugieftfche Afrika ganz unbekannt
geblieben zu fein fcheinen. Außerdem finden ſich im Liffaboner Archiv
über 200 unebirte Briefe Albuquerqued von feinen Zügen in Oft:
Afrifa und Indien nebft vielen Actenftüden über die Verwaltung Of:
Afrika's (Kunſtmann in den Münchener gelehrten Anzeigen 1844. I,
405, 406) und in der Bibliothek von Ajuda ein Coder mit Berich⸗
ten über die Entdedung von Guinea, EI Mina (St. Georg del Mina,
der jeßige Hauptort der niederländifchen Befigungen in Guinea), Ca:
cheo, Congo und Angola (Annäes maritimos e coloniäes. Lisboa
1845. V. Parte näo official. ©. 102) *). Biele Documente follen
aber fon zur Zeit der Philippe nach Spanien gewandert fein (Annäes
V, 108), fo daß den zufünftigen portugiefifchen Forſchern über die
Thaten ihrer Vorfahren auch in dieſem Lande eine reiche Erndte zu
machen bevorfteht. Selbft nach anderen Ländern wurden zuhlreiche por;
tugiefifhe manuferiptliche ältere Schriften und Documente geographis
fhen Inhalts verfchlagen. So befigt das britifche Mufeum die Hands
fchrift der fogar in Portugal völlig unbekannten und deshalb nicht in
Angola nach Mozambique, die man fogar ſchon damals Fannte, obgleich die Portugie⸗
fen erft wenige Jahre vorher, im 3. 1574, unter ihrem Anführer Paulo Dias de No:
vaes in Angola angelommen waren und bier feiten Fuß gefaßt Hatten.
1) Nach Diego Barbofa Machabo’s Bibliotheca Iusitana. Fol. Lisboa 1759.
II, 702.
2) Ebendort IN, 173.
2) In diefem ober follen fih viele Nachrichten ethnographifcher Art für vie
Epoche von 1590 bis 1630 finden; berfelbe enthält 3. B. den Bericht eines Gapi:
tains Cijara Mendes Eaftellobranco über feine Reife nach dem Reiche Gonge, alfe
nad einem anfcheinend Höchft intereffanten Lande, von dem wir noch jebt fo viel wie
gar nichts wifien.
Zur Kunde von Süb =» Afrika. 205
die große, zu Liffabon im Jahre 1778 — 1788 gebrudte Ausgabe des
Gefchichtswerfes von de Barros und feines Fortfeherd Diego do Couto
aufgenommenen 10. Decade des leztern Autors, woraus Desb. Cooley
in feinem früher bier erwähnten Werkchen: The Negroland of the
Arabs, noch einige interefiante Notizen zur Aufflärung der Kunde
des öfllichen Süd: Afrifa entlehnen fonnte (jo ©. 136). Ferner findet
fih in der großen Taiferlichen Bibliothek zu Paris das fchon erwähnte
Werk von Cadornega über Angola (Duatremöre in den Notices et
extraits de la bibliotheque du Roi, XII, 634), welches einft der
Bibliothef der Parifer Abtei St. Germain des Proͤs angehörte und
mutbmaßlich auch identifch mit dem dreibändigen manufecriptlichen Werfe
über Congo, Angola und Benguela ift, das ver befannte Weberfeger
der Reife des portugiefifchen Jeſuiten Lobo in Bortugal in der Bibliothek
der gräflichen Familie Ericeira antraf und mitzunehmen die Erfaubniß
erhielt. Iſt letztes der Fall, jo hätten wir in Cadornega's Werke viele
interefjante Auffchlüfle namentlich über das Innere Angola’s zu erhal
ten, da Legrands Manufcript (Voyage du Pere Lobo en Abyssinie.
Paris 1728. S.IV) auch die Kriege der Bortugiefen mit der Eriegerifchen
und mächtigen Königin Gingha ') von Matamba, der Semiramis von
Angola, behandelt, wobei das portugiefifche Heer tief in dad Binnenland
einzubringen Gelegenheit hatte. Aber noch ift daſſelbe nicht gedruckt ?).
Nur wenige von den befannten älteren portugiefifchen Werfen und Docu-
menten über die Berhältniffe Weſt⸗Afrika's find in neuerer Zeit veröffent-
licht worden, indem der befonders durch den lebten Cardinal⸗Patriar⸗
den von Liffabon zur Herausgabe Hiftorifcher und geographifcher Dos
cumente angefachte patriotifche Eifer bald nach deſſen Tode wieder er
loſch. Doch danken wir dieſer Anregung die Veröffentlichung wenigſtens
einiger werthvollen älteren Schriften. Dahin gehört das von dem vers
ſtorbenen Ingenieur» Eapitain und Profeſſor Koepfe im Jahre 1841 zu
Dporto herausgegebene Heine, aber wichtige Werk von Andr& Alvares
de Almada: Tractado breve dos Rios de Guin& do Cabo Verde
desde o Rio de Sanaga (d. h. dem Senegal) at& aos baixos de
1) Gingha fcheint ein allgemeines Wort für Herrfcher zu fein, ba nach den por⸗
tugieſiſchen Hiftoritern über Angola mehrere Zürften des Innern zu verfchievenen Zeis
ten fo genannt wurben.
2) Langles fchlug es fhon im Jahre 1822 der Parifer geogr. Geſellſchaft zum
Drude vor (Bulletin I, 163).
206 Bumpredt:
Santa Anna '), ferner das noch viel wichtigere und von Drumond de
Menezes als verloren beflagte Werk von Gomes Eannes de Azurara:
Chronica de descubrimento e conquista de Guin& escripta por
mandado d’ El Rei Affonso V. welches durch die Fürforge des gelehr:
ten Vizconde de Santarem zu Paris im Jahre 1842 erfchien.
Auch an Karten mag es einer fo erprobten jeefahrenden Nation,
wie die älteren Bortugiefen waren, nicht gefehlt haben, obgleich wenig
darüber befannt if. Yür die MWahrfcheinlichfeit dieſer Vermuthung
fpricht namentlich der Umftand, daß die Liffaboner Academie nah Me
nezes de Drumond (Berneur XXXII, 201) ſich in dem Beſitze eines das
Buch des Univerfum betitelten Atlas in 10 pergamentenen Folio⸗
tafeln befindet, der von einem gewiſſen Lazarus Louis angefertigt wurde
und die Jahreszahl 1568 trägt. Die Arbeit fol ſich durch eine be
wunbernswerthe Bolftändigfeit auszeichnen und eine faft unzählige
Menge Poſitionen und Namen von Flüffen, Baien und Meeresein-
fhnitten, felbft bis zu den Heinften herab, längs der ganzen Küfte von
Afrika darbieten, fo daß fie einen Beweis giebt, bis zu welchem Umfange
und Grade der Genauigkeit die älteren Unterfuchungen der Portugie
fen gebiehen waren ?). Unter foldden Umſtaͤnden läßt ſich im vor
aus annehmen, daß die Küften ihrer eigenen afrifanifchen Befigungen
von den Portugiefen am wenigften vernachläffigt waren, und daß fie
diefelben beffer kannten, als wir zu beurtheilen im Stande find, und als
feloft ihre eigenen Nachkommen wiffen mögen, vie ſich an ben afrika
nischen Küften jebt nur englifcher und franzoͤſiſcher Seekarten bebienen,
wie die englifche KüftenunterfuchungssErpebition unter Capt. Owen
2) Demfelben Heransgeber verbanten wir bie Veröffentlichung noch eines zweiten
älteren werthvollen portugiefijchen Werkes, nämlich des von dem berühmten Admiral
Don Joäo de Caſtro um die Mitte des 16. Jahrhunderts angefertigten Periplus ves
rothen Meeres nach einem befieren und vollftändigeren Manuſcripte, als dem, wovon
unfere frühere Kenntniß biefer Arbeit herrührt. De Caſtro's Periplus hat ſich befanzt-
lich durch feine Genauigkeit flets der glänzendſten Anerkennung zu erfreuen gehabt und
deshalb legte ihn aud der amsgezeichnete franzöflfche Kartograph Guill. Delisle feine
Zeichnung bes erwähnten Meeres vorzugsweife zum Grunde (Histoire de l’Academie
de Paris. Annee 1720. ©. 377).
2) Auch die zahllofen Namen portugiefifhen Urfprungs am allen weftlichen und
oͤſtlichen Küften Afrika's befonders auf älteren Karten fprechen für die genaue Kennt
niß, welche die portugiefifchen Seefahrer von den Rändern des Gontinents einf bes
faßen.
Zur Kunde von Sid: Afrika. 207
im Beginn biefes Jahrhunderts wahrzunehmen Gelegenheit hatte. Mag
ed auch Feine veröffentlichte ältere portugiefifche Karte von den Küften
des portugieftfchen Suͤd⸗Afrika geben, fo beflgen wir doch mehrere bes
ftimmte Beweiſe, daß es der portugiefiichen Marine früher nicht an
einer genauen Kenntniß der Küften gefehlt hat. So fand fi) noch in
der Mitte des vorigen Jahrhunderts zu Evora in einer öffentlichen
Bihliothel eine aus dem 16. Jahrhundert ſtammende Befchrelbung ver
Küften von Angola (Roteiro da Costa de Angola) vor, die einen
ſehr unterrichteten Ober⸗Piloten (Piloto Mor) Namens BDomingos
Sernandes zum Berfafter Hatte (Barbofa Machado I, 711); fo ließ
um die Mitte des vorigen Jahrhunderts der General⸗Gouverneur von
Angola Fr. Innocend de Souza Eoutinho ( 1764— 1772) die Küften
von Angola aufnehmen und genaue Karten derfelben, ihrer zahlreichen _
Slugmündungen und Ankerplaͤtze zeichnen und fo erhielt endlich ber
befannte britifche Reifende nach Abeffinien H. Salt während feines
Aufenthalts zu Mozambique im Jahre 1809 eine dergeſtalt vollftän-
tige und genaue ältere portugiefifche Karte der Oftküfte von Afrika,
jo weit die Portugiefen Territorialanfprüche darauf machen, daß er fte
der Veröffentlichung für würdig hielt. Er ließ fie für fein Reifewerf
ftechen, was die Folge hatte, daß von da an jener Küftenftrich auf den
neuen Karten genauer dargeftellt wurde, ald man es früher vermocht
hatte. Manche ähnliche ſchätzbare Documente mögen noch in Portugal
in den Archiven und Brivatfammlungen ruhen und dürften immer
der Veröffentlichung werth fein, da es befannt ift, daß Owen’d Erye
dition nicht alle Steeden ihred ungeheuren Unterfuchungsgebieis mit
gleicher Sorgfalt erforfchen konnte. Erſt in der neueften Zeit hat die
portugieftfche Marine wieder einzelne Punkte der weſtafrikaniſchen Küfte
unterfucht und Pläne davon aufgenommen. Dies gefchah 3.8. mit der
füblich von der Stadt Benguela gelegenen und hier noch öfterd zu ers
wähnenden Bai von Moſſamedes (Annäes maritimos e coloniäes.
Parte näo official. Vol. IV) und mit der Bai von Lobito nördlich von
Benguela (ebend. Vol. VI). Aber viel bedeutender ift eine andere portu-
giefifche Fartographifche Arbeit aus neuerer Zeit, die jedoch nicht allein
hydrographifcher Natur ift, nämlich die Karte von Weſt⸗Afrika zwifchen
dem 5 — 19° fübl. Breite, welche der Ingenieur» Öberftlieutenant und
fpätere Marechal de Camp Luiz Candido Eorbeiro Pinheiro Furtado auf
208 Gumpredt:
Beranlaffung des Generals Gouverneurs von Angola Baron Moffäne
des im Jahre 1790 anfertigte. Sie war die Frucht eines 25 jährigen
Aufenthalts in diefen Gegenden und bis vor Kurzem die einzige, bie
wenigftens ein leibliches Bild der verzeichneten Landſtriche gewährt. |
Furtado hatte nämlich für feine Arbeit eine Menge von Punkten be
ſtimmt und in derfelben eine große Zahl von einheimifchen Voͤllerſchaf⸗
ten, Fluͤſſen und Localitäten aufgeführt, wovon wir früher gar nichts
wußten. Ein befonderes Verdienſt erwarb ſich der Verfaſſer noch da-
durch, daß er für die richtige Schreibung der Namen Sorge trug
(Balbi, Essai statist. sur le Royaume de Portugal. Paris 1822. Il.
Append. CXIV). Diefe Karte ift in Europa erſt im Jahre 1821 durch
Bowdich befannt worden, der fte in feiner Schrift: Account of the dis-
coveries of the Portugueze in the interior of Angola and Mozam-
bique, mitteilte, woraus fie in die Nouv. annales des voyages von
Maltebrun und Eyries Bol. XXIII, und auß dieſen wieder in Berghaus
und Hoffmann's Hertha Bd. I überging. Auch in dem 1825 zu Paris
erfchienenen Werke won Feo Cardozo de Eaftellobranco e Torres: Me-
morias contendo a biographia do Vice Almirante Luiz da Motta
Feo e Torres, fol nad Eyries (Douville, Voyage au Congo. I,
p. XVII) eine Copie davon vorhanden fein, indeſſen fehlt biefelbe in
dem mir vorliegenden Eremplare und ich finde auch Feine Stelle in
der Schrift, die über eine Beifügung der Karte Aufichluß gäbe. End:
lich iſt in Bezug auf Fartographifche Darfielungen von Angola die
große Karte zu Douville's MWerfe zu nennen, die, wie ſchon D. Eooley
bei feinen Fritifchen Unterfuchungen gemuthmaßt hatte, auf zuverläfligen
älteren portugiefifchen Karten, in deren Beſitz Douville gefommen fein
mag, beruft. Herrn Kiepert’d neueſte Unterfuchungen hierüber haben
ihn ganz zu demfelben Urtheile geleitet. |
Nach langer Vernachläffigung und erſt nach dem Berlufte Bros
filiend begann man in Portugal den continentalsafrifanifchen Beſitzun⸗
gen wieder Aufmerkfamkeit zuzuwenden und einige awedmäßige Mar
regeln zu ergreifen, um durch befiere Benutzung der reichen Hilfsquellen
biefer ungeheuren Landftriche die für den Staatöfchag und den Handel
des Mutterlanded empfindlichen Verluſte einigermaßen auszugleichen.
Bisher Hatten nämlich alle afrifanifchen Befigungen den Regierung
kaſſen feine Weberfchüffe geliefert, vielmehr fehr bedeutende Opfer in
Zur Kunde von Süd⸗Afrika. 209
Anfpruch genommen. Zugleich erfchien in Portugal eine Reihe von
Arbeiten mit der Abficht, Publikum und Regierung gemeinfam auf die
begangenen Fehler und traurigen Zuflände des portugiefifchen Suͤd⸗
Afrika und alfo auch Angola’8 aufmerfjam zu machen, fowie Maßre⸗
geln zur Hervorrufung eines beſſeren Zuftandes zu veranlaflen. Dazu
gehörten außer mehreren Journalartifeln namentlich folgende Schrifs
ten:
J. Accursio das Neves, Consideracgöes politicas e com-
merciäes sobre os descobrimentos e possessöes dos Por-
tuguezes na Africa e na Asia. Lisboa 1830. 12,
Joaquim Antonio de Carvalho e Menezes, Meomoria
geographica e politica das possessöes Portuguezes na Africa
occidental, que diz respeito aos Reinos de Angola, Ben-
guela e suas depedencias. Lisboa 1834. 41 pag.
Luiz Ant. de Abreu e Lima, Visconde de Carreira,
Memoria sobre as coloniäes de Portugal situadas na Costa
occidental d’Africa mandada ao Governo pelo antigo Gover-
nador Antonio Saldanha de Gama. Paris 1839. 8.
Manoel de Barros e Sousa da Mesquita de Macedo
Leitäo e Carvalho, segundo Visconde de Santarem, Me-
moria sobre os descubrimientos portuguezes na Costa
d’Africa occidental. Paris 1841;
wozu noch der Dritte, Angola behandelnde Theil des vortrefflichen Werkes
von Lopes de Lima: Ensaios sobre a statistica na Africa occi-
dental e oriental, na Asia occidental, na China e na ÜOceania.
Lisboa 1846, gehört, das mir aber fo wenig, wie bie übrigen eben
genannten Werke mit Ausnahme des von Accurfio das Neved, zu Ges
bot fteht, und das auch eine Spezialfarte der rien Beſitzungen
in Angola enthalten ſoll.
Um die Zuſtände des Landes zu verbeſſern, Ham num eine Reihe
von Maßregeln theild bei der Regierung des Mutterlandes, theild bei
den GeneralsGouverneuren in Betracht und theilwelfe auch zur Aus-
führung, von denen wir einige hier anführen wollen, da man in Eu-
ropa von jenen fernen Ländern wenig weiß. Vorzüglich gehörten dazu
jolche, welche die Bodencultur und Den Erport der Landesproducie bes
trafen. So intereffirte fich der General» Gouverneur Nicol. d'Abreu
Zeitſchr. f. allg. Erdkunde. Bd. V. 14
210 Bumpredt:
Gaftellobtanco in den Jahren 1824 — 1828 befonbers für die Foͤrde⸗
sung des bis dahin völlig vernadhläffigten Baumwollenbaues und fen
unmittelbarer Nachfolger der Baron de Santa Comba Däo in dm |
Jahren 1829 — 1834 für Hebung der Kaffeebaumzucht, wozu die Berg: '
gelände im Innern ausgezeichnet geeignet find. Der Diſtrict Entdge |
lieferte 3.8. einen fchon feit langer Zeit als trefflich bekannten Kaffer
Der erfigenannte Gouverneur ließ auch eine Zuderfabrit am Bengoflufle
anlegen und verfucdhte einen Export von vier zum Theil wichtigen Produk— |
ten Angola’s, von Eifen, Schwefel, Erdöl und Gold, nach Liſſabon ein
zuleiten. Denn das Land befiht eine Kühle des beften Eifens, das in
nichts dem vorzüglichften auf Erden, dem fchwebifchen und bißcayifcen,
nachfteht (Accurſio das Neves 246; Lacerda in ven Annäes manlı
mos e coloniäes. Parte näo official. IV, 195) und von den Ein-
geborenen troß ihres fehr einfachen und unvollfommenen Verfahrens in
hoher Güte aus den Exzen bereitet wird. Schon im vorigen Jahr
hundert Hatte das hiefige Eifen einen fo bedeutenden Ruf, daß Rav- |
nal mit gebührender Anerkennung davon fprach, und daß der trefi
liche Generals@ouverneur F. Innocens de Souza Coutinho in den
Jahren 1764 — 1772 durch ſchwediſche und biscayifche Bergleute die
Eifengruben von Oeiras im Diſtrict Golungo in befieren Betrieb zu
ſetzen verfuchte und eine große Eifenhütte anlegte, Maßregeln, die lei⸗
nen weiteren Erfolg hatten, da bie Europäer bald ftarhen (Dmboni
389), doch im Beginn dieſes Jahrhunderts Veranlaffung gaben, daß
ein eben fo ausgezeichneter Gouverneur, der Graf Antonio Porto Sante
We Saldanha de Gama), der Eifenprobuction der Eingeborenen ein
größere Aufmerkfamfeit zumandte und fie durch zweckdienliche Maßre⸗
gein zu Heben verfuchte (Accurfio das Neves 247; Feo Cardozo 302).
Die befannteften Eifengruben Angola’s, welche das befte Eiſen lieem,
liegen in den Gebirgen öftlich von Benguela, Hauptfächlich in ven Di
flricten von Golungo (Accurſio das Neves 242; Feo Cardogo 303):
Ilamba (Omboni 390) und Balundo (Annäes. mar e col. Parte na0 |
offie. IV, 156), fowwie am Fuße von Quibulla (Annäes IV, 148), in |
welchen Gebieten e8 im Jahre 1799 überhaupt 9 Eifengruben gab. — |
Der Schwefel findet fih hier gleichfalls auf reichen Lagerflätten und
faſt rein im folder Fülle, daß nach Cardozo's Meinung die ganze vor
tugieſiſche Monarchie mit Einfchluß Brafilien’s damit verforgt werden
u m
Zur Kunde von Süb- Afrika. 211
könnte (a. a. ©. 303). Eine Ablagerung davon liegt in der Nähe ber
Stabt Benguela, nur 5 Legoas füblic Davon und 1 Legoa vom Meere
aunächft von der Farta-Bai (Bahia Farta), im Dombe grande von Quin⸗
zamba, wo fie Zacerba felbft fah (a. a. D. IV, 196; f. auch ebenv. 149;
Feo Cardozo 335, 368; Douville I, 12; Tams, Die portugiefifchen Be:
fitungen von Süd-Afrifa, Hamburg 1845. S. 154; Omboni 389). Zur
Zeit des Gouverneurs de Borto Santo wurde diefelbe bearbeitet (Accurſio
das Neves 249). — Erdöl giebt es theild nördlich von Loanda an ber
Mündung des Dandefiromes, wo ed In folder Menge aus Felsfpalten
fließt, daß man es vielfach ald Theer benubt (eo Cardozo 303, 335;
Dmboni 389); theild im Diftrict Libongo und bei Moſſamedes (Omboni
393). — Gold Hat Dagegen Angola in geringer Menge nur im Sande
des Fluſſes Lombige und des Cunene (Lacerda IV, 197), fo daß es in
der Goldproduction mit Brafilien nie hat wettelfern fönnen. Zu den
neueren Mafregeln für die Hebung Angola's gehörte weiter in den
Jahren 1829 bis 1834 die Unterbrüdung des Privilegiums des El⸗
fenbeinhandels, die Errichtung einer Induſtrie- und AderbausGefells
ihaft für Angola und Benguela durch ven thätigen, zu bald vers
ftorbenen Generals Gouverneur Domingo Saldanha v’Dliveira Daun,
gleichzeitig und fpäter eine verbefierte DOrganifation der hier ſtationir⸗
ten Truppen und der Ausbau des für den Handel in das Land Cafs
ſanci fo wichtigen Grenzforts Ambaca oder Embaca (8° 36’ nörbl. Br.,
25° 55’ öfll. 2); im 3. 1836 die von dem portugiefifhen Minifterium
verfuchte Einführung von Kameelen aus Teneriffa, um dem völligen
Mangel an Laftthieren abzuhelfen, eine Maßregel, bie wegen der ſchlech⸗
ten, den Thieren zu Theil gewordenen Pflege anfänglich feinen Erfolg
hatte und auch feinen fchien haben zu fönnen, da das Klima wegen der
mehrmonatlichen Dauer der tropifchen Regen an ver Kuͤſte zu feucht für
Kameele ift, indeſſen nach fpäteren Berichten bei der im I. 1844 erfolgten
Nachfendung anderer Thiere in den füdlicheren gebirgigen Iheilen Ange
(a’8 gelungen ift, weil man in dem Jahre 1845 beabfichtigte, eine regel-
mäßige Verbindung mittelft derfelben von Moffameded nach dem gejun-
den Binnenlande, namentlich nach dem Diſtrict Huila, zu organifixen
(Annäes marit. e colon. Parte offic. VI, 35, 157); ferner im Jahre
1839 der von dem Gouverneur Ant. Emm. de Roronha unternommene
Bau einer fchönen Straße nach dem Bengofluffe, fowie die von dem⸗
14*
212 Bumpredt:
felden angeordnete Einführung der Straßenerleuchtung zu Loanda, endlich
die von ihm dem jungen deutfchen Arzte Dr. Lang übertragene Unter-
fuchung der vorhin erwähnten Erbölvorfommniffe; im Jahre 1840 die
von dem Gouverneur Emm. Eleuterio Malheire ausgeführte Erforſchung
der Lanpftriche füplich von Benguela; im Jahre 1842 die von dem für
die Emporbringung Angola’8 überaus thätigen, aber ſchon nad einem
Jahre feines Amtes verftorbenen Gouverneur J. X. Breffane Leite er⸗
geiffenen Maßregeln zur Vernichtung des Sclavenhandels, zur Siche-
rung des Friedens zwiſchen den Häuptlingen im Innern und zur Ci⸗
viliſtrung der Eingeborenen, die er dazu für wohl befähigt erachtete,
fowie Maßregeln zur Eröffnung neuer Verbindungen nach dem Bin
nenlande (Annäes marit. e colon. Parte näo offic. III, 632); im
Jahre 1844 die erwähnte Eröffnung der Häfen Loanda und Benguela
für fremde Schiffe, endlich im Jahre 1845 die durdy den Gouverneur
P. Alerander da Cunha ergriffenen Maßregeln zur Unterbrüdung des
Schmuggelhandeld und die von eben demfelben angeorbnete Aufhebung
des Salzmonopold. In neuefter Zeit hat auch die portugiefifche Re⸗
gierung den öfterreichifchen Naturforfcher Welwitſch nach Angola ge=
fandt, um bie reichen PBrobufte des Landes zu flubiren und darüber zu
berichten, ein Plan, den ſchon frühere Minifterien wiederholt auszufüh⸗
ren ftrebten, wie namentlich der portugiefifche Naturforfcher Silva ſich
dazu mehrere Jahre im Binnenlande zu Embaca aufgehalten hatte.
Aber von dem Erfolge diefer Arbeiten wiffen wir nichts, und aud) von
Welwitſch ift noch fein Bericht veröffentlicht worden. Lange vorher hatten
die früheren Regierungen des Mutterlandes, beſonders um bie Mitte
des vorigen Jahrhunderts unter König Joſeph I., manche gute Geſetze,
3.2. die vom 11. und 25. Januar 1758 erlaffen, um den Zuftand
Angola's zu heben, aber der geringe Nachbrud bei der Ausführung der
Geſetze, fowie der Häufige Syſtemwechſel bewirkte, daß die Verhältniffe
ſich dadurch nicht verbefierten.
Mit diefen neueren Maßregeln im Laufe des Jahrhunderts ge⸗
ſchahen einige erfolgreiche Schritte zur Vergrößerung des Gebiets
von Angola. So wurde im Jahre 1838 aus den im Reich Mas
tamba eroberten, öfllih von Ambaca gelegenen gefunden und fruchtba>
ren Landſchaften ein neuer Diftrict gebilvet, der den Namen Duca de
Braganza (8° 47’ fühl. Br, 35° 53’ 20” fl. 2. von Ferro) erhielt
Zur Kunde von Sübd⸗Afrika. 213
und für bie Vergrößerung des Verkehrs nach Gentral-Afrifa Köchkt
wichtig zu werben verfpricht; fo gefchah im 3. 1840 ein zweiter Ahnli-
her Schritt durch die Anlegung eines Etablifjements an der geräumi-
gen und fchönen Bat, die früher den Namen Angra do Negro hatte
und jet bei den Portugiefen den der Bai von Moſſamedes nach einem
früheren ®enerals Gouverneur, der fie im Jahre 1785 unterfuchen ließ,
führt, bei den Engländern aber unter dem Namen der Heinen Fiſchbai
befannt iſt. Bei der günftigen Lage des Etabliffenients in einer ver
hältnigmäßig gefunden Gegend fol daſſelbe wohl gedeihen. Damit ges
ſchah zugleich der erfte Schritt, Die Südgrenze des portugiefifchen Ges
biets factiſcher feftzuftellen, indem bisher in den Verträgen, namentlich in
dem 1815 mit England abgefchloffenen, nur im Allgemeinen angenommen
war, daß daffelbe fich von 8° bis 18° fühl. Br. erſtrecke. Moſſamedes legt
namlih nach den neueren Beobachtungen portugiefifcher Seeoffiziere in
15° 7’ 25” ſüdl. Br. und 299 42’ 12” öſtl. &. von Ferro oder in
15° 17” 70” fübl. Br. und 29° 42’ 7” öfll. L. von Ferro nach Owen
und Vidal (Annäes marit. e colon. Parte näo offic. IV, 393).
Für Angola's Aufblühen war es immer das wichtigfte Hinverniß,
daß der Sclavenhandel in fo bedeutendem Umfange betrieben wurde.
In neuerer Zeit gefchah dies fogar noch mehr, als früher, indem nach
Bernihtung dieſes Handeld an den Nigermündungen die brafilifchen
Erlavenmärfte fich größtentheild und die fpanifchen Infeln in Weſtin⸗
dim wenigftens fehr ftarf von hier aus nit Negern verforgten (Om⸗
boni 96). Bei der gahllofen Menge Heiner Buchten längs der ganzen,
den Engländern nur wenig befannten Küfte von Angola war in ber
That eine firenge Ueberwachung derſelben durch die britifchen und felbft
durch die irn neuerer Zeit zu dem nämlichen Zwecke aufgeftellten portu=
giefifchen Kreuzer faft eine Sache der Unmöglichkeit. Hierzu kam befon-
ders noch die Ungeftraftheit des Sclavenhandeld. War berfelbe auch
fit dem 10. Decbr. 1836 in Angola verboten, fo fehlte ed doch fehr
an einer fräftigen Vollziehung des Geſetzes, indem bei dem großen,
durh den Sclavenhandel gebrachten Gewinn faft die ganze weiße
Givilbenölferung an dem Handel betheiligt war und die Gouverneure
ihn nicht Hinderten, weil fie große Einnahmen davon bezogen, ja ihn
jelbft betrieben. Letztes geſchah noch vor etwa 17 Jahren fo offen, daß
die portugiefifche Regierung fich genöthigt fah, den damaligen Gouver:
214 Oumpredt:
neur Em. Bern. Bidal abzuberufen, und daß deſſen unmittelbarer Nach—⸗
folger, Ant. Em. de Noronha, bei einem Berfuche, im 3. 1839 das Geſet
zur Ausführung zu bringen, von der dadurch entftandenen Aufregung
ganz eingefchüchtert wurde und feine Entlaffung nahm (Omboni 393).
Erft dem folgenden Gouverneur Breffane Leite gelang es, wie erwähnt,
Kräftige Maßregeln zur Vollziehung zu bringen, als in Kolge des Ver
trages vom 3. Juli 1842 mit Großbritannien eine portugiefifche Es—
care an den Küflen von Angola erfchien, die man fpäter noch ver
ftärfte (Annäes marit. e colon. Parte oflic. 1846. V, 149). Ju
dem Zwede wurde damals ein Prifengericht zu Loanda errichtet. Wie
nöthig aber auch die Unterbrüdung des Sclavenhandels für das fünf
tige Wohl des Landes war, fo verurfachten die neuen Maßregeln doch
augenblidlih Störungen und namentlich empfindliche Verlegenheiten für
die Staatskaſſen, wie bereitd im J. 1843 der damalige Sees und Cole |
nialMinifter 3.3. Falcão in der Deputirtenfammer in feinem Geſchaͤfts⸗
berichte, worin das Deficit in den Einnahmen von Angola und Mo
zambique ausbrüdlich der gefehlichen Abfchaffung des Sclavenhandels
äugefchrieben wurde, ausfprach (Ann. marit. e colon. Parte oflic. Il,
161). Der Handel felbft hörte nicht auf, nur wurden die Sclaven
von nun an heimlich, ohne Entrichtung der bisherigen Abgaben, aus
geführt. Man machte zwar Anftrengungen, durch Hebung der Boden
eultur die Ausfälle zu deden und Erport⸗Producte aufzufuchen ');
da die Erfolge aber davon nicht augenblidlich fein konnten, fo muß
ten die Kaflen des Mutterlandes das Deficit, das fich von Jahr zu
Jahr vergrößerte, deden, während die Einnahme von der Sclavenaus⸗
fuhr früher fo bedeutend war, daß nicht nur alle Ausgaben zur Er
haltung Angola's gedeckt werben fonnten, ſondern fogar Weberfchühe
blieben. Ein Vergleich des Budget von Angola aus verfchiedenen
Sahren vor und nach der Abfchaffung des Sclavenhanvels wird die
2) Ginige Maßregeln der Art wurden mit glüdlichem Erfolge verſucht; fo nah
die Ausfuhr der Drfeille fehr bedentend zu und concurrirte erfolgreich mit der von ben
Juſeln des grünen Borgebirges, aber ver Gewinn wäre viel größer geworden, hätte
bie portugieftfche Regierung nicht wieder zu Bunften des Mutterlandes reftrictive Neßj
vegeln getroffen und im Jahre 1844 angeorbnet, daß Feine Orſeille, als auf portnait⸗
ſiſchen Schiffen und nur nach Portugal für Rechnung des Stants ausgeführt werten büri
(Annäes maritim. e colon. Parte ofhic. II, 321; IV, 31). Erſt vor Kurzem wurt
biefe Beichränfung durch das Decret vom 16. Januar 1852 aufgehoben und die Aut.
fuhr der Orfeille ans Angola für frei erklärt.
Zur Kunde von Süd» Afrika. 215
Beränderung der Verhaͤltniſſe anfchaulich machen. Nach der von der
Zinanzfammer zu Loanda am 10. Januar 1819 gemachten und durch
Feo Cardozo (S. 341 — 342) mitgetheilten Auffiellung betrugen naͤm⸗
ich im nächft verfloffenen Jahre 1818
die Einnahmen noch 175,202,419 Reis '),
die Ausgaben 141,836,000 ⸗
fo daß ein Ueberſchuß von 33,366,419 Reis
verblieb. Reichliche zwei Drittel der Einnahmen, nämlich 137,320,800
Reis, rührten von 15,784 in dem genannten Jahre nad Brafilien
verfehifften Sclaven her, Indem pro Kopf je 8,700 Reis Abgabe an
den Staat gezahlt werden mußten ?). Schon in dem Jahre 1843
zeigten fich Die Verhaͤltnifſe ungünftiger, da der vorhin genannte Ma-
rines und ColonialsMinifter in feinem am 18. März abgeftatteten Bes
richte die Einnahmen von Angola allein ohne Benguela nur auf
106,149,116 Reis,
die Ausgaben auf 140,504,072 =
veranfchlagte, fo daß ein Deficit von 34,354,956 Reis vorauszufehen
war (Annäes. Parte offic. II, 164— 169). Noch viel ungünfligere
Ergebniffe lieferten die Jahre 1845 und 1846. Nach den officiellen
Zahlen bei Omboni (S. 407) betrugen damals
die Einnahmen 259,046,357 Reis,
die Ausgaben 383,398,976 =
wonach ein Deficit von gar 124,352,610 Reis oder in dem Laufe
eines Jahres von etwa 62,176,305 Reis flattfand. Poſitive Zahlen
aus den lebten Jahren über die wirklichen Einnahmen und Ausga⸗
ben fehlen, doch fcheint es nach den obwaltenden Umftänden kaum
venfdar, daß die von Herrn v. Minutoli in feinem neueften Were
(11, 293) mitgetheilten Budgetsanſchlaͤge des portugiefifhen Miniſte⸗
riums den wahren Verhältniffen entfprechen. Danach würden nämlich
die etatsmaͤßigen Einnahmen voraudfichtlih 235,709,900 Reis,
die Ausgaben. . . . 200.2. 264,242,604 ⸗
betragen, und es ftellte fich nur ein Deficit von 26,671,614 Reis
) 1000 Reis oder ein Milreis find etwa 493 Stibergrofchen.
2) Nach Omboni (S. 107) erhielt um das Jahr 1835 der General-Gonverneur
feloR 13,000 Reis (fa 19 Thlr. Pr. E.) für jeden ausgeführten Sclaven.
216 Gumpredt:
heraus. Solche Annahmen ftehen aber mit ber immer ungünfliger wer:
denden Handelsbilanz im entfchiedenften Wiverfpruche. Nach ven durch
Herrn v. Minutoli gelieferten officiellen Zahlen (AI, 297) betrugen
nämlich in den Jahren 1823 bis 1825 und 1830 bis 1832
die Importen 850,000,000 Reis,
die Erporten aber 725,000,000 ⸗
fo daß die Iehten von jenen um 125,000,000 Nele durchſchnittlich
in einem Jahre überftiegen werden. Beruͤckſichtigt man hierbei, daß nad)
v. Minutoli (II, 298) der frühere Sclavenhandel allein einen Erport-
werth von wenigſtens 634,800,000 Reis hatte, fo würde der Werth
aller übrigen ausgeführten Waaren jest faum noch 100,000,000 Reis
ausmachen, was freilich fehr wenig wäre. Noch ungünftiger ftellt fich
die neuefte Handelsbilanz, die einen Ausfall von fogar 791,000,000
Réis ergiebt "). Unter diefen Umſtänden darf man fich nicht wundern,
daß die weiße Bevölkerung Angola’8 den Gefegen des Mutterlandes
über die Abjchaffung des Sclavenhandeld nur mit großem Widerftre-
ben fich gefügt Hat und daß fie überhaupt weit größere Sympathie
für eine politifche Verbindung mit Brafilien, wohin auch die Commu-
nication viel leichter it, ald für Portugal Hat. Zu Benguela fand
fogar ſchon im Jahre 1821 ein freilich leicht unterdruͤckter Aufftand
ftatt, um eine Bereinigung mit Brafilien zu bewirken.
Bei der großen Ungewißheit über die wahre Ausdehnung des por:
tugiefifchen Gebiets, und da hier wahrfcheinlich noch nie eine orbent:
liche Zählung der Bevölferung gemacht worben ift, ift es auch fait
unmöglih, etwas Beflimmtes über die legte zu fagen. Feo Cardozo
Ihäßte fie um das Jahr 1824 auf etwa 300,000 Köpfe (S. 331);
Omboni lieferte im %. 1846 anfcheinend fpeciellere Zahlen ſowohl in
Bezug auf die Territorial-Eintheilung, ale auf die Farbe der Einwoh:
ner, aber es war ihm, wie er felbft jagt, nicht möglich, genaue Data
zu erhalten, fo daß die NRefultate feiner Tafel fih nur der Wahrheit
nähern mögen, ja mitunter auf das auffäligfte falfch find. So giebt
er dem Binnenetabliffement (Presidio) Caconda, wo immer nur eine
ſehr fchwache weiße. Bevölferung vorhanden war (Omboni febt fie
y Beiden haben fi) den von Herrn v. Minutoli gegebenen fpeciellen Zahlen (Il.
298) über die legten Cin- und Ausfuhren mehrere Druckfehler eingefchlichen, wes⸗
Halb ich diefelben hier mitzutheilen unterlafie.
Zur Kunde von Sin - Afrika. 217
für das 3. 1835, in welchem er ſich in Angola befunden hatte, gar nur
zu 8 Köpfen, lauter Männer) eine Bevölferung von 2992 Mlulatten,
und einem zweiten ähnlichen Etabliffement des Binnenlandes Pedras
de Bungosans‘Dongo, in dem er 33 Weiße aufführt, 1098 Mulatten,
endlich einer dritten Localitaͤt, Golungo, die 12 Weiße zu feiner Zeit
enthalten Haben fol, 336 Mulatten, dagegen der Hauptſtadt Loanda,
in welcher ſich ſtets die flärkfte weiße Bevölkerung concentrirt hatte
(1601 Köpfe nach ihm, 691 nach v. Minutoli) nur 491 Mulatten.
Diefe Zahlen find wahrfcheinlich durch Drudfehler, an denen e8 Ombo-
nid Tafel auch fonft nicht fehlt, irrig '). — Nah Omboni betrug die
ganze Bevölferung Angola’8 um das Jahr 1835 ohne den neuen Dis
firict Duca de Braganza 386,463, und mit dem letzten ungeführ
400,000 Seelen. Selbft Herr v. Minutoli fcheint feine neueren ſpe⸗
ciellen Data über die Bevölferung erlangt zu haben, da er im Wefent-
lichen diefelden Zahlen, wie Omboni, hat; nur nachträglich bemerkt er,
daß nach einer ihm zugegangenen amtlichen Notiz ſich gegenwärtig in
Angola 1553 Weiße, 31,471 WMulatten und 556,163 Schwarze, alfo
im Ganzen 589,187 Einwohner befanden.
1) Gaconda und der Cunene ?°).
Seit dem Jahre 1682 befigen die Poriugiefen unter dem 14°
43’ fühl. Br. und 339 21’ öſtl. &. von Ferro und in etwa 70 Legoa's
Entfernung von Benguela in einer waldreichen, gebirgigen, fehr frucht-
baren und zugleich überaus gefunden Gegend des Binnenlandes das
ſchon erwähnte Etablifjiement Eaconda ?), welches zu Omboni's Zeit
war nur 179 Einwohner, darunter 8 Weiße, hatte, für die Portugie⸗
fen aber Höchft wichtig iſt und für die Zufunft noch viel wichtiger zu
werben verfpricht. Es dient ihnen nämlich ald Niederlageplatz für ven
Handel nach den ungeheuren Streden des Binnenlandes im Often
und Südoften von Benguela und mit dem 160 Legoa's nördlich davon
3) Den wahren Berhältnifien unzweifelhaft entfprechender wurde im I. 1799 bie
Bevölkerung der Diftricte Caconda und Golungo (Bualangue) zu refp. 21 und 7 Weißen,
dann zu 155 und 49 Mulatten angegeben (Ann. marit, e colon. P.n. off. IV, 161).
2) Der Name Gunene wird theils wit einem e, theils mit einem i am Ende
geſchrieben; Teßtes if in dem Original des hier folgenden Berichts von Leal der Hall.
3) Bowdich nennt Caconda fogar den gefundeften aller portugieflfhen Orte in
Angola (Nouv. annales des voyages AXIU, 210).
218 Gumprecht:
und 1 Legoa nur von dem großen Coanzaſtrom gelegenen Poſten Pe⸗
dras de Pungo⸗an⸗Dongo ald Verbindungspunft Benguela's mit dem
Innern ihrer Befibungen auf der Nordfeite des Coanza (Feo Cardozo
366 — 367). Namentlich durch die Begründung des neuen Etablifs
fements Moffämebes muß Cacondas Bereutung noch wachfen, Indem
bei der ungefunden Lage und dem BVerfalle Benguela’d zu enwarten
it, daß dieſer Ort bald alle Wichtigkeit verlieren wird, während
der Handel von Moffämedes bei dem guten Hafen, dem verhält
nißmäßig gefunden Klima und endlich bei feiner den reichen Binnen-
landfchaften Huila, Caconda und Quilengues viel mehr genäherten
Lage dieſes Orts!) ſich bald bedeutend vermehren wird, wobei Caconda
noch ferner den natürlichen Stapelplag abgeben dürfte Eine gra-
dere Verbindung mit dem Innern einzuleiten verfuchte man bereits
unmittelbar nad der Anlage von Moſſamedes, indem im Jahre
1841 der Commandant des legtgenannten Ortes, der damalige Ar-
tilleriesLieutenant und fpätere Major Joãño Fr. Garcia zum erften
Male den Landweg nad) Caconda erforfchte (der Bericht darüber fin-
det fi} in den Annäes maritimos e coloniäes. Parte näo oflic. IV,
240 — 264). Als Beweis für die vergrößerte Aufmerkſamkeit, welche
die portugiefifche Regierung jebt ihren füblicheren Befigungen in An-
gola fchenft, ift die vor einigen Jahren angeordnete und wahrfchein-
ich zur Ausführung gekommene Errichtung einer Aderbaucolonie in
der zwifchen Moſſamedes und Caronda gelegenen und nur 39 Legoa’s
von Mofjamedes entfernten Landichaft Huila oder Auila (Omboni 397;
Annäes mar. et col. Parte offic. VI, 139) anzufehen. Caconda dürfte
endlich auch der natürlichfte Verbindungspunft mit den von Süden her
nah Norden vordringenden Europäern werben, indem ed von allen
portugielifchen Etabliffements dem fruchtbaren und von einer verhält:
nißmäßig civilifirten und bedeutend aderbautreibenden Bevölkerung be
wohnten Lande des Ovampo, bis in welches Francis Galton bereits
im Jahre 1851 vorgebrungen ift?) und worin der Miffionar Hugo
Hahn nächftens feinen Sig nehmen wird, am nächften liegt.
1) Mossämedes è molto piü vicino ai ricchi paesi dei Gubaes, dei Quilengues,
dei Jau, degli Huila e dei Caconda, è molto piü salubre dı qualunque altro porto
portughese di quelle region. Omboni 397.
2) If Africa is to be civilised, I have no doubt, that Ovampoland will be an
important point in the civilisation of its southern parts, fagt Galton ausvrädlich
Zur Kunde von Süd⸗Afrika. 219
Bon Benguela oder Caconda aus erhielten die Portugieſen die
frühefte Kunde von der Eriftenz eined großen im Binnenlande öftlich
und füdlih von Benguela fließenden Stroms, Namens Cunene, und,
da wie aus den angegebenen politifchen Gründen fein einziges alteres
portugiefifches Werk über Angola gedrudt befiten, fo waren es die
früher hier ſtationirten Italiänifchen Gapuziner-Miffionare, welche mit der
Eriftenz und dem Namen des Cunene und zuerft befannt machten. Ynter
diefen war es J. A. Cavazzi, der am früheften in feinem Werfe: De-
scrizione dei tre regni cioe Congo, Matamba, Angola. Bologna
1687 (deutfch erjchienen unter dem Titel: Befchreibung der in dem
unteren occidentalifhen Mohrenlande liegenden 3 Königreiche Congo,
Matamba, Angola. München 1694, ©. 15) den Eunene als denje⸗
nigen Fluß erwähnte, bis zu dem die Landfchaft Benguela im Süden
reihe. Haft 50 Jahre fpäter kommt diefelbe Angabe in der franzö-
ſiſchen Bearbeitung von Cavazzi’d Werk, die dem erften Bande von
des Dominikaners Labat's Schrift: Relation historique de l’Ethiopie
occidentale. Paris 1732, einverleibt ift, vor. Hier heißt ed unter ans
dern: Der Rimba und der große Fluß, den man auch Cunene nennt,
find die Grenzen Benguela’s im Often (I, 67). Auf der von b’An-
ville zu Labat's Werk gezeichneten Karte geht der Lauf dieſes Stroms
nah Süpdoften und fein Ende findet fich im atlantifchen Orean. Dem
unteren Theile des Stromes gab d'Anville noch einen Namen, naͤm⸗
ih Rio de Angra Fria, und er feht nad) anderweitigen von ihm
benugten Quellen deſſen Mündung in den Norden des Cap Frio
(18° 23’ füdl. Breite nad Capt. Owen’d Beflimmungen), wo er
denfelben in dem unter dem Namen der Falten Bai (Angra Fria) bes
kannten Meereseinfchnitte enden läßt. Da dieſe fpeciellen Data bei
Cavazzi und anderen älteren Autoren fehlen, fo würbe ſich ſchon dar⸗
aus ergeben, daß d'Anville anderweitig nicht befannte Quellen zu
Gebote fanden, wäre es nicht auch fonft befannt, daß ihm der da-
malige portugiefifche Gefandte zu Paris Materialien zur Conftruction
feinee Karten von Süd⸗Afrika mitgetheilt hatte. Cavazzi's Erwüh-
nung des Cunene ging fpäter aus Labat's Werk in das treffliche große
von Bruns: Neue fpftematifche Erbefchreibung von Afrifa. Nürnberg
(The narrative of an explorer in tropical South Africa by Francis Galton. Lon-
don 1853. S. 229).
220 Gumprecht:
1793 — 1799 (Cumeni IV, 161) über. Ritter erwähnte Dagegen den
Strom nicht. Volle Hundert Jahre dauerte ed, ehe von dem legten
‚ wieder die Rede war und faft 150 Jahre, ehe die neuen portugiefifchen
Duellen, die des Stroms gedachten, im übrigen Europa befannt wur⸗
den. Erftered gefchah wiederholt gegen den Schluß des vorigen Jahr⸗
hunderts, zuvörberfi in des Portugiefen Mendez, durch Bowdich in
feiner S. 208 angeführten Schrift, veröffentlichten Berichte über feinen
Zug von Benguela nad) dem heutigen Mofjämebes (Nouv. annales
des voy. XXIII. S. 233) und wenige Sahre fpäter faft gleichzeitig
durch Drei portugiefifche Berichte, nämlich in einem offiriellen an den
Minifter D. Rodrigo de Soufa Coutinho gerichteten Rapport des Durch
feine fpätere große Entdedungsreife vom Zambefe nach dem Lande des
Cazembe befannten Ingenieur-Öberftlieutenants Jofe Maria de Lacerda,
dann in einem Auffabe eines früheren Gouverneurs vou Benguela,
Namens Al. Joſé Botelho de Vasconcellos, endlich in des Oberftlieute-
nants Furtado früher hier (S. 207) erwähnten Karte von Angola.
Dennoch ift man über die Quelle, Mündung und den Lauf des Stro⸗
mes keineswegs im Klaren, da eine von dem Generals Gouverneur
Baron Moffämedes im Jahre 1787 ausgefandte Erpebition, an der
auch Lacerda Antheil nahm und die beftinmt war, den Fluß bis zu
feiner Mündung zu erforfchen, ihre Aufgabe nicht Iöfte (Annäes ma-
ritim. e colon. Parte näo official IV, 197, 206) '), die fpäteren Ver⸗
waltungsbehörden es aber bis in die neueſte Zeit verabfäumt haben,
bie für, die inneren Landfchaften Angola’ fo wichtige Frage über bie
Schiffbarkeit ded Stroms und deſſen Ausmündung in den atlantifchen
Drean zur Entfcheidung zu bringen. Denn fchon Larerda hatte aus—
drüdlich darauf Hingewiefen, daß wenn der Eunene ſchiffbar wäre und
in den Drean falle, die Producte der Binnenlandfchaften, namentlich
Kupfer und Eifen, den Strom abwärts mit Leichtigfeit an das Meer
gebracht und mit portugiefifchen Schiffen nach Europa verführt wer-
den fönnten (a. a. DO. IV, 195). Dieſe natürlichfte Anficht über ben
Gunene war aber Lacerda, troß feiner Kenntniß des Innern von An-
gola und trogdem daß er den Cunene aus eigener Anjchauung Fannte
(a. a. O. IV, 197), nicht geneigt anzunchmen, vielmehr neigte er ſich
1) Der fpecielle Bericht über diefe Erpebition fcheint verloren zu fein ober er
ruht irgendivo noch in den Acten (a. a. O. IV, 206).
Zur Kunde von Süd⸗Afrika. 221
zu der fehr unwahrfcheinlichen Hypothefe, daß der Fluß nach Often gehe
und die ganze hier etwa 300 Legoa’8 betragende Breite des Eontinents
Bis zu der aus Älteren Berichten befannten Landfchaft Monomotapa durchs
ziehe, wobei er annahm, daß der Zambefe der untere Lauf des Cunene
fein möchte, eine Anficht, Die Durch den Herausgeber von Racerda’s Bericht,
den früheren portugiefifchen Minifter Bisconde da Sa Bandeira, mit
Recht verworfen wurde (a. a. O. IV, 196). Bon dem oberen Theil des
Eunene berichtete nun Lacerda, daß deffen Quelle in Candimdo bei Ca⸗
conda liege, daß berfelbe feinen Lauf anfänglich nach Süden nehme,
wobei er, nachdem er fich durch die Fluͤſſe Cobango und Eutado!) vers
ftärft Hat, das Gebiet der Hiuptlinge (Sova’8) von Lebando und Lu⸗
ceque durchziehe. In diefem Gebiete fei der Strom, obwohl nur 20
Meilen von feinem Urfprunge entfernt, fchon fo groß, daß er nicht
mehr durchwatet werden könne. Der Sova von Lureque ziehe von
ihm eine gute Revenue, indem er die zum Transport der Waaren
über den Fluß nöthigen Canoes vermiethe. Dann wende fih der
Strom nad Dften. Hier hören Lacerda's genaue Nachrichten auf
und in der von Ihm fupponirten Yortfegung des Stroms bis zum
Zambefe folgt der Berichterftatter fichtlich nur der Anficht der Eingebores
nen, was er jedoch felbft eingefteht, denn er fagt: E nada mais pode
dezir se com certeza deste famoso e grande rio (a. a. O. IV,
196). Aus diefen Worten ergtebt fich deutlich, daß der Eunene im
Innern wirklich ein beträchtlicher Strom ift, und daß die Eingeborenen
Recht Haben, wenn fie ihn fo nennen, da Cunene in ihrer Sprache
groß bedeutet (Annäes maritimos e coloniäes. Parte näo ofli-
cıal. IV, 196) ?); ferner folgt aus Lacerda's Mitiheilungen, daß der
Eunene der Abflußcanal fehr zahlreicher Gewaͤſſer eines großen Ge⸗
birgslandes bei Caconda fein muß, weil er fonft unmöglich nach
einem Laufe von nur 30 Legoa's fo wafjerreich fein würde, wie ihn
Larerda ſchildert. — Mit diefen Angaben flimmt auch Furtado's
Karte fehr wohl überein. Nach ihr entipringt der Cunene etwa uns
ter dem 13° 30’, und richtet feinen Lauf zuerfi nah Süden, dann
») Diefer Cutato iſt verfchieden von einem anderen großen Fluſſe deſſelben
Namens, der nach Furtado's Karte nad) Norden zieht und in den Coanza fällt.
2) Auch hieraus ergiebt ſich, wie gut Labat und d’Anville unterrichtet waren,
wenn fie ben Gunene la grande riviere nannten.
222 Gumprecht:
nach Süweſten und endlich in der Breite von Caconda beinahe genau
nach Oſten, worauf er fich wendet und gegen Sübfüpoft fließt. Hier
hört die Karte auf, fo daß und Furtado's Anficht über den unteren
Lauf des Cunene leider unbelannt if. In den oberen Lauf des letz⸗
ten bis Caconda fallen nad Furtado mehrere Fluͤſſe, wovon er den
Duando, den Cubamgo (wahrfcheinlich Lacerda's Cobando), der nad)
der Karte fogar ‚langer und bedeutender als der Cunene felbft if, und
den @utato de Ganguelas (Larerda’s Eutato) nennt. Der dritte por-
tugielifche Bericht, der ded Gouverneurs Vasconcellos, ift von noch grös
Berer Bedeutung, indem der Strom gerade innerhalb des Verwaltungs:
bezirt des Gouverneurs lag. Nach demjelben befindet fi) die Duelle
des auch von ihm als ein ausgezeichneter Strom hervorgehobenen
@unene (o famoso Rio Cunene) an den Grenzen dreier Diftricte,
der von Balundo (Bailundo) und Galangue, fowie an der Grenze
des Diftrirtd des Sova (Häuptling) von Candumbo !). Hier ver-
ftärft fich der Hluß durch viele andere, und durchzieht dann, verſchie⸗
denen Richtungen folgend, die Benguela zugehörenden Landſchaften
Duallangue (Galengue bei Cardozo), Caronda und Quillengued (Duis
lengues bei Feo Cardofo), worauf er fi) dauernd nach Süden und
Sübwelten wendet, bis er am Cap Negro 15° 42’ fübl. Br. endet
(a. a. O. IV, 154). So ftimmt diefe neuere und gewiß zuverläßige Mit-
theilung faft vollfommen mit der älteren auf d'Anville's Karte überein,
und es Tann fein Zweifel fein, daß die Verhäfniffe des Fluſſes und defien
Mündung darin wefentlid richtig Dargeftellt find. Hiermit flimmen end-
lich die Radprichten fehr wohl, welche Galton von Süden her bei feinem
neueren Aufenthalte im Lande der Ovamp von vielen Individuen über
die Eriftenz eines großen, nur A—5 Tagereifen nördlich darüber. hinaus
gelegenen Stroms einzog, deſſen Namen er zwar nicht fennen lernte,
da er einen folchen wenigſtens nicht erwähnt, der aber unmöglich ein
anderer, als der Cunene fein kann. Wie Galton nämlich erfuhr
geht diefer Strom der Ovampô, ber, gleich dem Gunene, fo tief if,
daß man ihn nicht überfahren fann, und zugleich fo breit, daß man
die Stimme eined rufenden Mannes auf der anderen Seite nicht
verfteht, von Weften nad) Often bis zum Ocean, in den er aber
2) Den Namen Candumbo hat auch Furtado's Karte,
Zur Kunde uvm Säb » Afrika. 223
nicht felbft münde. Er ende nämlich ſchon in der Nähe des Meeres
wie manche andere Fluͤſſe Afrika's, namentlich wie der Webbe (Fluß)
Schebeyli des Soͤmalilandes (Chriſtopher's und Cruttenden's Karten der
Sömalifüfte im Journal of the Geogr. Soc. of London. XIV und XVIID
in dem großen Batti⸗See, gleichfalls in einem großen See (pool), wobel
fein Waſſer durch den gefährlich zu betretenden Sand ber den See von
dem Meere trennenden Zunge fidert (Galton 218). Vergleicht man
hierbei die aftronomifche Lage des Hauptort ber Ovampoͤ, wo Galton
feine Erfundigungen einzog (die rheinifchen Miffionsberichte 1851,
©. 402 nennen denfelden irrig Mondongo, indem Ondonga der Name
des ganzen Landes der Ovampo ift [Galton 207]), in 17° 59 n. Br.,
36° 38’ 45” öſtl. L. von Kerro mit der von Gaconda und mit der des
Gap Frio in 18° 22’, fo kann es in der That nicht zweifelhaft fein,
daß auch der Strom der Ovampoͤ der @unene des Innern von Ben
guela if. Rad den rheinifchen Miffionsberichten foll fich jener noch
mit einem anderen prächtigen Strom, dem Omoronga, vereinigen.
Auch das flimmt mit der Hier angenommenen dentität des Cunene
und des Ovampöftromes überein, daß beide Ströme als Grenzpunkte
der politifchen Verhältnifie und des Handels diefer Gegenden erwähnt
werben, indem fchon Cavazzi, wie angegeben, berichtete, daß die Bros
vinz Benguela im Süden bi8 an den Cunene reicht, und neuerdings
Galton erfuhr, daß die portugiefifchen Handeldagenten aus Benguela
nur bis an die nördliche Grenze der Ovampo und deren großen Strom
gehen, nie aber denſelben überfchreiten (172, 218).
Bei der Bedeutung des in Rede ftehenden Stromes war e8 na⸗
türlich von Höchftem Snterefie fich zu vergewiſſern, ob im Innern
defien Mündung von der Art ift, daß fie Fahrzeugen eine leichte und
ſtets offene Communication mit dem Binnenlande geftattet, oder ob fie
vom Meere ganz abgeſchnitten ift oder endlich ob fie wie Die mancher ſuͤd⸗
afrifanifchen Steöme durch Sandbaͤnke nur periodifh unpafficbar ift.
Letztes fcheint hier der Fall zu fein. Als nämlich die Weſtküſte Süd⸗Afri⸗
fa’8 durch den Bapt. Chapman mit der englifchen Brigg Eſpioͤgle unter-
fucht wurde, fand dieſer am 23. San. 1824 angeblich im 17° 10 die
Mündung eines Stromes von folcher Stärke, daß derfelbe 2 engl. Meilen
weit die See färbte, und daß ein großes mit Waſſer beladened Boot die
Mündung paffiren fonnte (Steedman, Wanderings and adventu-
224 Bumpredt:
res in the interior of South Afrika. 2 vol. London 1835. I, 189;
W.F. W.Owen, Narrative of voyages to explore the shores of
Africa, Arabia and Madagascar. 2 vol. London 1833. II, 230).
Bei der bald darauf folgenden Anwefenheit von Owen's Erpebition an
dieſer Küfte war es derfelben Dagegen fo unmöglich, die Mündung
des von Chapman nach feinem und Owen's Vorgeſetzten, dem Com⸗
mobore Rourfe, Nourfe River genannten Fluſſes, in welchem man
fofort den Cunene der Portugiefen zu erkennen glaubte, zu entveden,
daß man fogar deſſen Eriftenz bezweifelte. Chapman’d und Owen's
Erfahrungen laſſen fich jeboch bei der Annahme wohl vereinigen, daß
der Fluß nur in der Regenzeit, wo er ſtets angefchiwollen fein muß,
einen freien Abzug in das Meer hat, während er in der trodenen
Jahreszeit fchon vor demfelben aufhört, weil er dann nicht mehr
die Kraft hat, die durch die Brandung an feiner Mündung angehäuf-
ten Sandinaffen zu durchbrechen. Dies vermuthete Owen felbft ſchon
und ed entfpricht auch fehr gut den Ergebniffen einer ganz neuen im
November 1854 unternommenen portugiefifchen Unterfuchung der Münz
dung des Cunene, worüber der nachfiehende von dem Liffaboner Gou⸗
vernementsjournal (Diario do Governo) vom 23. März; 1855 mitge-
theilte Bericht, den wir der Güte des Miffionard Herrn Hugo Hahn
vervanfen, Auskunft giebt, fowie ziemlich gut felbft den durch Galton
über Die Mündung des Dvampöftrems erhaltenen Nachrichten. Jeden⸗
falls ift ed nun außer Zweifel, daß es der langen hiefigen Küfle an
feifchem Waſſer nicht ganz fehlt, obwohl früher dies fonderbarer Weife
ſehr bezweifelt wurde, indem fogar zwei in ihren Fächern berühmte
Männer, der Capt. Tudey (Maritime Geography. A vol. London
1807 II, 548) und der Prof. Jamejon (Narrative of discovery and
adventure in Africa. 3th ed. London 1832, 419) dieſe abfurde An⸗
ficht getheilt hatten, wogegen Steedman mit Recht ausfpricht, daß, Da
man Ortfchaften an der Hiefigen, angeblich völlig wafferlofen und nach
Tudey vom 15° 32’ — 31° füdl. Br. reichenden, alfo faft 1000 engl.
Meilen langen Küfte nebft menſchlichen Bewohnern gefannt habe, alle bie,
welche einer folchen Anficht zuftimmten, es auch hätten erklären müflen,
auf welche Weife die Bewohner der Küfte fih ihr Trinkwaſſer ver
ſchafften (a. a. O. II, 189), und wie die häufig hier vorkommenden
Elephanten ohne daſſelbe zu leben vermöchten.
"
Zur Kunde von Sud⸗Afrika. 225
Der von einer Karte und einigen landſchaftlichen Zeichnungen,
Beilagen, die in dem mir vorliegenden Exemplare fehlen, begleitete neue
portugiefifche Bericht über die Unterfuchung der Mündung des Eunene
iR nun folgender:
„Seit langer Zeit redete man von dem Fluſſe Eunene, der Frucht⸗
barkeit feiner Ufer und feinem Mineralreichtfum, aber diefe, faft nur
von Handeldleuten, welche die MWüfte durchzogen, erhaltenen Nachrich-
ten befagten nichts über defien Mündung, fo daß man daraus feine
Gewißheit hatte, ob der Strom in feinem Laufe durchweg fchiffbar fei
oder nicht. Entſchloſſen, meinem Lande einen Dienft zu leiften, faßte
ih den Vorſatz, mich perfönlich nah der Mündung des Fluſſes zu bes
geben, um zu ermitteln, bis zu welchem Grade von Wichtigfeit ſich
berfelbe, welcher nach der Weftlüfte und nicht nach der entgegengefeh-
ten Seite des Continents feinen Lauf nimmt, für ben Handel von
Afrika erheben dürfte Der Irrthum, den Eunene nad Oſten flies
ben zu laffen, fchreibt fich nämlich aus der dem „Berfuch über bie
Statiftif unferer überjeeifchen Beſihungen, von Lopes de Lima” bei⸗
gegebenen Karte her. Es nimmt der Fluß feinen Urfprung in dem
Lande Nano, defien Rame bei den Bewohnern diefer Gegenden eine
allgemeine Bedeutung hat und nichts weiter ad Hochland fagen
wi’), worauf er Molombo und Camba, die an feinem rechten Ufer
liegen, von der am linfen Ufer belegenen Landfchaft Canhama trennt,
indem ex eine frumme Linte bis an den Küftenftrich des Bezirks Mof-
ſamedes ?) in 17! Grab nörblicher Breite befchrefbt, etwas, das fich
fowohl aus der Befchreibung, welche die Handeldleute des Waldes
über feinen Lauf machen, al8 auch aus den Angaben der Muimbas *)
und Mufimbas, Bölferfchaften, die das linke Ufer des Fluſſes bewoh⸗
nen und einige Verbindungen mit den anderthalb Tagereifen füblich
von Moffamebes anfäffigen Bewohnern von Croque unterhalten, ſchlie⸗
ben Laßt. Nach diefen Angaben ift denn auch die von mir beige
fügte und aus einem englifchen Atlas (Bowles's new one-sheet
map of Africa) entlehnte Karte entworfen; fie zeigt die Richtung,
weicher der Fluß von feinem Urfprunge bis zu feiner Mündung folgt,
und die von der Schilderung der Handeldleute oder Eingeborenen wenig
abweicht.
Mit dem feiten Vorfabe, einen genauen Bericht über die Müns
Zeitfehr. f. allg. Erdkunde. Bo. V. 15
226 Gumprecht:
dung des Fluſſes zu geben und zu erforſchen, bis wie weit derſelbe
im Innern ſchiffbar fei, ſchiffte ich mich am 3. November d. J. mit den
Herren Bernardino F. F. de Abren e Caſtro, Coloniedirector, Antonio
Accario de Oliveira Carvalho, Capitain und Eigenthuͤmer ber Brigg
Aurora, Joſo Duarte Franco, Steuermann des eben genannten Schiffes,
und dem Goloniften Antonio Romano Franco, welche ven lebhaften
Wunſch Hatten, mich auf meinem Ausfluge zu begleiten, zu Moſſame⸗
des in dem Schooner Conſelho ein.
Um Halb 12 Uhr Nachts fuhren wir aus der Bai des letzigenann⸗
ten Orts aus und fteuerten ſuͤdlich. Am zweiten Tage erhob ſich aus
Suͤdweſt ein fcharfer Wind, der und nöthigte, einige Stunden beizu-
legen. Am dritten Tage ward die Witterung gelinder, und wir fleuer
ten weiter, bis wir endlich am 8. Tage an die Norbfpige der Großen
Fiſch⸗Bai gelangten und noch am nämlichen Tage in viefelbe einliefen.
Diefe weite, etwa 64 Meilen (Milhas) *) breite und 18 Meilen
lange Bucht °) wird im Oſten durch große Sandvünen ®), im Welten
durch eine gleichfalls aus Sand gebildete Halbinfel, deren größte Hoͤhe
über dem Waflerfpiegel 8 bi8 9 Palmos (5,57 bis 6,27 xheinl. Fuß)
betragen mag, begrenzt, und bietet Fahrzeugen von jeglicher Tragfaͤhig⸗
feit einen ficheren Anferplag dar. Sie hat zugleich einen Ueberfluß an .
Fifchen, befonders aber an Walfifchen, wie wir zu beobachten Gelegen⸗
heit Hatten. Wollte man bier Factoreien für den Fifchfang anlegen, jo
würde Jeder, der fich einem ſolchen Induſtriezweige widmete, meiner
Veberzeugung nach einen außerorbentlichen Gewinn daraus ziehen. Ob⸗
gleich der umgebende Boden faft feine Spur von Begetation zeigt, ald
etwa bin und wieder einen Gacteenftamm, fo findet man doch ganz naht
füßes Waſſer und zugleich an der ſuͤdlich der Bai in einer Ausdeh⸗
nung von 30 Meilen fich Hinziehenden Küfte viele Baumflämme, die und
ſogleich zu der ſich fpäter bewahrheitenden Folgerung veranlaßten, daß
fie von den Ufern des Fluſſes Cunene herrühren, durch diefen zur
Zeit des Hochwaſſers herabgefpült, dann durch die flarfe Steömung
in's Meer geführt und endlich durch die Fluth an den nörblichen Ge
ſtaden der Mündung des Fluffes wieder abgefegt wurden. Als wir
und mehr dem Hintergrunde der Bucht näherten, glaubten wir einige
Baumgruppen und einen großen See wahrzunehmen und fanden den
Anblick des Landes deshalb immer anmuthiger werdend; dies war
Zur Kunde von Süd⸗Afrika. 227
jedoch eine Täufchung, die nur wenige Augenblide dauerte, indem eines
der befannten Lichtphänomene und kleines Strauchwerk in große Bäume
verwandelte und und veranlaßte, Sandflächen für Seen angufehen,
worin fich die vermeintlichen Baume und andere erhöhte Punkte ab»
tpiegelten. Am 8., 9. und 10. Tage nach unferer Abfahrt blieben wir
in der Bai vor Anker, in der Abficht, unfere Reife zur See fortzus
fegen, bis wir auf die Mündung des Fluſſes träfen. Da diefer Bunft
jedoch faft unbefannt und die Beforgniß vorhanden war, es dürfte die
Einfahrt eine fehwierige und fein gefchüßter Anferplag für den Schoo-
ner in der Nähe zu finden fein, fo befchlofien wir, die übrige Reife zu
Lande den Strand entlang fortzuſetzen.
Rah Beendigung der nöthigen Vorbereitungen fchifften wir uns
am 11. Tage um 8 Uhr 10 Minuten, aus und traten, zufammen
10 Weiße und 11 Neger, welche lebte unfere Lebensmittel trugen, die
weitere Reife zu Fuß an. Nachdem wir zweimal inmitten des leichten
Slugfandes, den wir zu durchwandern hatten, ausgeruht, machten wir
gegen 5 Uhr Abends am Strande das Esponjad (der Schwämme)
Halt, wo wir eine Hütte auffchlugen und die Nacht zubradhten.
Früh am Morgen des 12. Tages wurde die Reije in der Rich⸗
tung von Norden nach Süpen fortgefegt. Wir hatten große, in der
Länge und Queere mit Bafaltadern durchſetzte Granitblöde ”) zu pafs
firen, während und an der Oftfeite große Sanddünen blieben. Unſer
Marfch war diesmal minder befchwerlih, da der Tag fein fo heißer
war, und wir öfterd wegen der ziemlich ermübeten Träger ausruhen.
Nachmittags halb 5 hr lagerten wir und nach einem Marfche von
12 Meilen nahe am Strande, ohne daß jedoch irgend ein Zeichen
wahrzunehmen gewefen wäre, daß der Fluß nahe fei. Bei der Aus-
theilung von Wafjerportionen, was anzuordnen nöthig war, da wir
kaum 10 große Flafchen für 21 Perfonen mitgenommen hatten, wur-
ven wir etwas entmuthigt, ald wir bemerkten, daß wir nur einen
Vorrath von 5 bis 6 Duart hatten, und Feine Ausficht fahen, in der
Nähe Wafler anzutreffen. Es wurde daher befchloflen, zwei unferer
Begleiter tiefer in das Innere mit dem Auftrage zu fehiden, an nies
drigen Stellen nach Waſſer zu graben. Das war eine vergeblide Ars
beit, doch verloren wir den Muth nicht, und mit dem feſten Vorſatze,
alle Schwierigkeiten zu überwinden, machte fich zu dieſem Zwede Herr
| 15 *
228 Gumprecht:
Abreu Vianna, von einigen Perſonen begleitet, auf den Weg. Wir
wußten nämlich nicht, daß wir nur ungefähr noch Ay Meilen von dem
Fluſſe entfernt waren. Schon um halb 10 Uhr fehrte die Feine Er-
pedition zurüd und brachte zwei Flaſchen eines reinen Karen Waflers
aus dem Fluffe, den wir am anderen Morgen zu fehen befommen foll-
ten, mit. Hoffnungsvoll brachten wir die Nacht hin umd fehnten uns
nach dee Morgenröthe, um unfer erflrebtes Ziel zu erreichen. Das
dauerte nicht viele Stunden mehr. Um A Uhr Morgens wurde um-
fere Hütte abgebrochen, und ſchon um halb 6 Uhr befanden wir und
am rechten Ufer des Fluſſes, anderthalb Legoas oberhalb feiner Mün-
dung, von wo ab wir fogleih Sandkraͤnze bemerften, die nad) ber
Mündung zu ſich vermehrten; nahe derfelben liegt eine Fleine Injel
mit einiger Vegetation. Da es aber von biefem Punkte fich nicht ers
kennen ließ, ob der Fluß eine breite und freie Einfahrt habe, fo zogen
wir längs des rechten Ufers bis zur Küfte hinab und bemerften bier,
daß fi vorn am Fluſſe eine mit der Küfte in vollfommener Berbin-
bung ftehende Sandbank befindet, welche zur Zeit des Hochwaſſers
duch die Strömung des Yluffes durchbrochen oder verfegt wird. Iſt
das Waſſer niedrig, fo fidert ed durch den Sand. Pimentel fagt zwar
in feinem Coursbuche, daß die Strömung des Fluſſes ſich noch auf einige
Meilen weit im Meere fpüren laffe, und er giebt fogar die Richtung
an, in welcher ein Boot oder Kahn beim Eingang in den Fluß fleuern
müffe. Ich bin aber völlig überzeugt, daß Pimentel fich gerade Hier bes
fand, als die Zeit des Hochwaflers eingetreten war. Er felbft ſchweigt
jedoch von dem Umflande, und glaubte unzweifelhaft, den gewöhn-
lichen Waſſerlauf vor fich zu Haben. Wenn wir alfo, ſtatt den Reft
unferer Reife zu Lande zu machen, zur See geblieben wären, fo würs
den wir, da die Sandbank ziemlich Hoch ift und in den übrigen Küftenzug
übergeht, wohl gar nicht auf den Fluß getroffen fein, obwohl Piemen-
tel defien Breitenlage ganz richtig angegeben hat. Ja wären wir felb
des Flufſes anfichtig geworden, fo hat die Küfte doch hier eine ſolche
Brandung, daß fie einem Boote, welches fich hätte nähern wollen, den
Untergang bereitet Haben würde. Nahe am Geſtade und am rechten
Ufer des Fluſſes bot fich eine ziemliche Vegetation dar, und wir trafen
große Rubel von Reben, Untelopen (der Verfaſſer fchreibt Penelo-
pes! ©.) und Ziegen. Obwohl wir gleich unfere Gewehre zur Hand
Zur Kunde von Süd- Afrika. 229
nahmen, war ed doch nicht möglich, die Thiere fchußrecht zu befommen.
Die Küfte läuft Bier in fün-fünsmweftlicher Richtung und gewährt in
feiner Weiſe einen ficheren Schup. Nahe der Bank ift der Fluß ſehr
feiht und würde ſich kaum mit einem plattbobigen Fahrzeuge befchiffen
laflen; die Ufer find von geringer Höhe und beftehen aus Sand und
Kies mit wenig Begetation. Wir Fehrten von dem Ausfluge nach uns
ferem Zagerplage zurüd, und gleich darauf fließen wir zum erften Male
auf einen Elephanten, der am linfen Ufer Iuftwandelte. Der Ans
blid verurfachte eine große Bewegung in dem Fleinen Bivouak, und fo
fort wateten fech8 unferer Leute Durch den Fluß, um Jagd auf das
Thier zu machen, obwohl das Leben derfelben im Fluffe wegen der
Menge der darin lebenden Jarar&s (Krofodile) in Gefahr ſtand. Einige
der beherzteften Jaͤger ſchoſſen zwar ihre Flinten in ziemlicher Rühe auf
das Thier ab, aber der Elephant fehte, ohne auf feine Verfolger im min⸗
veften zu achten oder den Schritt zu ändern, feinen Weg fort. In feis
nem gemächlichen, doch weitgreifenden Schritte gewann er den Jägern
einen ziemlichen Vorfprung ab, wie jehr dieſe auch beftrebt waren, ihn
zu erreichen, und richtete feinen Weg nach dem Punkte des Ufers bin,
der dem, wo wir unfere Hütte hatten, gegenüber Tag. Nicht ohne
einige Angft fahen wir, wie der Elephant den Fluß in der Richtung
auf und zu durchſchritt. Wir festen und in Vertheidigungsſtand und
begannen zu feuern. Das Hinderte jedoch das Thier nicht, feinen
Schritt in aller Ruhe fortzufeen, wenn ed gleich von Zeit zu Zeit
feine gewaltigen Obren fchüttelte zum unverfennbaren Zeichen, wie ſehr
die Muflf der Kugeln ihm eine fremde und keineswegs angenehme jel.
Den Reſt des Tages und die Nacht brachten wir in vollfonmes
ner Ruhe zu, indem wir im Boraus befchloffen Batten, zumal wir noch
Lebensmittel genug und jet auch Waſſer im Weberfluß befaßen, den
Fluß, fo weit wir fönnten, zu unterfuchen.
Am 14: Tage um A Uhr Morgens gingen wir kings des rechten
Slußufers weiter und fahen bei jedem Schritte auf der einen, wie auf
ber anderen Seite des Fluffes große Ablagerungen von Schwemmholz
und dicke Stämme, denen ähnlich, die wir an der Meeresfüfte geſehen
hatten. Allmählig wurden die Ufer höher und engten den Fluß mehr
ein, ohne daß deſſen Bett dadurch eine Unterbrechung erlitten hätte. Nach
zweiſtündigem Marfche fahen wir aber zwei anfehnliche Yale. Noch
230 Gumpredt:
bilveten hohe Sandduͤnen das linfe Ufer, an dem rechten erhoben fich
dagegen große fenfrecht abfallende Granitfelfen ®), was und nöthigte,
uns etwas vom Ufer zu entfernen und dann M Stunden zu marſchi⸗
ren, ehe wir wieder an das Flußufer gelangten. Es war dies einer
der befchwerlichften Tage auf unferer Reife, befonders für die Träger,
da das Terrain von großen Schluchten durchfchnitten war, die bald
quer unferen Weg durchfebten, bald Hin und wieder ſich wanden.
Da es und der großen Ermüdung wegen nicht möglich war,
unferen Weg an diefem Tage weiter fortzufegen, hielten wir ung
an ven Fluß, um an deffen Ufern einen geeigneten Pla zu unferem
Nachtlager aufjzufuchen. In der That gelangten wir an eine ange
nehme und malerifche Stelle, die eine reichere Vegetation zeigte, indem
der größte Theil der dortigen Bäume aus Eedern, jedoch von weit
geringeren Dimenflonen, als in Europa, beftand. Die Ufer find bier
etwas niedrig und laffen fich, befonders das rechte, leicht paffiren, ohne
daß jedoch ein Saum von diden Felſen aufgehört hätte, wogegen am
Iinfen Ufer die Sanddünen ununterbrochen fortgingen. Hier gewahrten
wir viele Exreremente von Elephanten nebft Fußtapfen von Zebras,
Rehen, Füchfen, Affen, felbft von Löwen. Die Richtung des Fluffes
ftreicht in Nordoſt 4 Oft.
Am 15. Tage fehten wir bei großer Abnahme unferer Vorräthe
und ohne Hoffnung des Erfages durch irgend ein jagbbares Wild,
unferen Marfch fort. Um halb 10 Uhr, als die Hitze drüdender wurde,
hielten wir an, um auszuruhen und zum Frühftüd den Reſt unferer
Lebensmittel einzunehmen, entfchlofien, in einem Lande, wo fich Feine
Spur eines menfchlichen Wefens zeigte, und feiner Hungerfrife auszu⸗
fegen und umzufehren, um in fürzeiter Zeit die Bucht wieder zu ges
winnen. Glüdlicher Weife entvedten wir während der Raft einen Ele:
phanten nebft feinem Jungen in weniger, ald Slintenfchußweite, auf
einem berafeten Inſelchen. Es ward fofort der Vorſchlag gemacht, die
Mutter anzugreifen, um das Junge zu erhalten; dies gab ich jedoch
nicht zu, weil mich eine große Verantwortlichfeit getroffen hätte, ſobald
einer aus unferer Begleitung das Opfer folcher Kühnheit geworden
wäre Wir fahen das Thier eine Weile um das Junge berumgeben,
gleich als ob es daſſelbe gegen irgend einen Anfall fchügen wollte.
Endlich ließ es daffelbe ſtehen und ging flußaufwaͤrts durch das Waffer.
Zur Kunde von Süd» Afrika. 231
Sobald wir es aus dem Geficht verloren hatten, geflattete ich die Jagd
auf das Zunge; in wenig Minuten durchſchritt einer vom den uns begleis
tenden Soldaten, ein beherzter Schwarzer, ven Raum, der ung von dem
Thiere trennte, und gab ihm faft im Berühren einen Schuß, welcher
ihm die Schulter Durchbohrte. Nun ward es durch 6 Mann nach dem
Plage, wo wir lagerten, gejchleppt, geöffnet, abgezogen, zerfchnitten und
rationdweife vertheilt. Es wog 7 Arroben (d. b. 224 Pfund, die por:
tugiefifche Arroba zu 32 Pfund gerechnet. ©.), obgleich es erſt neu-
geboren fein mußte, was fich daran erkennen ließ, daß es nichts, als
Milch, im Magen hatte. Es ward fugleich eine Portion des Yleifches
gekocht und gebraten, und ich kann verfichern, Daß es vortrefflich war.
Mit befjerer Zuverficht fegten wir nun unfere Reife weiter fort.
Der Anblid, den das demnächſt durchzogene Land darbot, blieb immer
berfelbe, mit dem Unterſchiede, daß die Vegetation mehr entwidelt war
und Fußtapfen verſchiedener Thiere fich in größerer Anzahl wahrneh-
men ließen, befonders von Efephanten, was und glauben ließ, daß
mehr nach dem Innern des Landes fich große Heerden diefer Thiere
an den Flußufern aufhalten, die zu beflinmten Jahreszeiten die Ufer
herabfommen, längs denen wir gezogen waren. Bon der Mündung
des Fluſſes bis zu der von und erreichten Stelle, eine Strede von
ungefähr 21 Meilen, begegneten wir fchon acht Elephanten, die nach
vem Innern zu ihren Weg nahmen. Bis zu dem Punkte wenigſtens
kann man dem Fluſſe eben feine Wichtigkeit beilegen, indem er eng, ges
wunden und voller Fälle, mithin nicht fchiffbar if. Denn wollte man
auch die Stromfchnellen ebnen, was nicht unmöglich fein dürfte, fo würbe
man die Mündung doch nie völlig frei haben. Das Iinfe Ufer befteht näm-
lih aus ftarfen Sanphügeln, welche die Gewalt des Hochwaſſers leicht
binwegfpült und nahe an der Mündung, wo der Fluß am jeichteften
und mithin auch die Strömung am fehmwächften ift, wieder abjekt.
Ob der Strom an anderen Punkten ſchiffbar ift, wiffen wir nicht,
und eben fo wenig, in welcher Entfernung von hier ſich deſſen Ufer-
bemohner befinden. Was wir in der Entfernung fahen, war eine
Kette ziemlich Hoher, von Norden nah Süden fich hinziehender Berge,
auf deren Ueberſteigung wir jedoch in Betracht der wenigen oder gänzlich
und fehlenden Bequemlichfeiten der Reife verzichteten. Ueberdies war der
Zweck unferer Miffion ein anderer, und diefen hatten wir erreicht. Am
232 Gumpredt:
16. Tage traten wir deshalb unfere Ruͤckreiſe nach der Großen Fiſch⸗
Bai in der Richtung KordsMWeft 4 Nord an und famen dort am 17.
etwa um 10 Uhr Morgens an, Indem unfere Yußreife zu Lande 30
und einige Legaos betragen Hatte Wir jchifften uns Hier ein, und
ließen am 18. um 1 Uhr Nachmittags den Anker in der fchönen Bai
von Moſſamedes fallen.
Gleich nach der Ausſchiffung wurde ein Protokoll über den Ber
lauf der Reife, fowie über die Gründe, die und zur Veränderung des
Namens jenes Flufies bewogen hatten, niedergefchrieben. Schon jet
machen ſich die Folgen unfered Ausfluges bemerkbar. Mehrere Bes
wohner von Moffämedes, die als Handeldleute den Wald zu durch⸗
ziehen pflegen, rüften fich zu einer Land» Ercurfion nach den Ufern des
unterfuchten Stroms, wo fie ohne Zweifel eine neue Quelle der Bereiche⸗
rung ihres Handels⸗Etabliſſements finden werben. Knüpfen fie dann
einen fried» und freundlichen Verkehr mit den Eingeborenen jener Land⸗
fireden an, fo dürfte dies leicht den Erfolg Haben, daß die Eingebo-
renen fünftig felbft nad) Moffämedes, um Handel zu treiben, fommen,
nach dem Beifpiel der Völkerfchaften der Gambos ?), Huila'°), Jau!'),
Humputa, Quillengues, Humbe'?), Cumba, Mulondo '?) und anderer.
Moflämedes, den 20. November 1854.
Fernando da Eofta Leal.“
| ı) Ein Land Namens Nano erfcheint bereits in dem früher (S.220) angeführ-
ten Berichte Lacerba’s vor, worin gefagt wird, daß baffelbe bis zu dem früher und
fpäter nirgends weiter erwähnten, nad) Lacerba aber die beiden Provinzen Benguela
und Angola trennenden Fluſſe Aco reiche und die Landfchaften Balundo, Ambo, Quiaca,
Duitata und Galangue umfafle (a. a. D. IV, 190, 198). In des italiänifchen Capuci⸗
ners Gannecattim umfangreichen Wörterbuche der in Angola Herrfchenden Bundaſprache
fonımt das Wort Nano gar nicht vor, während das Wörterbuch body ausdrücklich
fagt, daß die Bundaſprache in Galangue (Gullungo bei Cannecattim) herrſche
(Dieccionario da lingua Bunda ou Angolense. Lisboa 1804. ©. VII). So if es
möglich, daß Nano ein Wort ber Benguelafpradhe ift, die, wenn auch von gleichem
Stamm mit dem Bunda, doch fo fehr davon abweicht, daß fie von den Bunda Rebenten
ſchwer verflanden wirb (Cannecattim, Collesäo de observacdes grammaticaes sobre
a lingua Bunda ou Angolense. Lisboa 1805. ©. XV). Gine ähnliche geegraphiſche
Bedeutung, wie Nano, fcheint übrigens noch ein anderes Bundawort, nämlich Banıbi, zu
befigen, das kalt bedeutet (frio nad) Cannecatiim Diccionario 427) und einfach oter
in Bufammenfeßungen fich vielfach auf den Karten D’Anville's und Furtado's und im
den verfchiebenen älteren Berichten über Angola als Benennung von Rocalitäten, Ge:
Zur Kunde von Sk: Afrika. 233
birgen und Fläfen Angola's in mannigfachen Formen findet, wobei man deuilich
fieht, daß foldye Namen vorzugsweife gebirgigen Gegenden eigen find unb daß alfo
die gemäßigte oder ſelbſt kalte Atmoſphaͤre die Wahl von dergleichen Namen Geitens
der Eingeborenen veranlaßt haben mag. So erfäheint fchon bei dem älteflen italiänis
ſchen Berichteratter über Angola, Ed. Lopez, eine große, zwifchen ben Ambriz⸗ und
oje: (sc! ©.) Fluſſe gelegene BebirgssLandfhaft des Meiches Congo, Namens
Yamba (Purchas Pilgrims. London 1625. 1I, 999), was mit Yurtabo’s Karte
übereiuftimmt, die zwifchen dem Ambriz⸗ und Logefluffe ein Land Banıba hat; fo
erwähnten G. Mendez (f. hier ©. 218; Nouv. Annales des voyages. XXIH, 353,
357) und der Lieutenant Garcia (f. ©. 218 und Ann. marit. e col. Parte n. ofhc.
IV, 243) zwifchen Benguela und Gaconda eine Gebirgslandſchaft Bumbo, und aud
Furtado die Namen Muene Bumbe, vd. 5. Herr von Bumbe, füblih von Loanba,
Mume Bumbe zwiſchen dem 2oges und Danbeflufie, Bumbe Lunga ebenbort,
Bambea moxima am Fluſſe Gutato dos Ganguelas (f. bier ©. 222), Cambambe
em Coanza, Duimbnnby offünöfli von Moſſamedes hat, wozu endlich Banıbe
(Dmboni S. 130) und die Bölkerfchaften der Bimba’s im Diſtricte Balundo
(Ann. marit. e colon. Parte näo oflic. IV, 157) treten. Dana if anzunehmen,
daß die von Lopez (Purchas II, 999) in das Binnenland Angola’s verfepten kal⸗
ten Berge (Monte freddi; Sierra fria der Portugiefen), die berfelbe fogar zn
Schneebergen macht, bei den Angolaern auch Bumbo, Bambi oder ähnlich genannt
werden. Hiernach und bei der großen Berbreitung bes fübafrifanifchen Sprachſtammes
darf man fich ſelbſt nicht wundern, daß es noch ein Gebirge Bumbo an der de La⸗
goabai giebt (Sowie und Green bei Sieedman I, 285). ®.
2) Der Name Mofjamebes wurde ſchon im 3. 1785 bei Gelegenheit von G. Mens
dez Erpebition ber fogenannten Negerbai (Angra do Negro), wie ſchon S.213 erwähnt,
nach dem damaligen Gouverneur dieſes Namens gegeben, während biefelbe bei den
Engländern den Namen der Heinen Fiſchbai (Little Fishbay) führt. Aber erſt im
3.1840 fand hier die Gründung einer Handelsſtation flatt, die ſich bald zu einem im
3. 1846 ſchon 120 weiße Einwohner zählenden Dorfe erhob, das bei den Gingeborenen
Bifungo Biltoto Heißt und eine Linlencompagnie zur Beſatzung hat. ine Befchrets
bung der Bat, in welche ein großer Fluß, der Bero ber Bingeborenen, fällt, Liefern
die Annäes marit. e colon. IV, 393 — 395, wozu der bier S. 207 erwähnte Plan
der Bai gehört. G.
2) Die Muimbas nennt auch Vasconcellos (Moimbas, IV, 151); ſie ſcheinen
verſchieden von den am Cunene im Diſtrict Caconda wohnenden Munhembas (Vas⸗
concellos IV, 153) zu fein, welche letzte ebenfalls Lacerda als Monhembas erwähnte
(IV, 198). G.
2) Dieſe Meilen find wahrſcheinlich portugieſiſche Seemeilen zu 54 auf den Grab,
während von den fpäter zu erwähnenven Legoas 18 auf den Brad gehen. ©.
2) Die große Fiſchbai, die mitunter, freilich fehr ungeeignet, Tigerbai ge-
nannt wird, da es weder hier, noch fonft in Afrika wahre Tiger giebt, wurbe in neue:
see Zeit zuerft duch die britifchen Gapitaine Heywoob vom Töniglichen Schiffe Ne⸗
teus im Jahre 1811 und Owen im Jahre 1825 (IT, 230), dann durch die franjzoͤ⸗
fichen Seeoffiziere Gecille und Troude mit dem Kriegsfchiif l’Heroine beſucht An-
nales maritimes et coloniales. Paris 1845. II bis ©. 272— 273). Die Befchreis
bungen diefer Offiziere ſtimmen fehr gut mit der unferes Berichterflattere übereln.
234 Bumpredt:
Danach iſt die Lage der Bai, die Heywood in 16° 18’, Gecille und Zroube in 16°
31’ fübl. Breite, 29° 21’ fl Länge von Ferro verfeßten, eine der ausgezeichnet-
ſten diefer Gegenden, indem fie 15 bis 16 Meilen weit in das Land hineinreicht und
noch in der Mitte 10 bis 12 Meter Tiefe Hat. G.
6) La cöte orientale de la baie est formee de hautes dunes de sable stérile-
d’une apparence brunätre. Annales maritimes et coloniales. Paris 1845. II bis
©. 309, nad) Purdy, New sailing directory for the Ethiopice or southern Adlantıc.
G.
2) Dieſe Baſaltadern find viel wahrſcheinlicher Adern von Diorit, den ber Nei-
ſende der dunklen Farbe wegen mit Bafalt verwechſelt haben mag. G.
°, Ein großer Theil der hieſigen Küften und vielleicht der ganze Zug derſelben
iſt granitifch, indem von bem granitifchen Gap St. Marie an bis zur Glephauten⸗
Bai in dem ganzen Terrain Granitfelfen anftehen (Warnet de Recouvrance, Annales
marit. et colon. 1845. II bis ©. 265 — 266). G.
2) Die Gambo's wohnen in dem zwiſchen ber Stadt Benguela und Gacondbe
gelegenen Diftrict Quilengues (Basconcellos IV, 151). ®.
10) Huila oder Huilla iſt ein Binnendifrict der Provinz Benguela 1 bier
©. 211).
113) Die Völkerſchaft der Jau erwähnt au Omboni ale in ber Nähe von I Def
famebes wohnend (S. 397), nit minder Mendez dort ein Land Jaon (a. a. D.
XXIII, 353, 355, 356). ®.
12) Sumbe oder Suambo ift eine Landfchaft im Norboflen von Caconda (eo
Cardozo 368; Basconcellos IV, 153, 161). ®.
13) Ginen Sova von Molondo im Diſtrict Quilengues erwähnt Basconcellos
(IV, 151). G.
12) Die Namen Humputa und Cumba finde ich bei keinem Berichterflatter
über das Innere von Benguela. G.
Zufaß.
Der früher Hier (S. 204— 205) als Berfafier eines ausführlichen dreibändi⸗
gen hiſtoriſch⸗ geographiſchen Werkes über Angola, das den Titel: Historia geral de
Angola führt (Barbofa Machado I, 343), erwähnte Antonio Oliveira de Gabor:
nega hat nad) demfelben Literarhiftorifer noch zwei gleichfalls nur handſchriftlich ver-
bandene große Hiftorifche Werke über dieſe Gegenden, nämlich eine Befchichte der
Greigniffe in Angola zu feiner Zeit bis zur Berwaltung des General: Gouvernents
D. João de Lencaftre in 4 Bänden (Historia de tudas as cousas, que succederao
em Angola no tempo dos Governadores, que governarao depois da Guerra [wahr:
fheinlich ift damit der Krieg mit den Niederländern gemeint)) uud einen Abriß der
Geſchichte der Eroberung der Provinz Benguela (Compendio da expugnagäo de
Reyno de Benguela e das terras adjacentes) geſchrieben. Das erfigenaunte. ber
drei Werfe war aber nicht allein im Jahre 1822, wie S. 205 berichtet, durch
Langles ber Parifer geographifchen Gefellichaft zur Herausgabe vorgefchlagen wer:
Zur Kunde von Süd» Afrika. 235
den, fondern baffelbe geſchah noch einmal 10 Jahre fpäter im Jahre 1832 durch
Dubeur, auf defien Borfhläge tie Central s Kommiffion der Geſellſchaft einging und
den Drud befhloß, der aber noch heute bei dem Mangel an Mitteln nicht erfolgt ift,
obwohl das Werf von ber Commiſſion als fehr vollftändig in geographiſcher Hin-
ficht gerühmt wurde (Bulletin de la Soc. de Geogr. 1=* Ser. XVII, 287, 289,
368, 369). Dies ift fehr zu bedauern, da Cadornega's langer Aufenthalt in An-
gola und feine thätige Theilnahme an vielen Kriegen und Borfällen ihn zu einer
befjeren Kenntniß des Landes geführt haben muß, als irgend Jemand vor ihm und
nach ihm befefien Haben mag. Zugleich ift der Verfaſſer eines ber merkwürdigſten Bei⸗
fpiele der Widerfiandsfähigkeit einer enropäifchen Körperconftitution, fowie einer bei-
fpiellos langen, ungefchwächten, geiftigen und Eörperlichen Thätigfeit in dem verberb-
lien Klima von Angola und Benguela. Gabornega fam nämlich ſchon im Jahre
1639 mit dem zum Bereral-Gouvernenr ernannten D. Pedro Cezar de Menezes in
dieſe Gegenden, gerade als die Niederländer bie erſten Croberungsverſuche machten,
denen im Jahre 1840 die Groberung von Loanda folgte, und focht fehr tapfer gegen
die Feinde feines Volkes, wobei er allmählig zum Gapitain vorrüdte. Nach ber
Vertreibung der Niederländer aus Angola im Jahre 1648 blieb er Hier noch über
40 Jahre, indem er erft im Jahre 1690 in der Hauptflabt als penfionirter Haupt:
mann ſtarb, nachdem er im 3. 1680 das erfte feiner genannten Werke verfaßt Hatte.
Auch Barbofa Mahado (I, 342) bemerkt ausdrücklich, daß Cadornega ſowohl aus
Büchern, als durch die Thaten, die er beſchrieben, eine wahre Kenntniß des Landes
erlangt habe. Wo fidy aber zu Machado's Zeit deſſen beide anderen Werke in Por⸗
tugal befanden, giebt dieſer Verfaſſer nit an. — Zum Beweife der Kenntniß
der älteren Portugieſen von ben afrifanifhen Küften läßt fi) endlich aus Barbofa
Machado's überaus feltenem Werte noch eine Arbeit von Antonio Mariz Carneiro
über die Oſtküſte des Continents zwifchen Mozambique und Sofala, nämlid das
Regimento de Pilotos e Roteiro das Navegagoes de India oriental aumentado e
acrecentado com o roteiro de Sofala at? Mogambique, das in Liffabon in drei ver:
ſchiedenen Auflagen in den Jahren 1632, 1655, 1660 erſchien, anführen.
Gumprecht.
Neuere Literatur.
The Mediterranean. A memoir physical historical and nautical by
Rear-admiral Will. Henry Smyth etc. 8. London. J. W. Parker
and Son. 1854. 5008. (Schluß).
Das Werk unferes Berfaflers enthält nun 4 größere und einen Fleineren
Abſchnitt nebft einem Anhange. Von den fünf Abteilungen giebt der erfle
auf 100 Seiten eine Ueberficht der Küften des Mittelmeeres mit befonverer
Berüdfichtigung ihrer Stäbte und Producte, fowie ihres Handels, der zweite
auf 92 Seiten eine audführliche und wichtige Darftellung ver Eigenfchaften
des Mittelmeered an fich, namentlich ver Eintheilung, Temperatur, Farbe, ſpez.
Schwere, Strömungen und Größe deſſelben, endlich eine Nachricht über Die
Bufammenfegung feined Waflers, woran ſich eine Aufzählung der darin les
benven Fiſche anfchließt, der dritte gleichfalls auf 92 Seiten ift eine Abhand⸗
lung über die im Bereiche des Mittelmeered beobachteten atmofphärifchen Er»
fiheinungen, ver vierte abermald von 92 Seiten liefert eine Gefchichte der Auf⸗
nahmen und anvermeitigen Unterfuchungen im Mittelmeere, woraus ber erfte
Abſchnitt unferer Anzeige bereitd das Wefentlichfte mitgetheilt Hat, ver fünfte
endlich auf 29 Seiten berichtet über die in dem Werke angenommene Ortho—
graphie und Nomenclatur, und theilt ein überaus reiches Verzeichniß von
16— 1700 Längen= und Breitenbeftimmungen von Xocalitäten an ver Küfle
nebft Beobachtungen über bie Abweichungen der Magnetnabel mit. Die Krone
des Werks, der größte Theil jener erften Reihe von Beobachtungen rührt von
dem Berfafier felbft her (S. 431 — 452), der Heinere (S. 452— 470) if
anderen Quellen, namentlich ven Beobachtungen Gauttier'd entlehnt. Diefer
Reichthum von forgfältig beobachteten und fleißig berechneten Ortdangaben ift
ein unfchägbares Hilfsmittel für die Theorie und Prarid in der Nautif und
zugleich ein außerorbentlicher Gewinn für die Geographie und Kartographie,
inden die Kenntniß der Geftalt des Mittelmeeres, ded Marmora- und ſchwar⸗
zen Meere von nun an auf unmanbelbaren Grundlagen beruht. Der 28
Seiten lange Anhang behandelt die Eröffnung eines Weges nach dem Innern
von Afrika, wozu Admiral Smyth das Material während feines Aufenthalts
zu Tripoli im Jahre 1846 gefammelt Bat, dann die vulkaniſche Grahamsinſel,
die bekanntlich im Jahre 1832 erfchien und bald wieder verfchwand. Was
den von dem Verfaſſer enipfohlenen Weg in das Innere von Afrika betrifft,
fo ift e& der von Tripoli aus über Fezzan, d. h. derfelbe, ven früher Horne⸗
mann und Gereitd im Beginn des vorigen Jahrhunderts die Geſellſchaft katho⸗
W. H. Smyth: The Mediterranean. 237
liſcher Geiftlichen eingefchlagen Hatte, über deren Unternehmung ver Apmiral
eine in biefer Zeitfchrift II, 245 — 248 mitgetheilte Notiz zu Tripoli aufge-
funden Hatte. Um die Erneuerung der Unterfuchungen im centralen Afrika
bat fich derfelbe in der That ein fehr wefentliches Verdienſt erworben, indem
er wieder die erfle Anregung dazu gab, wie er felbft ausprüdlich bemerkt
(S. 479), und den leichteften Weg dazu anwies. Ein ausführlich und forg«
fältig gearbeiteted Negifter erleichtert ungemein bie Benugung des Werkes,
indem es einen fehr großen Reichtum von einzelnen Beobachtungen und An-
gaben jeder Art nachweift. — In dem Folgenden wollen wir ven Lefern unſe⸗
rer Zeitfchrift eine allgemeine Ueberſicht des Inhalts des Werkes mittheilen,
indem wir uns vorbehalten, von einigen ber wichtigeren und intereflanteren
Materien deſſelben ſpecieller Nechenfchaft zu geben. Der erſte Abfchnitt ent⸗
hält, wie gefagt, eine Schilverung aller Raͤnder bed Mittelmeeres; von den
Darvanellen aus benutzt der Derfafler jedoch vie Gelegenheit, in das Meer
von Marmora, das fehwarze und aſowſche Meer überzugehen, von veren
Nändern und ihren Berhältnifien er gleichfalls einige Nachrichten, meift nach
Gauttier, Liefert.
Bon einem der beiden weſtlichſten am Mittelmeer gelegenen Punkte, ver
Belfenfeftung Gibraltar, aus, die fi) an eine umfangreiche Kalkſteinmaſſe aus
der oolitifchen (juraflifchen) SBeriove in 1430 Fuß 2) Höhe anlehnt, beginnt
die Küftenfahrt und endet auf ver anderen Seite ver berühmten Meeresftraße
bei Langer und dem Gap Spartel, dem zweiten weftlichften Punkte. Die
Zänge der fpanifchen Meeresküfte von Gibraltar bis Cap Ereur, wo das fran⸗
zöftfche Gebiet beginnt, wirb auf 780 engl. Weil. angegeben. An die Befchreis
bung der fpanifchen Küfte und ihrer Häfen fchließen ſich Bemerkungen über
die fpanifchen Infeln Majorca, Minorca, Jviza nebft Formentera; beſonders
ift e8 bier der umfangreiche Hafen Mahon, einer der flattlichften und ſicher⸗
fien Plaͤtze für die Schifffahrt in dieſem Meere, welcher den Engländer interef-
firt. Die franzöflfche Küfte dehnt fich zwifchen Cap Greur und der Var⸗
Mündung auf 300 Meilen aus; vie hier gelegenen Punkte, welche kürzer over
ausführlicher berührt werben, find Port Vendre, Cette, Montpellier, die Rhone⸗
Mündung, vie fonderbare, la Erau genannte Ebene, ver Golf von Foz, Mare
tigued, Marfeille, Toulon, die Hyeren. Die Befchreibung der klaſſtſchen Kü-
fien von Stalien und Griechenland nebft den dazu gehörigen Infeln nimmt
den verhältnißmäßig ausgedehnten Raum von ©. 17—73 ein. Neben ver
Darftelung und Kritik der Hafenorte, der phyſiſchen Befchaffenheit ver Küften-
ftriche, der Hiftorifchen Erinnerungen, welche ſich an viefe Gegenden in fo
reichem Maaße fnüpfen, find es auch flatiflifche Leberfichten von Laͤnder⸗
raum und Bevdlterungsverhältnifien, welche zur Kenntniß dieſer merkwuͤrdigen
1) Die Hier und in dem Folgenden angeführten Höhen find ſämmilich in englis
ſchem Maß gemeint, forwie auch die Angaben ber Längen und Flaͤchen.
238 Neuere Kiteratur:
Geftabelänver bier beitragen, zumal in Hiftorifchem Interefie für bie Zeit, in
welcher das Buch entſtanden iſt, und zur Vergleichung mit ihren heutigen Zus
fländen. Was ver Berfafler „geologifche Veränderungen“ nennt und worauf
er in dieſer Meberficht ver Küften wieberholt und fpäterhin im Zuſammenhange
zurückkommt, find nach feiner Auffaffung durch Waſſerkraft ſowohl, wie durch
vulfanifche Thaͤtigkeit Hervorgebrachte bedeutende Umgeftaltungen an dem
von ihm in Betracht gezogenen Theile der Erdoberflaͤche. Namentlich erregt
in viefer Beziehung das untere Italien, füblich vom Veſuv, fowie Sieilien
mit dem Aetna Hohes Intereſſe. Die Meflungen an dem Aetna, wie ſie
Smyth im I. 1814 vornahm, ergeben ein faft gleiches Reſultat, wie Die von
Herſchel im I. 1824 veranftalteten, nämlich 6i8 zur Biegengrotte 5,362 Fuß
nach Smyth und 5,423 nach Herfchel, bis zum englifchen Haufe 9,592 Fuß
nad) beiden Meffungen, und der Gipfel 10,814 Fuß Hoch nah Smyth und
10,872 &. nach Herfchel. Die Höhe des Veſuos wird zu 3880 F. angegeben,
vie hoͤchſten Granitmaflen ver Infel Eorfica folln 8,100 Fuß über dem Mee⸗
reßfpiegel erreichen, und auf Sarbinien fleigt der Gerc- Argentu bie 5,276 3.
Höhe an. Unter ven Probucten, durch welche die Infel Sicilien den Nachbar»
ändern beſonders voranfteht, nimmt bekanntlich ver Schwefel eine vorzügliche
Stelle ein. Um Radduſa bei Aidine, am Fiume falfo, bei dem alten Himera
befinden fich die fehr weit verbreiteten Lager vefielben, und in dem weiten Gebiete
von Girgenti berrfcht, wie Hoff in feiner Befchichte der Veraͤnderungen ver
Ervoberflähe Br. II, S. 250 anführt, der Slaube, daß, wo man auch gra-
ben möge, man eine Schwefelmine finden werbe. Die am längften bekannten
Niederlagen befinven fich in dem Theile der Infel, der ſich von ihrer Mitte
bis an die fünliche Meeresfüfte erſtreckt und zu beiden Seiten von Linien ein»
geichlofien wird, die man von einer Seite nach Sciacca zu und von der au⸗
dern in Schlangenzügen über dad Gebiet von Rabbufa ber nach dem Meere
zieht. In dieſem Bezirke beſteht, kann man fagen, ein großer Theil des Bo-
dens aus Schwefel, welcher bier und da ganze Gänge ausfült ?). — Die
"benachbarte Infel Malta nimmt die Aufmerffamkeit des Englaͤnders beſonders
in Anfpruch und erhält deshalb auch Hier eine fehr umfaſſende Darftellung:
in alter Zeit mit ihren Nebeninfeln ald Zubehör Afrika's betrachtet und wohl
Melita Africana zum Unterſchied von Melita Illyriaca genannt, ift fie, ſeitdem
fie in englifchen Beſitz Tam, durch eine ParlamentBacte ale zu Europa gehörig
erklärt worden, ungeachtet ver Gebräuche, Sprache und Lebensart der Einge-
borenen, vie fehr entfchienen ihre Verwandtſchaft mit ven Arabern in ver
Berberei beurfunden. Der Hafen von Malta gehört befanntlich zu den vor⸗
züglichften des Mittelmeered und fteht in gleicher Linie mit dem prachtvollen
1) Ueber diefe Probucte, fowie über das Ganze der Juſel erhielten wir befannt-
li bereits vor mehr als 25 Jahren von dem Verfaſſer eine treffliche und ausführliche
Monographie. Doc iſt es nach ver üblichen geognoftifchen Sprache nicht richtig, wenn
er den Schwefel Siciliens in Gängen auftreten Täßt.
W. H. Smyth: The Mediterranean. 239
zu Port Mahon auf Minorca. Malta Hat eine fehr bequeme Lage für ven
Handel mit dem dfllichen Theile ver Berberei, mit Aegypten, Syrien und
Griechenland. Schiffe finden Hier Alles, was fie bevürfen. In Betreff ver
von Malta aus beſonders in das englifche Hanveldinterefie aufzunehmenden
Nachbarinſeln und Länder treffen mit unſeres Verfaſſers Uinterfuchungen zu⸗
fammen vie Reiſebriefe des Engländer Blaquidre, welcher um viefelbe Zeit
mit ihm das Mittelmeer bereifte und über Sieilien, Malta, Tunis und
Zripolid eine fehr ſchätzenswerthe Darftelung veröffentlichte, um damals bie
Aufmerffamfeit ber britifchen Negierung auf jene Gegenpen zu Ienfen und
richtigere Begriffe über ihre politifchen und commerciellen Hilfsmittel zu ver-
breiten — eine Kenntniß, die jedem Staate unentbehrlich ift, welcher Bortheile
aus freundlicher Verbindung mit anderen Staaten zu ziehen ſucht.
Der darauf folgenden Beichreibung des abriatifchen Meeres geht eine
furze Biftorifche Skizze voran, woran fich einige Angaben über bie Seetiefe,
bie zwifchen 100 und 500 Faden wechfelt, zwifchen Diranto und Valona
350 Faden beträgt und dann plöglich zur jonifchen See bin zunimmt, fchlies
Ben. Cap Spartivento (Winpfpalter), ald ver fünöftlichfle Vorfprung von
Galabrien, und Cap Santı Maria di Leuca umfchliegen vie Küfte mit den
Golfen von Squillace und Taranto und einigen winzigen Hafenplägen. Leber
Trieft bemerkt der Berfaffer, daß dieſer blühende Hafenplatz der commertielle
Sieger über Venedig und die bebeutenpfle Seeftant Defterreichd geworben fei
und einen ficheren, Fünftlich gejchügten Hafen mit ziemlicher Waffertiefe beſitze;
boch fei fein Anfergrund den Weft- und Showeit- Winden und befonvers ben
heftigen Winpftößen der Bora ausgeſetzt. An ven Küften von Dalmatien werben
dann Zara, Scarvona, Spalatro, Raguſa und andere Ortfchaften erwähnt.
Auch Dem Gebiete von Montenegro und feinen Beziehungen zu Rußland wid»
met der Berfafler eine Erwähnung. Die Aufzählung der valmatifchen Infeln,
ſowie vie Erwähnung der albanefifchen Küfte mit ihren Hafenpläten Anti⸗
vari, Valona und anderen fchließt dieſen Abfchnitt. Unter der Ueberſchrift:
„vie Küften und Infeln des weftlichen Griechenlands“ erfiredt fich die folgende
Darftelung auf ven Raum zwifchen Ancona und Cap Malea, fanımt ven
fieben Infeln und den übrigen zu Griechenland gehörigen. Auf vie ältere Geo⸗
araphie und Gefchichte Griechenlands wird in engliichen Geſchmacke viel Rück⸗
ficht genommen, beſonders find es die fleben jonifchen Infeln, welche als englie
ſches Beſitzthum etwas ausführlicher befprochen werben. Auf Morea's Weftfeite
finden PBatras, Caftel Tornefe, der Alpheius, Navarino, Modon, Koron, ver
Bergzug Taygetus, der Bufen von Kolofynthia und der Eurotad, Erwaͤh⸗
nung. Aus den 8. Paragraphen, in welchem ver Archipelagus, das ſchwarze
Meer und die Revante auf 22 Seiten vargeftellt wird, erwähnen wir vie Höhe
des Berges Elias von Karystus aus zu A750 Fuß und des Berges Delphi
(Dirphi) über dem Meeresfpiegel zu 7306 Fuß; der alte Pelion (Pleſſidi)
bat 5200 Buß Höhe, der Kiffavo, der ehemalige Offa, 6100 Fuß, und der
240 Neuere Literatur:
Eiymbo (Olympus) 9850 Fuß über dem Meeresſpiegel. Was ven Berg
Athos mit feinen zahlreichen Kirchen und Klöftern betrifft, fo iſt feine Höhe
wohl auf 6500 Fuß anzunehmen; feine Spigen werben vom Gap Siguenn
und der Ebene von Troja aus erblidt. Dem alten Ida in viefer Ebene, jekt
der Berg Gagara, werden 5700 Buß berechnet, fowie dem Ida auf Candic,
ver jetzt Berg Poitoriti beißt, 6700 Fuß. Der auf der Inſel Melos (Mile)
fich erhebende Berg vulfanifchen Urfprungs, Namens St. Elias, wir auf
2000 Fuß Höhe angegeben. Was ven Archipelagus, deſſen zahlreiche Infeln
der Reihe nach aufgezählt werben, im Allgemeinen betrifft, fo finden fih
auch Hier geologifche, auf vie Bulfanität dieſer Erdzone bezügliche Erdrterungen
angereiht. Unter ven Infeln des Archipelagus und vorzüglich unter demjenigen,
die der Küfte von Klein Aften am nächften liegen, find nicht nur mehren,
welche Bewegungen ver Exbe, die dieſe Halbinfel trafen, zu Zeiten mitempfun:
den haben, fonvdern bekanntlich auch einige, von denen vie Ueberlieferung eigen
Tiche vulkaniſche Erfcheinungen berichtet, und wo fle zum Theil noch in ber neue
fien Zeit wahrgenommen wurden. Hier bat man gleichfall8 das als eine du
merkfwürbigften vulfanifchen Wirkungen nachgewiefene Phänomen der Erhebung
des Bodens von innen heraus oftmald und in beträchtlichem Maaße beob⸗
achtet. Die Infeln Rhodus, Anaphe, Delos, Halone und Nea follen, eine
bei den Alten gangbaren Sage zufolge, aus dem Meere Heroorgetreten ſein
und man leitete die Namen einiger unter ihnen von dieſem Umſtande ab. Ueber
die Zeit, in ver jede zuerft fichtbar geworben fein fol, erklärt die Sage ſic
jeboch nicht; eben fo wenig über die Art, wie die Ereigniſſe gefchehen fin.
Bon der Darbanellen = Straße, dieſem prachtvollen Meereswege, wird be⸗
merkt, daß fie fich von 6 bis 7 Meilen auf 2700 Yards zwifchen Seſtos un
Abydos verengt. Was den thracifchen Bosporus oder die heutige Sttaße
ven Conftantinopel betrifft, fo wird die mittlere Breite auf eine Meile, die
Tiefe des Fahrwaſſers abwechſelnd zwifchen 16 und 30 Baden angegeben. Mn
Bezug auf das jegt fehr in den Vorbergrund der englifchen Intereffen get
tme ſchwarze Meer äußert fich ver Verfafler auf zwei Seiten feines Bert!
(S. 76 und 77); vie Ränge deſſelben beträgt nach ihm von Weft nach If
650 Meilen, die Breite etwas mehr ald 300 M., und das Areal 17,200 engl.
Duabratmeilen. Der moderne Name des Meeres ſoll von ven dichten Nebeln
berühren, mit welchen es bisweilen bedeckt ift, oder von ven Gefahren, welche
der Schifffahrt durch dieſe Nebel entfliehen. Die Tiefe des Meeres if im
Ganzen bedeutend, indem nicht leicht Grund bei 150 Faden gefunden wir.
Die zufließenden Waſſermaſſen ver großen Ströme bewirken flarfe Pierre
ftrömungen, befonderd im Beginn ded Sommers, wenn jene in Folge de
Schneefchmelze fehr angefchwollen find; wenn dann noch flarfe der Strömung
entgegengefegte Winde Hinzutreten und dadurch eine heftige Wellenbewegung
entfteht, fo kann dies in Verbindung mit dem Nebelwetter Hleineren Fahr⸗
zeugen gefährlich werden. Sonft iſt das fchwarze Meer frei von Gefahrm,
W.H.Smyth: The Mediterranean. 241
bat außer einer oder zwei unbebeutenden Ausnahmen Feine Infeln, Belien,
Riffe in der gewöhnlichen Bahn ver Schifffahrt und bietet überall den treffe
Iichften Ankergrund dar. Solche Anficht bat Aomiral Smyth über pas
ſchwarze Meer niebergelegt, und fie fcheint bis in bie neuefte Zeit auch fo
ziemlich die allgemeine in England gewefen zu fein. Bon ven Hafenpläßen
der Krim, namentlich von Sebaftopol, wird nichts Näheres erwähnt, dagegen.
noch das aſow'ſche Meer und fein Haupthafenort Taganrog in einigen Zeilen
berührt. Anders verhält fich der Autor dagegen im fünften Abfchnitt feines
Werkes zu diefem für England ſchon feit Jahrzehnten fo wichtigen Terrain,
in dem Abfchnitt, wo die von ihm beobachteten und berechneten Längen» und
Breitenbeflimmungen ber verfchievenen Punkte im Wittelmeere, muthmaßlich
alle nad) Gauttier, aufgeführt werden. Da find es nicht weniger, ala 43
Bunfte auf der Krim, deren Länge und Breite angegeben werben, und zwar
befinden fich darunter die Mündung der Alma und des Belbek, das hoͤchſte
Haus des Lazarethes, die Hospitalkuppel und der Kirchthurm von St. Nico»
las, alle drei Punkte von Sebaflopol, deren nörbliche Breite im Durchfchnitt
40° 35’ ift, mit der Abweichung von einigen Sekunden. Eben fo verhält
es ſich mit der öftlichen Ränge, die für die genannten Orte zwifchen 33° 31’
und 29°’ nad) Greenw. angegeben wird. Wenn man dieſe Beflimmungen mit
früheren vergleicht, die ebenfalls auf correcte Sicherheit Anfpruch machten,
3. B. mit denen, welche vie im J. 1804 aus dem kaiſerl. ruf. Kartenvepöt zu
St. Peteröburg bervorgegangene Karte des ſchwarzen, afow’fchen und Mare
mora⸗Meeres, zu der die damals neueften aſtronomiſchen Beſtimmungen von
Franzoſen und Ruſſen benugt wurben, giebt, fo wird man kaum umhin kon⸗
nen, diefen englifchen Aufnahmen den Vorzug der Nichtigkeit einzuräumen.
Die erwähnte ruffifche Karte hatte den Urfprung, daß zwei Seeofflziere, Graf
Heiden und Herr Vaillant, durch eine Tange Reihe von Beobachtungen bie
Länge und Breite der Stadt Odeſſa beflimmten, und zwar erfter auf 48°
17’ 35” und Ießter auf 46° 29’ 30”. Admiral Smyth führt fünf Punkte
in Odeffa nach Länge und Breite an, veren Rage durchſchnittlich ziemlich genau
nit den eben erwähnten Angaben übereinftimmt.
Die weitere Darftelung der Küſtengeſtade beginnt ſodann mit bem le⸗
vantifchen Baffin an dem alten Garamanien, wo am Golf von Abalia bie
Bergſpitze des Takhtalu 7800 Fuß hoch zu erwähnen ifl. Nach einigen Bes
merfungen über vie geologifchen Veraͤnderungen an ver Süpfüfte Klein⸗Aſiens
wird die 440 Meilen Iange Küfte von Syrien befprochen mit den auf ihr ges
Iegenen Safenplägen, wie Latafia, Beirut, Saida, Sur, Afka und Jaffe; daran
fchließt fich die Bemerkung, daß ver See von Galilaͤa 628 Fuß unter Dem
Spiegel des Meeres liege, ſowie das todte Meer tiefer, ala 1200 Fuß. Der
Höchite Gipfel auf Enpern, der Oros Troados (Olympus) erhebt ſich 6590
Fuß über den Meeresfpiegel.
Die Nordküſte Afrika's beginnt nach altem Gebrauch im one mit Ti⸗
1
Zeitſchr. f. allg. Erdkunde. Dh. V.
242 Neuere Literatur:
neh (Beluflum); über Damiette, Nozette und Alexandria geht bie Darftellung
zur Barca über, wo ein Blick auf dad alte Eyrene geworfen wird, verfolgt
die beiden Syrien, befpricht Tripoli mit feinen Exportartikeln und Verbin⸗
dungen in's innere Afrifa '), und giebt ſodann eine ausführliche Ueberſicht
der im tuneflfchen Gebiete gelegenen Ortfchaften, berührt vabei die Ruinen
von Carthago, und geht in einige Detaild der heutigen Stadt Tunis ein.
Der letzte Küftenftrich, das Gebiet von Algier und bie Geſtade Maroflo's, er-
fheinen Hier noch unter den Einflüffen ver barbarifchen Gebräuche, Die fo
lange für die zur See mächtigen Eulturvölfer Europa's eine gerechte Klage
bildeten, 518 jene feeräuberifche Macht am Vorabende ver Julirevolution von
Frankreich gebrochen und befeitigt wurde. Zum Schluß dieſer Küftenfchau
werben einige ftatiftifche Tabellen über Bodengroße, Bevolkerungs⸗, Aderbaus,
Handels⸗ und Gewerbe» Verhältnifie der englifchen Beſitzungen am Mittelmeere,
alfo von Gibraltar, Malta und den fonifchen Infeln mitgetheilt, welche, va
fle ven 3. 1820 bis 1824 angehören (f. bier ©. 60), jegt nur ein hiſtoriſches
Intereſſe Haben. Damals befanden ſich in Garniſon zu Gibraltar 3330 Mann
englifche Truppen, auf Malta 2340 und auf Eorfu 3890, eine Stärfe, vie
fo ziemlich viefelbe ift, wie fie in den Iekten Jahren war.
Die Einleitung zu Den zweiten Hauptabfchnitte, der von den Strönnms
gen, Ebbe und Fluth zc. handelt, umfaßt wieberum allgemeine geologiſche
Erörterungen über vie vulfanifchen Erfcheinungen viefed Meeres in ihren ver:
fehiedenen Beziehungen, was dann von felbft zu einer Unterfuchung über ven
Urfprung des Meeresbeckens ſelbſt Hinleitet, indem hierbei verfchiedene An⸗
fichten und Hypotheſen, wie fle bereitd aus älteren Zeiten überliefert finv,
zufammengeftelt werben. Der Berfaffer fcheint die auf Hiftorifche Quellen
aller Zeiten geftühte, gründliche Unterfuchung dieſer Verhaͤltniſſe, wie fie in
Hoff's Geſchichte der Veränderungen an der Erboberfläche vorliegt, wicht
gefannt zu haben, während fonft eine große Reihe von Gelehrten aus alter
und neuer Zeit und von verfchiebenen Nationen, aber mit Ausnahme deutfcher
voiftenfchaftlicher Männer, citirt werden. — Was die Zlächeneintheilung des
Mittelmeeres betrifft, fo ift fle zum Theil von den natürlich gegebenen Ver⸗
Hältniffen abhängig, theild aber auch, namentlich in ihren Fleineren Abfchnitten,
von den hiſtoriſch entflandenen Einflüffen. Ueber Temperaturgrade und Farbe
des Waſſers in verfchienenen Gegenden und Tiefen ſind höchft intereffante Be⸗
obachtungen angeftellt, auch beſonders mit Rückſicht auf die Srage der Gegen»
flrömung in der Straße von Gibraltar, zu welchem Zwecke die von Wolla⸗
fton angeftellte befannte Analyfe mitgetheilt wird, indem danach ein unterer
Gegenftrom vorhanden fein fol. Entfchieven dürfte aber viefe Streitfrage
bamit noch nicht fein, indem für die gegentheilige Annahme wohl beachtens⸗
2) Diefe Gegenven wurden in vem Jahre 1821 von den Gebrübern Beechen,
bie Smyth dahin geführt hatte, unterfucht und In dem Werke: Proceedings of the
expedition to explore the northern coast of Africa from Tripolis eastward in 1821
— 1822. London 1824. 4., ausführlich befchrieben.
W. H. Smyth: The Mediterranean. 249
werihe Beobachtungen ſprechen. Daß in dieſer Meerenge eine verſchieden⸗
artige Strömung, jedoch nur neben einander, ſtattfindet, kann nicht geleug⸗
net werden, weil in der Mitte der eigentlichen Straße von Gibraltar und
durch die ganze Laͤnge derſelben nach Hoff's Darſtellung der Strom immer
fort aus dem Ocean gegen Oſten in das Mittelmeer hineingeht. Dieſer Oſt⸗
ſttom, der ſich zu beiden Seiten, da wo bie Straße am engſten iſt, ungefähr
drei Viertel einer geographifchen Meile von jeder Küfte entfernt hält, alſo
felbft wenigftens eine halbe Meile breit ift, ftrömt unabläffig in gleicher Rich⸗
tung fort. Nichtd verändert ihn over hält ihn auf, weber ver Oſtwind, noch
bie Ebbe des Oceans. Seine Schnelligkeit ift am flärkften pa, wo bie Straße
am engften ift. Zwifchen ven beiden (Nord- und Süd⸗) Grenzen dieſes be⸗
fländigen Oftftromes — feinen Waflerufern könnte man fagen — und ben
Küften ift der Lauf der Strömung veränverlich, und richtet fich in Hinficht
auf die Zeit, wie Ebbe und Fluth, nach dem Zunehmen und Abnehmen des
Monded. Es findet dort auch noch eine andere merfwürbige und bis jetzt
nicht genügend erflärte Erfcheinung flatt. Zmifchen ven beiden eben gebachten
Grenzlinien auf jeder Seite des befländigen Oſtſtromes nämlich und jeder
Küfte, ſowohl der fpanifchen, wie ver afritanifchen, giebt es, ungefähr eine
Diertelmeile von dem Lande und feinen Spigen entfernt, eine andere Grenz⸗
linie, innerhalb welcher — d. i. zwifchen ihr und dem Lande — die Stroͤ⸗
mung in Hinſicht auf diejenige, welche mit Ebbe und Fluth zugleich zwiſchen
der Grenze des Oſtſtromes und eben diefer mittleren Grenzlinie flattfinpet,
eine berjelben grabe entgegengefeßte Richtung nimmt. Es läuft aljo zwifchen
diefer mittleren Grenzlinie und der Küfte die Strömung währen des Stei⸗
gend des Oceans (feiner Fluth) weitwärts, und während des Fallens (feiner
Ebbe) oſtwaͤrts. Diefe Bewegungen des Meeres zu beiden Seiten des Oſt⸗
firomes, welche ihren Grund vielleicht in ver Geftalt ver Küften ober gar des
Meeresbodens haben, fcheinen, fo wie die Sache ſich zeigt, einander aufzuhe⸗
ben oder ſich das Gleichgewicht zu halten. Auf vie Beſtaͤndigkeit des Oſtſtro⸗
mes haben fie Eeinen Einfluß, und auf das Mittelmeer wirken fle gar nicht,
denn alle Hier erwähnten Erfcheinungen finden blos in der Straße felbft,
weſtlich von Gibraltar und Ceuta flatt, folglich außerhalb des mittelländi-
jchen Meeres °).
In Bezug auf die Größe des Mittelmeeres wird bemerft (©. 139), vaß
fich die Länge deſſelben von 6° weſtl. bis 36° öfll.L. von Greenw. erſtreckt,
und daß die Breite zwifchen 30° und 36° nörbl. Br. liegt, ferner daß man
von Gibraltar bis zum Außerften Oſtpunkt an ver ſyriſchen Küfte 2000 engl.
Meilen rechnen kann, envlich daß die Breite von Norden nach Süben zwifchen
80 und 500 Seemeilen wechſelt und der Küftenumfang, mit Einjchluß bes
Schwarzen Meeres, 4500 Seemeilen erreicht. Die Blächenangaben über bie
einzelnen Meereötheile find folgende: das Weſtbaſſin (von der Straße von
2) ©. Hoff, Geſchichte ver Veränderungen der Erdoberflaͤche Th. T, ©. 155.
16*
244 Neuere Kiteratur:
Gibraltar bis zu einer Linie, welche pad Cap Bon mit dem Karo vi Meffin
verbindet) 325,272 engl. AM., das abriatifche Meer 52,819 engl. AM., vi
levantiſche See 518,755, der Archipelagus 75,291, dad Marmora- Mer 4,644,
das ſchwarze Meer 159,431 und dad Azow’fche Meer 13,075; im Ganzen
alfo 1,149,287 engl. AM. Bon dieſen Größenverhältniffen wird zu ven in
das Mittelmeer fich ergießennen Strömen und Blüffen übergegangen und bai
diefer Gelegenheit das mittellänpifche Flußſyſtem nach einer Ueberſichtstafel
von Berghaus mitgetheilt. Eine gewiß intereflante, aber eben fo ſchwer zu
Idfenvde Frage, betreffend ven Zufluß der Waflermaffe und die Abnahme vurd
Verdunſtung, fowie die beiverfeitige Außgleichung, wird daran gefnüpft. —
In dem $. 4 dieſes Hauptabfchnitted wird ein auf die Schifffahrt des Meere
höchſt einflußreicher Gegenſtand behandelt, die Strömungen im Mittelmeer,
auf ven Bingewiefen zu haben, wir uns begnügen wollen. Der $.5 hanklı
von Ebbe und Fluth, wie ſie an ven verfchienenften Theilen des Wittelmend
beobachtet wurden. Endlich fchließt dieſen Abfchnitt ver $. 6 mit der Ichtine
Iogie dieſes Meeresbeckens; eine intereffante Nomenclatur der vorzüglihim
Fifcharten, wie der Schaalihiere und Mollusken, in Iateinifcher, ſicilianiſcher
und englifcher Sprache ift Hinzugefügt.
Der dritte Hauptabfchnitt umfaßt Wind, Wetter und atmofphäri:
{he Phänomene, alfo die das Leben beherrſchenden Einflüffe ver Meteoro
Iogie, wie fich viefe in fchreddenerregenver Weile noch täglich an den Kiflm
der Krim zeigen. Daß bier die ſpeciellſte Kenntnig dieſer mächtigften und cin
flußreichſten Verhältniffe, welche das Gelingen over Scheitern ber größten wit
der Heinften Unternehmen bedingen, eine abfolute und unumgängliche Borverung
it, wird unbedingt von theoretifcher, wie von praftifcher Seite eingeräumt
werben. Der Verfaſſer berichtet zunächft über die Mittel feiner Beobadıtun
gen, indem zur Zeit feiner Forſchungen in Mittelmeere ver Zuftand man
her meteorologifchen Inftrumente noch ver fpäter erzielten Vollkommenhei
entbehrte, andere Inftrumente aber noch gar nicht im Gebrauche fich vorfar-
den. Die höchften und niebrigften Barometer« und Thermometerftände, for
die Mafle des Nieverfchlags werden von Gibraltar, Marfeille, Sardinien, Rom,
Sicilien, Malta, Cephalonia, Conftantinopel, Alerandria, Tripoli und Adi
angegeben und auf die Umgeftaltung ver Temperatur hingewieſen, welde im
Berlaufe großer Zeiträume an biefen Meereögeftanen fich erwiefen haben, in
dem nach den Zeugniffen der alten Schriftfteller in vielen Gegenden hier ein
viel firengeres Klima, als gegenwärtig, geherrfcht haben fol. Mit den Bir
terungsverhältniffen fleht die Dispofition zu Krankheiten in naher Verbindung
Während das Mittelmeer im Allgemeinen ein fehr geſundes Klima befist, fehlt
demjelben auch die Schattenfeite an ver Malaria nicht, deren fehr nachteilig
Einflüffe auf militairifche Unternehmungen an verfchienenen Beifpielen nad
gewiejen werben.
Was die auf dem Mittelmeere vorkommenden Winde betrifft, fo fe
W.H.Smyth: The Mediterranean. 245
bamit bie Breitenlage, fowie vie Befchaffenheit ver Geſtadelaͤnder in ber
engften Berbindung. Im Webruar, März und April berrfcht der Südoſt⸗
und Sübweft- Wind vor, doch ändert fich dies nach den verfchiebenen Locali⸗
täten immer noch bedeutend und namentlich, je näher man den Küften kommt.
Eine große Mannigfaltigkeit herrſcht in letzter Beziehung und wird nicht fel-
tm der Schifffahrt fehr Hinverlich, wie z. B. der Solano an ven Sübfpigen
Spaniens und ver Scirocco, ein Süboflwind, von den alten, wie von ben
modernen Schiffern gleich gefürchtet find. Lieber vie Anzeichen nes entflchen-
den Seiroceo’8, fowie über feine Wirkungen berichtet der Verfaſſer etwas aus⸗
führlicher. Andere Winde, wie ver Siffanto, ein heftiger Sübweflwind im adria⸗
tifchen Meere, und die Bora mit ihren Wirkungen fchließen fih daran. Im
gleicher Weife werben bie atmofphärifchen und meteorologifchen Erfcheinungen
in ben Öftlichen Gewäfjern des Mittelmeeres erwähnt und gefchilvert; fo bie
zuweilen bort vorkommenden Wirbelminde oder Typhone, Waflerbofen und
Woltenbrüche, dad Elm= euer und andere eleftrifche Erfcheinungen. Bei dem
öflichen Griechenland find es die eteſiſchen Winde, welche, wie zu alter Zeit,
fo auch für die Gegenwart das Interefle ver Schifffahrer in hoben Anfpruch
nehmen; eine ähnliche Bewandtniß Hat e8 mit ven fogenannten Monfunen
ver Levante, die aus Norboft und Nordweſt während der Sommerzeit anhals
tmb wehen. Auch ſaͤmmtlichen im Alterthume gebräuchlichen Bezeichnungen
ber verfchiedenen Winde widmet der Verfaſſer eine forgfame Betrachtung. —
Ueber das ſchwarze Meer und die vom Winde und Wetter auf bemfelben
berrührenden Gefahren ift Admiral Smyth durchaus entgegengefeßter Anflcht,
als die Alten, welche jelbft dem Nanıen Pontus Euxinus nody ihr Mißtrauen
begeigten in den Worten: „quem tenet Euxini mendax cognomine littus.*
Die neuere Schifffahrt Hat dies alles geänbert; mag aud) dann und wann ein
bichterer Nebel auf diefem Meere ven griechifchen Schiffer in Sorge verfeßen,
fo find doch flarfe Stürme fehr felten, und wenn fle eintreten, halten fie ge⸗
wöhnlich nicht über 12 Stunden in ihrer Heftigfeit an. Während des Som⸗
merd walten die Nordwinde vor, und die Südwinde im Beginn des Herbſtes
oder Brühlings. General Monteith hat dem Abmiral die intereflante Thatfache
mitgetheilt, daß zu Kalla und Poti an der Oſtküſte des ſchwarzen Meeres
eine fteife Kühle faft ununterbrochen aus Welten wehe und ein Steigen ber
Gewäfler an ven Küften von Mingrelien entlang bie auf A Fuß bervorbringe,
was zugleich vie Urfache fei, daß die dortigen Küftenflüffe nicht felten über ihre
Ufer träten und die anliegenden Tiefebenen überſchwemmten. Die fonfligen, in
viefem Abfchnitte behandelten Gegenftände find, um aus der reichen Zahl nur
einige anzubenten, die Erfcheinung der Mirage, der Fata Morgana, dann aber
beionders die Nebel, welche in ven verfchievenften Theilen des Mittelmeeres
unter mannigfach zufammenmwirfenden Umftänven vorkommen, wie in den Syr⸗
ten, an den Küften Siciliens, um Majorka, namentlidy aber im Pontus Euxi⸗
nus. Auch der Sciroccoftaub und die mikroskopiſche Unterſuchung deſſelben
246 Neuere Literatur:
durch Herrn Brof. Ehrenberg gehört Hierher, ſowie die Erdrierung der ver⸗
unglüdten Erpebition Kaifer Karls V. nach den Küflen von Algerien. Den
legten Paragraphen viefes Abfchnittes endlich füllt eine Erörterung hinſichtlich
der eletrifchen Telegraphen.
Wenn wir nun fchließlich noch einige Bemerkungen Binzufügen vürfen,
fo verbient wohl darauf hingewieſen zu werben, daß eine in's Einzelne gehend
und die verfchienenen nautifchen Verhaͤltniſſe des ſchwarzen Meeres umfaſſen⸗
dere Darſtellung ſich zu ven ſonſtigen Vorzügen dieſes Werkes gerade nicht
zählen laßt, was mit Nüdficht auf die Zeit feines Entſtehens und bie da⸗
mals verfolgten Zwecke der Engländer leicht zu erklären ifl. Von Sebaflopol
war damals faum noch die Rede, und eine englifch-franzöfliche Kriegäfahrt
in den Pontus Eurinus gehörte jedenfalls in das Gebiet der unglaubliden
Dinge. Seitdem Hat ſich die Weltlage fo bedeutend verändert, daß gerade
dieſes Meer der Gegenſtand der allgemeinften Aufmerffamteit und bamit zu
glei der umfaftennften Linterfuchungen geworden iſt. Die geographiide
Wiſſenſchaft hat von dieſen Friegerifchen Ereigniffen der Gegenwart einen nit
unbeträchtlichen Zumach8 neu gefundener ober gründlich geprüfter Thatſachen
zu erwarten. Was das ſchwarze Meer betrifft, auf welchem ver November:
fturm des vorigen Jahres eine fo allgemeine Verwüftung unter ven Flotten
der Alliirten anrichtete, fo hat man von feinen Eigenthüimlichfeiten bereits jett
fo viel erforfcht, um den eben erwähnten Sturm als eine Seltenheit bezeich⸗
nen zu Tonnen. Seit Beginn viefes Jahrhunderts weiß man nur von bin
ſolchen Stürmen im ſchwarzen Meere. Der erfte wüthete am 17. November
1801, ver zweite gleichfalls am 17. November 1818, der dritte im Jahre
1839 und ver vierte envlich am 14. November v. 3., welcher zugleid alt
einer ber beftigften betrachtet wird. Erſt feit dem Aufenthalte der vereinigten
Flotten im ſchwarzen Meere ift es Aufgabe ver Seemänner geworben, ein
Heihe von Beobachtungen und Ihatfachen zu fammeln, melche jet ſchon hin
reichen, ohne Uebertreibung ald Nefultat binzuftellen, daß das ſchwarze Rn |
zwei große Eigenfchaften für die Schifffahrt beſitzt: es ift im Allgemeinen
tief *) und gefund. An der Einfahrt in den Bosporus ift es 40 Faden tid
und bis nach Sebaftopol beträgt die Tiefe nirgends unter 60 Baden, aber
auch 100 bis 150. An vielen Stellen erreicht man mit der Sonde Feine
rund. Mit Ausnahme einiger befannten und bezeichneten Küftenpunfte iR
2) Straton, ein im Alterthum berühmter phyfifcher Geograph, nannte irrize
Weiſe das ſchwarze Meer ein wenig tiefes ( Kal Apayurara ut eivaı ra nepi 10
Dlovzor, Strabo Ed. II. Cas. 50) im Gegenfape des Fretifchen, ficilifchen und ſardini
fhen Meeres, eine Anficht, womit Ariftoteles übereinfiimmt (Meteorologica. Ed. Becker
1, 354), dem zufolge nur die Macotis (das Heutige afow’fche Meer) eine mod gerik
gere Tiefe Hatte. Zu den allerflachfien Stellen des fchwarzen Meeres zählte man Im
Alterthume die an der Weſtküſte des Meeres und unfern der Mündung ber Dont
an den bier flachen Geſtaden des Gontinents gelegenen, unter dem Namen ber Sit-
the befannten Ganbbänfe (Irr76n). Gtraton bei Strabo a. a. D. 50.
W.H.Smyth: The Mediterranean. 247
das ſchwarze Meer ohne gefährliche Stellen, Klippen, Belfen, welche Uebel⸗
flände in der Oftfee und zumal im finnischen Meerbufen vorberrfchenn find.
Während des Sommers und ber günftigen Frühlings⸗ und Herbſtzeit ift bie
Oberfläche des Meeres ruhig, der Simmel rein, die Luft warm, fo daß man
fih nah dem blauen Wafler des Meerbufens von Neapel oder ver Rhede
von Palermo verfegt glaubt. Die Gefahren für die Schifffahrt, welche pas
ſchwarze Meer varbietet, bat es mit allen von Länvern rings umfchlofienen
Meeren gemein. Einige befondere Schwierigkeiten hängen mit feiner Natur,
jeiner geographifchen Geftaltung und jener der es umgebenven Länder zufams
men, aber dieſe Gefahren und Schwierigkeiten find in feiner Sahreszeit fir
gut conftruirte Dampfichiffe unüberwindlih. Das ſchwarze Meer erhält bes
fanntlich zahlreiche und mächtige Zuflüffe, vie längs feiner Küften örtliche
Strömungen veranlaflen, die in Verbindung mit gewiffen Winden Unglücks⸗
fälle verurfachen können, wenn man fie nicht forgfältig beachtet. Die Haupt⸗
Rrömung nimmt bie Nichtung gegen den Bosporus, bringt in die Därbanellen,
indem fie vorzüglich an ber europäifchen Küfte fich fortmälzt, und miſcht ihre
Gewäfler mit venen des Archipelagus, in welchem fle ungefähr 35 Seemeilen
von Eingange der Meerenge verſchwindet. Diefe Strömung, bie am Beginn
des Bosporus bei ſtillem Wetter anverthalb Knoten beträgt, fleigt bisweilen
durch flarfe Brifen auf 34, ja felbft 4 Knoten, wie dies aus einer Reihe
von Beobachtungen fich ergiebt, welche burch ven franzöflichen Kriegspampfer
„Napoleon“ angeftellt worden find. Wenn man aus dem fchmargen Meere
fommt, ift die Einfahrt in ven Bosporus oft ſchwierig und gefahrvoll; fie ift
an feiner fchmalften Stelle kaum eine Seemeile breit und bildet in gewifler
Entfernung einen fchroffen Ausjchnitt, deſſen Geftalt ver mehrerer anderen
nahen Küftenftellen ähnlich ift, fo daß man fle leicht mit einander verwechſeln
kann. Iſt die Brife ſtark und weht fie von ber offenen See ber, fo geben
die Sahrzeuge, welche eine falfche Richtung einfchlagen, unfehlbar zu Grunte.
Die Nebel bilden auch eine der großen Schwierigkeiten dieſes Meeres; fle
vermehren die Möglichkeit eines Zufammenftoßes, und ba fie in gewiflen Zei⸗
ten laͤngs der Küfte fehr vicht find, laſſen fie dieſe felbft nicht erfennen und
verhindern fo die Landung. Die Gebirge, die ed umgeben, bewirken zahlreiche
Luftfirömungen. Diefem ntmofphärifchen Umflande muß man vie Heftigfeit
der Winde und ihr oftmaliges Umfchlagen in ver Richtung zufchreiben. Trotz
aller dieſer Hinverniffe, die nicht wegzuleugnen find, wird das ſchwarze Meer
wiederum ein für die europäifche Schifffahrt geöffneteres Meer werben, als es
feit vielen Sahren der Ball war, und damit zugleich die welthiftorifche Bedeu⸗
tung des Mittelmeeres, das erſt wieder ald Verbindungsglied der Eulturvöls
fer Aſtens und Europa's feit wenigen Jahrzehnten in fein altes Hecht einges
treten ift, ihre vollfommene Würbigung zurüderhalten.
A. Autenberg unv Gumprecht.
248 Neuere Literatur: W. H. Smyth: The Mediterranean.
Zufap.
Smyth's Unterfuchungsgefhichte des Mittelmeeres erwähnt auffallender Weife
eine überaus wichtige, im Sahre 1720 veröffentlichte Arbeit des großen franzoͤſiſchen
Kartographen Guill. Deliele, woburd bie Dimenfionen und die Darſtellung auf
bes Mittelmeeres auf den Karten einer gründlichen Unterfuchung unterworfen wur⸗
den, gar nicht, fo daß es zweckmäßig erfcheint, aus dem Memoir diefes Verfaſſers
(Determination g&ographique de la situation et de l'Etendue des differentes parties
du globe in der Histoire de l’Academie. Annee 1720. ©. 365 — 385) Einiges zu
Vervollſtaͤndigung Hier anzufchließgen. Derfelbe wurbe zu feiner Arbeit durch den
damaligen Herzog von Drleand, Negenten des Reiche, veranlaßt, ber ihm aufgegeben
Hatte, für den Gebrauch des unmündigen Königs Ludwig XV. eine allgemeine Karte
der Welt anzufertigen. Der berühmte Kartograph fand hierbei nöthig, die zahlreichen
Bortolane unter einander und mit den vorhandenen aftronomifchen Beſtimmungen zu
vergleichen. Dekimmngen der leßten Art gab es damals noch fen wenige, ja
für einige Theile der Mittelmeerländer, 3. B. für die Oftfüften Spaniens, die nord⸗
afrikanischen Küften von Algier bis Gibraltar fehlten fie fogar ganz, wie der Ber:
faſſer ausbrüdlich bemerkte. Was von der Art etwa 50 Jahre früher befannt mar,
Hatte der auch von ihm mit gerechtem Lobe erwähnte Zefuit Pater I. B. Riccioli
in feinem großen Werke: Geographiae et hydrographiae reformatae nuper recogni-
tae et auctae libri duodecim. Venetüs 1672 (&. 388—409) zufammengeftellt, doch
da es Riccioli's Zweck nicht war, in Details einzugehen, fo blieb es Delislks
Aufgabe, die vielen anderweitig vorhandenen Data aufzufuchen, zuſanmenzuſtellen
kritiſch zu prüfen und für die Kartographie der Erde nupbar zu machen. In Be
zug auf bas Mittelmeer benußte verfelbe befonders zwei Portolane, die von Jar
ques Colomb und Berfeulen, wobei er fand, daß die darin angegebenen Diſtan
zen viel befiee mit Chazelles und Feuillées Pofttionen, als mit den gewöhnliden
Karten des Mittelmeeres ſtimmten. So ergaben ihm bie PBortolane für Malte
Entfernung von Alexandria 283 Lieues ober, den Grab in biefen Breiten = 20
Lieues gerechnet, 15° 58’, was von Ohazelles nur um wenige Minuten abweicht,
aber 6— 7° weniger, als die Karten zeigten, ausmachte. Bon Tripoli bis Gibral:
tar wichen die gewöhnlichen Karten gar um 7 auf 26 Breitengrabe ab, ebenſo
war bie Entfernung der Ränder bes Golfs von Lyon um 3° ober 75 Lieues Heiner
zu machen, endlich die von Malta nah Tripolt von den 110 Lieues der Karten auf
63 Lienes zu reduciren (S. 368). Die Länge des ganzen Mittelmeeres vermadte
Delisle jept erſt, da noch Miccioli Feine Beftimmung des öftlichen Punktes im Mittel
meexe, d.h. von Alerandreite (Scanderun) befaß, auf 41° 30’ d. h. auf 860 Lients
zu beflimmen, während man bis dahin Immer 1160 Lienes oder 300 Lienes zu viel
angenommen hatte (a. a. O. 368).
Misceſlſen.
Die bedeutendſten Waſſerfaͤlle und Stromſchnellen in den
Vereinigten Staaten und in Canada.
American, Snake River, Oregon .
Amonoofud, Fluß gleichen Namens, New =-Sampfbire .
Auftin Stream, ⸗ ⸗
Au Sable, ⸗ ⸗ ⸗
Baker's, Fluß Hudſon, New⸗Nork.
Bellow's, Fluß Connecticut, New⸗Hampfhite und Vermont
Berlin, Fluß Androscoggin, New⸗Hampfſhire
Maine .
New: Dort
Brazos, Fluß gleichen Namens, Terad .
Galumet, Fluß Ottawa, Ganada .
Carp Niver, Michigan . . -
Carthago, Fluß Genefee, New -Mork
Cascades, Columbia, Oregon .
Caiskill oder Katershil, New⸗Nork
Chats, Fluß Ottawa, Canada
Chattahoochee, Fluß gleichen Namens, Georgia
Ehaudiere, Flug Ottawa, Weſt⸗Canada
Ehaubiere, Fluß gleichen Namens, Oft» Canada .
Ehicontimi, ⸗ ⸗ ⸗
Clifton, Fluß Little Miami, Ohio
Cohoes, Fluß Mohawk, New⸗Nork
Columbia, Fluß gleichen Namens, Oregen
Dead River, Michigan .
Des Moined, Iowa .
Dover, New „Bampfbire und Maine
Fall Ereek, New⸗Nork.
Fiſching, Fluß Snake, Oregon
‘
%
+
«
“
Flume, Abzweigung Pemigewaflet, De - Game
Geneſee oder High, New⸗Nork
Sm Ellis, New Hampihire .
Glen's, Fluß Hudſon, New» Dorf
Great, Fluß Miſſouri, Nebraska.
Hadley's, Fluß Hudſon, New⸗Nork
High, Black River, New-Yorl .
‘
Hooſick, Fluß gleichen Namens, New «Dort
Houfatonic, Fluß gleichen Namens, Connecticut .
‘
9. 3. Com. ter. .
Engl. Fuß Höhe
250 Miscellen:
Engl. Fuß Hök
Kanawha, Virginia . . . ... ?
Lewifton, Flug Androscoggin, Maine .. .100
Little, Fluß Mohawk, New⸗Mork. 42
Lodi oder Silverthread, New⸗Vork... ... . 38
Lorette, Canada... ... 50
Luzerne, Fluß Hudſon, New· Hort ... ö 25
Martin's, Fluß Albany, H. B. Com. ir. . . 2 2 2.2.20
Minnehaha oder Laughing Waur, Minneſota- ... ... 46
Montmorench, Canada... .... 200
Montreal⸗Fluß, Canada... m
Mountain, oder Kakabaka, 9. 2. Com. Ter.. ... —
Niagara:
Horſe Shoe, News Dort und Canad1680
American, Nw-Dort .» 2 2 2 2 2 ern — 164
Norrivgewol, Maien.290
Baflaic, New⸗Jerſheee..70
Portage, Fluß Genefee, Newm-Dort . - 2 2 2 0 220. 100
Potomac, Virginienn. nn. %6
PBufambio, Canada - © 2 > 2 2 er . 100
Michelin, Canad... 74
Mideau, Canad.344
Rumfordrdddd..75
St, Anne, Banata . . » rm
St. Anthony, Fluß miſſiſſippi, minncon ..18
St. Croix, Minneſota... er rm
St. John's, New- Brunswid - - 2 2 2 2 2 nenn. 18
St. Lawrence:
Galogs, NewsDork und Canada -. . . 2 2 2 2 0. 7
Rapid Plat, News Dorf und Gandta . . 2 2.2.2... 2
Long Sault, ⸗ ⸗ ⸗ .. 468
Coteau,
Cedars, Canada. 83
Cascade,
La Chine, Canada.. ... 44
Ste. Marie, Michigan und Ganada . ||
Saco, oder Great, Maine. . . ... .772
Shawanagenne, Fluß St. Maurice, Canada een en. 200
Sheyboygan, Wisconfin . . m
Shelburne, Deerfielo » Fluß, Raffcnfe ei nenn 70
Shenandoah, Virginien. . . . .. rm
Silver Cascade, New Hampſhire Ir re
Topographiiche Karte von New⸗Jerſey. 251
Engl. Fuß Höße
Taghcanick, New Dorf. . . ..200
Tallulah und Stromſchnellen, Georgia . ren. 350
Ticonderoga, New = Dorf:
Ober⸗ sr 2 2 2 82. 2.7100
| 311€ > SE 30
Zinton, New⸗Jerſehh... 300
Torkoa, Georgia - » > 2 2 0 ren ee nn. 186
Trenton, New» Dorf:
High.... 100
Sherman . ssssss. 40
Conrad'.'issßs. 8290
Upper . . nee 20
Milberforce, Fluß Hood, 8. 2. Com. er. >22 2 22%. 1460
Williamette, Oregn . . . |
Winooski, Barmont . » > > 2 nr nr m
Dantic, Sonnetticut . . » —
Vorſtehende Zufammenflelung enthält bie vorzügficften Waſſerfau⸗, welche
in den Vereinigten Staaten und Canada bekannt und der Beachtung eines Rei⸗
ſenden werth ſind. Das Verzeichniß wird einen Theil eines Werkes ausmachen,
welches unter dem Titel: „Quellen und Wafferfälle Amerika's“ erſcheinen fol.
(The Geographical and Commercial Gazette. No. 1. Januar 1855.)
Gumprecht.
Topographiſche Karte von New-Serfey.
Lieut. Viele ift eben mit der Ausführung einer topographifchen Karte
dieſes Staatd beichäftigt, welche dad genauefte und vetaillirtefte Bild deſſelben
gewähren fol, indem fie nicht allein eine genaue Darftellung jenes Berges,
Hügeld und Stromes, jede Weges und Pfades, fonvern auch jeder Farm
und jedes Haufes enthalten wird, worauf dann wieber die Fünftigen Eifen-
bahnen und allgemeinen Verbeſſerungen zu gründen wären. Die Karte wirb
nach denſelben Principien, wie bie Küftenaufnahme der Vereinigten Staaten,
angefertigt. Eine folche genaue topographifche Erforfchung, wie die erwähnte,
ift aber nöthig, um ven geographifchen Charafter des Staates darzuftellen;
bei ver berühmten Aufnahme des Staates von New»Morf beging man ben
großen Fehler, daß auf diefe Gegenftände nicht genügende forgfältige Aufe
merkſamkeit verwandt wurde. Deshalb fehlte bier eine Baſis, worauf Die
Ergebniffe der mannigfachen naturwiffenfchaftlichen Unterfuchungen ſich Hät-
ten genau barftellen Iafien. (The Geographical and Commercial Gazette.
No. 1. Januar. New York 1855.) Gumprecht.
— — — —
Neu erfchienene geographifche Werke, Auffäbe, Karten und
Pläne.
1) Selbſtſtaͤndig erfchienene Werke und Auffähe.
Blackie (W. G.), Imperial Gazeteer; or general dictionary of geography, physi-
cal, political, statistical and descriptive. With views, maps and plans. VoL Il.
33 ( Blackie). 2220 S. 8. (2L.7S. 6 d.). Beide Bände 4450 S. (4 L.
15 S. '
The Journal of the Roy. Geographical Society. Vol. XXIV. London (Murray)
1854. 484 S. 8.
Charton (E.), Voyageurs anciens and modernes, ou choix des relations des voya
ges les plus interessants et les plus instructifs depuis le V* sitele avant J&sus-
Christ jusqu’au X1X=® sitcle. Avec biographies, notes et indications icono-
graphiques. T. II. Paris 1855. 440 8. 8.
Shaw (N.), Geographical list of places with two names. — Journ. of the Geo-
graph. Soc. XXIV. 1854. p. 318.
Hoffmann (W.), Encyclopädie der Erd⸗, Bölker: und Staatenkunde. 1.—5. fir.
Leipzig (Arnold) 1854. 55. 4. (à 4 Ser.)
Mitiheilungen aus I. Perthes' geographifcher Anflalt über wichtige neue Erforfhue
gen auf dem Gefammtigebiete ber Geographie, von A. PBetermann. Gel
(Perthes) 1855. Heft 3—5. gr. 4. (& z Thlr.)
Zimmermann (WB. F. A.), Der Erpball nnd feine Naturwunder. 28. Lief. Berlin
(Sempel) 1855. gr. 8. (4 Thlr.) — Daſſelbe. 3. Aufl. 12. Lief. gr. 8. (4 Thie)
Betermann (9), Die hydrographiſchen Arbeiten der britifchen Admiralitaͤt im Jahre
1853. — Petermann, Mittheilungen III, S. 71— 84.
Reichard's Paffagier anf der Reife in Deutfchland und der Schweiz ıc. Deutiä
re a 16. Aufl. Berlin (Herbig) 1855. 8. (Deutſch 3 Thk., framil.
34 T.
Plantamour, Sur la determination des hauteurs par le baromètre. — Bibl, uni.
de Gentve. XXVII. 1855. p. 177.
Hecquard, Declinaison magnetique dans la mer Adriatique. — Bull. de la So.
de G£ogr. IV=* Ser. IX. 1855. p. 92.
Say (H.), Memoire sur l’&migration europeenne au XIX=® siecle (suite et fin). -
Compte rendu de PAcad. d. Sciences. III=* Ser. T. XI. 1855. p. 79.
Kletke, i
1855. Bis jept 15 Lieff. (a Thlr.)
Veber ruſſiſche Enideckungsreiſen nach dem noͤrdlichen Aſien und nordweſtlichen Amt:
rifa. — Grman, Arch. f. wiffenfchaftl. Kunde Rußlands. XIV. 1855. ©. 212.
a) Europa.
Die enropäifchen Eismeere. — Petermann's Mittgeilungen U, ©. 54 — 55.
v. Bofe (H.), Repertorium ver Bevölferung und ber Organifation des bentichen Zell;
und Handelsvereins. Riga (v. Bötticher) 1855. 8. (3 Thlr.)
Be lelagrundes und feiner Schönheiten. Pirna (Diller a. Sohn) 1855.
16. (z r.
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6
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1854. London (Nisbet) 1855. 175 8. 8. (28S.6.d.)
lexander v. Humboldt's Reifen in Amerika und Aften. Berlin (Haſſelbeipch
Neu erfchienene geographifche Werke, Auffäbe, Karten und Pläne. 258
Du Pays (A. J.), Itineraire descriptif, historique et artistique de l’Italie. Paris
(L. (An) 1855. CVII u. 672 S. Mit 22 Karten und Plänen. 12. (11 Fr.
Giorgini (C.), Sui fiumi nei tronchi sassosi e sull’ Arno nel piano di Firenze
discorso. Firenre 1854. 280 S. Mit 2 Taff. gr. 8.
Fayet, Essai sur la statistigue du d#partement du Pas-de-Calais, — Compte
Rendu de l’Acad. d. Sciences. III Ser. XI. ‚p- 273.
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1855. Xlln. 620 ©. 8. Mit 7 lith. Grunde. (3 Thlr)
Die noͤrdliche Brodlinie in Großbritannien und der Bodenertrag Schottlands. — Pe:
termann’s Mittheilungen II, S. 54.
Statistisch jaarboekje voor het Koningrijk der Nederlanden. Vierde j jaargang. Uit-
gegeven door het Depart. van Binnenlandsche Zaken. ’s Gravenhage (van
Weelden en Mingelen) 1854. 536 8. 8.
Narrative of the cruise of the Yacht „Maria“ among the Faroe Islands in the
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theilungen III, ©. 62 —-7
Brandes (H. Kò, Ausflug rn bie Pyrenäen und Grfteigung des Montperbu im
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Der Handel der Tſchuktſchen mit den Ruſſen und ven Infelbewohnern bes nörblichen
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de Saulcy, La Syrie et la Palestine.e Examen critique de l’ouvrage de M. Van
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Die Grforferung des Slmafaya durch die Gebrüder Schlagintweit. — ebend. V, ©. 142
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De Karimon-eilanden. — ibid. 1855. p- 238.
ce) Nfrifa,
Dinome&, Coup d’oeil rapide sur les informations obtenues depuis la fin du
XVII“ siöcle au sujet de l’interieur de l’Afrique septentrionale, comparees
avec les decouvertes faites jusqu’ä ce jour dans la meme region etc. (Fin).
— Nouv. Annal. des Voyages. 1855. ige
Brugſch (H.), naanberung nad) ben — in Aegypten. Berlin (Dünmn;
ler) 1855 (9 Sgr.)
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Kuka nah Timbuktu. — Petermaun's Mittheilungen I, S. 3—14. I. Dr.
Barth's Nüdreife von Timbuktu nach Kano. — ebd. III, &. 85—89. III. Barth
Sorihungen in Libthafo und ven öftlich daran gelegenen Ländern. — ebenb. IV,
Voret, araiasion to Central Africa. — Journ. ofthe Geograph. Soc. XXIV. 1854.
FIR ir of: a letter from Dr. Barth to Dr. Beke, ante Tımbuctu Sept. 7th 185.
ıth routes in Central Africa. — ibid. p- 28
Petermann (N), Die neueften Forfchungen in Sir Afrika: Der Rdamiſet und
ver Liambey⸗Fluß. — Petermann's Mittheilungen II, S. 41 — 54
Livingston, Explorations into the Interior of South Africa. — Journ. of the
Geograph. Soc. XXIV. 1854. p. 291.
Baines, The Limpopo, its origin, course, and tributaries. — ibid. XXIV. 1854.
288.
P-
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commercial. — Revue de POrient. 1855. p. 297.
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d) Amerika.
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Die Entvedungen in dem arkifihen Archipel der Barry: Infeln be zum "Jahre 1855.
— ebend. IV, ©. 98— 119
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Nint A ), ), Die Vegetation von Nord: Grönland. — Betermann’s Mittheilungen II),
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-
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ming). Imp. Bol. (12 Ggr.)
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für 1855. Blogan (Flemming). Imp. Bol. In gr. 8.-Garton. (4 Thlr.)
256 MW. Koner: Neu erfihlenene geographifche Werke, Auffäke x.
Neberfichtsfarte ſaͤmmtlicher Cifenbahnen und Poſtſtraßen von Mittel: Europa. Na:
beburg (Kägelmann). Fol. (4 Thlr.)
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Mit Erläuterungsblait. Leipzig (Barth). gr. Kol. (20 Thlr.)
—, Epreuves de cartes geographiques produites par la photographie d’apres les re-
liefs du Monte Rosa et de la Zugspitze. Leipzig (Barth) 1855. 4. (4 Thlr.)
Sunte (D.), Bericht über die Schlagintweit'ſchen Reliefe des Monte Rofa ine
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Boralpen. Leipzig (Barth) 1855. 8. (44 Sgr.)
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Paris 1855. Vergl. Bull. de la Soc. de Ge&ogr. IV®* Ser. IX. 1855. p. 102.
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Myionnet-Dupuy (A.), Union des deux oceans Allantiques et Pacifiques, par
le transit ouvert & travers la r£publique de Nicaragua, carte detaillde des ang
departements avec indication des principaux trac&s du canal interoceanique ap-
prouv& par le gouvernement de Nicaragua. Paris 1855. 1 feuille.
3) Meteorologie.
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Quetelet, Sur l’extension qu’a prisc, en Allemagne, l’observation des phenamin:
periodiques. — Bull. de l’Acad. Roy. de Bruxelles. XXI. 1855. p. 216.
Kämtz, Sur differentes questions me£teorologiques. — ibid. p. 219.
Quetelet, Sur l’hiver de 1854 a 1855. — ıbid. p- 225.
Grabay, Temperature observee à Louvain, pendant les mois de janvier et de
fevrier 1855. — ibid. p. 227.
—, Note sur quelques hivers remarquables par le froid du mois de fewer. -
ibid. p. 229.
—, Temperature centigrade, observee ä Namur, pendant les mois de janvier et&
f&wrier 1865. — ibid. p. 228.
W. Koner.
VII.
Fortſetzung der Nachrichten über die wiſſenſchaftliche
Keife Der Gebrüder Schlagintweit in Indien.
Bericht an Se. Majeftät ven König Friedrich Wilhelm IV. ')
Wir haben länger, als wir follten, verfaunt, Ew. Majeftät einen
Bericht über den Fortgang unferer Reife vorzulegen, aber wir haben
in der That gefürchtet, daB das, was wir über unfere Reife und un-
fere Beobachtungen von Calcutta bis in den Himalaya zu berichten
hätten, nicht neu und interefjant genug wäre, um im Geringften ber
Aufmerffamfeit Ew. Maieftät würdig zu fein.
Mein Bruder Robert und ich verließen Balcutta nach einem kur⸗
zen Aufenthalte am 25. März; wir beabfichtigten anfangs, nach Khat-
mandu und Nepal zu gehen; wir wurden jedoch in PBatna benachrichs
tigt, daß Joeng Bahadur, der erfte Minifter und factifch der Herr-
[her von Nepal, ſich mit orientalifhem Mißtrauen unferem Plane, von
Khatmandu in Das Innere zu gehen, widerfeße; wir hielten es baher
für befier, weiter nach Welten in den englifchen Theil des Himalaya
zu gehen. Wir gingen über Benares, Allahabad und Foettigoerh nach
Nainy Tal, einer Station in den Vorbergen ded Himalaya, was wir
Ende April erreichten. Sehr überrafchend ift der Eintritt aus den
Ebenen in den Himalaya. Mit einem Male feheint ſich Alles zu ver-
ändern, die Temperatur, die Vegetation, das Gefälle der Fluͤſſe; es ift
2) Der Redaction mitgetheilt auf Befehl Sr. Majeſtaͤt durch Herrn Alerander
v. Humboldt den 2. September 1855.
Zeitſchr. f. allg. Erdkunde. Bd. V. 17
258 Die wifjenfchaftliche Reife
ein prachtvoller greller Contraft. Während man des Morgens am
Fuße des Gebirged in Kaladungi im leichten inbifchen Anzuge jelhfl
unter der Bunfa über Hite Hagt, hatten wir Abends nach einem leich—
ten Regenfchauer in Nainy Tal (circa 6300 engl. Fuß uͤber dem Meere)
Gelegenheit, an einem warmen Kaminfeuer phyfikalifche Betrachtungen
über den Einfluß der Höhe auf die Abnahme der Temperatur anyı:
fielen. Was den Vorbergen des Himalaya im Gegenfage zu den
Alpen einen eigenthümlichen Reiz verleiht, ift die Weppigfeit und Man
nigfaltigfeit der Vegetation. Schöne reichbelaubte Eichen, baumartige
Rhododendra, mit großen rothen Blüthen bebedt, gedeihen überall auj
den höchften Theilen der Vorfetten. Wir hatten Gelegenheit, die auf
ren Ketten des Himalaya von Nainy Tal aus in verfchiedenen Rid-
tungen zu unterfuchen, und von zwei hohen Punkten aus, vom Chin
nür und Loeria Kanta bei 8700 und 8500 engl. Fuß, auf melden
wir mehrere Tage verweilten, genoflen wir einen herrlichen Weberblid
über einen großen Theil des Himalaya in Kamaon und Chanel |
Das wundervolle Panorama der fchneebededten Gipfel des Himalırı
vom Api in Nepal über Nanda-Khat, NandasDevi, Trifful, bis über
die Badrinath= und JamnutrisGipfel hinaus, laßt fih an Schönheit
und Interefie mit nichts in den Alpen vergleichen. Wir beeilten und,
in die Nähe dieſer majeftätifchen Bergfetten zu gelangen.
Am 16. und 20. Mai verließen wir Nainy Tal, um auf zwei
verſchiedenen Wegen nah Milum zu gehen. Robert ging mit dem
größeren Theile des Gcpädes über Almora, Bägefur und Ghirgaun
nah Munfchari, einer großen Gemeinde im Gorithale, in welcher die
nöthigen Vorbereitungen zur Lieferung von Proviant u. f. w. nad) ten
höheren Theilen des Gebirges gemacht werden mußten. Ich ſelbſt ging
über Bägefur das Soerchuthal aufwärts nah Käthi, dem legten Ms
nen Dorfe im Pindurthale. Wir hatten in Nainy Tal gehört, da
einmal vor 25 Jahren ein Commiſſioner von Kemaon, Trail, dir
über die Gletfcher aus dem Pindurthale in das Gorithal gelangt fü:
er litt damals viel vom grellen Schneelichte, war einige Tage fen
blind, und die Eingeborenen behaupten, ex fei erft wieder geſund gt
worden, nachdem er dem Tempel der Nanda-Devi in Almora ein an
ſehnliches Gefchent gemacht. Das Factum ift, daß er furz nach feine
Ruͤckkehr einen Streit zwifchen den Brahminen diefes Tempels un
der Gebrüder Schlagintweit in Indien. 259
zwiſchen dem Fiskus über den Beſitz einiger Grundftüde zu enticheiden
hatte, und Daß er zu Gunften der Brahminen und des Tempels das
Urtheil füllte. Als ich mich in der Nähe befand, fpracdh ich mit den
Leuten über den Weg, welchen Traill genommen hätte, und zu meinem
großen Vergnügen fah ich bald, daß die Leute unter dem Berfprechen
guter Bezahlung und eines reichen Opfers für die Nanda-Devi bereit
waren, mit mir den Weg zu verfuchen. Ein alter Mann, der einzige
von den 100 Leuten, die Traill begleitet hatten, welcher noch am Les
ben war, wurde ald Hauptwegweiſer mitgenommen. Um die Furcht
der Leute vor dem Erblinden durch den Schnee zu ngrfcheuchen, gab
ih Jedem ein Stüd grüner Gaze, wovon ich mir einen Vorrath in
Almora verfchafft Hatte. Am 28. Mai verließ ich Kathi, von 30 der
Fraftigften Leute aus dem DanpursDiftricte begleitet. Am 29. Abende
famen wir nad Pinduri, einer fhönen grünen Alpe am Fuße des
von prachtvollen hohen Selfenwänden und firnbededten Gipfeln umges
benen Pindur⸗Gletſchers. Hier wurden A Ziegen für die Nanda-Devi
gekauft; überdicd hatten wir von Kathi Reis, Kleines füßed Badwerf
u. ſ. w. für das, Opfer auf der Paßhoͤhe mitgebracht. Der Aberglaube
der Leute und ihre große Furcht vor der Nanda⸗Devi waren jebt faft
das einzige, was mich für das Gelingen des Unternehmens beforgt
machte. Am ZOften gingen wir über den Pindur⸗-Gletſcher aufwärts,
und nahmen unfer Nachtlager auf einem Bergabhange über dem rech⸗
ten Ufer des Gletfchers, Schem Koerik genannt, über der Grenze alles
Holz- und Strauchwuchſes. Ich hatte einen wunderſchönen Weberblid
über den Pindur⸗-Gletſcher und über einen Theil des malerifchen Pin⸗
dur⸗Thales; alle fernen Gegenftinde waren ſchon Mittags in einen
dirfen grauen Dunft gehüllt; dieſer dicke Höhenrauch herricht Nachmit⸗
tags immer im Himalaya während ber heißen Jahreszeit; es find bie
mit Staub beladenen Dünfte aus der erhigten Ganges⸗Ebene, die
durch den Südwind in das Gebirge getrieben werden. Abends lagen
fchwere Gewitterwolfen im tiefen Pindur- Thale, einige Blige wurden
ſichtbar; wir felbft blieben oben conflant außer dem Bereiche der Wols
fen. Abends, als ich die Karte des Gletſchers und der umgebenden
Berge entwarf, erzählten mir die Leute bei jedem neuen Berge, nad)
deſſen Namen ich fragte, feine Beziehungen zur großen Legende ber
KandasDevi. Die Nanda-Devi bildet den Mittelpunkt des Gebirges
17 *
260 Die wifienfchaftliche Reiſe
von Pinduri bis über Milum hinaus; die Benennungen vieler ver
höchften Gipfel fnüpfen fich an die Thaten der Göttin (Devi — Göttin),
und die Bhutias in Milum verehren Feine Gottheit, als dieſe. Wir
hatten hier und fpäter in Milum Gelegenheit, die Legende der Rande:
Devi und ihre Beziehungen zur Gebirgsbenennung ziemlich volftändig
zu erfahren, und ich glaube, es wird wenige gleich anziehende und
reichhaltige Gebirgslegenvden geben. Dan ift befonders überrafcht durch
die Treuferzigfeit und den feften Glauben, womit die Legende erzählt
wird, während man in Europa in ähnlichen allen gewohnt ift, den
Erzähler felbft -über die Leichtgläubigfeit feiner Voreltern lächeln zu
fehen.
Die Nacht war etwas unangenehm, da ich und meine Leute ge
zwungen waren, in der feuchten Atmofphäre ohne Zelt oder irgend an
deren Schuß im Freien zu fchlafen. Es wäre in der That ohne große
Lebensgefahr für die armen Leute nicht möglich geivefen, fehweres Ge⸗
päck, wie Zelte u. f. w., über die fteilen felfigen Abhänge binaufzutre
gen; ich Hatte daher faft all mein Gepäd mit den Bebienten auf einen
großen Umwege über Namik nach Munfchari und Milum gefandt.
Am 31. Mai brachen wir um halb 2 Uhr Morgens auf; ich war
leider genöthigt, A Leute zurüdzulaffen, welche während der Nacht feht
unmohl geworden waren und zurüdzufehren verlangten. Die kalte Nacht
hatte den Echnee hart und feſt gemacht, und wir fliegen langfam aktı
ftetig empor. Wir erreichten den Gipfel des Paſſes um 8 Uhr Wer
gend. Nur das letzte Anfteigen zur Paßhöhe über fteile eifige Schnee—
rinnen, wo wir Hunderte von Stufen mit der Art hauen mußten,
war etwas erfchöpfend für Leute, welche bereits durch einen langen
Weg und eine fchlechte Nacht etwas ermüdet waren. Nachdem it
kurze Zeit auf dem Pafje gewefen war, wurde ich plößlich dadurch er
fhredt, daß drei meiner Fräftigften Leute in vafcher Folge von epilep
tifhen Zufaͤllen befalfen wurden; fie warfen fich in den Schnee nice,
verbrehten die Augen, ſchlugen mit Händen und Füßen um fi un
waren offenbar ganz von Sinnen. Alle meine Leute begannen zu uw |
fen: „Nanda Devi aya, Nanda Devi ayal“ (die Nanda-Deri ll
in fie gefahren). Ich war in der That erfchredt, da ich fuͤrchten
mußte, daß biefer Unfinn weiter um fich greifen önnte; ich nahm de
her zwei Brahminen, die ich bei mir hatte, bei Seite, fagte ihnen, dab
der Gebrüber Schlagintweit in Indien. 261
dies reiner Unfinn fei, daß ich der NandasDevi Alles gegeben hätte,
was fie irgend gefordert, und daß diefer unangenehme Auftritt nur
bie Folge ihrer dummen Redensarten während des Weges fei, wo fie
an jeder etwas fchwierigen Stelle die RandasDevi anriefen und Vers
beugungen und Salems ohne Ende machten. Ich befahl ihnen unter
Androhung firenger Strafe in Almora, die Leute fogleich zu beruhigen,
was fie durch lange Gebete und durch Auflegen von Schnee auf den
Kopf bewerfftelligten, wobei das letztere ficher das wirkfamfte war.
Ich verweilte eine Stunde auf dem Paſſe, um meine Beobachtuns
gen mit dem Barometer und einem Kleinen Theopoliten anzuftellen, dann
brachen wir auf. Der Paß führt noch nicht über den Hauptfamm der
Schneefette, fondern nur auf die ausgebehnten Firnfelder, welche dem
Pindur-Gletfcher feinen Urfprung geben; man kann denſelben nicht
erreichen, indem man den PindursGletfcher entlang aufwärts geht, da
derfelbe weiter oben in unzugängliche Eisnadeln zerborften if. Wir
hatten faft zwei Stunden lang über dieſe ausgevehnten Firnfelder zu
gehen, ehe wir den zweiten Paß erreichten, welcher hinab in das Loans
Thal führt. Hier begannen wir die Wirkung der Sonne und des
Schneeglanzed zu fühlen; meine Leute lagen fortwährend im Schnee
umber, und ich hatte große Mühe, fie vorwärts zu treiben. Das Ther-
mometer, welches am Paß 0° ftand, flieg Hier in der Sonne auf 17
und 19° @elf., was und hier oben eine drüdende Hitze ſchien. Um
11 Uhr erreichten wir den zweiten Paß, wo wir enblih bie fteilen
felfigen Abhänge des Nanda-DevisBipfeld und der Milum- und
DarmasBerge erblidten. Hier wurde geopfert, indem man die Ziegen,
in A Theile getheilt, nach den verfchievenen Himmelögegenden jchleus
derte und das übrige auf Steinen geſchmackvoll auffchichtete. Ich felbft
war hinter einen Felſen verſteckt, da ich heilig verfprechen mußte, nicht
hinzubliden. Während ded Weges vom erften zu dem zweiten Paſſe
hatten wir beftändig die hohen Gipfel der Schneefette vor uns; Ich
war im Stande, von verſchiedenen Punkten aus Winfel zu meffen,
und hoffe, daß meine Beobachtungen vielleicht nicht ganz ohne Nutzen
für die Orographie und Geologie dieſes Theiles des Himalaya fein
werden. Wir blieben 1} Stunden auf dem zweiten Paſſe, welcher nur
ganz wenig niedriger, ald der erfte, iſt; dann fliegen wir über fteile
Schneewände zum Loan- Gletfcher hinab.
262 Die wiffenfchaftliche Reife
Nachdem ich mich öfters zum Zwecke meiner Beobachtungen auj;
gehalten hatte, erreichten wir Abends 5 Uhr NaffapanpattisKoerit
(Koerif = Alpe), wo wir unter dem Schuge einiger überhängenden
Felſen vortrefflich fchliefen. Den nächften Tag gingen wir nad Mar:
toli, und am 2. Juni hatte ich das Vergnügen, meinen Bruder Re
bert in Milum zu begrüßen, wo er bereitd zwei Tage früher einge
troffen war. Wir bedauerten jest fehr, nicht gemeinfchaftlich dieſen
Weg gegangen zu fein, aber als wir Nainy Taf verließen, war es
fehr unmahrfcheinlich, daß bei dem vielen neuen Schnee der Weg mög
lich fein würde, und wir glaubten ficher, daß ich den großen Umweg
über Namif zu machen haben würde Wir Fönnen feine abfoluten
Höhen für die Päffe geben, da wir die correfponbirenden Barometer:
Beobachtungen aus den Stationen in Nainy Tal und Agra noch nidt
erhalten Fonnten; nad einer annähernden Berechnung glauben wit,
daß die Höhe des Pafles 17,950 engl. Fuß betragen wird.
Wir blieben einige Tage in Milum, um unfere Karten und Zeich
nungen auszuarbeiten, die Inftrumente aufzuftellen und um unferen
Pflanzenſammlern u. f. w. die nöthigen Inftructionen zu geben, dann
gingen wir beide an ven Fuß eines Gletfchers oberhalb Pachu, um
die Gruppe der NandasDevi im engeren Sinne, welche gerade übe
dem Gletſcher emporfteigt), näher zu unterfuchen. Wir hatten zwei
Tage vorher 7 Leute vorausgefandt, um die Berge zu beiden Eeiten
des Heinen Gletſchers näher zu befehen, und am 10. Juni gelang es
und, einen Heinen @ipfel auf dem öftlich von der Nanda⸗Devi aus
laufenden Kamme zu erreichen. Wir hatten hier einen fehr ausge
dehnten Ueberblick über einen großen Iheil der Himalaya> Ketten von
Darma und Dfchohär (Iawahir der Karten). Die Höhe des Gipfeli
iſt nahezu gleich jenen des Pindur-Paſſes, circa 17,900 engl. Fuß,
aber da es fein Paß, fondern ein ganz freier von fteilen Abhängen
umgebener Gipfel war, fo bot er noch eine viel befiere Gelegenheit für
unfere Winfelmeffungen dar, als der Pindur-Paß. Wir verliehen
unfer Lager um A Uhr Morgens, und nach beftändigem Anfteigen übe
delfen und über Schneeabhänge erreichten wir um halb 14 Uhr den
Gipfel. Wir fanden keine befonderen Schwierigfeiten; es wäre faum
der Mühe werth, diejenigen zu erwähnen, welche von einem ſolchen
Unternehmen ungertrennlich find. Wir waren von 13 Bhutias beglei—
der Gebrüder Schlagintiweit in Indien. | 283
tet, die unfere Inftrumente und einige Lebensmittel trugen. Der
Gipfel war fehr fchmal; wir fanden jedoch etwas unterhalb defielben
einen kleinen geſchuͤtzten Platz, wo ſich unfere Bhutias hinfehten, um
fih zu wärmen, während wir felbft auf dem Gipfel mit unferen Be
obachtungen befchäftigt waren. Wir verweilten von halb 11 bis 3 Uhr
Nachmittags auf dem Gipfel, die Temperatur war 2 bis 5° Celſ.
Einige unjerer Leute klagten über heftiged Kopfweh, wir felbft fühlten
es nur ganz wenig und es verlor fich fogleich im Hinabgehen. Der
Hinabweg war raſch und angenehm; nachdem wir die gefährlichen und
jerklüfteten Stellen des Schnee's paflirt hatten, glitten wir mit großer
Schnelligkeit über die Schneehalden hinab; um halb 6 Uhr erreichten
wir den Fuß des Berges, von wo mir langfam zu unferen Lager
zurüdwanderten. Wir verweilten noch zwei Tage, um die trigonomes
triſche Meijung der Nandas Devi zu vervolifländigen, und fehrten dann
nah Milum zurüf, wo unfer Gehülfe Daniel, ein junger Oſtindier
von guter Schulbildung, fehr gute correfpondirende barometrifche und
nieteorologifche Beobachtungen angeftellt hatte.
Wir verweilten in Milum bis zum 16. Juni, mit magnetifchen
Beobachtungen und photographifchen Verſuchen befchäftigt. Unſer photo-
graphifcher Apparat brachte unter den Bhutias einen wirklich wunder-
vollen Eindrud hervor. Wir waren im Stande, verſchiedene Photos
graphien von guten Typen dieſer Menfchenrage zu fammeln Wir
wagen e8, zwei biefer Verſuche Em. Majeftüt vorzulegen, und werben
im Simlah Gelegenheit finden, von unferen negativen Eolloviumbildern
pofitive Abdrüde zu nehmen und werden die Ehre haben, unferem Bes
richte dann einige dieſer Abdruͤcke beizulegen.
Am 16. Juni verließen wir abermals Milum, um den großen
Milun:Gletfcher zu unterfuchen, welcher ganz nahe bei Milum felbft
endet. Es ift der größte ©letfcher, welchen wir bis jetzt gefehen haben,
2 bis 24 deutfche Meilen lang, 1000 Meter breit, an Ausdehnung
mit feinem &letfcher in den Alpen vergleichbar. Am 18ten verlegten
wir unfer Lager auf den Rata Daf over Rothberg, einen kleinen ifo
litten Selfenfamm, welcher inmitten der Firns und Eismaffen des Mi:
{um s Gletfcherd emporragt. Wir hatten von hier einen ausgezeichneten
Ueberblicd über den ganzen oberen Theil des Milum⸗Gletſchers und
über die Bergzüge, welche die Firnmeere umgeben. Die Süpfeite des
264 Die wiffenfchaftliche Meife
Gipfels, auf welchem wir unfer Kleines jchwarzes Bhutia⸗Zelt aufge
fhlagen hatten, war eben von Schnee frei geworden; auf der Nord
feite waren noch dicke Lagen von Winterfchnee aufgehäuft. Die Höhe
des Punktes betrug ungefähr 15,500 Parifer Zuß; wir befanden uns
weit über der Grenze der höchften Sträucher, und da durch die ſteile
enge Selsfchlucht, über welche ber einzig mögliche Weg heraufführte,
nur ganz leichte Ladungen heraufgetragen werben konnten, fo hatten
wir den erften Tag einen fühlbaren Mangel an Brennmaterial. Den
heiteren Abend benugten wir, um mit dem Fernrohre den fehr zerflüf:
teten Gletſcher zu unterfuchen, und wo möglich einen Weg durch das
Labyrinth der Spalten nach den höheren Thellen des Gebirges aufjr
finden. Unfere 16 Bhutiad erklärten es für unmöglich, irgend weiter
vorzubringen; fie gehen gut auf Kelfen, aber fie fürchten Schnee und
Eis und befonders die Gletfcherfpalten. Am 19ten vor Tageögrauen
verließen wir unfer Kleines Lager; mit feften Seilen verbunden, welde
den Muth der Bhutias wefentlich erhöhten, wanderten wir über bie
zerfpaltenen Gletſcher aufwärts.
Nach einigen Stunden famen wir an die ſchwierigſte Stelle, einen
etwa 1000 Zuß hohen, fehr fteilen Abfturz des Firnmeeres; Eine
von und ging, am Seile gehalten, voran, um den Weg zu bahnen
und bie Fefligfeit des frifchen Winterfchnee’8 zu beiden Seiten der
großen Firnfpalten zu prüfen. Unfere 12 Leute folgten mit fumme
Refignation unferen Tritten; fie hatten fich längft jedes Urtheiles über
den einzufchlagenden Weg begeben. Nach vielen vergeblichen Verſuchen
gelang es uns, den oberen Theil des Abfalles zu erreichen. Wir glaub
ten jegt dem Ziele unferer Wanderung, einem ſchwarzen Felſenkamme,
welcher das Firnmeer des Milum⸗Gletſchers im Norden begrenzt, ziem⸗
lich nahe zu fein; aber das allmählig anfteigende Firnfeld ſchien ſich,
wie dies häufig der Fall iſt, mit jevem Schritte zu vergrößern. Dre
lange Stunden wanderten wir langjam vorwärts.
Der Einfluß der Höhe und der Ermüdung machte fich jegt in
fehr verfchievener Weife bei den Leuten bemerfbar. Wir jelbft fühlten
nicht daß leifefte Kopfweh, indem wir uns bereit allmählig ganz at
climatifirt hatten. Um uns gegen die Wirkung der fenfrechten ind
ſchen Sonne zu fchügen, die man, wenn und nicht Alles täufcht, hier
oben auf den Schneefeldern ganz anders, als in den Alpen, fühlt,
— — ———— —— —
der Gehrüber Schlagintweit in Indien. 265
hatten wir wieder unfere dicken indifchen Hüte aus leichtem Baum:
mark hervorgeholt, bie einen vortrefflichen Schub gewährten. Einige
unferer Leute, die ſich durch geiftige Getränfe zu ftärfen fuchten, Flags
ten über heftige Kopffchmerzgen. Aber wir Alle fühlten eine eigenthüm-
lihe Ermattung, die theild den Anftrengungen des Weges, theils dem
Einfluſſe der verbünnten Luft zuzufchreiben war.
Endlich um 1 Uhr erreichten wir ben oberflen Theil des Firn⸗
meeres, am Buße des Felſenkammes, wo auf dem Schnee einige Zeit
geruht und das Barometer aufgeftellt wurde; wir befanden ung gerade
unter dem halben Drude der Atmofphäre; Barometerftand 380 Milli»
meter. Wir waren, mit Milum verglichen, ungefähr 18,000 Bar. oder
19,100 engl. Fuß hoch. Bon einem Paar unferer Leute begleitet, fies
gen wir noch auf den Felfenfamm, der fich nördlich von uns befand.
Das Barometer mitzunehmen zeigte fich bei der allgemeinen Ermüdung
und der GSteilheit der Felfen ganz unmöglid. Die Höhe war ficher
500 bis 600 Fuß über dem Aufftelungspunfte des Barometers; wir
haben fpäter dieſe Höhe eben fo wie jene einiger Gipfel in der Um⸗
gebung trigonometrifch gemefjen. Oben wurde und eine fchöne Aus»
ficht auf die tibetanifchen Bergzüge zu Theil; Girthi lag unmittelbar
zu unferen Füßen. Während von Süden her, wie gewöhnlich des
Nachmittags, ſchwere Wolfen heraufzogen, war in Tibet Flarer blauer
Himmel. Unſere Leute mahnten dringend zur NRüdfehr; nach halb
A Uhr brachen wir auf. Raſch eilten wir über jene Stellen hinweg,
wo wir jeßt, nachdem die Sonne den Schnee erweicht hatte, Rawinen-
gefahr befürchten mußten; um halb 6 Uhr erreichten wir bereits ben
Fuß des fteilen zerflüfteten Abfturzes, und legten nun ermübet den
Meft des Weges langfam zurüd. Nach Einbruch der Nacht um halb
9 Uhr trafen wir auf unferem Lager in Rata Daf ein, wo bie zurüd;
gebliebenen Leute ängftlich unferer Ruͤckkehr geharrt Hatten,
Am nächften Morgen fanden wir unfer Zelt und den Boden mit
frifchem Schnee bevedt, den jedoch die Sonne bald wieder entfernte.
Wir blieben noch den ganzen Tag, um unfere Beobachtungen zu ver-
volftändigen, aber Abends nöthigte und der Mangel an Brennholz
und das Bebürfnig nach Waſſer, da und das rauhe Schneewaſſer all-
mählig ganz ungenießbar wurde, zur Rüdfehr. Spät Abends erreich-
ten wir bei Badelfchein unfere Zelte, die nebſt unferen Dienern auf
266 Die wiflenfchaftliche Reiſe
einem Heinen Rafenplate am linfen Ufer des Milum⸗Gletſchers zurüd:
gelaſſen waren.
Die Bhutiad zeigten fi) über das Gelingen unfered Unterneh:
mens höchft erfreut; abergläubifch in hohem Grade find fie jetzt zu der
Ueberzeugung gelangt, daß wir einen ganz fpeciellen Glüdsftern be:
figen müßten, und wir werben des Morgens von Leuten wahrhaft be
lagert, die unferer glüdbringenden Vermittelung in irgend einer Ange
legenheit, beſonders in ihren Speculationen im tibetanifchen Getreide:
und Borarhandel, bedürfen. Da das Gelingen unferer tibetanifchen
Reife ganz von den guten Dienften und der Anhänglichfeit der Bhus
tias abhängt, fo müflen wir und natürlich liebensiwürbig machen und
den fümmtlichen Anliegen Gehör fchenfen und Alles fo glüdlih als
möglich fchlichten.
Die Gebirge in den Umgebungen des Milum-Gletſchers, welche
wir in der legten Zeit unterfuchten, find in geologifcher Beziehung fehr
intereffant. Auf die eryftallinifchen Schiefer der Eentralzone des His
malaya folgen bier fehr verfteinerungsreiche ferimentäre Schichten der
filurischen Yormation. Wir waren fo glüdli, anf unferem Lager in
Kata Dak, fowie auf dem höchften Punkte, den wir erreichten, zahl
reiche ſiluriſche Verfteinerungen von fohöner Erhaltung zu finden; ba
das Gebirge hier faft ganz von Begetation entblößt ift, fo hatten wir
eine fehr gute Gelegenheit zur Aufnahme von geologifchen Profilen,
welche den Uebergang von den cryftallinifchen Sciefern in die feti-
mentären Schichten zeigen. Wir fonnten uns hier beftimmt überzeugen,
daß das, was in den eryftallinifchen Schiefern a8 Schichtung er:
fcheint, nur Schieferung ift, welche fich in gleicher Weife in Die je:
dimentären Schichten fortfeßt, wo man alfo 1) die Schieferung, 2) die
davon ganz verfchiedene wahre Schichtung oft in fehr complicirten
Berhältniffen vor fich hat.
Bon der malerifchen Schönheit des Himalaya find wir im höch—
ften Grade befriedigt; in der centralen Zone mit den Gletſchern ift
bie Gebirgsgeftaltung vollftändig, wie in den Alpen, aber alle Ber
hältniffe find weit großartiger. Das obere Pindurthal, die prachtvolle
Thalſchlucht oberhalb Munſchari, und Das Gebirge zwifchen Pinduri
und Milum laſſen fih an Großartigfeit und Schönheit nur mit den
ſchönſten Iheilen der berner und favoyifchen Alpen vergleichen; dad
der Gebrüder Schlagintweit in Indien. 267
große Milumthal felbft if, wie alle Ahnlichen Hochthäler, da es völlig
über der Grenze der Baumvegetation liegt, etwas monoton; es hat
Achnlichkeit mit dem Engadinthale in Graubündten von dem Maloja-
paffe bis zur Finſtermuͤnz; aber die Höhe der Thaffohle und der Berges
züge ift hier ungefähr doppelt fo groß, als im Engadin. Wir haben
verfucht, eine Reihe von Zeichnungen und Aquarellffizgen biefer herr-
lichen Gebirgsfcenen zu entwerfen, und werben ed wagen, von Agra
aus im Herbfte Ew. Majeftät einige diefer unvollfommenen Skizzen
vorzulegen, deren große Fehler Ew. Majeftät leider nur zu rafch ent-
decken werben.
Die legten Tage waren wir in Milum mit dem Verpacken und
Verfenden unferer geologifchen, botanifchen und zoologifchen Samm-
lungen befchäftigt, die mit Huülfe von drei Pflanzenfammlern und zwei
Schikars (Jägern) reichhaltiger geworden waren, als wir anfang ges
hofft Hatten, da wir felbft nur fo wenig Muße zu rein naturhiftori-
ihen Sammlungen haben.
An ungefähr drei Jagen werden wir und von hier über Uta
Dhura und Laptel nach Tibet wenden. Wir gehen Beide allein, nur
von 10, fämmtlich wohlbewaffneten Bhutias begleitet. Wir felbft has
ben uns ganz als Bhutiad verkleidet und tragen lange Röcke aus
weißer Schafiwolle, Beinkleid und Kappe find aus demfelben Stoffe;
unfer Gepäd, nur aus Lebensmitteln und einigen guten Inftrumenten
beftehend, wird auf 15 fihwarzen, langhaarigen Chubus (Dſchuͤbus)
transportirt. Das übrige Gepäd und unfere fümmtlichen Leute gehen
nach Badrinath, um dort unfere Ankunft zu erwarten. Wir werben
verfuchen, wenn ed irgend möglich ift, zum Manfarauer See und den
heiligen Seen von Tibet zu gehen und, von dort in Tibet weitlich
gehend, über den Mana⸗Paß nach Badrinath zu gelangen. Ein Um-
ftand, der gerade dieſes Jahr unfere Reife erfchwert und das Gelin-
gen fehr unficher macht, ift der Krieg zwifchen den Nepalefen und Ti-
betanern. Joeng Bahapur hat aus einem ziemlich unbegreiflichen
Grunde die Tibetaner angegriffen und Taclacot genommen; die Tis
betaner ſollen nach zuverläfiigen Nachrichten Verftärfung aus Laffa er-
halten Haben, und es fcheint fih da oben um ein, fo viel man bie
jegt weiß, ganz werthlofed Beſitzthum ein ganz regelmäßiger Kleiner
Krieg zu entwideln. Die Leute hier in Milum politifiren und fpioni-
268 Die wiffenfchaftliche Reife
ren auf daß lebhaftefte, da fie als Handelsleute ſehr durch dieſe Un⸗
ruhen leiden. Wir felbit haben vor drei Wochen einen Kundjchafter
ausgefandt, der und berichtete, daß der Weg zu den Seen biß jegt
ganz frei feiz wie es fich fpäter verhalten wird, muß uns ber Augen:
fchein lehren.
Wir erfreuen und Beide feit unferer Ankunft in Indien der beften
Gefunbheit; unfer Lager ift jedoch hier oben ein wahres Hofpital und
die Hälfte unferer Leute iſt beftändig unter den Händen eines ärztlis
chen Gehülfen oder „ſchwarzen Doctor”, wie er in Indien Heißt, wel:
hen und der fehr liebendwürbige Gouverneur der Nordweſt⸗Provin⸗
zen, Mr. Eolvin, in Rainy Tal mitgegeben hatte.
Bon unjerem Bruder Hermann haben wir Feine jehr neuen Nach⸗
richten erhalten; er befindet fih in Sithim im öftlihen Himalaya,
mehr als 800 engl. Meilen von uns entfernt, und unfere Mittheilun:
gen durch das unwegſame Gebirge find natürlid etwas langfam und
unzuverläffig. Hermann befand ſich vor A Wochen auf dem Phoellut-
Gipfel, an der Grenze zwifchen Nepal und Sifhim, circa 12,000 Fuß
über dem Meere, von wo er eine ausgedehnte Meberficht des öftlichen
Himalaya hatte.
Geftatten Ew. Majeftät den Ausdrud des unterthänigften, tiefs
gefühlten Danfes für Ew. Majeſtaͤt Allerhöchfte Gnade, welche es und
allein möglich machte, unfere Unterfuchungen in einem Lande fortzu-
feben, welches an Großartigfeit der Natur und an wiflenfchaftlichen
Intereſſe unfere Erwartungen bei weitem übertrifft. Wie fehr fürchten
wir, daß die Refultate unferer Arbeiten die Erwartungen Ew. Maje—
ftät nur in fehr geringem Grade befriedigen werben.
Wir erfterben in unterthänigfter Ehrerbietung
Ew. Majeftät
treugehorfamfte
Milum, in Chobär, den 28. Juni
1855. Adolph Schlagintweit.
Robert Schlagintweit.
der Gebrüder Schlagintweit in Indien. 269
Erlänterung zweier an Se, Majeftät den König gefandten
Photographien.
Die beiden Photographien der Bhutias wurden in Milum ge—
macht. Der Anzug dieſer Leute iſt ganz aus weißer Wolle gefertigt,
welche die Männer und Kinder ſpinnen. Er beſteht aus einem Bein⸗
Kleide, einem langen Rode, faft ganz nach indiſchem Schnitte, und einer
leichten, oben etwas fpig zulaufenden Muͤtze. Die Erwachfenen tragen
häufig eine flarfe, weiße Leibbinde, die Kinder felten. Diefe haben
große filberne Ringe um den Hals und zuweilen an den Händen.
Die Beichäftigung der Bhutiad iſt vorzugsweife Handel; viele
derfelben find wohlhabende Leute; fie bringen Getreide, Zuder u. f. w.
auf Schafen nach Tibet und führen Salz, Borar, Salpeter u. f. w.
in ähnlicher Weiſe herüber. Die Dörfer, in welchen die Bhutias woh-
nen, gleichen weit mehr europäifchen, als indischen Dörfern.
Der Race nach ſtehen die Bhutiad in der Mitte zwifchen den
Bewohnern Hindoftans und jenen von Tibet; von den Bewohnern
der Ebene unterfcheiven fie ſich durch größeren, Fräftigeren Körperbau,
vollere, rundere Formen und flärfere Musculatur; aber es fehlt ihnen
die mongolifche Phyſiognomie, welche bei den Zibetanern in ſolchem
Grade vorhanden ift, daß man fte fogleih von den Bhutiad unter:
fcheiden kann.
IX.
Vergleichende Weberficht der Ergebniffe des Berg
baues, Hütten- und Salinenbetriebes im preußifchen
Staate in den Jahren 1823, 33, 43, 53').
Nach gedruckten amtlichen Quellen zufammengeftellt.
I. Ergebniffe des Bergbaues.
| 13 1 1833 | 1888
|
i
1853
Tonnen Tonnen Tonnen Tonnen
1) Steinfchlen . 5,822,720 8,254,311 14,1683,4341 | 28,688,165
im I. 1825:
2) Braunfohlen ?) . 1,342,449 | 2,142,528 | 4,122,849 | 12,200,68:
im 5. 1837:
3) Gifenerze . | — 679,874 914,044 1,496,516
Eentner Centner Centner
4) Zinkerze — 995,300 1,871,906 | 3,246,660
5) Bleierze ı 498,879 421,600 324,645
6) Kupfererze _ — 647,925 | 1,254,247
7) Kobalterze | _ _ 1,6293 229
8) Nidelerze. . . .. — — — 910
9) Arſenikerze — — 9,648 9,091
10) Antimonerze . ' — 2,8434 1,785 285
11) Manganerze . — — 2476 9,500
| Tonnen
12) Bitriolerze — — 12,781 97,915
u. 15,350 Gtn Tonnen
13) Alaunerze . | — — 128,921 168,500
Gentner Gentner
14) Graphit — — 6,572 1,122
im I. 1840:
15) Asphalt . — — 652 _
16) Ylußfpath . — — — 9,581
| | ( 50,038 Reis,
17) Dachſchiefer — — — 6311 Fudet,
——— —
2) Mitgetheilt von dem Königl. Bekeine Regierungsratbe und Brofeffer Henn
Schubarth. G.
2) 1825 und 1833 ſehr unzuverläffig.
Vergleichende Ueberficht des preuß. Berg«, Hütten» und Salinenbetriebes. 271
Bemerfungen zu I.
1) Was die Steinfohlen- Gewinnung in der preußifchen Mons
archie betrifft, fo findet fie in folgenden Haupt⸗Bergdiſtricten ftatt:
a) im fchlefifchen, b) im fachfifch-thüringifchen, c) im weftphälifchen
und d) im rheinifchen. Es find gefördert worden Tonnen, zu A preuß.
Scheffeln, im
Haupt⸗ Bergdiſtricte: 1823. 1833. 1843. 1858. 1823 gegen
a) ſchleſiſchen 2,744,359 2,424,024 4,797,298 10,093,921 1:3,678
b) fächfifcy-thüring. 61,838) 77,762 80,522 _ 182,036 1:2,9437
c) weflphälifchen 1,708,203 3,807,553} 5,3972,927 10,933,241 1:6,400
d) rheinifchen 1,308,3194 1,944,972 3,892,694 7,478,967 1:5,716
Summe 5,822,720 8,254,3114 14,168,441 28,688,165 1:4,926
Das Alter des niederfchlefifchen Steinfohlen»Bergbaues läßt
fich nicht mit Zuverläffigfeit angeben. Erft feit 1776 ift es möglich
geworden, dad aus den dortigen Gruben gewonnene Quantum mit
Zuverläffigfeit auszumitteln;. e8 betrug in jenem Jahre 368,630 Scheffel
oder 92,1574 Tonnen. Weit jüngeren Urfprungs ift der Steinfohlens
Bergbau m Oberfchlefien. Die erften Berfuche wurden vor etwa
80 Jahren dafelbft gemacht. Es betrug im Jahre 1776 das daſelbſt
gewonnene Quantum Steinfohlen nur 4296 Scheffel = 1074 Tonnen.
Die Steinfohlen-Niederlage im Saalfreife (Wettin, Löbejühn)
ift von geringer Bedeutung. Die Nachrichten reichen bis zum Jahre
1701. Bon diefem Jahre an bis einfchlieglich 1815 find 23,771,093
Scheffel oder 5,942,773 Tonnen gewonnen worden, alfo durchfchnitt-
lich jährlih 206,705 Scheffel = 51,4264 Tonnen.
Sm weftphälifchen Haupt-Bergdiftricte Hat in der Graffchaft
Markt fchon feit 1739 Steinfohlenförderung flattgefunden, allein erſt
feit 1787 konnte bie Größe derfelben richtig ausgemittelt werden. Bon
1787 bis Ende 1815 betrug biefelbe 94,129,462 Scheffel, alfo im
Durchfihnitte jährlich 3,361,7664 Scheffel oder 840,AA13 Tonnen. —
Im Effen-Werdenfchen, mo der Bergbau auf Steinfohlen ungleich älter
ift, Eonnten frühere Nachweifungen, als bis zu 1803, nicht erhalten
werden. Bon 1803 bis einfchließlich 1815 betrug Die geförderte Menge
29,767,770 Scheffel, alfo jährlich im Durchfchnitte 2,480,6475 Schefr
fel oder 620,1613 Tonnen. — Im Tedlenburg »Lingenfhen kann erft
von 1747 ab eine Berechnung aufgeftellt werden, obgleich auch Hier
272 E. L. Schubarth:
ſchon früher Steinkohlen gefördert wurden. Von 1747 bis mit 1815
betrug die Fördermenge 7,648,884 Scheffel, jährlih im Durchfchnitte
110,853 % Scheffel oder 27,713 Tonnen.
Was zuleht den Steinfohlen- Bergbau in der Rheinprovinz
betrifft, fo findet er ftatt: im Saarbrüdenfchen, an ber Inde, an ber
Worm (Aachen, Efchweiler). Die Größe der Gewinnung ift erft fat
1816 angegeben, in welcher Zeit die Gruben, welche auf jenen Rie
derlagen bauen, der preußifchen Monarchie einverleibt worden find.
Frühere Nachrichten waren nicht zu erhalten. Im Jahre 1816 bes
trug das Quantum der geförderten Steinfohlen 5,069,407 Scheffel
oder 1,267,351% Tonnen.
Bei dem Steinfohlen»Bergbau waren befchäftigt 1843 22,888,
1853 42,087 Mann. Zu diefer Zahl treten noch einige Taufend Ar-
beiter Hinzu, die bei Schurfarbeiten auf Steinfohlen und bei der Ab»
teufung von Schächten befchäftigt find. Durch den Aufſchwung bes
Steinfohlen-Bergbaues ift in vielen Revieren ein Mangel an Arbeis
teen fehr fühlbar geworden und mahnt derfelbe dringend, mit der Ber:
wendung der Menfchenkräfte durch Benugung der von der Mechanik
dargebotenen Verbeſſerungen fparfam umzugehen. Der Werth der ge-
förderten Kohlen betrug 1843 am Vrfprungsorte 5,307,661 Thaler,
1853 Dagegen 10,274,472 Thaler.
Oberfchlefifche Steinfohlen fanden Abfag bis nad Magdeburg und
Wittenberge, auf der anderen Seite bis über Wien hinaus, theild auch
nad) Salizien. Einen ganz außerordentlichen Aufſchwung hat die Stein-
fohlenförderung in Weftphalen genommen; in den Bergamts-Bezirfen
Bodum und Efien ift diefer Zweig des Bergbaues gegen frühere Jahre
in hohem Flor. Großen Einfluß darauf haben die Anlage der @öln-
Mindener Eifenbahn und der Zweigbahnen, die Errichtung zahlreicher
neuer Hochöfen und Puddelwerke, fowie die Anlage von Fabriken in ber
Nähe der Bahn geäußert. Den Gruben in der Saargegend ift durch
Anlage der Pfälzer Ludwigsbahn und der Metz⸗Forbacher Bahn ein
bedeutend vermehrter Abſatz erwachfen.
2) Braunfohlen»Bergbau. In der officiellen Zufammen-
ftellung der Bergmwerks- Production von 1823 ift des Braunfohlen-
Bergbaues nicht Erwähnung gethan. Derjelbe bat fih erſt in ter
neueften Zeit außerordentlich gehoben, namentlich in der Provinz Sachs
Bergleichenne Ueberficht de preuß. Berg-, Hütten- und Salinenbetriebes. 273
fen und aud in der Marf Brandenburg, wozu die Anlage vieler Runkel⸗
rübenzuder-Sgbrifen in erftem Landestheile ganz befonders beigetra-
gen Bat.
Es find gefördert worden Tonnen zu A preuß. Scheffeln im
Haupt=Bergbiftricte: 1825. 1833. 1843. 1853. 1825 gegen
1853.
a) brandenb. = preuß. — — 158,207 1,224,956 —
b) ſchleſiſcher 10,000 ') — 19,061 416,628 1:4,166
c) ſãchſiſch⸗ thuͤring. 589,875 1,278,986 2,701,415 9,430,660 1:15,9886
d) rheinifcher 742,574 863,6423 1,244,166 1,128,443 1:1,519
Bei dem Braunfohlen- Bergbau waren befchäftigt 1843 3513,
1853 8010 Arbeiter. Geldwerth der geförderten Kohlen am Urfprungs-
orte 1843 434,186 Thle, 1853 dagegen 1,607,728 Thlr. Haupts
förderungen von Braunfohlen fanden ftatt in runder Summe: im Res
gierungsbezirke Merfeburg 5,900,000, Magdeburg 3,500,000, Cöln
1,800,000, Frankfurt 789,000, Liegnit 290,000 Tonnen.
3) Eifenerze. Meber die Förderung der Eifenerze fehlen für
die früheren Jahre die Angaben; erft in der Zufammenftelung der
Bergbauproduction von 1837 kommt eine ſolche vor. Es find gefür-
dert worden Tonnen:
Haupt :Bergpiftrict: 1837. 1843. 1853. 1837 gegen 1853.
a) brandenburg-preußifher 5,273 7,704 8,084 1:1,533
b) fchlefifcher 157,541 433,534 563,730 1:3,578
ec) fähfiich -thüringifcher 27,264 36,233 51,963 1:1,905
d) weitphälifcher 53,709 42,143 146,320 1:2,724
e) rheiniſcher 436,087 394,430 726,410?) 1:1,668
find 679,874 914,044 1,496,516 1:2,201
Die Eifenerze beftanden aus: Brauneifens und Thoneifenftein,
Miefenerz, Rotheifen-, Spatheifen-, Magneteifenftein und thonigem
Sphärofiberit.
Bei dem Eifenftein- Bergbau waren befchäftigt 1837 7738, 1843
6845, 1853 10,037 Mann. Geldwerth am Urjprungsorte 1837
481,504 Thle., 1843 540,325 Thlr, 1853 965,995 Thlr.
A) Zinkerze. Früher wurde nur Galmei, erſt fpüter auch Blende
gefördert. Blende wird namentlich im Siegenfchen, aud im Dürener
1) Diefe Zahl ift ganz unzuverläffig.
3) Hierbei 6,226 Tonnen im Fürſtenthum Sigmaringen.
Zeitfchr. f. allg. Erdkunde. Bo. V. 18
274 €. 2. Schubartb:
und Saarbrüdener Bergamts-Reviere gewonnen. Das Yörberunge-
Quantum betrug im Jahre 1853 143,793 Eentner, welche in ber
Gefammtjumme der in biefem Jahre geförderten Zinferze mit inbe-
griffen find.
Es wurden gefördert Gentner:
Haupt» Bergpiftict: 1837. 1843. 1853. 1837 gegen 1853.
a) fchlefifcher 951,994 1,065,876 2,967,821 1:3,117
b) weftphälifher 3,891 7,027 19,835 1:5,097
c) rheinifcher 39,415 199,003 259,004 1:6,571
find 995,300 1,871,906 3,246,660 1:3,362
Bei dem Zinferzs Bergbau waren befchäftigt 1837 2027, 1853
dagegen 6459 Arbeiter. Geldwerth am Urfprungsorte 1837 388,394
Thlr., 1853 1,704,983 Thlr. Die ftärkfte Förderung an Galmei in
Oberfchlefien hatten die Gruben: Therefia 579,600 Eentner, Maria
508,223 Etn., Scharley 449,660 Etn.
5) Bleierze. Bleierz- Bergbau findet ftatt: in Oberfchlefien bei
Tarnowig (nebenbei in den Galmeigruben bortiger Gegend), im Eic-
genfchen, in der Eifel, am Buße des Harzes in der Herrfchaft Etol;
berg, bei Bochum im Steinfohlengebirge, bei Homberg im Bergamts-
bezirfe Eſſen, im Bezirke des Fürftl. Wied’fchen Bergamts, im Berg:
amtsbezirfe Saarbrüden. Die beveutendfte Förderung fand in lebter
Zeit ftatt im Dürener Bezirke, häuptfächlich auf dem Bleiberge bei
Kommern, fodann im Siegener Bezirke.
Die Dleierzförderung betrug Tonnen im
Haupt» Bergbiftricte: 1837. 1843. 1853. 1837 gegen 1853
a) fchlefifchen 24,826 22,151 15,242 1:0,654
b) rheinifchen 474,053 399,177 309,057 1:0,630
c) fächftichen — 272 190 —
d) weſtphaͤliſchen — — 156 —
find 498,870 421,600 324,645 1:0,650
Es hat die Bleterzförderung hinfichtlih der Gewichtsmenge beveu:
tend ab-, Dagegen, was den Reichthum der geförderten Erze an Blei
(und Silber) betrifft, außerorbentlich zugenommen. (Vergl. weiter
unten die Angabe über Blei» und Silbergewinnung).
Bei dem BleisBergbau waren befchäftigt 1837 1888, 1843 2110,
1853 aber 5462 Arbeiter. Der Geldwerth betrug am Urfprungsorte
1837 404,623, 1843 307,005 1853 903,779 Thaler.
Vergleichende Ueberficht des preuß. Berge, Hütten» und Salinenbetriebee. 275
6) Rupfererze. Die Hauptförderung derſelben findet ftatt in
der Graffchaft Mannsfeld und dem angrenzenden Thüringen (Sangers
haufen). Das geförderte Erz ift Kupferfchiefer, welcher außer Kupfer
auch Silber (Nidel, Blei ıc.) enthält. Der Bergbau im Manngfelbis
fhen bejchäftigte im Jahre 1853 3007 Arbeiter. Rächft der vorge
nannten Förderung wird auch im Siegenfchen ein nicht unbeträchtlichee
Quantum an Kupfererzen, beftehend in Kupferfied und filberhaltendem
Sahlerze, gewonnen. Bei Stadtberge in Weftphalen wird Kiefelfchiefer,
welcher Heine Mengen fohlenfaures Kupferoryohydrat führt und nur
Durch die naſſe Ausziehung mittelft Schwefelfäure, nicht durch Schmel⸗
zung, zu gute gemacht werden fann, gewonnen. Kupfererze werben
ferner gewonnen in Niederfchlefien bei Kupferberg, wo man in den letz⸗
ten Jahren angefangen hat, den faft zum Erliegen gelommenen Berg-
bau wieder neu aufzunehmen; im Kammsdorfer Reviere (einer Enclave
in den thüringifchen Fürftenthümern); bei Plettenberg und Meinerzha-
gen (Kupferkies); im Fürſtenthum Wied; im Bergamtöbezirfe Düren
(Sanpdftein mit fein eingefprengtem Malachit und Kupferlafur); im
Bezirke von Saarbrüden (Kupferfies), namentlidh bei St. Goar.
Gefördert wurden Gentner im
Haupt: Bergdiftricte: 1837. 1843. 1853. 1837 gegen 1853.
a) fchlefiichen 2,381 2,418 2,852 1:1,197
b) fähffchethüring. 531,466 u. 50 Tonnen 570,265') 967,860 1:1,821
c) wetpbälifchen — — 517 —
d) rheiniſchen 46,617 ?) 75,242°) 283,018*) 1:6,071
find 578,083 m. 50 Tonnen 647,925 1,254,297°° 1:2,169
Bei dem Kupfer-Bergbau waren bejchäftigt 1837 2537, 1843
2805, 1853 A450 Arbeiter. Der Geldwerth betrug am Urjprungsorte
1837 43,900, 1843 271,689, 1853 615,420 Thaler.
7) Kobalterze finden fich vornehmlich im Siegenfchen, auch,
wiewohl nur wenige, im Kammsodorfer Reviere; früher wurden auch
in Schlefien bei Friedeberg am Fuße des Iſerkamms dergleichen geför:
dert, welche Förderung aber in neuerer Zeit eingeftellt worden iſt.
1) Ginfchlieglih 109 Centner Fahlerze.
3) Ginfchlieglih 3230 Centner Bahlerze.
3) Sinfchlieplih 5763 Centner Bahlerze.
2) Binfchließlich 5643 Bentner Bahlerze.
18*
276 E. 2. Schubartß:
Es wurden gewonnen Geniner im
Haupt⸗ Bergbiftricte: 1837. 1843. 1853. 1837 gegen 1853.
a) fchlefiichen 45 | — —
b) ſaͤchſiſch⸗thüringiſchen 411 4 _ —
e) rheiniſchen 871 1628 229 1:0,262
find 1327 16204 229 1:0,172
8) Nidelerze findet man im Sangerhaufer Kupferfchiefer- Re
viere, welche dafelbft auf den Sprungflüften einbrechen; auch im Sie
genfchen find in neuerer Zeit, wenn auch nur fehr ſparſam vorkom⸗
mend, ſolche Erze gewonnen worden. Die Gewinnung betrug (auf:
bereitetes Erz):
1853 im fächflfch »thüringifchen Haupt =» Bergpiftricte oo Gentner,
s» rheiniſchen ⸗ ⸗
A
9) Arfeniferze brechen in Schlefien zu Reichenftein (goldfüh—
rend, vergl. unter II, 26), zu Altenberg und Rothenzechau; es if
Arfenifalfies und Mißpidel. Es wurden gefördert Eentner:
im fihlefifchen Hanpt-Bergdiſtricte 1837. 1843. 1853. 1837 gegen 1853.
10,190 9648 9091 1:0,892
10) Antimonerze (Schwefelantimon) werden gefördert: bei
Wolfsberg in der Grafſchaft Stolberg-Roßla am Fuße des Harzes,
in WVeftphalen bei Arensberg; früher auch bei Nuttlar und bei Brüd
auf dem linken Ufer der Ahr. Die Körberungen Haben ſich innmer mehr
vermindert; fie betrugen Eentner:
Haupt Bergbiftrit: 1833. 1843. 1853. 1833 gegen 1853.
a) fächfifh=thüringifcher 21134 1593 33 1:0,015
b) rheinifcher 7293 192 252 1: 0,345
find 28434 1785 285 1:0,100.
11) Manganerze (Braunftein) brechen auf der Eifel, das
Meifte liefert die Grube bei Arloff; ferner im Saarbrüdenfchen bei
Wadern (2 Gruben) von bejonverer Güte; im Siegenfchen wurde
früher aud) Braunftein gewonnen. Die Fördermenge betrug im Gan⸗
zen 1837 5632, 1843 2476, 1853 9500 Eentner; 1837 gegen
1853 1:1,686.
12) Bitriolerze, Schwefelfies, Bitriolfies, Torf mit Bitriol-
fies durchdrungen; letztes Vorkommen namentlich zu Schmelzdorf bei
Neiffe und zu Kamnig bei Münfterberg in Schlefien, wo man ven
Bergleichenbe Lieberficht des preuß. Berg», Hütten- und Salinenbetriebes. 277
Bitriol enthaltenden Torf nad Rattgefundener Oxydation auslaugt und
legtern dann ald Brennmaterial benust. Geförbert wurden Gentner im
Haupt = Bergpiftricte: 1837. 1843. 1853.
a) fehlefifchen 4,345 u. 34,222 Tonn. 68,596 n. 9,500 Tonn. 56,980
b) fächfifch-thüringfchen 1,176 u. 5,426 = 7,385 u. 3,281 = 13,058
c) weftphälifchen — — 2,950
d) rheinischen — 1,369 24,927
find 5,521 n. 39,648 Tonn. 15,350 u. 12,781 Tonn. 97,915
13) Alaunerze, beitehend in Alaunerde zu Freienwalde, Gleis
pen, Schermeifel, Musfau, Schwenfal; in Alaun liefernden Braun-
kohlen zu Bornftent bei Eisleben, am Buße des Siebengebirges an der
Haardt bei Bonn, im Fürftenthume Wied; in Mlaunthon zu Friesdorf
bei Bonn; in Alaunfchiefer bei Limburg a. d. Lenne und bei Eppen-
haufen bei Hagen. Die Förderung ergab im
Hanpt: Bergbiftride: 1837. 1843. 1853. 1837 gegen
Tonnen Tonnen Tonnen 1853.
a) preußifch=brandenburg. 8,016 34,794 54,169 1:6,757
b) ſchlefiſchen — — 25,000 —
c) ſachfiſch⸗thüringiſchen 26,43 55,967 51,854 1:1,899
d) weftppäfifchen 8,440 9,098 18,395 1:2,178
e) rheiniſchen 25,205 29,062 19,092 !) —
find 68,591 128,921 168,500 1:2,467
14) Graphit ift erft in neuerer Zeit und zwar aus 2 Gruben,
bei Sadrau unweit Münfterberg und zu Altbiebersborf bei Reinerz in
Schlefien, gefördert worden. Letzte ift erfi im Jahre 1853 in Betrieb
gefeßt worden. Zuerft im Jahre 1843 wird unter den geförderten
Mineralien auch Graphit aufgeführt. Es wurden gewonnen 1843
6572, 1853 1122 Eentner.
15) Asphalt gehört auch zu den erft im neuerer Zeit aufges
fundenen und verfuchsweife geförderten Mincralftoffen; er wird zuerſt
im Sahre 1839 mit 250 Centnern aufgeführt, im Regierungsbezirke
Münfter bei Evesfeld vorfommend. 1840 betrug die Foͤrderſumme 652,
1842 103 Gentner; feit diefer Zeit wird er nicht mehr aufgeführt.
16) Flußſpath wird zu Rottleberode in der Grafſchaft Stol-
bergsRoßla für den Betrieb der Kupferrohhütten des Mannsfeldes ges
1) Diefe Zahl it deshalb fo Hein, weil die Alaun liefernden Braunfohlen zum
größeren Theile mit unter der Summe ver geförberten Braunkohlen enthalten find.
278 E. 8. Schubartb:
brochen. Die Gewinnung betrug bafelbft 1843 87,400, 1853 9,587
Gentner.
I. Ergebnifle des Süttenbetriebes.
1823 1833 1843 1853
Gentner | Gentuer | Gentner | Gentae
1) Robeifen . . 1,524,463/3,483,224
2) Rehfaflefen x 791,970 |4,179859) "125/901| 141,438
3) Gußwaaren vom Hohofen ab ’). . — — 314,119 475,270
4) Desgl. durch Umſchmelzen von Roheifen _ — 390 2871,033, 687
5) Schmiedeeiſen, — gepuddelt (ein:
ſchließl. ee ahnfchienen) . 1 593,474| 808,05311,711,791}4,062,547
6) Schwarzbleh . . — 42,2801 151, 400 423,912
7) Weißblech, verzinnt, verbleit ( vie Ans
gaben für 1823 und 1833 find ganz
unvollftändig) . . — — 39,164| 56,386
8) Giſendraht (besgl.) . — — 141,664! 294,572
9) Rohſtahl, auch Pndbelftahl, Gementfahl 44,198] 59,465) 107,730) 146,048
10) Gußſtahl (die Angaben für 1823 nnd
1833 find ganz unvollländig) . . — — 1 900 55,651
11) Raffinirter Stahl Reicht), (esgl.) _ — _ 45,768
12) ginf in Barren, Platten . . 150,625 | 135,462] 360,472] 693,446
13 :» mBechn -. 22.22. —- _ 17,603| 135,232
14) Zinfweiß . ren — — — 14,052
15) Blei (Kaufblei) . .| 23,311| 10,960) 20,591| 128,538
16) = gewaht . — — 1,870 2,878
17) Bleiglätte (Ranfglätte) 12,947 8,482 19,373, 15,254
18) Kupfer (Baarfupfer) 14,032| 15,073] 20,272) 33,202
10) Der wanren, ‚grobe — — 16,080: 28,025
Meffing 13,560 17,028] 32,660| 38,917
Ride... . — — 90 179
22) Arſenikalien 1,553 3,014 3,757 2,859
23) Antimon (Reguus u u. Ant. radum) — — 1,304 108
24) Smalte . .1 2 2,431 | ? 2,820 7,227 3,232
Marf Mart Mark Mart
25) Silber . ee 16, 943| 20,3754| 30,152| 45,134
BU | _ _ 19
| Gentner | Eentuer | Eentner | Gentner
27) Aloun . ı 43,037 38,528) 52,059 70,551
im 3.1824
28) Kupfervitriol . 1,728 1,424 3,143 4,399
29) Eifenvitricl . . 21,900 | 24,005| 28,283} 44,475
30) B®emifchter Vitrioi 3,784 3,804 5,542 2,469
im 3.1823
31) Schwefel 883 752 593 761
Bemerkungen zu II.
1) und 2) Wie aus den vorftehend mitgetheilten Productions
zahlen ſich hergiebt, hat die Erzeugung von Roheiſen und Rohftadl:
ı) Ef feit 1837 find 3) und 4) getrennt angegeben.
Vergleichende Meberficht des preuß. Berg, Hütten- und Salinenbetriebes. 279
eifen zufanmengenommen von 1823 fich im Jahre 1853 mehr als
vervierfadt, fie ıft in der That 4,576 größer, als vor 30
Sahren. Die Ziffern für die einzelnen HauptsBergpiftricte ergeben
ih) aus Nachſtehendem:
Haupt = Bergbifltict: 1823. 1833. 1843. 1853. 1828 gegen
Centner Centner Centner Gentner 1853
a) brandenburg⸗preußiſcher 15,887 7,160 — — —
b) ſchlefiſcher 341,877 518,194 733,801 1,315,590 1:3,848
c) faͤchſiſch⸗thüringiſcher 22,942 22,171 33,848 58,271 1:2,539
d) weftphälifcher 1,756 2,555 25,815 485,165 1:276,3
e) theinifcher 409,508 629,779 856,900 1,713,196') 1:4,183
find 791,970 1,179,859 1,660,364 3,624,662 1:4,576
Was die Erzeugung des Rohſtahleiſens anlangt, fo findet
biefe faft nur im rheinifchen Haupt-Bergbiftricte, und zwar im Sie
genſchen ftatt, früher auch, aber nur zu einem fehr geringen Antheile,
im fchlefifhen. Die Zunahme der Roheifenergeugung in dem Bezirke
des weftphälifhen Haupt Bergdiftricted ift ganz außerorbentlich, eine
Folge der in neuefter Zeit aufgefundenen reichen Gijenerz- (black-
band) und Kohlenlager daſelbſt. Es find die Hohöfen an ber Eifen-
bahn, wie Bilze aus der Erde, herporgefchoffen. Aber nicht allein in
Weftphalen, fondern auch in der Rheinprovinz und in Oberfchlefien ift
ein fehr reges Fortfchreiten darin bemerkbar geworden, fo daß ein
brüdender Mangel an Menfchenhänvden für den Gruben» und Hütten:
betrieb ein bisher nicht zu bewältigen gewefenes Hemmniß für das ener-
gifchere Borwärtsfchreiten abgiebt. Es konnen nicht Kohlen genug ge⸗
fördert werden, um den durch die Hohöfen und Puddelwerke, durch
die Eifenbahnen und gewerblichen Anlagen hervorgerufenen großartigen
Bedarf zu deden.
Die beftehenden Eifenhütten, welche Roheiſen erzeugen, find theils
Staats⸗, theild Privatwerfe. Zu den erften gehören:
Die Eifengießerei bei Gleiwitz mit 2 Kofshohöfen; Königshütte
mit urfprünglich A, durch Die befchloffene und in Ausführung gebrachte
Erweiterung ded Werks Fünftig mit 8 Koföhohöfen; Malapane mit
1 Hohofen auf Holzfohlenbetrieb; desgleichen auf der Kreuzburger
Hütte, fammtli in Oberfchlefien. Wondollek (Regierungsbezirt Gum-
1) Einfhließlih 30,917 Centner im Fürſtenthum Hohenzollern : Sigmaringen.
280 E. 2%, Schubarth:
binnen) 1 Hofzfohlenhohofen; Torgelow (Regbez. Stettin) 1 desgl;
Peitz (Regbzk. Frankfurt) 1 desgl.; Vietz (Regbzk. Frankfurt) 1 desgl;
Sayn (Regbzf. Coblenz) 1 Kokshohofen. Summa 13 Hohöfen.
Zu den Privawerken gehören: in Oberſchleſien 61 Holzkohlen⸗
und 18 Kokshohoöfen, mit einer Production im J. 1853 von 1,267,270
Ein., darunter 39,287. Etn. Gußwaaren. In Niederfchlefien: a) Re
gierungsbezirt Breslau 2 Holzfohlenöfen, b) Regierungsbezirk Liegnig
20 Hohöfen, die fämmtlih Hofzfohlen verwenden. In der Provinz
Brandenburg außer den oben angeführten Staatswerfen 3 Holzlohlen-
öfen, welche aber 1853 Falt lagen. In der Provinz Sachfen 14 Hob-
und Blaudfen, letzte im Kreife Suhl, meift auf Holzfohlenbetrieb ein-
richtet. In Weftphalen 12 Hohöfen, 6 mit Holzfohlen, 3 mit Koks,
3 mit einem Gemenge von beiden betrieben. Bon dem Roheifen, wel⸗
ches dieſe Hochöfen lieferten, fallen 64,7 pCt. auf Kofs, 17,2 pCt.
auf das Gemenge von Koks und Holzfohle, 18,1 pCt. auf Holzkohle.
Außer den 12 in Betrieb geweſenen Hohöfen lagen 1853 noch 3 an-
dere Falt. Erbaut wurden A neue Defen von dem Hörber Bergwerks⸗
und Hüttenvereine, und 2 andere find noch beabfichtigt. Ein zweites
Hüttenwerf mit A Defen ift im Herbft 1853 bei Hattingen zu bauen
begonnen worden; ferner von der Phoͤnix⸗Geſellſchaft mehrere Hohöfen
an der Steele-Vohminkler Eifenbahn; bei Duisburg A Hohöfen, meh-
vere bei Ruhrort. Hiernach geht die weitphäliiche Eifenerzeugung einem
ganz außerorventlichen Aufichwunge entgegen, welcher in den vortreff:
lichen, reichhaltigen Steinfohlenflözen, in den theild fchon früher befann-
ten, theild neu aufgefchloffenen Eifenerzlagerflätten, in der Nähe Dreier
fchiffbaren Flüffe, des Rheins, der Ruhr und der Lippe, in zahleeichen
Kunftftraßen und dem in fortwährender Erweiterung begriffenen Nebe
in einander greifender Eifenbahnen eine fichere Grundlage hat.
In dem rheinifchen HauptsBergpiftricte befinden fich a) im Sie
genfchen 46 Hohöfen, welche 76,2 pCt. des erblafenen Roheiſens bei
Holzkohlen, 20,5 pCt. bei Koks, 3,3 pEt. bei einem Gemenge beider
lieferten. b) Im Dürener Bezirke 23 Hohöfen, von denen 22 mit
Holzkohlen betrieben wurden. c) Im Saarbrüder Bezirke 16 Ho
öfen, welche bei Kofs 63,3 pCt., bei Holzkohlen 13,7 pCt, bei einem
Gemenge beider 24 pEt. der Gefammtmenge des erblafenen Roheiſens
lieferten.
Vergleichende Ueberſicht des preuß. Berg-, Hütten» und Salinenbetriebes. 281
In dem Hohenzollermfchen Lande haben 2 Holzlohlenöfen in Be
trieb geftanden. |
Was die Erzeugung von Rohftahleifen betrifft, fo fand dies
felbe ausfchließlich auf 9 Hohöfen ftatt, wovon 7 im Siegenfchen, 1
auf Saynerhütte, 1 in Oberfchlefien belegen find.
Bei der gefammten Roheifenerzeugung waren befchäftigt: 1837
3000, 1843 2722, 1853 6960 Arbeiter. Der Geldwerth der Bros
duction am Urfprungsorte betrug: 1837 2,662,951, 1843 2,772,286,
1853 aber 6,592,190 Thaler.
3) Was die Erzeugung von Gußwaaren direct aus den
Erzen (vom Hohofen) anlangt, fo haben wir flatt der Angabe von
1823 die von 1824 deshalb gewählt, weil vie Production von dem
ſaͤchſiſch⸗ thüringifchen Haupt sBergpiftricte nicht angegeben und die vom
rheinifchen mit unter „Roheifen” begriffen war. Auch in Diefem Zweige
hüttenmännifcher Thätigfeit ift ein beveutender Kortfchritt zu erfennen.
Was die einzelnen Haupt» Bergpiftricte betrifft, fo ſtellte fich die
Production folgendermaßen:
Haupt sBergbiftrict: 1837. 1843. 1853. _ 1837 gegen 1853.
Gentner Centner Gentner
a) brandenburg-prenßifcher 16,566 23,056 16,740 1:1,010
b) fchlefifcher 67,381 32,490 132,905 1:1,974
c) ſaͤchfiſch⸗thüringiſcher 2,892 38,245 47,601 1:16,46
d) mweftphältfcher 98,040 82,792 118,064 1:1,204
e) theinifcher 152,590 136,536 159,960’) 1:1,047
find 337,469 814,119 475,270 1:1,408
A) Erft feit 1837 Hat eine Trennung der Gußwaaren direct
vom Hohofen und der Durch Umfchmelzen von Roheifen gewonne:
nen burchgreifend fattgefunden, weshalb wir hier dieſes Jahr berüd-
fichtigen.
Haupt⸗Bergdiſtrict: 1837. 1843. 1853. 1837 gegen 1853.
Gentnee Centner Centner
a) brandenburg⸗preußiſcher 42,195 121,690 393.978 1:9,337
b) ſchlefiſcher 32,257 148,424 157,390 1:4,8729
c) ſachfiſch⸗thuͤringiſcher 31,464 4,850 54,948 1:1,746
d) wefphälifcer 15491 42,417 180,090 1:10,334
e) rheiniſcher 12,623 72,906 267,283 1:21,182
find 134,030 390,287 1,033,687 1:7,712
») Ginfchließlich 4824 Gentuer im Fürſtenthum Hohenzollern Sigmaringen.
282 €. 8. Schubartb:
Außer den Eifengießereien auf Staatöwerken, welche unmittelbar
mit dem Betriebe von Hohöfen verbunden find und welche in dem
Vorftehenden erwähnt wurden, verdient die Königl. Eifengießerei zu
Berlin genannt zu werden, welche 2 Eupol= und A Flammoöfen befikt,
ferner die Eifengießereien von Borfig, Wöhlert, Egells, Schwarzfopf,
Freund u. a. m. daſelbſt. Es wurden in den Privatwerken Berlins,
deren 1853 13 in Thätigfeit waren, 12 Flamm⸗, 22 Cupol⸗ und 21
Ziegelöfen betrieben, welche zufammen 207,685 Centner Gußwaaren
lieferten und 3009 Arbeiter befchäftigten. Rechnet man zu dem vor
ſtehenden Quantum die Summe der von der Königl. Eifengießerei er:
zeugten Eifengußwaaren hinzu, fo erhält man eine Gewichtsgroͤße von
231,685 Gentnern, d. i. reichlich 4 der im ganzen Staate dur Um
ſchmelzen von Roheifen erzielten Gußwaaren Production.
5) Schmiedeeifen. Daffelde wurde, wie nachftehende Ueber:
ficht ergiedt, in folgender Progreſſion erzeugt.
Haupt» Bergbiftrict: 1823. 1833. 1843. 1853. 1823 gegen
Gentner Centner Centner Centuer 1853.
a) brandenburg: preußifcher 29,489 50,904 107,862 296,253 1:9,130
b) fchlefifcher 207,011 335,730 547,139 1,005,993 1:4,859
c) fächfifch-türingifher 32,291 39,697 36,524 35,217 1:1,090
d) weftphälifcher 2,805 11,578 280,815 898,226 1:320,2
e) rheiniſcher 321,878 370,144 739,451 1,853,858 1:5,759
find 593,474 808,053 1,711,791 4,062,547 1:6,865
Die Zahl der bei den Frifchfeuern und Puddelwerken beſchaͤftig⸗
ten Arbeiter betrug: 1837 4529, 1843 5710, 1853 17,038. Te
Geldwerth der Erzeugnifie am Urfprungsorte 1837 5,656,608, 18%
7,829,955, 1853 17,751,839 Thaler.
Auf den Staatswerfen waren 1853 40 Frifchfeuer, 7 Puddel⸗
öfen, 9 Schweißöfen, 5 Walzwerfe, 2 Dampfhämmer ıc. in Thätigfeit
In den Privatwerken fanden im Gebrauch: im brandenburgspreufi
hen Haupt» Bergpiftriete 136 Friſch-, Red» und Zainfeuer, 13 Put
del⸗, 17 Schweißöfen, 7 Dampfhämmer. Darunter das Puddelweri
von Borfig zu Moabit bei Berlin mit 13 Puddel⸗, 13 Schweißöfen,
7 Dampfhämmern, 12 Baar Walzen ıc., 10 Dampfmafchinen. In
Schlefien 272 Frifchfeuer, 70 Puddel-, 34 Schweißöfen, 21 Wal;
werfe; im füchfifchsthütringifchen Diſtricte 42 Friſch- und Loöͤſchfeuer,
Vergleichende Weberficht bed preuß. Berg⸗, Hütten- und Salınenbetriebes. 283
A Puddel⸗, 3 Schweißöfen; im weftphälifchen Diftricte 184 Frifchfeuer,
139 Puddel⸗, 96 Schweißöfen, 30 Wärme- und Glühöfen, 11 Dampfs
haͤmmer, 8 Luppenquetfchen, 25 Walzwerfe. In dem genannten Die
ſtricte befinden fich folgende große Werke: die Hermanndhütte zu Hörbe
mit 14 Dampfmafchinen, 1607 Arbeitern, 50 Puddeloͤfen; die Hütte
zu Oberhaufen mit 23 Puddelöfen, 12 Dampfmafchinen. Im rheini«
chen Diftriete: a) im Siegenfchen 68 Pudpelöfen, 80 Frifch- und
Redfeuer; b) im Dürener Bezirfe 43 Frifchfeuer, 110 Puddel⸗- und
42 Schweißöfen; in demfelben find die größten Werfe: das zu Efch-
weiler Aue mit 33 Puddeloöfen, ferner bei Ejchweiler mit 16, Eber:
bardshammer mit 12, Pümpchen mit 11, die Quint mit 16 PBubdel-
ofen; c) im Saarbrüdner Bezirfe 31 Friſch- und Nedfeuer, 15 Pud-
belöfen; d) in dem Hohenzollernfchen Lande A Frifchfeuer.
Summirt man diefe Zahlen, fo ftellen fich die im Jahre 1853
in Betrieb geweſenen Feuer und Defen alfo: Frifch, Reds und Yein-
eifenfeuer 832, Puddeloͤfen A26, Schweiß» und Glühofen 231, Walz:
werfe 55.
6) Die Fabrikation des Schwarzblechs war in den Jahren
1833, 1843, 1853 die nachftehend verzeichnete:
Haupt: Bergbiftrict: 1833. 1843. 1853. 1833 gegen 1853.
Gentuer Gentner Gentner
a) brandenburg spreußifcher 7,388 11,480 64,722 1:8,759
b) ſchlefiſcher ‚a8 19,052 34,525 1:4,898
c) fächfifch-thüringifhr 6,974 8,655 5,506 1:0,789
d) weſtphaͤliſcher — 33,515 143,011 —
e) rheiniſcher 20,869 78,694 176,148 1:8,440
find 42,280 151,406 423,912 1:10,026
Unter diejenigen Werke, welche beveutende Mengen Schwarzblech
liefern, gehören: das Werk von Borfig in Moabit bei Berlin, es er-
zeugte 1853 40,800 Centner; das Werk zu Hörde in Weftphalen,
welches 45,796, das in Oberhaufen, welches 51,569, und das Werk
zu Dillingen (Regbzk. Trier), welches 51,807 Eentner Schwarzblech er-
zeugte.
Die Zahl der in den Schwarzblechhütten im Jahre 1853 be:
fchäftigten Arbeiter betrug 790 und der Geldwerth am Urfprungsorte
2,662,052 Thaler.
284 E. L. Schubarth:
7) Weißblech, d. h. verzinntes, auch verbleites Eiſenblech, iſt
nur in 2 oder 3 Diſtricten dargeſtellt worden. Aeltere Nachweiſungen
fehlen; erſt ſeit 1842 iſt die Erzeugung von Weißblech beſonders auf:
gezeichnet worden. Wir Eönnen daher nur 1843 und 1853 mit ein⸗
ander vergleichen.
HanptsBergbiftrict: 1843. 1869. 1843 gegen 1853.
Centner Centner
a) weſtphaͤliſcher 15,135 10,325 1:0,68
b) rheinifcher 24,029 46,061 1:1,91
find 39,164 56,386 1:1,439
Geldwerth am Urfprungsorte 1853 663,297 Thaler. Die Haupt:
werfe für die Darftellung von Weißblech find: das Dillinger, welches
25,161, und das zu NeusDege bei Limburg, welches 10,325 Eeniner
darftellte.
8) Die Erzeugung von Eifendraht Hat in der lebten Zeit
außerordentlich zugenommen, was feinen Grund in der Berwendung
bed Drahtes zu den Telegraphenleitungen Bat; die Ausvehnung biefer
nüglichen Anftalten ift e8 aber nicht allein, fondern vornehmlich die
Vermehrung der Drabtleitungen auf einzelnen Streden, welche den
Verbrauch, alfo die Erzeugung, des Drahtes fo bedeutend gefteigert
bat. E8 wurden erzeugt im
Haupt sBergbiftricte: 1837. 1843. 1853. 1837 gegen 1853.
Gentner Ceutner Gentuer
a) fchlefifchen 54 350 6,200 1:114,8
b) fächfifch= thäring. _ 1,272 500 —
c) weſtphaͤliſchen 62,780 114,950 196,500 1:3,13
d) rheiniſchen 2,727 25,092 91,372 1:33,5
find 65,561 141,664 294,572 1:4,493
In den Drahthütten waren 1853 befchäftigt 1412 Arbeiter. Gelr-
werth des erzeugten Drahtes 1,837,194 Thaler.
Die weftphälifchen Drakthütten liegen in der Graffhaft Marf,
zu Hamm, Menden, Bochum, Altena, Nahmer. Der märkifchen Draht:
hütten find 42 mit 569 Drahtzügen; im Siegenfchen find 36 Werte
mit 135 Zügen. |
9) An Rohſtahl, ordinären Cementſtahl, Puddelſtahl — eine
Stahlforte, welche erft feit wenigen Jahren gefertigt wird — wurden
erzeugt im
Vergleichende Ueberſicht des preuß. Berge, Hütten und Salinenbeiriebes, 285
Haupt = Berghiftricte: 1823. 1833. 1843. 1853. 1823 gegen
Gentner Centner Centner Centner 1853.
a) brandenburg⸗preußiſchen — — 882 2280 —
b) ſchleſiſchen 665 1,251 130 6,452 1:9,70
c) fächfifch= thüringiſchen 4,038 2,802 6,812 4,817 1:1,19
d) weftphälifchen — — 37862 77,647 —
e) rheiniſchen 38,425 53,214 62,044 54,852 1:1,42
find‘ 43,128 57,267 . 107,730 146,048 1:3,386
Die Stahlerzeugung in Weftphalen findet auf 41 Rohftahlhäms
mern und 5 Gementftahlwerfen flatt, die meift in der Umgegend von
Hagen liegen; fie beſitzen 52 Feuer und 10 Cementiröfen; eine Firma
P. Harkort u. Co. proburirte allein 4091 Eentner Roh» und 8182
Gementftahl. Im Siegenfhhen waren 39 Feuer im Gange. Puddel⸗
ſtahl wurde in Oberfchlefin 5022, auf der Hasper Hütte in Weft-
phalen in A Defen 20,981, zu Limburg a. d. Lenne 5000, zu Alten:
hagen 1250, zu Rohe bei Müfen 2446, auf dem Ründerother Werke
(Rheinprovinz) 4871, auf 2 anderen Werfen 3960 Gentner erzeugt.
Die ganze Summe ded erzeugten Puddelſtahls betrug 1853 57,055
Eentner mit einem Werthe von 271,617 Ihalern. Die Gewichtsmenge
des bei Holzkohlen erzeugten Stahls verhält fich zu der bei Steinfoh-
lenbrand gefertigten wie 54,8 zu 45,2. — Im Sahre 1853 waren
in den Rohftahlhütten 383 Arbeiter befchäftigt, und der Gefammtwerth
betrug 800,814 Thaler.
10) Was den Gußſtahl betrifft, fo find frühere Nachrichten
theild ganz mangelnd, theild völlig ungenau. Auch die Angaben für
das Jahr 1853 find ohne Zweifel bedeutend unter der Wirklichkeit.
Sm Negierungsbezirf Potsdam find 2 Werke, das Karlswerk bei Neu-
ſtadt⸗ Eberswalde und das zu Liepe, Kreid Angermünde. Der Hauptfig
der Gußftahlfabrifation ift in Weftphalen in der Fabrik von Br. Krupp
bei Eſſen, welche mehr, ald die Hälfte des im Jahre 1853 im preußi-
fchen. Staate erzeugten Gußſtahls lieferte. In diefer Anftalt wurden
31,364 Eentner Stahl erzeugt und in Stangen, zu Eifenbahnmwagen-
und Locomotivachfen, zu Wellen für Dampfmafchinen, zu Wagenfedern
und Mafchinentheilen aller Art verarbeitet. Die Fabrik befchäftigte
327 Arbeiter; fie wurde 1810 begründet und mit 2 Arbeitern betrie-
ben, hat fich aber fo emporgehoben, daß fie einen, man kann fagen,
europäifchen Ruf erlangt dat, namentlich durch die Production großer
286 €. 2. Schubartb:
Gußftüde bis zu 10,000 Pfr. Gewicht! Eine neuere Fabrik ift die
von Meyer und Kühne bei Bochum, weldhe an 300 Arbeiter bat.
Außerdem giebt ed noch Werke zu Dortmund, Witten, Hagen und
Goffontaine bei Saarbrüden. — Gefammtwerth des erzeugten Guß-
ftahl8 600,332 Thaler; WArbeiterperfonal 861.
11) Raffinirter (NRed-) Stahl wurde früher in den Liften
nicht genau nad) dem Gewicht: ausgeſchieden, weshalb wir nur allein
vom Jahre 1853 reden können. Die Erzeugung betrug in Oberſchle⸗
fin A020, in Weftphalen 32,061, in der Rheinprovinz 9687, zufam-
men 45,768 Gentner, mit einem Geldwerthe von 417,883 Thalern;
Arbeiterzahl 318.
Zum Schluß der Mittheilungen über Eifen wollen wir noch über
den Berbraucd an Roheifen im J. 1853 einen Ueberfchlag machen.
An Gußwaaren wurben aus den Erzen riengt -. -. ». . 0. 475,270 Gtn.
Sur Darſtellung von 1,033,687 Ein. Gußwaaren ans Robeifen wur:
den, wenn zu 90 Gin. verfelben 100 Ctn. Roheiſen nöthig find,
Vu en 1,148,541
Zur Erzeugung von 100 Etn. Stabeifen gehören vurchſchnittlich 135
Ctn. Roheiſen, alfo zu 4,026,547 Ein . . . 2: 2 20. 5,484,438
Don dem zur Blechfabrifation verwendeten Materiale ift ein Theil
fhon in obigem Stabeifen enthalten; der Roheiſenbetrag für
den übrigen Theil kann gefhäßt werden nf . -. . ».. 640,000
Für die Bereitung von 201,698 Etn. Stahl it, da auf 70 Gin.
100 Etn. Verbrauch gerechnet werden können, anzufeßen . . 288,141 :
find 8,036,390 Gta.
Erzeugt wurden 1853 an Roheiſen..34483,224 Gtn.
⸗ ⸗ ⸗EGußwaaren47858,270 =
⸗ ⸗ ⸗Rohſtahleiſen 141,438 ⸗
. 4,099,932
Mithin wurde mehr verbraucht als erzeugt eine Summe von 3,936,458 Gin.
Bon diefem Mehrbedarf wurde bei weitem das Meifte aus Eng-
land und Belgien, alfo aus dem Auslande, eingeführt, nur ein Feiner
Theil wurde älteren Vorräthen entnommen und durch Umjchmelzen von
altem Gußeifen gededt. Ohne Zweifel wird, bei dem mächtigen Auf-
ſchwunge, den die NRoheifenerzgeugung in neuefter Zeit entfaltet hat, der
fehlende Bedarf bald gededt werben.
12 bis 14) Zinfhüttenbetrieb. Im Jahre 1853 waren
47 Zinfhütten im Gange mit einer Production von 693,446 Eentn.
Rohzink. Wie rafch die Production fich zu dieſer Höhe emporge
Vergleichende Ueberficht de8 preuß. Berg, Hütten» und Salinenbetriebes. 287
ſchwungen bat, geht aus nachfolgender Zufammenftellung hervor. Es
wurden gewonnen im
Haupt: Bergdiſtricte: 1823. 1833. 1843. 1853. 1823 gegen 1853.
Gentner Centner Centner Gentner
a) fchleflichen 147,799 134,473 323,641 583,368 1: 3,811
b) wefiphälifchen 1,818 989 1,870 55,533 1:30,54
c) rheinifchen 1,008 — 34,961 74,545 1:73,95
find? 150,625 135,462 360,472 693,446 1:4,603
Im Jahre 1853 waren in den Zinfhütten befchäftigt 4406 Ars
beiter; der Werth des erzeugten Zinks betrug 4,028,904 Thaler. Kein
europäifches Land hat eine folche Production an Zinf! — In OÖber-
jchlefien waren in Al Hütten 625 Oefen in Thätigfeit, in deren Muf-
feln geröjteter Galmei verhüttet wurde. In Weftphalen wirb in ber
Grüne bei Iſerlohn Galmei in 2 Luütticher Defen zu je 50 Röhren
verhüttet, auf der Hütte zu Borbed Blende ſowohl in fehlefifchen, als
Luͤtticher Oefen, auf der Hütte zu Eppinghofen fowohl Blende, ale
Galmei. Ebenfo verhüttet man auch zu Linz am Rhein, zu Bergifch-
Gladbach, zu Stolberg und Efchweiler Blende, auf legteren Werfen
aber auch Galmei.
Zinfblech wurde auf dem Kupferhbammer bei Neuftapt: Ebers-
walde, zu Seblige bei Malapane, auf dem Rybniferhammer bei Rybnif
in Oberfchleften, ferner zu Oblau, zu Kattowitz und Gleiwis, zu Schneib-
haufen im Kreife Düren und an anderen Orten dargeftellt, und zwar
zu Neuſtadt 3157, in Schlefien 125,175, im Kreife Düren 6900 Etn.
Gefammtwerth 1,112,615 Thaler.
Zinfweiß wurde erzeugt: in Oberfchlefien 1402, in Weftphalen
in der Hütte zu Eppinghofen 12,650 Gtn., in Summa 14,052 Ctn.
mit einem Gelowerthe von 175,268 Thalern.
Auch Kadmium ift feit länger als zwei Jahrzehnten in Ober:
ichlefien, zuerft allein auf der Königl. Lydognia⸗Zinkhuͤtte, fpäter auch
auf einigen Brivathütten Dargeftellt worden. Auf erfter Hütte im Jahre
1853 133 Pf. A 3 Thlr. das Pfund.
15) und 16) Bleihüttenbetrieb findet flatt in OÖberfchlefien
auf der Frieprichshütte bei Tarnowig, im Siegenſchen auf 11 Werfen,
im Bezirfe von Düren in 13 Werfen, im Saarbrüder Bezirfe auf
1 Werfe, in Summe auf 26 Hüttenwerfen. Die Broduction betrug im
288 €. 8. Schubartb:
Haupt s Bergbiftricte: 1823. 1833. 1843. 1853. 1823 gegen
Centner Centner Centner Centner 1853.
a) ſchleſiſchen 9,387 783 2,550 9,991 1:1,064
b) ſachſiſch⸗ thũring. — — — 404 _
c) theinifchen 13,923 10,177 18,041 118,443 1:8,507
find 23,310 10,860 20,591 128,838 1:5,527
Der Gelbwerth betrug 1853 897,472 Thaler, Die Zahl der in
den Hütten befchäftigten Arbeiter 635. (Im Dürener Bergamtöbgjirke
wird die Battinfon’fche Kryftallifationsmethode zur Scheidung des fh.
reichen vom filberarmen Blei angewendet.)
Bleiglätte wurde erzeugt:
Haupt⸗Bergdiſtrict: 1823. 1833. 1843. 1853. 1823 gegen 1853.
Centner Centner Centner Centner
a) fchlefifcher 10,194 5,355 8,027 6,075 1:0,595
b) rheinifcher 2,753 3128 10,746 9,179 1:3,334
find 12,947 8,483 19,373 15,254 1:1,255
Die Menge der Kaufglätte richtet ſich nach dem Preife des Bleies,
je nachdem es vortheilhafter erfcheint, die Glätte zu verfrifchen und als
MWeichblei oder auch unmittelbar ald Glätte in den Handel zu bringen.
Das Werkblei auf der Friedrichshuͤtte enthielt im Centner ducchfänitt
lih 56,9 Gran = 3,1611 Loth Silber, auf der Hütte zu Lohe bei
Müfen enthielt dafjelbe 73 Loth Silber im Gentner.
18) Kupfer wird gewonnen: 1) in Schlefien zu Rudelſtadt bei
Kupferberg. Die Hütte ift fehr alt und genügt nur für einen ſchwa⸗
chen Betrieb. Auf verfelben wurden die bei den dortigen Berfuht
bauen gewonnenen filberhaltigen Blei- und Kupfererze verſchmolzen
2) Im Mannsfeld und Thüringen (Sangerhaufen). Hier befinten
fih 5 Rohhütten, weldye den Kupferfchiefer auf Rohftein verjchmeln,
mit 8 Groß- und 12 Kleinöfen, welche theils mit heißer, theils mit
falter Luft betrieben werben. Der reichere Rohftein wird ohne weite:
Vorbereitung der Entfilberung übertwiefen, wogegen ber ärmere ırf
noch einer Goncentrationdarbeit unterworfen wird. (Erſter hat 51 3
56,5 Pf. Kupfer und 44 bis 94 Lot) Silber im Cenmer; ber burd
die Goncentrationsarbeit erhaltene Spurftein enthält 69 bis 77 Mi
Kupfer und 13 bis 145 Loth Silber im Centner.) 3) Zu Kamm
dorf, einer Enclave der thüringifchen Staaten, werden reine, teils
auch filberhaltende Kupfererze geſchmolzen. A) Am Harze bei Steb—
Vergleichende Ueberficht des preuß. Berg-, Hütten- und Salinenbetriebes. 289
berg. 5) Im Siegenſchen. 6) Zu Stabtberge in Weftphalen. 7) Am
Rheine zu Bendorf und St. Goar.
Ueberfichtliche Zufammenftellung der Kupfergeiwinnung des preußi⸗
{hen Staats:
HauptsBergbiftrict: 1823. 1833. 1843. 1853. 1823 gegen 1853.
Gentuer Centner Centner Gentner
a) fchlefifcher 277 421 324 140 1:0,505
b) fähfifch-thüringifch. 11,977 13,946 18,235 25,415 1:2,122
c) weftphälifcher — — — 1,000) —
d) rheiniſcher 1,778 706 1,713 6,647 1:3,738
find 14,032 15,073 20,272 33,202 1:2,366
Beſchäftigt waren in fämmtlihen Kupferhütten im Jahre 1853
1010 Arbeiter. Der Geldwert des Gaarfupferd am Urfprungsorte
betrug 1,089,777 Thaler.
19) Grobe Kupferwaaren, auf Kupferhämmern bargeftellt,
wurden geliefert:
Haupt: Bergpiftrict: 1837. 1843. 1853. 1837 gegen 1853.
Centner Gentner Centner
a) brandenburgspreußifcher 8,325 8,632 15,120 1:1,816
b) fchlefifcher 3,244 2,451 1,824 1:0,562
c) fächfifch-thüringifcher 3,550 3,750 6,329 1:1,783
d) weftphälifcher 1,029 1,247 3,935 1:3,824
e) rheinifcher — — 820 .—
find 16,148 16,080 28,028 1:1,735
Der Werth der erzeugten Waaren betrug 1853 1,192,069 Tha⸗
ler; beichäftigt wurden A32 Arbeiter.
20) Meffing wird auf dem Königl. Meſſingwerke Hegermühle
bei Reuftabt- Eberöwalbe, in Berlin von Heckmann, im Regierungsbes
zirfe Arnsberg in 47 einzelnen Werfen, im Regierungsbezirfe Aachen
zu Stolberg in 7 Werfen erzeugt. Die Production betrug:
Haupt: Bergbiftrict: 1823. 1833. 1843. 1853. 1823 gegen
Centner Gentner Centner Gentner 1853.
a) brandenburg⸗preußiſcher 2,721 3,867 5,887 12,283 1:4,514
b) ſchlefiſcher 240 432 240 — —
c) weſiphaͤliſcher 891 1,037 18,054 16,077 1:18,04
d) rbeizifcher 9,708 11,692 8,479 10,557 1:1,087
find 13,560 17,028 32,660 38,917 1:2,825
-1) Die Kupfergewinnung im wefphälifchen Diftricte if durch Verſchmelzen nafs
ſau'ſcher Erze entftanden.
Zeitſchr. f. allg. Erdkunde. Bo. V
290 E. L. Schubarth:
Die Zahl der beſchäftigten Arbeiter betrug 1411, der Werth des
gefertigten Meſſings 1,479,564 Thaler.
21) Auf der Sangerhäufer Kupferhütte wird feit 1843 Nidel:
fpeife gewonnen Cebenfo zu Kamsborf im Regierungsbezirke Erfurt)
und zwar 1843 in Summa 90, 1853 179 Centner im Werthe von
13,425 Ihalern, wobei zu bemerfen, daß auch in Iferlohn Ridelfpeiie
gewonnen wird; wie viel ift nicht befamnt.
22) Arſenikerze brechen, wie vorn unter I, 9 nachgemieen
worden ift, in Schlefien; dafelbft befinden ſich auch 3 Hütten, zu Rei
chenftein, Altenberg und Rothenzechau. Es werden weißes, gelbes
(auch rothes) Arſenikglas und Arfenikfublimat dargefellt.
Die Production betrug:
1823. 1833. 1843. 1863. 1823 gegen
Gentner Centner Centner Gentner 1853.
Weißes Arfenifglas 1,205 2,7914
Gelbes ⸗ 326 165
Rothes ⸗ — _ in Summa:
Arfenikfublimat 22 57;
— —
ſind 1,553 3,014 3,757 2,859 121,809
Außerdem wird noch auf den Blaufarbenwerken ewwas Arſenil
mehl gewonnen und dafelbft verbraucht.
23) Antimon wird fowohl als rohes Spießglang, Antimonium
crudum, ald auch im metallifchen Zuftande als Regulus Antimoni,
gewonnen. 1837 zu Wolfsberg am Harz 526 Eentner des erferen,
und zu Altena (Regierungsbezixt Arnsberg) Begulus 375 Eentner. —
1843 an erflem Orte 704, an lettem 600. — 1853 8 Centner um
erften und 100 Centner am lebten Orte.
2A) Smalte (blaue Farbe) wird jest nur noch in 3 Werfen
bargeftellt, zu Hafferode bei Wernigerode, zu Heidthaufen und Ki
Steele, beide in Weftphalen. Fruͤher wurde auch in Querbach ım
Buße des Ifergebirges Smalte dargeflellt. Die Broduction hat be
deutend abgenommen, namentlich durch die ſtarke Concurrenz mit Mitte
marin.
Es wurden probucitt:
Vergleichende Ueberficht des preuß. Berg, Hütten- und Salinenbetriebed. 291
Haupt = Bergbiftriet: 1823. 1833. 1843. 1853. 1823 gegen 1853.
Gentner Gentner Gentner Centner
a) fchlefifcher 524 340 _ —
b) ſaͤchfiſch⸗ thũringiſcher 1,667 1,551 965 292
c) weſtphaͤliſcher 240 — 6,762 2,940
d) rheinifcher — 929 — —
find 2431 2,820 7,727 3,232 1:1,329
Geldwerth 1853 48,617 Thaler.
25) Silber wird theild aus filberhaltenden Bleiglanzen, theils
aus dergleichen Kupferergen (Fahlerzen, wie im Siegenfchen), theils
aus dem Silbergehalte der Kupferfchiefer gewonnen, in Schlefien, im
Mannsfeld,, zu Kamsdorf, im Siegenfchen, im Dürener Bezirfe aus
den Bleierzen der Eifel (Bleiberg zu Kommern), im Saarbrüdener
Bezirfe (zu St. Goar).
Die Gewinnung an Silber betrug:
Haupt: Bergpiftrict: 1823. 1833. 1843. 1853. 1823 gegen
Mark Mark Marf Darf 1853,
a) fchlefifcher 1,2203 80% 1,52 3,443 1:2,820
b) ſaͤchfiſch⸗ thüringiſcher 12,646 15,753, 20,965 27,655 1:2,186
c) theinifcher 3,0762 3,7724 7,535 14,036 1:4,562
find 16,9434. 20,3754 30,152 45,134 1:2669
Gefammtwerth des im Jahre 1853 gewonnenen Silberd 619,464
Thaler.
26) Die Reichenfteiner Arfenifalkiefe enthalten Gold. In frühe:
ren Jahrhunderten wurde daſelbſt Gold gewonnen und Dufaten ges
prägt, welche man nur noch in Münzfammlungen findet. Seit 230
Fahren hat die Goldgewinnung aufgehört, indem im Gentner aufbe-
veiteten Erzes nur 4 Quentchen Gold enthalten war, wodurch bei ges
fteigerten Löhnen und Preiſe des Brennmateriald die Ausfcheidungs,
foften nicht gededt wurden. Der Goldgehalt blieb demnach in ven
Arfenifabbränden, dem Rüdftande von der Arfenifgewinnung, enthalten.
Frühere, in ven Jahren 1816— 1819 angeftellte Verfuche, das Gold
durch den Schmelzprozeß zu gewinnen, lieferten ein in pecuniärer Be⸗
ziehung fehr unvortheilhaftes Refultat, bis es gelang, mittelſt Chlors
gas den Goldgehalt aufzulöfen und aus der Löfung zu füllen. Die
KRüdftände enthalten 4 bie 4 Loth Gold im Bentner. — 1850 begann
die Goldgewinnung, und es wurden in biefem Jahre 5 Mark 15 Loth,
1851 20 M. 12 8., 1852 16 M., 1853 18 M. E% gewonnen.
19 *
292 €. 2. Schubarth:
27) Alaun wird zu Freienwalde, Schermeifel, Gleißen, zu Mus-
fau aus Alaunerde, in den chemifchen Fabriken zu Oranienburg und
Köpnif aus Thon dargeftelt. In der Provinz Sachſen zu Schwenfal
(bei Düben), zu Bornftebt bei Eisleben. In Weftphalen wird auf 2
Werfen Alaunfciefer, in der Rheinprovinz zu Püschen, Oberfaflel,
Spich, Kreuzfich Braunkohle, ferner Alaunthon zu Friesdorf auf Alaun
verhüttet. Im ganzen Lande arbeiteten 1853 15 Alaunhütten. Die
Production belief fih auf:
Haupt » Bergbiftrict: 1823. 1833. 1843. 1853. 1823 gegen
Centner Centner Gentner Centuer 1853.
a) brandenburg⸗preußiſcher 5,850 6,513 5,515 15,616 1:2,67
b) ſchlefiſcher 740 814 6,242 65,100 1:6,89
c) fächfifcher 2,601 2,568 8,572 8,020 1:3,08
a) weiphälifcher 4,114 — 545 900 _
e) theinifcher 3,732 21,283 31,185 40,915 1:10,96
find 13,037 38,528 52,059 70,551 1:51
In fammtlichen Hütten waren 1853 befchäftigt 334 Arbeiter; der
Geldwerth des Alauns betrug 286,210 Thaler.
28) bis 30) Was die Erzeugung der Bitriole anlangt, fo
ſtellte fich diefelbe, mie folgt:
1824 1833
Gifen- —* Gem. Eiſen⸗ Bea Gem .I Eifen: |Kupf.' Gen.
Vitr. [Bite. | Vite.| Vitr. Vitr. Bite.| Vitr. | Vite. | Vin.
Centner Gentuer
Haupt⸗Bergdiſtrict:
Centner
a) brandenburg⸗preußiſch. — — — — — 254| 7361,00
b) ſchlefiſcher 11,9791 1552,481116,8420 62] 6581 7,836 81388
c) fächfifegsthüringifcher | 2,66711,313| —| 2,911] 89411,354| 2,6281,660 205
d) rheinifcher 7,254| 26011,323| 5,252 468|1,792]17,665| 6763,950
find [21,900|1,728]3,784124,005]1,424[3,804128,283[3,14315,542
1863
Eifen: | Kupf. | Gem.
Bir. | Bitr. | Vite.
Bentner
1824 gegen 1853.
Hanpt » Bergbiftrict:
Gifen: | Gem.
Vitriol | Vitriol | Ritriel
a) brandenburg = preußifcher 3,056 | 4,280 | 916
hr NE an dä 10,781 119 | 1,192
c * rin — J —
d) rheiniſcher s
Vergleichende Ueberſicht des preuß. Berg⸗, Hütten= und Salinenbetriebes. 293
Gefammtwertä der erzeugten Bitriole im Jahre 1853: a) Eifen-
pitriol 47,614 Thaler, b) Kupfervitriol 61,317 Thaler, c) gemifchter
Vitriol 8,938 Thaler. Gefammtfumme 117,860 Thaler.
31) Die Gewinnung von Schwefel aus Schwefelfies findet nur
in Schlefien auf dem Morgenfterner Schwefel- und Vitriol⸗Werke zu
Rohnau ftatt. Sie ift nicht von Bedeutung. Geldwerth der im Jahre
1853 gewonnenen 761 Centner 3425 Thaler. Aus den Abbränden
wird Eifenvitriol erzeugt.
32) In den Jahren 1838 und 1839 wurde aus Zinnobererz,
welches in der Nheinprovinz, nahe der Grenze der bairifchen Rhein-
pfalz, gefördert worden war, eine kleine Bartie Queckſilber von einer
Privatgefellfchaft gewonnen, welche Production aber fehr bald zum Er-
liegen fam. Sie betrug 1838 292, 1839 nur 135, im Ganzen alfo
427 Pfund.
I. Ergebuifle des Salinenbetriebes.
Der preußifche Staat hat 22 Salinen, theils dem Fiskus, theils
Gewerkſchaften oder Brivatperfonen angehörend. Die Production an
weißem, gelbem und ſchwarzem Salz betrug in Laften (u 4000 Bd.)
nachitehende Summen:
Haupt⸗ Bergbiftrit: 1823. 1833. 1843. 1858. 1823 gegen
a) branvenburg-preußifcher 1,310 1,636 1,958 41,789 , 1:1,365
b) fächfifch-thüringifcher 31,263 34,668 36,193 43,522 1:1,392
c) weftphälifcher 5,585 6,493 8,647 10,562 1:1,891
d) rheinifcher 2,785 3,380 3,846 65,605 1:2,012
find 40,943 46,177 50,644 61,478 1:1,501
Geldwerth am Urfprungsorte 1853 1,438,011 Thaler. Das Ars
beiterperfonal betrug 2465 Mann, die Zahl der Familienglieder 5350.
Salinen befinden fich in folgenden Regierungsbezirfen (Sternchen
bei den Ortsnamen bezeichnen Staatswerfe): In Pommern (Regbzk.
Eöslin) Colberg*; (Regbzk. Stralfund) Greifswald. In Sachſen
( Regbzk. Magdeburg) Schoͤnebeck*, Staßfurt*; (Regbzk. Merſeburg)
Halle* (eine Staats- und eine Privatſaline), Duͤrrenberg“, Köfen*,
Artern*, Teudig, Kötfchau. In Weftphalen (Regbzk. Minden) Neu
294 €. 8. Schubarth:
ſalzwerk*, Salzkotten; (Regbzk. Münfter) Gottesgabe; (Regbzk Arne:
berg) Koͤnigsborn*, Saſſendorf, Werl und Wefternfotten* (A Sali⸗
nen, theild Staats⸗, theild Privatwerk). In der Rheinprovinz (Regbil
Eoblenz) Kreuznach, Münfter am Stein*. Die Hauptproburtion if
su Schönebed 16,480 Laften = 599,273 Centner; fodann Arten
9538 Laften, Dürrenberg 8287 Laften.
1) Allgemeine Heberficht der Bergmerfe, des Geldwerths
ber Förderung, der Anzahl der Arbeiter und ihrer Fani—
lienglieder im Jahre 1853.
Zahl Werth Sahl | Zahl
Mineralien der Berg- Menge ‚ der Broduetion|der Arbei⸗ der Fami:
werfe | der Production ter _|liengliever
Thaler
41) Steinfohlen....| 376 28, 688, 165 Tonn.| 10,214,474 | 42,087 | 77,796
2) Braunfohlen ..| 384 1|12,200,687 = 4,607,728 8,010 | 11,826
3) Eiſenerze ....997 1,496,576 ⸗ 965,535 | 10,037 | 21,558
4) Sinfege..... 86 | 3,246,660 @tn.| 1,704,983 | 6,459 | 10,156
5) DBleierge.. .. . 148 324,645 = 3,779 5,462 8,965
6) Kupferege ...| 74 | 1,254,247 » 615,420 | 4,450 | 6,933
7) Robalterze..... . 3 229 > 7,570. 128 382
8) Nidelerze .. . .| unter ⸗ 4,120 | unter desgl
3) und 6 3)u.6)
9) Arſenikerze 2 9,091 = 2,424 39 73
10) Antimonerze 3 285 = 827 12 28
41) Manganerze 2 9,500 = 8,360 66 14
12) Vitriolerze 15 97,915 = 0,885 114 251
13) Alaunerze 8 168,500 Tonn. 14,107 176 49
14) Srapbit..... 2 1,122 Ctn. 560 15 4
15) Flußſpath 3 9,587 Tonn. 2,206 52 134
50,038 Reis
16) Dachfchiefer.....| 164 | 6,311 Fuder 83,246 | 1,076 | 2,232
15,516 DEuß
| 2267 _ | 16,147,221 | 78,183 [1ay0tt
Vergleichende Ueberſicht des preuß. Berg⸗, Hütten» und Salinenbetriebes, 295
2) Allgemeine Ueberficht der Hüttenwerle, des Werths
ihrer Broducte, der Anzahl der Arbeiter und Familien
glieder derfelben im Jahre 1853.
Nach den Provinzen georbnet.
' Anzahl Wert gahl Zahl
Regierungs⸗ ver ei ah ihrer Fami⸗
Provinz begict Hütten der Production |der Arbeiter lienglieber
|y@t. pCt. pCt. Ip@t.
Preußen Königsberg 18] 1,4| 476,083] 1,01 7201 1,5] 1,184| 1,1
Gumbinnen 7| 0,6 54,406) 0,1 94 0,2 245| 0,2
Danzig 49| 3,81 390,298] 0,81 358 595
Marienwerber | 9 55,416| 0,1 87 187
Summe 976,203 2,0
Bommern 293,925 1,3
133,312 0,2
Summe ‚1 427,237) 0,8) 642| 1,41 1,704| 1,5
Brandenburg 1,9 4,001,902| 8,1| 4,278 11,128/10,0
1,3)| 353,535] 0,8} 328
Summe 41| 3,2 4,355,437} 8,9) 4,606 11,789|10,6
Bofen Bofen 51 0,4| 118,984|0,25
Bromberg 5 0,4 65,3990,15
Summe 101 0,8| 184,383] 0,4| 236 423| 0,4
Schleſien 699,161) 1,4| 337 671| 0,6
2,9) 822,914 1,7| 1,611 3,412| 3,0
22,878i20,5
Summe
Sachſen 0,9 1,4
3,3) 1,472] 3,2
0,5 7
Summe | ” “ 2,329,331 2,616 "| 4,861| 4,3
Meftphalen 'Münfter 7 0,6: 370,311 833] 1,8, 2,087 1,9
Minden 9 0,7) 119,325 266| 0,5 657| 0,5
' 7110,316)22,0| 26,528'23,8
539 42,4112,150,575|24,7,11,415,24,3] 29,272|26,2
56, 4,4| 1,083,482| 2,2) 1,214] 2,5 2,375| 2,1
Summe
NRheinprovinz Göln
Düffelvorf 30, 2,3! 3,423,146| 7,0| 3,594] 7,6| 8,769] 7,9
Goblenz 33| 2,6) 1,672,611) 3,5| 1,567 3,3] 3,237| 2,9
Aachen 72! 5,7| 5,876,935|12,0| 5,184111,3| 12,033}10,8
Trier 25| 1,9| 3,779,787| 7,7| 2,685| 5,6) 7,696] 6,9
Summe | 216|16,9]15,835,961132,4114,244130,3] 34,110130,6
Hohenzollern Sigmaringen 215,381) 0,4| 178j 0,4 3156| 0,3
Hauptfumme | 1272| 100]49,132,410] 100]46,978| 100]111,649| 100
296 Vergleichende Ueberſicht des preuß. Berg-, Sütten« und Salinendetrichee.
3) Geſammtwerth der Production bes Bergbaues, Hüt:
ten» und GSalinenbetriebes; Gefammtzahl der durch den;
jelben befhäftigten Arbeiter und deren Familienglieder
im Jahre 1853.
Werth der Production des Bergbaues. 16,147,221 Thaler,
= = ⸗ ⸗Huůttenbetriebe498132410
= s ⸗ s GSalinenbetriebes . . . 1,438,01 =
Summe 66,717,642 Thaler.
Zahl der Arbeiter: deren Yamilienglieber:
Beim Bergbau 78,183 141,011
s Süttenwefn 46,978 111,649
= Salinenwefen 2,465 5,350
Summe 127,626 258,010
4) Nachweiſung der Dampfmafchinen auf den Berg:
werfen im preußifchen Staate im Jahre 1852.
Diſtrict
foteh- [Mäfio-Tmehnhä-T ehe: ram
fer |thäring. | Iifcher ſcher burg⸗pt.
A. Dampfkünſte.
1) Beim Steinkohlenbergbau..46 2 70 28 _
2) s Braunfohlenbergban ...| — 56 — 1 3
9) = Erzbergbau........ 10 3 1 17 _
B. Dampfgöpel.
1) Beim, Steinfohlenbergbau. . . .| 37 — 72 31 _
2) = Bramnkohlenbergbaun .. | — 6 — _ _
3) = Gipberaban ........ _ 1 — 8
C. Maſchinen zum Waſſerheben
und Fördern.
1) Deim Steinfohlenbergbau. ... . 5 1 14 8 _
2) = DBrauntohlenbergben . 1 3 — — —
3) ⸗GErzbergbau........ — — — 4 _
D. Außerdem zu anderen Sweden 1 1 1 10 _
Summe 107 | 9
In Summa 440 Dampfmafihinen. Die Anzahl der Pferbefräfte in den Maſchi⸗
nen ftellt fich alfo: Beim Gteinfohlenbergban 17,395; beim Braunkohlenbergban 1514;
beim Erzbergbau 2576; Summe 21,485 ; und zwar: zum Waflerheben 16,922, zur
Forderung 3371, zu beiden Sweden 1013, zur Fahrung 27, zur Förderung und Fab⸗
ung 62, zur Aufbereitung 90. Kohlenverbrauch der Keffel: 1,158,708 Tonn. Stein⸗
und 331,580 Tonn. Braunkohlen im Werthe zufammen von 406,372 Thalern. As
lagefoften 7,009,884 Thaler.
@. 8, Schubartb.
Srieflide MittHeilungen.
Schreiben des Königl. Großbritannifchen General⸗Conſuls
Sir John Bowring an Herrn 3. Klenb.
Bucht von Pecheli, an Borb des Nattles, ven 7. Nov. 1854.
... Es dürfte Ihre geographifche Gefellfchaft intereffiren, zu erfahren,
daß die Gefahren dieſes Meerbufens in dieſer Jahreszeit fehr übertrieben wur⸗
den. Der amerikanifche Minifter und ich find an der Mündung des Tien-
tſin⸗ho (irrthümlich in den Karten Pei-ho genannt, obgleich Fein Chinefe
biefen Namen Eennt) ') faft einen Monat lang gewefen, um ver Verband»
lungen willen, die wir mit den Mandarinen zur Uebereinftiimmung unferer
Handels = Einrichtungen mit tem gegenwärtigen Zuftande Ehina’s führen. Was
wir audrichten können, ift noch ungewiß. — Wir hatten vie Abſicht, in bie
Hauptftadt Beling zu gehen; dies Hätte in einer früheren Jahreszeit vieleicht
ausgeführt werben fünnen, aber jet wird ver Fluß bald zufrieren, und wir
müffen daher daran denken, und nach Süden zu wenden. Inveflen werben
wir wahrfcheinlich noch die große Mauer befuchen, wovon ich Ihrer Gefell«
Ihaft wo möglid einen Stein als Anerkennung des Intereffes, das fie an
meinen Unternehmungen bemeifet, zu fenden Willens bin.
Mir haben zufammen 5 Schiffe im Fluſſe und im Meerbufen. Die
Amerifaner haben eine herrliche Dampffregatte, die „Bomwbatan”, von beinahe
3000 Tonnen Laft, dad Dampfboot „Sohn Hancocth“ von ungefähr 600 T.
und einen Schooner, den „Fennimore Cooper“, welcher mit meinen „Lorcha“
unfere Gefchäfte innerhalb ver Barre beforgt. Ich Fam im , Rattles“, einem
Schraubenfchiffe von 900 Tonnen. Wir machten einen ganz leivlichen Auf-
zug am Lande mit ungefähr 200 Seeſoldaten und Matrofen, mit unferen
Mufifbanvden, Böten und Flaggen, und möglicher Weiſe war es zum erften
Male, daß fo Etwas in der Nachbarfchaft ver Hauptflabt gefeben wurde.
Wir famen nicht als Tributpflichtige, ſondern als die Geſandten der großen
I) Bei der Stadt Tienstfin fließt der aus 4 bis 5 größeren Flüſſen oberhalb
diefer Stadt gebildete Hauptſtrom zu feiner wahren Mündung im Golf von Be:
tſchy⸗ li vorüber. Der nörblichfte jener großen Zuflüffe ift der Pei-ho oder Pe-ho,
der von Beling herabkommt; diefer hat noch immer feinen Namen beibehalten. Nur
der vereinte untere Flußlauf, an defien Mündung die Fregatte „Rattles“ flationixte,
wirb gegenwärtig nach der anliegenden großen Handelsſtadt genannt fein. Biot’s Dict.
1842, ©. 232 fchreibt fie Thien=tfin=fon, unter 39° 10’ nördl. Br. und 113° 53’
55" öfl 8, eine Stadt von erfiem Range in der Provinz Pe⸗tſchy⸗li, die aber zur
Zeit der Ming» Dynaftie noch eine Stadt geringer Art war. Auf Biot's Karte iſt
fie wohl irrig Thian=tfin gefchrieben, im Text Thienztfin, ganz fo wie fie Pater
Martin a Martino in dem Atlas Sin. vom Jahre 1655 nad) feiner Gchreibweife
Tien=cin eintrug. & Ritter.
298 Briefliche Mittheilungen:
weftlichen Nationen, um mit den Chinefen auf gleiche Bedingungen zu unter:
handeln, und da wir Feine Unmürbigfeiten geduldet haben würben, fo wurden
mir auch nicht aufgeforbert, und irgend einer zu unterwerfen. Nicht vap die
Chinefen auch nur im Geringften weniger ftolz und mißtrauifch, nicht daß fe
weniger geneigt zu Ausſchließungen und Austreibungen wären, aber fie haben
einen Inftinkt, daß es nicht gerathen fei, mit und zu flreiten, und nachdem
fie alle Anftrengungen erfchöpft Hatten, und fortzufchicden, und fie und durch⸗
aus unerbittlich fanden, ward ein Faiferlicher Commiffar herab gefantt, um
und zu empfangen. Was vorging, ift natürlich diplomatiſch, und das Siegel
der Verſchwiegenheit ift auf meinen Lippen. Doch zu feiner Zeit wird unfere
Gefchichte erzählt werben,
Es ift höchft angenehm, eine Stellung einzunehmen, wie fie uns unfer
Breihanveld= Politik geftattet. Ich fordere nichts für England ausſchließlich,
Alles, was ich erlange, wird für alle Handelsleute der Welt fein. Peine
Meinung nach follte dad Benehmen unferer Negierung eines zuftimmenten
Urtheild des menfchlichen Gefchlechtes fich erfreuen. Wir rüften koſtſpielige
Erpeditionen aus, fenden theure Gefandtfchaften ab, und doch verlangen wir
feine befonderen Privilegien, wir beftehen nicht, wie früher, auf irgent ein
Monopol oder bejonvere Bevorzugung zum Bortbeile unferer Kaufleute un
Babrifanten. Unzweifelhaft nehmen wir großen Antheil, ja den größten ge
gen alle anderen Nationen, an dem Ertrage ves neuen Feldes, welches wir
eröffnen; aber dies ift nur der Ball, weil Billigfeit des Preiſes und Getie—
genbeit ver Waare die Grundlagen unſeres Ausfuhrhandeld werden, wie die
Ausgedehntheit und Die Bequemlichkeit unferer Märkte, ver Reichthum, hie
Bildung und der Unternehmungsgeift unferer Handelsleute große Zufuhren
nach Großbritannien ziehen müjlen. — Der amerifanifche Handel mit Ehin
ift wirflich ungeheuer, obgleich er hauptfächlich durch Credite auf London un
Calcutta geführt wird; aber vie Amerikaner verdienen wohl den Erfolg, ten
fie in diefen Meeren gefunden haben, und ich fehe auf ihre Wortfchritte ohne
den leifeften Anflug von Eiferfucht over Beſorgniß.
Der Aufſtand findet in dieſen nörblichen Provinzen, wo das Volk af
Seite der Regierung iſt und die Tar-pingswang- Bewegung für eine heute
Iuftige Unternehmung von NRäubern und Piraten hält, Eeinen Anhalt. Tie
Nebellen waren indefien fomohl in Pecheli, als in Schantung eingedrungen,
haben ſich aber nach großen Unfällen aus beiden Provinzen zurüdgeogen.
Ich bezweifle fehr, daß die tatarifche Herrfchaft je wieder im ruhigen Belt
eined großen Theiles von China gelangt, und wirklich fcheint mir zweifelhaft,
daß fle noch lange zufammenhalten werde; aber was wir von den Aufflänti-
Ichen fahen, ift noch weit weniger verfprechenn, weit weniger hoffnungsrell,
als felbft vie Schlechtigfeit ver Mandſchu⸗Regierung. Weldy ein zeligidier
Zug und Trug, welche Alte der peinlichiten Barbarei, welche eine Zerflörung
von Eigenthum, welche Fehde gegen Aufklärung mit nicht weniger, fonbern
Schreiben des Herrn General» Eonful Bowring an Herrn I. Klentz. 299
mit noch größerem Haß und Berachtung der Fremden, ohne alle Sympathie
von Seiten der angefehenen Stände in China. — Es iſt wahrlich eine ſchwere
Stellung, in welcher fich die Vertreter der fremven Mächte (Tnatzpowers) ber
finden. Ich glaube jedoch, die Eröffnung von China und felbft aller fich ab-
fihließenden Nationen im fernen Oſten wird der unvermeibliche Erfolg ver
Begebenheiten fein. — Ich Hoffe, vor Ende des Jahres Hinab nach Bangkok
zu gelangen, um mit dem Könige von Siam mein Heil zu verfuchen, und,
wenn Leben und Geſundheit mir erhalten werven, beabfichtige ich, mit ver
britifchen Flotte nächftes Jahr nach Japan zu geben, fobald es der Monfun
geftattet, vielleicht auch nach Corea, dem ausfchlieglichften aller ausichließlichen
Reiche. — Der ruſſiſche Krieg war ein Hinderniß dieſes Jahr, da wir bie
chineftfchen Gewaͤſſer von allen ruffifchen Kriegöfchiffen fäubern mußten. Sie
flohen jedoch nach allen Winden, und es ift die Frage, ob die Bucht von
Ochotzk oder Kamtfchatfa oder daß nörbliche Amerika ihr Zufluchtsort if.
Leber Japan fagt ein Bericht, der mir fo eben zu Hänven fommt:
Der Anblid bei der Annäherung ift außerorbentlich ſchön. Die Berge
im Innern find hoch und auf den Süpabhängen mit Bäumen bedeckt, aber
der Hohe Pflanzenwuchs Hört fogleich auf, ſobald man den Gipfel erreicht,
denn bie ganze Nordfeite Hat feine Bäume, ſondern ift mit niebrigem Grün
bedeckt, dad eine ganz eigenthümliche Erjcheinung varbietet, indem die Nord⸗
winde es fo regelmäßig geftußt haben, als ob es von Menjchenhänden ges
ſchehen wäre. Der Kamm ift mit einer Reihe von Baumfpigen befegt, deren
Wurzeln auf der Sübfeite geſchützt find, und vie ven Borften auf dem Rücken
einer Hyaͤne gleichen. Je mehr man fich dem Lande nähert, deſto mehr ent-
faltet e8 feine Schönheiten. Das Land, wellenförmig und zum Theil fehr
hoch, ift mit Grün bedeckt und bis zu den Spiten ver Berge bebaut. Die
Luft ift Herrlich, ar und vurchfichtig, gerade das Gegentheil von ver feuch-
ten gelblichen und windigen Atmofphäre in China. Die Wärme ift auch auf
70° (21 R.) gelunfen, was uns fehr angenehn fühl erfchien. Nachdem
wir unfere Ankunft und unfere Abficht, in den Hafen einzulaufen, vem Gou⸗
verneur angezeigt hatten, liefen wir ein. Die Einfahrt ift ungemein anmuthig,
da fie von einigen malerifchen Infeln bevedt ift, und befeßt mit zahlreichen
Gefchüße, in Batterien aufgeftelt, aber augenfcheinlich von Leuten, vie Feine
Idee von Befeftigungsfunft haben. Das Fort am Eingange hat 22 ausge⸗
zeichnet hübfche Ordonnanzſtücke aufgepflanzt. Wir gingen in geringer Ent»
fernung von der Oeffnung des inneren Hafend vor Anker, vor deſſen Ein-
gang eine Reihe großer, mit Ankertauen verbunbener Boote gezogen war.
Sobald wir Anker geworfen hatten, fandte ber Admiral feine Depefchen nach
Jeddo. Nachdem wir nun eine Woche Bier gewefen, erlaubte man uns, auf
einer Kleinen Infel von etwa 2 Acres Größe, mit Bäumen und Bambus be-
deckt, zu landen, jedoch unter ganz außerorventlichen Beichränkungen; es wur«
ven Wachtbonte rund umber aufgeftellt, um jede Verbindung mit der Küfle
300 Briefliche Mittheilungen:
abzufchneiden; auch follten wir kein Feuer anzlınden, Teine Bäume fällen oder
Selen beroegen und jeden Mann bei Sonnenuntergang emifernen. — Die
Japaneſen find Flein von Statur und haben einen geiftreichen Ausdrud, dabei
find fle reinlich, ſowohl auf ihrem Xeibe, als in ihren Böten. Bon ihem
Häufern habe ich nichts gefehen. Alle Iapanefen find bewaffnet, die höheren
Nanges niit zwei Schwertern. Ihre Kleivung befteht aus einem Anzuge von
Grastuch over Flor und feidenen meiten Beinfleivern; fie tragen Schuhe mit
GSrasfohlen und Riemen über ven Miß, ver zwifchen ver großen und zeri-
ten Zehe durchgeht. Sie jehen beſſer aus, als die Chinefen, auf vie fie mit
Verachtung berabfehen. Da man von ven Ruſſen fprach, fagten fie, ſie hiel⸗
ten nicht viel von ihnen, fle feien ſchmutziger als die Chinefen. Diefe dürn
jährlich A Djunken und vie Holländer 2 Schiffe fenven, ber einzige audrir
tige Handel der Japaneſen.
Da es verabredet war, daß der Admiral vorige Woche dem Gouvernun
die Aufwartung machen follte, fo warb er am Landungsplatze von den ange:
febenften Offizieren des Platzes empfangen, die ihn in das Haus bed Befehle:
habers führten. Die Straße oder vielmehr die Reihe Stufen war zu beiten
Seiten mit Truppen befeßt, eine elende Schaar, bie ihre Luntenfchlöffer mi
rother Boy bedeckt hatten, weil ed nicht für angemeſſen gehalten wurde, Siabl
dem Auge eined Freundes zu zeigen; ja wir hatten große Mühe, eimge zu
überreven, und ihre Schwerter zu zeigen, welche fehr fchön geftählte Waffen
zu fein fchienen. — Der Admiral ward fehr freundlich vom Gouverneur empfan⸗
gen, bie begleitenven Offiziere wurben vorgeftellt und ein Mahl von Süßiz⸗
feiten und Kuchen aufgetragen. Nach dem Eſſen begann der Anmiral jr
Unterhandlungen, welche zwar Iangfam, aber befriedigend vor fich gingen.
Ein Vertrag wurde aufgefeßt und bei einer zweiten Unterredung mit tem
Gouverneur unterzeichnet. Den genauen Inhalt fenne ich micht, doch geht ıt
dahin, daß und dieſelben Privilegien zugeftanden wurden, die anderen Rats
nen zu irgend einer Zeit ertheilt waren, daß ferner eine gewiffe Anzahl Hin
und geöffnet werben, und daß bie Muffen Feine Hülfe von den Japaneſen m
halten. Der Gouverneur verlangte eine Kifte der Offiziere ver Flotille, inden
er bemerkte, daß es der Wille des Kaifers fei, daß ein jeder nach feinem
Range ein Gefchent bekomme; als vie Gefchenfe aber ankamen, beftanden je
nur in Gefchirr von geringem Porzellan. Das für den Admiral, melde
vom Kaifer felbft Fam, war jenoch prächtig und befland in einem ladırım
Cabinetsſtuck im beften Gefchmad, mit Perlmutter ausgelegt, zwei fehr ſcho⸗
nen Borzelanvafen mit erhabener Arbeit, mit Schüffeln und anderen paſſen⸗
den Dingen, ferner in einigen ſeidenen Stoffen, Iadirten Käftchen und zwei
Heinen Hunden, eine Art Wachtelhunde, vie, wie ich glaube, für vie Königin
beftimmt find. — Nachdem ver Vertrag unterzeichnet war, blieben wir ned
einige Tage, während welcher Zeit die Papiere überfegt wurden. Die Jan
nefen druͤckten ihr Bedauern über unfere Abreife aus und ſchienen ſehr zu
Schreiben des Herren General⸗Conſul Bowring an Seren 3. Klentz. 301
wünfchen, daß Handelsverbindungen zwifchen den beiden Landern eröffnet wer⸗
den möchten.
Die Lage von Japan, auch durch das Klima und den Boden begünfligt,
macht die Japanefen zum großen Theil unabhängig von anderen Laͤndern, und
ta Dier Alles durch Vergleich gemeflen werden muß, und man nur die eigene
japanifche Welt Eennt, fo berechnen vie Japaneſen den Gran des Glüdes und
Wohlſtandes auch nur nach dem eigenen um fte herum, zumal da fle von
europäifchen Genüffen nichtö gefoftet haben, als vie Eleinen Proben, die ihnen
die Hollänpifchen Schiffe zuführten.
ltiscellen.
Die Bolgaren-Colonien in Beffarabien.
Ein Bruchſtück ans einer noch ungebrudten Reife ').
Um die Mitte ded vorigen Jahrhunderts begann der Strom jener gro=
Ben, einer Völkerwanderung gleichenden Auswanderung, der fo viele in dama⸗
liger Zeit mit dem türfifchen Joche unzufriedene Familien meiſt flamifcher
Völkerflämme, die dem griechifchen Culte Hulbigten, aus ven ver Pforte ges
hörigen Donauländern, ver Dobrudſcha, Moldau, Walachei und Serbien, fo=
wie aus den inneren Rändern der Balfan« Halbinfel, aus Bulgarien, Rume⸗
lien, Macevonien und Albanien in vie damals Neus Serbien genannten Grenz«
länder Rußlands Kinüberfpühlte.
Die Bortheile, welche die Kaiferin Eliſabeth und ihre Nachfolger auf
dem Throne denjenigen zufagten, bie fich in ven damals noch völlig wüften und
unwirthbaren Grenzgebieten des ruffifchen Laͤndercoloſſes, über welche hinaus
das damals noch erft aufftrebenve Zaarenreich feine Grenzen mit der Zeit vor-
zufchieben beabfichtigte, anfievelten oder gar unmittelbar fich ven ruffifchen
Provinzen einverleibten, lockten von allen heilen des o8manifchen Meiches
Goloniften herbei, und die mit ven Türken glüdlich geführten Kriege in ven
Jahren 1787 His 1791, 1806 His 1812 und 1828 bis 1829 fteigerte die
Zahl diefer trandbanubifchen Ueberſiedler zu einer fehr bedeutenden Höhe ?).
2) Nach einer am „% September 1853 in der Kaiſerl. ruffifchen Academie der
Wiſſenſchaften durch ven Academiker P. v. Köppen gehaltenen DBorlefung. . A.
2) Die zwiſchen 1801 und 1806 nach Rußland gekommenen Bolgaren waren in
den Gub. Eherfon und Taurien untergebracht worden, wo fie 9 Nieberlaffungen, im
erſten nämlih 6 (Klein: und Groß=Bufalyf, Ternoͤwka, Kubaͤnka, Parfäny und Ka:
tarfbina), im letzien 3 (Kifchlan, Cokikrim und. Balta⸗Tſchokrak) gründeten. v. K.
302 Miscellen:
Als der um die Statiftif der neuruffifchen Provinzen fehr verdiene
Statiftifer Skal'kowskij im Jahre 1848 zn Odeſſa feine fchäßenswerthe Schrift
über die Bolgaren» Eolonien („Bolgarskija Kolonii w Bessarabii i Nowo-
rossiiskom kraje; statistitscheskoj otscherk Apollona Skal’kowskago‘)
herausgab, eine Schrift, welche ver um die geſammte ruſſiſche Statiftik hoch⸗
verdiente Akademiker, Wirkliche Stantörath Peter v. Köppen, bei feiner jüngt
erfolgten Anwefenheit in Beflarabien aus archivalifchen Quellen an Ort un
Stelle zu prüfen und als zuverläffig zu befinden Gelegenheit Hatte, exiſtitten
um dad Jahr 1821 in ven fänmtlichen beifarabifchen fogenannten Bolgaren
Eolonien bereits 7735 oloniftens Familien mit 20,714 männlichen un
17,312 weiblichen Glievern, alfo überhaupt 38,023 bolgariſche Anſiedler. Ti:
Vertheilung über die einzelnen Diftricte war folgende. Es beftanben:
Bewohner
äufe tin | "Ti
Sänfer | Bamili männliche | weibliche ſbeid Geſdl
Im prutfchen Bezirke... | 1,220 1,462 3,626 3,255 | 6,881
Im kagul'ſchen Bezirke .. 906 1,076 2,778 2,521 | 5,29
Im ismael’ichen Bezirke . 2,082 2,599 6,922 5,744 | 12,666
Im budfchaffchen Bezirke . | 2,078 2,898 7,385 5,792 | 13,17
Im Ganzen | 6,286 | 7,735 | 20,711 | 17,312 | 38,023
Noch nicht 30 Jahre fpäter, nämlich am 1. September 1850, um je
Zeit, ald v. Köppen feine ftatiftifchen Sammlungen in Beflarabien anſtelli
hatte ſich die Goloniftenzahl bereitd auf
85,461 Seelen beiverlei Gefchlechtd
gehoben, wovon 44,115 dem männlichen, 41,346 dem weiblichen Gefhlehr
angehörten, jo daß die Zahl der Männer und Knaben zu der ber Frauen um
Mädchen fich wie
100: 99,72
verhält. Denn ver in den Jahren 1828 und 1829 in den Donaulintm
geführte Krieg Hatte abermals eine große Zahl bolgarifcher Familien (man
giebt ihre Zahl zu 3900 an, wie Herr v. Köppen hörte) zur Ausmwanberm
bewogen. Mehr als 3000 Familien fanden jedoch nicht ihr Heil in Bella
bien, ſondern fahen ſich durch Hunger und Peft gendthigt, wieder in im
Heimath zurüdzufehren ').
Die Eoloniften waren über 83 fogenannte Bolgaren = Colonien vertbiilt:
wir fagen fogenannte, weil nicht nur die früheren Bewohner der Gegenten
wo ſich vie heutigen Bolgaren - Anflevlungen befinven, feine Bolgaren warn,
fondern weil auch andere Meberfievler orthodoxen Glaubens mit den Belge
ren in Rußland einmanderten, wie Griechen, Arnauten, Walachen u. a. m.
ja ſelbſt Auffen, deren Vorfahren ihren DBaterlande untreu geworden warm
') Auswanderungen von Bolgaren haben befauntlich wieder im ber meuejlen Zer
ftattgefunden.
Die Bolgaren»Golonien in Beffarabien. 303
und bie nun ber ihnen wider Wiffen und Willen vorenthaltenen Heimath wie
der zueilten.
Da. Seren v. Köppen in ethnographiſcher Beziehung fehr daran lag,
genaue Detaild über vie Stammverfchievenheiten zu erhalten, vie fich inners
Halb ver gedachten Bolgaren»Eolonien geltend machen, fo veranlaßte er ven
Bezirksaͤlteſten des ismail'ſchen Kreifes, Stephan Semenowitſch Panow, ver
ſelbſt ein geborener Bolgar iſt und an der Verwaltung ver Colonien Theil
nimmt, in dieſer Hinſicht genaue Unterſuchungen anzuſtellen. Dieſen zufolge
ſtellt ſich die Nationalität unter den 85,461 Coloniſten in folgender Weiſe
heraus. Es gab:
maͤnnlichen | weiblichen beiderlei
Geſchlechts Geſchlechts Geſchlechts
Bolgaren ...: 2220. 33,908 33,637 69,525
Bolgarifhe Zigeuner... . 29 27 56
Moldaner oder Walachen ’) 6,619 6,186. 12,860
Kleinuflen........ 732 708 1,440
Arnauten ?) ....... 686 642 1,328
Griechen ..- 222 2.. 141 166 307
Im Ganzen wie oben | 44,115 | 41,346 | 85,461
Dies giebt, in Procenten ausgevrüdt: 81,353 p&t. Bolgaren,
0,066 pE&t. bolgar. Zigeuner,
14,983 p&t. Walachen,
1,685 p&t. Kleinruffen,
1,554 pCt. Arnauten,
und 0,359 pCt. Griechen.
Die Bolgaren bilden demnach ven bei weitem ver Zahl nach vorwiegen-
ven Theil der Bevölkerung in diefen Colonien, und dieſem Umftande ift es zu»
zufchreiben, daß man die fänmtlichen Colonien nach ihnen benannt hat. Sie
unterfcheiden ſich der Sprache nach in ſolche Bolgaren, die bolgarifch, und in
folche, vie türfifch reden, während man Hinfichtlich der fchriftlichen Documen-
tation der Rede fogar breierlei Schriftzeichen bei ihnen in Gebrauch findet.
Die Holgarifch redenden Bolgaren ftanımen aus Macevonien und Rume⸗
lien ber und heißen in Befjarabim Tschernyje Bolgary d. i. fchwarze Bol»
garen, die türfifch fprechenden Hatten ihre Wohnfige früher in der Dobrud⸗
fcha und in ber Gegend von Barna und find in Beflarabien unter ven Nas
men Gagausy (Tarayssı), Sagaufen, wie fie fich auch felbft benennen, be⸗
kannt. Dieſe legten wanderten 1807 bis 1812 in Befjarabien ein, vie ſchwar⸗
zen Bolgaren zum Theil gleichzeitig mit ihnen (wie die Macevonier), zum
Theil aber erft im Jahre 1830 und fpäter (mie die Rumelier). Die meiften
3) Ganze Dörfer finden fih im Gebiete der Bolgaren=Colonien, die gar nicht
von Bolgaren ſelbſt, fondern von Walachen, die hier Moldauer genannt werben, und
von Klein: Rufen bewohnt find. v. K.
2) Die Arnauten ſtammen aus Dewho, weſtlich von Kama, her. v. K.
304 Miscellen:
Bolgaren reven mehrere, oft 3 bis A Sprachen; außer dem Bolgariſchen
noch türkifch, walahifch und nun auch ruſſiſch, mitunter fogar griechiſch.
Hinſichts der Schrift bedienen fich die Ankommlinge aus Macedonien ver
flawifchen Schriftzeichen, die gemwefenen Rumelier dagegen ver griechifchen; die
Schriftzeichen der türkifch redenden Gagauſen endlich find waladhifche ’).
Was die Unterfchiede ver Tracht betrifft — welche ebenfo wie die Sprache
und die Schrift nicht immer die Nationalität entſcheidet, — fo treten bie früs
beren Bewohner Rumeliens zumeift in türfifchen Coftlim auf, vie früher
Bewohner Macevoniend dagegen gewöhnlich in der bolgarifchen Kleidung.
Unter den 69,525 oben verzeichneten Bolgaren giebt ed uͤberhaupt 12,056
d. i. 17,341 p&t. Macebonier, 18,816 d. i. 27,064 p&t. Rumelier und 17,129
d. i. 24,637 p@t. Mifchlinge, bei denen fich der macedoniſche oder rumeliſche
Urfprung nicht Hat feftftellen lafien. Im Ganzen find alfo 48,001 ot
69,042 pCt. ſchwarze Bolgaren vorhanden, während es 21,424 d. i. 30,858
p&t. Gagauſen giebt.
Die Zahl der Holgarifch redenden Macebonier und MRumelier verhält fd
biernach zu der der türfifch fprechenden Gagauſen, wie 100: 44,81.
Wären die ald Mifchlinge bezeichneten 17,129 Individuen zu gleichen
Theilen dem macebonifchen und rumelifchen Stamme angehörig, fo könnte man
20,620 Macebonier, d. h. 42,957 pCt.
und 27,381 NRumelier, d. h. 57,043 pCt.
innerhalb ver fchwarz= bolgarifchen Bevölferung annehmen,
Die 83 beſſarabiſchen Bolgaren-Eolonien ftehen feit dem Jahre 1819
nebft den taurifchen und cherfoneflfchen Bolgaren⸗Colonien unter ver von
Kaifer Aleranvder für die fremden Anſtedler in Süd-Rußland errichteten fe:
fonderen Euratel und vertheilen fich über Beffarabien in folgender Walt:
1) Der ismailfche Bezirk Hat 16 verfelben mit 25,106 Individuen bei
derlei Gefchlechts. Diefe beftehen aus:
Individuen |
——— — — 7— —
männl. Gefchl.| weibl. Befchl. |beiverl. Gndl
2285 bolgarifchen Samilien mit . . 11,188 10,507 21,695
254 walachifchen Familien mit. . 1,042 938 1,978
27 kleinruſſiſchen Familien mit . 128 117 245
119 arnautiichen Familien mit... 661 636 1,097
5 griechifchen Familien mit .. 19 16 35
und 6 Zigeuner: Familien mit ... 29 27 56
zufammen aus 2696 Bamilien mit .! 12,967 12,139 | 25,106
2) Den Gebrauch verfchievener Schriftzeichen bei einem und bemfelben Ball
finden wir auch bei anderen flawifchen Stämmen, wie bei ven Serben, wo bie ſlarc
niſchen ober altflawifchen Lettern neben ven lateiniſchen Schriftzeichen in Branch fm:
besgleichen bei den Albanefen (Arnauten und Schkipetaren), von benen ein Theil, I
Geghiven, fich der Tateinifchen, ein anderer, die Tosfiden, der griechifchen Au be⸗
dienen.
Die Bolgaren- Eolonien in Beffarabien. 905
An Areal befigen viefe Colonien 127,004 Deffiatin 1,402 Quadrat⸗
Sfafhen brauchbares Land und 1,964 Defil. 1,207 O.⸗Sſaſh. unbrauchba⸗
res Land !).
Die Eolonien find mufterhaft eingerichtet und befigen größtentheils eine fehr
wohlhabende und zahlreiche Bendlferung ?), welche bie ver meiſten Städte der
Umgegend an Frequenz weit hinter ſich laͤßt. So zählt vie in dieſem Bezirk
gelegene wichtigfte aller Bolgaren»Eolonien Bol’grap, an ber Mundung des
Jalpuch⸗Fluſſes, der in den See gleichen Namens fällt, ein Ort, ver als
Eolonie feit dem Jahre 1819 beſteht, die bedeutende Bevölkerung von 8,214
Seelen, worunter fih 8,053 Bolgaren, 78 Walachen, 11 Kleinruflen, 37 Ar⸗
nauten und 35 Griechen befinden, die zufammen 22,521 Deffj. brauchbares
und 224 Defii. 618 Q.⸗Sſaſh. unbrauchbares Land befitn.
Andere volfreiche Eolonien in dieſem Bezirke find:
Taraklija, an ver Steppenfchlucht dieſes Namens, feit 1819 als Eolonie
beſtehend, mit 2067 Einwohnern und 9752 Deſſj. brauchbaren Landes;
Zatarfoptfchät, feit 1812, an der Schlucht dieſes Namens und dem in
den Salpuch fließenden Bache Taraflija, mit 1421 Einwohnern und
7681 Deſſi. brauchbaren Landes;
Kubei, feit 1819, an der Steppenſchlucht Sſarlyk, mit 1361 Einwohnern
und 8280 Defij. brauchbaren Lande;
Zafh-Bunär, feit 1819, an der Schlucht gleichen Namens, mit 1211 Ein-
wohnern und 8280 Defii. brauchbaren Landes;
Karakurt, feit 1820, am Sſarlyk, der in ven See Jalpuch fließt, mit 1191
Einw. und 9120 Defij. brauchbaren Landes;
Tfhifhme-waruit, feit 1819, am See Jalpuch, zwifchen Ismail und
Bol’grad, mit 1184 Einw. und 7860 Deffj. brauchbaren Landes;
Tſchijſchija, auch Grabina genannt, am Katlabug- Fluffe, mit 1167 Einw.
und 7800 Defil. brauchbaren Landes;
MWaiffal, feit 1830, am Urfprunge ver Steppenfchlucht Tafch-Bundr, mit
1160 Einw. (morunter die oben vermerkten 56 Zigeuner) und 7722
Defii. 1402 O.Sfajh. brauchbaren Landes, und
Babel over Babeli, feit 1819, am linken Ufer des See's Jalpuch, mit 1183
Einw. und 8263 Deſſj. brauchbaren Rande.
1) Gine Deffjatina, weldye 2,400 Quadrat⸗Sſaſhen oder Quadrat⸗Faden ent:
hält, it = 2,941000 livländifche Roofftelfen, = 3,19550 Arpeus de Paris, = 1,09250
Heftaren, = 2, 69972 engl. Ncres, = 4,27890 preuß. Morgen. N.
2) Sn den erfien 8 Jahren ber ruffifchen Herrichaft in Beflarabien, alſo von
1812 bis 1820, hatten es dieſe bolgariſchen Auswanderer nicht beſonders, ja ihr Loos
war gegen ihr früheres fogar noch verfchlechtert, indem auf Anfuchen molbauifcher und
walachifcher in Beſſarabien begüterter Bojaren die bolgarifchen Cinwanderer, die ſich
auf deren Boden niebergelafien hatten, an die Schelle gebunden, alſo Leibeigene wer:
foliten. Dies Hat ſich jedoch geändert, und es giebt jetzt in Beſſarabien ſaſt feine Leib⸗
eigenen mehr, mit Ausnahme einiger Ruſſen, die mit ihren Herren dahin kamen, und
einigen Tauſend Zigeunern. v. K.
Zeitſchr. f. allg. Erdkunde. Br. V. 20
806 Piscellen:
Nur 6 Golonien haben unter 1000 Einwohner, nämlich:
Nomwotrojän, feit 1819, am Ratlabug . - 984
Tabak, gegründet 1830, am linken Ufer des Jalpuch⸗ &luffes . 2.9
Dolukioj, feit 1819, am See Katlabug, bei feiner Mündung in die
Dorau 2 2 a 2 2 2 + 909
Dermensbere, feit 1830, am Urfprung ver Steppenfchlucdht Siaf-
tian, zwifchen den Seen Jalpuch und Katiabug ee. 799
Kajraklija, ſeit 1819 . . . .» . ne. 8
Erdek⸗burnu, feit 1819, am See Ratlabug er. . 668
2) Der Eagulo=prut’fche Bezirk Bat 19 Colonien mit 17,875 Jntivi-
duen beiverlei Geſchlechts. Diefe beftehen aus:
Individnen
Pu ER U u.
männl. Geſchl. weibl. Geſchl. beiderl. Geld.
1068 bolgarifchen Familien mit . 4,626 4,199 8,725
1280 walachiſchen Familien mit . .) 4,502 4,242 8,744
11 Fleinenffifchen Yamilien mit . 64 54 118
4 arnautiſchen Familien mit. . 21 50
und 34 griechifcgen Familien mit ..
zuſammen aus 2397 Bamilien mit . | 9,225
An Areal befigen dieſe 19 Colonien 97,302 Deſſjatin 1704 Q.⸗Sſa⸗
ſhen brauchbares und A902 Deflj. 873 O.⸗Sſaſh. unbrauchbares Land.
Die größte dieſer Colonien ift Wolkanéſcht, als Colonie ſeit 1819 -
beftehenn, am Kagul- Fluffe, mit 22834 Einwohnern (morunter 1623 Bolqa⸗
ren, 417 Walachen, 61 Kleinruffen, 414 Arnauten und 142 Griehen). Sie
beftgt über 11,994 Deffiat. brauchbares Land.
Die volkreichſten Colonien nach Wolfanefcht find:
Tſchiſchm⸗Kioj, ald Eolonie feit 1819 beſtehend, rechts, in einiger Ent:
fernung vom Kagul⸗Fluſſe, reich an Quellen, nach denen es auch ſeinen
Namen führt, mit 1510 Einw. und 8164 Deſſj. brauchbaren Landes;
Karagätſch, ald Eolonie feit 1819, zur Tinten des See's Kagul, mit 1381
Einw. und 6120 Deſſj. brauchbaren Landes;
Sflobopfeia ober Sſlobodſeja Mare, ein alter moldau'ſcher Ort am
Prut, als Colonie feit 1819, mit 1181 Einw. und 7637 Deffj. brauch⸗
baren Landes;
Kurtfchi, als Colonie feit 1819, am rechten Ufer des See's Jalpuch, ge
genüber Bol’grad, mit 1074 Einm. und 6090 Defij. brauchb. Lande:
Hadſhi-Abdullaà, feit 1819, am KagulsFluffe, mir 1005 Einw. um
6402 Defij. brauchbaren Landes.
Alle anderen Colonien haben unter 1000 Bewohner, nämlich:
Sfatunsw, auch Ieni- Kiof genannt, am Ende des Sees halpuch.
Inpuzita, am rechten Ufer des See's Jalpuch
Frikazej, am rechten Ufer des See's Kagul....9886
Die Bolgaren» Bolonien in Beflarabien. 807
Bolboka, zur Mechten des Jalpuch .. 886
Etulija, an der Mündung des Fluſſes Ragul in den Se gl. Nam, 778
Kolibaſch, am Balatfch, einem Nebenfluffe des Brut ... 738
Barta, am rechten Ufer des See's Illu - - - 2 2 2 2. 6%
Dihurfhulefhti, am linken Ufer nes Brut - - 2 2 2 2.687
Kartal, an ver Donau. . . a ;) 7 |
Anadolka, neben ver Stabt Reni oo... .. ...
Waleni, am Prut . . . Ey}:
Brinfa, auch Brindſa, am Brut oo... .. ..
Kißliza, am linken Ufer des Pru... . 867
3) Der nieder⸗ budſchaker Bezirk Hat 28 Kolonien (ver Zahl nach vie
meiften) mit 20,611 Individuen beiderlei Geſchlechts. Diefe beftchen aus:
Individuen
2384 bolgarifchen Yamilien mit . |
58 Fleinruffifchen Yamilien mit .
zufammen ans 2442 Samilien mit. | 10,615 | 9,996
Andere Völkerfchaften kommen bier nicht vor. An Areal beflgen dieſe
28 Golonien 165,155 Deſſj. 297 O.⸗Sſaſhen brauchbares und 2401 Defll.
262 O.⸗Sſaſhen unbrauchbares Land.
Die größte der Eolonien ift Pandaklija over Fundukly, feit 1830 be⸗
ſte hend, an ver Steppenfchlucht Kafan- Kuba, welche am Katlabug zur Lin»
fen deilelben mündet, mit 1046 Einw. und 4980 Deſſj. brauchbaren Landes.
Es giebt außerdem nur noch eine Golonie in dieſem Kreife, welche eine
Einwohnerzahl von mehr ald 1000 Seelen enthält, nämlih Schikirli⸗Ki⸗
taj, feit 1819, zur Linken des See's Katlabug, mit 1042 Einwohnern und
7380 Defij. brauchbaren Landes.
Alle übrigen Colonien Haben einen Einwohnerfland von unter 1000
Selen, nämlich:
Dimitrijewa, an der Steppenfchluht Wale-Bafhi . - . 970
Starostrojan, von den Bolgaren gewöhnlich Minitſchewa gran,
am oberen Ende des Sees Ki . . - . «940
Haffan»Batyr, am Fleinen Katlabug . . . 919
Sfeli-Oglu, am Fluſſe Taſchlyk, der fih in ben See Kitaf ergiefit 914
Fontino⸗Dſinilor, an der Steppenfchlucht seele), am Wege von
Akjermann nach Iamaill . - er... 898
Del’fhiler, an ver Steppenfchlucht — een. 889
Demlet-Agatich, am Bach Ai-Aga . -. een. 87
Zfferli, am Fluß AurgyfhrRitl. - - > > en nn a. 807
Tſchumlekioj, am Fleinen Kurgyſh.. 2870
Jeni-kioj, zur Linken vom See Kitaſjſſ. 86
20?
308 Miscellen:
Banowa, am großen Katlabug . . een Th
Burgupdfbi, an der Steppenfchlucht Drakui ........ 769
Kulewtſcha, am Fluſſe Adſhi⸗Der. . 758
Dül’men, auh Gülümen, an der Steppe Hajtoluj, die im
Fluſſe Kurgyſh ausläauft . . ||
Kod- Kitaj, am Fluſſe Kurgufh-Ritaf . ... . . 7172
Kamtſchik, am linken Ufer des Fluſſes Sfaräta . . . ....6
Kuparan, zur Linken des Heinen Kurgyſh.. 022020. 666
Goͤliza, am rechten Ufer des Eleinen Katlabug . . . . .. 650
Sſatalyk⸗Hadſhi, am rechten Ufer des kleinen Sata 2.68
Sapdunajewa, am Flüßchen KurgyfhsKitnf . . . - . .. 61d
Glawan, an linken Ufer des Flüßchens Ali-Aga . . . . 606
Iwanowa, am Kurgyſh-Fluſſe, gegenüber dem Auegange der Steps
venfchlucht Wale-Pearfhi . . 5%
Tropoklo, zur Nechten der Mündung ver Sfaräta” in ben See Kundut 48
Nowo⸗Karagaätſch, am Flüßchen Mahal, wilchee in den m Sie
Schahan fließt. . . |
Nowopokrowka, am Fluͤßchen Jenikioj en.
Eskipolos, zur Rechten des Sees Kundul . . . 2 2...
Endlich A) der ober⸗budſchaker Bezirk befigt 20 Eolonien mit 21,86)
Individuen beiverlei Gefchlechts. Diefe beſtehen aus:
Individnen
männl. Geſchl. ſ weibl. Befchl. beiderl. Sid!
2208 bolgarifchen Banilien mit . 9,785 9,123 18,908
291 walachiſchen Familien mit. . 4,075 1,008 2,083
97 Heinruffifchen Familien mit . 334 329 663
31 arnantifchen Familien mit. . 98 85 181
5 griechifchen Bamilien mit .. 18 16 4
zufammen aus 2722 Gamilien mit . | 11,308 | 10,561 | 21,869
An Areal beflgen dieſe 20 Colonien 137,810 Defij. 755 O.⸗Sſaſha
brauchbares und 3067 Defii- 1823 Q.-Sfafhen unbrauchbares Bund. |
Der volkreichſte Ort ift Komrat, welcher als Colonie feit 1819 m |
flirt und am rechten Ufer des Jalpuchfluffes Tiegt. Er zählt 4160 Barı-
ner (mworunter 3323 Bolgaren, 607 Walachen, 33 Kleinruffen, 164 Amar
ten und 33 Griechen) nnd befikt 20,100 Deſſj. brauchbaren Landes.
Die bevölfertiten Eolonien nächft Komrat find: |
Kirffow, von den Bolgaren auch Bafch=Fiof genannt, am rechten Ufer te
Fluſſes Ialpuch, beſtehend feit 1830, mit 1668 Einwohnern und 810
Deſſj. brauchbaren Landes;
Kafajaklija, als Golonie feit 1819, gegründet 1812 an ben Steppen⸗
fhluchten Karas Türmen und Kara⸗Tſchokrak, die in den Fluß kun
auslaufen, mit 1334 Einw. und 8702 Defij. brauchbaren Lande;
Die Bolgaren-Eolonien in Beflarabien. 309
Kongäs', als Eolonie feit 1819, gegründet im Jahre 1811 am rechten Ufer
bed Jalpuch, mit 1314 Einw. und 6540 Defif. brauchbaren Landes;
Wali-Perfbi, ald Eolonie feit 1819, an der Steppenſchlucht gleichen Nas
mens, die zum Fluſſe Kurgyſh⸗Kitaj ausläuft, mit 1310 Einw. und
7590 Deflj. brauchbaren Landes;
Disginſché, ald Eolonie feit 1819, gegründet 1812 an ver gleichnamigen
Schlucht, mit 1286 Einw. und 9120 Deffi. brauchbaren Landes;
Twardiza, feit 1830, am oberen Theile der Steppenfchlucht Kurgyſh⸗Ki⸗
taj, mit 1242 Einw. und 7208 Deffj. brauchbaren Landes;
fhadyr-Lunga, ald Golonie feit 1819, an ver Lunga, mit 1208 Ein-
wohnern und 7680 Deffj. brauchbaren Landes;
Baurtſchi, als Eolonie feit 1819, gegründet im Jahre 1812 an der Step»
penſchlucht KarasTürfmen, mit 1029 Einw. und 6420 Deſſj. brauche
baren Landes.
11 Eolonien in diefem Bezirke zählen unter 1000 iwehuer, naͤmlich:
Kirjutne, am linken Ufer des Flüßchens danguza .. . . 995
Zamajf, am rechten Ufer der Lunguza . . ern. 90
Beih-alma, am linken Ufer des Salpuchfluffes . ee... 93
Tſchok⸗majdan, an ver Stppnfhluht . - 2 2 2 0... 708
Bedgiod oder Befh=gd8, am Fluſſe Zunge . . . ...
Awdarma, am Anfang der Schlucht gleichen Namens, die dem Bette
a ne
Dajdar, an der Lunguza . . 579
Kiriet=- Lunga, an der Surppenſchlucht Kiriet, "bie zum Fluſſe Aunga
auslaͤuft 2 2 2. .. 562
Ferapontijewka, am rechten Ufer der Lunguza. 2. « 536
Bafhhfalija, an ver Schlucht alelchen Namens, die in die Lunguza
luft . . 446
Dfholtat, rechts von der Bunga an der in n diefelße nändenden Schlucht
DſholtͤůͤcͤͤſcC.4338
Faſſen wir dieſe Zahlen zufammen, fo befinden ſich in ſaͤmmtlichen 83
Bolgaren⸗Colonien Beflarabieng:
8031 Bolgaren» Familien °) mit 69,525 Individuen beiderlei Gefchlechts,
1825 Walachen- Bamilien mit 12,805 ⸗ ⸗ =
193 Kleinzufien» Familien mit 1,440 ⸗ ⸗ =
154 Arnauten »Bamilien mit 1,328 ⸗ ⸗ ⸗
und 44 Griechen⸗Familien mit 307 ⸗ = ⸗
zufammen alſo 10,247 Coloniſten⸗VFamilien mit 85,461 Individuen maͤnn⸗
lichen und weiblichen Geſchlechts.
ihite 2 Cinſchließlich der 6 bolgariſchen Zigeuner-Familien, welche 56 Ind vlduen
za
810 Miscellen:
Mit Hinzurechnung des ven Kirchen überwiefenen Landes beirdgt tus
Sefammts Areal des zu dieſen Eolonien gehörigen Landes 598,693 Deffjatinm
oder 1148,79 geogr. D,s Meilen, fo daß in den Bolgaren- Anflenlungn auf
jede Quadratmeile 719 Bewohner, und auf jede männliche Seele im Durch⸗
ſchnitte 13,57 Defljatinen Land zu rechnen ſind, mworunter 11,86 Deiljatinm
Eulturfähigen Bodens fich befinden.
J. Altmann,
Anthracitkohle in China.
In ver Sigung des Chinazweiges der Königlichen aflatifchen Geſellſchaf
am 21. März d. $. berichtete Dr. Macgowan über eine von ihm neuerliht
nach den Boheabergen in ver chineflfchen Provinz Fühkeen (Fühkin) behuf
Unterfuchung der dort in der Nahe des Neun Drachenflufies (Nine Dragon
river) gelegenen Kohlenlager unternommenen Reife. Er Hatte die Kohle von da
Natur ver Anthracitkoßle und ftellenmweife ver beften amerifanifchen Anthracitfofl
im Werthe ganz gleich gefunden, doch werbe, wie er erfuhr, bis jetzt nur wei
davon gewonnen, da nur ein geringer Begehr danach fei, ver fid jedoch IM
Vergrößerung der chinefifchen Dampffchifffahrt außerorbentlich fleigern müſt
zumal dad Product Teicht nach dem Meere verführt werben könne. Sept folk
die Tonne davon zu Amoy 44 Dollar. Deshalb empfahl auch Macgoman rn
möglichft genaue Unterfuchung ber Ausdehnung ver Lager diefer Kohle, di
von den Chineſen bisher nur zum Kalkbrennen benußt wird, da bie vallga
Eifenhütten noch Fein fo flarfes Gebläfe beiten, um ihre Erze mit Antprant
Eohle verfehmelzen zu können. Der in ver Sigung anmwefende M. Hırar
erfannte in ben Pflanzenabbrüden ded Leiten im Liegenden ver Kohle (Ur
der Clay) Abprüde eben folder Stigmarien, wie fle die entfprecheuben Shit
ten der englifchen und norbamerifanifchen Kohlenformation führen. In Ve
zug auf Macgowan's Korfchungen berichtete noch der DBorfigende, ©it John
Bowring: es fei ihm ein officielles Schreiben des Gouverneurs bon Fühln
mit einer Beſchwerde darüber zugegangen, daß neugierige Fremde in had Keh—
Ienrevier und zwar über die für Excurſionen durch die Verträge angeti
fene Grenze hinaus eingebrungen wären, unb baf ber Gouverneur bedhil
bei ihm auf Beflrafung ober wenigftens auf einen Verweis dieſer Neugktt
gen angetragen habe, eine Anzeige, die in der Verſammlung große Heiterkeit
erregte (Overland China Mail. Hongkong, 10. Juni 1855).
| Gumprecht.
Das letzte große Erpbeben in Japan. 811
Das lebte große Erdbeben in Japan.
Die dad eich Japan bildende Infelkette Tiegt in einer ungeheuren Strei-
fungslinie vulfanifcher Thätigkeit, welche im Süpen mit den Vulkanen auf
Jaya, Sumbava und ven Molnden, vielleicht ſogar ſchon mit dem Krater auf
der Infel St. Paul over Amſterdam beginnt, durch die Marianen, Bhilippi-
nen und die Lutſchugruppe fortfeßt, in den japanifchen Inſeln durch zahl:
reiche Vulkane, Thermalquellen und Schwefelablagerungen ſich Eund giebt und
endlich nörblich von Japan burch die Kurilm bis zu den großen Bulfanen
auf Kamtſchatka zu verfolgen ik. Mit viefem faſt ven ganzen Oftrand Aſiens
begleitenden Zuge vulfanifcher Punkte laͤßt ſich nur noch ein einziger auf
Erden in Bezug auf Ränge, gemeinfchaftliche Richtung von Shoen nach Nor»
den und Intenfität feiner Erfcheinungen vergleichen, nämlich der, welcher bei
nahe auf dem ganzen Weſtrande des amerifanifchen Eontinentd vom Gap
Horn bis zur Halbinfel Unalafchla fortläuft. Sieht man noch, wie bie
vulfanifche Thätigkeit von Unalaſchka aus in ven Vulkanen ver Aleuten-
Infelreibe nach Welten zu fortfeßt und endlich mit ven Bulfanen ver Beh⸗
rings⸗ und Kupfer» Infel an die Vulkane von Kamtſchatka fich anfchließt, fo
ſcheint e8 in ver That, ald wäre das ungeheure Becken des flillen Ocean
von drei Seiten durch einen ununterbrochenen Zug vulkanifcher Phänomene
umfchloffen, und man vürfte wohl nicht irren, mit 3. R. Forſter und Steffens
den Boden dieſes Dceans felbft als die Dede eines einzigen großen fubmarinen
vulfanifchen Heerdes anzufehen, vefien Rauchfänge die offenen Kratere der zer-
freuten Fleinen SüofeesInfeln bilden. In dem meftlichen Afte ded angeveuteten
großartigen vulfanifchen Gebietes erfcheint nun, wie erwähnt, bie unterirbifche
Thatigkeit auf den Japanifchen Infeln durch eine große Zahl mächtiger Vulkane
(Leop. v. Buch führte im I. 1825 14 allein mit Namen auf; Phyftkalifche
Befchreibung der canarifchen Infeln S. 319— 382), von Thermalquellen,
Schwefelablagerungen und Erdbeben vertreten, und nicht mit Unrecht fagte
ſchon ber eben genannte Naturforfcher, daß Japan, wie Duito, Java, Gilolo
und Lucon, ein Hauptſitz vulfanifcher Wirkungen fei. Beſonders ift von den In⸗
feln dieſes Reiches die nörbliche und größte derfelben, Jeſſo, reich an Vulkanen,
faft alle aber find fo häufigen Erdbeben audgefegt, daß nach dem Ausfpruch des
Jeſuiten Charlevoir (Histoire et descript. gener. du Japon. Paris 1736.
J, 11), fein anderes Rand befannt fei, welches fo viele Erdbeben habe; durch
vie Häufigkeit derfelben wäre die Bevölferung aber fo daran gewöhnt, daß fle
nicht Darauf achte, wenn auch die Phänonene mitunter von ber größten Heftig-
feit feien, daß ganze Städte umgemworfen und vie Ginwohner unter den Trum⸗
mern begraben würden. So wurde 3.8. im I. 1703 nach Charlevoir bie
auf der größten Infel Nipon oder Niphon gelegene Hauptſtadt des Meiches
und Meflvenz des Beherrfchers, Jeddo, durch ein gemwaltiges Erdbeben zerftört,
fo daß 200,000 Menfchen dadurch zu Grunde gingen (a. a. O. ©. 12),
312 Miscellen:
Kämpfer’, Thalberg's, Tſitſing's, v. Siebold's und der neueren Seefahrer An:
gaben flimmen in der Hinficht mit Charlevoix vollkommen überein. Das am 13.
December des vorigen und im Januar dieſes Jahres auf Niphon flattgefundene
große Erpbeben ift nun ein neuer Beweis, wie wenig in ver oftaflatifchen Zow
die Intenfltät der vulkaniſchen Thätigkeit in neuerer Zeit abgenommen bat, wenn
gleich, wie ein Bericht ausdrucklich erwähnt, bie japanifchen Vulkane währen
des angegebenen Ereigniffe gerade Feine beſonderen Phänomene kund gaben,
wogegen in ben amerikanischen Afte die Beobachtungen in Mexico (Pieſchel
in der Zeitfchrift TV, 380— 381) und Peru übereinflinmenn eine Abnahme
der vulfanifchen Thaͤtigkeit zu erweifen fcheinen. Ueber das legte große Eid⸗
beben in Japan geben zwei Nummern, die vom 8. und 17. März d. I. ver u
Schanghai in Ehina erfcheinenden englifchen Zeitung The North China He
rald umftändlichen Bericht. Ihr Inhalt wird durch ein Schreiben des für
die naturhiftorifche Kenntnig des öftlichen China fo firebfamen Dr. 3. Nur
gowan (Zeitfchrift I, 233) aus Macao vom 13. April an Gern A. v. Hum⸗
boldt vollkommen beftätigt. Die im Folgenden uns geftattete Mittheilung
beider Berichte verdankt die Zeitfchrift ver Güte des Herrn v. Humbolbt. In
biefen Berichten ift beſonders ein ſtattgefundenes Ereigniß von hohem Intrrefl,
nämlich die in Folge des Erdbebens dauernd eingetretene beträchtliche He⸗
bung des Erdbodens, weil dadurch die Hebungstheorie der neueren Geognoſten
mit einer neuen Stüße bereichert und ein Seitenſtück zu ben bei bem großem
Erdbeben an der chilenifchen Küfte im Jahre 1822 flattgefundenen Hebungen,
an deren Michtigfeit man anfänglich fo vielfach zweifelte, erlangt wird. Da}
in den Jahren 1795 und 1814 bei Unalaſchka flattgefundene Emportretm
Heiner Infeln aus dem Meeresgrunve kann endlich auch als eine Erſcheinung
derſelben Art gelten, Gumprecht.
1.
Auszug aus einem Schreiben eines nordamerikaniſchen Ser
Dffiziers am Bord des Dampfers „Powhatan“ in der Nuͤn—
bung des Dans«tzefiang, vom 2. März 1855 °).
„Bir fegelten am lebten Donnerflag (vor einer Woche) von Sims
und Hofften in 5 Tagen Ueberfahrt in Schanghai eintreffen zu Fönnen; abet
wir hatten kaum den Hafen von Simoda verlaffen, fo überfiel und ein hefü⸗
ger Sturmwind, der einen großen Aufwand von Kohlen nöthig machte, um
ihm Wiverftand zu leiſten. Nachdem ſich dieſer Sturm gelegt hatte, erhed
fih ein zweiter viel laͤnger anhaltenver, und endlich nach einer Paufe trat
fogar ein dritter ein, ver noch heftiger war, als bie beiven erſten zuſammenge⸗
’) Der Commandeur des Dampfers war mit ber Auswechfelung beö zwiſ hen
den Vereinigten Staaten und Japan abgeſchloſſenen Tractats beauftragt; die Aut
wechjelung erfolgte am 21. Februar.
Das letzte große Erdbeben in Japan. 313
nommen, fo daß fih dad Schiff Faum noch flott erhalten Eonnte. Niemals
babe ich je zuvor auf der See etwas Aehnliches wahrgenommen.
Die Infel Niphon, auf welcher Simoda liegt *), erlitt am 23. December
1854 ein furchtbares Erdbeben. Die Stadt Obofara, eine ver größten bed
japanifchen Reiches, wurde völlig vermüftet. Jeddo Litt viel, aber noch mehr
furz darauf durch einen großen Brand. Die Stadt Simoda war bei unferer
Ankunft zu einer völligen Wüftenei geworben. Nach dem Erdſtoße erhob fich
dad Meer und überflrömte die ganze Stadt; dann ftrömte es in einer Tiefe
von 6 Fuß, den ganzen Boden bedeckend, eben fo gewaltiam zurüd zum Deere
und riß Häufer, Brüden, Tempel und Alles mit fi} fort. Fünfmal wäh-
rend bed Tages wiederholte fich dieſes fürchterliche Fluthen und verwanbelte
die ganze Gegend weit und breit in eine Einoͤde. Die größten im Hafen lies
genden Djunken wurven über die höchfte Waflermarfe, 1 bis 2 Meilen weit
auf daB trodene Land verjebt. Zum Glück Eonnten noch viele der Stabtbes
wohner fich bei anbringenver Fluth auf die nahe liegenden Berge retten, aber
über 200 verloren durch Ertrinken ihr Reben. Die ruſſiſche Sregatte „ Diana“
mit 50 Kanonen, unter dem Viceadmiral PButiatin, der fich felbft am Bord
befand, war im Hafen von Simoda noch mit der Ausfertigung des von ver
ruffifchen Negierung mit der japanischen abgefchloffenen Tractates befchäftigt.
Unmittelbar nach dem erften Erpbebenftoß Fam die Waflermafle des Hafens
in folche Convulſionen, Fluthungen und Wirbel, daß in Zeit yon 30 Minus
ten bie Fregatte 43 Mal völlig um fich felbfi herumgedreht wurde, und daß
fih ihre Taue und Ketten in Knoten verwidelten. Die Bewegung war fo
reißend ſchnell, daß fich Feiner der Schiffsmannſchaft auf ven Beinen erhalten
konnte, und daß Alle in Taumel und Schwindel geriethen.
Nach den Zurücdweichen ver Fluth blieb die Bregatte, welche gewöhn⸗
Lich 21 Fuß tief in das Wafler ging, bei 8 Fuß Waſſertiefe ſtehen. Als vie
Fluth wieder heranftrömte, flieg fie zwar 30 Fuß über ihre gemöhnliche Höhe,
aber als viefelbe nochmald zurüdwich, blieben ver Fregatte nur noch 4 Buß
Waſſer übrig, fo daß man vie Ankerhafen über dem Wafler hervorragen fa.
So gewaltig war die Hebung des Bodens in der Bai, daß die Vregatte, ob-
wohl nur 4 Fuß im Wafler ſtehend, doch von ihren Ankern Ioögeriffen und
fortgetrieben wurbe, Die Offiziere des Schiffed dachten jeden Augenblid, es
werbe fich der Boden der Bai ſelbſt als ein Feuerſchlund öffnen und fie ver-
Schlingen. Als das Schiff wieber flottirte, ſah man den losgerifſenen Kiel
und dad Steuerruber neben dem Schiffe ſchwimmen, welches fich fogleich mit
Waſſer fühlte. Noch fuchte man daſſelbe durch allerlei Hilfsmittel flott zu
erhalten, und zog ed am folgenden Tage, nachdem dad Meer ruhig geworben
war, in ein tiefered Waller der Bai. Zwar fühlte man noch einige Stöße,
viefelben brachten jedoch keinen weiteren Schaben.
3) Weber Simoda ſ. Zeitfchrift II, 500— 501; IV, 231, 235 u. f. w.
314 Miöcellen:
Weil der Hafen von Simoda zur Reparatur des Schiffes untauglich
war, bugfirte man daſſelbe mit 100 vorgefpannten japanifchen Booten in
eine andere, 7 Meilen davon entfernte Bai. Als aber bier ein Sturm die
Bregatte überfiel, fanf fle ganz unter Wafler; das Leben ver Mannjchaft und
der Offiziere wurde zwar in den japanifchen Booten gerettet, aber nichts
von der Ladung des Schiffes, fo daß die Mannfchaft nur das, was fie auf
dem Leibe trug, mit an das Land brachte. Nur das Leben eines einzigen
Matrofen, ver feinen Tod zwifchen zwei Kanonen, zwilchen welchen er einge
Flenımt war, fand, ging dabei verloren.“
2.
Auszug aus dem Logbuche der Bregatte „ Diana”.
„Ohne jedes vorbergegangene Anzeichen fpürte man ven erſten Erdbeben⸗
ſtoß 4 nach 9 Uhr auf dem Verdeck des Schiffes und in der Kajüte fehr
beftig; er hielt 2 bis 3 Minuten an. Um 10 Uhr rollte eine große Woge
in die Bai, in welcher die Sregatte vor Anfer lag, und in wenigen Minuten
lag die ganze Stadt mit Käufern und Tempeln im Wafler; die vielem vor
Anker liegenden Schiffe ſah man nach allen Richtungen hinfluthen, an einander
ftoßen und in Folge des Stoßes in Trümmer fallen und finfen. Nur 5 Ri:
nuten fpäter beobachtete man, wie dad ganze Seewafler der Bai ſich eiporhob
und Fochte, gleich ald wenn es durch tauſend Quellen emporgetrieben würbe,
indem ed mit Schlamm, Lehm, Stroh und anderem Material aller Art ges
mengt war, dann wie ed mit furchtbarer Gewalt zurüditrömte und Stadt und
Land und alle Schiffe vollends vernichtete. Unfere Mannfchaft mußte die
Kanonenlöcher ſichern, da das Waſſer mit Balken, Dächern und Trümmern
aller Art umberwogte. Die Fregatte riß fih + auf 11 Uhr von ihrem Anfer
108. Sofort wurde der zweite Anker berabgelafien, dennoch fam das Schiff
in eine wirbelnde Bewegung, und es wurde gezwungen, feine Stelle zu
verlaffen, ald das Wafler mit größerer Geſchwindigkeit, als zuvor, herbeifam.
Die ganze Stadt war ein einziger Schauplatz ver Verwüſtung, von etwa
1000 SHäufern fanden nur 17 noch aufrecht. Dicke Dunftwolfen Tagerten
um diefe Zeit auf der Stadt, und die Luft war erfüllt mit Schwefeldünften.
Das plögliche Steigen und Ballen des Waſſers in der engen Bai gab zur
Bildung zahlreicher Wirbel Veranlaffung, wodurch die Sregatte in eine fo
drehende Bewegung kam, daß am Bord Alles fchwinnlich murde. Um 10!
Uhr wurde durch die furdhtbaren Wirbelftrömungen eine Djunfe gegen die
Fregaite gefchleudert und verfanf fogleich in Splitter; nur zwei Mann, denen
man Stride guwarf, Fonnten gerettet werben, die übrigen fanden, in die Ka⸗
jüte zufammengevrängt, den Tod. Nun wurde die Fregatte felbft im Wirbel
mit fortgeriffen, doch erhielt ſie ſich während der Ad maligen Umbrehung fern
von den umliegenden Klippen, an welchen fie fonft, angefchleuvert, zertrümmert
worden wäre. Aber bie erlittenen Stöße hatten die Kanonen von ihrer Stelle
Das letzte große Erdbeben in Japan. 315
gerüdt, einen Mann zerqueticht und andere verwundet. Bis zur Mittagd-
ſtunde hörte Das Steigen und Ballen des Waſſers in der Bai nicht auf, fo
daß die Höhe veflelben von weniger ald 8 bis 40 Fuß wechſelte. Gegen
2 Uhr wiederholten fi die Emporhebungen des Seebodens fo ſtark, daß bie
Fregatte dadurch mehrmals auf die Seite gelegt wurbe, und man bei einer
Tiefe von nur 4 Buß die Anker zu fehen bekam. Nun erft berubigte fich
das Meer; die Fregatte brauchte vier volle Stunden, um fich aus den Vers
fchlingungen ihrer Taue und Anferkeiten beraudzuminden. Die Bai war voll
Ruinen.
Am 13. Januar konnte man erſt die Erlaubniß vom japaniſchen Gou⸗
vernement erhalten, in eine andere Bai zur Reparatur überzuſchiffen. 100
Djunken wurden vom Gouvernement beorbert, der Fregatte beizuftchen. Glück⸗
licher Welle waren bie Kranken und Verwundeten fammt ver Mannfchaft in
den Booten, ald die Japaneſen, durch eine Eleine weißliche Wolke vor einem
herannahenden Sturme gewarnt, bie Taue abjchnitten und nad) dem Lande
davoneilten. Hätten ſie länger verweilt, fo wäre Alles vom Sturme vernich-
tet worden. Die Fregatte verfant unmittelbar darauf in die Meerestiefe.
Die Umgebung der Bai zeigte überall Spuren häufiger Erdbeben! Es
fhien mir, als müſſe ein untermeerifcher Feuer⸗Canal, der mit dem Vulcan
der Infel Ohoſima in directer Verbindung fteht, unter Der Bai von Simoda
weggehen und biefe Bewegungen in der Richtung von Suͤdweſten nad) Nord⸗
often, wie fie Hier vorberrfchenn fein follen, veranlafien. In allen Schichten
der umliegenden Felſen fleht man Schwefelmafien abgefebt.
Aber auch die ganze Infel Niphon Titt von vemfelben Erdbeben. In
Jeddo ſelbſt wurden mehrere Häufer niebergemorfen. Zu Ranagawa, wo ber
erfte Handeldtractat der Japaneſen mit den Vereinsſtaaten von Norpamerifa
am 31. März 1854 in 12 Artikeln abgefchloflen wurbe, war eine ganze
Mauer umgeworfen. In Oſaka litt man durch Erpbeben und Feuersbrunſt
zugleich; ganze Felsmaſſen ftürzten herab und zerfehmetterten Hänfer mit ih⸗
ren Bewohnern. Die Stadt Stmoba, welche für den Hauptmarkt der Ame⸗
tifaner im Tractat beflimmt war, wird nicht leicht wieder zu einem Marktorte
ſich eignen, fowie die anliegende Bai eine fo völlig veränderte Bodenlage er-
halten hat, daß auch fie fchwerlich den Bedürfniſſen amerifanifcher Schifffahrt
wird entfprechen Tonnen. Man wirb deshalb zu neuen Tractaten fchreiten
müſſen.“
Die Despotie des japaniſchen Gouverneurs der Stadt Simoda, fügt der
Meferent Mir. Lobſchied feinem Berichte über das Erdbeben Hinzu, vermehrte
noch das Leiden der unglüdlichen Bewohner des Ortes, indem er ihnen, die
in ihren Lumpen kaum das Leben gerettet Hatten, bei Tobeöftrafe verbot, vor
Ablauf von drei Tagen auch nur das Geringfte aus den Trümmern ihrer
Wohnungen zu berühren und zu retten. Da es fehr Falt und naß war, irr⸗
ten dieſe Armen fo lange in Nadtheit, Hunger und Froſt umher, bis ihnen
316 Miscellen:
endlich nach 3 Tagen und 3 Nächten erlaubt wurde, dad etwa noch Vorhan⸗
dene aus ihren zertrümmerten Wohnftätten zu holen. Doch follen nach fpä=
teren officielen Angaben nur 90 Menfchen bei dem Erbbeben in Simoba ihr
Leben verloren haben.
Dr. Macgowan fügt dieſen Berichten in einem Schreiben an Herrn
v. Humboldt die Bemerkung hinzu, daß feit 70 Jahren Kein gleich heftiges
Erdbeben in viefen Gegenden gefpürt worden fei, und zugleich daß auffallen-
der Weife auch Feiner ver vielen japanifchen Bulfane dabei einen Ausbruch ge=
zeigt Habe. C. Ritter.
Borftehende Nachrichten über das Erdbeben in Japan erhalten noch durch
einige Notizen in einer fpäter durch pie Glite des Herrn A. v. Humboldt ung zu⸗
gegangenen Nummer ver fchon erwähnten Hongkong⸗Zeitung Overland China
Mail vom 10. Juni einige Ergänzungen. Diefelben finden fich in einem Ber
richte Dr. Macgowan's, welchen verfelbe am Tage zuvor in ver Sikung ber
aftatifchen Geſellſchaft zu Hongkong gelefen und urfprünglidh für Herrn von
Humboldt beftimmt Hatte. Der Verfaſſer bemerkte in feinem Vortrage, daß
bie Phänomene des Erdbebens große Aehnlichkeit mit denen des großen am
1. November 1755 zu Liffabon flattgefundenen gehabt Hätten, indem daſſelbe
gleichfalls von einer Erhebung ver Binnenwaſſer zu Chihkiang in China und
von einem außerorventlichen Zurüdweichen und darauf folgenden Steigen des
Meeres an den Bonin⸗Inſeln begleitet gewefen fei, gerade wie man zur Zeit
ver lifjaboner Erverfchütterung die Erhebung fchottifcher See'n und ein wunder»
bares Steigen des Meermaflerd bei Madeira beobachtete. Ebenſo Hätte im
3. 1854 das Steigen und Sinken einer sulfanifchen Infel bei Formoſa nebft
Staubfällen im Bereiche der chineftfchen See flattgefunden, doch fei es nicht
ficher, ob dieſe Phänomene vulfanifcher oder organifcher Natur geweien wäs
ren, enblih babe man eine hohe Temperatur der Strömungen bei Formoſa
bemerkt, jowie auch bie bei ven Chineſen unter dem Namen ber „weißen
Haare” bekannte und in ihrem Lande ven Erdbeben öfters folgende und
durch den Contact entweichender Dämpfe und fchwefelicher Säure (emission
of vapours and sulphuric acid) mit atmofphärifcher Luft angeblich gebildete
Erjcheinung damals nicht fehlte.
Gumprecht.
Barth’ Rückkehr nach Europa und Vogel’d Arbeiten in Central⸗Afrika. 317
Barth's Rückkehr nah Europa und Vogel’8 Arbeiten im
nördlichen Gentral- Afrika.
Seit dem 7. December v. 3., wo Dr. Vogel einem nah Ghadãmes
gehenden Courier einige mit Bleiſtift gefchriebene Zeilen mitgab, um Kunde
von feinem und Barth's Befinden nach Europa gelangen zu Iafien (Beitfchr.
IV, 407), Hatte e8 und an jever Nachricht über das Schickſal diefer Reiſenden
gefehlt und, wenn nicht in der Zwifchenzeit in Tripolitanien der Aufftand ges
gen die türkifche Herrſchaft ausgebrochen wäre, welcher eine Unterbrechung
der Communication erflärlich machte, fo hätte in ver That das lange Aus⸗
bleiben jeder Mittbeilung von Seiten ver beiden Korfcher Raum zu Beſorg⸗
niffen geben Fünnen. Solche Befürchtungen find nun glücklicher Weife ganz»
lich befeitigt, indem in ven legten Tagen Barth glüdlich und mohlbehalten
in Europa angelangt if. Am 8, September, Morgens 11 Uhr, traf der
treffliche Reiſende zu Marfeille ein, und fo dürften nun zur aufrichtigen
Breube aller Derer in der ganzen civilifirten Welt, vie feinen großartigen Unter»
nehmungen 54 Jahre hindurch mit Spannung gefolgt find, die Worte wahr
werben, mit denen ich die Skizze feines Lebens und Wirkens beſchloß ( Zeit-
fehrift IV, 89), als ſich vie Nachricht von feinem Tode unter Umſtaͤnden
verbreitet hatte, die kaum an ihrer Wahrheit Zweifel Iafien Eonnten, obgleich
eben dieſe Umftände fi ohne Ausnahme fpäter in ver erfreulichften Weife
als irrthümlich erwiefen. Bei unferes Forſchers raftlofer Thaͤtigkeit laͤßt
fih wohl mit Grund erwarten, daß, fobald nur feine Geſundheit ihm
die Arbeit erlaubt, wir nicht ange auf eine Kenntniß der Ausbeute feiner
Unterfuchungen werden zu warten haben. Nur drei Tage fpäter, fihon am
11. September, ging bei Seren A. Petermann ein von Barth noch auf ver
Nüdreife zu Murzuf am 20. Juli d. 3. gefchriebener Brief ein, veflen Ver⸗
dffentlichung wir Herrn Petermann verbanfen, und der auch von Vogel's
Wohlbefinden und feinen Urbeiten die wünfchenswertbefte Kunde bringt. Das
nach war biefer Neifende im Süden von Bornu bis zu der noch von keinem
Europäer biöher betretenen großen Fellanſtadt Jacoba (Vacöba), deren Nas
men man bisher häufig, aber irrig, der Landſchaft Bofchi (Geographie von
Afrika S. 299— 300), wovon Jaröba nur die Hauptflabt bilder, beigelegt
hatte, vorgedrungen und Hatte deren genauere Lage beflimnt. Bon da gebachte
derfelbe feinen Weg durch Adamãua bis Tibati und Baja fortzufegen, zwei Orts
fchaften, die Barth} zuerft erkundet hatte, und die fich auf Herrn Betermann’s
großen Karte von Eentral= Afrika zwifchen dem 6. und 7. Grabe noͤrdl. Breite
und zugleich zwifchen dem oberen Benué und deſſen von Suͤden kommendem
großen Zufluffe, vem Faro, niedergelegt finven, in Adamãua den Hohen Berg
Alantifa zu befleigen und enblich ſich norböftlich wendend von da aus zu
verfuchen, nach dem großen Heiche Naval (Warai oder Sala [Dar Sala])
318 Miöcellen:
zu gelangen. Gelingt viefer Zug, fo wird dadurch einer ber intereflanteflen
Theile des centralm Nord⸗Afrika's aufgefchloffen, intem der füblidh von
Adamãua's Hauptſtadt Dola gelegene Alantika, über vefien Eriftenz Barth
gleichfalls vie erſte Kunde gab, eine fehr bedeutende Höhe erreicht, welche
Barth auf etwa 8— 10,000 Fuß ſchaͤtzt. Barth, der den Alantifa von Yola
aus gefehen haben muß, berichtet, daß man ihm denſelben als vulfaniich
gefchilvert Habe, und daß warme Quellen an ihm beſtimmt zu Tage träten
(Berl. Monatöberichte, N. 3. IX, 359). Vogel's Beltimmung der Lage von
Sacöba weicht nun von den bisher angenommenen nicht fehr beveutenb ab.
Während nämlich Denham's Karte viefelbe im 3. 1826 genau in den 10° nörtl.
Br. und in 10° 15’ öfll. &. Gr. verfehte, fand fie Vogel in 10° 17’ 30”
ndrdl. Br. und in 9° 28’ 0” öftl. 2. von Greenw. Aus der und gewordenen
Nachricht fcheint endlich noch hervorzugehen, wie Herr Petermann ſchließlich
bemerkt, daß Vogel feine Rückkehr nach Europa aufgefchoben hat und daß
er zunächft, wie anfänglich fchon von ihm beabſichtigt war, verfuchen will,
bie öftlich vom Tſad gelegenen Lanpfchaften zum Schauplage feiner Iharig-
feit zu machen. Gelingt ihm dies, fo dürfte er vielleicht Gelegenheit finden,
mit der aller 2 Jahre von Uabai nach Benghazi, ver befannten Scehanbele-
ſtadt in der alten Eyrenaica, gehenden fehr großen Karavane einen ficherern
Rückweg einzufchlagen, als ven gefährlichen von Uavai ofhrärtd über Dar
Fur nad) Kordofan, und fo unfere Kunde des centralen Nord - Afrifa mit ver
Kenntnif des wichtigen Landes des Tibbovolkes zu vermehren. Diefe Wahl
würbe in ver That einen glüdlichen Erfolg verfprechen, weil die Karavane von
Uadã nad) Benghazi unter dem fpeciellen Schupe des Beherrfcherd von Hapai
fteht, und weil fich dieſer Fürſt felbft in fleter Hanvelöverbindung mit den zu
Benghazi wohnenden europäifchen Kaufleuten befindet, e8 ihm alfo nur von
Intereffe fein kann, einem Europäer ein fichereö Geleit bis an die Küfte zu ver-
fchaffen. Auch ſcheint ver tripolitanifche Aufſtand fich nicht bi zur Cyrenaica
verbreitet zu Haben, fo daß auch in der Hinficht unfer Forſcher Feine Hinder⸗
niffe finden bürfte, feine Heimreiſe glüdlich zu vollenden.
Gumprecht.
Das Bergſyſtem des Staates New-York.
Nach feiner natürlichen Gintheilung und Topographie von Brof. F. Emmons ').
Den Staat Nem= Dorf durchziehen zwei große Thäler; das erfle um
längfte iſt das des Hudſonoͤſtromes, welches fich, genau genommen, durch tie
') Aus der Geograplical and commercial Gazette. New York. No. 1. Jı-
nuar 18505.
Das Vergſyſtem des Staates Neav- Dorf. 319
ganze Länge ded Staates von Norden nach Süden erfiredit und bie Vertie⸗
fung einfchließt, worin der Champlainfee liegt. Daflelbe wäre deshalb eigent-
lich das vereinigte Hubfon= und Champlain=- Thal zu nennen. Das zweite
it Das Thal des Mohamffluffes, welches im Often oder eigentlich mehr noch
im Norden des mittleren Theils jenes erften Thales endet, und von dem man
annehmen kann, daß es fich weftlich nach dem Thal der großen See'n und durch
die Bertiefung, welche den See Oneida und ven Fluß Oswego enthält, hin⸗
zieht. Der Staat New⸗Nork zerfällt alfo durch dieſe beiden großen Thäler
feiner natürlichen Eintheilung nach in rei Abtheilungen von ungleicher Größe,
eine öftliche, nörbliche und ſüdliche.
Die öftlihe Abtheilung ift ein langer, fchmaler, von dem Hochlande
der Graffchaft Butnam bis zur Spite des Champlain⸗See's geftrediter Gür-
tel, deſſen weftliche Ränder die Grenzen von Eonnerticut, Maſſachuſets und
Bermont bilden, und der von dieſen Raͤndern ziemlich regelmäßig gegen den
Hudfon abfällt, aber ver Länge nach von langen fchmalen Thälern durchzo⸗
gen wird, deren Streichungslinie im Wefentlichen nach Norden und zwar
parallel der Hauptkette der grümen Berge von Bermont geht. Diefe Abthei⸗
lung enthält den weſtlichen Abhang der an ven dftlichen Raͤndern der Graf⸗
ſchaft Columbia gelegenen Taghbkanice Berge, welche die Waſſerſcheide zwis
fchen den weſtlich in den Hudſon fich ergießenden und ven ſüdlich in den
Long Island⸗Sund mündenden, endlich auch der im Süden dieſer Inſel bis
zur Stadt New⸗York vorkommenden Gewäffer bilden.
Die nördliche Abtheilung oder der nörblich vom Mohawk gelegene
Theil des Staates enthält einen Verein von Bildungen, die von denen am
weſtlichen Abhange ver Taghkanicherge ganz verfchieden find, indeſſen wird Die
Darftellung fehr vereinfacht, wenn man fich diefen Theil von New⸗Mork als von
einem einzigen großen Zuge von Bergen und Hochländern (highlands) durch⸗
zogen denft. Es würde ver Zug dann bei Little⸗Falls im Thale des Mohawk
beginnen, fi in einer nordoͤſtlichen Richtung durch dad Land Hindurch bis
Zrembleaus Boint in ver Nähe von Port Kent, Graffchaft Efier am Cham⸗
plain= See, verfolgen laffen und als eine einzige große Erhebung gelten Fön
nen, wovon ein Theil bis zu der böchften Höhe in ver Nachbarfchaft von
Mount March anfleigt. Der Abfall ginge Demnach nach den großen, viefen
Theil ded Staated begrenzenden Thälern bin. Freilich genau genommen: ift
dieſe Auffaffung nicht ganz richtig, indem fich mehrere parallel laufende
Bergreihen, wenn man auf einige zwifchenliegende Felshöcker Fein beſonderes
Gewicht legt, unterfcheiden laſſen. Die einzelnen Bergreihen wollen wir num
befchreiben, indem wir mit ven öftlichften beginnen.
Die erfte Reihe iſt als eine folche zu betrachten, bie fich in ber Graf⸗
[haft Saratoga erhebt; ihr Anfang liegt Bier in ver Nähe von Wilton und
wenige Meilen nörblich vom Bade Saratoga, worauf fe einen norböftlichen
Weg Durch die den George See vom EChamplain» See trennende Landzunge
320 Miscellen:
verfolgt und zulegt an dem Seeufer fünlich von Ticonderoga bei Mount Te:
fiance endet. Raub und fteil wird ſie erfl, wenn ver Hudſon in der Nach⸗
barſchaft von Morenu fte durchbrochen Hat. Wo file zwifchen ven beiden
See'n eingefchloffen ift, flürzt fle nach beiden Seiten fleil in die Tiefe, und das
Terrain nimmt einen rauhen und unebenen Charakter an. Sie führt den
Namen der Palmertown⸗Reihe; ver zwifchen beiden See'n gelegene Theil ver:
felben Heißt jenoch zuweilen Blad- Mountains oder die Tongues Mountains.
Die zweite Reihe erhebt fich in dem norböftlichen Theile der Grafſchaft
Montgomerry und folgt einer mit der erften parallelen Richtung, indem fie
durch die Grafichaften Saratoga und Warren, dem weftlichen Ufer des See's
George entlang, fortfeßt; bei Ticonderoga endet fie. Ihre Breite beträgt un⸗
gefähr 6 engl. Meilen, ihre Länge nicht viel weniger, ald 60. Der franzö-
fifche Berg Liegt zwiſchen beiden Bergreihen und ift ungefähr 6 engl. Meilm
lang. Gewöhnlich führt dieſe zweite Kette den Namen Kavaberofferas, zu-
weilen beißt fie aber auch die der grünen oder Rucernefelnberge; fie wirb in
der Nichtung der Graffchaften Warren und Saratoga durch den Hudion
durchbrochen, und zwingt den Fluß Sacandaga, um ihren Zuß herum eine
norböftliche Nichtung einzufchlagen und fich bei Hadley mit dem Hudſon etwa
5 oder 6 Meilen oberhalb des romantifchen Waſſerfalls gleichen Namens zu
vereinigen.
Die dritte Reihe erhebt ſich in Mayſteld oder doch in dem nörblich von
Johnston gelegenen Theile des Landes und zieht ſich durch den öftlichen
Theil von Hope, Athol, Chefter und Schroon, worauf fie am Champlain⸗
See in der Nähe von Eromn» Point und Port Henry endet. Cranes Moun⸗
tain in Athol und Pharaoh in Schroon bilden bemerkenswerthe Höhen in
derſelben.
Die vierte Reihe ſteigt aus dem Mohawkthale in der Nähe oder zu Balatine
ſelbſt auf und verfolgt eine mit der vorhergehenden gleiche Richtung; ſie ziekt
durch den weftlichen Theil von Hope oder zwifchen Hope und dem See Plea⸗ |
fant, ferner durch den meftlichen Theil von Schroon und Moriah und endet
endlich an dem See bei Willdborough. Es ift dies ein hoher und iniponi⸗
render Höhenzug, deſſen höchfter Theil ſich weftlich von Pondsville in ver Starı
Moriah befindet '). Dix's Pit erhebt fich etwas weiter ndrblih und län
ſich am beften von Johnſon's am Elearpond aus erbliden; er bildet die Höchite
Spite ded Zuges überhaupt.
Der fünfte und bedeutendſte Höhenzug nörklich vom Mohawk kann zer
Elinton» Zug genannt werben, der fchon als bei Little Falls beginnend und ber
Trembleaus Point endend erwähnt wurde. Wo verfelbe feine größte Höbe
erreicht, finden fich viele hohe, in bemerfenswerthe, wie Abirontadl-Grurr:
1) Its most celerated portion is to the west of Pondsville ın the town ı
Moriab, fagt Emmons woͤrtlich.
Das Bergfuften im Staate New Dorf. 921
genannte Berggruppe zufammentretende Pics. Die Elintonreibe ift die wirk⸗
liche Waſſerſcheide dieſes Theils des Staates; fle trennt die Waffer des Hubs
fons, d. 5. die füblich in das atlantifche Meer fliegenden, von denen, welche
nörblich in den Lorenzgolf fich ergießen.
Weſtlich von der Clintonfette befindet ſich noch eine weniger deutliche,
weniger in ihrem Zuge regelmäßige und weniger vollfommen bezeichnete Berg⸗
reihe, die fich befonverd in ihren fünlichen und mittleren Theilen längs dem
weftlichen oder St. Lorenz» Abhang Hinzieht und deren nörblicher Theil fich
durch vereinzelte Pics oder Berggruppen außzeichnet. Sie endet einige Mei⸗
Ien nörblich von der canadiſchen Reihe und bildet ven närblichen Abhang bes
Landes; zu ihr gehören vie Hügel von Ellenburgh und Chateaugay. Nörd-
Iich folgt ſodann die Ebene Nieder⸗Canada's, und man erblidt von ihrem
Abfalle vollkommen viefe ebene und durchaus flache Gegend zwifchen dem His
chelieu⸗ und St. Lorenzfirome. Die Hauptberge des nörblichen Theiles biejes
Zuges find Mount Seward in der Grafſchaft Franklin und Lyon Mountain
in der Grafſchaft Glinton. Der erfigenannte Berg ift ver hoͤchſte Theil einer
deutlichen Berggruppe, welche, wenn man ven Long Lake binabfährt, fehr bes
deutend bervortritt. Der fürliche Theil viefer wichtigen Bergkette zeichnet ſich
Dagegen durch ein Querthal aus, worin jich die Bultonfee'n» Kette befindet,
und welches ein bequemes Terrain für einen Weg von dem Thal des ſchwar⸗
zen Fluſſes nach dem Tafellanne von Racket und Long Lakes und von hier
weiter nach dem Hudſonfluß oder dem Champlainfee darbietet.
Gehen wir dann zu der ſüdlichen Abtheilung des Staates zwifchen dem
Dntariofee und PBennfylvanien über und Taffen vie Fleinen Unregelmäßigfeiten,
ſowie wellenförmige Erhebungen ver Oberfläche unbeachtet, fo koͤnnen wir bad
ganze Territorium zwifchen dem See und der Grenze ded Staats als allmaͤh⸗
lig anſteigend betrachten, bid e8 dad Marimum feiner Höhe in dem fünlichften
Theile der Graffchaften erreicht. Won einer wirklichen, viefe Abtheilung des
Staates vurchziehenden Bergkette können wir aber Hier nicht fpreihen, indem
Die Vertiefungen der Oberfläche des Terrains allein durch vie Zerftörung ber
weichen und leicht zerftörbaren Schieferletten und Sandfteine entſtanden find,
oder mit anderen Worten, die Thäler, worin dieſe zahlreichen Seen Tiegen
und durch welche der Fluß feinen Lauf nimmt, find Eroflonsthäler, deren
Mehrzahl fich nach Norden dffnet. Die öftlichen und weſtlichen Wege, d. h.
diejenigen, welche quer auf vie Thäler flogen, find hiernach bergig, oft fteil
und verleihen ver Landſchaft ven Charakter eines Gebirgslandes.
Wenden wir uns zulekt dem füböftlichen Abfchnitte dieſes Theiles des
Staated zu, fo finden wir den Character feiner Terrainverhältniffe wieder ſehr
verfchienen von dem im Weſten, indem wir Hier deutlich drei Bergzüge untere
fcheiven Tönnen: 1) die Hochlänver der Graffchaften Orange und Putnam,
2) den Shawangunf mit einer regelmäßigen Kette, ebenfalls einer norböfllis
hen Richtung folgend und das Thal von Rondout begrenzend, envlich 3) bie
Zeitiche. f. allg. Erdkunde. Bd. V. 21
322 Miscellen:
Catskills, deren Richtung nach Nordweſt oder nach dem Thale des Mohanf
geht, und deren Fortiegung die Grafichaften Albany und Schoharie berührt.
In dieſer Verlängerung treten vie Helverberg» Berge auf, vie, ald ein Gans
368 betrachtet, einen der intereflanteften topographifchen Umriſſe des Staates
bilden ).
Aus diefem, wenngleich Eurzen und noch unvollftändigen Berichte ergiebt
ſich alfo, daß drei verfchievene Bergfpfteme den Staat New» Dorf durchſchnei⸗
den, nämlich: 1) das norböftliche in Nord⸗, wie in Süd-New-Morf, 2) das
Nordſyſtem im öftlichen Nem»Mork und 3) dad nordweſtliche Syſtem ober
das der Catskillberge. Diefen Bergſyſtemen ift jedoch bis jeßt noch nicht wie
verbiente Aufmerffankeit zu Theil geworben, und es ift deshalb nicht möglich,
über dieſen intereflanten Gegenftann mit völliger Beſtimmtheit zu fprechen.
Dad Weſen des nörblichen und norböftlichen Syftemd wird wenig in Zweifel
gezogen; aber felbft wenn man bie Richtung ber Catskillberge oder die des
norbweftlicden Syſtems im Allgemeinen auffaßt, ift unfered Erachtens nad;
gleichfall8 wenig Grund vorhanden, unfere Auffailung zu bezweifeln. Der
Gegenfland erfordert noch weitere Unterfuchungen; es ift ein Feld voll in-
tereffanter Phänomene, worin biöher Wenige im Lande geforfcht Haben.
Höhe der verfchiedenen Berge in dem Staate New» Mor.
a) Noͤrdliche Abtheilung: Eneldni
Mount March ?) over „Tahawus“, Gruppe von Adirondack, Graf⸗
haft Er. > en nen. 5467
ı) Die Helberberge find im der Geognofie Nord-Amerika's durch die großen
Mafien von Steinfohlen berühmt geworben, die in ihnen auftreten. Sir Charles Lyell
hat ihnen cine befondere Aufmerkſamkeit gewidmet. ®.
2) Mount Marcy, der König diefer Wildniß, thront über den ihn umgebenten
Höhen mit einer wunberfchönen Kuppe oder von einer Seite vielmehr mit einer kei-
nahe fharfen Spike. Da er über alle feine Umgebungen auffleigt und mit feinem charak⸗
teriftifchen Wefen zu beveutender Höhe ſich erhebt, fo iſt es unmöglich, die Nichtigkeit
des ihm von den Indianern in ihrer Fräftigen und fchönen Bezeichnungsweife gegebe⸗
nen Namens zu verfennen. Diefe nannten ihn nämlich den himmelanftrebenden Berz
vTawahus⸗ — „den Wolfenfpalter«. Seine Höhe über dem höchſten Stande des
Meeres bei der Fluth beträgt 5467 engl. Buß. Bine andere Höhe Mount Me. In⸗
tyre, von welcher man annimmt, daß fie etwas niedriger, als der Mount Marcy if,
übertrifft dieſen vielleicht noch an erhabener Majeftät und zeigt eine gleichmäßigere,
maffige und compacte Structure. Der Dial Mountain, Me. Martin, Calden und an:
bere ungemefiene Pics von fcheinbar gleicher, wenn nicht gar noch hebentenberer Höhe
treten ebenfalls im dieſer Gruppe auf und ertheilen der Landſchaft den Stempel alpi⸗
nifcher Großartigkeit.
Bine Hohe, unter dem Namen Keene Mountains befannte Kette bietet einen
eigenthümlichen Anblid dar; fie erfcheint finfter, zerllüſtet und drohende. Der White-
face Monntain, in dem majeftätifchen indianifchen Dialect „Wahopartenie genannt,
von 4855 Fuß Höhe, ſteht entfernt von ben anderen Gruppen unb bildet die mert:
liche Spitze bes hohen, die Stadt Nord» Elba einfafienden Berggürtele. Diefer Bir
bildet durch feine bewunbernswerthen Berhältniffe, wie vergleichen felten vorfonmen,
Das Bergiuftem im Gtaate New «Dorf. 828
Erngl. Fuß
Mount Dec. Intyre, Gruppe von Adirondack, Grafſchaft Efir . . 5183
Mount Me. Martin, = = - - =. . ..5000
Dial Mountain, ⸗ ⸗ ⸗ ⸗ =»... 490
Whiteface Mountain » = ⸗ ⸗ =» 0... 4855
Mount Seward, Graflchaft Sranfin - > 2 2 2 2 22.224600
Mount Emmons, Graffchaft Hamilton . -. - 2 2 4500
Erane Mountain, Graffchaft Warın -. - > 2 2 2 2 2°. 8000
Mount yon, Grafſchaft Clinton . . . 2 2: 2 2 2 2 vv
Mount Pharaoh, Srafichaft Eier - - - : 2 2 2 —
Bald Mountain, Srafihaft Ar - - - : 2 2 2 2 m
Mount Deftance, Grafſchaft Wafhingten . - : 2 2 2 2 2
b) Güdliche Abtheilung:
Round Top, Cattskillberge, Graffchaft Greene - - - 2 2 2. 3804
High Veak, . . 22 nn. 8718
Pine Orchard, ⸗ ⸗ .... 43000
Shawangunk, Grafſchaft Sullivan. 2 220.2. 1866
Helderberg, Grafſchaft Mbanm - - 2 2 2 2 2 —
c) Oeſtliche Mbtheilung:
Taghkanic, Graffchaft Columbia - - - > > 2 2 2
News Beacon, Highlands, Graffhaft Putnam . . 2 2. . 1685
Butter HIN, ⸗ ⸗ Orange. 2 2 20.0.1520
Erow’d Neft, ⸗ Orange. 2 0 2 1400
Sugar Loaf, ⸗ ⸗ Putnam. 1300
Fiſhkill oder Matteawan '), Highlands, Grafſchaft Dutcheß. —
Breakneck Hill oder Upper Anthony's Noſe, Grafſchaft BPutnam . 1187
Anthony's Noſe, niedriger Eingang in die Hochlande, Grafſchaft
Putnam ¶ ® L ‘ “ v ‘ 0 0 0 0 ® ® “ ‘ 0 0 [ } 1128
feine Tahle Kuppe, feine vereinzelte Stellung und fein Emporragen über die Umges
bungen ein wunderfchönes, weit fichtbares Wahrzeichen in einem teiten Sorigont.
Die allgemeine Stimme ift nicht geneigt, denen beizuflimmen, welche bie einges
borenen Benennungen der natürlichen großartigen Bildungen des Kontinents verlös
fchen möchten, um ihnen andere von politifch hochftehenden und in ihrem Privatcha-
rakter hoͤchſt achtbaren Männern entlehnte zum geben, indem bie alten indianiſchen Na⸗
men fich durch Kraft, Wohlllang, Schönheit und Beziehung auszeichnen. Die Namen,
welche vie Ureinwohner den natürlichen Derhältnifien ihres Landes gaben, werben fos
gar bald die einzigen Grinnerungen an ihre eigene Griftenz fein. Siehe »Phyfifalifche
Geographie ver Grafſchaft Efier von W. C. Watfon« in den Transactions of the New
York State Agricnltural Society for 1852. Emmons. — (Ueber das neuere Beftres
ben der Gelehrten Nord: Amerikas, die alten indianifchen geographifchen Namen wie⸗
der in Gebrauch zu bringen, f. Kohl in diefer Zeitfchrift IV, 505.)
2) Diefer Name wird den „Highlands“ von den Gingeborenen gegeben, indem
fie damit die Landfchaft „Good Fur" meinen.
Gumprecht.
21*
BRA Miscellen:
Der Eishandel in Nord⸗Amerika.
Es find gerade jetzt 50 Jahre, daß ein intelligenter Kaufmann zu Bas
fton, Namend Tudor, auf ven Gevanfen kam, das Eis auch in Nord Amrrife
zum Handelsgegenſtande zu machen und bie Landftriche wärmerer Zonen da⸗
mit zu verforgen. Zwanzig Jahre dauerte es, ehe Tubor mit feinen Plinm
Gluͤck Hatte, bis es demfelben enblich gelang, vie fühlicheren Theile der Bars
einigten Staaten und Weftinvien mit Eid zu verforgen und ein vortheilhaftes
Gefchäft damit zu betreiben. Als viefe Unternehmungen geminnreich wurke,
folgten große Handlungshäuſer in Maffachufet3 und zu News Mork Tudor!
Beifpiele, und jetzt hat der Eishandel in den Vereinigten Staaten eine folde
Bebeutung gewonnen, daß das darin angelegte Capital zu 6 Millionen Dil:
lars veranfchlagt wird, und daß 9000 Perfonen in ver Zeit, wo ber Hantel
Arbeitökräfte verlangt, davon ihre Eriftenz haben, ja man jchäßt ven Wah
des in einem Jahre in den Handel gebrachten Eiſes gerade eben fo had, wo
nicht höher, als den einer Meisernte im Staat Georgien. Noch ift Boll
der Hauptfig des amerifanifchen Eishandels, indem von hier aus dad meiſt
Eis erportirt wird, und 2—3000 Menfchen bei dieſem Hanvel befchäftigt fin.
Biel unbebeutenver ift der zu New⸗Nork, von wo aus nur wenig Ei6 aus
geführt wird, indem das meifte, welches in den Handel kommt, zur innerm
Eonfumption beftimmt if. Welchen Umfang der Eishandel Boftons jekt
überhaupt erlangt bat, ergiebt fih daraus, daß im letzt verflofienen Winter
300,000 Tons Eis Hier allein einmagazinirt wurben. (New York Daiy
Times und daraus in ven Ionboner Times vom 8. Sept. 1855), Xi
der fletd zunehmenden Eisconfumtion in ven warmen und heißen Zonen, wo
man daB unfchägbare Product innmer mehr würdigen lernt, und ver ſteigen⸗
den Bebeutung dieſes Erport3 für die Vereinigten Staaten muß man ſich ia
der That wundern, daß andere nörbliche Laͤnder, namentlich vie britiſchen Be
figungen Nord⸗Amerika's und Norwegen, noch nicht daran gedacht haben, in
diefem gewinnreichen Handel mit Bofton, New⸗Nork u. f. w. zu concumiten.
Wirklich ift erſt in der neueften Zeit anderwaͤrts ein Verfuch gemacht worden
und den weftlichen Nord» Amerikanern dadurch eine Goncurrenz erwachſen.
Nach einer Mittheilung in der zu ©. Francisco erfcheinenden Zeitung Altz
California (londoner Times vom 10. September) Haben nämlich californiſche
Gapitaliften unter dem Namen „rufftfch = amerifanifche Handelscompagnie
eine Geſellſchaft gebilvet, Die nicht allein ven ſchon fehr bedeutend geworbenm
Verkehr zwifchen ven ruſſiſchen Beflgungen in Norb- Amerika und Galifornin
zu beben beabflchtigt, fondern auch beſonders den Eiserport von dort aul
nach den wärmeren Zonen im Großen zu betreiben vorhat. Schon jeht
äußern die Operationen ver Compagnie ihren Einfluß bis tief in das Binnen
land, und man fürchtet in ven öfllichen Seeplaͤtzen ver Vereinigten Staat
gar fehr, daß die Eisausfuhr aus Sitka nicht allein dem Eishandel aus den
—
Der Verkehr auf dem Iſthmus von Panama. 325
weſtlichen Staaten nach Galifornien und Weit- Amerika hindernd in ven Weg
treten wird, fondern daß felbft Oſtindien, einer der Hauptabſatzpunkte für
Boſton, Tünftig von dort aus mit Eis verſorgt werden bürfte.
Gumprecht.
Der Verkehr auf dem Iſthmus von Panama.
Die ſeit Jahrhunderten unabläffig verkündete Bedeutung ber Landenge
von Panama für die kunftige Entwickelung des Welthandels ſcheint ſich, ſeit⸗
dem die Eiſenbahn durch den Iſthmus im Beginn dieſes Jahres vollendet dem
Verkehr übergeben werden konnte, bereits zu beſtaͤtigen. Namentlich Hatte
Herr v. Humboldt ſchon vor 30 Jahren in ſehr eindringlichen und umfaſſen⸗
den Erörterungen (Voyage dans l’Amerique &quinoctiale. 4. Paris 1825.
II, ©. 144—145) auf ven großen Gewinn an Zeit hingewieſen, ver Per⸗
fonen und Waaren zu Theil wernen müßte, ſobald ein Weg über den Iſth⸗
mus von Panama ftatt der Iangen und hoͤchſt befchwerlichen Meife um bie
Spite von Süb-Amerifa gewählt werben Tönnte. Der neuefte Bericht des
DbersIngenieurd der Panama» Eifenbahn (Londoner Times vom 8. Gep⸗
tember 1855) beftätigt nun dieſe Erdrterungen vollſtaͤndig und letzte werben
mit der wachfenden Bedeutung Galiforniend, der Eröffnung Japans für den
Welthandel, ver Zunahme rufftfcher Nieverlaffungen im Amürlande und in
Nord» Amerika, endlich mit der größeren Zugänglichkeit China's für Europäer
noch immer mehr ihre Beflätigung erhalten. Schon jett beginnen Reiſende
und Waaren viefen etwa um vie Hälfte Türzeren Weg nach Californien,
Quito und Peru einzufchlagen, indem Perſonen für die Reiſe von New⸗
Dort nah Eallao, dem Hafen von Lima jet nur noch 42 Tage, nah ©.
Francisco in Californien aber nur 57 Tage flatt der früheren reſp. 88 und
108 Tage Hevürfen. Als im Jahre 1853 erft 23 engl. Meilen der Panama⸗
Eifenbahn fertig waren, benugten dieſelbe ſchon 32,111 Perfonen, um über
den Iſthmus zu gelangen; im Jahre 1854, wo auch erfi 34 Meilen ver Bahn
vollendet waren, geſchah daſſelbe mit 30,108 Perfonen. Der Ober Inges
nieur glaubt, daß im Jahre 1855 wenigftens 40,000 Perfonen viefen Weg
wählen werben, und in der That ift diefe Annahme nach Lage ver Verhält⸗
niffe keineswegs unwahrſcheinlich.
Gumprecht.
826 Miscellen:
Der Guano und feine Hauptfundorte.
Die immer größer werdende Beveutung, zu welcher jich ver Guano, jenes
Jahrhunderte und Sahrtaufende hindurch als werthlos betrachtete Material
der oreanifchen Infeln und Klippen, in ver kurzen Jahresreibe feit feiner Ent-
deckung aufgefhwungen bat, macht venfelben zu einem ver näheren Betrach⸗
tung böchft würvdigen Stoffe. Wir theilen deshalb vie neueflen Angaben
aus zwei ſchwediſchen Werken über die in dieſer Zeitjchrift Bo. II, ©. 496
— 497 erwähnte Weltumfegelung auf der Fönigl. ſchwediſchen Fregatte Eu⸗
genie aus den Federn des Botaniferd der Erpebition Dr. J. N. Anderfion,
Docenten an der Univerfität Upfala, und des Premierlieutenants C. Skog⸗
man, Aftronomen und Siftoriographen der Expedition, mit, und fügen den
Hauptinhalt ver intereffanten Daten hinzu, welche ver Dr. 8. 3. Element,
als von einem frieflfchen Schiffer, vem Gapitain des Klipperd „ver Golofinber
von Liverpool” entlehnt, veröffentlichte. Die Fregatte Eugenie kehrte 1853
nach ihrer Heimath Karlöfrona zurüd; das Iehtgenannte Fahrzeug bejuchte im
vergangenen Sabre auf der Rückreiſe von Melbourne nach Europa auf meh⸗
rere Monate die Chinchas⸗Inſeln.
Es erfcheint der Guano in Form einer mehr oder weniger compacten
Maſſe, doch meiſtentheils in Geftalt eines gröblichen Pulverd von weißlicher,
gelblicher, braͤunlicher ober röthlicher Farbe im europäifchen Handel Seine
Anwendung ald Dungmaterial beruht hauptfächlicy auf dem Schalt an phos⸗
phorfauren Salzen, der natürlich ſehr verfchieben ift, je nachdem er mit mehr
Thon oder Sand gemifcht erſcheint. Aus viefem Grunde ifl auch eine ziem-
lich große Verfchievenheit in dem von ver Guanomaſſe repräfentirten Kapitals
wertbe bemerkbar. Bon den drei Hauptforten, welche auf dem Marfte er-
feinen, iſt ver afrifanifche Guano bei weitem der fchlechtefle. Seine Fund⸗
orte find Ichaboe und bie Klippen ver Saldanha⸗Bai an der Weſtküſte
Afrikas, im Norben des Caps der guten Hoffnung, unter dem 32. Grabe
füplicher Breite und dem 36. Grabe weftlicher Ränge von Ferro. Den Grund
zu ber geringeren Büte des afrifanifchen Products glaubt man in der Elimas
tiſchen Berfchiedenheit der Fundorte erfannt zu haben. Der Einfluß ver
Waͤrme und bed Lichts ändert nämlich den vorzugämeife wertvollen Beſtand⸗
theil des Guano, die Harnfäure, in Oralfäure um, und deshalb ift die Iektere
mehr, jene aber weniger in dem Saldanha⸗Guano vorhanden, da Die beider⸗
feitigen Einflüffe der Sonne dort bei weitem gewaltiger wirfen, als an tem
amerifanifchen Küften, namentlich ver glücklichen von Peru, wo der Gimme,
oft mit Wollen bedeckt, ein Schugmittel gegen die fengenden Strahlen ber
tropifchen Sonne ift.
Unter den beiden amerifanifchen Guanoſorten fteht der patagonifche aus ähn-
lien Oründen, nänılich wegen feines geringeren Gehalts an Ammoniaffalzen, be
beutend hinter dem peruanifchen zurüd. Seine Bunborte find die Infeln und
Der Guano und feine Hauptfunborte. 927
Klippen der Spiringsbucht, fowie der Desvelos⸗ oder Watchmannobucht, im
Norben des Cap ve lad Virginas, vor der öftlichen Einfahrt in ven Magal-
haens⸗Sund, unter dem 53. Grave fühl, Breite. Der Anblick des mit Guano
bedeckten Landes ift Hier, wie überall, ein durchaus trüber und abfloßenver,
denn es ift eben ein charakteriftiiches Zeichen, daß dieſes vie befruchtenve
Kraft der Natur bei richtiger Verwendung fo erhöhenve, noch unenträthfelte
Product der Gegend, welche es bebert, ven Anfchein dven Todes und unbe»
flegbarer Unfruchtbarkeit verleiht.
Die Küften der Guano⸗Inſeln und Klippen find Hier ziemlich hoch und
ſtürzen fich ſteil in das Meer hinab; den Strand bedeckt ein hin und wieder
wallartig aufgethürmtes Geroͤll von Steinen. Auf den Infeln felbft erheben
fi in weichen Formen ziemlich flach gemölbte Hügel zu ver Höhe von ein
paar Hundert Fußen; einer oder der andere nimmt etwas beflimmtere und
fühnere Formen an und fleigt, nach dem Augenfcheine beurtheilt, wohl faft
zu 1000 Fuß Höhe auf. So weit das Auge zu reichen vermag, ift nirgends
ein Baum zu erbliden, nur einzeln ſtehendes niedriges Buſchwerk flicht durch
feine dunklere Faͤrbung gegen das gelblich braune, wie verborrt erfcheinende
Ausſehen des Bodens ab. Schaaren von Seevögeln umfchwirren bie Infeln
und vorliegenden Klippen, und Pinguinen plätfchern und tauchen zu Taufen»
den in der brandenden See. Es Hat ven Anfchein, als ob das ſchon allein
durch dad Vorkommen des Guano hinreichend charafterifirte Klima für viele
Seevögel eine gewiſſe Anziehung habe, ohne daß vie nievere ober höhere Tem⸗
peratur eine Beziehung dazu beſitze, denn in gleich großer und unberechnen«
barer Menge ſieht man fie bier unter dem kalten 53., wie in Afrifa und an
der Küfte von Peru unter dem gemäßigteren 32. und dem heißen 14. und
8. Grade der Breite. Die gänzliche Abwefenheit von Megen, woraus bie
Unfruchtbarkeit als nothwendige Folge hervorgeht, ſcheint hierbei die erfte Eli»
matifche Beringung zur Guanobildung zu fein, weil anders bie im Wafler
auflöslichen Salze von vemfelben verzehrt und forigefpült werden würben.
Dieſer Umſtand ift glaublicher Weife mehr ver Grund, daß jene Vogelexcre⸗
mente, die bekanntlich auf ven fehottifchen Klippen gefammelt und zur Düns
gung des ſterilen Bodens benußt werben, nicht zu wahren Guanolagern wur.
den, als der Mangel eined Jahrhunderte langen ungeftörten Dafeind. Gleiche
Berhältnifie, aber in noch höherem Grabe, rauben der Maſſe dieſes Stoffes
auf ven hohen Felſen ver Loffoden, der norwegifchen Küfte und dem weſtli⸗
chen Hochlande Groͤnlands allen Werth, indem die gewaltige Macht des arfti«
fchen Winters durch feine feuchte Schneedecke vie belebende Kraft deſſelben
gänzlich ertoͤdtet.
Trotz ber geringeren Güte wurde doch in der letzten Zeit viel Guano aus
Batagonien geholt, va feheinbar, oder vielmehr de facto, wenn auch nicht
de jure, die hieſigen Lager noch nicht in ven Beſitz eines Staates übergegan«
gen waren, und baher ald Eigenthum Niemandes und dadurch eben Jeder⸗
828 Miscellen:
mannd betrachte wurben. Ein genägfamer und inpuftriellee Sohn GBrün-
Erins hat das Elend feiner Heimath mit der Dede der Buanoinfel vertaufcht,
fih in jämmerlicden Hütten auf verfelben etablirt, einige Arbeiter zeitweiſe
gedungen, und beforgt nun mit biefen die Belaftung ver Fracht holenden
Bahrzeuge gegen die Abgabe von 1 Pfund Sterling für vie Tonne. Wie Hat
er jedoch feine Anſprüche fo weit erhoben, für ven Befiker des Lager zu
gelten, oder gar eine Stellung unter ven fouverainen Landesvätern ber neuen
Welt einzunehmen. Dagegen bat ein englifcher Kauffahrer- Bapitain im
Sahre 1845 den Verſuch gemacht, dad Buanoland in feinen over Englandé
Beſitz zu Bringen, indem er ed ſich durch allerlei Mittel von einem indianifchen
Caziken abtreten ließ. Die Megierung von Buenoſs⸗Ayres, wie man weiß,
damald ohnehin nicht die Freundin Großbritanniens, betrachtete von jeher
ganz Patagonien ald zu ihrem Staatögebiete gehörig, und dad Feuerland
wiederum als eine Provinz Patagoniensd, und erhob deshalb Anfprüdye auf
einen Erfag für ven bereits verfchifften Guano. In feiner Botfchaft an vie
Kammern ver Deputirten, unter dem Datum bed 27. December 1848, führte
Noſas Klage varüber, daß englifche Unterthanen, in Yolge ver liſtig gemon-
nenen Abtretung eines nicht dazu berechtigten Inbianerhäuptlings, fich in ben
Beilg des erwähnten Umkreiſes gefeßt und dadurch bie territoriale Integrität
der argentinifchen Republik gefränft Hätten. Die Angelegenheit blieb aber
deshalb doch auf dem alten Fuße beftehen, und ber Aufenthalt des Flüchtlinge
in London wird wohl nichts zur Erledigung der Beſchwerden des Dictatord
beitragen, ba bie argentinifche Republik vorläufig noch um näher liegende
Dinge, als vie fern gelegenen Buanoflippen, ſich zu befümmern bat.
Bor der Infel liegt eine Bucht, welche den Brachifchiffen guten Anker⸗
grund bei mäßiger Tiefe und feſtem Lehmboden bietet; fie ift zwar eben ſo⸗
wohl den oͤſtlichen, als ganz befonbers den norböftlichen Winden offen, aber
eineötheild wehen viefelben, namentlich zur Sommerzeit, felten hart und an=
haltend, und anverntheild wird der Seegang durch dichte Maſſen von Tang,
die außerhalb der See wachfen, in feiner Kraft fehr gebrochen. Für Die Be⸗
fagungen ver Fracht ſuchenden Schiffe ift der Hieflge Aufenthalt ein trüber,
denn außer der Fifcherei und Jagd auf die Menge der Seebögel, auf vie
ziemlich Häufig vorfommenten Phoken und anderen Flofienfüßlern und das
wenige Kleine Wilbpret bietet bie nahe gelegene patagonifche Küfte weder Zeit-
vertreib, noch andere Hülfäquellen, ale höchftens etwas niedriges Buſchwerk
zum Brennmaterial dar.
Der in den peruanifchen Fundſtätten vorkommende Guano ift in zwei
wefentlich verfchiedene Arten zu fondern, in den Angamos-Guano unb den
gewöhnlichen Guano. Der erfte ift aus ven noch verhältnifmäßig frijchen
Ererementen gebildet und bebedt nur in dünner Schicht die Felfen und Riffe
und jene unberührten Ouanolager, die noch jetzt den Vögeln zum Aufenthalte
dienen. Er wird mühfam mit ver Hand gefanmelt, ift, wie e8 fich von felbft
Der Guano und feine Hauptfunborte. 829
verficht, in nur geringer Menge vorhanden und kommt daher fo gut, als gar
nicht zur Verſendung. Kaum mehr, als eine Schiffsladung fol biäher nach
Europa gelangt fein, und es ift berfelbe alfo Teines Falls als ein Handels⸗
artifel auf unferen Märkten zu erwähnen. Die Peruaner, welche ibn im
Lande felbft zur Düngung verwenden, Toben ihn jehr und fchreiben ihm mehr
befsuchtenbe Kraft, als dem gewöhnlichen trodenen Guano, zu. Diefer lebte
ift auf den meiften Infelgruppen an ver Küfte von Peru vertheilt und in fo
ungeheuren Maflen zu finden, daß in ihm ein reicher Erfa für vie fpärlicher
werdende Goldausbeute der perunnifchen Minen — ein fünamerikanifched Sprüch⸗
wort fagt: eine Kupfermine ift ein ficherer, eine Silbermine ein
mögliher Gewinn, doch eine Bolpmine ein gewifier Verluſt, —
die jedenfalls durch Falifornifches und auftralifches Gold in ver Quantität weit
überflügelt wurbe, geboten ift, und zwar ohne die Ausficht einer möglichen
Grfhöpfung, fo lange diefelben Flimatifchen DVerhältmiffe herrſchend bleiben,
und weife Vorficht die den Dung erzeugenden Bögelarten fchont und hegt.
die Negion, in der fich viefe Klippen und Infeln befinden, reicht ungefähr
vom 14. bis 8. Grade fühl, Breite und vom 59. big 65. Grade weſtl. Länge.
Drei Hauptgruppen find Bierbei zu unterfcheiben. Die erfte find die dem Aequa⸗
tor zunächft befinnlichen Infeln Lobos de Terra und Lobos de Afuero ?),
jübwärts von Punta Aguja liegend und nicht zu verwechjeln mit ven Lobos⸗
Infeln, die ſüdlicher, Dicht unterhalb Pahta, zu finden find. Sie find haupt⸗
fählih berühmt durch ven Fürzlich entſtandenen Zwift zwifchen ben vereinig⸗
ten Staaten von Nord» Amerika und ver Republik Peru in Folge der ſtrei⸗
tigen Berechtigung des Guanobodens. Die zweite Gruppe, vie bis jeht am
meiften beſucht wird und ihres ungeheuren Vorraths halber vie michtigfte ift,
ift die der Ehinchad=Infeln, und die dritte bilden enblich bie unfern von ihr,
wenig mehr nach Südweſt gelegenen Klippen, woburch bie Infel San Gallan
umgeben wird. Beide Gruppen gehören zu der Pisko⸗Bucht, welche ihren
Namen von der Stadt Pisko erhält, vie in einem durch Fünflliche Bewäfferung
fruchtbar gemachten Felsthale der peruanifchen Küfte erbaut ifl, und durch Die
große Quantität Branntwein, die fe jährlich erzeugt und mit gutem Abſatz un⸗
ter der einfachen Bezeichnung Pioko über die ganze Weſtküſte Amerika's ver-
breitet, zu einer ziemlich bedeutenden Wichtigfeit gelangt ift ?).
Die Infel San Gallan (auch) Sangallan gefchrieben) muß durch ihre
feltfame Bildung die ganze Aufmerffamfeit derer erregen, welche fie zum erften
Male fehen, namentlich die der von Süpen Kommenden. Sie erhebt ſich zu
1160 Zuß Höhe, und zwar in fchroffen Bergen mit meiftentheild Tpigigen
2) Ihre Lage wurde zu 6° 34’ fühl. Br. und 809 45’ weil. 2. von Greenw.
beſtimmt. G.
2) Der zu Pisko in großer Menge gewonnene Wein iſt nach den durch den vers
ftorbenen Prof. Meyen nach Europa gebrachten Proben ein fehr feuriges, aber zugleich
fehr wohlſchmeckendes Product, ähnlich dem fpanifchen und portugiefiichen Weinen. ©.
830 Miscellen:
und zackigen Gipfeln, dem Kennzeichen ihres Granitgeſteins. Die einzelnen
Abhaͤnge find fteil und voller tief eingeriffener Spalten und Schluchten. Da⸗
bei gewährt vie ganze Infel ein Bild ver Außerften Linfruchtbarfeit; Teine
Spur von Vegetation iſt weder auf ihr felbft, noch auf ver fichtbaren nahe
dahinterliegenden Küfte des Feſtlandes zu entdecken; jedes Grün's beraubt fpielt
Alles in einer Färbung, die zwifchen Braun und Grau wechfelt, nur bier und
dort weiß glänzend, wie wunderlich zufammengewehte Sanphügel. Die Menge
Heiner Klippen, welche fie umgeben und vie faft alle, wenigftens fo weit fie
dem Bereich der höchfigehenden Wellen entrüdt find, mit Guano dicht bebedt
ericheinen, Haben vie mannigfachften @eftalten. Ginige find hoch und fchmal,
andere flach, wieder andere thurmartig aufragend, oder in fo regelmäßiger
Borm gewölbt, daß fie faft einem Werke ver menfchlichen Kunft gleichen. Der
Fels ift von der mit unermüdlicher Macht wirkenden Brandung in hohem
Grade audgewafchen, fo daß viele Grotten und Höhlen entflanden find, wo⸗
von einige den Booten Durchgänge durch die Klippen geftatten und Pforten
und Thoren ähnlich find, was fich Hei den Chinchas⸗ und Lobos⸗Inſeln
wienerholt und ein charafteriftifcher Zug für alle Klippen dieſer Küfte zu fein
ſcheint.
Die Chincyad- Gruppe ’) liegt unweit ver von San Gallan und beſteht
der Zahl nach aus drei Infeln, auf denen Guano lagert, einer vierten unbe⸗
deckten, und mehreren Heinen Klippen, welche nicht in Berechnung gezogen
werben können. Die bebeutenofte ift Die ver ganzen Gruppe ven Kamen
leihende Infel Chinchas, die norböftlichfte der drei; die andern beiden beißen
Ballefta und Iöla Blanca, welche letztere die fünlichfte und bisher noch un=
berührt if. Alle drei feheinen niebriger zu fein, als vie eben befchriebenen
San Sallan-Infeln, und find von zötherer Farbe, faft einem abgebrannten
Haidelande gleichend. Ihre Geſtade erheben ſich Hin und wieder zu fleilen
Bergen, die aber vermöge der Bormation ihrer Felsart, eined porphyrartigen
Gneis, fanfter auffleigen und weniger Steilbeit beflgen, die mannigfache Zer=
glievderung in Grotten und die häufig vorkommenden Thor⸗ und Hößlenbil-
dungen verleihen ihnen aber dennoch oft ven Charakter groteöfer Felspartien.
Auch zum Ocean Hinab fchrägt ſich ver Abhang meift nur allmählig, doch
finden ſich auch ausnahmsweiſe Stellen, wo der Strand von Felſen berührt
wird, die fteil wie die Mauern fin. Alle vrei Infeln, bie ſelbſtredend, weie
San Gallan, öde und Fahl und ohne Grashalm find, Tönnen von einem
töftigen Bußgänger in nicht viel mehr als einer halben Stunde umgangen
werben.
2) Ueber die Chinchas-Inſeln und ihren Ouano giebt ein Auffap in dem An-
nales maritimes et coluniales 1844 genauere Kunde. G.
(Schluß ſolgt.)
u. v. Ekel.
—rr— — — —
Die neueften Erfteigungen ver höchſten Alpengipfel. 331
Die neueſten Erfteigungen der höchften Alpengipfel.
Als der hochberühmte Alpenforfchere Horace Benevict de Sauffure vie
Herausgabe feines Reiſewerkes begann, hielt er felbft nach dem Urtheile aller
Gebirgsbewohner in der Nähe des Montblanc, namentlich derer in und um
Chamouny, den Gipfel des Berges für unerfteiglih (Voyage dans les Al-
pes $. 1102) und erft während ver Veröffentlichung des Werkes gelang es
befanntlih im Auguft des Jahres 1786 dem Dr. med. Pactard und dem
fpäter fo oft genannten Alpenführer I. Balmat, ven Montblanc zu erfleigen,
nachdem bi8 zum Jahre 1785 viele vergebliche Verſuche gemacht waren, von
denen Sauffure Kunde gab. Sauſſure's eigene Erfleigung des Montblanc
erfolgte erfi im Jahre 1787; aber fie war von vielen Gefahren begleitet, vie
auch Denen nie fehlten, welche nach jenem das Wageſtück wiederholten. Bis
in bie Ießten Jahre war man deshalb weit entfernt, zu ahnen, daß eine Unter⸗
nehmung der Art fogar zu einer DBergnügungspartie werden koͤnnte, wie fte
es wirklich jeßt zu werben feheint, nachdem man einen verhältnigmäßig fo bes
quemen Weg nach dem Gipfel des Montblanc gefunden bat, daß felbft Da⸗
men das Unternehmen in ver fjüngften Zeit glüdlich vollendet haben. Die
neueften Erfteigungen de8 Montblanc und Monte Roſa im verfloffenen Som⸗
mer Iehrten namentlich, daß vergleichen in überaus kurzer Zeit und mit ver
Unterflüägung nur eined einzigen ober hoͤchſtens weniger Bührer gefahrlos
ausgeführt werden können. So beburfte der 17 jährige britifche Jüngling
Kyrle Alfred Chapman, der eben erſt die Schule von Eton verlaffen, im Aus
guft dieſes Jahres nur zweier Tage, um von Chamouny aus ben Gipfel des
Montblanc zu erreichen und nach Chamouny glüdlich zurüdzufehren, indem
er am 16. Auguft Morgend von dem genannten Orte auöging, die folgende
Nacht auf der bekannten Station Brandes Mulets zubrachte, von hier aus
am 17. Morgens 2 Uhr aufbrach, um 9 Uhr 20 Min. auf dem Gipfel an-
langte und venfelben nach nur 4 Stunde Aufenthalt verließ. Um 12 Uhr
45 Min. war Chapman wieder an den Grandes Muletd und um 5 Uhr 30
Min. zu Chamouny. Faſt unmittelbar darauf, noch im Auguft, beftieg der⸗
felbe kühne Jüngling in Begleitung gar nur eines einzigen Führers auch ven
Gipfel des Monte Rofa (Londoner Times vom 8. September 1855).
Gumprecht.
Situng der Berliner Gefellichaft für Erdkunde
am 7. Juli 1855.
Herr v. Carnall legte mit Bezug auf feinen in ver Junis Sigung ge⸗
haltenen Vortrag über den Steinkohlen- Bergbau in der preußifchen Monar⸗
chie eine gezeichnete Karte von ven weftphälifchen Kohlenbezirken und eine in
Farbendruck ausgeführte geognoftifche Karte von dem faarbrüder Steinkohlen-
Bergbau vor; die legte gehört zum nächiten Hefte der Beitfchrift für Berg-,
Hütten» und Salinenwefen, in welchen eine Darftellung jenes Bergbaues ges
liefert wird. Hierauf folgte ein längerer Vortrag veflelben über ven Braun»
Eohlen» Bergbau, eingeleitet mit allgemeinen Bemerkungen über Vorkom⸗
men, Lagerung, Verbreitung, Befchaffenheit und Anwendung der Braunfohlen.
Der Mebner gab die einzelnen Gegenden an, wo man in Preußen Bram-
kohlen aufgefchlofien und in Angriff genommen bat und bemerkte, daß man
die Verbreitung viefer Lagerftätten auf eine Fläche von weit mehr, als 100
Duabrats Meilen berechnen konne, worin die Braunfohle bis jegt wirklich
und bauwürdig aufgefunden worden fei, daß fich vie Ragerftätten aber noch
viel weiter auöbehnten, indem ver Zufammenhang nur durch aufliegentes
Schutt⸗ und Sandland verdeckt wäre. Daran Enüpften fi) Angaben über
die Aufnahme und Entwidelung dieſes Bergbaued in ven betreffenden Landes⸗
theilen, wobei hervorgehoben wurde, daß die Gewinnung an Braunkohle nur
in folchen Gegenden im großartigen Mapftabe möglich fei, in denen es ent⸗
meber ganz an Steinfohlen fehle, oder wo biejelben nicht billig genug zu ge=
winnen over beranzubringen feien; außerdem dürften die Verbrauchsſtätten
von den Gewinnungspunften nicht entfernt liegen, und e3 müßten große Quan⸗
titäten gewonnen werben fönnen, weil fonft bei dem geringen Wertbe des
Produktes die Gewinn» und Förberkoften zu Hoch kaͤmen. Solche günfligen
Verhaͤltniſſe faͤnden ſich beſonders in dem Bergamts⸗Bezirke Halberftabt, wo
die Rübenzuckerfabriken viel Braunkohlen verbrauchen, ferner auf einzelnen
Punkten im Bergamts⸗Bezirke Eisleben, während ver dortige Privat- Braun:
Tohlen» Bergbau im Beſitz der Oberflächen« Eigenthümer meiftend nur gerin-
gen Ertrag gebe. In dem Bergamtsbezirke Rüdersdorf fein es beſonders
die Gruben bei Rauen und Petersdorf, welche durch ven Abſatz nach Berlin
(zu Waſſer) ſtark förberten, nächft viefen die Gruben bei Frankfurt. Sa
Schleſien lägen die wichtigfien Gruben in ber Nähe von Grünberg. Am
Rhein würden unweit Bonn Braunfohlen geförbert, die man hauptfächlich zur
Alaunfabrifation verwende; auf der linken Otheinfeite Liege zwifchen Brühl und
Düren eine Anzahl von Braunfohlengruben, die aber meiftend nur für ben
Hausbrand färvderten. — Die Braunfohlenförberung des ganzen Landes, welche
vor 18 Jahren nur 14 Mil. Tonnen betrug, fei im 3. 1854 auf 12 Ml.
Sigungsbericht der Berliner geographiſchen Geſellſchaft. 838
Tonnen gekommen, die man auf 363 Gruben mit 8104 Arbeitern gewonnen
babe. Nach den einzelnen Bergamtsbezirken waren e8:
a) im Bergamtäbezirke Ruͤdersdorf 1,544,157 Tonnen oder 12,3 pCt.
b) ⸗ ⸗ Waldenburg 487, 492 = =» 83 ⸗
co » ⸗ Halberſtadt 3,376,425 = 743,
d) ⸗ ⸗ Eisleben 5,986,938 ⸗
e) = ⸗ Siegen (Bonn) 397,744 = | 83 »
f) ⸗ * Düren 709,924 ⸗
Summe 12,502,680 Tonnen, 100 pCt.
Für Rechnung des Staates wurden 7 Gruben betrieben, 6 für ven Be⸗
darf der Salinen und 1 für cumulativen Debit, fämmtlich in ver Provinz
Sachſen; ihre Förberung betrug 1854 977,135 Tonnen, alfo 7,8 pCt. des
obigen Quantums. Die durchfchnittlichen Werfaufspreife auf ven Gruben
feien feit längerer Zeit ziemlich gleich geblieben; im Mittel etwas unter ober
über A Sgr. für vie Tonne. Danach hätte die Tehtjährige Foͤrderung einen
Werth von überhaupt 1,665,622 Thalern gehabt. Davon möge der Rein⸗
ertrag der Gruben etwas mehr als 10 pCt. oder ungefähr 200,000 Thaler
betragen haben. Im Einzelnen wären aber die Breife, ſowie die Erträge fehr
verſchieden. — In Betreff der ferneren Entwidelung des Braunkohlen⸗Berg⸗
baues bemerkte der Vortragende, daß viefelbe im Wefentlichften von venfelben
Verhaͤltnifſen abhänge, welche ven bisherigen Auffchwung herbeigeführt haben,
namentlih von der Zunahme der jeßigen Verbrauchaftätten und von dem
Steigen ver Holzpreife, wodurch fich die Debitökreife immer mehr erweiterten;
e8 fei aber auch darauf zu rechnen, daß die Braunfohlen noch zu manchen
anderen Zwecken Anwendung finden würben, wie 3. B. zu ber Bereitung Yon
Mineralöl und Paraffin, vie bereitö in einer Fabrik bei Beul (Bonn gegen
über) flattfände. Die big jeßt aufgefchlofienen Braunkohlenfelder Tönnten
ſelbſt eine vielfach flärkere Körberung, als bie jehige, auf Jahrtauſende decken.
Das Iehtjährige Förverquantum babe ein Volumen von 88,907,954 Kubik-
fuß, was einen Würfel von 446 Fuß Seite gebe. Ein chlindriſches Map
von der Grundfläche des Hiefigen Belle⸗Alliance⸗Platzes würde, um das
Quantum zu faflen, eine Höhe von 314 Fuß Haben müflen. — Stein»
und Braunfohlen zufammengefaßt, hatte man im Jahre 1854 eine
Förderung von 46,558,954 Tonnen, ober im Gewichte (zu refp. 4 und 24
Eentner die Tonne) von 167,481,796 Eentner. Im Taufenden Jahre würbe
biefelbe auf etwa 200 Mil. Eentner kommen. Der Werth der Iehtjährigen
Börderungen habe auf nen Gruben 15,575,534 Thaler betragen, wovon circa
30 p&t. ober rund gerechnet 44 Mil. Thaler als Heinertrag ver Gruben
aufgebracht fein dürften. — Nach ven Erfahrungen auf den Salinen, bemerkte
der Redner, bepürfe man 44 Tonnen Steinktohlen over 134 Tonnen Braun«
Fohlen, um daſſelbe zu erlangen, was die Verbrennung von 1 Klafter Kiefer-
834 Sigungäbericht ver Berliner geographiſchen Geſellſchaft.
holz leifte; danach repräfentirt obiged Kohlenquantum (1854) ein Aequiva⸗
Ient von 84 Mill. Klaftern Holz. Nehme man nun ferner an, daß im gro
Gen Durchfchnitt 1 Morgen Waldgrund jährlih 4 Klafter Holz Tiefere, fo
berechne fich für obige Klafterzgahl eine Walpfläche von 254 Mil. Morgen
oder 1147,5 Meilen, alfo weit mehr, ald die ganze Walbfläche des preußi⸗
fchen Staates von etwa 18 Mill, Morgen over 8I0 Meilen. — Zur Ber-
gleichung der Förderung in Preußen mit derjenigen anderer Länder gab ber
Bortragende an, daß der gegenwärtige Stand ber Stein- und Braunkohlen⸗
Förderung auf der ganzen Erde einer Jahresproduction von etwa 2000 Mill.
Gentnern entfpredje, davon fämen auf:
Großbritannien . . 1,000,000,000 Eentner over 50,0 pCt.
Nord AUmerifa .. 250,000,000 = = 125 =»
Preußen ..... 200,000,000
= : 100 =
Belgien...... 170,000,000 = 8,5 »
Frankreich..... 170,000, 000 ⸗ ⸗88 =
Oeſterreich... 60,000,000 = 3,0 ⸗
Spanien ..... 50,000,000 = „25 =
fonftige Länder ... 100,000,000 = :» 50 ⸗
Summe 2,000,000,000 Eentner, 100 pCt.
Diefe Hätten nach den Verkauföpreifen auf ven Gruben einen Werth von mehr
als 200 Mi. Thalern, oder mit einem Zufchlage von 50 p&t. ald Trans⸗
portkoften an den Verbrauchsftätten, von über 300 Mill. Thalern, was weit
mehr fei, als ver Werth alles Goldes und Silbers, welches jegt alljährlich
auf ver ganzen Erde gewonnen were. Mechne man von den Berfauföwerthe
auf ven Gruben nur 25 p&t. Meinertrag, fo wuͤrden jährlich bei der Kohlen⸗
förderung 50 Mil. Thaler Ausbeute gebaut, eine Summe, die bei ten
edlen Metallen weder direct noch invirect gewonnen werde. An Arbeitera
wären auf den Koblengruben der ganzen Erde nahe an 600,000 befchäftigt
und mit den Frauen und Kindern feien es nahe an 14 Mil, Perfonen, welche
dabei ihren Lebensunterhalt faͤnden. Danach berechne ſich im großen Durch⸗
ſchnitte für je 1 Arbeiter ein Propuctenwerth von jährlich 833 Thlr. und
80 bis 90 Thlr. Reinertrag. AS von Koblengebirgen eingenommene Flaͤ⸗
chen wären auf der ganzen Erbe minbeftens 8000 Meilen anzunehmen,
alfo etwa 4 p&t. der ganzen Feſtland⸗ und Infelfläche. Mechne man num
auch nur 48 Fuß („45 Meile) als durchfchnittliche Stärke ver abzubauenden
Kohlenlager, fo ergäben fih 16 Kubikmeilen feſter Koblenflögmafle; da um
obige 2000 Mill. Centner — 26663 Kubiffuß Flögmalfe find, fo gemüge
der Aushieb von 1 Kubifmeile, um die jegige Körberung auf mehr als 5000
Sabre zu befchaffen, 16 Kubitmeilen alfo für circa 80,000 Jahre. Berechn⸗
man für diefe 16 Kubifmeilen in der früher angenommenen Weife das Aequi⸗
valent im Holzwuchſe, fo fände man, daß hierzu die ganze Erboberfläck
Situngäbericht der Berliner geographifchen Geſellſchaft. 835
einfchließlich ver Meereßflächen mit einem 134jährigen Walde bes
verft fein müßte. Zum Schluffe fam ver Hebner noch eimmal auf Preußen
zurück und wies nach, daß der Reichthum feiner Kohlengebirge hinreiche, um bie
Börberung aller Länder auf mehr ald 1000 Jahre zu liefern; er äußerte, daß
Preußens Bewohner deshalb ebenfo, wie die Engländer, ihre Steinfohlen „our
black gold“ nennen dürften. — Herr Peters hielt hierauf einen Vortrag über
eine im 3. 1831 von Tete auf ver Küfle von Mozambique nach Loanda in
Angola unternommene und von ben Major Monteiro und Capt. Gamito ges
führte Erpebition, welche in einem von Gamito im Jahre 1854 zu Liffabon
berauögegebenen portugiefifchen Werke befchrieben worben iſt. Die Erpevition
ift ſowohl für bie Kenntniß bed Landes als der daſelbſt lebenden Negerftämnte
von Wichtigkeit und gab dem Bortragenden Beranlaflung, vie durch biefelbe
gewonnenen Reſultate, namentlich in Bezug auf die afrikanifche Thierwelt,
ber Gefellichaft vorzulegen. — Herr Ehrenberg theilte mit, daß von Herrn
Hermann Schlagintweit ein Brief vom 25. April d. I. aus Darbfchiling ein»
gelaufen fei, in welchem verfelbe melbet, daß er einen ausführlichen Bericht
über feine bisherige Reiſe an Se. Majeſtaͤt den König habe abgehen laffen,
und daß er und feine Brüder fich einer glücklichen Thätigfeit zu erfreuen
hätten. (Der Bericht befindet fich bereits in diefem Bande S. 148 — 172
abgevrudt). — Herr Kiepert Iegte eine von ihm neu entworfene Karte des
ſüdlichen Afrika vor, auf welcher er die Nefultate ver neueften, in jenen Erd»
theile unternommenen Reifen zufammengeftellt Hatte. Zu diefen Mefultaten
it insbeſondere zu zählen, daß wir jeht bereitd eine aftronomifch geflcherte
Route quer durch Afrika beflgen. Der befannte Reiſende Livingſton iſt aber,
wie der Vortragende erwähnte, von ©. Paolo de Loanda wieder aufgebro⸗
chen, um quer durch ven Erdtheil nach der Oftküfle vorzubringen. Schließ⸗
Ih gab ver Vortragende eine Ueberficht über die Kartographie Afrika's für
die legten drei Jahrhunderte, wobei fich als Nefultat feiner Unterfuchungen
unter Anderem die Thatfache herausftellte, daß vie viel bezweifelten Angaben
des franzöftfchen Meifenden Douville, wenn fie mit Kritik benutt würden,
nicht ganz werthlos wären, weil verfelbe feine Erfindungen von vorgegebenen
Reifen in Länder, die er felbft niemals gefehen bat, auf gewiffe Daten por⸗
tugieftfcher Karten aus dem vorigen Jahrhundert, welche von ihm in Ben⸗
guela erworben fein mochten, bafirte. (©. hier ©. 208). — Der durch feine
Reifen in Afrifa befannte Herr Werne Hatte einen Plan zu einer militairis
[hen Erpebition behufs der Erforfcehung des Sudans an ven Vorfland ein«
geſchickt. Berner war ein Brief von Herrn Prof. Goͤppert in Breslau mit
der Anzeige eingelaufen, daß ver vielerfahrene Reiſende Herr Lothar Vecker
ſich anfchiet, wieder nach Auftralien zu gehen, und bereit ift, wifjenfchaftliche
Beftelungen und Aufträge dahin mitzunehmen. — Un Geſchenken für vie
Bibliothek der Gefelfchaft waren eingegangen: 1) The Journal of the Royal
Geographical Society. Vol. XXIV. 1854. London. Geſchenk ver genanns
3368 Sigungsbericht her Berliner geographiſchen Gefellfchaft.
ten Geſellſchaft. 2) Die neun erfien Sahrgänge deſſelben Journals. 9 Bde.
1831 — 1839. Geſchenk eines ungenannten GBefellfichaftämitglieved. 3) Por⸗
tugal und feine Eolonien im Jahre 1854, vom Königl. preuß. GeneralsEon-
ful Seren 3. v. Minutoli, Bd. 1 und 2, Stuttgart und Augsburg 1855.
Geſchenk des Verfaſſers. A) Compte rendu des Operations de la com-
mission institude par M. le Ministre de la Guerre pour &talonner les
rtgles qui ont ét employees & la mesure des bases geodesiques belges.
Bruxelles 1855. 1 Vol 4. Uebergeben durch Herrn Generalmajor Baer.
5) Befteigung des Vulkans Tambora auf ver Infel Sumbawa und Schilde⸗
zung der Eruption veflelben im Sabre 1855, von Heinrich Zollinger. Mit
2 Karten. Winterthur 1855. 1 Bol. 4. 6) Genlogifche Weberfichtöfarte
der Schweiz von 2. Stuber und A. Efcher v. d. Linth. Winterthur. Beides
Geſchenke des Herrn I. M. Ziegler. 7) Mitteilungen aus J. :Berthed’ geo-
graph. Inſtitut über wichtige neue Erforfchungen auf dem Gefanımtgebiete
der Geographie von Dr. A. Petermann. 4, Heft. Gotha 1855. Mit einer
Karte ver Parry⸗Inſeln. Von dem Heren Verleger. 8) The Zoologist, a
popular monthly magazine of natural history. No. CL. London. Erſtes
Heft. 9) Eine Abhandlung: On the food of certain Gregarious Fishes
by R. Knox. 1855. 10) Zeitſchrift für allgemeine Erdkunde, herausgege⸗
ben von Dr. 3. E. Gumprecht. IV. Band, 6. Heft. Berlin 1855. Bon
dem Verleger Herrn D. Heime. 11) Beiträge zur Gefchichte und Geo⸗
graphie des Sudan, in arabifchen Manuferipten Timbuctuer Autoren, zumal
des Annaliften Ahmed Baba, eingefandt aus Timbuctu von Dr. H. Barth.
Nach dem Arabifchen bearbeitet von C. Ralfs. Eingeſandt durch Herm
Prof. Fleiſcher und den Bearbeiter. Ginige andere Schriften wurben zur An-
fit vorgelegt, deögl. war durch Herrn I. v. Minutoli ein ſchoͤnes und gro
es Melief des Pie von Teneriffa aufgeſtellt.
X.
Der Dangti;’ Kiang ').
Bis auf den heutigen Tag find ungeachtet aller Forſchungen
fundiger und ausdauernder Reifenden die Innerften Gegenden von
Gentrals Afien fo unbefannt geblieben, daß unter ben verfchiebenen
Geographen Feine Uebereinftimmung darüber herrfcht, welche kleineren
Ströme die eigentlichen Quellſtroͤme des Yangtſz' Kiang oder des blauen
Fluſſes ausmachen. Dean vermuthet jedoch, daß in einer und ber
felben Gegend und zwar auf einem nicht fehr ausgedehnten Raume
ſowohl der Brahmaputra und der Meifon, als auch der Dangtf
Kiang ihre Quellen haben, und daß in nicht fehr großer Entfernung
in denfelben hochgelegenen Gegenden fi auch die Quellen anderer
großer Ströme, des Salmin und des Hwangho oder gelben Fluſſes,
befinden.
Der Hwangho, der Heinfte der beiden großen Ströme in China,
durchfließt auf feinem Laufe bis zum gelben Meere einen Raum von
2500 Meilen, von feinen Quellen an gerechnet, welche unter dem 35.
Grade nörbl. Breite und 20. Grade weftl. Länge von Peling liegen.
Faſt unter demfelben Breitengrade, wie wenigſtens chineftfche Geo,
graphen behaupten, und ungefähr 425 Meilen weftlich von den Quellen
des gelben Fluffes, ift der Urfprung des Yangtſz' Kiang, ded Sohnes
2) Meiftentheils liegt ein Auffap im Shanghai Almanac for 1855 zu Grunde,
B. — Das Waſſerſyſtem des Stromes nach den bis zum Jahre 1834 reichenden
Dnellen hat Herr C. Ritter in feiner Erdkunde, Aſien Bd. 111, S. 650 — 692 ge:
ſchildert. G.
Beitfchr. f. allg. Erdkunde. Bo. V. 22
338 K. L. Biernapfi:
des Oceans, zu ſuchen. Anfangs fließt er ſuͤdwaͤrts, dann wenbet er.
fich nach Norden und burchftrömt ein vorzugsweiſe ebenes Land unter
dem Ramen Muru Uffu, d. 5. gewundene Gewäſſer, wie diefer Rame
auch auf unferen Karten verzeichnet zu fein pflegt. Schon bier im
Beginn feines Oberlaufes auf einem noch fehr hochgelegenen Terrain,
hat der Strom eine bedeutende Größe, denn hier war ed, wo jenfeits
der Gebirge Bayen Khara der befannte neuefte Reifende, der tömifche
Priefter Huc, eine Heerde wilder Ochfen antraf, welche bei dem Ber:
ſuche, über den Fluß zu fegen, eingefroren und fo umgefommen waren.
Nachdem die Muru Uſſu diefe höchften Regionen verlaffen und
das weite Gebiet der Kofo Nor durchſtroͤmt haben, wenden fie fi
füdlich und treten in die große Provinz Setſchuen ein unfern des 32.
Grades nördlicher Breite und etwa einen halben Grab von der Grenz
Iinie entfernt, welche das Kofo Ror von dem öftlichen Tibet feheibet.
Nicht weit von diefem Punkte, ein wenig gegen Norden, nimmt ber
Fluß den Namen Pulutfu Ho ober Plutfu an. Reißenden Laufes
firömt er von hier über 7 bis 8 Breitengrade hin ganz nahe jener
mächtigen Bergreihe, welche die Grenze zwiſchen Tibet und der Pro
vinz Setfchuen bildet.
Zwiſchen dem 28. und 29. Grade nördlicher Breite und zwifchen
dem 17. und 18. Grade öftlicher Länge von Peling durchfchneidet er
die Nordgrenze der Provinz Yünnan und wird hier Kinfcha Ho oder
Goldſandfluß genannt. Diefen Namen erhält er, während er fi zwei
oder drei Grade weiter nad) Süden wendet, dann eine rüdläufige Be
wegung machend, burchftrömt er wieder die Provinz Setfchuen. So—
bald er den Diſtrict Hoh Tſchau erreicht hat, wird er nicht andere,
als ausschließlich der „große Fluß“, Ta Kiang genannt, ein Rame,
den er gewöhnlich im Munde des Volkes bis zu feiner Mündung in
den Ocean beibehält.
Mit Recht Hat man biefen mächtigen, majeftättichen Strom ten
„Gürtel von China” genannt. Es iſt wirklich ein prächtiger Gürtel,
der fämmtliche mittlere Provinzen des großen Reiches, welche zwiſchen
Tibet, dem Koko Nor im Welten und dem flillen Dcean im Oſten lie
gen, mit einander verbindet und gleichfam umfchlungen Bält. Eein:
ganze Länge, alle feine zahllofen Windungen mitgerechnet, beträgt ge
wiß nicht weniger, wahrfcheinlich aber noch mehr, ald 3000 Meilen.
Der NYangtſ;' Kiang. 839
Und wenn man feine Rebenflüffe, die zahltofen, an feinen Ufern gele⸗
genen Stäbte, den fruchtbaren Boden und die mannigfaltigen Erzeug-
niſſe feiner Geſtade, dazu noch die in den Thälern, Ebenen und hügelis
gen Landſchaften, welche er durchfließt, angeſiedelte Bevölkerung in Ber
trat nimmt, fo hat diefer Sohn des Oceans gewiß nicht feines
Bleihen auf Erden. Mitfammt feinen zahlreichen Zuflüfien und ber
Menge von Kanälen, welche diefe unter einander verbinden, bildet er
ein Reh von Waſſerſtraßen innerhalb der 18 Provinzen Ehina’s, wie
nirgend8 auf dem Erdboden ein Ähnliches weder an Ausbehnung und
Umfang, noch an Lebhaftigfeit des Verkehrs, anzutreffen it Daher
hat der große Strom auch eine außerordentlihe Wichtigkeit für den
Binnenverfehr, für den Handel und den Austaufch der Erzeugniffe im
Norden und im Süden von China. Er ift die Hauptarterie des com⸗
merciellen Lebens im Reich der Mitte, und die feinem Gebiete angehös
rigen größeren und kleineren Fluͤſſe und Kanäle bilden gleichfam das
übrige Geäder, durch welches alles Handels⸗ und Verkehrsleben hin⸗
durchſtrömt. Selbft gleicht er einem mächtigen See, der die bewuns
dernswürdige Weisheit des Schöpfers in feinen durchſichtigen Wogen
abfpiegelt. "
Während feines Oberlaufes bis zu der Stelle in der Provinz
Setfehuen, wo er fich nörblich wendet, nimmt ber Yangtfz’ Kiang eine
vorherrfchend fübliche Richtung; in feinem Mittel» und Unterlaufe das
gegen ſtrömt er vorwiegend gen Often, anfangs nad Rorboften ges
wendet. In den Provinzen Yünnan und Kmeitfchau find feine fübli-
hen Zuflüffe zahlreich, aber nicht groß. Der vornehmfte unter diefen
entfpringt in jener langen, Nanling d.h. fühliche Felſen genannten
Bergfette, welche die Scheidewand zwiſchen den fühlichften und mittles
ren Provinzen bildet und von deren Abhängen gegen Süden der Perl
fluß in öftlicher Richtung nach Canton hinabflrömt. Sein Rame ift
Wu Kiang d. h. fehwarzer Fluß; er durchfließt die Provinz Kweit⸗
ſchau in nördlicher Richtung, erhält eine Menge kleinerer Zuflüffe, bie
gleichfalls an den Abhängen des Nanling entfpringen und mündet bei
der Stadt Beitfchau in Setfchuen in den großen Fluß.
Die nördlichen Zuflüffe dagegen find eben fo zahlreich und einige
größer als die füdlichen. Sie liegen fümmtlich in der Provinz Set⸗
ichuen, welche ihren Namen „Bier Stromland“ wahrfcheinlich von den
22*
340 K. L. Blernatzki:
vier Hauptſtroͤmen hat, durch welche ſie vorzugsweiſe bewäſſert wird.
Dieſe find der Kinſcha, der Yalung, der Min und der Kia—
ling; einige Geographen nennen flatt des Kinfcha den Wuliang ale
den erften der vier vornehmften Ströme. Die Quellgebiete dieſer vier
Flüffe liegen über die Norbgrenze von Setſchuen hinaus; fie fließen
fämmtlich parallel neben einander von Norden nad Süden und erhal:
ten von der Ofts, wie von ber Weftfeite eine beträchtliche Waſſermenge
durch zahlreiche Nebenflüffe zugeführt, ehe fie in den Yangtſz' Kiang
münden. Huc, der diefe Gegenden im Winter bereifte, fagt von bie
fen prächtigen Strömen, daß ihre Wogen durch enge Thäler und über
hohe Felſen Hinabrollten und große Maſſen Eis mit fich führten.
Der am weiteften weftlich gelegene ift ver Wuliang ho d. h. ent:
lofer Fluß. Ihm zunächkt fließt der Ya lung, deffen Lauf mehr als
taufend Meilen lang ift, und der auf dem Gebirge Bayen Khara ent
fpringt. Der dann folgende Min ift 700 bis 800 Meilen lang und
bewäffert die mittleren Landſchaften von Setſchuen; feine Quellen lie:
gen gleichfalls an den Abhängen des Bayen Khara. Der Kialing,
von den vier Fluͤſſen der öftlichite, Hat eine Länge von wenigftend 800
Meilen; er entfpringt im Süden der Provinz Kanfu am Kofo Nor
und nimmt eine Menge Nebenflüfle auf, ehe er bei der Stadt Tſchung⸗
fing in den Yangtſz' Kiang mündet. Jeder diefer vier Flüffe iſt ſchon
für fih allein ein bedeutender Strom, der, je mehr er fich dem großen
Fluſſe nähert, an Breite und Waflermenge zunimmt.
Bis beinahe zur Oſtgrenze von Setfchuen verfolgt der Yangtiz
Kiang eine norböflliche Richtung, dann aber wendet er fih bald nad
feinem Eintritte in die Provinz Hupi in weit gefehwungenem Bogen
füblih. Hier erhält er aus mehreren Heineren Blüffen und mehreren
Landfeen beveutende Zuftrömungen. Der größte feiner Nebenflüffe hier
it der Han, welcher ehemals dem berühmteften Herrfcherhaufe Ehina’s
feinen Ramen gab. Er entfpringt am Gebirge Peling in der Brovin;
Schenfi, und zugleich wird berfelbe hier, wie von Hunan her, durch zahl
reiche Zuflüffe verftärkt; bei der Stadt Hanyang, der gegenüber am
rechten Ufer des Yangtſz' Kiang die Stadt Wutfchang auf 31° 34’ 50"
nördl. Br. und 114° 13’ 30” öftl. 2. liegt, ergießt er ſich in den gro
pen Fluß. Innerhalb des nach Süden gewölbten Bogens des Ießteren
liegt eine Anzahl größerer und Heinerer Randfeen, die nach allen Seiten
Der Dangtfz’ Kiang. 341
hin durch Waſſerſtraßen mit dem Han und dem Dangtf;’ Kiang vers
bunden finv.
Der Rame Hupi bedeutet die nördlichen, Hunan die füdlichen Seen;
beide Provinzen liegen nämlich am linfen und am rechten Geſtade des
großen Fluſſes. An der äußeren Woͤlbung ded Bogens, den berfelbe
hier befchreibt, liegt das große Reſervoir der Gewäfler von Hunan,
der größte See in China, Tungting hu. Er nimmt einen Raum
von 300 Meilen ein, und fein Umfang beträgt mehr, ald 250 Meilen.
Nachdem der Sohn des Oceans in einiger Entfernung an dieſem mäch
tigen Binnenfee vorübergeftrömt ift, wendet er fich plöglich nach Süpen,
gleichfam um die Schäße des Tungting in fi aufzunehmen, deſſen
Gewaͤſſer fih unweit der Stadt Yotſchau auf 29° 24’ nörbl, Breite
mit den feinigen vermifchen. Er fließt alsdann in norböftlicher Richtung
weiter, worauf er fich bei Hanyang und Wutfchang noch einmal wieder
nach Süden wendet und fich an der Wölbung biefed zweiten Bogen,
unfern einer Heinen ummauerten Stadt Hufau, d.h. Mündung des
Landſee's, mit den Gewaͤſſern des weit und breit berühmten Poyang⸗
See's vereinigt. Hier war ed, wo im Jahre 1816 die bekannte
Anıbaffade des Lord Armherft auf ihrer Rüdreife von Peking, die fie
auf dem großen Kanal und über Ranking zurüdgelegt hatte, die
Fahrt über diefen See antrat. Nachdem fie denfelben von Norden
nach Süden durchkreuzt hatte, fuhr fie in ihren Booten auf einem
feiner vornehmften Zuflüffe weiter, bis fie den Nanling oder Meiling,
300 Meilen von Canton, erreihte. Der Poyang⸗See erhält fein
Waſſer aud dem Kan Kiang und deifen Nebenflüffen in der Provinz
Kiangfi, und gleich dem Tungting fchüttet er feinen gefammten Waſſer⸗
reichthum in den Yangtſz' Kiang.
Vom Süden her ergießt fih nur ein einziger namhafter Fluß in
den Dangtiz’ Kiang, der Tfing Kiang nämlid, d. h. der klare
Strom, welcher aus der Provinz Kweitfchau fommt und noch inner-
halb Setfhuen in den Yangtſz' Kiang mündet. Derfelbe bewäffert
eine außerordentlich fehöne und fruchtbare Gegend zwifchen dem 30.
und 31. Grade nördl. Breite und verdient mit Recht feinen Namen
wegen feiner durchfichtigen Fluthen.
Unterhalb Hufau, wo der Unterlauf des großen Fluſſes feinen An-
fang nimmt, wendet diefer fih nad) Norboften, und während er dann
|
342 8. 2. Biernapfi:
die Provinz Nganhwui durchfirömt, wird er immer tiefer und breiter,
und von beiden Seiten her entladen Zuflüffe ihre Gewäfler in feine
majeftätifch dahinrollenden Wogen. Ein KReifender, der vor wenigen
Sahren diefe Gegend befuchte, fagt: „Die Landſchaft, welche Hier die
fchönfte Abwechfelung von Berg und Thal darftellt, im fernen Hinter
grumde eine Reihe fehr Hoher Gebirge, war ungemein anziehend; fie
bat ein Klima, das von feiner anderen Gegend in der Welt an Lich
lichkeit übertroffen wird, und nur in wenigen Gegenden ift das Klima
eben fo fchön.” Die norbamerifanifchen Marines Offiziere, welche im
vorigen Jahre den Strom befuhren, beftätigten die Wahrheit dieſer
Schilderung.
Nachdem der Fluß an Nanking vorübergeftrömt iſt, wendet erh
in der Provinz Kiangfu ſüdwärts. Nahe bei Kwatfchau und Tſchin⸗
flang ein wenig weſtlich von diefen beiden Städten, wird er von dem
großen Kanal durchfchnitten, der bei ven Ehinefen Yun bo, d. h. Trans⸗
portfluß heißt. Bekanntlich findet auf diefer Fünftlich angelegten, groß
artigen Waſſerſtraße alljährlich der Transport des Reis flatt, mit
welchem die fruchtbaren Südprovinzen Die weniger ergiebigen Rordpro⸗
vinzen und namentlich die Faiferliche Reſidenz Peling verforgen. Ueberall
nimmt hier der Yangtiz’ Kiang Nebenflüffe auf, welche bald fchmaler,
bald breiter find, alle aber dazu beitragen, daß der Hauptſtrom mehr
und mehr fich erweitert, bis ex in einer Breite von 6 Meilen fich in’s
gelbe Meer ergießt.
Die Mündung, in welche gewöhnlich die von der See herfommen-
den Schiffe einfahren, liegt 31° 9’ 3” nördl. Br. und 122° 15’ 4°
öftl. Länge von Greenwich, während der Hafen von Schanghai am
Hwangpu 31° 15’ A1” nördl. Breite und 121° 20’ 6” öſtl. Länge
belegen ift.
Diefer kurze Meberblid über den Yangtſz' Kiang und die mit ibm
verbundenen Ströme zeigt, welcher trefflichen Waflerverbindung fich ter
Binnenhandel China's erfreut. Aber auch für den überfeeifchen Han-
del iR der Strom von größter Bedeutung. Der 18 Zuß tief gehent:
nordamerifanifche Dampfer „Susquehannah” (8 Kanonen) ſtieß auf
fein einziges Hinderniß bis Nanfing, und noch darüber hinaus bie
Wuhu; an manchen Stellen fand das 8 Faden lange Senfblei keinen
Grund. Ob über furz oder lang die Ehinefen Dampffchiffe zu bauen
„ Der Yangtiz‘ Kiang. 343
und zu benugen anfangen, iſt gleichgültig; der Verkehr des Meiches mit
dem Abendlande ift im fleten Zunehmen und es kann nicht lange währen,
daß auch den Secfchiffen fremder Nationen die Einfahrt in den Yangıfz’
Kiang eröffnet werden wird. Die gegenwärtigen Unruhen in China
fönnen biefen Zeitpunft noch über Gebühr hinaus verfchieben, aber Die
Chinefen find durch und durch ein handeltreibendes Voll. Unabhängig
von der politifchen Stellung ihres Baterlandes zu anderen Ländern
bricht der Verkehr ſich unabläfiig neue Bahnen, die ungeheure Bevöls
kerung bedarf nothivendig zu ihrer Eriftenz eines ſtets fich erweitern⸗
den Handelsverkehrs. Der fortbauernde Bürgerkrieg erſchwert zwar
hier und dort den Austaufch der Probucte; fobald aber dieſer Drud
entfernt fein wird, beginnt ohne Zweifel eine neue Hera für den Han-
del, und der Yangtſz' Kiang mit feinen zahlreichen Nebenflüfien wird
bie Hauptverfehröfteaße des Reiches der Mitte bilven.
In der That Kat diefer Sohn des Dreans nicht feines Gleichen
auf Erden. Der Amazonenftrom mag durch feine Mündung eine noch
größere Waflermenge in’d Meer ergießen, der Mifitffippi auf feinem
Laufe von der Quelle bis zur Mündung ein größeres Terrain durch⸗
fihneiden, beide tragen vielleicht auf ihren Wogen eine größere Mans
nigfaltigfeit von Erzeugniffen aus den an ihren Ufern gelegenen Land⸗
ftrichen; Die Menge der Producte, die auf dem Yangtiz’ Kiang verfchifft
wird, ſteht dagegen ganz einzig da. Wären jene weftlichen Gegenden
China's, die derfelbe durchſtroͤmt, hinlänglich befannt und durchforſcht
und fennte man mit einiger Zuverläffigfeit und Genauigfeit die Bodenbe⸗
Ihaffenheit der Provinz Setfcehuen, man würde dort, aller Wahrfcheins
lichkeit nach, die ergiebigften Mineralgegenden der Erde finden.
Aber wie groß auch immer die Menge von Producten fein mag,
welche jene Gegenden erzeugen, es ift Died Doch nur ein Geringes im
Vergleich mit der zahllofen Bevölferung, die an den Geftaben des
Yangtfz’ Kiang wohnt. In diefer Hinfiht erfcheint das Miſſiſſippi⸗
Ihal wie eine unangebaute Einöde und das des Amazonenftromes wie
eine einfame Wüftenei. Nur die Anfievelungen der Menfchen verleihen
einem Strome feinen Werth und feine Bedeutung, und in diefer Be-
siehung hält Fein anderer Strom der Erde einen Vergleich aus mit
dem Sohne ded Ocean.
Wollte Jemand fih die Mühe geben und bie Lage fänmtlicher
344 K. 2. Biernagki: _
bedeutenden Handelsftädte im Innern von China erforfchen, er würde
finden, daß in den wichtigften Provinzen des Reiches die bei weitem
größte Mehrzahl derfelben duch Waflerftraßen mit einander in Ber
bindung ftehen. Diele Hunderte diefer Städte find faſt nur durch
bie Fahrzeuge der Eingeborenen, welche auf dem Yangtſz' Kiang und
feinen NRebenflüffen bins und herfahren, zugaͤnglich. Wir werden einige
derſelben hier anführen.
Zunächft nennen wir die Stadt Schanghai, deren geographiſche
Länge bereits angegeben ift, am linken Ufer bed Hwangpu, etwa 12
Meilen von feiner Bereinigung mit dem Yangtſz' Kiang. Diefe Bereini-
gung findet 50 Meilen nordweſtlich von der Gützlaff⸗Inſel ftatt, welche
Denen, die in das Innere von China zu Wafler vorbringen mollen,
gleichfam als Wegweifer dient. Es ift noch nicht fehr lange her, daß
Schanghai nur ein unbebeutender Ort war, namentlich ein Schlupf:
winfel für Seeräuber von Korea und Japan. Gegenwärtig iſt ed ans
ders. Schanghai ift, wenn nicht der erfte, fo doch ein dem erften völlig
gleicher Seehafen ded chinefifchen Reiches, deſſen Wichtigfeit, je mehr
Ehina den Fremden fich eröffnet, von Jahr zu Jahr zunehmen wird.
Hierher müflen die Erzeugniffe der fremden Nationen gebracht werben,
welche in Die mittleren, in die weftliden und in bie nörblichen SBro-
vinzen eingeführt zu werden beftimmt find; hierher müfjen gleicherweiſe
wenigftend drei Viertheile von allen Producten des Reiches der Mitte
gebracht werben, welche nach fremden überfeeifchen Häfen ausgeführt
werden follen. Für Ein» und Ausfuhr giebt es feinen geeigneteren
Ort in ganz Ehina, und wenn die Zeit fommt, wo man auch in bie
fem Lande Eifenbahnen bauen wird, — und vielleicht ift fie nicht mehr
fern, da die breiten Ebenen von Kiangnan und das weite Thal des
Jangtſz' Kiang fich befonders dazu eignen, — fo wird Schanghai ben
großen Gentralpunft abgeben, von wo die reich beladenen Züge in's
Innere des Reiches abgehen, und wohin fie von Dorther ebenfalls mit
reichen Ladungen zurüdfehren.
Sutſchau und Hangtſchau, das Paradies von Ehina, zivei
überaus gewerbreiche Städte, liegen gleichfalls im Flußgebiete des
Yangtiz’ Kiang, die erftere 31° 23° 25” nördl. Br. und 120° 25’ 25”
öftl. Länge, die zweite 30% 20’ 20” nörbl. Br. und 120° 7’ 34” öfll.
Länge. Namentlich findet hier ſtarke Seidenmanufactur und fleißiger
Der Dangtiz‘ Kiang. 345
Theeanbau ftatt, und auch für dieſe beiden Artikel bildet Schanghai
ben angemeflenften Ausfuhrplap.
Mährend des Krieges zwifchen Ehina und England in den Jah
ren 1841 und 1842 waren alle bewaffneten Unternehmungen gegen
China fo lange erfolglos, als noch Tſchinkiangfu nicht erobert wor⸗
ben war. Schon der Name diefer unterhalb Nanfing, unmittelbar am
Yangtſz' Kiang gelegenen Stadt zeugt von ihrer militairifchen Wich-
tigfeit, er bedeutet: Wächterftation am Fluſſe. Nachdem fie von ven
britifhen Truppen befeßt worden war, fand Sir Henry Pottinger bie
Minifter Sr. kaiſerl. Majeftät bereit, feinen Eröffnungen ein geneigtes
Ohr zu leihen und feine Wünfche Hinfichtlich der Abfchließung eines
Friedens» und Handelövertrages zu erfüllen. Auch im gegenwärtigen
Bürgerfriege hat fich die Bedeutſamkeit dieſes Platzes abermals bewährt.
Es zeugt von ber großen taftiichen Kunde der fogenannten Infurgen-
ten, daß fie, fobald als möglich, Diefen Ort befegten, von dem aus fie
alle Communication auf dem Yangtſz' Kiang und dem großen Kanal
auf’8 Genaueſte beauffichtigen konnen. Wer Tſchinkiangfu zu behaup-
ten vermag, dem ift auch der Befit von Ranking, Wuhu und anderen,
am großen Fluſſe gelegenen Städte geſichert. Tſchinkiangfu ift das
große Eingangsthor in das Innere von Oft-Afien, ebenfo wie dahin
der Yangtſz' Kiang die Einfahrt zu Wafler ermöglicht.
Die Chineſen haben von Alters her ihre Städte fo angelegt, daß
fie mit Fahrzeugen zugänglich find; faft jede nur einigermaßen beveus
tende Stadt ift von Kanälen durdhfchnitten oder umgeben und fteht
duch folche oder durch einen fchiffbaren Fluß mit der nächitgelegenen
Etadt in Verbindung Man hat in China Feine Landkarten; foviel
aber aus den geographijchen und topographifchen Schriften zu erfehen
it, fo find die Gewäffer in Kiangnan fammtlich für tiefer gehende
Sahrzeuge ſchiffbar, und zwifchen dem Yangtfz’ Klang und dem vorhin
angeführten großen Binnenfee fann die Kommunifation nicht ſchwierig
fein. Einige chineſiſche Schriftfteller fprechen fogar von einer Waffer-
verbindung zwifchen dem Yangtſz' Kiang und dem gelben Fluſſe im
Innern des Reiches, allein es ift doch bis jegt nicht mit Sicherheit
feftzuftellen, ob eine folche wirklich vorhanden ift, und wenn fie es fein
follte, ob fie zu jeder Jahreszeit für größere Schiffe brauchbar ift.
Denn, foviel und befannt, ift der Stand der Gewäfler keineswegs ein
346 8. L. Biernatzki:
regelmaͤßiger, ſelbſt die Ebbe und Fluth aͤußern ſich noch weit in ven
Yangtſ;' Kiang und feine Zuflüffe hinauf, weshalb es nicht gewiß
ift, ob größere Kahrzeuge nach allen wichtigen Handelsplägen, die im
Gebiet des großen Fluſſes liegen, gelangen koͤnnen.
Die Diftrietshauptftäbte in der Provinz Kiangfu, zu Venen
chinefifche Segelboote fahren, find Ifungfiangfu, Taitſangfu, Sut⸗
fhaufu, Tſchangtſchaufu, Tſchinkiangfu und Kiangninfu (32° A0' 40”
nördl, Br. und 118° 47’ öoſtl. L.) an dem füdlichen Ufer des Yanatiz
Klang; Yangtfhaufu (32° 26’ 32” nordl. Br. und 119° 24’ 43"
öftl. L) am nördlichen; und an beiden Ufern beffelben liegen eine Menge
Ortichaften zweiten Ranges, wie Kiangyinhien u. a. m.
Als der amerikanische Minifterrefident im vorigen Jahre einen
Ausflug nah Ranking und Wuhu machte, entvedte man mehrere Ka:
näle, welche in den Strom mündeten und jelbft für Dampffchiffe fahr
bar zu fein fohienen. Nicht fern von Tfchinfiangfu fah man eine Flo⸗
tile von mehreren Hundert Booten, welche aus einem Kanal vom
Korden her in den Fluß einfegelte, der, wie es hieß, dieſen mit dem
Salzflufie verband. An vielen anderen Orten, auch an folden, die
vom Yangtfr’ Kiang entfernt lagen, fah man eine Menge größerer
Schiffe vor Anker liegen. Dies war 3. B. bei Taitfangfu der Fall,
welches ehemals, und vielleicht auch noch jebt, eine bedeutende Han;
delsſtadt war.
In der Provinz Nganhwui find folgende Städte entweder un;
mittelbar am Yangtſz' Kiang oder an einer mit ihm in VBerbinbung
ftehenden Waflerftraße gelegen und deshalb für chinefifche Fahrzeuge
zuganglih; am rechten Ufer: Taipingfu 31° 56’ 57” nörbl. Br. unt
117° 21° 50” öftl. &, Wuhuhien 31° 27’ nördl. Br. und 118° 21'
öſtl. L, Tunglinghien 31° A’ nördl. Br. und 117° 50’ öſtl. L, Tſchi
tihaufu 31° 56’ 57" nördl. Br. und 117° 27' A” oft. L, Tungliu-
hien 30° 22’ nörbl. Br. und 116° 54’ öfll. 2.; dagegen am linfen
Ufer: Hotſchau 31° AA’ nördl. Br. und 118° 20’ öſtl. L., Rganfinyru
30° 37' 10” nördf. Br. und 117° 4’ 13" öftl. 2, außer anderen von
geringerer Wichtigkeit. Alle diefe Städte liegen in einer ausgedehnten
Landfchaft, deren Haupterzeugniß, der Thee, nach allen Welttheilen
ausgeführt wird, und treiben unter einander einen lebhaften Handel
Der Binnenfee Tſchau oder Tfchau hu (hu heißt Wafler, Se
Der Dangtiz' Kiang. 947
wird durch einen Kanal, der leicht befahrbar ift, mit dem Yangtiz
Kiang in Verbindung gefebt und vermittelt den Zugang zu der Dis
ſtrictshauptſtadt Lutfchaufu 31° 56’ 57” nörbl. Br. und 117° 15’
20" öftL. Länge.
Saͤmmtliche Hauptfläbte ber Provinz Kiangſi, 14 an der Zahl,
find für chinefifche Bahrzeuge auf dem großen Fluffe felbft oder auf
feinen Zuflüffen erreichbar; der Yangtſz' Kiang durchſtrömt diefe Pro-
vinz in einem 80 Meilen langen Laufe. Unter dieſen Stäbten find
die vornehmften: Nantſchangfu 28° 37' 12” nörbl. Br. und 115° 48’
17° Hl. 2, Jautſchaufu 28° 57° 20” mörbl. Br. und 116° 44’ 8"
of. 2, Nankangfu 29° 31’ A2” nördl. Br. und 115° 54' 23” oſtl. &,
Kinfiangfu 20° 54’ nörbl. Br. und 116° 4’ 30” öft. 2, Linkiangfu
27° 57° 36” nördl. Br. und 115° 27’ öftl. 2, Kantfchaufu 25° 52’
48” nörbl. Br. und 114° A7' 6” öfll. L, und Nannganfu 25° 30’
nördl. Br. und 101° A5’ öftl. Laͤnge.
Von der zuletzt genannten Stadt an erftredt ſich die Schifffahrt
mit chineſiſchen Booten füdwärts bis auf 300 Meilen nad) dem Po⸗
yang⸗See. Kantfchaufu liegt ganz im Süden der Provinz Kiangfi
und fchien, wie der Reiſende Davis behauptet, jede andere Stadt, vie
er in China gefehen, an Umfang zu übertreffen.
Die Städte Nantfchangfu, Kiufiangfu und einige andere in ber
Provinz Kiangft find häufiger während der lebten Jahre erwähnt wor-
den, weil fie unter den erften fich befanden, die unter dem Joche des
Bürgerfrieges, der in Kiangfi ausbrach, feufzten. Nur die Waſſer⸗
firaßen, welche fie mit einander und den benachbarten Ortfchaften ver-
binden, machten den fohnellen Truppentransport möglich, dem nament-
lih die Infurgenten ihre vafchen, zum Theil unblutigen Erfolge ver:
dankten. Diefe Städte werden auch wahrfcheinlich die erften fein, melche
fih von dem Drude, der auf ihnen gelaftet hat, wieder erholen.
In der Provinz Hupi bilden die drei Städte Wutſchang,
Hanyang und Hanfau einen einzigen großen Verfehrsplag. Kaum
ein anderer Ort in China ift Hinfichtlich der Vollsmenge und der Leb⸗
haftigfeit des Handeld mit diefem zu vergleichen; nur London und
Jeddo, die Hauptſtadt von Japan, bieten ein ähnliches Bild. Hanfau
ift eigentlich nur eine Vorſtadt der beiden anderen, aber unter dem
Namen Hankau verfiehen die Hanbelsleute gemeiniglich alle drei Stäbte
348 K. 8. Biernatzki:
zuſammen. Sie liegen 600 Meilen oberhalb der Mündung des Yangiiz’
Kiang, der hier eine franzöftfche Meile breit it. Am 12. Jan. 1853
wurden fie von den Inſurgenten erobert, die, Faiferlichen Berichten zu-
folge, durch Anlegung einer Mine an der Weftfeite, deren Sprengung
zur rechten Zeit gelang, fih zu Herren der Stabt machten und Deren
Befagung verjagten. Noch manche andere Diftrictöhauptftädte in Hupi
haben eine Wafferverbindung mit dem NYangtiſz' Kiang, 3. B. Ngan⸗
Iuhfu 31° 21’ nördl. Br. und 112° 31’ 58” öfl. 2, Siangyangfu
32° 6’ nörbl. Br. und 113° 5’ 16” öſtl. L, Kingtfchaufu 30° 26’ AO”
nördl. Br. und 112° 4’ 50" öfll. L, Itſchangfu 30° 49' nörbl. Br. und
111° 10’ 20” öftl. 2. und Schinanfu 30° 15’ 56" nörbl. Br. und
109° 25’ 55” Hfll. Länge.
In Hunan find die Mehrzahl der Diftrietöhauptftädte, fowie der
weniger anfehnlichen Handelsftädte gleichfalld mit dem Yangtſz' Kiang
verbunden. Bon den 16 der erftlen Art entbehren etwa 5 oder 6,
und von den 67 geringeren Städten nur etwa eben fo viele dieſer
vortheilhaften Lage. Yohtſchaufu 29° 24’ nördl. Br. und 112° 54’
25" öftl. 2. und Tſchangſchafu 28° 12’ nörbl. Br. und 112° 6’ 57"
öſtl. 8, find Hier vornehmlich namhaft zu machen. Erftere Stadt fiel
fhon am 13. December 1852 den Infurgenten in die Hände, nachdem
die in der Stadt garnifonirenden Truppen, wie der Faiferliche Bericht
ſelbſt eingefteht, bereit am Tage vorher davon gegangen waren. An
Tſchangſchafu dagegen marfchirten die Infurgenten vorüber, ohne e8 an-
zugreifen; nach dem Falle von Yohtſchaufu Fonnte es überhaupt nicht
länger von ben Faiferlihen Truppen gehalten werden, die angeblich dort
in einer Stärfe von 3000 Mann, Freiwilligen aus der Provinz os
kien, fanden.
Die Provinz Setſchuen zählt feine einzige Stadt von einiger
Bedeutung, welche nicht im Gebiet des Yangtſz' Kiang und feiner oben-
genannten vier Zuflüffe läge; e8 würde aber zu weit führen, auch nur
die bedeutendften namhaft zu machen. Es herrſcht hier dieſelbe Leich:
tigfeit des Waflerverfehrs, wie in den öfllichen Provinzen des Reiche,
worüber die im vorigen Jahre bereits in zweiter Auflage erfchienene
Reife des Pater Huc (lempire chinois) nähere Auskunft giebt.
Wir haben nur eine Skizze dieſes mächtigen Stromes und feines
Landgebietes den Lefern vorlegen wollen; das vorhandene Material
Der Dangtiz’ Kiang. 349
würbe allerdings noch eine detalllirtere Darftellung zulafien, aber aus
dieſen Umriffen ergiebt fich zur Genüge, welch eine Pulsader commer-
ciellen Lebens diefer Strom ift, deffen Ufer noch überdies größtentheils
überall dem Auge die herrlichften Landſchaften vorftellen. Nachdem
auch Japan, wenigftens theilweife, dem Verkehr mit dem Abendlande
eröffnet worden, rüdt der Zeitpunkt immer näher, wo die chinefifche
Regierung, wenn auch ohne Waffengewalt, gezwungen werben wird,
bie legten Schranken felbft nieberzureißen, durch welche fie ihr herrli-
hed Land von dem Verkehr mit den übrigen Kationen ausfcheibet.
Dann werden in furzer Zeit die MWogen des Yangtfz’ Kiang, zumal
wenn erft Das Fahrwaſſer genau fondirt und mit Tonnen und Bojen
verfehen fein wird, wozu jet die Amerikaner ernftlich Anftalt machen,
eine Handelöflotille auf ihrem Rüden tragen, die an Größe, an Reich⸗
thum der Ladungen, und, wie wir wenigftend meinen, auch an Zahl
der einzelnen Schiffe von feiner anderen irgend eined Stromes der
Welt übertroffen werben wird. Denn China's Producten-Reichthum
it unerfchöpflich und alle Welttheile begehren denfelben, — die Blume
der Mitte ift das Land der Zukunft!
8. 2. Viernatzki.
XI.
Die neueſten ruſſiſchen Erwerbungen im Amuͤrlande.
— — —
Als im Beginn des 17. Jahrhunderts die Ruſſen bis in die öſt⸗
tichften Theile Sibiriend vorgedrungen waren, brachten tomsfifche Kos
fafen in den Jahren 1636 — 1639 vom Wljafluffe Her die erfte Kunde
von der Eriftenz eines ſehr großen Stromes in der Mandfchurei
(Müller in feinen Sammlungen ruffifcher Gefchichten. St. Betersburg
1736. 11, 292), welcher bei den Chinefen den Namen des Heslong-
fiang führt und bei den Ruſſen fofort den des Amür erhielt. Bald dar
auf (im Jahre 1647) wurden durch zwei Unternehmungen Wege aus
dem Jakuͤtenlande bis zu diefem Strome gefunden, aber befonders war
e8 der Koſakenoffizier Waſilei Pojarkoff, welcher den größten Theil des
Laufed des Amtır bis zu defien Mündung in den Dcean aus eigener
Anfchauung kennen lernte. Derfelbe drang nämlich im Jahre 1643
mit einem Haufen jogenannter Promuiſchleniks, d. 5. Abenteurer,
die im 16. und 17. Jahrhundert in der Entvedungsgeichichte Sibi-
riend ungefähr doffelbe waren, was heute die Pioneerd im Innern
Nord Amerifa’s, von der neubegründeten Stadt Jafütsf in Die Man-
pfehurei in der Hoffnung ein, Silbererze zu finden, die angeblich am
Uras (Urka⸗) Fluſſe gegraben ‚wurden, indem er anfänglich die Lena
abwärts bis zu der Einmündung des Aldanfluffes (Zeitfchr. IV, 484)
in diefelbe 30g und hierauf dem Laufe dieſes Fluſſes A Wochen lang,
fowie dem mehrerer anderen Flüſſe aufwärts folgte, bis er endlich das
große Orenzgebirge zwifchen dem damaligen Gebiete der Jafüten und
der Mandfchuren, den Jablonoi Chrebet oder Stanowoi ( Zeitfchr. IV,
A486 — 487) erreichte. Zwei Wochen bedurfte Pojarfoff in dem Ge
Die neueften ruſſiſchen Erwerbungen im Amürlanve, 351
birge, um den Wolok (Trageplag) zwifchen der Nujemfa, einem noch
zu dem Gebiete der Lena gehörenden Yluffe, und der Briända, einem
anderen bereit auf dem Sübdabhange des Gebirged entfpringenden
Flüßchen, das fih in die Seia (Tichikirasula der Mandſchu's oder
Dſchi der Tungufen; Fiſcher, fibirifche Gefchichten II, 780), einen bes
deutenden Zuſtrom des Amtır, ergießt, zu überfchreiten. Auf der Seia
fchiffte fih Pojarfoff mit feiner Mannfchaft ein, und indem er dieſen
Strom bis zu feiner Vereinigung mit dem Amür und dann den Lauf
des letzten felbft bis zu der Ausmündung in das Weltmeer befuhr, fo
wurde gleich in den nächften Jahren nach der erften Entdeckung eine
fo volftändige Kenntniß des Amuͤr erworben, wie die Entdeckungsge⸗
fehichte der Riefenftröme der Erde Fein Beifpiel einer umfaflenderen Er:
forfchung in fo kurzer Zeit aufzumweifen hat. Pojarkoff fand zwar Feine
Silbererze, dagegen aber erwarb er mit feinen Gefährten eine ſolche
Zülle des koſtbarſten Pelzwerkes, daß fchon im Jahre 1650 der Kos
fafenanführer Jerofei Chabaroff mit einem Haufen Promtifchlenits zu
demfelben Zwede nach dem Amtırlande aufbrach, wo er eine Linie bes
feftigtee Bolten am Strome und an den oberen Zuflüffen, namentlich
darunter ven Poſten Jakſa, das in der fpäteren Gefchichte diefer Ges
genden fo oft genannte Albafinsk, anlegte und einen großen Theil der
Mandichurei der ruffifchen Krone unterwarf. Chabaroff gelangte je⸗
doch nicht felbit bis zur Mündung des Amuͤr, wohl aber war dies
mit einem feiner Unteranführer, dem Koſaken Nagiba im Jahre 1651
der Fall (Müller a. a. DO. II, 323 — 329). Pojarkoff's und Nagiba’s
Befahrungen des faft ganzen Amuͤr waren übrigens die einzigen von
Europäern oder wenigftend von deren Nachkommen in Sibirien auöges
führten Unternehmungen der Art, bie wir fennen, indem bis in bie
neuefle Zeit niemals wieder eine folche beendet werben fonnte. Aus
dem Angeführten ift ſchon erfichtlih, daß Pojarkoff nicht allein den
Ruhm hat, den man ihm zuweilen zugefchrieben, den Amtr bis zu ſei⸗
ner Mündung befahren zu haben, indem Nagiba mit ihm viefe Ehre
theilt. Erſt in neuerer Zeit wurde wieder ein ſolches Unternehmen ver-
fucht, das aber leider im Entftehen eine Unterbrechung erlitt. Der fran-
zöſiſche Lazariften-Mifftonar P. de la Bruniere befchloß nämlich nach
einem von ihm am 5. April 1846 an den Ufern des Ufuri (Ufuli der
Ghinefen) gefchriebenen Briefe (Excursion en Mandschourie en 1845
352 Gumpredht:
in den Nouv. Annales des voyages 1848, IV, 82 — 115) ben
Amuͤr bis zu feiner Ausmündung zu befahren,‘ indefien machten Mör-
derhände unmittelbar darauf dem Plane ein Ende, indem de la Bru-
niere in dem am Amür gelegenen Dorfe Hon⸗Tong von den Einge:
borenen, einem langhaarigen Menfchenfchlage, ermorbet wurde (Bericht
des Lazariften B. Venault ebendort 1852, II, 216 — 217).
Häufige Fehden der ruffifhen Einvringlinge mit den Eingebore
nen, die von fenen in ihrem Hauptnahrungszweige, der Jagd der Pelz⸗
thiere, beeinträchtigt wurden und noch manche andere Bebrüdungen zu
erleiden hatten, folgten unmittelbar Chabaroff’s weitfchichtigen Eroberun⸗
gen, welche in Bezug auf das Glück, das fie begleitete, manche Aehn⸗
lichfeit mit Cortez', Pizarro’s, Alvarado’8 und der ſpaniſchen Abenteu-
rer Unternehmungen in Amerika hatten und gleich den Thaten ber
Spanier allein durch das Mebergewicht des Feuergewehrs über Die un
vollfommenen Waffen der Eingeborenen ermöglicht wurden. Durch bie
Kriegszüge der Kofafen wurde zugleich Die erfte freilich fehr unvoll-
fommene Kenntniß ded Amürlandes erlangt. Den Berichten der Ruſ⸗
fen folgten bis jet nur noch die faft eben fo dürftigen Nachrichten in
den chinefifchen geographifchen Werfen und in den lebten Jahren einige
nicht minder magere Berichte frangöfifcher Lazariften, der einzigen Eu⸗
ropäer, denen ed in neuerer Zeit gelungen ift, in das Innere des
Amtrlandes einzubringen, namentlich die Mittheilungen der Mifftonare
de la Bruniere und Venault. Nach Aaron Haight Palmer's Werf
(Memoir geographical, political and commercial on the present
state, productive ressources and capabilities for commerce of
Siberia, Mantschuria and the Asiatic Islands of the Northern Pa-
cifice Ocean and the importance of opening commercial inter-
course with those countries etc. Reports 30. Congress. I. Sess.
No. 80. Washington 1848) fol zwar der frühere apoftolifche Vicar für
Korea und die Lutſchu⸗Inſeln Dr. Ferr&ol in den Annales de l’Asso-
ciation de la Propagation de la Foi Maiheft 1846 eine ausführliche
Befchreibung des Amürlandes geliefert haben; indeſſen ift diefe Angabe
irrig, indem weder ber ebengenannte, noch bie früheren over fpäteren Jahr⸗
gänge einen dergleichen Bericht Yerr&ols enthalten. Was bis zum Jahre
1834 über das Amürland befannt war, hat Herr C. Ritter mit gewohnter
Die neueſten rufflfchen Erwerbungen im Anrürlande. 358
ſicheret Hand zu einer umfaffenden Darftelung diefer Gegenden in
feiner Erdkunde benugt (Afien II, 430 — 490, 612 — 622).
Ungeachtet der Fehden mit den Eingeborenen blieben die Ruffen faft
40 Jahre hindurch im ungeflörten Beſitze des Amuͤr und des nörbliches
ren Theiles der Mandſchurei, da die Manpfchu feldft erſt kurz vorher
(im 3. 1644) das chinefifche Reich zerftört hatten und noch gu ſehr
mit der Conſolidirung ihrer Macht in dem ungeheuren Bereiche ihrer
Eroberungen bejhäftigt waren, als daß fie den ruffifchen Eroberungen
im Heimathlande die nöthige Aufmerfjamfeit hätten fchenfen können.
Erft im Jahre 1689 fandte der Kaifer Kangshi, einer der ausgezeich⸗
netſten Regenten, bie China je befefien hat, eine ftarfe Militairmacht
nad) dem Amuͤr, welcher die Ruffen nicht wiberftehen fonnten und bie
deren Niederlaffungen zerftörte. Dadurch gelangte das ganze Amuͤrland
wieder in den Befig der Manpfchuherrfcher in China. In dem unmittel-
bar darauf am 7. September 1689 zu Nertſchinsk zwoifchen China und
Rußland abgeſchloſſenen Frieden, wobei die Jeſuiten P. Gerbillon und
Pereira als Dolmetfcher der chinefifchen Bevollmächtigten thätig waren,
ließen fich die ruſſiſchen Gefandten durch eine flarfe chinefifche Flotte
auf dem Amür und durch ein Landungsheer von 10,000 Mann, das
Nertſchinsk und ganz Transbaifalien bedrohte, einfchüchtern und traten
alle Befigungen Rußlands in der Mandfchurei nebft dem Amurlaufe
ab, indem in dem Tractat feftgeftellt wurbe, daß im Often und Norbs
often von Nertſchinsk die Grenze beider Staaten durch den von Nor⸗
den her in die Schilfa fließenden Goritza bach oder nach einer anderen
Auslegung noch weiter im Often durch den gleichnamigen Gorigafluß,
welcher in dem aus der Bereinigung der Scilfa und des Argun ents
flandenen Amür endet, gebilvet werben follte, und daß weiter von der
Gorika an die Grenze beider Reiche bis zu dem Drean der Waifer-
fheide auf dem Stanowoi zu folgen habe. Ein zweiter am 14. Juni
1728 zu St. Petersburg gefchloffener Vertrag änderte in dem Wort⸗
laute des Nertichindfer Vergleiches nichts, aber fo öde und unbekannt
it das Land in dieſen Gegenden, daß, wie früher erwähnt (Zeitfchrift
IV, 492), Middendorff's Forſchungen noch im 3. 1845 zu der unerwar-
teten Entdeckung führen fonnten, daß nad) beiden Verträgen und den
von den Chinefen ſelbſt geſetzten Grenzpfählen und Landmarfen ein uns
Zeitſchr. f. allg. Erbfunde. Bd. V. 23
854 Oumpreät:
geheurer Strich von nicht weniger, als 50,000 Werſt unzweifelhaft
zu Rußland gehört, der aber bisher gar nicht von den fibirifchen Bes
hörven beachtet worden war. Die völlige Aufgabe des Amuͤrlandes war
aber nicht der größte Rachtheil von den beiden Verträgen, ein viel bebeu:
tenderer entfland für Rußland dadurch, daß durch feinen Paragraphen
den Rufen die Befahrung des Amür bis zu feinem Austritte in Das
Weltmeer vorbehalten worden war. Die Chinefen benusten den Fehler,
fchloffen fofort die Ruſſen von der Benugung des Stromes und feiner
großen fchiffbaren Zuflüfe aus und Hinderten dadurch faſt 200 Jahre
das Aufblühen des üblichen Sibiriens auf das empfinplichfte, indem
ohne dieſes Hinderniß nicht allein Nertſchinek und ganz Transbaikalien
eine Wafferverbindung mit der ganzen Mandſchurei und dem Ocean
gehabt Hätten, fondern auch eine ſolche mit Leichtigkeit aus dem In;
nern Sibiriens fich hätte herftellen laſſen ( Zeitfchrift IV, 428). Denn
nach den Angaben eines neueren englifchen Reifenden Mr. Cotrell ließe
fi von der Schilka bis zu dem großen, in den Baifalfee fallenden Ee-
lengaflufje ohne bedeutende Koften eine fchiffbare Waſſerſtraße herftellen,
da die wenigen Stromfchnellen und Wafferfülle in den fonft fahrba-
baren und theilweife, wie Die Ingoda, der Schilfa, theilmeife aber auch,
wie der Khiljof, der Selenga zugehenden lüften, ohne große Mühe
und Koften zu entfernen wären (Cotrell bei Palmer ©. 42). Erfol⸗
gen diefe Stromregulirungen, fo vermödhte man mittelft der Angära
und des Irtiſch, alfo aus dem Herzen Sibiriens, in Booten bis zu
dem Weltmeere im Often zu gelangen, während andererſeits die Fluß
fchifffahrt auf den großen Zuftrömen ded Amür, dem Songhari oder
Songhu (dem Schingal der Rufien, dem Kuantong der Chinefen) und
dem Ufüri (Ufuli) oder Ufürs Ula die Mandfchurei in allen Richtun⸗
gen den Ruſſen eröffnen würde. Der Songhari, ber ſich unter dem
49. Grade nörbl. Breite mit dem Amuͤr vereinigt, ift nämlich ein Fluß
von fo gewaltiger Größe und Tiefe, daß die Ehinefen venfelben für
den wahren oberen Lauf des Amür halten, und durchzieht die weftliche
und befonders die ſuͤdweſtliche Mandfchurei, und auch der Ufüri, deſſen
Quellengebiet in den Gebirgen nahe dem japanifchen Meere liegt, if
nach dem Berichte eincs der wenigen Europüer, die ihn aus eigener
Anſchauung fennen lernten, des ſchon genannten de la Brunidre, ein
eben fo großer und tiefer Fluß als der Songhari; er vereinigt fich
Die neueften ruſſiſchen Erwerbungen im Amürlande. 855
nach einem langen nörblich gerichteten Laufe etwa unter dem A9. Grabe
nördlicher Breite mit dem Amuͤr und bemwäflert den ganzen füblicheren
Theil der Mandfchurei. Unter diefen Umftänden war es feit faft zwei
Jahrhunderten das eifrigfte Beftreben der Ruſſen in Sibirien, wieder
in den Beflg des Amuͤr zu gelangen oder von den Chinefen wenig»
ftens die ungehinderte Befahrung deffelben bis zu feiner Ausmündung
in den Drean zu erlangen, indefien glüdte dies nicht, da foldhen Wüns
fhen die befannte mißtrauifche Politif der Chinefen ſtets hindernd im
Wege ftand, bis erft die neueren politifchen Verhältniffe Ehina’s auch
für diefe Gegenden eine Umgeftaltung erlitten. Schon vor einigen
Jahren hatten fich zwar die Ruſſen beftrebt, ohne förmliche Einwillis
gung der chineftfchen Regierung auf der nördlichen Seite des Amuͤr
feften $uß zu faflen, wobei fie von der jegigen Verödung des Landes
und der Außerften Dünne der Bevölferung unterflügt wurden (Zeit
fhrift IV, 492), ja fie beabfichtigten nach Venault's Bericht fchon
im Jahre 1850, eine Stadt zu Poulo anzulegen (Nouv. Annales des
Voyages 1852, IV, 223), aber erſt vor Kurzem find ihnen von ber
hinefifchen Regierung fo umfaflende Eonceffionen gemacht wurden, daß
fie Alles erreichten, was fie fo lange und oft vergeblich erftrebt Hatten.
Nah einem im Frühlinge dieſes Jahres zu Irkaͤtsk gefchriebenen und
im Jufi durch Die peteräburger Zeitfchrift Die norbifche Biene mit-
getheilten Briefe hat nämlich der jegige Beherrſcher des himmliſchen
Reiches ven Ruſſen nicht allen die volle freie Befahrung des Gros
Ben Stromes!) geftattet, fondern auch denfelben freiwillig den gans
zen an deſſen Mündung gelegenen Theil der Mandfchurei abgetreten,
eine Gonceffion, Die Seitens der Chineſen fein bedeutendes Opfer war,
da, wie die chinefifchen Beamten ben ruſſiſchen erklärten, der Fluß ihnen
von gar feinem Nuten war. Mit Recht begrüßt das Jakutöfer Schrei-
ben diefe Erwerbungen als ein Ereigniß von unfchägbarem Werthe für
die Zufunft Sibiriens und meint wohl nicht ohne Grund, Daß die Por
litik der Chinefen daran feinen geringen Theil habe, indem bie legten
nach den faft 200 Sahre beftandenen freundfchaftlichen Verhältniffen mit
Rußland die Hoffnung hegten, im alle eines Krieges mit einer euros
I) Der Name Amür odes Tamur foll michts anderes, ale Großer Fluß, be
teuten (PBallmer a. a. O. 34).
23”?
856 Sumpredt:
päifchen Macht von jenem Reiche Beiftand zu erlangen. Wie treiflid
überhaupt der Amuͤr für die Steigerung des Verkehrs in dieſen Ge
genden, ja für das ganze Aufblühen Sibiriend geeignet ift, haben be
reits Die neueften Erfahrungen erwiefen, indem rufftfche Dampfer von ge:
ringer Kraft von der fchilfinafifchen Fabrik ) bis an den Drean in 14
Tagen zu fahren vermögen ?) und da ferner die Erfahrung gelehrt Bat,
daß man von nun nicht mehr genöthig fein wird, das zur Perper
viantirung Kamtfchatfa’8 und der ruffifchen Befigungen in Nord⸗Ame
rika beflimmte Mehl auf dem 6000 Werft langen befchwerlichen Land.
wege von Jakuͤtsk nach Ochotsk zu fenden, fondern Daß man aus den
transbalkalifchen Landftrichen das Mehl den Amür abwärts bis wu
defien Mündung zu verführen vermag. Welche Erfparnifie dadurd
für die Krone und die ruffifch-amerifanifche Compagnie fich ergeben,
erweift die Thatfache, daß das Pfund Mehl in Kamtfchatka für 15
Kopeken Silber verfäuflich fein wird, während man Daffelbe bei erſchwer⸗
ten Zufuhren hier oft mit 10 — 15 Rubel in Affignaten, ja im Jahr
1847 nach Pallmer's Angabe (a. a. DO. 15) fogar mit 28 Papier:
rubeln bezahlen mußte. Freilich möchten folche Veränderungen bie Statt
Jakuͤtsk, die wefentlich durch den MWaarentransport nad und ren
Kamtfchatfa und Nord⸗Amerika ihre Bedeutung erhielt (Zeitfhr. I,
448) auf das empfinvlichite berühren, indem auch die Theetransporte
aus China Fünftig den naturgemäßen Waſſerweg nach Sibirien air
fehlagen werben, jo daß Jakuͤtsk kaum noch etwas anderes, als te
Stapelplab für die in den Waldregionen der Tungufen und Jafut
gewonnenen Pelzwaaren bleiben dürfte. Aber abgefehen davon, vu
das Amurland in der Zufunft zu einem wichtigen Tranfitland fid c
heben wird, bietet deffen Erwerbung Rußland noch andere wichtige Ber:
theile dar, indem es nicht allein ein eben fo reiches Gebiet an Pi;
thieren, wie das öftliche Sibirien If, fondern auch in feinen Erzen un
feinem überaus trefflichen Boden dauernvere Vortheile verfprict. Ti
2) Das ift wohl die große Schilfifche zu Neriſchinsk gehörende Siberſchwel
hütte (Georgi, Bemerkungen auf einer Reife im ‚ruffifchen Reiche I, 332, 334).
2) Der Amir hat nämlich, wie fchon Müller Im Jahre 1741 wußte, wer
Klippen, noch Waflerfälle, und fogar eine fo anfehnliche Tiefe, daß auch mittelmähir
Seefahrzeuge von europälfcher Banart ohne Noth darauf fortfommen fin
(Müller in Büſching's Magazin für die nene Hiftorie und Geographie IV, 507)
Die neueften ruffifchen Erwerbungen im Amuͤrlande. 357
Mandſchurei ward zwar damals weſentlich nur von nomadifchen einge:
borenen Pelzjägern durchftreift, die einen Theil ihrer Erträge als Tribut
abliefern mußten, und allein in den füblichen Regionen fanden fich anges
fiebelte chinefifche Verbannte, da die chinefifche Verwaltung dieſes Land,
ganz ebenſo als Verbannungsort, wie die ruffifche Regierung Sibirien,
benugt, indefien ſcheint es nicht, daß die Verbannten Hierher, wie bie
ruſſiſchen nach Sibirien (Zeitfchrift IV, A30), Elemente der Eivilifation
gebracht Haben, da wenigflend de la Brunieres, Venault's und des
apoftolifchen Vicars Verolles Berichte nichts davon erwähnen.‘ Den⸗
noch fcheint die Mandfchurei für die Errichtung fefter Riederlaffungen
ganz geeignet zu fein, indem ſchon die erften ruffifchen Streifpartien
und Eroberer in der Nähe des Amar felbft und feiner Zuflüffe Ader-
bau vorfanden. So traf Pojarkoff denfelben bei den an der Seia
wohnenden Dasüuren, nicht minder war dies mit Chabaroff der Fall,
und endlid wußte fogar ein zur linterfuchung des Amuͤrlandes von
Neriſchinsk aus mit einem Kofakentrupp abgefertigter Offizier, der
Dojarenfohn Ignatei Milowanoff, nicht genug die Güte des dortigen
Aderlandes hervorzuheben (Müller bei Büfching II, 496), indem auch
er an der Seia und dem Amuͤr den Boden an vielen Stellen culti-
virt fand; ja felbft den Gebrauch der Silo's ſah Chabaroff bei den
Eingeborenen (Müller in feiner Sammlung ruffifher Geſchichten U,
311). Deshalb füeten fchon deffen Leute Korn (S. 312), und Cha⸗
baroff's Nachfolger, der von der rujlifchen Regierung eingeſetzte Statt-
halter des Amurlandes Sinowiew, wollte gleichfalls im Jahre 1652,
daß Aderbau hier betrieben würde (S. 337), ja der ruſſiſche Hiſto⸗
rifer Sifcher fand fich nach den ihm vorliegenden Berichten fogar zu
der Aeußerung veranlagt, daß man fich Feine bequemere und fruchts
barere Gegend für den Aderbau wiünfchen fönne (Sibiriſche Geſchich⸗
ten I, 807). Diefe günftige Befchaffenheit des Amuͤrlandes im Vers
gleiche mit Sibirien machte einen folchen Eindruck, daß die Sibirier
damals die neuen Eroberungen, ganz wie die AnglosAmerifaner vor
einigen Sahren Californien, als ein neues Canaan und als ein fibi-
riihes Paradies anfahen, und daß ſich ein allgemeiner Schwindel
der dünnen Benölferung Sibiriend bemächtigte, die fi nun immer
mehr nach dem Süpden Hin zerftreute (Müller Sammlung II, 337).
Da endlich Eifenerze zwifchen dem Amur und dem Selindaflufle vor⸗
358 Qumpredt:
fommen, bie, wie es frheint, noch heute nicht von den Eingeborenen
benußt werben, alfo Quellen des Gedeihens in biefem Theile der
Manpfchurei reichlich vorhanden waren, fo ſchlug ſchon Chabaroff das von
den Amüur und der Seia gebildete Zweiltromland zur Anlegung eine
Stadt vor, ein Blan, der nicht zur Ausführung fam und unter dm
obwaltenden Umftänven zwei Jahrhunderte hindurch ruhen mußte, bis
er erſt in ber neueflen Zeit nebft anderen Plänen des intelligenin
Ehabaroff aufgenommen werben konnte. Schon im Yrüßlinge die
Jahres fandte nämlich die ruſſiſche Regierung einige Bauernfamilien
aus dem Srkütsfer Bezirke den Amuͤr abwärts mit der Weifung, fe
fort Aeder anzulegen und dieſe zu bebauen, damit die Eoloniften ſche
im Herbfte ihr eigened Korn und Gemüfe hätten. 300 Werſte von
der Mündung des Amtr wird eine Bezirfsftabt mit einer Feſtung ar
gelegt werben, der Berwaltungsbezixf von Kamtſchatka Hört nad den
- irfütöfer Berichte wahrfcheinlich ganz auf, worauf der neuefle Abzug
der ruffifchen Befagung und der ruffifchen Behörben aus Kamtidatla
hinbeutet, und ein neuer im Amuͤrlande tritt an deſſen Stelle Eben
falls im Frühlinge begab fi der Generals Gouvernene des öflihen
Sibiriend nad dem acquirirten Gebiet, um die nöthigen Maßregen
zur Regulirung der Verhältniffe und namentlich zur Feſtſtellung ve
Grenzen mit den dhinefifhen Behörden zu treffen. Gleichzeitig gingen
ununterbrochene Züge von Feftungsartillerie, Kanonenkugeln, Bons,
eifernen Laffeten, Anfern und Dampfmafchinen durch Srfütsf, die fe
fort über den Baikal weiter gefchafft wurden, fo daß alle Maßregeln dr
ruſſiſchen Regierung darauf hinweifen, daß fie das Amuͤrland umfafen
zu benugen beabfichtigt. Dadurch erflärt es fich zugleich vollkommen,
daß nach den neueften Berichten aus jenen fernen Gegenden bie Amır
mündung durch flarfe Forts mit einer Befagung von angeblich 8-
10,000 Mann gefichert ift, aber es fcheint nicht richtig, daß ber dluß
bei feinem Eintritte in ben Ocean nur 13 Fuß Waffertiefe hat, indem
die ben vereinigten Flotten in Kamtfchatfa entgangenen ruffifchen Kriege⸗
fahrzeuge, darunter zwei große Fregatten, die Amürmündung pa!
und in dem Strome ſelbſt Schuß gefunden haben.
Unter den Elementen für das fünftige Aufblühen des Amurlar
des dürfte namentlich auch der ungemeine Fiſchreichthum ber grohn
Ströme feine geringe Stelle einnehmen, indem die Flüffe nad del
Die neueften ruſſiſchen Srwerbungen im Amuͤrlande. 359
Bruniere nit allein von befannten Fifchen, wie Lachſen, Lachsforellen,
Stören, Haufen (Bjeluga) von 20— 25 Fuß Lunge, Hechten, Wel⸗
fen, welche lehte erft wieder im Onon, einem Quellſtrome der Schilke,
ſich finden, nachdem fie in ganz Sibirien vom Ural an fehlen (Ritter’s
Erdkunde, Aften II, 281), wimmeln, fondern auch zahlreiche andere
unbefannte und werthvolle große Fiſche befiten. Dazu gehört 3.8. der
Iluam it von 1000 bis 2000 Pfund Schwere, der ein fehr weißes, fehr
delicates knorpliges Fleiſch Hat und deſſen eigentliche Knorpel fogar für Das
Beſte an dem ganzen Thiere gehalten werden, weshalb andy die chine-
fiichen Beamten fie für die Tafel des Kaifers fammeln müflen; ferner
der Tamara von 10 — 15 Pfund Gewicht, der aus dem Meere in bie
Flüſſe auffleigt. Die Amvohner des Amtır find übrigens ſehr gefchidte
Fiſcher, und befonders die Tungufen am unteren Amuͤr ſchießen bie
Fiſche mit Armbrüften, fobald fie deren Rüdenfloffen aus dem Waſſer
auftauchen fehen. Selbft ein Pflanzenproduct der ſuͤdlichen Mambfchurei
dürfte für den fünftigen Handel der Ruflen mit China von Bedeutung
werben. Es ift dies der bei den Chineſen fo Hoch berüfmte Ginfeng,
die tubereulofe Wurzel von Panax Ginseng, einer Araliacee, deren
erfie genauere Befchreibung und Zeichnung wir fchon vor fait 150
Jahren dem Jeſuiten P Jartour verbanften (Lettres ödifiantes des
Missions. Paris 1713. X, 160—172), und die in neuerer Zeit wieder
durch Nees von Eſenbeck wifienichaftlich unterfucht und im Supplement
feines zu Düflelvorf erfchienenen Werkes über Arzeneigewächfe Tafel 112
abgebildet wurde. Weber die Heilfräfte diefer merkwürdigen Pflanze,
deren Vorkommen im öftlihen Alien fih auf Korea (I. M. Callery
in der Revue de l'Orient 1844, V, 277) und auf die fübliche, an
Korea anſtoßende Mandſchurei in der Nähe des Uſuri zu befhränfen
ſcheint '), find die Berichteritatter befanntlich fehr verfchiebener Anficht.
Während die Chinefen den Ginfeng in allen Förperlichen Uebeln für
eine Banacee halten, die Schwindfüchtige nach Verluſt ihrer halben
Zunge Heilen fol, Greifen angeblih das erlofchene Jugendfeuer
wiebergiebt, die Wirkung von Giften im Körper völlig zerftört und
ähnliche Wunderfräfte ausübt (Gallery 277), haben fich neuere euro⸗
1) Sonderbarer Weife ſagt der franzöftjche Gonful Gallery, der freilich nicht in
Korea ſelbſt war, daß der Ginfeng hier auf waldfreien (decouvertes) Bergen wächſt,
wogegen de la Bruniere venfelben am Ufuri gerade in Bergwälbern gedeihen laͤßt.
360 Bumpredt:
päifche Forſcher in der Hinftcht ziemlich ungläubig gezeigt *). Die Chir
nefen nennen in ihrer Vorliebe für ven Ginfeng denfelben nad Jar
tour auch wohl Orhota d.h. König der Pflanzen, während das
Wort Ginfeng nicht das Leben der Menfchen in Bezug auf die
angeblichen Heilfräfte der Pflanze, fondern in Bezug auf die eigen
thümliche formelle Geftaltung der Wurzel Tebender Menſch bedeuten
fol (Eallery 278). Nach dem Werth, den die Ehinefen dem Ginjeng
beilegen, find die Breife in deren Lande natürlich fehr Koch und nammt-
lich Eremplare des wahren Ginfeng von Korea werden noch immer mit
Golde aufgewogen, fo daß die Wurzel den lohnendften Theil des Han
dels von Korea mit China bildet. Die Eremplare aus der Mandſchurei
haben aber fogar einen erftaunlich hohen Werth, wenn es wahr il,
wie P. Verolles berichtet, daß man 50,000 Francd für das Blunt
bezahlt, wogegen der foreanifche Ginfeng jet nur noch 200 France
im Handel gilt (Nouv. Annales des voyages 1852, IV, 223)?)
Mit Recht führt darum der Ginfeng der Manpfchurei, wie de la Bu
niere verfihert (a. a. O. IV, 107), den Ramen des Schabes des
Landes. Bei fo enormen Preifen und der wenigen Wirkfamfeit des
durch Eultur gezogenen Ginfeng nad) Angabe der Chinefen darf man
fi auch nicht wundern, daß der canadifche Ginfeng, die Wurzel eine
dem mandfchurifchen Ginfeng nachſtehenden Panarart, troß ihres viel
geringeren Werthes zwei Drittel von dem Conſum biefes Probucts in
China bildet. (Callery 277). Was endlich noch die Heilkräfte des Gin
feng betrifft, fo ift e8 gegen die europäifchen Zweifler allerdings von De
deutung, daß die älteren und neueren franzöfifchen Geiftlichen in China
diefelde gar nicht für eine Chimäre erachten. Schon Jartour erflirt
den Binfeng aus eigenen Beobachtungen für ein treffliches tonis
fches Mittel (a. a. DO. 162 — 164) und übereinftiimmend damit fügte
de la Bruniere, er halte denfelben nach eigener Erfahrung für dad
befte tonifche Mittel bei Magenfchiwäche, wo der Ginfeng noch wirk,
2) Der berühmte franzöfifche Botaniker Richard fagt z. B. im feiner Botangu
medicale, daß der Ginſeng ſich durch 100 andere unendlich wohlfeilere europäiit
Pflanzen erſetzen lafle.
2) Nach de Ia Bruniere bringt eine Wurzel von Fingersdicke dem finter in
Mandfchurien einen Gewinn von 800 — 1000 Taels (a.a. D. IV, 1085). Der Teti
it 614 preuß. Gilbergrofchen gleich.
Die neueften rufflfchen Eriverbungen im Amürlande. 361
wenn feldft die Ehina ihre Dienfte verfage (a. a. ©. 106), freilich wäre
nur die wilde Pflanze gut. Wie dem auch fei, fo dürften die Auffen,
wenn fie fih des Handeld von Süd⸗Mandſchurien bemächtigen, was
nicht lange ausbleiben wird, in dieſem Producte einen werthvollen Erport-
artifel nach China erlangen. Bisher geftattete Die Regierung nur etwa
10 chineſiſchen Kaufleuten gegen Erlegung von 100 Taels und mehr
und gegen Eriheilung von Päflen den Eintritt in die Mandſchurei,
fowie die Befahrung des Sunghari und Ufuri, um Ginfeng zu faus
fen, jo daß der Höchft einträglicde Handel damit das Monopol weni
ger Begüinftigten war. Außer diefem Product und dem Tribut von
Pelzwaaren brachte dad ganze Amurland China nichts ein, woge⸗
gen die Unterhaltung einer beträchtlichen Flotte auf den fchiffbaren
Strömen, einer Militairmacht und der Beamten große Koften verurs
ſachte. So muß man alfo ganz der von Herrn E. Ritter in richtiger
Erfenntniß der Verhältniffe fehon im Jahre 1834 ausgefprochenen An-
fit (Erdkunde, Aſien II, 437) beiftimmen, welche wörtlich aljo laus
tete: „Den Ehinejen bringt der Amuͤr, in deſſen Hauptbefig fie nach
jeinem mittleren und unteren Laufe find, gar keinen befonderen Vor⸗
theit, doch fchließt die bewaffnete Macht, die fie auf ihm Halten, jeden
Anderen von deſſen Befite aud. Den Rufen allein würde eine Schiffs
fahrt auf ihm zu einer höchft bequemen und erwünfchten Communicas
tion ihres fibirifchen Binnenlandes mit den transmarinen Colonifatios
nen und dem Handel im Nord ded Oſt⸗Oceans verhelfen Tonnen.“
Außer dem Amtr Hat in neuefter Zeit noch ein interefjanter Punkt
der im Süden von Sibirien gelegenen dinefifchen Landſchaſten die Auf-
merffamfeit auf fich gezogen. Nach dem bekannten Werfe des alten
tatarifchen Hiftorifers Abulghaſt Bajandur Khan wußte man nämlich,
daß Dſchingis Khan unfern der heutigen rufftfchen Grenze in dem zur
Mongolei gehörenden Bezirfe Blun Juldyk oder Delun Boldaf, welcher
unweit des See's Efes Aral und an dem fchon genannten Ononfluffe
liegen follte, geboren war. Weber die Geburtöftelle ftellte neuerlichſt
ein junger zum Chriftentfum übergegangener und in Kaſan auf Staats⸗
often ausgebifveter Buräte, Namens Dſchordſchi Banfaroff, nach feiner
Rückkehr zu Irkuͤtsk, wo er ald Regierungsdolmeticher angeftellt if, in
einer‘ Abhandlung Unterfuchungen an, nachdem er fchon vorher zu St.
Petersburg eine im dortigen Mufeum der Kaif. Academie der Wiffen-
862 Neuere Literatur:
fchaften darauf bezügliche berühmte Tafel gezeichnet und erläutert Batıe.
Um hierüber in das Klare zu fommen, veranlaßte der fibirifche Zweig
der ruflifhen geographifchen Geſellſchaft einen in Nertſchinsk angefie-
velten Kaufmann, der felbft ein heidniſcher Buräate war, die Ufer des
Onon zu unterfuchen. Wirklich fand derſelbe auf der rechten Seite
des Onon, 7 Werft oberhalb des See's, einen Landſtrich, der noch
heute Delun Bolduk heißt. Leider erkrankte der Kaufmann auf der
Rücklehr und ftarb bald darauf zu Nertichinsf, fo daß von den Ev
gebniffen feiner Reiſe wenig befannt werben dürfte.
Gumprecht.
Jteuere Literatur.
Die Terrainaufnahne rationed aus der Lehmann'ſchen Theorie der Ter⸗
raindarſtellung entwidelt von Hermann v. Schintling, Oberſt⸗
lieutenant und Director des topographifchen Bureau's des Fönigl.
baierifchen General= Duartiermeifter- Stabes. Mit einer lithographir⸗
ten Tafel. München 1855 °).
Die Methode, Berge und Inebenheiten des Bodens durch fenfrechte Be
leuchtung anfchaulich varzuftellen, Bat nach und nach über alle anderen Ma:
nieren der Bergzeichnung ben Sieg davon getragen und iſt gegenwärtig all»
gemein eingeführt. Ihr Erfinper war ver Eurfächfifche Lieutenant Lehmann.
Die Zeit der Erfindung fällt in dad Jahr 1797, obgleich feine Schrift über
die Theorie des Situationdzeichnens erft 1802 erfchien.
Die erften Proben, welche Lehmann in feiner Manier lieferte, übertrafen
an Wahrheit und an Gefälligkeit im Ausdruck alle früheren Leiftungen. Sein
fcharfer Blick im Auffaffen der Formen und eine wohlgeübte Hand verlichen
feinen Zeichnungen neben der Treue noch einen fo hoben Fünftlerifchen Werth,
daß fie bisher nirgends übertroffen wurden. Es war ibm gelungen, vie bild⸗
liche Darftellung ber Berge von einer meift princeiplofen Arbeit auf mark:
matifche Grundlagen zurücdzuführen und die Technik verfelben zu einer Kunit
u erheben; eine natürliche Bolge davon war aber auch, daß nicht Jeder jie
2) Mitgetgeilt von dem Königl. Generalmajor und Dirigenten ber trigondnieti:
ſchen Aufnahmen, Herrn Baeyer. G.
H. v. Schintling: Die Terrainaufnahme. 363
ausüben fonnte, denn ed gehörten außer Fleiß und Anftrengung auch natlır-
liche Anlagen dazu. Diejer Umſtand verfchaffte ihm Widerfacher; man fand
feine Methode zu fchwierig und es tauchten von verfchienenen Seiten Bere
beſſerungs⸗ Borfchläge, bequemere Methoden auf, die ſich namentlich bei Die
lettanten leicht Eingang verfchafften, es fanden ſich aber auch unter Sach⸗
kennern und Praktifeen warne Verteidiger. Zu biefen gehörte bei ung ber
Duartiermeifter- Lieutenant v. Hauch, derjelbe, welcher nad) ven Kreibeltöfrier
gen als General und Chef des Ingenieur-Eorp& allgemein befannt war und
zulegt als Kriegsminifter geftorben if. Die Veranlaffung dazu war folgenbe.
Als im Jahre 1803 die Lehmann’fche Methode bei unferen Militairfchulen
eingeführt werden follte, hatte ver preußifche Artillerie» Lieutenant Schienert
eine verbeflerte, nach ihm benannte Methode in Vorſchlag gebracht, die darin
beſtand, daß er an die Stelle der Lehmann’fchen Bergſtriche Signaturen
(gerade, punftirte, gekrummte und gefreuzte Striche) fette, alles Uebrige aber
nach Lehmann ließ. Der damalge General» Quartiermeifter ver Armee, Ger
neral v. Geuſau, hatte den Lieutenant v. Rauch mit einer Begutachtung vie
ſes Vorſchlages gegenüber ver Lehmann'ſchen Methode beauftragt und es
fcheint, daß in Folge dieſes Gutachtens die Lehmann’sche Methode definitiv bei *
und eingeführt wurbe. Es wird nicht ohne Interefle fein, einige Stellen dar⸗
aus anzuführen, weil fie einen Vergleich zwifchen ver damaligen und jeßigen
Auffaffung ver Sache geftatten.
Nachdem der Berichterftatter vie wiffenfchaftliche Grunvlage der Lehmann⸗
fchen Methode Far und bünbig erörtert, bie treue und dem Uuge gefällige
Darftelung der Formen hervorgeboben Hat, fährt er fort:
„Die Gegner diefer Methode fagen, daß dazu
1) ein größerer Zeitaufwand,
2) mehr Mühe und Anftrengung der Augen,
3) ein verhälmißmäßig fehr großer Maßftab,
A) mehr Aufmerffamkeit beim Copiren der Zeichnungen gehören;
5) fein deutliches Brouillon beim Aufnehmen geführt werden Fönne, und
6) die Berg⸗Gradation ſchwer zu beurtheilen ſei.
Alle dieſe Einwürfe find jedoch nur äußerft relativ und zeigen mehr von
der Unkunde und der wenigen Mühe, welche man fi bis jeßt gegeben Bat,
die Lehmann’iche Methode gründlich zu flubiren und ſich darin zu routiniren,
als daß folche dieſer Methove zum reellen Vorwurf gereichen Tönnten.
Micht allein das Beiſpiel des Lieutenantd Lehmann und das aller feiner
Eleven und Zöglinge ſelbſt, welche an feinem mufterhaft vortrefflichen Unter-
richt Antheil nahmen '), fondern auch anderer Perfonen, deren es bereits
einige in der preußifchen Armee giebt, beweift hinlaͤnglich, daß weder das Er-
lernen, noch das Ausüben feiner Methode mit fo großen Schwierigkeiten, ale
—
+) Lehmann war Lehrer am Cadetten⸗Corps in Dresden. B.
364 Neuere Literatur:
man wohl glaubt, verbunden if. Keiner, am wenigſten ver Lieutenant
Lehmann, hat bei der fteten Ausübung dieſer Methode feine Augen verickt
u. f. w.“
In Bezug auf die Schienert'ſche Methode heißt es an einer andern Stelle
des Berichtß:
„Es kann wohl unmöglich gegründet fein, daß ein nach dieſer Methode
gut gezeichneter Plan in kürzerer Zeit, ald nach der Lehmannfchen Manier
vollendet werben könne, indem ed doch wohl ausgemacht ift, daß man ge
ſchwinder und leichter einfdrmig grade Striche, als punktirte und bald vünne
bald vicdere und wiederum quer durchzogene Striche verfertigen kann. Uebri⸗
gend macht diefe Bezeichnungdart dem Auge einen fremdartigen unangenehm
Eindrud. Man fehe nur die Schienert'fche Aufnahme ver Gegend um Freien
walde an, um fih zu überzeugen, daß viele Darftellung nicht eine bildliche,
fondern eine Darftelung vurch Zeichen oder Charaktere fei, welche man wil-
kürlich auf fehr mannigfaltige Art verändern Eönnte.
Bei der Lehmann'ſchen Methode ift ficher ein gewiſſer Aufwand von Zeit
und Mühe nothwenvig, fie läßt dann aber auch nichts mehr zu wäünſchen
übrig. Es wird dabei hauptfächlih auf eine durch Erfahrung begründete
Kenntmiß der Theorie des Terraind überhaupt, auf Ueberblick des Garen,
auf ein richtiged Augenmaß, eine Ieferliche Zeichnung und auf eine gemijle
Fertigkeit, ein charakteriftifches Bild einer Gegend nad) gewiffen GHauptzügen
zu entwerfen, anfommen. Zu jeder Sache, die man bis zu einem gewiſſen
Grade von Fertigkeit bringen will, gehört Stubium, viel Uebung, Geduld,
Fleiß, Zeit und Genie.“
Zum Schluffe Heißt es:
„Eifer für die gute Sache, verbunden mit einer anfänglichen Anftrengung,
um ſich Moutine in biefen neuen Syfteme zu verfchaffen, Hintanfegung der
Verbeilerungsfucht und Vergeffenheit aller mangelhaften alten, durch das Her⸗
fommen nur allein geheiligten Methoden würde hinreichend fein, um binnen
furzer Zeit große und auffallenvde Kortfchritte zum allgemeinen Nutzen un
Frommen in diefem gewiß wichtigen Zweige ver militairiſchen Wiſſenſchaften
zu thun.”
Diefer 4 Bogen lange Bericht ift mit feltener Klarheit gefchrieben une
zeigt einen jo ficheren praftifchen Blick auf dem Gebiet der Terrain» Hui
faffung und Darftelung, daß er noch jeßt ald eine grünpliche Abwehr gegen
MNeuerungsfucht und fogenannte verbefierte Methoden dienen Fann; denn ter
Gedanke, bequemere Methoren für vie bilvliche Darftellung der Berge zu er
finden, ift noch Feineswegs aufgegeben und obgleich er bie jetzt ſtets miplun
gen, fo bringt er doch von Zeit zu Zeit immer wieder neue Borfchläge, oder
alte unter einem neuen Gewande zum Borfchein, ruft aber auch auf's Neue
gewichtige Vertheidiger der Lehmann'ſchen Methode auf.
Das oben angeführte Werk verdankt viefem Umſtande feine Entſtehung.
$. v. Schintling: Die Terrainaufnahme. 365
und vielleicht auch zum Theil feine fo gründliche und klare Darftellung; es
ift eine danfendwerthe Bereicherung ver Literatur über biefen Gegenſtand. Der
Berfaffer behanvelt feine Aufgabe rein wiffenfchaftlich, man erkennt aber überall
ven erfahrenen Praftifer heraus, der über jene Schwierigkeit felbft nachge-
dacht und ed verſtanden hat, fie zu überwinden; er geht veshalb auch keinem
Ginwande gegen die Kehmann’fche Methode aus dem Wege und erörtert mit
großer Unparteilichkeit die flreitigen Punkte. Das Buch ift in A Nbfchnitte
getheilt:
Der 1. Abfchnitt — Theorie der Terrainzeichnung, conſtrue⸗
tive Orundlage derfelben — Handelt von der Projertion ver Berg⸗
flächen, den Horizontalen, Neigungslinien u. f. w.
Der 2. Abfchnitt — Betrachtungen über die Anwendung der
conftructiven Geſetze auf die Terraindarftellung und über bie
Modificationen, welche hierbei eingetreten find — giebt eine kri⸗
tifche Beleuchtung der verfchienenen Methoden und Manieren der Bergzeichnung
und wägt ihre Bortheile und Nachtheile gegen einanver ab.
Der 3. Abſchnitt — Sehlergrenzen für die Aufnahme und Dar-
ftellung des Terrains — iſt neu in den Lehrbüchern der Bergaufnahme
und Bergzeichnung und verbient von Jedem, der fich nicht über den Grad
der Bennigfeit feiner Arbeiten täufchen will, eine grümbliche Beachtung.
Der A. Abſchnitt — die Aufnahme des Terrains — behandelt die
praftifchen Berfahrungsweifen und ift beſonders reich an nüßlichen Regeln
und Winfen, die aus einer vieljährigen Erfahrung hervorgegangen find; fie
werben jedem Anfänger fehr willfommen fein und ihm über manche Schwie⸗
rigfeit und Unftcherheit hinweghelfen.
Diefe wenigen Bemerkungen dürften genügen, um das Buch für Lehrer
und Schüler nüßlich und empfehlenswerth erfcheinen zu Taffen; ich kann dies
ſelben aber nicht abbrechen, ohne zugleich auf eine andere Erſcheinung auf
diefen Gebiete aufmerffam zu machen: es ift dies die praftifche Schule des
Situationgzeichnend mit befonderer Berückſichtigung der Terraindarftellung nach
Mopellen von C. Ph. Neutze. Caſſel 1854.
Beide Werke ftehen fo in Verbindung zu einander, daß das erfle ge-
wiffermaßen ven theoretifchen Theil zu dem zweiten bilbet. Die Modelle des
Herrn Neuße find treue Nachbildungen der Natur und die fauber ausgeführ-
ten Zeichnungen beruhen auf genauen und forgfältigen Aufnahmen.
Baeyer.
tiscellen.
Allgemeine Weberficht der Beröffentlichungen aus der admi-
niftrativen Statiftit der verfchiedenen Staaten.
Bei Zufammenftellung ver nachfolgenden Ueberſicht Hatte der Verfaſſer
zweierlei im Auge, einmal vie Darlegung der abminiftrativ = ftatififchen Ein-
richtungen in ben verfchievenen Staaten und dann ven rein praftifcgen Zwed—
denjenigen, welche fich mit flatiflifchen Fragen befchäftigen, einen Quellen⸗
anzeiger der abminiftrativen Statiſtik zu liefern. In beiden Beziehungen glaubte
der Verfaſſer einem Bepürfniffe zu begegnen. An Darftelungen ver Lage brr
ofſiciellen Statiftif einzelner Staaten fehlt e8 allerdings nicht, der erfle flati-
ſtiſche Congreß Hat hierin wichtige Mittheilungen zur allgemeinen Kenntnih
gebracht, ebenfo find in Bezug auf den Nachweid der Quellen officieller Sta
tiftit Arbeiten vorhanden, in deren gewiſſenhafter Sorgfalt der Verfaſſer ein
Vorbild erbliden mußte, wie in Fallati's Auffägen in ber Leitfchrift für
Staatswiſſenſchaft. Eine vollftändige Sammlung ver Art fehlt jedoch Eis
jest, Hier ift die Vollſtaͤndigkeit wenigſtens verfucht worden, und gerade die
Fülle des Materials, welches dem Berfaffer namentlich in ben reichen Samm-
Iungen des Eönigl. flatiftifchen Bureau's zu benugen geftattet war, hat den⸗
felben zu ſolchem Verſuche angetrieben. In der Art der Beiprechung bat ſich
der Verfaſſer lediglich durch Das praktifche Beduͤrfniß leiten laſſen; Abwei⸗
Hungen in der Auswahl des Anzuführennen wurden hierbei ſchon dadurch
bedingt, daß fich vie anminiftrative Statiftit in den einzelnen Staaten in gan,
verfchiedenen Stadien der Entwidelung befindet; der Verfafler ift nur fo weit
zurück gegangen, ald ber Zweck einer nicht hiſtoriſchen, ſondern „ftatiftifchen‘
Ueberficht erforderte, überhaupt bat er es für feine Pflicht gehalten, tie ganze
Darftelung fo kurz zu faflen, als «8 fich irgend mit dem Gegenſtande ver⸗
einigen ließ.
L Der deutfche Bund im Allgemeinen, die Hanfeftäpte un?
Medlenburg insbefondere.
- Eine adıniniftrative Statiftif des deutſchen Bundes giebt es noch nicht:
die Beichaffung ter zu Bundeszwecken erforberten Data war ben einzelnen
Staaten tıberlaffen und beruhte nicht auf gleichmäßigen Aufnahmen. Im
Januar 1847 wurde auf Reden's Betrieb der Verein für deutfche Stanilif
zu Berlin gegründet, die Zeitfchrift dieſes Vereins erfchien in dieſem und ven
folgenden Jahre und brachte flatiftifche Arbeiten über Deutfchlanns Vevölle—
rungsverhältniffe, Schulen, Rhederei, Militair, Erebitinftitute, Verſicherunge⸗
weien, Weinbau, Borften und Handel; feit Reden's Abgang nach Frankfun
Ueberjicht der Veröffentlichungen aus der adminiftrativen Statiftif, 367
hatte der Verein nur noch unter dem Namen des Berliner Zweigvereins eine
furze Exiftenz. Im beutfchen Parlamente brachte Hildebrandt zuerit die Bes
arbeitung ber deutfchen Statiftit in Anregung, Neven richtete ein flatiftifches
Bureau beim volkswirthſchaftlichen Ausfchufle ein, ald deſſen Arbeiten meh⸗
rere Beilagen zu den Parlamentsverhandlungen, namentlich vie vergleichenve
Zufammenftelung der Einfuhrzölle nach Defterreih, dem Bollverein, dem
Steuerverein und Schleöwig= Holflein (mit Bemerkungen über Schiffahrt
und Kandel), vie vergleichende Darftellung ver Gemwerbegefeßgebung der ein«
zelnen Staaten und eine ftatiftifche Zuſanmienſtellung des deutſchen Poſtwe⸗
ſens erfchienen find. Die Neichögewalt zog behufs Feſtſtellung ver Matriku⸗
larbeiträge von fämmtlichen Staaten Nachrichten über den Stand der Bevöl⸗
ferung feit 1818 ein, auf Grund deren im Brübjahr 1849 vie proviforifche
Benölferungdmatrikel angelegt wurde. Auf Antrag des Parlaments (zuerſt
von Schubert beantragt) unternahm ed das Neichöminifterium, eine allgemeine
deutfche Volkszählung auszuführen, es kam jedoch viefe eben fo wenig, wie
vie beabfichtigte Errichtung eines ftatiftifchen Reichsbureau's zu Stande (Hanſ⸗
ſen's Gutachten über vie Volkszählung iſt in Rau's Archiv abgedruckt). Zum
Zwecke verfelben Hatte dad Reichsminiſterium (durch Ausfchreiben des Unter⸗
ſtaats⸗ Secretaͤrs Fallati) von den einzelnen Staaten Nachrichten über die
beſtehenden ſtatiſtiſchen Einrichtungen und vie Aufnahmen über Stand und
Bewegung der Bevölferung insbeſondere eingezogen; Feine Antwort hatte dafs
felbe von Baiern, den Heflen, Limburg, Schaumburg, Bernburg, Gotha,
Altenburg und Rudolſtadt, Feine Auskunft von Oeſterreich, Braunfchweig,
Weimar und Rranffurt erhalten. Außerven Hatte das Handelsminiſterium
des Reiches durch Anfrage bei den einzelnen Staaten die flatiflifchen Data
über die deutfche Flupfchifffahrt in den Jahren 1843 bis 1847 gefammelt. —
Bei dem Verwaltungsrathe ver beutfchen: Union wurde die gleichmäßige Er⸗
hebung ftatiftifcher Data in den verbundenen Staaten von preußifcher Seite
in Antrag gebracht; es Hatte dies die Folge, daß namentlich in mehreren Fleis
neren Staaten die Foͤrderung der apminiftrativen Statiftit in Angriff genom⸗
men wurbe. Auf die Herſtellung einer deutſchen Statiſtik wirft jegt in ven
ihr vorzugsweife übertragenen Gebieten die Privattbätigfeit bin, wobei befon«
ders das Hühnerfche Inftitut zu erwähnen ift, indem Hühner in feinem Jahr⸗
buche Zufammenftellungen ver deutfchen Schifffahrt, Auswanderung, Banken,
Sparfaffen und des Verſicherungöoweſens giebt. Die Statifiif der beutjchen
Eifenbahnen wird alljährlich von dem Bureau des Vereins der Eifenbahn-
Verwaltungen herausgegeben.
Da von den anderen deutſchen Staaten theils unter IL. (Zollverein), IH.
(Defterreich), V. (Nienerlanve) und VII. (Dänemark und die Herzogthümer)
die Rede fein wird, Liechtenftein aber füglich übergangen werben kann, fo
bleibt Hier nur die adminiſtrative Statiftif der Hanfeflänte und Medlenburgs
zur Beſprechung übrig.
368 Midcellen:
In Hamburg befteht feit 1847 Hei der Commerzdeputation das banbeld-
ftatiftifche Bureau, welches vie fehr ausführlichen tabellarifchen Leberfichten
des hamburgiſchen Handels herausgiebt; die erſte verfelben erfchien für bie
Sabre 1845 bis 1848 im Jahre 1850, ſeitdem find fle jährlich erfchienen,
Voran gingen venfelben Soetbeer’8 Arbeiten über den Hamburger Handel
feit 1836 in breijährigen Berioden; überhaupt aber fanden fich in Hamburg,
wie in ben anderen Kanfefläbten, auch früher fchon allgemeine Zuſammen⸗
ftellungen über Handel, Rhederei und Schiffahrt. Zur flatiflifchen Bearba-
tung ver übrigen Verwaltungszmüge iſt dadurch ein Schritt gefchehen, daß
die Senatsmitgliever beauftragt worden find, von 1849 ab über bie ihnen
untergeorbneten Zweige ber Berwaltung flatiftifche Jahresberichte zu erflatten.
Der Umfang der flatiftifchen Erhebungen ift erfichtlich aus ber Statiftif um
Topographie der Stadt Hamburg und ihres Gebiets von Neddermeyer (vor:
mals in der flatiflifchen Section des Hiftorifchen Vereins zu Hamburg); ft
bezieht fih auf die Jahre 1826 bis 1842, Sehr unvollkommen find noch
jegt die Zahlungen, fogenannten Uimfchreibungen, dagegen werden bie Tabellm
der Geburten, Trauungen, Sterbefälle (Bewegung des Eivilftanded) genau
gearbeitet, weitere flatiftifche Aufftelungen betreffen 3. B. die Tabellen ver
Mechtöpflege, der Gefängnifle, der Markt⸗, Sicherheitd- und Feuerpolizei,
ferner die Kranfenbäufer, Wohlthätigkeitsanftalten und vie Geldinſtitute. Im
Herbft 1853 Hat ſich ein Verein für hamburgiſche Statiftif gebilbet, vieler
hat im vorigen Jahre Das erfte Heft der Beiträge zur Statiſtik Hamburg
herausgegeben, welches ven Stand ver Bevölkerung, die Bewegung bes Eitil-
ſtandes, die Ertheilung des Bürgerrechts, die Armenanftalten, die Eonfumtien
accifepflichtiger Gegenftände und ven Staatshaushalt im Wefentlichen feit 1821
in einer Anzahl überfichtlicher Tabellen darſtellt. Auch die von Aſher herauns⸗
gegebene Criminalſtatiſtik beruht auf amtlichen Quellen.
In Lübe Hat die Bearbeitung der Statiftif mit Behrend's Werk (voll⸗
endet 1839), an welchen verfchiedene dortige Beamte mit thätig waren, ke:
gonnen. Im Jahre 1841 hat fich ein Ausfchuß ber Geſellſchaft zur Belör-
derung gemeinnügiger Thätigkeit zu Luͤbeck als Verein für Lübedifche Sta
tiſtik conftituirt; derſelbe hat die Statiftif der Stabt und ihres befonterm
und gemeinfamen Gebiets feit 1840 bearbeitet; feit 1848 hat er einen halt
offiziellen Charakter erhalten. Die von ihm herausgegebenen Tabellen be⸗
treffen Meteorologie, Waflerftand, Areal, die Ergebniffe ver fünfjährigen Bolt
zählungen und die Bewegung ber Bevölferung, das Land nach Culturarien.
Gebaͤude, Viehſtand, Unterricht, Conſumtion, Marktpreife, Befteuerung, Sci
fahrt und Seeverficherung. Die erften 54 Tabellen (bis 1850) find un |
dem Titel der Arbeiten ded Vereins für lübeckiſche Statiftit zufammen erſchie⸗
nen, die Tabellen 55 bis 74 umfaflen die drei folgenden Jahre. Außerden
find an flatiflifchen Arbeiten Tübedifcher Behörden die Finanzüberſichten, tie |
Tabellen der Einfuhr und Schiffahrt für 1834 big 1843 von ver Jolldepu⸗
Ueberſicht der Berdffentlihungen aus ber abminiftrativen Statifiif. 869
tation und der Bericht” ver Armenbeputation über die Wohlthätigfeitsanftalten
in den Sahren 1833 bis 1839 herausgegeben worden.
In Bremen ift im Jahre 1847 nach dem Mufter des hamburgiſchen
Bureau’d eine handelsſtatiſtiſche Behoͤrde eingefeht worden, welche für 1848
einige allgemeinere Tabellen, dann zuerft für 1849 und alljährlich je im’ fol-
genden Jahre vie tabellarifchen Ueberfichten des bremifchen Handels, welche
zugleich Schiffahrt und Handelsmarine enthalten, Herausgegeben Bat. Vor⸗
ber waren als die reichhaltigfte Quelle über den bremifchen Handel die von
den dortigen Maflern aufgeftellten Nüdblide über ven Handel von Bremen
anzufehen. Außerdem werben in Bremen vie Eonfumtiondliften, die Zuſam⸗
menſtellungen ver Geburten, Trauungen, Sterbefälle, der Verleihung des Bürs
gerrecht3 und ver Auswanderungen veröffentlicht; Volkszaͤhlungen finden in
Bremen nicht regelmäßig ftatt, fondern nur in außerorbentlichen Faͤllen, fo
1823 und 1842,
Die Statiftif der beiden Großherzogthümer Medlenburg ift regelmäßig
in betreffenden Staatöfalenvern mitgetheilt, insbeſondere Die Statiftif ver Taus
fen, Zrauungen, Sterbefälle, die jeveömal im November aufgenonmene Bes
oölferungßlifte, ver Blächeninhalt der Güter, die Gewerbeliften, und die Ta⸗
bellen der Verficherungsanftalten und Sparfaffen. In Medlenburg- Schwerin
if 1851 ein flatiftifched Bureau unter dem dortigen Gefamnıtminifterium er»
zichtet worden, es iſt mit Bearbeitung ver Topographie, Meteorologie, Bevöl⸗
Terung, des Beſitzſtandes, der Erwerböverhältniffe, ver gerichtlichen, Polizei⸗,
" Kirchen, Schule, Armen⸗ und Finanzftatiftit beauftragt. Als Organ veffel-
ben dient dad Archiv für mecklenburgiſche Landeskunde, in welchen dad Bus
reau bis jetzt Aufſaͤtze über Volkszahl, Viehſtand, Irrenanftalten, Kornauss
fuhr und Meteorologie veröffentlicht Hat; aus anderen Quellen theilt das
Archiv die ftatiftifchen Nachrichten über Auswanderung, Schiffahrt, Waaren⸗
verkehr und Getreivepreife mit, In Medlenburg- Strelig find die ftatiftifchen
Aufnahmen feit 1850 ermeitert worden, die Cenſus werden nach ausführlichen
Zormularen, angehend Gebäude, Bevölkerung, Viehſtand, aufgenommen; außer⸗
dem werben über die Strafgefangenen ftatiftifche Tabellen geführt.
ID. Die Staaten des deutfchen Zollverein®.
Seit der Errichtung des Zollvereins, d. 5. feit 1834, wurden bei dem
Gentralbureau deſſelben Nachweiſungen ver Einfuhr, Ausfuhr, Durchfuhr auf
geftellt, feit 1836 erfchienen die Eommercialnachweifungen, mit der Zeit auf
20 Hefte erweitert, anfangs lithographirt, dann als Manufeript gedruckt; fie
enthalten Einfuhr, Ausfuhr, Durchfuhr, Niederlagen und Verkehr auf inlän-
Difchen und mit inländifchen Waaren auf ausländifchen Meſſen. Die 6 all⸗
gemeineren Hefte erfchienen zugleich im Buchhandel unter dem Titel: Stati⸗
flifche Ueberfichten über Waarenverfehr und Zollertrag im deutſchen Zolle
verein; der erfte Band verfelben bezog ſich auf das Jahr 1842 und bis 1834
Beitfchr. f. allg. Erdkunde. Bd. V. 24
870 Miscellen:
zurücd, der nenefte, auf 1853 bezüigliche, ift in dieſem Jahre erfchienen. An-
gehängt find vie proviforifchen Abrechnungen über die Zolleinnahmen unt
gegenwärtig auch Lieberfichten der Bevölkerung. Außerdem werben jetzt Zu⸗
fammenftellungen des Waarenein«, aus⸗ und durchgangs auf den Grenzfireden
des Auslandes und nach den einzelnen Sauptämtern heraudgegeben, wovon
die erfte im Jahre 1850 für 1848 erfchien. In den Veberfichten der Bevol⸗
kerung der Vereindftaaten find nur wenige Kategorien unterfchieen, auch dieſe
wurden erft mit der Zeit von den verfchienenen Staaten angegeben. Bon
Anhalt» Edthen z. B. wurde 1843 nur die Gefammtbevölferung angezeigt,
1846 Fam daſelbſt die Zählung überhaupt nicht zu Stande; für mehrere
Theile von Vereinslaͤndern fehlte auch bei den fpäteren Zählungen nody die
Angabe der Bamilienzahl und die Unterfcheivung von Alter und Geſchlecht.
MWeiter werben bei dem Centralbureau aufgeftelt die definitiven Abrechnungen
über die Einnahmen (dies gefchieht erft nach mehreren Sahren), die Ueber⸗
fihten der zur Verzollung gekommenen wichtigeren Gegenftände verglichen mit
dem Borjahre, und die Ueberfichten des Rübenverbrauchs bei der Zuckerfa⸗
brifation mit den entfprechenden Abrechnungen über die NHübenzuderftener.
Am Schluffe des Jahres 1846 jollte im Zollverein eine Gewerbetabelle nach
theilweife übereinftimmend feftgeftelten Bormularen aufgenommen werden; im
Fürſtenthum Lippe und Amt Homburg Fam diefelbe überhaupt nicht zu Stande,
in Frankfurt und Braunfchweig nur die Babrifentabelle und zwar in letzterem
auch dieſe fehr unvollfommen, in ſechs Fleineren Staaten wurbe bie Hand⸗
werfertabelle nach anderen Principien aufgenommen. Die angegebenen ſtati⸗
ſtiſchen Materialien find bearbeitet in Dieterici's flatiftifchen Ueberſichten der
wichtigften Gegenſtaͤnde des Verkehrs und Verbrauchs im veutfchen Zollverein,
wovon der erfte Band 1938 erfchien; eine Ueberſicht der Gewerbetabellen ift
in den Mittheilungen des hieſigen ftatiflifchen Bureau’s gegeben worden. —
Während im Zollverein feit Ende 1834 die Zählungen alle drei Jahre flatt-
gefunden haben, wurben biefelben in dem ehemaligen Steuerverein feit Bitte
1836 alle drei Jahre ausgeführt, und zwar bier nach fehr übereinſtimmenden
Bormular, jedoch nach anteren Grunvfägen, ald in den Zollvereinsflaaten;
auch find daſelbſt fatiftifche Meberfichten der Einfuhr, Ausfuhr und Durdy
fuhr aufgeflelt worben, wovon biefenigen für die Jahre 1844 bis 1848 in
den Beiträgen zur Statiflif des Königreih8 Hannover abgedrudt find; im
Steuerverein, wie im Zollverein, ift nur die Quantität, nicht der Werth ver
Waaren ermittelt. — Als ſtatiſtiſche Aufftelungen, welche mehreren Zoll⸗
vereindftaaten gemeinfam find, find namentlich die Tabellen der Conſumtion
vefp. Production von Bier, Branntwein, Wein und Tabad zu bezeichnen, über
welche die Abrechnungen im preußijchen Finanzminiſterium feftgeftellt werben,
und die flatiftifchen Jahresberichte über vie Rheinfchiffahrt, welche die Rhein⸗
ſchiffahrts⸗Commiſſion regelmäßig herausgiebt.
Die preußifche adminiftrative Statiſtik iſt principiel in dem flatiflifchen
Ueberficht der Veröffentlichungen aus der adminiftrativen Statifiil. 371
Bureau zu Berlin centralifirt; von den Verhältniffen des Iegteren handelt ein
Artikel in den Mittheilungen dieſes Bureau's, Jahrgang 1851. Daffelbe
wurde im Jahre 1810 errichtet, fland anfangs unter dem Minifterium bes
Innern, feit 1812 unter dem Staatdfanzler, dann unter dem Gefammtminie
fterium, von 1824 bis 1834 unter dem Miniſterium ded Innern, bis 1844
unter dem Gelammtminifterium, von da bis 1848 unter dem Handelsamt,
und fteht feitvem unter dem Minifterium des Innern. Die Thätigkeit des
Bureau’8 begann mit der Einfchränfung der vorher fehr umfangreichen ta⸗
bellarifchen Aufnahmen. Die jegige Einrichtung der Tabellen vatirt im We⸗
fentlichen vom Jahre 1822, ſeitdem wurde nur die Bevölferungätabelle (der
Geburten, Trauungen und Sterbefälle) jährlih, Die anderen Tabellen aber
alle drei Jahre aufgenommen (zulegt im December 1852); einzelne Erweis
terungen haben in mehreren Tabellenformularen zu verfchievenen Zeiten flatt-
gefunden, vie erheblichite Erweiterung hat die Gewerbetabelle durch die Ein»
richtung der Fabrikentabelle erfahren; auch find einzelne Kleinere Tabellen⸗
formulare überhaupt erft fpäter eingeführt worven. In Betreff der Volks⸗
zählungen fällt vie bedeutendſte materielle Berbeflerung in das Jahr 1840.
Im Jahre 1848 ift bei dem flatiftifchen Bureau das meteorologifche Inftitut
eingerichtet worden und 1854 wurde dem Bureau die Herausgabe des Staats⸗
talenver8 übertragen. Bon den Arbeiten des ſtatiſtiſchen Bureau's find früher
unter dem Namen der Directoren erjchienen: vom Staatsraih Hoffmann:
Meberficht der Bodenfläche und ver Benölferung des preußifchen Staats im
Sabre 1817 (erfihienen 1818); Beiträge zur Statiftil des preußifchen Staats
(1821); Ueberficht der Bopenfläche, der Bevölkerung und bes Viehſtandes des
preuß. Staats im Jahre 1831 (erfchienen 1833); die Bevölkerung des preuß.
Staats 1837 in ſtaatswirthſchaftlicher, gewerblicher und fittlicher Beziehung
(erfchienen 1839); Darftellung der Geburtd-, Che» und Sterblichkeitsver⸗
bältniffe im preuß. Staate 1820 bis 1834 (erfdhienen 1843); Geburten,
Trauungen und Sterbefälle zu Berlin 1816 bi6 1841 und bie Wirkungen
der Cholera im preuß. Staate 1831 (in der mebicinifchen Zeitfchrift 1833);
dann von Dieterici: Statiftifche Tabelle ded preuß. Staats 1843 (erfchienen
41845); vie Bevölkerung des preuß. Staats 1846 (erfchienen 1848) und ber
Volkswohlſtand im preuß. Staate, enthaltend eine vergleichende Darftelung
der Verhältniffe ver Production, Induftrie, ded Verkehrs und Verbrauch bes
fonders in den Jahren 1806, 1831 und 1843 (erfchienen 1846). Seit dem
April 1848 find die Mittheilungen des flatiftifchen Bureau's, monatlich zwei
Hefte, herausgegeben worven; fte enthalten ſowohl Darftellungen, welche ſich
an die regelmäßigen ftatiftifchen Tabellen »- Aufnahmen anfchliegen, ald Artikel
tiber verfchiedene Gegenftände, welche außerhalb des eigentlichen Tabellenwerkes
ftehen, wie Wahlftatiftil, Budget der arbeitenven Klaflen, Kaufwerth von Laͤn⸗
verein, Lebensmittelpreife u. f. w., und außerdem Meberfichten der ſtaatswirth⸗
fchaftlichen Literatur. Die Herausgabe der Tabellen und amtlichen Nachrich-
24 *
372 Miscellen:
ten für den preußifchen Staat ift 1849 auf Staatskoſten unternommen tor:
den; von dieſen enthalten Theil 1, 2, 5 und 6 das eigentliche Tabellenwerf,
nämlich Theil 1 (1851 erfchienen) vie flatiftifche Tabelle der Einwohner, Ge
baͤude und des Viehſtandes nach der Aufnahme von 1849 (auch Tabellen ter
MWohnpläge, Ein- und Auswanderung, Judentabelle); Theil 2 vie Beril:
ferungdtabelle (Geburten, Trauungen, Sterbefälle), die Kirchen und Schul:
und die Sanitätötabelle von demſelben Jahre; Theil 5 die Hanpwerfertabelk,
fowie die ländlichen Befigverhältniffe, und Theil 6, welcher gegenwärtig m
fcheint, die Fabrikentabelle, vie beiden Iehteren nach ven Aufnahmen ven
1849 und 1852. Theil 3 enthält die meteorologifchen Tabellen, Theil 4 ww
Nefultate der Verwaltung; Hier finden fich u. N. flatiftifch dargeſtellt une
dem Finanzminifterium die Tabellen ver Steuererhebung, ver Ausmünzung x,
unter dem SHandelöminifterium Poſt⸗ und Eiſenbahnverkehr, Serfchiffaht,
Wafferbauten, Berg⸗ und Hüttenwerke und Salinen, unter dem Miniſteriun
des Innern Armenweſen, Strafanftalten, Sparkaffen, landſchaftliche Ereit:
inftitute, Communalfinanzen, unter dem Kriegsminifterium ver Armecbefant,
unter dem Gultusminifterium SIrrenanftalten, gemifchte Ehen, höherer Unter:
richt, unter dem Juftizminifterium die Civil» und Griminalrecktöpflege WU
Nachtrag zum erften Theile ift die Ueberſicht des Klächenraums und ver Gin
wohnerzahl des preuß. Staats nach der Aufnahme von 1852 erſchienen. die
von den Directoren bed flatiflifchen Bureau's der Academie der Wiſſenſchafin
vorgelegten Abhandlungen, namentlich die Abhandlungen von Dieteric Abe
Verhältniffe der Bewegung ver Bevölkerung, gehören gleichfalls zu ven Ber: |
ten aus der preußifchen abminiftrativen Statiflif.
Die felbftändige ftatiftifche Bearbeitung der Gegenſtaͤnde ihres Reſſonn
burch die verfchienenen Eentralftellen ift in Preußen nicht ausgeſchloſſen. &
hat das Handelminifterium feit 1847 dad Handelsarchiv heraudgegeben, wel
ches neben der Sammlung der auf Handel und Schiffahrt bezügliden Gr
fege auch flatiftifche Mittheilungen über den Zuſtand und bie Entwidelm
des Handels und der Inpuftrie enthält, namentlich die Berichte der Hantelk
fammern und Kaufmannfchaften; fo theilt die eitfchrift für Berge, Hütten
und Salinenwefen im preuß. Staate bie Statiftit der Production ded Bay
werks⸗, Steinbruch⸗, Hütten» und Salinenbetriebes mit; auch vom Juſtz⸗
minifterium wurden eine Zeit lang flatiftifche Sahresberichte über die Ju:
verwaltung herausgegeben, und werben jegt ftatiftifche Meberfichten im Japrbuit
dieſes Miniſteriums mitgetheilt; vie Vorlagen des Finanzminiſteriums an dr
Kammern können wenigftens theilmeife als ftatiftifche Zuſammenſtellungen br
zeichnet werben, auß dem Reſſort des Eultusminifteriums find Dietericis Nach
richten über die Univerfitäten im preuß. Staate (erfchienen 1836) zu nenn
eine Darftelung der Agriculturftatiftit unternahm v. Lengerke in den von
Landesdkonomie⸗ Collegium herausgegebenen Annalen der Landwirthſchaft; Di
Statiſtik des auswärtigen Handels vor der Bildung des Jollvereind if ü
Ueberſicht der DVerdffentlichungen aus ver abminiftrativen Statiftif. 373
Ferber's Beiträgen zur Kenntniß der gewerblichen und commerciellen Zuſtaͤnde
Preußens und in dem erflen Bande von Dieterici's ftatiftifchen Ueberfichten
des Verkehrs und Verbrauchs aus amtlichen Quellen mitgeteilt worden.
Was die preußifche Provinzialftatiftif angeht, fo find auf Veranlaffung
und mit Unterflägung ber Regierung Beichreibungen ver meiſten Regierungs⸗
bezirfe ſchon um das Jahr 1820 Herausgegeben, viele verfelben auch neuer-
dings überarbeitet worben; zum größeren Theile find: dies nur Ortſchaftsver⸗
zeichniffe, nur wenige geben eine eigentlich flatiftifche Darftelung ver Bezirke,
wie Viebahn's Statiflif und Topographie des Regierungsbezirks Düffelvorf
(erichienen 1836), Hermes und Weigelt's Megierungsbezirt Magveburg, No⸗
back's Regierungsbezirk Erfurt, Baͤrſch's Megierungdbezirt Trier; die gegen-
wärtig erfcheinende geographifch=hiftorifch » flatiftifche Befchreibung der Mark
Brandenburg von Berghaus ift gleichfal8 Hierher zu zählen. Das neuervinge
bei dem Polizeipraͤſidium zu Berlin organifirte flatiftifche Amt Hat feit 1853
ftatiftifche Jahresberichte über die zur polizeilichen Cognition kommenden Ver⸗
haltniſſe Herauögegeben; für längere Berioven haben verfchienene Zweige ber
Statiſtik von Berlin in den von ben fläbtifchen Behörden erflatteten Verwal⸗
tungsberichten ausführliche Darftellung erhalten, die beiden lebten erfchienen
1842 und 1853. — Der ftatiflifche Verein der Provinz Bommern, 1846 zu
Stettin gefliftet, giebt Beiträge zur Kunde Pommerns heraus; vie in denſel⸗
ben abgedruckten over beſonders erfchienenen Abhandlungen betreffen theild vie
Statiftit der ganzen Provinz (Auszüge aus den ftatiflifchen Tabellen, Aus»
wanberung, Seebäber, Tabacksbau, Ehaufjen), theild ven Regierungsbezirk
Stettin (Verbrechen, Armenpflege), theild einzelne Kreife (die Infeln, Handel
und Schiffahrt von Stettin). Weiter befteht in Preußen Eeine ftatiftifche Ge⸗
fellfchaft, doch zählen einzelne andere Vereine, wie vie ſchleſiſche Geſellſchaft
fürr vaterlaͤndiſche Cultur, 1847 zu Breölau geftiftet, und vie oberlaufißifche
Geſellſchaft der Wifienfchaften zu Goͤrlitz, die Statiftif mit zu ben Gegen-
fländen ihrer Thätigkeit. — Die ftatiflifchen Aufnahmen in den Hohenzollern»
fchen Fürſtenthumern wurden in ven bortigen Verorbnungsblättern mitgetheilt,
eine kurze ftatiflifche Ueberſicht des Fürſtenthums Sigmaringen enthielt das
dortige Staatohandbuch von 1844, auch werden die als Manuſcript gedruck⸗
ten minifteriellen Verwaltungsberichte dieſes Fürſtenthums für die Jahre 1841
bis 1846 als flatiflifche Documente bezeichnet. Von der Statiftil des Fürften-
thums Neuenburg ift unter IV. (Schweiz) die Rede.
Im Königreich Baiern murbe fchon 1809 für die jährlichen Verwal⸗
tungsberichte die. Aufnahme zahlreicher flatiflifcher Tabellen vorgefchrieben;
fpäter wurden viefelben beſchraͤnkt und feit 1825 die Verwaltungsberichte nur
noch alle drei Jahre erforvert; ein ftatiftifches Bureau fol zuerft im Jahre
1813 errichtet worden fein. Die völige Umgeſtaltung ver bairifchen admini⸗
ftrativen Statiſtik fand 1832 unter dem Minifterium Wallerftein flatt; im
Minifterium des Innern wurde eine Abtbeilung zur Bearbeitung ber Jahres»
374 Miscellen:
berichte organifirt und das Tabellenweſen anders eingerichtet, auch bie Bil
dung ftatiflifcher Kreisbureau's vorgefhrieben. Die Refultate der Aufnahmen
von 1832 follen drei Jahre fpäter lithographirt erfchienen fein; im Uebrigen
befinden fich vie Mittheilungen aus der apminiftrativen Statiſtik dieſer Zat
in den Beilagen zu ven Stänveverhandlungen, hier namentlich die minifterichen
Berichte von 1837, welche die Bodentheilung nad) Eulturarten, bie VBrobuctier,
ven Viehſtand, die Eonfumtion, Gewerbe, Gemeinbe« und Stiftungshaushalt
und die Armenpflege betreffen. Seit 1839 fteht das flatiftifche Bureau (ges
genwärtig im Minifteriun bed Handels und der Öffentlichen Arbeiten) umter
v. Herrmann’ Direction, die Aufnahmen — in 37 Tabellen, bezüglich au
alle Zweige der Verwaltung — find durch die Inftruction von 1889 geregelt.
Die Veröffentlihung der ftatiftifchen Tabellen Hat exit 1850 begonnen (vor
ber Mittheilung einiger Tabellen in Stantöfalender von 1844); fie ericheinen
unter dem Titel: Beiträge zur Statiſtik des Königreich Baiern, fat ohne
Text; die drei bis jegt erfchienenen Lieferungen enthalten den Flächeninhalt,
MWohnpläge, Gebäude, die Nefultate der Volkszaͤhlungen (für 1840 auch nad
Civilſtand, Confefflon, Beichäftigung) und vie Gewerbetabelle von 1846; tie
Geburten, Trauungen und Sterbefälle von 1825 bis 1851 (fie finb von
Herrmann außerven in einer afademifchen Rede behandelt worden), die Ein-
und Auswanderung feit 1835, ferner die Militairconfcription feit 1822,
Impfungen feit 1832, die Eriminalrechtöpflege und die Leiftungen der Sicher:
Beitöpolizei feit 1835 (ftatiftifche Berichte über die Reſultate der Strafrechtöpflege
waren ſchon vorher theils gedruckt, theild lithographirt erfchienen). Im der io
eben erfchienenen vierten Lieferung ift Die Statiflil der Strafanftalten yon 1833
bis 1848 und die Bevölkerung nach den Zählungsergebniflen von 1852 dargeftellt.
Im Königreiche Sachen lag die Bearbeitung der adminiſtrativen Sta
tiſtik bis zum Jahre 1850 in den Händen des flatiflifchen Vereins. Derfelke
war im Jahre 1831 gegründet worben, zwei Jahre fpäter wurde ihm ta}
Recht der Benußung der amtlichen Quellen zugeftanden und im Jahre 1836
die Anfertigung der Bevolkerungs⸗, Viehſtands⸗⸗, Kirchen⸗ und Schul» und
der Prozeßtabellen übertragen. Unter dem Gentralvereine waren Zweigper⸗
eine thätig. In den von vemfelben herausgegebenen Mittheilungen bes flati-
ftifchen Bereins für das Königreich Sachen wurben die verfchienenften Gegen
ftände wie Klima, Topographie, Bevölkerung (feit 1813), Kirchen und Scn-
Ien, Medicinalſtatiſtik, Militär (Urmeeleiftungen und Eonfeription), Rechtöpfiex.
Bergbau, Ernterefultate, Eonfumtion, Brennereien, Brauereien, Marktverkebr,
Vreiſe, Berficherungen und Rofalftatiftit behandelt. Daneben Hatte ber Berem
ein Ortfchaftöverzeichniß herausgegeben, auch rebigirte derſelbe das Staat
handbuch, in welchem eine kurze ftatiflifche Ueberficht voranging. Im Jahre
1842 erlitt der Verein eine Umgeftaltung, welche auf feine Thätigfeit nich
förderlich wirfte, er erhielt einen ganz offlciellen Eharalter und wurde anf
ſchließlich aus höheren Staatöbeamten zufammengefekt; feitbem erfchienen nei
noch 4 Hefte ver Mitteilungen (Kieferung 15 bis 18), welche die Zählunge:
Ueberficht der Veröffentlichungen aus ber abminiftrativen Statiftif. 375
rejultate von 1840, 43 und 46 und die Gewerbetabelle enthielten. Außer-
dem fanden jedoch ſtatiſtiſche Veröffentlichungen feitend einzelner Behoͤrden flatt;
dahin gehören vie Statiflif der Berg- und Hüttenwerke im Jahrbuch des Ober-
Bergamts, bie ftatiftifchen Zufammenftellungen (aus dem Minifteriun des Innern)
der Baumwollfpinnereien und Dampfmafchinen, welche im polytechnifchen Gen-
tralblatt abgebruct wurden, und bie der Sparfaflen, ver Bodennugung nach
Gulturarten, der Exrnterefultate, des Steuerwertho der Ländereien, ber land⸗
wirtbfchaftlichen Nebengewerbe, des Getreidehandels, melche in ver Zeitfchrift
des Ianbwirthfchaftlichen Hauptvereind des Königr. Sachfen mitgetheilt wor⸗
den find. — Das im Jahre 1850 im Minifterium des Innern errichtete ſta⸗
tiſtiſche Bureau iſt unmittelbar in die Stelle des Vereins getreten, die Mittel
deſſelben find ſehr beveutend; von dem größeren Werke, welches das Bureau
herausgiebt: flatiflifche Mittheilungen aus dem Königreiche Sachſen, find drei
Bände erfchienen, welche die Zählungstabelle (nach Haushaltungen, Givilftand
und Alter, Confeſſton und Nationalität, auch Taubftumme u. f. w., und Ge⸗
bäube), dann die Tabellen ver Bewegung ver Bevölkerung (Geburten, Sterbe-
fälle, Trauungen, Scheivungen und Umzüge) und die Bevölferung nach Be⸗
rufs- und Erwerbsflaflen enthalten; fie find von vielen vergleichenden Zu⸗
fammenftelungen in Bezug auf Flimatiiche und topographifche Verhältnifie
und von ausführlichem Terte begleitet. Von dem Sahrbuche der Statiſtik und
Staatöwirthichaft, welches das Bureau herausgiebt, ift 1853 der erſte Theil
erfchienen; er umfaßt die Territorials und Bevoͤlkerungsſtatiſtik, u. U. auch
Gonfumtion, Bildung und Unterricht, Verbrechen und bie Statiſtik der land»
wiribfchaftlichen Production; die Zahlen berußen auf ven Aufnahmen ber
Jahre 1850 bis 1852. Eine Meberficht der Thätigkeit der Sicherheitspolizei
ift beſonders herausgegeben worden. Seit dem laufenden Jahre giebt das ſta⸗
tiftifche Bureau auch eine Zeitfchrift heraus, deren erfte Hefte Die Statiſtik der
Städte und Aemter, die kirchliche Statiflif, Betreidepreife und die Münzpräs
gung behandeln. Unter dem eigenen Namen des Directors des flat. Bureau's
Engel ift eine aus den amtlichen Aufnahmen entwickelte Abhandlung über die
Branntweindrennerei im Königreich Sachen erfchienen.
Im Königreich Hannover fehlte bis zum Sabre 1848 eine flatiftifche
Centralſtelle. Das in ben verichievenen Berwaltungszweigen auflommende
ſtatiſtiſche Material blieb bei ven Landdroſteien und Nachrichten daraus gingen
in vie Jahresberichte verjelben an das Winifterium des Innern über; dem
entjprechend gaben vie Berichte der Juſtizkanzleien an das Juſtizminiſterium
die flatiftifchen Data ihres Refſorts. Das ftatiftifche Material wurde in den
einzelnen Landestheilen mehr ober weniger vollftännig gefammelt und verar⸗
Heitet; befondere Aufmerkfamfeit wurbe in ven Jahren 1831 und 1832 in
Berbindung mit ven Katafterarbeiten der Agrarftatiftif zugewendet. Dad zweite
Heft der unter dem Titel: Zur Statiſtik des Koͤnigreichs Hannover, heraus»
gegebenen Arbeiten bes feit 1848 unter vem Befammtminifterium eingerichteten
und unter Abeken's Direction geſtandenen ftatiftifchen Bureau's enthält den Bes
376 Midcellen:
fland und die Vertheilung des Grundeigenthums in ven Jahren 1831, 1832
und den Grundbeſtand, die Steuerkraft und Beudlferung im Jahre 1848
(auch ven Viehftand, Branbverficherung, Sparkafien und landliche Beſitzver⸗
bältniffe); das britte Heft derfelben enthält bie Refultate ver Gemeinheitöthei-
lungen und Verkopplungen feit 1832 und die Geburten, Trauungen und Sterbe-
fälle in ven Jahren 1848 bis 1852. Die Mefultate der feit 1833 regelmäßig
ausgeführten Zählungen theilte der Staatskalender mit; die Aufnahmen er-
ftreckten fich auf Unterfcheivungen nach Alter, Civilftand, Confeſſton und Ge-
werbe; außerdem finden ſich 3.3. feit längerer Zeit Schiffahrtstabellen aus
amtlichen Aufnahmen. Ringklib's Darftelung ver neuen Gintheilung bes
Königreichd Hannover (Blächeninhalt und Volkszahl) ift aus den Materialien
des ftatiftifchen Bureau's gearbeitet. Statiflifche Mittheilungen enthält auch
das Organ des Ianbwirthichaftlichen Gentralvereind des Königr. Hannover.
Im Königreich Würtemberg war 1817 die Bearbeitung der Statiſtik
dem Eollegium für die Stantöcontrole übertragen worben; im Jahre 1820
wurde das topographifch = flatiftifche Bureau errichtet; ed wurde dem Finanz⸗
minifterium untergeorbnet und unter Memminger’3 Leitung geftellt. Mit dies
fen Bureau wurde 1822 der Verein für Vaterlandskunde verbunden, eine
Art flatiftifcher Commiſſion, welche die Arbeiten des Bureau's unterflüken
follte. Eine Erweiterung der Mittel und der Wirffamfeit des Bureau's fand
feit 1834 flatt und es wurde demfelben vie Redaction des Staatshanbbuche
übertragen. Nach Memminger'd Tode uübernahm vaflelbe vie Herausgabe von
defien flatiftifch=topographifcher Befchreibung von Würtemberg, feßte auch die
ftatiftifch »topographifchen Befchreibungen ver würtembergifchen Oberämter fort,
von denen feit 1824 die erfien 14 unter Memminger's Namen erfchienen
waren und feitvem bis 1854 19 weitere Lieferungen erfchienen find. Im Jahre
1850 wurde auf kurze Zeit die Statiftif dem Bureau abgenommen und dem
Steuercollegium übertragen, dann wurde dad frühere Verhältniß hergeſtellt
Die eigentlich flatiftifchen Arbeiten de8 Bureau's enthalten die Würtembergi-
ſchen Jahrbücher für Gefchichte, Geographie, Statiftif und Topographie, deren
Herausgabe Memninger im Jahre 1818, das Bureau 1839 begann. In die
fen wird der Bevoͤlkerungsſtand nach den würtembergifchen Landeszählungen
(der ortdangehdrigen Bevölkerung nach Alter, Eivilftand, Confeſſion ıc.) und
nach den Zollvereinszählungen (der ortsanweſenden Bevölkerung), die Bewe⸗
gung der Bevölkerung, vie Zählungen des Viehſtandes und die Gewerbeta⸗
bellen (zuleßt für 1852), die Ergebniffe der Weinlefe, ver Markwerkehr, Preiſe
und Witterungsverhältniffe mitgetheilt. Außerdem theilt dieſe Zeitfchrift auf
amtlichen Quellen beruhende ftatiftifche Privatarbeiten mit, wie die Statiſtik
der Bopentheilung nach Eulturarten aus den Ergebniffen ver Lanbeövermeffung,
die Statiftif des Ackerbaues und der Obftcultur, der Feuersbrünſte ꝛc. An
felbftänbigen Arbeiten ftatiftifchen Inhalts ſeitens der einzelnen Miniſterien
ſind die theilweife im Buchhandel erfchlenenen Berichte des Finanzminifteriums
Ueberficht der Veröffentlichungen aus der adminiſtrativen Statiftil. 977
und vie im Juſtizminiſterium zufammengeftellten Reſultate der Rechtspflege
bervorzubeben.
Im Großherzogthum Baden wurde im Jahre 1836 eine flatiflifche Com⸗
milfton aus höheren Staatsbeamten errichtet; feit 1837 nimmt das Großher⸗
zogthum an den Zollvereindaufnahmen Theil. Statiflifhe Veröffentlichungen
find von den verſchiedenen Deinifterien audgegangen, vom Minifterium des
Iuneen bisher nur in geringem Maße; hierher gehören pas Ortſchaftsverzeich⸗
niß aus dem Jahre 1845, die Mittheilungen über Bevdlferungsftand, Wohn
pläge, Schulen 3. im Staatskalender u. a. Seit 1853 ift in dieſem Mini⸗
flerium ein flatiftifches Bureau errichtet worden, welches zunächfi die Samm⸗
fung von Materialien für die Moralflatiftit in Angriff genommen bat. Vom
badiſchen Juftigminifterium ift zuerft die Statiftil der Griminalrechtspflege im
3.1829 (erfchienen 1831) herausgegeben worden, dann regelmäßig die der weites
ren Sabre, zulebt für 1847 (erfchienen 1849); ſie enthielt auch bie gerichtliche
Polizei, Unglüädefälle, Steuerfapitalien, Bewegung bed Civilſtandes; flatiflifche
Meberfichten der Givilrechtöpflege wurben anfänglich im Negierungdblatte mite
getheilt, für 1840 bis 1843 find fle in einem befonderen Werke erfchienen.
Vom babifchen Finanzminifterium ift im Jahre 1851 ımter dem Titel: Amt-
liche Beiträge zur Finanzſtatiſtik des Großherzogthums Vaden, eine ſyſtema⸗
tiſche ſtatiſtiſche Darſtellung der verſchiedenen Zweige der Finanzverwaltung
dieſes Staates feit 1831 in Verbindung mit ber Territorial⸗ Vevölkerungs⸗
und Gewerbeſtatiſtik (Tebtere nach den Aufnahmen von 1849) herausgegeben
veorden. Aeltere ftatiftifche Arbeiten dieſes Minifteriums behandelten ven Flä-
heninhalt nach Bulturarten (von 1830), die Gewerbeſtatiſtik (nach der Auf⸗
nahme von 1843) und die Steuertopographie (1844). Vom bapifchen Kriegs⸗
minifterium iſt eine ftatiftifch »topograpbifche Tabelle des Großherzogthums und
eine Statiftit des Kranfheitäzuftanded der Armee in ben Jahren 1833 bis
1842 herausgegeben worden.
Im Großherzogthum Heffen ift die Organifation der Statiftit durch Er⸗
richtung eines flatiflifchen Bureau's feit drei Jahren im Werke; officielle ſta⸗
tiftifche Werke find daſelbſt noch nicht herausgegeben, auch enthält das Staats⸗
handbuch nur wenig flatiftifche Data... Schr ihätig jedoch für die Landesſta⸗
tiſtik iſt der im Jahre 1845 gefliftete Verein für Erdkunde und vermwanbte
Wiffenfchaften zu Darmftabt. In dem erften Hefte der von vemfelben heraus⸗
gegebenen Beiträge zur Landes⸗, Volle» und Staatskunde des Großherzog⸗
thums (erfchienen 1850) find ftatiftifche Abhandlungen über die Bevoͤllerungs⸗
verhältmiffe (von Ewald und Schmidt), Klächeninhalt, Klima, Wohnungen,
Geſundheitszuſtand, Landwirthſchaft sc. enthalten; ein zweites Heft ift 1853
berausgefommen.
Die im Kurfürftenthum Heflen vor etwa 10 Jahren errichtete ſtatiſtiſche
Commiſſtion begann ihre Thätigfeit mit Ausarbeitung und Einführung von
Formularen für die flatiflifchen Aufnahmen in den verfchiedenen Bermaltungd-
378 Miscellen:
zweigen; von ihren Arbeiten ift inbirect einiges zur Veröffentlichung gelangt,
infofern in den von dem vormaligen wiflenfchaftlichen Mitgliede verfelben,
Hildebrandt, beraudgegebenen ftatiftifchen Mittheilungen über die volkäwirth-
fehaftlichen Zuftände Kurhefiens die Bodentheilung nach Eulturarten, vie Agri⸗
eultur und Mineralproduction, ver Gebäubemerth, die Gewerbes, Verbrauchs⸗
Bevölkerungs⸗ und Steuerflatiftit nach den offlciellen Materialien bebanvelt
find. Don ftatiftifchen Arbeiten einzelner Behörven ift vie von dem Staatd-
procurator aufgeftellte Uieberficht der Strafrechtöpflege im Jahre 1849 zu er-
wähnen; ftatiftifche Nachrichten über vie Geſundheitsverhaͤltniſſe follen fe
langer Zeit bei dem Dbermedicinalcollegium geſammelt worven fein; ver kur⸗
heſſiſche Staatsfalenver enthält eine Art Ortfchaftöverzeihnif. Der Deren
für heſſiſche Befchichte und Landeskunde zu Caſſel zählt vie Statiftil zu den
Gegenftänven feiner Thätigkeit.
Das Großherzogthum Luxemburg iſt in der nieverländiichen Statiſtik bis
1830, in der belgifchen bis 1839 inbegriffen, außerdem erſchien in Diefer Zeit
das Ortfchaftöverzeichniß in dem Verwaltungsmemorial von 1821. Der erfte
Iuremburgifche Provinzialvermaltungsbericht ift 1833 erfchienen, die Zollver-
einsaufnahmen traten feit 1843 ein. Die Hauptquelle ver Iuremburgiichen
Statiftif find die Jahresberichte de Generals Apminiftratord des Innern des
Großherzogthums (Expose de la situation du Grandd. de Luxembourg
sous le Rapport administratif commercıel et industriel), welche u. A. die
ZTerritorialftatiftit nach @ulturarten, die Bewegung der Bevölkerung, vie Sta-
tiſtik der Juſtiz⸗ und Sicherheitöpolizei, des Unterrichts, der Staatd- und
Gommunalfinanzen enthalten. Auch pie Berichte der Iuremburgifchen Handels⸗
kammer enthalten flatiftifches Material.
Aus ver Statiftil des Großherzogthums Oldenburg werden amtliche Ta⸗
bellen und Nachrichten feit längerer Zeit im Staatöfalenvder mitgetheilt; fie
betreffen den lächeninhalt, ven Stand und die Bewegung der Bendlferung
(erftere nad) den Steuervereins⸗, Zollvereins⸗ und den ven holſteiniſchen ent:
ſprechenden, im Fürftenthum Lübeck ftattfinnenden Zählungen, lettere nach den
Kirchenbüchern), Ortichaften, Gebäube, Communalfinangen, Sparfaflen, fowie
jegt die Schiffahrt (der Umfang ded.Materiald in der Bevölkerungsftatiktif
ift auch aus Steenken's Werfe erfichtlih); außerdem werben Prozeftabellen
aufgeftelt. Im Anfange viefed Jahres ift unter dem Miniftlerium des Innern
ein ftatiftifched Bureau (Vorſtand Berker) errichtet morben.
Bon den ftatiflifchen Aufnahmen im Herzogthum Braunſchweig ift Eini-
ges in der unter dem Titel: Statiftifch -topographifche® Handbuch des Herzog-
thums Braunfchmweig, veröffentlichten Privatarbeit mitgetheilt (Bevölferung,
Geburten, Sterbefälle, Trauungen, Häufer, Viehſtand, Steuerfapitelien im
Grundbeflg). Seit 1850 iſt die Organifation der adminiftrativen Statiftif
mit Einführung von Formularen in den verfchienenen Berwaltungszweigen in
Angriff genommen, und neuerbings unter dem Staatöminifterium ein ſtatiſti⸗
Ueberficht der Verdffentlichungen aus der abminiftrativen Statiſtik. 379
ſches Bureau errichtet worden (Director Rhamm), von beflen Arbeiten pas
Bremer Handelsblatt Einiged (betreffend Zählungsrefultate, Bewegung ber
Bevölkerung einfchließlich Auswanderung, Sparkaflen, Strafrechtäpflege) mit-
getheilt Hat.
Das Staatshandbuch des Herzogthums Naffau giebt den Flächeninbalt -
nach Eulturarten, die Ortfchaften, Gebäude, Bevölkerung, Gewerbtreibende,
Diehftand, Zorften, Steuern. Berner werben amtlich zufammengeftellt die Auf⸗
nahmen über die Bewegung des Eivilftanded und des Wohnſitzes, vie Berg-
und Hüttenprobuction, die Ernterefultate, der Weinbau, die Verbrechen und
die Sicherheitöpolizei, fowie auch vie Domainenverwaltung und Armenpflege.
In den thüringifchen Vereinsſtaaten befteht noch nirgends ein flatiftifches
Bureau, doch wird die Errichtung eined folchen im Großherzogthum Sachien-
Weimar beabfichtigt und findet fchon fett eine flatiftifche Bearbeitung ver
Materialien im Minifterium des Innern flatt; das weimarifche Staatshand⸗
buch enthält ven Wlächeninhalt nach Eulturarten, Wohnpläte, Bevölkerung,
Unterricht, landwirthſchaftliche Production und gewerbliche Verhaͤltniſſe; ander⸗
weitige Mittheilungen aus ven Arbeiten dieſes Miniſteriums (namentlich die
Bewegung des Civilſtandes, Auswanderung und Sicherbeitöpolizei betreffend)
finden fi im Bremer Handelsblatt. Cine Ueberficht ver ftariftifchen Auf⸗
nahmen im Herzogthum Sacjfen « Meiningen giebt Brückner's Landeskunde des
Herzogthums Meiningen, welche namentlich Zufammenftelungen ver Volks⸗
zahl, ver Gebäude und des Viehſtandes, der Bewegung der Bevölkerung, die
Kirchen, Schul» und Sanitätstabelle, die Tabelle ver Strafanftalten und fla-
tiftifche Nachrichten über Finanzen, Münze, Bergbau, Korftcultur und gemein
nüßige Anftalten mittbeilt; über einzelne diefer Gegenſtaͤnde (Ortfchaften, Zaͤh⸗
Iungörefultate ıc.) giebt auch das meiningifche Staatshandbuch Auskunft. Das
Staatshandbuch des Herzogthums Eoburg- Gotha enthält nur ein Ortſchafts⸗
verzeichniß; anderweitig mitgetheilt finden fich die Aufnahmen über vie Be-
völferung nad) ihren verfchiedenen Beziehungen und bie Bewegung des Civil⸗
ſtandes. Es ift im Herzogthum C.⸗Gotha in den letzten Jahren bie Verbeſſe⸗
zung der flatiftifchen Bormulare für die Aufnahmen in ven verfchievenen Ver⸗
waltungszweigen in Angriff genommen worden. Das herzoglich altenburgifche
Staatshandbuch theilt Bevoͤlkerungsſtand, Gebäude, Ortſchaften und Landes:
eintbeilung mit, auch werben daſelbſt Tabellen ver Geburten, Sterbefälle und
Trauungen feit längerer Zeit zufammengeftelt. Mittheilungen aus der fchwarz-
burgifchen adminiſtrativen Statiftif (namentlich die Zählungerefultate und vie
Bewegung des Civilſtandes betreffend) fommen in die Megierungsblätter. Ver⸗
öffentlihungen aus ver abminiftrativen Statiftil der BürftentHümer Neuß fchei-
nen zu fehlen, doch ift den Vernehmen nach wenigftend in Greiz feit mehre-
ren Jahren die Einführung und Reviſion flatiftifcher Aufnahmen in den ein⸗
zelnen Berwaltungäzweigen im Werke.
In den Staatshandbüchern der Herzogthümer Anhalt wird der Stand
380 Miscellen:
der Bevölkerung, ver Viehſtand und ber Flächeninhalt angegeben; im Herzog.
thum Deffau- Köthen ift die Organifation der Verwaltungsftatiftif durch Ein-
führung mehrerer Tabellenformulare feit drei Jahren unternommen worden.
Was endlich die weftlichen kleinen Staaten des Zollvereind betrifft, to
finden im Fürſtenthum Waldeck Aufnahmen über Stand und Bewegung ver
Bendlferung, Getreivepreife, Befteuerung, Armenweſen, Mechtöpflege und Ge⸗
fängnifle flatt; über den Umfang der Specialftatiftif der Zürftenthumer Lippe
und Schaumburg und des Landgrafthums Heflen- Homburg waren feine An⸗
gaben zu finden. Fuͤr die Statiſtik der Stadt Branffurt und ihres Gebietes
ift der dafelbft im Jahre 1836 gegründete geographifche Verein thätig. Dies
fer Hat in ven Jahren 1839 bis 1841 drei Hefte Mittheilungen über phyſiſche,
geographifche und flatiflifche Verbältniffe Herausgegeben (betreffend Bevälfe-
zung, Areal, Waflerfland, Klima, Preife, Verkehr, Schulen ıc.) und ſeitdem
in der Frankfurter gemeinnütigen Chronik verfchievene Artikel ähnlichen In-
halts publicirt; im Jahre 1848 bat das flatiflifche Comitoͤ deſſelben unter
dem Titel: Zur Statiftit Frankfurts, eine Arbeit von Meibinger, betreffend
Stand und Bewegung der Bevölkerung, Gebäude, Gonfumtion, Gewerbe und
Armenpflege, auf amtlichen Ermittelungen berubend, herausgegeben. Im vori⸗
gen Jahre Hat fich der Verein reorganifirt und die Bezeichnung Berein für
Geographie und Statiftit angenommen.
II. DOefterreich einfchlieplih Ungarns und der Lombardie.
Im Jahre 1828 wurde bei der öfterreichifchen Generals Mechnungss Dis
zection ein flatiftifche® Bureau errichtet und mit der Bearbeitung ver Stati⸗
ftiE der Bevölkerung, des Ackerbaues, Unterrichtd, Elerus und der Finanzen
beauftragt; die Arbeiten vefjelben wurden litbographirt ven Behoͤrden mitge-
teilt; Becher Bat viefelben zu feinen in ven Jahren 1841 und 1846 erfdhie
nenen Schriften über den Stand ver Bevölkerung (1834 bis 1840) und vie
Bewegung ver Bevölkerung (1819 bis 1833) benugt. Die Errichtung der
Direction ber abminiftrativen Statiftit fällt in bas Jahr 1840, v. Gzörnig
wurde Director derfelben; im Jahre 1848 wurbe fie dem neugebilveten Gans
belöminifterium untergeorbnet. Die zunächft von ihr aufgeftellten Tabellen
fir 1841 beſchräͤnkten fi auf einzelne Verwaltungdzweige, vom folgenden
Jahre ab bearbeitete fte Die gefammte abminiftrative Statiftif, wobei fie ſich
überdies nicht auf die amtlichen Erhebungen befchränfte, fondern die freie Aus-
funft der Privaten zur Bereicherung des Materiald mit berbeizog. Die Ta
feln zur Statiſtik der öfterreichiichen Monarchie kamen für 1842 zuerfi im
Sabre 1846 unter der Bezeichnung fünfzehnter Jahrgang heraus, fie fine
inzwifchen erft bis zum Jahrgang 21, vem Jahre 1848, fortgefchritien. Sie
geben neben umfaflendem Tert eine Anzahl Tabellen fowohl für das ganze
Neich, ald für die einzelnen Kronlänver; die Tabellen betreffen Klächeninhalt,
Ueberficht der Beröffentlichungen aus ber adminiſtrativen Statiflif. 381
Wohnorte, Gebäude, Bevölkerung (nach Givilftand, Meligion, Heimatsverhält-
niß), Geburten, Sterbefälle, Trauungen, UnterrichtSanftalten, Gewerbebetrieb,
productive Bodenfläche, landwirthſchaftliche Production, Viehſtand, Bergbau
und Xerarialfabrifen, Baummwollfpinnereien, Sanitäts- und Wohlthaͤtigkeits⸗
anftalten, Eifenbahnen, Straßen⸗ und Waflerbauten, Handel und Schiffahrt,
@ivils nnd Griminalrechtöpflege, Strafanftalten, vie Bank, Sparkaflen, Ber»
fiherungs- und Berforgungsanftalten und Marktpreife, in viefer Bollftän-
digkeit für die deutſch⸗ſlawiſchen und italienifchen Provinzen, fowie größten
theils für die Militärgrenze; vom folgenden Jahrgange an Tamen die Tas
bellen ver Finanzverwaltung (hier auch die Steuertabellen und die der Staats⸗
Schuld und ver Münze) und vie bed Berwaltungsperfonald Binzu. Am voll⸗
ftänbigften find die Tabellen für die Stadt Wien, fie betreffen 3. B. auch
Todesurſachen, Confumtion, Meteorologie. Fuͤr die ungarifchen Kronländer
treten größtentheild Schägungen an bie Stelle ver auf Zählung und Berech⸗
nung ruhenden Angaben; mit einiger Genauigkeit if nur die Statiftil des
Bergbaues, der Baumwollipinnereien, des Elerus und ver höheren Lehranſtal⸗
ten, für Siebenbürgen auch die des PBrivatunterrichtd, ver Sanitätdanftalten,
der Gewerbetreibenden und der Bewegung bed Eivilfianded ermittelt. Die
Bolfszählungen finden in den deutfch»flawifchen Kronlänvern alle drei Sabre
flatt, in den italienifchen Ländern, fowie in Tyrol, Trieft und Dalmatien wird
der Stand ver Bevolkerung jährlich fehtgeftelt. In den ungarifchen Kron«
ländern ift bie erfte allgemeine Zählung erft im Jahre 1851 vollenvet wor»
den (die Erhebungen beziehen fih auf Civilſtand, Religion und Nationalität,
zugleich fand eine Aufnahme des Viehſtandes flatt); früher waren in Ungarn
grundſaͤtzlich beftimmte Kategorien der Bevölferung von ven Zählungen aus»
gefchlofien, die Kenntniß der Volkszahl ergab fich annaͤhernd aus den Tirchlis
chen Schematismen, deren legterfchienener (Universalis Schematismus ecele-
siasticus Cleri romano- et graecolatini) fid) auf die Jahre 1842 und 1843
bezog; fie wurden von Fenyes in der 1843 erfihlenenen Statiflif von Ungarn
benugt. — Nähft den Tafeln zur Statiflif der öfterreichifchen Monarchie
wird in einem zweiten fpecieleren Werke die Statiftit des auswärtigen Han⸗
dels bearbeitet; die Ausweife über ven Handel von Defterreich erfchienen zu⸗
erft für dad Jahr 1840 mit Ueberfichtötafeln bis 1831 zurück; fle erfcheinen
jährlich, die Ießterfchienenen betreffen ven Handel im Jahre 1851. Sie ent⸗
hielten bie Einfuhr, Ausfuhr, Durchfuhr des äfterreichifchen und — fo lange
derfelbe getrennt befland — des ungarifchen Zollverbanves und die Handels⸗
tabellen für Dalmatien. Noch weiter zurück gehen bie öfterreichifchen Handels⸗
tabellen in Becher’8 1841 erfchienenem Werke, welches ebenfo, wie die Tpätes
ren Arbeiten vefielben über diefen Gegenfland, aus dem amtlich gefammelten
Material gearbeitet war. Deflerreichifche Schiffahrtstabellen finden fich in einer
italienifhen Ausgabe (Navigazione nei Porti austriachi e Navigazione
austriaca al estero, 1850). — Die Direstion der adminiſtrativen Statiſtik
"382 Miscellen:
Hat drittens in den Jahren 1850 und 1851 Mittheilungen über Handel, Ges
werbe und Verkehrsmittel herausgegeben, welche feit 1852 unter den Namen
Mittheilungen aus bem Gebiete der Statiftit von derſelben fortgefegt worden
find; in diefen werden die Weberfichtstafeln der Statiſtik der dfterreichifchen
Monarchie fchneller mitgetheilt, als in dem vorermähnten größeren Werke,
außerdem bringen fie die Statiftit einzelner Kronlaͤnder ( Bukowina, Woimos
dina), ferner Sperialftatiftifen (der Zuderpropuction, der Dampfmaſchinen,
der Lehranflalten der ganzen Monarchie, und andere für einzelne Kronlänver),
auch Auffäge über auswärtige Handelöverhältniffe nach Berichten ver Eonfuln.
Die Auftria, feit 1849 Organ des Handelöminifteriums, enthält zahlreiche ſta⸗
tiftifche Artikel, hierunter Auszuge aus den Berichten der Handelskammern,
von welchen auch viele (namentlich die ver Handelskammern zu Brünn, Prag,
Neichenberg, Pilſen, Olmüb, Troppau, Klagenfurt, Laibach, Gräß, Leoben, Linz,
Pavia, Eremona, Brescia, Bergamo, Trevifo, Sondrio, Krakau, Kronitadt,
Agram und der fünf ungarifchen Diftrietöhauptorte) im Buchhandel erfchienen
find. Eine balbofflcielle Bearbeitung einiger wichtigen ftatiftifchen Materien giebt
Hain’d Handbuch des Öfterreich. Kaiferftants vom 3.1852. — Die Bearbeitung ber
öfterreichifchen Provinzialftatiftik ift überwiegend der Privatihätigkeit überlaffen;
dieſe hat fich am fruchtbarften Hinfichtlich der italienifchen und böhmischen Kron⸗
länder gezeigt: mit Benutzung der amtlichen Materialien arbeitete Quadri feine
Statistica delle Provincie venete; neuerbings hat die Rechnungskammer für
Dalmatien einen Prospetto generale sulla Popolazione, Bestiame e Mezzi
di Trasporto (zu Ende 1849) herausgegeben. An ftatiftifchen Geſellſchaften
find zwei zu erwähnen, vie 1846 in Mailand gegrünvete Accademia fisico-
medico-statistica ımd die mährifch = fchleftfche Geſellſchaft des Aderbaues und
der Landeskunde, von welcher die Schriften der Hiftorifch= ftatiftifchen Sertion
fortvauernd berausfommen.
IV. Die Schweiz.
Die Volkszählungen in den Eantonen der ſchweizeriſchen Eidgenoſſenſchaft
werden von der Bundeöbehörbe veranlagt und ziemlich gleichzeitig in ven eins
zelnen Cantonen ausgeführt. Die Mefultate der 1836 angeordneten Aufnahme
find lithographirt erfchienen; volftändiger war die Zählung von 1850, bei
derfelben wurde die Heimath, Eonfefflon und Sprache (auch theilmeife das
Alter) der Bevölkerung unterfihieven; vie Aufnahmen find im eidgendſſiſchen
Megierungdbepartement des Innern bearbeitet und in den Jahren 1851 bis
1854 beraudgegeben worden; in dem zweiten Bande find Auswanderungs⸗
Miliz, Wähler und Finanztabellen beigefügt. Für die fortvauernde Kemnt«
niß des Bevölkerungoſtandes find 1851 durd) gemeinfame Beftimmungen für
die Aufnahmen über die Bewegung ver Bevölkerung Vorkehrungen getroffen.
Die Herausgabe von Hanveldtabellen kann, feit das Zollweſen Bundesſache
geworben iſt (1850), als bevorſtehend betrachtet werden. Statiftifches Mas
Ueberficht der Beröffentlihungen aus der abminiftrativen Statiftif. 393
terial über den auswärtigen Handel ver Schweiz aus früheren Jahren finvet
ſich namentlich in den Bericht der eidgenöſſtſchen Experten⸗Commiſſion vom
Jahre 1844 und in Gonzenbach's Werken.
Die hauptfächliche Duelle der adminiftrativen Statiftif der einzelnen Can⸗
tone find die Verwaltungsberichte der Cantonalbehoͤrden; ver Umfang des in
denfelben vorhandenen Materials Tat ſich aus Franſcini's Statiftif der Schweiz
erfehen. Umfang und Werth vefjelben ift nach ven einzelnen Gantonen ſehr
verfchienen; hervorgehoben werben die Verwaltungsberichte der Cantone Bafel,
St. Ballen (Amtsberichte des Fleinen Raths) nnd Zürich (aus letzterem Can⸗
ton werben aufgeführt vie Iahreöberichte über das Medicinalweſen und vie
über vie Armenpflege; die Volkszählung vafelbft ift durch Meyer von Kno⸗
nau, den Mitarbeiter an dem biftorifch = geographifch = flatiftifchen Gemaͤlde der
Schweiz, in einer befonveren Abhandlung erörtert worden). Im Canton Bern
ift feit längerer Zeit die Errichtung eines ſtatiſtiſchen Bureau's beabfichtigt
worden. Im Canton Genf haben die Statiſtik der Sterblichkeit und die der
Juſtiz beſondere Pflege gefunden, vie Tableaux des Operations des Tribu-
naux de Geneve find zuerft für 1829 bis 1834, feit 1844 jährlich erfchie-
nen, das Annuaire de la Mortalitö genevoise hat M. d'Eſpine im Auf⸗
trage des Geſundheitsrathes feit 1842 herausgegeben, die Mefultate ver Sterb⸗
lichkeit in ven Jahren 1838 bis 1845 Hat verfelbe in einer befonderen No-
tice statistique behandelt. Was die Statiftit des Fürftenthums Neuenburg
betrifft, fo find vie Mefultate ver Aufnahmen ver Bevälferung, Gebäude und
des Viehſtandes, ver Geburten, Sterbefälle, Trauungen, und der Gewerbes
treibenden früher in der amtlichen preußifchen Statiftit mitgetheilt worden.
IR Wocckh.
(Bortfebung folgt.)
Das Klima und die Bodenbefchaffenheit Algeriens,
Dr. Bertherand hat fo eben ein ausführliches Werk über vie Heilkunde
und Gefunpheitöpflege ver Araber unter dem Titel: Medecine et hygiene
des Arabes, Paris 1855, veröffentlicht, in welchem jich auch manche noch
unbefannte Mittheilungen über die Elimatifchen Verhältniffe und bie Bodenbe⸗
fchaffenheit Ulgeriens vorfinden, die wir hier zufammenftellen.
Das Klima Algeriend gehört zu den warmen, die Temperatur beläuft
fi auf 20° bis 25° €. — Bon der Meeresfüfte erhebt ſich das Land all«
mahlig anfteigend durch zahlreiche Thaͤler und Bergketten ungefähr in einer
Ausdehnung von 80 Kilometer. Kalk⸗ und Sanpftein herrfchen vor; in Folge
Der geringen Permenabilität des Bodens wird faſt alles Waller ven Bächen und
384 Miscellen:
Flüſſen der Ebene zugeführt und dadurch fehlt ed auch Den an ven Abhän-
gen ver Berge gelegenen Dörfern nie an Waſſer. Auf einer nur wenig ge
neigten Bläche gelangt man auf Plateau’8 von einer mittleren Höhe von 1200
bis 1400 Meter von Kalkftein. Die angeflellten Hoͤhenmeſſungen haben fol-
gendes Reſultat ergeben:
Der See Fezzara (bei Bona) und einige Punkte der Ebene von Bona lie⸗
gen im Niveau des Meeresſpiegels,
die Ebene der Metivja zwiſchen Har⸗
rach und Khemid ........ 13 NMeter über dem Meeresſpiegel,
die Ebene der Metivja beim befefligten
11) 2 ER 6 3 = s =
die Ebene der Deetivja bei Bou⸗Farik 4 - - = =
der Sebkha (Salzfee) von DOran... 60 -» - » ’
die Ebene ver Metivjä zu Beni-Merd 148 - - = .
die Ehene von Ifer (im Norden von
Tlemcen) ... . . 250 = = = =
die Ebene ber HacjemeWeris "(bei Mas⸗
cra)............... 350—
die Ebene der Haractas..... 800 = . 5 .
die Ebene der Medjana....... 1000 = = = -
der Diebel Darab . .... 2.2... 1160 = . - „
der Nif in Nſer a EEE 1534 = ⸗ ⸗ ⸗
der Sidi⸗ Reiſſ Pa 1678 = PN Pr P}
der Diebels Afroun . . .. 2.2... 1900 =» - s ⸗
der Jurjura.............. 2100— ⸗
der Diebel-Melia ..... 1 MR “om -
die Uurdd oo 0 20er een 2663 - - . .
der Duanferid. . 2er 0000. 3500 =» - = =
Diefe Bergwand fchüpt die Wohnungen der fih am Meere ausdehnen⸗
den Ebene gegen die häufig wehenven heftigen Sübwinde. Die Seitemmwänte
diefer Plateau's find reich an verfchiebenen Mineralien; der Boden fcheint an
vielen Stellen vulfanifch zu fein, wie fich wohl aus der großen Anzahl heißer
Duellen annehmen läßt. Die großen Salzfeen liegen nach Renou nicht Höher,
ald 500 Meter.
Mehrere Stellen der Sahara Liegen unter dem Meeresfpiegel, fo 3.8.
ver Theil bei Moahaier nach Duborq 70 Meter tiefer, als ver Meeredfpiegel
Im Frühjahr 1853 war diefed fandige Terrain ſtark mit Salz und Salpem
imprägnirt. Bei El-Aghouät feheint der Sand reich an Eifenoryd zu jein,
wodurch, die Erphaufen, aus denen die Mauern ver Käufer gebildet werden,
eine außerorbentliche Härte erlangen.
Bon den Städten, welche mitten zwifchen der eingeborenen Bevölkerung
liegen, erhalten wir folgenne Höhenbeftimmungen:
Das Klima und die Bopenbsfchaffenheit Algeriens. 885
Diidjelli.......... 15 Meter über dem Meeresſpiegel,
Eherchell Par EEE . 20 ⸗ = > =
Algier . 2-22 20.. . 20 = : 5» .
a) am einigen Buntten 16 » W
Bou- darit an andern .... 47 » W
Oran.......... ..... 50 ⸗ De -
Pisfra rl... 75 = ⸗ 2 2
Moſtaghanem........... 114 ⸗
Coléah ——4— 001 01 — 01 0 00% 150 8 3 = =
Mascara........... .. 200 = W
Blidah ae .. 254 = = > =
Sivibels AbbEd ... ...... 400 = » 5 ⸗
Milah ..... a .. 478 = ⸗ ⸗ ⸗
Bougia ... 670 = ⸗ ⸗ ⸗
Conſtantine...... ri. 720 = =. -
€ Aghouät Pa 750 » = ⸗ 2
Milianah . a a En 1000 = ⸗ ⸗ =
Medeah............. 1100 = =» ,
Im erften Augenblide fett und die fortwährenne Brifche ver Vegetation
in Erflaunen. Eine ziemlich große Anzahl von Wäldern und Gehölzen (die
auf eine Million Hectaren gefchäßt werben) find durch die Araber für vie
häuslichen nnd Nahrungsbenürfniffe nutzbar gemacht worden; da die Wals
dungen jedoch im Allgemeinen fehr Licht find, fo gewähren fle Keinen hin⸗
teichenden Schuß gegen die heißen Sonnenftrahlen, und daher gehören Hier
die erpptogamifchen Gewaͤchſe zu den Seltenbeiten. Die geringe Walbcultur
Algeriens fcheint eine natürliche Bolge des Clima's zu fein; Hardy fucht naͤm⸗
lich die Urfache in dem nachtheiligen Einfluffe der beiden von entgegengefeßten
Seiten wehenden Winde und in der ungleichen Bertheilung des Megend. „In
Bolge der Iange anhaltennen hohen Temperatur erreichen manche Pflanzen,
z. B. der Fenchel und Schierling, eine ungeheure Größe. Die Cedern von
Teniefsel- Had haben einen Umfang von 5 bis 7 Meter und eine Höhe von
18 His 25 Meter.
Das Barometer bietet ziemlich beveutende Schwankungen dar, fo war 5.2.
zu Oran (v. 1841 bis 1853) der beobachtete hoͤchſte Stand 778,60 Millimeter,
der nieprigfte Stand 736,70 ⸗
zu Moſtaghanem (von 1850 bis 1853) der Höchfle Stand 768,70
der nierigfte Stand 736
zu Diiell . ©2222 220 der höchfle Stand . 772
ber niebrigfte Stand 755
zu Bisfra (von 1846 bis 1849) . . der höchfle Stand . 766
der niebrigite Stand 749
Dad Barometer zeigt auch für denſelben Ort eine Schmanfung im Laufe
Zeitſchr. f. allg. Erdkunde. Br. V. 25
% % “ % W “u
386 Möcellen::
des Jahres, die aber um fo unbedeutender wirb, je mehr man ſich dem Sie
nähert. So betrug biefelbe:
in Algier im Jahre 1832 zwifchen 750,25 und 771,15 Millimeter,
im Sabre 1834 - 748,20 und 770,36 =
in Bisfra im Jahre 1846 - 752,20 und 758,80 ⸗
im Sabre 18347 = 753,00 und 756,50 ⸗
Im Allgemeinen ſteigt das Barometer ſtark bei Nord⸗ und Südweſt⸗
wind, wenig bei Sud⸗ und Oſtwind, und fällt ſchnell beim Eintritt de
Süudoſt⸗ und Nordoſtwindes. Der mittlere Barometerfland beträgt für Als
gerien 757,90 Millimeter.
Die Hige ift verfchieden, je nach ver Höhe des Ortes. Das Marimum
der täglichen Temperatur varüirt nach der Senkung ber Bodenflaͤche, im All⸗
gemeinen nimmt es gegen das Meeresufer Hin zu.
Zu Sidi bel Abbes findet der hoͤchſte Thermometerſtand zwifchen 2 und
8 Uhr ftatt,
zu Algier um 11 Uhr,
zu Milianah um 2 Uhr,
zu Medeah um 12 Uhr,
zu Tlemcen gegen 1 Uhr,
zu Blivah um 11 Uhr,
zu Biskra um 14 Uhr.
Befanntlich beträgt vie mittlere Jahreötemperatur in Tunis 20°,30 € -
In Algerien haben die Beobachtungen an verfchievenen Orten folgende Re
fultate ergeben:
zu Setif 10° J zu Sidi⸗bel⸗Abboͤs 170,50 C.,
zu Medeah 13° E zu Tlemcen 18°,04 C.,
„au Milianah 16° € zu Bougia 18°,20 C.,
" zu Mascara 16° 6 zu Bona 20° C.,
zu Gonftantine 17° C., zu Algier 21° C.,
zu Teniet⸗el⸗Hud 17°,18 C., zu Moftaghanem 22°,71 €,
‚u Oran 17°,50 C., zu Biskra 22,27 C.
Theilt man das Jahr in zwei Jahredzeiten, Sommer und Winter, jo er-
halt man für dieſe folgende mittlere Temperaturen:
im Winter: im Sommer '):
zu Algier... .. ... 16°,40 26° ‚80
zu Sivieel-Ubbe8 ... 9— 10° 26— 27°
zu Eoleah ....... 10—15° 30 —36°
am noͤrdlichen Abhange
des Berges Sahel. . 15° | 28°
) Die mittleren Temperaturen des Sommers und Winters find den Tempera;
turen der 3 heißeften und 3 Fälteften Monate entnommen.
Das Klima und die Bopnenbefchaffenheit Algeriensd. 987
im Winter: im Sommer:
zu Mabkcara .... 6° 30°
zu Zlemen..... 8° 12 28° 26
zu Bißfra ..... 9—10° 47°
zu Tenietsels Sb . 9° 46 26°,37
zu Dran....... 10—15°,5 18— 23° ,75
zu Diibjeli .... 10° 30 — 35°
zu Moftaghanm. . 14— 15° 27 — 30° €.
Am Dieereögeftade fleigt dad Thermometer im Sommer von 26° bis
auf 33°, zu Algier bis auf 40° und 50°, aber die Seewinbe milvern bie
Hitze bedeutend und führen feuchte Nächte und Thau herbei. — In Tlemcen
war ber niebrigfte jährliche Thermometerftand — 5° bis — 6°, und der höchfte
40° bis 41°. — Auf den hohen Plateau's find die weiten tiefen Keffel
durch die fehr hoben Bergwaͤnde vor den herrſchenden Süd» oder Nordwin⸗
den gefchüßt, daher fällt die große Hitze und flarfe Kälte beſonders in dieſen
tiefen Thaͤlern läftig, weil die Winde die Temperatur nicht zu mildern ver-
mögen.
Auch die Temperatur in den Nächten bedarf ver Beachtung; fo bat Dr.
Fourqueron in der Ebene der Metivja dad Thermometer nie bis auf den
Gefrierpunft fallen fehen, fonvern fand eine mittlere Temperatur von 4°
bis 8° C. Zu Bidkra waren im Sommer niemald weniger, als 35° gegen
Mitternacht. — Die Differenz zwifchen ver Temperatur am Tage und in ber
Nacht iſt im Allgemeinen jehr verfchieven, im Suͤden aber ſtets beträchtlicher.
Zu Vordj bei Sada (jürli von Biskra), wo Bertherand mehrere Male
in ber Woche ein Detachement ver Fremdenlegion infpicirte, fand er oft einen
Unterſchied von 17° zwiſchen ver Temperatur um 9 Uhr Abends und 5 Uhr
Morgens.
Der hoͤchſte Thermometerſtand tritt nicht überall in demſelben Monate
ein, fo in Bona, Oran und Algier im Auguſt, zu Hammam⸗Mescoutin, Sidi⸗
el⸗Abbos, Moſtaghanem, Teniet⸗el⸗Haud im Juli, zu Tlemcen, Biokra und
Blidah im Juni.
December und Januar find die Fälteften Monate.
Die an verfchienenen Orten beobachteten Extreme der Temperatur verbie-
nen ebenfalls eine befondere Beachtung. Sp war
der niebrigfte Thermometerftand in Bona 80, ver höchfte -+42° (im Jahre
1838
'
= ⸗ ⸗ in Algier +4°,85, der hochſte + 450,
= ⸗ - in Tlemcen 0°, ber böchfte +-34°,
= ⸗ ⸗ in der Ebene von Tlemecen +1°, ver hoͤchſte
+39 ,50,
= . . in der Ebene der Metinja +1*, ver höchfte
4470 (im Jahre 1839),
25*
388 Miscellen:
der niebrigfte Thermometerfland am Geſtade ver Provinz Oran + 1°, ver
böchfte + 36°,
in Setif -+4°,50, der höchfle 38*,
⸗ ⸗ ⸗ in Medeah +2°, der höchfte 36°,
s ⸗ ⸗ in Milianah Oe, der höchſte 42° (im J.
1842),
⸗ ⸗ ⸗ in Conſtantine 0°, der höchſte 4 400,
⸗ ⸗ ⸗ in Mascara 2°, der höchſte +58*,50 (im
Jahre 1849),
. ⸗ ⸗ in Blidah +-7°, der hoͤchſte 4390,50,
⸗ ⸗ ⸗ in Biskra +1°, der höchſte 52° (im Jahre
1844),
. - ⸗ in Coleah +10°, ver hoͤchſte 36°,
P ⸗ ⸗ zu Hammam-Mescoutin — 1°, der hoͤchſte
+40° (im Jahre 1844),
⸗ ⸗ in Oran —50,25, der hödhfte -+56*,25,
⸗ ⸗ ⸗ in Sidi⸗el⸗Abboͤs 45°, der hoͤchſte 410,
. in Batna +3°, der hoͤchſte 39° Cim J
1850),
⸗ ⸗ ⸗ in Orleansville +3*, ver hoͤchſte zwiſchen
+-45* und 50° G.
Im Allgemeinen fcheint ſich die Temperatur auf ven hoben Plateaus
durch beträchtliche Differenzen auszuzeichnen. Nach Aime ſchwankt dad Ther⸗
mometer im Süben an einem und vemfelben Tage zwifchen 22° und 44°,
und nad) Bournel follen die Wechſel an einem Tage ſich zwilchen 6° um
38° belaufen (Differenz 27°). Es giebt Orte, wo die mittleren Werthe ter
Marina im Auguft bis auf 40° fliegen und die ver Minima in demſelben
Monate nur 25° beirugen. — In einem Bivouaf fand Dr. Berrier am 22.
Mai 1840 um 6 Uhr Morgens den Nachtthau auf dem Mafen um das Zelı
herum gefroren; vie Temperatur der Luft betrug +2°, 5 Stunden fpäter
zeigte das Thermometer im Schatten 25°, und 3 Stunden darauf +314*.
Am 4. Juni ftand dad Thermometer im Lager von Ain=-Turd, öſtlich von
Setif, um 1 Uhr Nachmittags auf 34°, an ver Oberfläche des Borens ın
der Sonne auf 58°; nach einem Gewitter mit Hagel fiel ed um 12°.
Wegen diefed fchroffen und beftänvigen Temperaturmechfels ift die wolle
Kleidung der Eingeborenen ein unumgängliches Erforverniß.
Der Winter tritt in der Sahara weit firenger auf, ald an ber Meeret⸗
füfte °); Schnee und Froſt kommen häufig vor; ebenfo an allen Stelle.
») Weber die Strenge des Klima's in der algerifchen Sahara machten zwei fran
zöflfche Militaircolonien unter den Generalen Renaud und Cavaignac im Jahre 1847
Erfahrungen, die für viefelben Teicht fehr böfe Folgen hätte haben können, indem is
einer Nacht des Monats April das Thermometer bis auf — 1° herabfanf und tıc
Das Klima und die Bonenbefchaffenheit Algeriens. 889
wo die Waͤrmeausſtrahlung durch die Haren Nächte begünfligt wird. So
fanf am 2, Juni 1850 mitten in ven Waldungen der oberen Plateau's bei
Tlemcen in ver Nacht das Thermometer auf —A°. Während der Erpebition
im März 1853, in der Umgegend von Tuggurt, waren die Nächte Außerft
frisch (dad Thermometer fill auf — 3°), während bei Tage oft eine Hitze
von 52° im Schatten Herrichte.
Die Araber Halten die letzten 20 Tage des November und bie erften 20
des December für vie kälteſten des Jahres und bie letzten 20 des Mai und
vie erfien 20 des Juni für die Beißeften.
Wenn die Megenzeit im Allgemeinen lange vauert, fo pflegt auch bie
Hitze fehr Tange anzubalten, ober einen um fo höheren Grab zu erreichen;
daher zeigt fich bei ven Eingeborenen die Haut fo empfindlich gegen Tempe⸗
raturmwechfel, und eine ganz natürliche Folge davon ift ihre Eintheilung des
Jahres in zwei große Abfchnitte: Sommer und Winter.
Die Entwidelung der Electricität muß in Algerien um fo flärfer von
Statten geben, da fle unter dem Einfluffe einer hohen und bedeutendem Wechjel
unterworfenen Temperatur, durch die fortwährennen Veränderungen in ber
Beuchtigfeit ver Luft begünfligt wird. Gewitter fommen im Allgemeinen häufig
im Frühjahr, zumal in ver Ebene, vor; im Süden in Herbfl; am Meereds
geitade zeigen fie fich weit ſeltener. Erpbeben gehören nicht zu den Selten«
beiten; Blivah wurde mehrere Male zerftört; im Jahre 1847 fanden Häufige
Erfchütterungen in Sherſhell ftatt; gewöhnlich treten fie gegen Ende des
Sommers auf. In Algier fand ein bedeutendes Erdbeben am 11. April 1853
und zu Medeah, Orleansville, Algier, Milianah u. f. w. am 23. November
teilelben Jahres ftatt.
Hagel fällt Häufig, befonderd an ver Küſte. Im Mai 1848 fielen zu
Teniet⸗ el⸗Had Stücke, weldhe 15 Grammes wogen.
Der Schnee, der an der Küfte felten ift, zeigt fich häufiger auf pen Pla«
teau’3 und in den Städten im Innern des Landes und fällt in gewillen Ges
genden mehrere Monate Hinter einander (zu Setif vom November bis Ende
Februar) und Hleibt oft 14 Tage liegen. In Dran fihneit es ungefähr nur
einmal im Jahre; in Batna fällt der Schnee in ungeheuren Maſſen. Am
23. März 1853 Iag er in Eonftantine 15 bis 16 ZoN Hoch; in Biskra Hat
man nur einmal, am 3. Februar 1844, Eis gefeben; in demſelben Monate
fchneite es, der Schnee fchmolz aber, ehe er zu Boden flel. Die hohen Berge
Algeriens, wie der Djurfura, bleiben faft das ganze Jahr hindurch mit Schnee
bedeckt.
palmenreiche Landſchaft, gleich als laͤge ſie in Sibirien, mit einer dicken weißen Schnee⸗
maſſe, die im Lauf des Tages wieder verfchwand, überdeckt wurde. Freilich befand
man fich damals in 2500 Fuß Höhe über dem Meeresfpiegel. (J. F. Jacquot, Ex-
pedition du General Cavaignac dans le Sahara Algerien en Avril et Mai 1847. 8
Parıs, 97; Revuc de deux mondcs 1849. IV, 519.) G.
890 Miscellen:
Sehr oft ward ein plötzlich eintretender Froſt ben franzoͤſiſchen Truppen
verderbenbringend. Auf dem Rüdzuge von Bou⸗Thaleb im Jahre 1846 fa
men mehr als 500 Iofale Erfrierungen vor; bei der Erpebition nach Con⸗
Rantine, im October 1836, Kitten mehr ald 100 Dann an erfrorenen Süßen,
Händen und Lippen, und im nächftfolgennen Jahre gingen eine große Zahl
von Wunden in Gefchwüre über. Bemerfenöwerth if, vaß im Sabre 1836
das Thermometer nicht bis auf den GBefrierpunft fiel, ſondern in ver Nackt,
wo der Schnee fiel, einen halben Grab über dem Nullyunft ſtand, und im
Sabre 1837 fogar auf -+2°,50. Der Boden, auf dem die Soldaten lager:
ten, war aber bedeutend Fälter und entzog mithin dem Körper fortwaͤhrend
Wärme Dr. Gandilhon bat nachgewiefen, daß in Algerien vie Keuchtigfei,
durch mäßigen Wind und Kälte unterftüßt, hinreicht, um ein Erfrieren der
Zehen zu bewirken.
Was die Winde anbelangt, fo weht der Nordwind vom Meere ber,
am Tage, wenn die Temperatur ven böchften Grad erreicht, und am bäufig-
fien in den heißeften Monaten; er laßt fich bis auf den hohen Plateau's
wahrnehmen. Der Scirocco (Sübweflwind), ver auß den bürren Ebenen
des Soudan kommt, ift troden; ein plögliches Sinken des Barometers ver-
räth fein Nahen; er Hält oft nur einige Stunden, oft aber auch 3 Tage ar:
das Hygrometer fällt dann oft 15 bis 20° in einer Sekunde.
Im Süden fällt wenig Regen (in Biskra bisweilen im Februar oder
März), aber nicht fo felten, ald man mwähnt, denn Renou hat in der Sa⸗
bara Eis und Negen beobachtet. An der Küfte und auf den Plateau's mer-
den die Regen in Hinſicht auf die Geſundheit dadurch nachtheilig, daß fie Die
Ehenen in Sümpfe verwandeln. Sehr oft regnet e8 vom Mai bis October
gar nicht; im October beginnt die Negenzeit, der Megen wird im November
und December ftärfer, läßt im Januar und Februar wieder nach, nimmt aber
von neuem im März und April zu. Dean bat die Beobachtung gemacht, Taf
e8 in ver Provinz Gonftantine weit mehr, ald in der Provinz Algier, une in
diefer weit mehr, als in der Provinz Oran regnet. In der erfieren fällt ter
Megen im Sommer, was in der zweiten ſich fehr felten ereignet. Wenn vie
Aloe frühzeitig blüht, fo fehen die Araber dies für ein Zeichen vieles Regent
und zahlreicher Krankheiten an.
Die afrikanifche Luft enthält, obwohl fle wegen der im Allgemeinen hoben
Zemperatur verhältniimäßig troden ift, doch eine ziemlich beträchtliche Menge
Waſſerdampf, der ſich an den Fälteren Gipfeln der Berge nieverfchlägt.
In Tlemcen betrug dad Minimum des Hygrometerd 10° im Suni 1849,
dad Marimum 85° im Jahre 1849; in Algier betrug dad Minimum te
Hygrometers 16° im Juni 1849, pad Marimum 80°.
In Eonftantine flelen im Jahre 1838 1 Meter 210 Millimeter Regen,
⸗Biskra .» : » 18450 ⸗ 102 ⸗
W— » 5 e. 18460 - 150 « (6 Regentage)
Das Klima und die Bodenbefchaffenheit Algeriens. 391
in Biöfra fielen im Jahre 1847 0 Meter 125 Millimet. Regen (8 Regentage),
18390 » 562 .
⸗ Algier ⸗ =
⸗ =» ss s 18400 - 49% ⸗ ⸗
— — =» =» — 18410 - 714 ⸗ ⸗
Pe ss: = 18420 - 89 ⸗ ⸗
in Bora = = = 41841 418 ⸗ ⸗
⸗ Ora⸗ —⸗ 183410 344 ⸗ ⸗
⸗ = s 3 1842 0 s 585 s =
in cherchell = s s 18410 = 669 ⸗ ⸗
Der mittlere Stand des Hygrometers für ganz Algerien würde ſich auf
45° bis 50° belaufen.
Die Slüffe Algeriens, die im Sommer faft ausgetrocknet find, ſchwellen
zur Megenzeit ungeheuer an und ergießen ihre tofenden Waller in Die Ebes
nen, die baburch in Suümpfe umgewandelt werden, welche um fo verderblicher
wirken, weil der Boden aus Thon und Mergel beſteht. Daher fchreibt fich
dad ungefunde Klima Bona’d, der Metivja und an den Mündungen der Flüffe.
Man [hät die Sumpfgegenden Ulgeriens auf 40,000 Hectaren, d. 5. ein
Taufendtheil der ganzen Oberfläche.
Es giebt eine große Anzahl von Salzſeen, von denen einige nie ver-
flegen (wie der von Fezzara), andere im Sommer austrodnen (fo die großen
Seen in Dran, auf ven Plateau's von Eonftantine).
In den Dafen findet man einige Meter unter der Oberfläche Wafler.
In der Sahara giebt es unteririfche Quellen, von ven Arabern bahar thät
el ard (dad Meer unter der Erde) genannt. So enthält das Wafler in
Biskra, wo es nach einem langen Laufe durch die Ebene ankommt, viel Koch-
falz, und bewirkt daher faft anhaltende Durchfälle. Die Ufer dieſer Fleinen
Bäche find ganz weiß gefärbt durch die ſich in Folge der Verbunftung bil-
denden Nieverfchläge von Sal. An mehreren Stellen findet man ſolches
Waſſer von fchlechter Befchaffenheit. — Das Zlußmaffer enthält aber nicht
allein eine große Menge organifcher und unorganifcher Stoffe, die es mit ſich
führt, fondern auch eine beveutende Quantität Alaun. Marſeilhan leitet bie
abführennde Wirfung des Waflers bei Oran, die fich bei Neuangefommenen
zeigt, von dem Gehalte an Natron= und Magneflafalzen her.
Der Ingenieur Fournel halt fich nach den fehr intereifanten Unterfuchuns
gen, die er im Jahre 1846 in ver Sahara angeftelt hat und die fich auf die
Neigung ded Bodens gegen Süden, die allgemeine Senfung ver Sahara von
Oſt nach Weſt und vie Porofität des Bodens flüßen, der in den oberen aus
feftem Kalkftein beftehenden Schichten Mergel eingefchaltet enthält, zu der An⸗
nahme berechtigt, daß die Bohrung arteflfcher Brunnen in der Wüfte fehr
leicht gelingen werde.
Aus der Unveränderlichkeit der Temperatur gewiffer Quellen Tapt ſich
erflären, weshalb fle Heiß oder kalt fcheinen, je nach der Jahreszeit; fo giebt
392 Miscellen:
es in Milah eine Quelle, deren Waſſer im Winter warm und im Sommer
kühl iſt. Ebenſo fand Bertherand bei den Beni⸗Sliem eine ergiebige Quelle,
Aun el Arba, die, während ber Hitze ſehr erfriſchend, im December warm war,
und bei den Amraouas, zu Ain el Mizab, if eine von Ruinen umſchloſſene
Duelle, deren Temperatur im Juli ziemlich nieprig, dagegen während ver Res
genzeit fehr Hoch if. Carette berichtet über die Wafler in Kabylien, daß bei
den BenisSliman, in ver Nähe ver drei Dörfer der DOuled⸗Tizi, eine Quelle
fih befinve, deren Wafler während des ganzen Jahres in hohem Grade erfris
fchend fei und vie deshalb die Ealte Quelle (Tala Somta) genannt wirt.
Zuweilen werden Wetten gemacht, hinter einander und ohne Unterbrechung
fieben auf nem Grunde befinpliche Gegenſtaͤnde herauszuholen; es ift ſchwer,
ver Kälte wegen, dies auszuführen; nach dem vierten ober fünften Eintauchen
ift die Hand erfroren.
Algerien ift fehr reich an heißen Quellen, die bie Araber hammam
(von hamm, erwärmen) nennen. Unbekannt mit ven Wirkungen der Bine:
ralwaſſer im Allgemeinen, ihren Eigenfchaften, Indikationen und Contrain⸗
bifationen je nach der Gonftitution in den Kranfheiten, gebrauchen fle dieſel⸗
ben nie innerlich, fondern nur zum Baden. Bis jegt hat man 15 Schwefel»,
8 Stahl» und 43 alkalifche Falte, laue und heiße Quellen entdeckt °).
Helfft.
— — — —— — —
Triſtan d'Acunha.
Die unter dieſem Namen bekannte, im ſüdlichen atlantiſchen Ocean, weſt⸗
lich von Afrika gelegene Inſelgruppe war bisher ihrer Lage nach nicht genau
beſtimmt. Nach einer 1811 an Bord des „Nereus“ gemachten Beobachtung
lag der Waſſerfall auf der vornehmſten Inſel der Gruppe auf 12° 3’ fl.
Länge; nach einer zwei Jahre fpäter an Bord der „Semiramid” gemachten
Beobachtung befindet fich verfelbe in 11° 57’ 45”, eine wiederholte Beobach⸗
tung am Borb deffelben Schiffes ergab 12° 7’ und im Mittel 12° 2’ an.
Zänge. Andere Unterfnchungen beftimmten die Länge zwifchen 11° 44’ und
11° 50’. Neuerdings bat Eapt. Potter folgenden vom Bord des „Architect“
Hongkong den 29. März d. I, datirten Brief an L'loyds Agenten auf Hong⸗
Tong über die Lage ver Infelgruppe gefchrieben: „Gentlemen! Ich erlaube mir
I) Ueber vie Mineralquellen Algeriens Habe ich die bis zum Jahre 1851 be⸗
kannt gewefenen Nachrichten in meinem Auffage: Die. Mineralquellen auf dem Feñ⸗
lande von Afrika, befonders in Bezug auf ihre geognoflifchen Verhältniſſe, in Karitens
Archiv für Mineralogie, Geognoſie ıc. 1861, Bd. XXIV, ©. 71— 280 und in bem
befonderen Abdrucke diefer Schrift: Berlin 1851, ©. 145 — 181, 191 un. ſ. w. zus
fammengeftellt. G.
Ueber einige Baftarbverhältniffe der in Amerika lebenden Menfchenraffen. 393
Sie zu benachrichtigen, daß die Infel Triftan d'Acunha im füblichen atlanti⸗
ſchen Ocean auf den meiften Karten circa AO engl. Meilen zu welt öftlich
angegeben if. Purdy's Karte von 1854 zeigt fie auf 12° 20’ weftlich von
Greenwich, veffelben Karte von 1850 auf 13°. Ich fand die Iehte Angabe
mittelft zwei guter Chronometer richtig, ober doch beinahe richtig. Horsburgh
und Raper fcheinen gleichfalls im Irrthum zu fein; und da die Infel auf ver
direkten Route der zweifchen Auftralien und China fegelnden Schiffe liegt, fo
ift e8 wünfchenswerth, daß ihre wahre Lage allgemein bekannt werde.“ —
Dennoch wird diefe Angabe des Capt. Potter in Zweifel gezogen, weil ver»
felbe feine Beobachtungen nur während einer flüchtigen Vorüberfahrt anges
ftelt hat und die Derlination der Magnetnadel in jener Gegend, wegen ber
Nähe des Südpols, befländig variirt.
K. 2. Biernagfi.
— — — — — ——
Ueber einige Baftardverhältniffe der in Amerika lebenden
Menfchenraffen.
Menn man die in Amerika lebenden Menfchenraffen und ihre Mifchungs-
verbältnifle verfolgt, fo möchte ed Einem auf Augenblidde vorkommen, als
wenn Amerika beftimmt wäre, den Boden abzugeben, auf welchem das Men
fchengefchlecht aus ver erfplitterung von Arten oder Abarten zu ver Einheit,
aud welcher es angeblich Hervorgegangen ift, zurüdfehren ſolle. Diefer Ges
danfe erweift ſich aber als irrig, wenn man erwägt, daß die Natur, während
fle die Vermischung von verfchienenen Zweigen deſſelben Stammes durch Leib»
liche und geiftige Vorzüge der Kinver belohnt, vie Vermifchung verfchiedener
Naffen — wenn auch vielleicht nicht immer, fo doch Öfterd — durch eine
fhwächlihe und ven Eltern unebenbürtige Nachkommenſchaft beftraft.
Als ich vor Kurzem in eine Unterfuchung über das unanfhaltfame Hin-
fterben der rothen Raſſe Nord⸗Amerika's und das gleichzeitige Fortbeftehen
derfelben Naffe in Süd» Amerifa einging, gelangte ich zu dem Reſultat, daß
dieſe Erfcheinung aus zwei Urfachen zu erflären fei. Die eine befteht darin,
daß ver angelfächfifche Stamın Nord» Amerifa’d mit feiner Givilifation un«
aufbaltfam gegen Werften vorbringt, die Indianer auf immer engere Raͤume
befchräntt und ihnen fo auf mannigfaltige Weife die Mittel entzieht, welche
ihnen zur Erhaltung ihres Lebens unentbehrlich find, während der romanifche
Stamn Süd⸗Amerika's fich nur fehr Iangfam ausbreitet und daher bis jet
auf feine rothen Nachbarn nicht den zerftörenden Einfluß ausübt, wie ver
erfte. Die zweite Urfache ift darin zu finden, daß die Angelſachſen Nord⸗
Amerika's mit den Rothhaͤuten fehr felten eheliche Verbindungen eingeben,
394 " Miscellen:
während die Romanen Süd=Amerika’8 vergleichen Verbindungen fehr Häufig
fließen und dadurch bie ohne dieſe Stüße auch hier Dem Untergange über
furz oder lang geweihete rothe Raſſe erhalten. In Nord» Amerika find näm-
lich vergleichen Berbindungen fo felten, daß in den vier Völfergruppen, beren
ftatiftifche Verhältniffe durch Beſchluß des Congrefied vom 3. März 1847
feftgeftellt wurben, ich unter einer Zahl von 34,700 Seelen noch nicht 200
Weiße befanden '). Dagegen ift die Vermifchung ver beiden Raſſen da, wo
Romanen wohnen, fo gewoͤhnlich, daß v. Tſchudy in Peru, die durch Ver⸗
bindung der Weißen oder Rothen mit Negern erzeugten Baſtarde binzuges
rechnet, überhaupt 23 mit Namen belegte Kreuzungen kennt, und daß in mans
then Gegenden von Paraguay und Ehile reines europäifched Blut faum noch
anzutreffen ift 2). Hierbei darf nicht unermwähnt bleiben, daß auch an einer
Stelle Süd» Amerika’ die rothe Raſſe mit haſtigen Schritten dem Untergange
entgegeneilt; dies ift aber gerade die einzige, wo bis jetzt die angelfächjifche
Raſſe ſich feftgefegt bat, nämlich das britiſche Guiana. Dies haben Robert
und Nichard Schomburgh ſchon vor einigen Jahren zu allgemeiner Kenntniß
gebracht ?).
Indem ich dieſe Verhältniffe im Einzelnen verfolgte, fonnte ich mich des
Gedankens nicht erwehren, daß zwifchen ven Nomanen und den rothen Men⸗
fchen eine phyſiſche Wahlverwanbtfchaft beftehe, die zwiſchen ven Angeljachien
und den Mothen nicht wahrzunehmen ift. Eine ſolche Wahlverwandiſchaft
bürfte zwar fchon als erwiefen anzufehen fein, wenn man erwägt, mit welcher
Reichtigkeit fich der Romane bei feinen gefchlechtlichen Verbindungen über ven
Unterſchied der Raſſe Hinmwegfett, und wie der Angelſachſe dagegen folche Ver:
bindungen zurüdweifl. Cine merkwürdige, mwiewohl nur indirekte Stüße er-
hielt dieſer Gedanke noch durch eine Beobachtung des Dr. Nott in Nord⸗
Amerika, welche, wenn man an ihrer Richtigkeit nicht zweifeln darf, unwider⸗
leglich darthut, daß zwifchen ven Nomanen und ven Negern eine folche leib-
liche Wahlverwandtfchaft in ver That befteht, wie fle bier zwifchen ven Reo-
manen und den Nothhäuten bis jetzt nur vermuthet wird. Dr. Nott bemerfte
nämlich in ven atlantifchen Staaten Nord⸗Amerika's, daß die Mulatten im
Allgemeinen viel fchwächlichere Menfchen wären, als ihre Vorfahren, fowohl
auf Seiten der Weißen, ald der Schwarzen. Er machte dieſe Beobachtungen
bereits in einer im Jahre 1842 in Amerika herausgegebenen Schrift bekannt
und ſtellte in verfelben namentlich die Behauptung auf, daß von allen Klajien
bes menschlichen Geſchlechts die Mulatten vie kürzeſte Lebensdauer Haben; Taf
fie weniger fähig find, Strapazen und Anftrengungen zu ertragen, als tie
1) Schoalcraft, Historical and statistical information of the Indian Tribes, 1,
im Anbang. W.
2) Zeitſchrift IT, 28. G.
2) Monatsbericht der Berl. Geſellſchaft für Erdkunde 1845 11, 11. 2, ©. 111:
11, 3 u.4, S. 104 und Jahrgang 1844 1, 3 u 4, ©. 108. m.
Ueber eirnige Baftarbverbältniffe der in Amerika lebenden Menfchenraffen. 395
Schwarzen oder die Weißen; daß die Mulattinnen befonberd zart umb einer
Menge von chroniſchen Krankheiten unterworfen find; daß fle wenig Kinder
und nicht felten unzeitig gebären, daß fle fehlechte Ammen find, und daß ihre
Kinder gewöhnlich jung flerben; daß, wenn Mulatten unter einander Heiras
ihen, fie weniger fruchtbar find, als wenn fle ſich mit Individuen ihrer eltern«
lichen Stämme vermählen u. f. w.
Diefer Anftcht find ſeitdem dieſſeits und jenfeitd des atlantifchen Meeres
mehrere Gelehrte beigetreten. Erſt neuerlichft bat Dr. Jeſſen ) nachgewiefen,
bag bei Menfchen, Thieren und Pflanzen die Kortpflanzungsfähigfeit der Bas
flarde in gleichem Maße unvolltommen fei, und ber von Jeſſen angeführte
Oberſt Smith fol in feiner Naturgefchichte ved Menfchen ?) bezweifeln, daß
es auch nur eine Mulattenfamilie, aus irgend einem Stamme entflanven,
irgendwo unter den Tropen gebe, weldye Durch vier Generationen fich fortge
pflanzt hätte. Da ich in das eben genannte Werk bis jegt Feine Einficht habe
erlangen können, fo find mir die vom Öberflen Smith für feine Behauptung
etwa beigebrachten Beweife ebenfall8 unbekannt; «8 fcheint jepoch, daß nament⸗
ih in Bezug auf die Bewohner Merico’8 und Süd» Amerifa’s eine gleich um⸗
fafiende und gründliche Unterfuchung vorhergehen muß, ehe das, was Oberft
Smith fich zu erweifen bemüht, als eine fichere Errungenfchaft betrachtet wer⸗
den darf, Schließlich fei bier nur bemerkt, daß auch am Cap und in Auſtra⸗
lien angeblich Erfahrungen gemacht werben, welche die eben befprochene An⸗
ſicht unterftügen; die Nachkommen der Hottentotten und ver Europäer follen
in dem einen Erbtheile eben fo wenig zur Kortpflanzung geeignet fein, als vie
Abkommlinge der Auftralneger und der Weißen in dem anderen.
Ganz im Wiverfpruch mit den oben mitgetheilten Erfahrungen traf Dr.
Nott fpäterhin in Mobile, New» Orleand und Penfacola viele Beifpiele von
langem Leben unter den Mulatten an, nicht minder einzelne Beifpiele, wo
ihre unter einander geichloffenen Heirathen von einem reichen Kinverfegen be⸗
gleitet waren. Als er nun nad) dem Grunde diejed thatfächlichen Unterfchies
des zwiſchen den Mulatten der atlantifchen und denen der Golf» Staaten
forfchte, fo führte ihn vie Beobachtung auf den Gedanken, daß jener Unter»
ſchied aus dem verfchievenen Charafter der in diefen Ländergebieten wohnenven
kaukaſiſchen Stämme hervorgehe. In ven atlantifchen Staaten ift nämlich die
Bevölkerung germanifch und celtifh, wogegen in ven Golf» Staaten Ameri-
ka's das Blut franzöfifcher, italienifcher, fpanifcher, portugiefifcher und ande⸗
rer dunfelhäutiger Stämme das Mebergewicht Bat. Solche Raſſen geben,
wenn fle in Amerifa mit den eingeführten Negern gefreuzt werden, gewöhn«-
lich einem flärferen und daher fruchtbarerem Stamme den Urfprung, als bie
weißhäutigen Raſſen und namentlich die Angelfachfen, wenn fie mit Negerin-
2) Weber die Lebensvaner der Gewächle. Breslau und Bonn 1855. ©. 37.
2) Smith, Natural history of man. ©. 119. W.
396 Miscellen:
nen Umgang haben. Daß aber die mulattifche Nachlommenfchaft der Letztern
(Angelfachfen), wenn überhaupt, nur wenig fruchtbar fei und eine angeborene
Neigung zum Auöfterben zeige, ift jeßt in den Sclavenftaaten Amerika's un«
ter denjenigen, welche darüber Beobachtungen anftellen, eine allgemein ver⸗
breitete Anſicht.
Der Gedanke, daß diefe über vie Mulatten Amerifa’3 gefammelten Er⸗
fahrungen Nehnliches Hinfichtlich der Meftigen vermuthen Iaffe, Tiegt ſehr nahe,
und es ift daher wohl zu erwarten, daß vie ethnologiſche Geſellſchaft in New⸗
Dorf, melde durch das ihr zu Gebote ftehende Material einen glänzenden
Borzug vor jeder ähnlichen Geſellſchaft Europa's genießt, recht bald ihre Auf⸗
merkſamkeit auf viefe Verhältmiffe richten werde.
Walter.
Nachrichten über die Expedition des Dr. Kane nach den Ge—
genden jenfeit des Smithjundes 1853 — 1855.
Die glückliche Wieveranfunft de8 Dr. Kane — der befanntlich mit ver
Brigantine Advance am 31. Mai 1853 aus dem Hafen von New⸗-NPYork ab»
gefegelt war, um in den unbefannten Gegenden jenfeit der Baffing-Bai und
des Smithſundes nach Sir John Franklin und feinen Gefährten zu forfchen,
und über deflen Verbleib feit Juli 1853 alle Nachrichten fehlten ), — if
ein in 0 bobem Grabe überraſchendes und von allen Seiten mit ter erreg-
teften Theilnahme begrüßte® Creigniß in der ©efchichte ver Testen arftifchen
Erpebitionen, daß wir gern Veranlaffung nehmen, vie verfchievenen bis jeßt
an und gelangten Mittheilungen über ven Verlauf und die Refultate dieſer Erx⸗
pedition den Leſern unferer Zeitfchrift darzubieten. Es liegt in der Natur ver
Sache, daß unfere Nachrichten, als vie erften und frifcheften Ergiegungen ber
Heimgefebrten aus der Fülle ihrer Erlebniffe, Beobachtungen und Erinnerungen,
weder auf Volftänpigfeit, noch jelbft auf Genauigkeit im Einzelnen Anſpruch
machen Fünnen. Allein dad Bild, welches fle vor und aufrollen, hat doch ſchon
als foldhe einen hoͤchſt bezeichnungsvollen Inhalt, ganz abgefehen davon, daß
ed auch ein eigentbümliched Intereffe gewährt, dem Zuge der Mittbeilungen
über ein fo bedeutendes Unternehmen gleichfam auf den Fuße zu folgen.
Die Mannfchaft ded Dr. Kane beftand aus folgenden 17 Mitglietern:
I Wan Wilfon, Segelmeifter, im Dienft ver Flotte ver Vereinigten Staa⸗
ten, gemwiffermaßen erfter Lieutenant der Erpebition; neben ihm Henry Brooke,
') Bergl. das diesjährige Iuli= Heft diefer Zeitſchrift Bd. V, S. 39 fi. und be
—5* die von Ritter Bd. IH, S. 74 — 77 (Juli⸗Heft 1854) mitgetheilten Nach⸗
richten.
Die Erpevition des Dr. Kane jenfeit des Smithſundes 1853 —55. 397
James Mac Geary, Amos Bronſell als Offiziere; Dr. 3. I. Hayes, Arzt
und Naturforfcher, Auguſtus Sontag, Aſtronom; Boufall, Daguerreotypift °);
Henry Goodfellow, Gehülfsdaguerreotypiſt; William Morton, Proviantmei-
fter; Peter Shepard, Koch; Chriftian Ohlſen, Schiffszimmermeifter; außer-
dem 6 Seeleute.
Unterwegs Hatten die Reiſenden ſich noch auf die möglichft zweckmaͤßige
Weiſe zu verproviantiren gefucht. Sie nahmen zu St. Johns in Neufundland
Borräthe an frifchem Rind» und Kammelfleifch ein, welchem ſie behufs bei-
ferer Aufbewahrung bie Knochen auslöſten (moiled). Sowohl hier, als auch
an ber grönlänbifchen Küſte wurden außerdem Hunde und Belzwaaren ein-
gehandelt. Auf ver weiteren Fahrt kamen ihnen die an den Küften und auf
ven Injeln der David- Straße und Baffind-Bai in außerorbentlicher Menge
vorgefundenen Eier der dort in zahllojen Schwärmen vorhandenen Vögel zu
Staiten.
Die Reiſe nahm anfangs einen außerorventlich glüdlichen Fortgang. Am
5. Auguft anferte die Brigantine bereitd an der Grenze des im Jahre 1852 von
Gapt. Inglefield erfundeten Gebietd am Gap Hatherton. Hier follte ver ges
troffenen Verabredung zufolge der Bericht über den bisherigen Verlauf ber
Bahrt und kurze Auskunft über die etwaigen letzten, angeſichts der geheimniß-
vollen Regionen im höheren Norden gefaßten Entwürfe oder Beichlüffe nieber-
gelegt werben. Dr. Kane zog es jedoch vor, bie emporragende Kuppe ver
vorgelagerten Fleinen Infel Littleton für dieſen Zweck zu benußen, indem er
den Fundort durch Errichtung einer weithin fichtbaren Flaggenſtange be=
zeichnete.
Mit viefem Punkte — in der Nähe des Cap Alerander, — an welchem
Gapt. Inglefield am 26. Auguft 1852 eine unverfennbare Strömung ber
Fluthen nach Norden Hin beobachtet und beim Anbli des bis in unabfeh-
bare Fernen eiöfreien Meereöfpiegeld feine Ueberzeugung von der vorhandenen
offenen Bolarfee gefchöpft, jedoch bei einem plößlich hereinbrechenden heftigen
Nordwinde ſchon am folgenden Tage, zumal in Nüdficht der fpäten Jahres⸗
zeit fich zur Nüdfahrt entfchloffen hatte, — mit diefem Punkte bejchritt Dr.
Kane am 6. Auguft 1853 (in einem der arkftifchen Schifffahrt freilich ungleich
weniger günftigen Jahre) wie auf einmal die Gegend der wildeften Schred-
niffe der polaren Natur. In furchtbaren Maflen durchwogte das Treibeis
den Sund und ſchob fich zu „Barrifaden” bis 60 Fuß Höhe aufeinander.
Bei einem mit unglaublicher Kühnbeit unternommenen Verſuch, dieſe einerjeitd
1) Obgleich uns fünf verfchiedene DVerzeichniffe dieſes Perfonals vorliegen, find
wir doch nicht im Stande, für die richtige Schreibart der Namen aufzufommen; ja
es ift nicht unmöglich, daß diefer Daguerreotypift »Boufall» mit dem vorher genannten
Dffizier »Bronfell« identiſch iſt. Die Nachläffigfeit, mit welcher die Zeitungsberichte
in diefer Beziehung abgefaßt und redigirt find, gränzt oft an's Unglaubliche. In dem
Berzeichnifie de New York weekly Herald vom 17. October ward 3.3. ein Henry
Goo kfellow ale Gchülfsraftronom«“ der Grpedition nambaft gemacht!
398 Miöcellen:
Gefahr, andererſeits aber Stillſtand und Miflingen des Vorhabens drohende
Zone zu durchſchneiden, wäre das Fleine Fahrzeug fat von ben Eismaſſen
eingeffemmt und ver freien Bercegung beraubt, wenn nicht erprüdt worben.
Zuletzt erfannte Dr. Kane ald einzigen Ausweg den Verfuch dicht an der Küfle
binzufteuern, wo bie gewaltigen Brandungen des Fluthwechſels (welcher letz⸗
tere ſich Hier auf 12—16 Fuß belief) eine wenn auch nur fehr ungewifle Mög-
lichkeit des weiteren Vordringens zu eröffnen fchienen. Uber dieß war ein
äußerft bedenkliches Wagniß, welches jeden Augenblid zur Zertrümmerung
des Schiffes ausfchlagen konnte. Um bei einem Unfalle viefer Art ven Zus
ſtand der Außerften Hülfsloſigkeit abzuwenden, Tieß Kane, che ex ſich weiter
hinauswagte, an jener Stelle in einer weiten Bucht (im Breitengrave 78,26)
das Fleine eiferne Mettungsboot Brancid mit angemeſſenen Vorräthen zurüd.
Und nun begann die Mannfchaft von Neuem dem Küftenranve entlang
den Kampf mit dem arftifchen Element, um mit ihrer „Advance“ einen mög⸗
lichſt meiten Kortfchritt zu erringen und fich eine Baſis zu ferneren Erfor-
fhungen gegen ven Nordpol Hin zu fichern. Aber welch ein Kampf! Es
war das größte Gluͤck, daß das Fahrzeug eine ungewöhnliche Stärke und
Haltbarkeit bewährte und im Ganzen unverfehrt blieb, obgleich es zur Zeit
der Ebbe auf den Cismaſſen firanvete und bei der eintretenden Yluth von
dem tofenden Gewaͤſſer und den umbertreibennen Maſſen bin und ber gemor-
fen wurde. Zweimal fam es durch pad AUnprängen ver Eisblöde dahin, daß
die DuersBalfen faft fenkrecht zu ftehen fchienen. Ein anderes Mal fehlte wenig,
daß das Schiff von einem in Folge äußerer Erfchütterungen auöbrechennen
Beuer zerftört wäre. Dennoch wurden bie Anftrengungen in ver fleten Hoff-
nung auf enbliches befleres Gelingen faft einen Monat hindurch fortgefeßt.
Jedoch der Erfolg verfagte; fie rüdten zmar von Tag zu Tag um ein geringes
weiter, allein ſie waren noch nicht volle 5 deutfche Meilen vorwärts gefommeen,
als fie (im Breitengrade 78,44) zu Anfang des September eine feftgefchloffene
Eisdecke vor ſich ſahen, welche keinen Gedanken eined Durchdringens auffommen
lieg. Nicht ohne Schwierigkeit gelang ed, in ver Tiefe einer Bucht (, Renſ⸗
felaer= oder Renaſelger⸗Bai“ genannt), an welcher fle bereit vorübergefah-
ren waren, eine verhaͤltnißmaͤßig fichere Winterzuflucht zu erreichen.
Hier richteten fie mit freudig dankbaren Gefühlen nach fo vielen über-
flandenen Schredniffen dad Schiff am 10. September 1853 zum Winterlager
ein. Sie waren jegt an dem Punkte angelangt, der ihnen als Ausgangs⸗
punft zu weiteren Reifen nach Norben bin beichieven war. Für ben Mefl
bes Sahres blieb ihnen nicht? zu thun übrig, als ein Depöt von Lebensmit⸗
teln nach einem möglichft entfernten Punkte nordwärts binaufzufchaffen, um
von dort aus im kommenden Jahre die Nachfuchungen und Auskundſchaftun⸗
gen nach Franklin und feinen Gefährten ausführen zu können. ine weſent⸗
liche Erleichterung dieſer Aufgabe waren die zur Beipannung der Schlitten
mitgenommenen Hunde, mit welchen. bisweilen 50, ja 60 engl. Meilen in
einem Tage zurücdgelegt fein follen. Dagegen war es ein immer wiederkeh⸗
Die Erpebition des Dr. Kane jenfeit des Smithſundes 1853 — 55. 399
rendes Hemmniß, daß die mit fchroffen Eisflüften und unüberfteiglichen Höhen-
bildungen verfperrte Gegend oft unerhört weite Umwege und ben peinlichften
Aufenthalt verurfachte. Dennoch gelang e8, dieſes Depot in norb = nord ⸗bſt⸗
licher Richtung jenfeit des 80. Breitengrades anzulegen, nachdem (mit Einrech«
nung der durch die Terrainfchwierigfeiten bedingten Zickzacklinien) eine Weg⸗
ſtrecke von etwa 400 engliſchen Meilen zurüdgelegt war. Die merkwürbigfte
Entdeckung auf dieſer erſten Excurſion war ein ungeheurer Bletfcher, veffen
Anblid die Reiſenden an dem norbweftlichen Küftengebiete Gronlands aufs
Zebhaftefte überrafchte und an deſſen Fuße fle noch 50 englifche Meilen nord»
waͤrts vorgebrungen waren, inmitten einer Landſchaft, deren Debe, wie fie fa«
gen, jede Beſchreibung überbietet.
In dem langen arktifchen Winter 1853 — 54 Haben vie Reiſenden vie
Strenge des polaren Klima ?) weit über ihre fchlimmften Erwartungen Hin»
aus zu empfinden gehabt; davon zeugen nicht nur ihre Schilderungen und
Beobachtungen, fondern auch die furchtbaren Einwirkungen auf das Beſinden
und den Geſundheitozuſtand. Zunaͤchſt flellte fich bei dem eintretenden Win⸗
ter die Krankheit des Scorbut ein, jedoch nur in mäßigem Grabe, fo daß fie
unter ber gefchichten und umflchtigen Behandlung des Arztes Dr. Hayes für
den erften Winter ohne fchlimme Folgen blieb. Allein ein anderes bösartige»
tes Uebel, welches Bei arktifchen Reiſenden fonft nicht hervorgetreten iſt, war
ein durch die Strenge ver Kälte herbeigeführter Starrframpf in den Kinnla⸗
den. Diefe Zufälle troßten den vereinten Bemühungen des Dr. Kane und
des Dr. Hayes; fie Haben unter der Mannfchaft zwei Opfer geforvert. Bon
den 60 Hunden, auf deren Nüplichkeit zur Beförberung der Schlittenercurfios
nen fo wefentlich gerechnet worden war, flarben nicht weniger ald 57 an ber
entfeglichen Plage. Der Verluſt viefer treuen Thiere ift in der Bolgezeit nur
zu flarf gefühlt worden; ihm fchreiben die VBerichterflatter eines guten Theils
mit zu, daß die fpäteren Forſchungen nicht vollftänniger gelungen find.
Das Leben im Winterlager am Bord des Schiffeß geftaltete ſich währenn
diefer Tangen Winternacht zu einer beftinmten wohlthuenden Regelmäßigkeit,
Die für den Dienft des Schiffes erforverlichen Arbeiten und Gefchäfte wurden
ohne Schwierigkeiten beforgt; überall herrſchte Orbnung und das glüdklichfte
Einverftändniß unter den Mitglienen. Sowohl der Anführer der Eleinen
2) Dem Heren Prof. Dove verdanken wir hierüber folgende auihentifche Mit
theilung:
"Die Angabe, daß das Queckfilber 4 Monate hindurch gefroren blieb, wärbe
allerdings darauf deuten, daß der Winter hier ver firengfte war, von welchem man
Beobachtungen befitzt Die mittlere Jahreswärme 5,2 Bahrenheit = — 11,91 R. if
aber nicht die niedrigfte, wie Dr. Kane glaubt. Es ift nämlich:
Boothia⸗ Aſſiſtance⸗ Melville⸗ Mercy⸗ Pr. Wales: Wolftenholms
Felix Bai Inſel Bai Straße Sund
Hinter — 26,54 — 26,10 — 26,86 — 27,67 — 28,09 — 26,90
Saht —1258 —1265 —1367 — 1430 —13,74 — 123,20
alfo die Jahreswärme aller diefer Stationen niebriger.“
400 Miecellen:
Schaar, als auch die übrigen Offiziere waren unermüblich in ver Wartung
ihrer Obliegenheiten. Die ganze Mannfchaft war, fo lange die Seuche noch
nicht ihre fchredlichen Wirkungen übte, augenfcheinlich zufrieden und froß.
Das Schiff war durch die angewandte Umſicht reichlich mit Vorräthen und
Lebensmitteln ausgeftattet, fo daß eine beilfame Wannigfaltigkeit und ver
nöthige Wechjel bei ven vargereichten Speifen nicht fehlte. Mit dem Schlage
fieben erhoben fich vie Männer von ihrem Lager; fpäteflens um +8 Uhr war
Alles auf den Füßen. Um 8 Uhr wurde das Frühmahl eingenommen. Dann
ging ed an bie zur orbnungdmäßigen in- Stand» Erhaltung und Reinigung
des Schiffed gebotenen Tagesgeſchaͤfte. So weit dad Wetter es geflatiete,
wurden um ber Uebung der Kräfte und der Befunnheitöpflege willen Fleine
Schlittenausflüge oder fonft Wanderungen in den nächften Umgebungen tes
Schiffes angeftellt. Umi 2 Uhr verfünbigte der Schall der Glocke vie Stunde
des Mittagsmahles, und von jebt ab gaben ſich alle dem gejellichaftlichen
Berkehr bin. Ein Berichterflatter jagt: „fe hatten nun nichts mehr zu thun,
als zu leſen, fich mit einanver zu unterhalten, zu ſchwatzen, zu ladjen, fo weit
es etwas zu lachen gab, fi warm zu Halten und guter Dinge zu fein.“
Später wurde noch eine gemeinfchaftliche Mahlzeit gehalten; um 9 oter 10
Uhr Abends herrſchte bereitd? auf dem Schiffe die tieffle Ruhe und Stile.
Alle Lichter waren erlofchen. Nur pas obere Ded, auf welchem ver Schiffd-
wachtpoften flationirt war, blieb fpärlich erhellt.
Bei diefer Einrichtung des Lebend und der Thätigfeiten und unter ven
Umgeftaltungen berfelben, welche durch die oben erwähnten Unfälle bebingt
waren, ſchwanden vie 120 fonnenlofen Tage ver arktifchen Winternacht nad
und nach dahin. Am 24. Sebruar 1854 wurde das Wiebererfcheinen des
„Tagesgeſtirns“ mit neuem Muthe, mit Freude und Hoffnung begrüßt; es
war das Signal zur energifchen Wieneraufnahme des Werkes zur Aufjuchung
der verfchollenen Mannfchaften des Erebus und Terror. Inmitten eine noch
gänzlich unerforfchten Gebietd war vie Aufgabe, der die Fleine Schaar fi
unterziehen mußte, fo umfaffend, daß ein Aufbruch in möglichft früher Jah⸗
reszeit unerläßlich erfchien: denn hierbei war e8 ein ſchwer empfundener Schlag,
dag von der beträchtlichen Anzahl von Hunden, welche Kane zum Beſpannen
der Schlitten in Neufundland und Grönland angefauft Hatte, nur 3 oder 4
am Leben geblieben waren. Abgeſehen von ven unbefchreiblichen Beichwer:
den, welche dad Ziehen ver mit den Bebarf für Reife und Raſt beladenen
Schlitten mit ſich brachte, erforverte dieſer Transport nunmehr einen alk
vorhergehende Berechnung weit überfchreitenden Zeitaufwand.
Unter diefen Umftänden mußte der Verſuch gewagt werden, fchon im
Monat März, in welchem bei dauernden Vorberrichen eined überaus firengen
Wetters die Tageslänge auf 12 Stunden kam, die Kunbfchaftsreife zu be
ginnen. Diefes Unternehmen mißlang jedoch gänzlih. Die Männer wurten
durch die Unebenheiten des Terrains, beſonders aber durch maſſenhafte Gid-
Die Expedition des Dr. Kane jenfeit des Smithſundes 1853 — 55. 401
blöde und Eisſchichten, welche allenthalben ven Weg verfperrten, vergeftalt
gehemmt, ermübet und aufgerieben, daß fie fich mit fchmerzlicher Reſignation
zur Rückkehr entfchließen mußten, ald fie kaum erſt AO engl. Meilen (in
grader Richtung?) vom Schiffe entfernt waren. Aber auch jeßt ſchon Fam
diefer ihnen von ber fleigennen Noth abgezwungene Entſchluß zu fpät. Das
Erfcheinen des Dr. Kane, der durch drei der Männer, — die einzigen, welche
noch im Stande waren, den Weg zu machen — in aller nur möglichen Eile
vom Schiff Herbeigerufen wurde, vermochte eine Reihe von fchmeren Leiden
und Berluften nicht mehr abzuwenden. Einer ber Männer (der Matrofe
Baker) erlag dem Kinnbadenframpf in Folge der furchtbaren Kälte; ein an=
derer (der Koch Shepard) flarb an den Folgen der nothwendig befundenen
Amputation feiner erfrorenen Zehen. Zwei andere Männer, die fich einer
ähnlichen Operation unterwerfen mußten, beſtanden viefelbe glüdlich.
Eine zweite Auskundſchaftsreiſe wurde im folgenden Monate (April) uns
ter Anführung des Dr. Kane unternommen. Sie beſtand aus zwei Schlitten,
von welchen ver eine mit den noch am Leben erhaltenen Hunden befpannt
war, ber andere von Wännern gezogen wurde. Es war ein hartes Mißge-
fi, daß Dr. Kane unterwegd von einem beftigen Fieber niedergeworfen
wurbe. Nach acht Tagen fah man die Partie in nievergefchlagener Stimmung
zum Schiff zurückkehren.
Im Mai gelang es einer anderen Abtheilung unter Anführung des Dr.
Hayes vie Weftfelte des Smithfundes zu erreichen und auf 80 engl. Meilen
von dem Stanborte des Schiffes vorzubringen. Allein bald geſellte fich zu
der Plage der Schneeblinvheit, bei der aͤußerſten Hülfslofigkeit ver Lanpfchaft
in jener Jahreszeit, ein Mangel an Lebensmitteln; Dr. Hayes kehrte nach
12 Tagen zum Schiffe zurüd, nachdem er mit Hülfe des Hundegeſpanns,
deſſen einzige8 Butter während vieler Zeit aus einem alten Stiefel und einem
abgetragenen Esquimaur⸗Beinkleide beſtand, eine Wegſtrecke von ungefähr
350 Meilen zurückgelegt hatte.
Schon feit dem Monat März war die Mannfchaft mit Esquimaux, deren
nächfte Anftevlung nur etwa 70 Meilen entfernt lag, in Verkehr getreten 1).
Diefe Gelegenheit wurbe benußt, um einen ber Eingeborenen zur Theilnahme
an der nunmehr nicht länger aufzufchiebenden großen Ausfahrt in norpöftlis
cher Nichtung zu gewinnen. Diefelbe wurde hauptſaächlich erft im Monat
Juni audgeführt; fle dauerte Bid zum 12. Juli und bildet den eigentlichen
Gipfelpunkt aller Unternehmungen. Leider find indeß die bis jetzt dargebote⸗
3) Die nörblihfie bisher befannte Csquimaur-Niederlaſſung war bie vom Gapf.
Ingleſield 1852 im Süden des Walfifch- Sundes entvedte. Die von Kane's Manns
fchaften befuchten Esquimaux⸗Wohnſtätten lagen offenbar viel höher hinauf. Es
find auch hierüber erſt noch genauere Nachrichten abzuwarten. In früheren Jahrhun⸗
derten müſſen fih die Anfleblungen dieſer Gingeborenen viel weiter nach Norben ers
ſtreckt Haben, als heutigen Tages. Capt. Belcher fand bekanntlich im Jahre 1853 eine
folche verlafiene Wohnflätte oben am Northumberland- Sunt.
Zeitſchr. f. allg. Erbfunde. Br. V. 26
402 Miöcellen:
nen Nachrichten darüber — te beſtehen theils in dem offiziellen Bericht oder
vielmehr in dem erfien mit augenfcheinlicher Flüchtigkeit Hingeworfenen Be
zichtöentwurf des Dr. Kane, theild in Mittheilungen von Morton, you Hayes,
Boufal und Sontag und von einem Seemann ber Expebition — noch ich
lückenhaft und felbft von inneren Widerfprüchen nicht ganz frei geblieben.
Die Retultate find im Ganzen folgende:
Der öflliche Rand des Smith⸗Sundes ift feiner ganzen Ausdehnung
nach ausgekundſchaftet und aufgenommen. Es Bat ſich ergeben, daß biefer
/
Sund im Nordoſten in einen großen Golf — ven Peabody⸗Golf — aus⸗
läuft, deſſen Längenburchmefier auf 110 engl. Meilen gefchägt wird.
Das Gebiet von Grönland, über deſſen Ausnehnung bis dahin Die ver⸗
ſchiedenſten Anſichten besrfchten, — indem vie fpeculative Geographie bald
einerfeit3 eine gängliche Zerfplitterung feiner Landmaſſen vom Walfiſchſund
ab, bald andererfeits feine Erſtreckung His zum Nordpol zu behaupten fuchte
— iſt bis zu feiner Norbweitfpige hin beftimmt. Es if beobachtet, daß bie
Küfte von dort beinahe rein oftmärts fich umbiegt, mit einem Winkel von
17° nad) Norven bin, An viefer Stelle aber haͤngt das Gebiet Grönland
durch einen umfangreichen und hoͤchſt merkwürdigen Gletjcher, der, wie wir
fahen, bereitd auf der zum Nieverlegen von Lebensmitteln im Herbſt 1853
unternommenen Reiſe entdeckt war, mit den an ver Weſtſeite ned Smithiun-
des ſich nordwaͤrts hinaufziehenden Lanpgebieten zuſammen.
Dieſer Gletſcher, deſſen Anfangspunkt auf den 60. Grab weſtl. Länge
angegeben wird, hat die Einbildungskraft der Entdecker und Berichterſtatter
auf das Lebhafteſte beſchaͤftigt. Sonderbarer Weiſe betrachten ſie Grönland
als der „Alten Welt” zugehörig und ſehen das gegenüber liegende Laudge⸗
biet des Smithſundes ald „Continent der neuen Welt“ an. Verſunken im
diefe Anfchauung erfcheint ihnen eine folche Eisverbindung der alten und neuen
Welt durch eine fo großartig impofante Bildung der arktifchen Natur als ein
Phänomen von eigenthümlic, bezeichnungsvollem und romantifchem Intereſſe.
Den coloffalen Gletſcher, — wohl der größte, ven je pad Auge eines Seefah⸗
rers gejehen — der mit einer Höhe von 500 Zuß in dad Meer abfällt, ver,
wie fte hinzufügen, auf alle Zeiten eine unpafiirbare Barriere, fpätere Erfun-
dungsreiſen befchränfen wird, bezeichnen fie als das einzige Hinverniß der Iu=
fularität Groͤnlands, als die einzige Schranke zwifchen Grönland und dem
atlantifchen Meere (37). Ihm fchreibt Kane vie wilde Zerriffenheit, Die ewige
Sroft- und Winternatur im Smithfund zu; von ihm leitet ex die dort in jo
großer Zahl umtreibenden Eißberge und das firenge Klima jener unwirthli-
hen Landſchaften ab. Der Landbildung, auf melcher diefer Bletfcher ruht,
gab Dr. Kane ven Namen „‚Wafbington- Land“.
Wie dem Allen auch fei, ver Fuß dieſes Gletſchers wurde jegt auf SO Meilen
weit verfolgt. Der Weg z0g fich über wilde Abhänge dahin; es wird — im
New York Daily Times 12. Oct. und engl. Times 27, Oct. — erzählt, daß die
Die Erpedition des Dr. Kane jenfeit des Smithſundes 1853 —55. 408
Reifenden (wie viele ihrer an dieſer Stelle geweſen, if nicht erwähnt) trog
aller Schwierigfeit an herabſtürzenden Gisfchichten den Fuß des Gletſchers bis
zum Meere (wie wir meinen, bis zu jenem eiöfreien Polarmeere) verfolgt
haben, indem ſie bie offenen Stellen des Kanals mit faft unglaublicher Kühn-
beit auf Eisflarden vurchflößten! — Bei weiterem Vordringen ergab fich naͤm⸗
lich die beveutungsvolle Entvedung, daß der oben erwähnte Peabody⸗Golf,
in defien Beden der Smith⸗Sund nörblich ausläuft, mit dem Breitengrabe
80,12 ſich zu einem großen Kanal — ven Kennedy⸗Chaunel — verengt, ver
zulegt wieberum nach Norden zu in eine eiöfreie, offene Bolar«- See
ausmlündet.
Ungeachtet der mannigfaltigen Combinationen und Vermuthungen und
aller vorbergehenven Berichte über ähnliche Entvedungen wird das Vorhan⸗
denfein eined offenen Meered in fo hoben Breiten den Meiſten im höchften
Grade überrafchenn erfcheinen. Wir begnügen und, die Ausſprüche der ver⸗
fchiedenen Berichterftatter darüber zufammenzuftellen. Die Darftelung in
Kane's jeigem offlcielen Report ’) Iautet wie folgt:
„Diejer Canal breitet fi nordwaͤrts zu einer offenen und eisfreien Flaͤche aus,
die von animalifchem Leben erfüllt ift und ganz die Kennzeichen einer offenen Polar:
See darbietet. Ein Waflerfpiegel von 3000 (engl.) Duabratmeilen wurde von vers
fchiebenen bochgelegenen Punkten ans frei vom Gife und mit einem in gleicher Weife
freien noͤrdlichen Horizont erblidt Während eines 52 Stunden dauernd anhaltenden
Nordwindes wurde Tein Treibeis auf diefer Fläche erblidt. Nicht ohne Schmerz bes
richte ich dem Departement (d. 5. der Apmiralität der Vereinigten Staaten), daß es
unmöglich gemwefen ift, dieſes Wafler zum befahren. Bin mit feften Eismafien erfüllter
Zwifchenraum von „ein hundert fünf und zwanzig Meilen“, noch dazu fo uneben, daß
feine Boote über denfelben hinweg transportirt werben fünnen, trennt diefe offene See
von dem nächften auf dem Waflerwege erreichbaren Punkte weiter fürlih .... Ges
gen Norden Hin in dem Breitengrabe 81,17 wurden die Ufer des (von dem Peabody⸗
Golf zu diefer Polar See führenden) Kanals abichüffig und felbft für Schlitten nicht
mehr paſſirbar. William Morton (Proviantmeifter der Expedition), der mit einem
Gsquimaur und einem feinen Hundegeſpann an biefe Stelle gelangt war, verfolgte
zu Fuß weiter viefe Richtung, bis ein mauerartig emporragendes Borgebirge, an wels
chem eine gewaltige Strömung brandete, feinem Fortſchreiten abfolut ein Ziel febte.
An den weitlihen Küften diefer See hatte ich die Spuren der muthvollen Märtyrer,
um derenwillen dieſe Grpedition andgerüftet wurde, zu finden gehofft. Die gewicht:
vollen Srmittelungen des Dr. Rae, die mir erft jet befannt geworben find, befunden,
daß diefe Auskundſchaftungen lediglich ein geographifches Interefie gehabt haben wür:
den. Wenn ich den Zufland meiner Mannſchaft gewifienhaft in Betracht ziehe, fo
erfenne ih mit Wahrfcheinlichfeit eine Bügung der Vorſehung darin, daß mein Ver⸗
fu, mid dorthin einzufchiffen, mißlungen if. Das nach Norden und Weflen zu von
diefer offenen See befpülte Land ift bis zum Breitengrade 82°,30 und bis zum Län-
gengrade 76° aufgenommen (charted); unter allen bis jetzt entdeckten Landbildungen
liegt diefe vem Pole am nächſten. Sie trägt den Namen Brinnell- Land.“
Ein zweiter unter den Namen dreier anderer Mitglieder der Expedition,
Dr. Hayes, Boufal und Sontag, veröffentlichter Bericht fagt:
3) New York weekly Herald 17. Oct. p. 326. — Es mag noch bemerft_werben,
daß The Times in der Nummer vom 26. Octbr. ein freilich nur Inrzes, aus Godhavn
vom 12. Septbr. datirtes Schreiben von Dr. Kane an Geo. Peabody in London ent:
halten, in welchem viefe offene Polar «See mit großer Bedeutung hervortritt.
26 *
404 Miscellen:
„Im Innern der Bucht (nämlich der Peaboby⸗Bai) erhebt ſich jener Gletſcher
An diefem Punkte wurde ein Canal entvedt, der direct norbwärts lief. Die Abthei⸗
Iung reifete längs dem Rande, bis fie auf offenes Wafler ſtieß. Diefe offene Fläche
war ganz frei von Eis und mit animaliſchem Leben, mit Geflügel, Fiſchen, Walroß
und Seehunden erfüllt. Gin zwei Tage lang anhaltender Norbwind brachte fein Gis
herab, zum Beweiſe, daß eine große offene See vorhanden war; aber ob es bie große
Bolars See tft oder nicht, bleibt zweifelhaft. Nach der Meinung des Dr. Kane ift
bie erope Polar: See, weldge niemals zufriert...“ (New York Herald vom 17.
* Schober.
Noch wunderbarer Elingt vie Erzählung eines „ Seemanns“ ver Advance,
der die ganze Entdeckung ber Schlittenreife unter Kane im Herbſt 1853 zu-
ſchreibt:
"Der Schlittenzug ging mit einer Caravane von 60 Coquimanur⸗ und Labrador⸗
Hunden über Schnee und Eis 60 engl. Meilen bes Tags in einer großartig erbabe:
nen Natur, durch die wilvefle, nur von dem Gehen! der arktifchen Winde durchtonte
Ginöve. Das Thermometer hatte einige Tage hindurch (ehe die Reifenden zu dem offe⸗
nen Polarmeer kamen) eine allmaͤhliche Steigerung der Temperatur gezeigt, bis es
zuleht an den Nullpunkt fam; an ven Gefladen diefer „nörblichen See“ zeigte es eine
noch viel höhere Temperatur. Sowohl das Gewäfler, als andy der umliegende Erd⸗
boden zeigte 40° bis 45° (3,5 bis 5,8 Reaum.). Bine Art Gras und zähes See⸗
kraut wuchs an den Ufern, und eine große Anzahl grasfrefiender und anderer Thiere
und Bögel, bisher den Naturforichern ımbefannt, gingen anf ihre Nahrung aus und
ftreiften umber in furchtlofer Unbefümmertheit. Die Relief (d. 5. „Releafe», im wel:
ger ein Theil ver Maunfchaft Kane's nad) News Dorf zurüdfehrte) hat einen leben⸗
digen Bogel mitgebracht, der in einiger Beziehung dem SilbersSecheher gleicht. Ders
felbe wurbe jung am Ufer gefangen, vollſtändig gezähmt und fcheint glüdlich im feiner
neuen Umgebung.“ (New York Daily Times 12. Oct. und wahrfcheinlih daraus ab⸗
georuc in den engl. Times 27. Oct. Unverfennbar find biefe am erſten Tage uch
Er Räckkehr veröffentlichten Notizen mit unkritiſcher Haſt zuſammenge⸗
rafft.
Nachdem die Mannſchaften zurückgekehrt waren, harrte Kane im Sommer
1854 dem Aufbrechen des Eiſes, welches ſein Schiff umſchloſſen hielt, ent⸗
gegen. Allein es erging ihm, wie dem Capt. M'Clure in ven Jahren 1852
und 1853 in der Mercy⸗Bai; er harrte vergebens. Indem er zulekt feiner
Täufchung inne ward, war die Jahreszeit ſchon zu weit vorgerüdt, ald daß
ein Verſuch, vie daͤniſchen Nieverlaffungen in Grönland zu erreihen, noch
hätte unternommen werben koͤnnen. Gleichwohl war die Verlegenheit groß.
Es fehlte an Brennmaterial; felbft Die Vorräthe an Lebensmitteln waren,
wenn auch an fich reichlich genug, gleichwohl nicht geeignet, die zur Abwehr
des Scorbut erforderlihe Diät und Abwechfelung zu gewähren.
In diefer peinvollen Lage Fam Kane auf ven Gedanken, einen Verſuch
zu wagen, ob es ihm vielleicht gelingen möchte, entweder die Beechey= Iufel,
wo feines Wiſſens eine Abtheilung des Belcher'ſchen Geſchwaders flationirt
war, zu erreichen, ober im Lancafterfund ein englifches Schiff anzutreffen. Gr
brach mit 5 DBegleitern auf und nahm ein Fleined Walfiſchboot mit in ver
Goffnung, weiter fünlich ein offenes Wafler zu finden. Sie famen in ver
hat bis zum Jones⸗-Sunde, allein hier trat ihnen die unter dem Namen des
„Mitteleifes" bekannte Mafienformation der Davisſtraße und ber Baffinsbai
Die Erpebition des Dr. Kane jenjeit des Smithfunves 1853 —55. 405
hemmenb in ben Weg; nirgends war eine offene Fahrſtraße zu gewinnen.
Die weite Strecke zu Fuß zurüdzulegen, war bei dem Mangel an Unterhalt
für die dazu erforverliche Tange Zeit unmöglich, Daher blieb zuletzt nichts
übrig, ald unter peinvollen Beſchwerden und unter den aufreibenpften Ent⸗
behrungen den Rückweg zu dem Schiffe zu fuchen.
Die gehegten Beforgniffe vor dem zweiten Winter gingen nur zu fehr in
Erfüllung. Zunächft machte fi) der Mangel an Material zur Erheizung des
zum Winterlager eingerichteten Schiffsraums fehr Bitter fühlbar. Die Kohlen⸗
borräthe waren im Laufe des vorhergehenden Winterd nahezu erfchöpft; man
mußte jetzt dazu fchreiten, alles nur irgend entbehrliche Holz auf dem Schiffe
als Brennholz zu benugen. Aber auch die war eine keineswegs hinreichende
Auskunft, obgleich nach und nach die Sparten, die Dielen des Fußbodens,
die innere Bekleidung fogar der Cabinen, bis auf die, welche fle als gemein-
schaftliche Wohnung eingerichtet Hatten, als Geismaterial verwenbet war. Die
Nothwendigkeit, ganz nach der Weife der Edquimaur zu Ieben, durch Moos⸗
waͤlle vie Kälte abzuwehren und fl} von rohem Seehund⸗ und Bärenfleifch zu
nähren, brachte Kranfheit und Siechthum über die ganze Mannfchaft. Der
Scorbut griff unwiderſtehlich um fich; einmal kam es dahin, daß nur noch
einer ber Gefährten (der Daguerreotppift Boufal) außer Kane fich aufrecht
zu erhalten und mit ihm vie Krankenpflege und die Tageögefchäfte ver Rein⸗
erbaltung des Schiffes zu beforgen im Stande war.
In dieſen Bebrängniffen brachte ver Verkehr mit den Esquimaur, welche
das Schiff Hefuchten und Fleiſch zum Eintaufch gegen allerlei Waaren dar-
boten, einige Erleichterung, bis das MWiedererfcheinen ver Sonne und die mit
der milderen Srühlingöluft gegebene Möglichkeit ver Bewegung im Freien das
Wohlbefinden der Mannfchaft beförverte.
Dr. Kane konnte nicht darüber in Zweifel fein, daß ed unter diefen Um⸗
fländen vie nächfte Aufgabe war, feine Mannfchaft, fobald es vie Jahreszeit
geftattete, fühmwärtd nach einem Punkte zurüdzuführen, von welchem aus fte
Die Heimath wieder erreichen konnten. Er Hätte nicht daran denken Fünnen,
fich ver Gefahr auszuſetzen, einen vritten Winter in den arktifchen Gegenven
zu verbringen. Bon der Brigantine, welche, feit dem Herbſt 1853 unbemeg-
Lich vom Eife umfchloffen, ven Reiſenden zur Wohnftätte und bei der Nüd-
kehr von ihren Kundfchaftsreifen zur Zuflucht und gleichfam zur zeitweiligen
Heimath geworden war, fcheint faft nur der Rumpf erhalten zu fein. Sie
war unwieberbringlich ven arktifchen Elementen verfallen. Die Ankunft einer Ret⸗
tung8= Expedition zu erwarten, erfihien um fo mißlicher, ald der Smithſund
im Jahre 1854 bis auf 90 Meilen fühmärts des Winterlagerd mit flarren
Eis maſſen bedeckt, mithin für die Schifffahrt unzugänglich geblieben war.
Weiter Tonnte Dr. Kane kaum noch darüber zweifelhaft fein, wohin er
fich mit den Seinen zunächft wenden follte, um das Vaterland wieder zu er⸗
reichen. Im legten Spätfommer hatte er noch erfahren, welchen Schwierig.
406 Miscellen:
feiten und Hemmungen der Weg zur Beechey=Infel unterlag; ja er Tonnte
nichts weniger als darüber gewiß fein, ob Die im Jahre 1852 von dem Bel-
cher’fchen Geſchwader zur Stüte weiterer Nachforfchungen im hohen Norden
daſelbſt angelegte Station überhaupt noch fortbeftand. Offenbar blieb ihm
jegt Teine Wahl, als zunächft nach ven daͤniſchen Nieverlaffungen an ver Weſt⸗
füfte Groͤnlands hinabzugehen. Am 17. Mai verließ er mit der Mammfchaft
das Schiff, um tiefen letzten Ausweg der Rettung zu verfuchen.
Die Organifation dieſer Reiſe erforverte die hoͤchſte Umſicht und eine
außerorventliche Meflgnation. Die Eleine Schaar ging den größten Bährlid-
Zeiten entgegen. Abgeſehen von ven Borräthen an Zalg, Pemmikan und zer
tiebenem Brot, welche fie mit fich führte, war fie darauf angemiefen, auf
der erften Strecke des Weges mit ihren Slinten fi) den nothwendigen Unter⸗
Halt zu verfchaffen. Die beiden Hunde, welche noch am Leben waren, wur⸗
den zur Beipannung eines Schlitiend angewandt, auf welchem man vier Kranfe
mitnahm. Einer der leßteren, der Schiffözimmermeifter Oblfen, ein Wann von
32 Jahren, der eine außerorventliche Tüchtigfeit und vie treuefle Gingebung
für den fchönen Zweck der Erpetition bewährt hatte, flarb unterwegs zur
tiefften Trauer des Dr. Kane, ver ihn fehr liebte und von den Lippen des
Sterbenven vie letzte Beftellung an feine Kamilie empfing. Sein Leichnam
wurde auf der Littleton= Infel, unmeit ded Cap Alerander, beigefekt. Brit
ftilem Schmerz mußte fih Dr. Kane entichließen, vie eingefammelten natur-
Biftorifchen Gegenftände zurüdzulaften, va man alle Mühe hatte, außer ven
erfrankten Mitgliedern die nothwendigſten Erforberniffe fortzufchaffen; man
mußte fich begnügen, die fchriftlichen Aufzeichnungen mit ſich zu nehmen.
Selbft ihre Kleidung beichränfte fi auf das Nothdürftigſte, und auch vie
feine Bücherfammlung, welche die Offiziere mit fich genommen hatten, mußte
zurückbleiben.
Die erſte Strecke des Weges war die ſchwierigſte. Mehr als einen Mo⸗
nat lang mußten die Seefahrer über die Eis- und Schneemüften ſich ihre
Bahn fuchen, um eine directe Entfernung von 81 engl. Meilen zu erreichen.
Am 21. Juni beftiegen fle in ver Nähe des Cap Alexander zum erſten
Male — unter preifachem Freudenruf auf glückliche Rückkehr nach der Heimath!
— bie Fleinen Boote, deren fie drei mit fich führten, vie ihnen biöher bei
der nächtlichen Raft zum Obdach gedient hatten. Anfangs wurde die Fahrt
durch die Eisbildungen, über welche fie die Fahrzeuge hinweg tragen mußten,
vielfältig unterbrochen. Am Cap Dorf, bei den früheren Franklin- Expedi⸗
tionen oftmal8 genannt, nahmen fte eine Furze Haft, un Depefchen einzugra-
ben. Hier benugten fte ein Boot, deſſen fle nunmehr entbehren konnten, als
Brennholz, und errichteten eine Slaggenflange, um den Ort ver niebergelegten
Depeichen den in der Melville- Bai vorüberfegelnden Schiffen anzuzeigen.
Am 6. Auguft Famen fie, ohne weiteren Unfall, im Hafen von Uper-
navif an, nachdem fie auf einer Wegſtrecke von ungefähr 1300 engl. Meilen
Die Erpebition des Dr. Kane jenfeit des Smithſundes 1853 —55. 407
84 Tage dem Wetter der arktifchen Bone unausgeſetzt preiögegeben waren,
Ungeachtet der harten Kämpfe und ber taufenbfachen Gefahren war ihr Zus
ſtand wohlbehalten und felbft verhältmigmäßig Fräftig; wenigftens erholten fie
ſich unter der gaflfreundlichen Pflege in der dortigen daͤniſchen Nieverlafiung
überrafchend fchnell von ven überflanvenen Anſtrengungen und Entbehrungen.
Dennoch nahm Dr. Kane Anftand, mit feinen Männern die Meife zu den füb-
lichen pänifchen Eolonien an der Disfobucht zu unternehmen; vielmehr z0g
er vor, bie Ankunft des dänifchen Handelsſchiffes abzuwarten, welches regels
mäßig gegen den Anfang bed Monats September zu Upernavik eintrifft. Dies
fer Entfchluß veranlaßte einen Aufenthalt von mehr als einem Monate, da
das Schiff Marianne aus Kopenhagen faft zwei Wochen zur Erlevigung ber
Geſchaͤfte des Ausladens der mitgebrachten Güter und bed Ginladend ver
MRüdfracht im Hafen verweilte. Erſt gegen die Mitte des Monats September
gelangten fle nach Godhavn auf der Disko « Infel.
Oft hatten fie früher unter ver Laſt ihrer Bebrängniffe ver Ausſicht ge=
dacht, daß eine aus den Vereinigten Staaten entfandte Rettungd» Erpebition
ihnen begegnen werde. Jetzt ſchien dieſe Hoffnung aufgegeben und fie waren
bereits zu dem Entſchluß gekommen, über England nach Amerika zurüdzu-
kehren. Es ift unerflärlich, vaß fie während des langen Aufenthaltö zu Uper-
navik auch nicht die geringfte Kunde von ber Bahrt des Lieut. Hartftein er⸗
Halten zu haben fcheinen, obgleich verfelbe auf feinem Wege zum Smithfunde
daſelbſt angelegt hatte, um Winterfleiver und Pelzwaaren für vie erwartete
Lieberwinterung in ven Polargegenven einzufaufen. Defto lebhafter war ihre
Freude, ald am 13. September, am Tage vor dem Antritt ver beabfichtigten
Ueberfahrt nach England plößlich vie beiden Fahrzeuge Arctic und Meleafe
vor der Disko⸗Inſel erfchienen, um fie unverweilt gerabed Weges ihrer Sei-
math wiederzugeben.
In einem früheren Ariikel dieſer Zeitfchrift ') wurde bereits erzählt, daß
Zient. Hartflein feit dem Anfange des Monats Juni aus dem Hafen von New⸗
Dort zur Rettung ded Dr. Kane und feiner Gefährten abgefegelt war. Bald
nach der Abfahrt traten dieſer Exrpebition auffallende Anzeichen ver außer⸗
orbentlichen Strenge des legten Winter8 in ven Bolargegenven entgegen. Schon
am Ende der zweiten Woche fließen die Bahrzeuge nicht blos auf Eiäherge,
ſondern fogar auf große Eisfelder; ja fle trugen durch den Zufammenftoß
mit Eisblocken ungefähr im 53° nörbl. Br. einige, wiewohl nur unerhebliche
Beſchaͤdigungen davon. Un ver grönläntifchen Küfte zeigte ſich ungemöhn«
Lich viel Schnee. In der Davisſtraße machten fih Walfiſche und norbifche
Waffernögel in auffallend großer Menge bemerklich. Es wird erzählt, daß
zwei ihrer Offiziere, die an dad Land gefliegen waren, um fogenannte gröns
—
— —
1) Bergl. Inli-Heft Br. V, S. 44 fi.
408 Miscellen:
Iänbifchen Enten zu erlegen, dieſe in fo dichten Schwärmen antrafen, daß fie
nach 6 Stunden deren bis zum Gewicht von 1200 Pfund an Bord brach⸗
ten, obgleich nur ein Drittheil des erlegten Geflügeld aufgelefen war. Auf
pen Höhen der Umgegend von Upernavif erblidte die Mannfchaft, fo weit
das Auge reichte, nichts ala Eis; vie gehegten Hoffnungen auf das Gelingen
ihres Unternehmens wurben immer tiefer berabgeflimmt, als ſie gewahr wur⸗
den, wie bei den dortigen Anfteblern, die in ihnen anfangs vie muthvollen
Mannfchaften ver Advance zu erfennen meinten, faft alle Ausſicht auf deren
Rettung geſchwunden fchien.
Auf der Weiterfahrt fpäheten fie unermüdlich nach den Gefuchten umber.
Mie es gekommen ift, daß fie dieſelben dennoch verfehlt haben, ift bis jetzt
noch nicht aufgehellt. Die Kraft des Dampfes kam ihnen bei dem Vordrin⸗
gen nach dem Smithfunde vortrefflich zu Statten; fle erreichten den Breiten»
grad 78,30. Kein früherer Seefahrer, mit alleiniger Ausnahme des Dr. Kane,
war Hier fo hoch hinaufgekommen. Es gereichte ihnen zur größten Befriedi⸗
gung, daß fie nicht bloß an jenen Gefladen Spuren von den Mannfchaften
der Advance (Zeltflangen, Segeltuch- Stüde u. vergl.) vorfanden, fonbern
auch von den Eingebörenen, die jogar die Namen zu nennen wußten, die bes
flinmteften Nachrichten über ihre zwei Monate zuvor angetretene Rückfahrt
einzogen. Lieut. Hartftein Tam bierauf, wie es ſcheint durch die Annahme,
daß er fie bei ver fteten Tageshelle des arktifchen Sommers faum hätte ver-
fehlen fünnen, wenn ſie ſich nach Upernavik gewandt hätten, zu dem Entfchluß,
zunächit auf der Beechey⸗Inſel nach dem Dr. Kane und feinen Gefährten zu
fuchen. Dies lag um fo näher, da ihm dadurch zugleich Gelegenheit geboten
wurde, dem Wunfche der Lady Franklin gemäß das von ihr überſandte Denf-
mal für bie tiefbetrauerten Mannfchaften des Erebus und Terror an ver
Stätte des erften Winterlagers verfelben aufzuftellen. Unter mannigfachen
Hemmungen gelang es ihm zuleßt, glüdlich in ven Lancafterfund einzulaufen.
Allein in diefem Weereögebiete, welches Capt. Inglefielo in ven drei vorher»
gehenden Jahren bei feinen jedesmaligen Sommerfahrten nad) ver Beechey⸗
Infel ohne befondere Schwierigkeiten durchkreuzt Hatte, war im Sahre 1855
fein Vorbringen möglih. Bei Apmiraliiy=Inlet war die Meereöftraße des
Lancafter- Sundes in ihrer ganzen Breite von einer dichten unüberwinblichen
Eismafje überdeckt. Alle Ausfichten auf Erreichung des erftrebten Zieled muß⸗
ten aufgegeben werben. Es läßt fich denken, wie ſchwer es dieſen Seefahrern
geworden fein muß, auf vie Erfüllung einer im Namen ber evelften Pietär
unter den ergreifenpften Umftänden ihnen anvertrauten und fo gern von ihnen
übernommenen Miſſion zu verzichten. Gleichwohl mußten fie fich entichließen, vie
zum Gedaͤchtniß Franklind und feiner Gefährten befiimmte Warmartafel an
ber grönlänbifchen Küfte zurüdzulafien. — Lieut. Hartflein wandte ſich zu-
nächft nach der Ponds⸗ und Poſſeſſion⸗Bai, indem er vermuthete, daß Dr.
Kane mit feinen Gefährten hierher verfchlagen fein möchte, und gelangte erfl.
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Die Erpebition des Dr. Kane jenfeit des Smithſundes 1853 —55. 409
nachdem er noch 14 Monat in viefen Meeresiheilen gefreuzt Hatte, nach ver
Disfo=Injel, wo er endlich das Glüd Hatte, feine Lanpsleute aufzunehmen.
Ueberbliden wir ſchließlich die Ergebniffe der Expedition unter Dr. Kane,
fo drängen ſich zunächft folgende Bemerkungen auf:
1) Es ift faum zu erwähnen, daß der Hauptzweck des Unternehmens ')
gänzlich verfehlt wurbe, daß für jene im Spätherbft 1854 durch amerifanifche
Zeitungen verbreiteten ®erüchte über die Auffindung der Leichname Franklins
und feiner Gefährten fich auch nicht ver geringfte Anhaltspunkt ergeben Hat.
Der Entwurf des Dr. Kane fällt in eine Zeit, in welcher man die Vermißten
Lediglich in dem Hohen Polarnorven fuchen zu müflen und bei ven Nachfor«
ſchungen nicht nörblich genug gehen zu Eönnen waͤhnte. Bei den damals mit
ſo gejpanntem Interefie und mit erregter Vorliebe gehegten Ideen einer offe⸗
nen Polar- See, eined milderen Klima’8 und einer belebteren Schöpfung in
jenen bis dahin noch in unerreichten Fernen angefchauten hochnörblichen Ges
genden ift das Verlangen, immer noch Troft für die Angehörigen und Freunde
der Bermißten und aufreizende Motive zu neuen Ausrüftungen zu finden, ges
wiß nicht ohne Einwirkung geblieben. Wenigftens Haben bie troftlofen Er⸗
mittelungen des Dr. Mae über das Schickſal und das endliche Verkommen
der Bermißten jene Bermuthungen wie mit Falter Hand ihrer belebenden Mo⸗
mente entfleivet und biefelben ſichtlich herabgedrückt. Es muß einen unbe»
fchreiblichen Einprud auf den Dr. Kane gemacht Haben, ald ihm bei feiner
Rückkehr plöglich die Nachrichten von ven erheblichen geographifchen Ent⸗
derungen, welche während ver beiven Jahre feiner Abweſenheit an das Licht
getreten waren (er hatte bis dahin von der endlich entdeckten norpweftlichen
Durchfahrt und ver Ankunft M'Clure's in der Mercy⸗Bai nicht die entfern-
tefte Ahnung gehabt), wie auf einen Zauberfchlag entgegenftrömten, und da⸗
neben die verhängnißvolle Kunde des Dr. Rae den furchtbarften Aufſchluß
des Iangjährigen Geheimniſſes eröffnete.
2) In Bezug auf die wiflenfchaftlichen Ergebniſſe läßt fich auf das bis
jeßt vorliegende Material fein Urtheil begründen. Es ift uns nicht gelungen,
aud dem offiziellen Bericht de8 Dr. Kane und den verfchienenartigen anber«
weiten Mittheilungen ein klares geographifches Bild über die neuen Entdeckun⸗
gen zu gewinnen ?). Bei den Angaben über vie „offene Polarſee“ fehlen vie
authentifchen Nachrichten. Das einzige Mitglied der Erpebition, von welchem
wir ganz gewiß erfahren, daß er von einer Felskuppe herab auf den eiöfreien
Meeresſpiegel mit erhelltem Horizont in der Berne Hingefchaut, ift der Pro⸗
1) In den uns vorliegenden Berichten wird u. N. erzählt, daß die Erpedition
ein Denkmal mit ſich führte, welches an der Stelle des Berbleibens ober des Unter:
gangs der Vermißten aufgeftellt werden follte.
2) Im New York Herald wird bereits eine im Landkarten Verlage von Diſtur⸗
nell vorbereitete Karte der arktiichen Gegenden angekündigt, welche „bie Stelle der zu⸗
rüdgelafienen Advance und noch ambere interefiante Localitäten, welche bis jept auf
feiner arktiſchen Karte zu finden find“, zur Darftellung bringen foll.
410 Miscelen:
viantmeifter Morton; und es ift fonverbar, daß dieſer Reiſende in den Mitthei⸗
ungen, welche New York Daily Times 12. Oct. (engl. Times 27. Oct.) von ihm
giebt, über eine folche auferorventliche Entdeckung ganz ſchweigt. Daher find
ſowohl über die geographifchen, als über die naturmwifjenfchaftlichen Ermitte⸗
lungen vor Allem erft nähere Nachrichten abzuwarten.
Gewiß ift e8 ein bevauerlicher Verluft, daß die eingefammelten naturge-
fchichtlichen Specimina auf der Brigantine zurüdgelaffen wurven, welche ven
Plünderungen ver Esquimaur und der unaudbleiblich ſchnellen Zerftörung
durch die arktifchen Elemente preisgegeben blieb. Dagegen find außer ven
Inflrumenten auch die entworfenen Zeichnungen '), Berichte und Documente
von den Reiſenden mitgebracht, und wir vürfen mit Zuverficht eben jo lehr⸗
reichen, als intereffanten Mittbeilungen entgegen fehen. Selbſt vie währen:
der finfteren Wintertage zur Belebung und Aufmunterung der Geſellſchaft be⸗
gründete, jedoch nur in 7 bis 8 Nummern fortgefehte handſchriftliche Wochen⸗
Beitung „The Iceblink* — fie führte das Motto: „In tenebris servare
fidem“ — wird einer Eünftigen Publikation vorbehalten.
3) Uber ſelbſt rein äußerlich betrachtet, wird ſowohl vie Fühne Tahrt
der Advance, als auch der Muth und die Energie, welche vie Fleine Mann⸗
fchafı bewährt Hat, in der Gefchichte der arktifchen Tinternehmungen unver-
geßlich fein. Nicht ohne ein gewiſſes nationales Seldfigefühl erwähnen nord⸗
amerifanifche Zeitungen, daß ihre Schiffe in neuefler Zeit dem Sübpol, wie
dem Nordpol nahe gewefen find. Mit Recht Eönnen fie rühmen, daß nie
mals zuvor Seefahrer in fo Hohen Breiten überreintert haben, ald Dr. Kanı
und feine Gefährten, und daß bie von ihnen bis zum Breitengrave 82,30 er⸗
blickte und chartographifch gezeichnete Landbildung dem Nordpol näher Liegt,
als irgend ein andere bis jet entvedted Land. Mit lebendiger Theilnahme
verfegen wir und in die Scenen des freudigen Jubels dieſer Ruckkehr, deren
Eindruck durch gleichzeitig verbreitete trübe Nachrichten noch außerorbentlich
gehoben wurbe ?).
Eine empfindliche Taufchung begegnete denjenigen, welche vie Hoffnung
faffen und felbft ausfprechen Eonnten, Kane werde durch den Wellington Ra-
nal zurüdfehren und die im Eife zurückgelaſſenen Schiffe ver letzten großen
englifchen Erpebition mit fich führen. Sie mußten jebt erfahren, daß auch
— — — ——
’) Es verdient angeführt zu werden, daß alle Verſuche, den mitgenommenen
daguerreotypiſchen Apparat zu benutzen, gaͤnzlich mißlangen. Man ſchob es auf vie
Eigenthümlichkeit der arktiſchen Atmoſphäre, daß feine Abſpiegelung der dort vorhan⸗
denen Gegenſtaͤnde erzielt werden konnte.
2) Die zu Boſton erſcheinende Zeitung »Daily Evening Traveller« vom 11. Oct
1855 brachte die Meldung: ein eben angelonmenes Fifcherboot fei im 42° 50’ wördl.
Br. und 64° 40’ weſtl. &. von dent Dampfboot Arctic angefprocden, welches deu Leid:
nam des Dr. Kane an Bord habe. — Es war ein glüdliches Sutreffen, daß Dr. Kam
an bemfelben Tage (11. October) im Hafen von New:Dorf aws Land flieg, um
alle feine Sreunde durch ein gefundes und Fraftvolles Ausfehen überrafchte.
Die Erpevition des Dr. Kane jenfeit des Smithſundes 1853 —55. 411
Kane genöthigt geweien war, feine Advance im Eife fledden zu Taflen; ja noch
mehr, daß er fich im Herbſt 1854 unter Fährlichfeiten vergeblich bemüht
Hatte, jene englifche Expebition zu erreichen, um von ihr Hülfe und Mettung
zu erbitten.
Ueber ven Anführer diefer zweiten ameritanifchen Erpebition fügen wir
mit Benugung einiger im New York Herald gegebenen Mittheilungen fols
gende Notizen bei:
Elifha Kent Kane, am 3. Februar 1822 zu Philadelphia geboren,
widmete ſich zuerft dem Studium der Medicin, erlangte nach einem 7 jährigen
Beſuch ver Pennsylvania medical University zu Philadelphia im I. 1843
den afavemifchen Doctorgrad, und begleitete bierauf in der Eigenfchaft des
Arztes die erfte von den Vereinigten Staaten nach China abgeorbnete Ge⸗
fandifchaft. Zum größten Mißbehagen fcheiterten feine Pläne, in das Innere
Diefed geheimnigvollen Landes vorzubringen. Er fuchte fich zu entfchäpigen,
indem er feine Müdkreife auf eine größere Ausbehnung und Mannigfaltigkeit
anlegte. Zunaͤchſt wandte er fich nach ven Philippinen, wo ihm feine Kühn-
heit die Außerfte Gefahr brachte, indem er nicht davon abzubringen war, ſich in
ven Krater des Taal Hinabzulaffen, und dadurch die höchſte Wuth fanatifcher
Priefter und ver Eingeborenen erregte, welche ihn als Schänver des mit hei-
liger Scheu betrachteten Bulfand zu ergreifen fuchten. Don bier ging Kane
über Eeylon und Oftindien unter „mehrfachen Ausflügen in dad Innere heim»
wärtde. Bald nachher finden wir ihn auf den Sandwich⸗Inſeln mit einem
preußifchen Baron von Loẽ in gefahrvolle Eonflicte mit den Eingeboren kom⸗
men, deren Folgen dem Ießteren das Leben gefoftet haben. Ein Jahr fpäter
ging Kane nach Aegypten, verfolgte ven Lauf des Nils bis Nubien, verlebte
eine Saifon unter antiquarifchen Nachforfchungen, durchwanderte auf der Hein:
reife Griechenland, und Fam nach Philadelphia zurüd, als eben die Verwicke⸗
Iungen mit Mexico im Ausbruch begriffen waren. Indem feine Bemühungen,
in einer entfprechenden Stellung an dem mericanifchen Feldzuge Theil zu neh»
nen, erfolglos blieben, wandte er fich nach der weftafrifanifchen Küfte, kehrte
des folgenden Jahres mit einen neuen Reichthum von Entdeckungen und Er⸗
fahrungen zurüd (er bat u. X. den Sclavenmarft von Wydah befucht), und
. erlangte von dem Präfldenten Polk nachträglich noch eine Miſſion nach Neu⸗
Merico, die feinem faft abenteuerlichen Streben einen neuen Spielraum ges
währte, den er auch in eigenthümlicher Weife ausgebeutet bat.
Zulegt haben vie Branklin- Erpebitionen der Thatenluft dieſes merkwür⸗
digen Mannes ein großartiges Feld ver Arbeit, aber auch einen um fo höhe-
ren Aufſchwung gegeben. Als vie erfte amerifanifche Erpebition im Mai 1850
plöglich zur Ausführung reifte, kam er aus einer Entfernung von 1300 engl.
Meilen Landwegs in 74 Tagen faft im Augenblide der Abfahrt herbei, um
aus den warmen Bädern des mericanifchen Golf unmittelbar nach dem Eis-
412 Miscellen:
meer zu fegeln. — Seine Thaten und Derbienfte auf dem Felde ver Nach⸗
fuchungen haben ihm in feinem I4ften Lebensjahre einen bleibenden Ruhm
geficher. Wir erfahren, daß er gegenwärtig mit philantropifchen Plänen für
die Edquimaur, mit welchen er im Smitbfunde in Verbindung Fam, befchäf-
tigt und von dem Gedanken ergriffen ift, ihrer traurigen Eriftenz in jenen
unwirtblichen Eiswüften durch Verpflanzung in fürlichere Gegenden ein Ziel
zu feßen. Dr. C. Braude®.
Die Provinz Ehiloe in Chile.
Der füpliche Theil der Republik Chile ift ein in Europa noch fo unbe⸗
fannter Theil von Süd» Amerifa, daß wir den nachflehenden, von dem Gou-
verneur der Provinz Chiloe im vorigen Jahre an ven Minifter des Innern
abgeftatteten Verwaltungsbericht als ein Höchft werthvolles Document zur
Vermehrung unferer Kenntniß der neueren Zuftände jener fernen Gegenden
anfehen müflen. Für Deutfchland bat derſelbe noch ein fpecielles Interefle
dadurch, daß die Provinz megen ihres überaus trefflichen, gleichförmigen Kli-
ma's und wegen der reichen, von ver Natur gebotenen Hülföquellen von vie
len Deutfchen, namentlich aus Kurs Heffen, zur Anftevelung gewählt worten
ifl. Dies gefchah beſonders am Fluſſe Manquihue. Nach allen neuen Nach
richten, die wir über die Nieverlaffungen erhalten haben, befinden fich deren
Bewohner im beiten Gebeihen und nehmen fo rafch zu, daß fidy Bier bald,
wie unter ähnlichen Verhältniffen im ſüdlichen Brafllien, eine compacte deutſche
Bevölkerung vorfinden wird. Auch die Ruhe, deren fich der Staat ausnahms⸗
weife von den übrigen ehemals fpanifchen Provinzen feit einer langen Reife
von Jahren erfreut, und die verfländige Sorgfalt der Regierung tragen wirf:
fam zu dem Aufblühen des Landes ') und fpeciel der Provinz bei, welde
fich Die deutfchen Auswanderer zu ihrer Heimath ermwählt Haben. Der bier
vorgelegte umfaſſende und auf das grünblichfte in alle Zweige feiner Verwal⸗
tung einpringende Bericht des Gouverneurs ift ein neues erfreuliches Zeichen,
2) Die neuelten, durch bie Times vom 7. September d. I. ans Chile mitge:
theilten Nachrichten geben hiervon bie überzeugenpften Beweiſe, indem der Handel in
dem Jahre 1854 um nicht weniger, ald 33 pCt. zugenommen hatte. Bei einer Be⸗
völferung von wenig mehr als 1 Million, betrugen nämlich nach ven letzten officiellen,
das Jahr 1854 betreffenden Befanntmachungen die Binfuhren 17,422,299, die Ans:
fuhren 13,778,416 Dollars. Andy in dem Tonnengehalt der Schiffe zeigte ſich viele
Vermehrung, indem berfelbe im Jahre 1854 fih um 17,523 Tonnen höher, als im
Jahre 1853 ftellte; aber das Wichtigfte war der Umſtand, daß die meiſten ein: and
ausgegangenen Schiffe Chile felbft angehörten. In den Anfchlägen für das nächſte
Jahr find große Summen für öffentlide Berbefferungen und das Schulweſen ausge:
worfen, fowie auch der Plan zu einer Depofiten= und Disconto: Banf dem Eongreiie
eben zur Beratung vorgelegt werden follte.
Die Provinz Chiloe in Chile. 413
mit welchem Ernſt vie öffentlichen Angelegenheiten in Chile betrieben werben.
Leider ift uns derſelbe nicht vollfländig zugegangen, ba bie Nummer 25 ber
zu Santiago erjcheinenden chilenischen Zeitung El Araucano vom 2. Januar
1855 nur den Anfang des Berichts enthält und die Fortſetzung verfpricht,
welche wir aber bisher nicht erhalten haben, fo daß wir felbft den Namen
des trefflichen Gouverneurs der Provinz nicht kennen. Die Mitteilung der
eben erwähnten Nummer verpanfen wir dem Königlichen General⸗Conſul in
Ehile Herrn v. Guͤlich, die Meberfegung Herrn Bastide Bierfelbft, ver durch
einen vieljährigen Aufenthalt in Süd» Amerika, namentlich in Brafllien, genau
mit defien Verhältnifien befannt iſt. Leider Fonnten einige Ausbrüde, nament⸗
lich naturhiftorifche, nicht überjeßt werden, da fich Feine Aufklärung über die⸗
felben finden lieg und fle wahrfcheinlich nur in Chile felbft üblich find.
Gumprecht.
Ancud, den 10. Mai 1854
Herr Miniſter!
Nach vollendeter Bereifung dieſer Provinz ſtatte ich hiermit E. ꝛc. einen
Bericht über deren gegenwärtige Zuſtände hinſichtlich aller Verwaltungszweige
ab, den ich mit denjenigen Bemerkungen begleite, welche die Beachtung der
hoben Regierung verdienen duͤrften.
Mit obigem Datum ift e8 ein volles Jahr, feit ich mich an der Spike
diefer Provinz befinve, ſtets von dem lebhaften Wunfche bejeelt, etwas zu
Frommen verjelben leiften und dadurch dem Seitens Sr. Exc. des Herrn
Präftventen auf mich gefeßten Vertrauen entfprechen zu konnen. Gelingt mir
dieſes, fo werbe ich mich auf's reichlichfte entfchänigt Halten für all den Ver⸗
druß und dad Mebelwollen, worunter ein Staatsmann zu leiden pflegt, ver
bei feiner Verwaltung nur das Geſetz zu handhaben und in Erfüllung feiner
Pflichten jeder Nebenrüdficht fremd zu bleiben fi vornimmt und das Ziel
im Auge bat, Mißbräuche audzurotten und ven eine gejunde Verwaltung läh-
menden Uebelſtaͤnden abzuhelfen.
Schwerlich bietet fich in irgend einem Theile der Republik der leitenden
Behörde ein weiteres Feld, ald in Chiloe, für den Weg des Fortſchrittes und
zur Einführung von Berbefferungen dar; ſchwerlich aber giebt ed auch eine
Bevöolkerung, der ed, wie biefer, an allen Mitteln gebricht, fich zu regen, und
bei der man fo mit jeglicher Schwierigkeit zu kaͤmpfen hätte, um irgend welche
Maßregel des öffentlichen Intereſſes purchzuführen, fo einfach) und gewöhnlich
fie auch fei, indem man aus deren Mitte wenig ober gar Feine Hülfe dazu zu
gewinnen vermag. Dadurch kommt man in die Nothwendigfeit, für jedes
Erforderniß fih an die Duelle, an vie Freigebigkeit ver hohen Megierung zu
wenden: und unterließe man folches, jo würden bier vie Uebelſtaͤnde fich ver⸗
ewigen, und dort die Vermuthung gegen den Beamten entfiehen, als tappe er
in denſelben herum, ohne fich für die Mittel zu ihrer Befeitigung zu ent⸗
cheiben.
414 Miscellen:
Die Zeit laͤßt zwar ſehr auf ſich warten, bis dieſe Provinz in eigener
Kraft zum Fortſchreiten und Emporblühen gelangt, doch verwirkt ſie darum
noch nicht ihren Anfpsuch, daß vie hohe Regierung fortfahre, ihr mit Theil⸗
nahme und Nachorud vie Hülfe zu fpenden, veren fie bevarf, um fich aus
ihrer Niedrigkeit emporzuheben und ven Plaß einzunehmen, zu dem fie beru-
fen ift durch ihr weites Gebiet, durch ihre reichen und unerfchöpflichen Berge,
durch ihre fchönen und ruhigen See» Kanäle, fowie noch durch mancherlei
Güter, mit denen die Natur ihren Boden befchenfte, und die mit ſtummer
Berebfamfeit auf eine Zeit binweifen, in welcher der Chiloe⸗Archipel ein
völlig anderes Land fein wird, als er jetzt if.
Grenzen und politifhe Eintheilung; Zahl und Verbreitung
der Einwohner.
Die Provinz Chiloe bildet, von dem Magelhans⸗Lande ab, den jühlich-
fen Theil der Republik Chili und erſtreckt fich, gemeiner Meinung nach, von
der Mündung ded Rio Bueno unter 40° 10’ füpl. Breite bis zur Halbinſel
der drei Berge unter 46° 38’ füpl. Breite und vom Meer ab bid an bie
Anden=Cordilleren. Ihre Begränzungen find: in Norden vie Provinz Bal-
divia und dad Gebiet Manquihue (Ljankihuh), im Süden vie Magelhans⸗
Nieverlaffung, im Often die Anden⸗Cordillere, im Weſten das flille Meer.
Sie wird in folgende zehn Departements eingetheilt:
Ancud, mit der gleichnamigen Hauptſtadt des Departements, wie der gans
zen Provinz, die gegen 7077 Einwohner zählt, in einer Auspehnung
von 9 bis 10 Leguas in die Länge und 3 bis 4 in die Breite. Sie
grenzt gegen Norden an die Meerenge von Tſchacao, gegen Süpen an
das Departement Gaftro, gegen Oſten an dad Depart. Tfchacao, gegen
Weiten an das flile Meer. Die Hauptſiadt mit ihren Vorftäpten ent
halt A000 Seelen. Das Departement wird in 3 Kreije und 14 Be
zirfe unterabgetheilt; je fünf ver letzteren fommen auf den erften, wie
ben zweiten der Kreife, ver dritte hat vier Bezirke. Diefe wie jene wer:
den durch ihre Ordnungszifſer unterfchienen und wirb ver Ortöname
Dinzugefügt: ein Brauch, ver bei allen folgenden Departements beibe⸗
halten ift. |
Chacao. Bevölkerung: 2994 Seelen. Ausdehnung: 8 Leguas in bie
Länge, 3 bis 4 in die Breite. Grenzen: gegen Norben vie Meerenge
gleichen Namens; gegen Often der Golf von Ancud; gegen Süden vos
Depart. Dalcahue, gegen Weften das von Ancud. Der gleidimamige
Hauptort dieſes Departements zählt 312 Seelen. Eintheilung in 2
Kreife und 9 Bezirke, und gehören vazu die Infeln Gaucague und
Lacao.
Dalcahue. Einwohnerzahl: 5764. Ausdehnung: 8 Leguas in die Länge
und etwa 2 in die Breite. Grenzen: gegen Norden das Departement
Die Provinz Chiloe in Chile. 415
Chacao, gegen Suͤden und Wellen das Depart. Gaftro, gegen Often
der Golf von Ancud und der Banal Quinchao (fpr. Kintſchau). Be:
völferung der gleichnamigen Hauptitabt: 1290 Seelen. Eintbeilung des
Departements: 3 Kreife und 11 Bezirke, einfchlieglih 9 bewohnter In⸗
fein, vie Chauques genannt.
Caſtro. Einwohnerzahl: 10,562 Seelen. Auspehnung: 4 bis 5 Leguas
in die Länge, Breite ebenfo. Grenzen: gegen Norben bie Departements
Ancud und Dalcahue, gegen Süben dad von Chonchi, gegen Often der
Ganal von Lemni, gegen Welten der Ocean. Der Hauptort Caſtro
zahlt 1114 Einw. Eingetheilt in 3 Kreife und 10 Bezirke.
Chondi, das umfangreiche Departement der Provinz, enthält eine Be⸗
völferung von 6236 Seelen und mißt menigflend 20 Leguas in vie
Zange und 8 ober 10 in die Breite. Seine Grenzen find gegen Nor:
den Dad Departement Caſtro, gegen Süben der Golf von Guaitécas,
gegen Often der Canal von Duindyao, und gegen Weften ver Ocean.
Der Hauptort gleiches Namend zählt 700 Seelen. Es wird in 2
Kreife und 21 Bezirfe eingetbeilt, und an feinem ſüdlichſten Theile ges
hören einige Heine Infeln vazu.
Lemui. Diefes Departement wurde aus ber Infel gleiches Namens und
drei anderen Infeln, Chelin, Quegui (ſpr. Keguby) und Imeleb gebil-
det, wovon bie Ießtere jehr Flein und nur von 3 oder 4 Familien bes
wohnt iſt. Zufammen enthalten fle über 6 Geviertleguag, und grenzen
gegen Norven mit vem Canal gleiches Namens, im Süden an den Golf
von Actue, im Öften an den Canal von Duenac, im Weften an ven
von Quinched. Die Gefammtbevölferung beläuft fich auf 6851 Per⸗
fonen, wovon auf die Hauptſtadt gleiched Namens 887 fommen; das
Departement ift in 2 Kreife und 9 Bezirke eingetheilt. |
Achao ift gleichfalls aus drei Infeln, Namend Quinchao, Linlin und Lis
nua, zufammengefeßt, welche im Ganzen eine Ausdehnung von 12 Les
guas haben, Sie grenzen gegen Norden an den Canal von Achao,
gegen Süden und Often an den von Duenac, und gegen Welten an
die Durchfahrt von Dalcahue. Das Departement wird in 3 Kreife und
15 Bezirke getheilt, von deren Gefammtbevölferung von 7027 Einwoh-
nern dem Hauptort Achao 413 zukommen.
Duenac. Befteht aus den Infeln Duenac, Menlin, Caguachi, Tac, Apino,
Alao, Chanlinee und noch einer fehr Fleinen, nur 2 ober 3 Häufer ent«
haltenden, Namens Teuquelin. Grenzen: gegen Norden ver Canal glei⸗
ched Namens, gegen Süden ber Golf von Actué, gegen Oſten der von
Ancud, und gegen Welten ver Canal von Quinchao. Das Departes
ment ift in 2 Kreife und 8 Bezirke getheilt, die von 3509 Einwohnern
bevölkert find, von denen 1225 auf ven Hauptort ober vielmehr vie
ganze Inſel Quenac kommen. Blächeninhalt fämmtlicher Infeln zu⸗
fanmen: 5 bis 6 Quadratleguas.
416 Miscellen:
Calbuco. Dan kann ſagen, daß dies Departement für ſich allein einen
Archipelagus bildet durch die vielen Inſeln, aus denen es zuſammenge⸗
ſetzt iſt. Nachdem aus einem Theile ſeines Gebietes die Colonie Llan⸗
quihue gebildet worden, iſt es auf einen Theil des Feſtlandes nebſt fol⸗
genden Inſeln reducirt worden: Anlao, Tabon, Chidhuapi, Polugur,
Quenu, das Fort oder Calbuco, Guar, San Joſé, Jentil, Lagartija
und Quenllin. Das Departenent grenzt gegen Norden mit dem Ge⸗
biet von Llanquihue, gegen Suden mit dem Golf von Ancud, gegen
Oſten mit dem von Reloncavi, und gegen Weſten mit dem Departement
Carelmapu. Es theilt ſich in A Kreife und 20 Bezirke und zählt 8182
Bewohner, von denen auf den Hauptort, das Fort von Calbuto ge
nannt, 411 kommen.
Carelmapu iſt das einzige Departement, das auf dem feſten Lande liegt.
Seine Grenzen find: gegen Norden ver Rio Bueno und der Maipue,
der es von der Provinz Valdivia trennt, gegen Süben vie Meerenge
von Chacao, gegen Often dad Gebiet von Llanquihue und gegen Be
fien der Ocean. Den Blächeninhalt rechnet man auf 200 Quadrat⸗
leguas. Es zerfällt in 3 Kreife und 16 Bezirke, die eine Bevölkerung
von 3023 Einwohnern enthalten, von denen 240 dem Hauptorte Ca:
relmapu zufallen.
Zu größerer Deutlichkeit bemerke ich, daß die Departements Ancub, Cha⸗
cao, Dalcabue, Caſtro und Chonchi auf dem großen Eilande Tiegen, das tie
Spanier Ehiloe nannten, ferner daß ſaͤmmtliche Einwohnerzahlen ter im
April dieſes Jahres veranftalteten Zählung entnommen find, und daß die hir
nicht mit Namen aufgeführten Infeln, vie zur Zahl von 84 fehlen, aus te
nen den Geographen nach der Archipelaguß befteht, fanımtlich unbewohnt find.
Ueberſicht der Kreife, Bezirke und Einwohnerzahlen jedes
Departements.
Departement: Kreife: Bezirke: Zahl per Bewohner:
Ancud 3 14 7,077
Chacao 2 9 2,994
Dalcafue 3 11 5,764
Caſtro 3 10 10,562
Chondi 2 21 6,236
Lemui 2 9 6,851
Achao 3 15 7,027
Duenac 2 8 3,509
Calbuco 4 20 8,182
Garelmapıu 3 16 8,023
zufammen 27 133 61,225.
Die Provinz Chiloe in Chile. 417
Hinfichtlich ver bezüglichen Flächeninhalte Habe ich aus meinen Unterſu⸗
ungen die Ueberzeugung gewonnen, daß eine größere Zahl von Kreifen und
Bezirken gebilvet werben müflen, namentlich in ven Departements von Chonchi,
Chacao, Lemui, Achao und Quenac, damit die Öffentliche und vornehmlich die
Gerichtöverwaltung einen rafcheren Gang gewinne, und behalte mir vor, Ew.
ıc hierüber einen befonderen Vorſchlag einzureichen.
\
) Klima.
F Obzwar das Klima ein ziemlich fenchtes ift, fo iſt es doch ohne Wider⸗
ſpruch gefund und von epivemifchen Krankheiten frei; weder Froſt noch Hike
machen fich mit Intenfltät fühlbar, und die Jahreszeiten folgen auf einander
obnetwahrnehmbaren Einfluß auf die Geſundheit, und obgleich die ausgeſpro⸗
henfiin der Sommer und der Winter find, fo gehen doch auch bie anderen
Jahreßzeiten nicht unmerklich vorüber, wie Leute es gern glauben machen
wolleg, bie entweder Chiloe abgemeigt find, oder es, fei es mit Vorurtheil,
fei ed unter dem trüben Einprude der Regenzeit oder ftürmifcher Tage befucht
haben, die allerdings auf Berfonen, die aus dem Norven der Republik, vollends
auf fehr Karze Zeit, kommen, einen imponirenden Eindruck machen Fönnen.
Wenn nicht an den heiterften Tagen und jelbft zur Sommerzeit, wo e8 einen
fchöneren und bezaubernveren Simmelöftrich geben Tann, dennoch häufige Platz⸗
regen und beftige Winde einträten, und man unter beiden nur zu einer bes
flimmten Zeit zu leiden Hätte, jo würben die Einwohner von Ehiloe fein ans
deres Klima zu beneiden haben.
Schnee kommt fo felten und in fo geringer Menge vor, daß er im Aus
genblid des Kallens ſchon verſchwindet, und nur im Juli und Auguft erfcheint
zuweilen bei Gewittern ein feiner Hagel.
Ueber die Geſundheit dieſes Klima's macht einer der hieſigen Aerzte, ver
die ganze Provinz burchreifet ift, folgende Bemerkungen: „Im Allgemeinen
läßt fich fagen, daß in Chiloe gar Feine fationäre Epidemien, noch folche von
einem eigenthümlichen Charakter erifliten: e8 giebt nur bie, welche ver Men⸗
ſchennatur überhaupt eigen find, und wenn fie jeweilig ein beunruhigenves
Anfehen annehmen, fo liegt dad an dem Mangel an Mitteln, zu denen meis
ſtens die Leute ihre Zuflucht nehmen können, ſowie an ven Vorurtheilen, durch
die fie fich nicht felten bis zur Gefaͤhrdung ihres eigenen Lebens treiben Tafien;
wenn fie in ven Tränfen, die ihnen die Machis (Duadfalber) bereiten, eine
fichere Kur ihrer Krankheiten zu gewinnen glauben, fo erhalten fle vielmehr
ein Gift, dad, wenn es fie nicht bisweilen gar zu Tode bringt, ihnen doch
häufig Schmerzen und Leiden zuführt, die ſie früher gar nicht Hatten. Die
zumeift vorkommenden Krankheiten find: Bruſtbeſchwerden, Rheumatismen,
Aſthma, Skropheln und Lungenfucht, bei dem nievrigen Volke auch Syphilis.
Schlechte Nahrungsmittel, übler Zuſtand der Wohnungen, befchwerliches Ars
beiten, Näffe, geringe Bedeckung mit Kleidern, Mangel an Arzneimitteln, und
Zeitſchr. f. allg. Erdkunde. Bo. V. 27
418 Miscellen:
mehr als alles der Mangel orbentlicher Geſundheitopfloge in jeder Beziehung,
find meiner Anficht nach vie Hauptanlaͤſſe der Krankheiten in dieſer Provinz.
Städte.
Es giebt deren nur vier: Ancud, Galbuco, Caſtro und Maullin.
Die erfte zählt ungefähr 1000 Häufer, mit Geſchmack gebaut und ge⸗
bührend gereibet, um ihren Straßen und Plaͤtzen fo weit als möglid, An
fehen und Geräumigfeit zu geben. Iſt auch diefe Stadt nicht unter ven erien,
fo Tann fie doch eben fo wenig zu ven letzten gerechnet werben: fie wa: in
den Jahren 1844 und 1847 durch verheerenne Beugröbrünfte, deren Nad-
wehen fie noch empfindet, Heimgefucht worden. Wenn aber auch fo tra ige
Kataftrophen natürli einen Nüdgang und Verfall der Geſchaͤfte nad, ſich
ziehen, fo ift doch der Eifer der Einwohner im Allgemeinen, fowie die inter
Rügung der hohen Regierung der Mittellofigkeit Einzelner zu Gülfe gekogmen,
und ob man gleich noch zur Zeit einzelne dachloſe Bebäupe flieht, vie z1 ab
gebrannten Gehöften gehören, fo ift doch nach allgemeiner Meinung vie Liadi
Ancud größer und namentlich ſchoͤner und geſchmackvoller, jowie xt bau
bafter gebauten Häufern daraus hervorgegangen.
Die zweite Stadt, Calbuco, zum Departement gleiches Namen gehang
bat vor 8 Monaten ebenfall8 die Wirkung des ſchrecklichen Elementes zu er⸗
fahren gehabt, doch find fchon viele ihrer eingeäfcherten Häufer wieder au
gebaut, und man bat die tröftliche Hoffnung, daß nach 1 bis 2 Jahren ſich
jeve Spur des Unglücks verwijcht haben wird. Im gegenwärtigen Auge: |
blick zählt viefe Stadt 100 bis 150 Häufer.
Hoͤchſt befremblich ift, daß die Erbauer dieſer Stadt nicht Lieber ven Dirt,
la Vega genannt, dazu außerfehen Hatten, ein Pla, der weit geeigneter zur
Herftelung einer geregelten Stadt geweſen wäre und nicht eine ſchoͤne, 6 biß
8 Quadras von der Seefüfte ab fich erſtreckende Ebene fern liegen gelaflen
hätte. Es giebt nichts an dieſem Orte, was dem genannten Zwecke ungimſtig
erfcheinen Eönnte, und fowohl deshalb, ald wegen der geringen Entlegenheit
der jebigen Stabt fleht «8 zu Hoffen, daß in wenig Jahren dort ein Häule-
verein entitehen werde, der envlich zum Hauptort würbe,
Die dritte Stadt, Caſtro, würde die fchönfte ver Provinz fowohl, ald
unter vielen andern bes gefanmten Staate8 fein, wenn ihre Straßen ſich nidt
faft verövet zeigten. Nächft den Gebäuden, die die vier Eden des Marktylaget
von dem Klächeninhalt einer Quadrat⸗Quadra bilden — eines Platzes, vr
in Allem ver auögevehnten und malerifchen Ebene entfpricht, im welder die
Stadt liegt, — find ihre fo geraven, ald geräumigen Strafen nur mit ſeht
wenig Haͤuſern befeßt, die, mit geringem Geſchmack gebaut, von einander turh
wenig anfländige Zäune getrennt werben, welche, bei Ermangelung der Haͤn⸗
fer, wenigſtens auf ven erſten Aublick die genauen Bluchtrichtungen des Ortel
Die Provinz Ehiloe in Eile. 419
zeigen, in dem ſich alle Vorzüge vereinigen, die fldh zur Begründung einer
geraden und volfreichen Stadt wünjchen laſſen.
Ihre Bewohner, zum größten Theile dem Landbau fich widmend, und
daher ohne genügenne Beweggründe, in ver Stadt zu wohnen, halten ſich
eher auf ihren Landbeſttzungen auf, wo fie, in unmittelbarer Nähe ihrer Fel⸗
ver, beren Bebauung als ihrer Unterhaltaquelle obliegen, und deshalb geht
es mit ber Stabtbenölferung rüdmärts, flatt vorwärts, wie ich beim aus
meinen Ermittelungen ſehe, daß Caſtro in früheren Jahren eine größere Ein»
wohnerzahl beſaß, ala Heut zu Tage.
Die vierte Stabt ift Maullin (fpr. Masuljin). Sie liegt am Ufer des
gleichnamigen Flufſes und gehört zum Departement Carelmapu, von welchem
Flicken — wenn man felbft fo eine Anzahl von 15 ober 20 ſtrohgedeckter
Hüften nennen kann — fle durch eine Ebene von 5 ober 6 Leguas getrennt
ift, Die zum größeren Theile mit Sand bedeckt wird, welcher in ziemlich laͤſti⸗
ger Weiſe auch die anfloßenden Aecker ergreift. Dennoch iſt Maullin im Zu⸗
nehmen, und bat feinen Beruf dazu durch den fich erweiternnen Handel mit
Holz, das aus den in unmittelbarer Nähe ftreichennen Eorbilleren geholt wird.
Berglichen mit Carelmapu, welche, wie gejagt, ber Hauptort des Departe⸗
ments ift, zeigt ſich eine DVerfchlenenheit, wie ſchwarz und weiß, denn in die⸗
fem Orte befinbet fich blos die Pfarrfirche mit der oben bemerkten Häufer-
zahl, in Maullin dagegen find mehr ala 60 Häufer, wohl gebaut und mit
beſter und geräumigfter Lokalitaͤt. Rechnet man zu dieſen Bortheilen ven
Umſtand, daß Maullin ziemlich den Mittelpunkt des Departements bildet, fo
wird man begreifen, daß Hier die Hauptſtadt ded Departements fein muß.
Henn ich dieſe Aenverung ver hohen Negierung in einer beſonderen Note
vorzufchlagen mir vornehme, fo wüßte ich Feinen Umftand, welcher verfelben
entgegenftehen pürfte, als etwa der Mangel eines Gebäudes zur Pfarrfirche;
da nun aber dad Kirchengebäube, das fich bereits in Maullin befindet, ſelbſt
größer if, ald die Pfarrkirche zu Garelmapu, fo dürfte nur dad Pfarramt
dorthin verpflanzt werben, und e8 ftünde nicht zu beforgen, daß ver Ausfühs
rung meines Vorſchlages ein ſonſtiges Hinderniß entgegenträte.
Außer den genannten Orten giebt es Feine von Bedeutung, indem bie
Bewohner von Ehiloe im Allgemeinen über dad ganze Gebiet zerſtreut leben,
vorzugsweiſe aber ſich an ven Seefüften anſtedeln, wegen ber Bortheile und
Bequemlichkeiten, die ihnen dieſe zum Transport ihrer Srüchte und Hölzer
Darbieten.
Induftrie.
Ackerbau, Holzarbeit und Schiffbau bilden bis jegt die vornehmften In-
puftriegweige dieſes Theils von Chile. Mit erſterem mache ich den Anfang.
Man kann, ohne es zu arg zu machen, immer fagen, daß der Aderbau
in Chiloe fich noch im Zuſtande ver Kindheit befindet, und indem er feinen
27%
420 Miscellen:
Schritt vorwaͤrts gekommen iſt, ſo exiſtiren freilich noch die naͤmlichen Ge⸗
braͤuche, daſſelbe herkommliche Verfahren, ſowie dieſelben unvollkommenen Ges
räthfchaften, wie in ven entfernteſten Zeiten.
Wie unverlennbar auch der Tünftige Wohlſtand und Reichthum vieler
Ortfihaften nur aus dem Landbau erwachlen Tann, fo find doch Die dazu er-
forberlichen Kenntniffe ihren armen Bewohnern Höchft fremd geblieben, fo daß,
wie gefagt, nach alter Weile immer noch flatt des Pfluges ver Gualato und
die Lumas dienen müfjen: denn von ven Vortheilen und der leichten Hand⸗
habung des Pfluges dürften Außerft Wenige eine beutliche und richtige Vor⸗
ſtellung haben. Man kann nicht ohne Verwundern, ja nicht ohne wirfliches
Mitleid fehen, wie ein Sohn Chiloe's mit eigenen Kräften vie Erde aufbricht
und Schollen von 3 bis A Quarta's Breite und einer Tercia Dicke umlegt.
Es if} dies eine der zu ihrer Feldbeſtellung gehörigen Arbeiten, vie nament-
lich beim Xegen der Papas ’) vorkommt, und fo Hart, als gefährlich if.
Denn nachdem das ganze Feld für die Papas mittelft des Gualato durch⸗
Iöchert worden, nehmen bie Leute die fogenannten Lumas zur Hand, bie 21
Baras lang und 6 bis 8 Zoll dick find, ſetzen folche an die Bruft und geben
ihnen mit verfelben einen heftigen Stoß, fo daß fie tief genug in den Boden
einpringen, um Nafenjtüde von dem genannten Umfang abzureißen. Diele
Geräthe führen die bemerkten Namen, weil eben fo die Holzarten heißen, aus
denen fie gefertigt werben.
Huch wenn fi mit mehr ald vollfommener Zuverläffigleit anmehmen
laßt, daß der Boden zum Anbau von Hanf, Lein, Safer und allen Sorten
von Gemüfen ſich eigne, fo befchränft fich doch der Aderbau von Chiloe bis
jegt noch auf Weizen, Gerfle und Papas, und wird auch von erfigenannien
Getreidearten eben nur fo viel probucirt, als höchftens zum eigenen Verbraud)
der Bewohner ausreicht. Sechs bis acht Korn, und auch das nicht in jenem
Boden, ift das höchfte, was erzielt wird, wenn das Jahr gut ift; aber was
die Papas betrifft, fo wird doch zumeilen bi8 dad Doppelte gewonnen, je
nachdem ber Boden iſt; denn da zumal eine anfehnliche Ausfuhr nicht flatis
findet, fo reichen die Vorräthe immer zur Verſorgung ver einheimifchen, wie
fremven Fahrzeuge Hin, die diefen Hafen befuchen.
Die folgende Zufammenftelung weifet ven Ertrag ber vorjährigen Ern⸗
ten nach, welche nach allgemeiner Anftcht befier, als feit vielen früheren Jah⸗
ren, ausgefallen find.
Departements. Weizen. Gerſte. Lein. Hafer. Papas.
Fanegas. Fanegas. Fanegas. Fanegas. Fanegas.
Ancud 2,564 40 — 25 18,250
Chacao 2,288 17 6. 16 13269
Garelmapı 3,471 — — — 23,811
Latus 8,323 57 6 4 55,330
1) Eine Art Wurzelfnollen.
Die Provinz Chiloe in Chile. 421
Departements. Weizen. Gerſte. Ren. Hafer. Papas.
Banegad. Fanegas. Fanegas. Fanegas. Fanegas.
Transport 8,323 57 6 4 55,330
Galbuco 6,186 1,356 114 — 43,464
Dalcahue 6,200 220 25 30 25,000
Gaftro 18,150 470 18 80 51,800
Chonchi 8,500 615 72 126 34,550
Lemui 16,248 5,050 46 — 43,252
Achao 9,646 522 19 227 57,080
Dumac 2,174 872 22 — 12,250
Insgeſammt 75,427 9,162 822 504 322,726
Vergleicht man vorftehende Befammterträge mit denen ver 18507 Ernte, _
deren Angaben die Regiftratur dieſer Intendantur nachweift, fo ergiebt fich
eine Zunahme von 14,974 Fanegas Weizen, 3363 San. Gerfte, 416 Ban.
Hafer; dagegen eine Verminderung an Lein um 264 Fanegad und an Pa«
pas um 25,527 Fanegas.
Hinſichtlich der Zubereitung des Bodens ift noch zu bemerken, daß ber»
felbe für vie Papas frifch mit Dung hergerichtet werben muß, daß aber dann
der Weizen blos auf das Land geworfen wird, auf welchen die Ießte Ernte
von jenen flattgefunden.
Die Einfant für ven erften Jahreseinfchnitt gefchieht in Allgemeinen vom
Auguft bis Ende des Septembers, und die Ernte dann im Mai; die Einfaat
für den zweiten Jahreseinfchnitt aber beginnt am Ende des nämlichen Mo⸗
nat3 und endet im Laufe des Juni, worauf die Ernte in den folgenden März
trifft.
Die Kräftigung, die man dem Boden zu geben pflegt, beſteht in Vieh⸗
bünger, wobei man dem Wollenvich den Vorzug giebt; man fagt deshalb,
e8 babe einer eine gute oder fehlechte Feldbeſtellung, je nach ver Zahl von
Schafen, die er beflgt. — In der ganzen Provinz exiftiren folgende Thiere:
Departements. Rindvieh. Schafe. Ziegen. Schweine. Reit⸗ und
Laſtthiere.
Ancud 875 2,654 267 390 415
Ehacao 542 4,377 1,471 524 406
Garelmapı 9,287 9,237 943 2,976 1,802
Calbuco 1,339 10,081 1,043 2,293 466
Dalcadue 960 8,000 500 1,600 400
Gaftro 755 11,328 1,033 2,185 967
Chonchi 2,394 16,680 948 1,229 622
Lemui 323 13,033 604 2,156 540
Achao 334 19,679 1,335 2,102 893
Quenac 92 2,540 556 562 262
Insgeſammt 16,901 97,609 8,700 16,017 6,773
vw
4
422 Misgelien:
In die Nichtigkeit diefer Angaben fehe ich jedoch ein ſtarkes Mißtrauen,
dad mir durch die eingewurzelte Gewohnheit ver Landleute eingeflößt wird,
ihre Befisthümer zu verleugnen, ohne felbft ihre Söhne auszunehmen, indem
fle glauben, daß, wenn fie die Wahrheit fagen und daraus viele Befigthümer
oder Familiengliever bervorgingen, man ihnen Steuern auflegen ober einen
Sohn zum Dienft der Armee einziehen werde, gegen weldyen Beruf fie im
Schreden gerathen. An folcher Verbeimlichung nun nicht zmeifelnd, trage ich
fein Bedenken, jeder Gattung des Viehes noch ein Drittheil hinzuzufügen,
und diefer Anficht find auch die Provinzialbehörven und fonftige Perfonen,
durch deren Leitung ich in Beflß diefer Angaben gefommen bin. Deffen un
geachtet muß man einräumen, daß das Rindvieh in Ehiloe nicht zur Verſor⸗
gung feiner Bevölkerung ausreicht und folglich die Nachbarprovinzg Balbivia
noch dazu beiträgt.
Es ift auffallend, daß die Lein ſaat nicht im Großen betrieben wird, und
daß man nicht den beveutenden Gewinn nach feinem wahren Wertbe fehägt,
ven man aus deren hohem Wuchfe ziehen kann; denn da dieſes Gewächs ve
gen feines leichten Anbaued und überaus reichen Ertrages — unflreitig wer
gen des feuchten Erdreichs — ganz vorzüglich für dieſes Clima paßt, fo würde
daraus ein fehr einträglicher Induſtriezweig zu bilden fein. Man baut ven
Zein vermalen blos deshalb an, um den Samen mit dem Weizen zu mengen
und geröfteted Mehl zu machen. Indeß wird denn boch im Departement
Chonchi auf beſondere Beftelung und nicht ohne viele Bitten und Verſpre⸗
ungen daraus ein Gewebe bereitet, das, dem europäifehen Damaft ähnlich,
zu Mänteln verarbeitet wird.
Hafer wird in dieſer Provinz erft feit wenig Jahren in fehr geringer
Menge und nur von einer Fleinen Anzahl Lanvleuten gefäct.
Hülfenfrüchte tragen alle fehr gut, man fäet deren aber gleichfalls in
geringer Menge uud blos für den Verbrauch jener Familie in grünem Zu-
ftande, oder höchftens für ven Vertrieb fehr beichränkter Ouantitäten nad
dem Hafen von Ancud. Maid ift am wenigftens befannt.
Der für die Bierbrauerei fo wichtige Hopfen, ſowie andere Frautartige
Gewaͤchſe, die mit außerorbentlicher Fruchtbarkeit hier geveihen würden, fint
bis jetzt unbelannt.
Mur die Arbeit mit Holz iſt ein Gewerbszweig, ver dem Handel von
Chiloe ein gewiſſes Leben und felbft die Hoffnung eines großen Auffchwunge
giebt; ohne viefen würde der Handel ſchwach und bedeutungslos fein.
Täglich waͤchſt die Zahl der Arme, die fich demfelben widmen, und es
giebt Departements, Calbuco zum Beifpiel, in denen der Zug nach ven Cor⸗
dilleren zwei, ja drei Mal des Jahres ein wahres Gebot für deren Einreohner
ifl, die ihre Wohnungen verlafien, die wenigen Feldarbeiten weiblichen Gänten
übertragen, ihre Heinen Söhne aber mitnehmen, um aus ihren ſchwachen
Kräften Gewinn zu ziehen, und vamit fie fich gewöhnen, die Berge zu er-
Die Provinz Chiloe in Chile. 423
flettern, und ohne Staunen und Furcht den Gefahren und Schwierigkeiten
in's Auge zu fehen, vie es Eoflet, die Leber und Cypreſſe zu fällen, zu be=
bauen und an bie Geflabe zu bringen.
Ohne Zweifel ift die Arbeit mit Holz im der Provinz die allgemeinfte;
«8 giebt jedoch Departements, in benen fie eine beſonders überwiegende ifl.
In erfter Linie ſteht bier Calbuco, und es folgen Duenac, Garelmapu, Chonchi
und Lemui; in dem Handel mit Cedernholz Liefert pad erſte vornehmlich ge»
wöähnliche Bretter, das zweite dicke Bretter, dad dritte kleine Bohlen, das
vierte Kernholz von Cyprefſſen und Bohlen von Ralral.
Die Bewohner ver übrigen Departements, nämlich Chacao, Dalcahıe,
Achao, Gaftro und Ancud, verbinden fich nicht fo zu gemeinfchaftlichen Leis
flungen, wie die der andern borerwähnten, noch machen fie Züge nach ven
Cordilleren; innerhalb ver Provinz aber bearbeiten fie mit Fleiß und Gewinn
Bohlen und Bretter von Lorbeer, Hafelnuß, Muermo u. a. und fiefern Lu⸗
mas von 4 bis 8 Varas, Schwellen von 6 und 8 Varas ıc. und brauchen
für die legten das Beil, für die andern die Säge. Der Gebrauch vieler Ge⸗
rätbfchaften ift jo allgemein, daß fle nicht Leicht In einer Familie fehlen, vie
fi) mit Holzarbeit beichäftigt, und noch feltener iſt ed, daß fie einer nicht mit
Bebenvigkeit und Geſchicklichkeit zu handhaben verſtehe. E& giebt jetzt ſelbſt
15 bis 20 durch Waſſer getriebene Sägemühlen, die faft alle in ven letzten
zwei Jahren bort gegründet worden find. Sie fägen, wenn dad Holz Fein
hartes ift, bis 20 Bretter in der Stunde, und würden, wenn fie dad ganze
Jahr im Gange fein könnten, beträchtliche Quantitaͤten Tiefern; allein in der
guten Jahreszeit iſt oft nicht Wafler genug vorhanden, oder die Bohlen pafien
nicht für die Einrichtung der Mafchine.
Das Departement Baftro ift dasjenige, welches fich am wenigften mit
Holzfällen befchäftigt; indeß ift große Wahrfcheinlichkeit vorbanven, daß, wenn
ſüdlich des Gambao⸗VFluſſes ein Weg über einen bichtbewalbeten Berg, ber
in weftlicher Richtung fich dem Auge zeigt, eröffnet würde, man dieſem Er»
werbözweige fein Intereffe zuzuwenden anfangen und größeren Gewinn, ale
aus irgend einem anderen, erzielen werde, indem biefer Berg einen Ueberfluß
der evelften Holzarten, ald Cypreſſe, Alerce (fol eine Cederart fein), Ralral
und Maniu, und zwar in größter Nähe, enthält.
Bereits find eigens Unterfuchungen, ſowohl wegen des Vorhandenſeins
jener Hölzer, ald der Möglichkeit der Anlegung eines Weges gemacht worben,
die ein Höchft zufriedenſtellendes MNefultat geliefert Haben: ich gedenke mich
daher bei dem Herannahen des Sommers ernftlich mit diefem Punkte bes
öffentlichen Intereſſes zu beichäftigen.
Die außerordentliche Nachfrage nach Hölzern in ven legten Jahren hat
zur Kolge gehabt, daß diejenigen, welche damit Handel trieben, auf richtige
Dimenflonen jedes Stuͤcks nicht fonderlich hielten, und natürlich wurden biefe
auch von ven Arbeitern verringert, ſobald fie dad merkten, namentlich an ben
424 Mistellen:
Cederbrettern, fo daß manches derſelben zu aller Bearbeitung untauglich ward.
Endlich iſt dieſer von den Handelsleuten ſelbſt geduldete Mißbrauch in ſeinem
Beſtehen und feinen Folgen offenbar geworden, und ed iſt, wenn demſelben
nicht abgeholfen wird, zu beforgen, daß ver Holzhandel von Chiloe feinem
Untergange entgegengehe ober wenigſtens flationär bleibe. Bereits haben ſich
die Ruͤgen und Reclamationen Seitend der Handelsleute anderer Plätze in
fehr ungünftigen Ausprüden, vie ſchnell auf einander folgten, ausgefprochen,
und würben enblich früher over fpäter eine gänzliche Entwerthung ver Ehiler-
Hölzer herbeigeführt Haben. Bon viefer ernften Erwägung durchdrungen, umb
befannt mit der einflimmigen Geneigtheit ver Theilnehmer viefes Handels,
babe ich ihnen meine Bereitwilligfeit zu erkennen gegeben, zu einer entfprechen-
den Ausführung der Maßregeln, die fie befchließen würven, um jenem Uebel
Rande ein Ziel zu fegen, fo weit es meinerfeits thunlich fei, mitzuwirken, und
dies bat fle fofort zu einer Zufammenkunft veranlaßt, in welcher fie den Bes
ſchluß faßten, Feine Sorte Holz anzunehmen, welche nicht die vor dem Han⸗
velögericht feftgefeßten und in ver Acte jener Uebereinkunft angegebenen Di⸗
menflonen habe. Dieſes Document, durch die Intendantur an alle oberen
und unteren Beamten in Girculation gefeßt, erreicht auch bereitö den gewünſch⸗
ten Zwed, und zwar ohne Benachtheiligung der Arbeiter, indem man viefen
zu ertennen gegeben bat, daß es ihnen freiftehe, ven Preis ihrer Hölzer zu
erhöhen oder nicht. Die geforverten Dimenfionen find überdies ſelbſt geringer,
ale fie vor 4 oder 6 Jahren üblich war.
Der folgende Tarif giebt die gewöhnlichen Holzpreife in der Provinz an:
dad Hundert Peſos Reales
Lumas, 8 Varas lang... . . das Hundert 50
-» be. 2 2 2 2 2 2 2 es 25
Bretter von Mare . 2 2 2 2 0 a ⸗ 6 2
⸗geſaͤgte von Lorberr. ⸗ ⸗ 144 —
⸗ ⸗von Maniu. ⸗ 18 —
Madrinas (Kernholz) von Fopreft ⸗ ⸗ 25 —
Bohlen von Cyyreſſe ⸗ ⸗ 12 4
⸗ » Are . 2... ⸗ = 12 4
⸗ ⸗Lorbeer.. ⸗ = 12 4
⸗ ⸗Muermo. ..2 ⸗ 12 4
kleine Balken von UÜere . . . . das Stud ii —
—W ⸗Lorbeer ⸗ — 4
⸗ ⸗ ⸗Cypreſſe...⸗ ⸗ 1 —
⸗ ⸗ s Murm. ...» ⸗ — 4
Guiones (Schwellen?) ⸗ ⸗ 6 2
dicke Bretter von Aleree... ⸗ ⸗ 12 4
. Maniu, von 8 Varas, ⸗ ⸗ 75 —
⸗ ⸗ » Malral, von 3 bis 4 V.⸗ ⸗ 40 —
Der Guano und feine Hauptfundorte. 425
das Hundert Peſos Reales
Ballen von Muermo, 8 Baras lang, ⸗ ⸗ 100
» Gbale . . .. .. ⸗ 75
Pfoſten von Alerce, von 8 Varas . dad Stück 3
a s GSuprefle, von 4 Bars . =» ⸗ 1
Ken ... .. . das Hundert 4
Rinde, die Fanega (ira * Berliner Scheffel) —
(Schluß folgt.)
latlı
Der Guano und feine Hauptfundorte,
(Schluß.)
Der Guano ſelbſt zeigt ſich in mächtigen Lagern übereinander gehäuft,
und zwar fo, daß dort, wo er tiefer gebrochen wird, fich feine verfchienenen
Schichten dem Auge deutlich bemerkbar machen, ba file in der Färbung von
einander etwas verſchieden find und in mannigfachen Tönen zwifchen braun
gelb und graugelb wechſeln. Die Maſſe deſſelben ift fehr troden und laͤßt
ſich Teicht zerbrödeln und bei nur einigermaßen frifchem Winde wird fie als
wirbelnder Staub weit über vie Infeln Hingetrieben, vie ganze Atmofphäre
mit Qualm ſchwaͤngernd und oft ben Horizont völlig unflchtbar machend.
Wenn auf dem Trandporte durch irgend welche Umflände die Ladung feucht
wird, zeigt fe fich fihmierig und Elebrig und verbreitet einen dem @eruche
eines unreinlichen Hühnerftalles ähnlichen Geſtank, was man fonft eigentlich
nicht vom Guano fagen kann, — natürlich unbeſchadet Jedermanns Geſchmack,
— obfchon er immer einen flarfen, beizenven, urindfen Geruch an fich hat.
Es finden fich große Stüde Salmiak in vemfelben, und zwar von völliger
glasartig durchſichtiger Barbloftgkeit, oder von grauer, gelber, faft ſchwarzer
und oft glänzend weißer Farbe, in Kugel», Ei⸗ over phantaflifcher Geſtalt,
und am häufigften in meblartiger Beimifchung in dem hellbraunen Stoff der
unterften Schichten, die am meilten zerbrödelt find. Die Arbeiter fuchen be»
gierig nach diefem werthvollen Salz und follen auf eigene Hand einen Fleinen
Schmuggelhandel mit demfelben zu betreiben wiſſen.
Wir find bisher in diefer Darftelung unbedingt der Annahme gefolgt,
daß der Guano aus Ererementen von DBögeln beſtehe und gebrauchten fogar
Dafür den Ausdruck Vogeldung. Es war died auch der bisher herrſchende
Glaube, der jedoch Hier und dort Wiverfacher gefunden hat und jett bezwei⸗
felt und ſogar beftritten wird. In Peru felbft wird die Bogelbungtheorie
gleichfalls von vielen Seiten verworfen und die Behauptung aufgeftellt, daß
Der Angamos⸗Guano nie zu wahrem Guano werden Fönnte und den Namen
daher eigentlich nicht verbiene, ſondern fälfchlich führe Ein merfwürbiger
426 Miscellen:
Umflaud iſt es allerdings, daß die vierte Inſel in ver Chinchas⸗Gruppe, die
jetzt der Hauptaufenthalt der Vögel iſt, welche ven Guano erzeugen ſollen,
keine Anſammlungen des Miſtes derſelben aufweiſt, obſchon ſie ſich viel über
die von dem maͤchtigſten Wellenſchlage erreichbare Höhe erhebt. Die Moͤg⸗
Jichkeit, daß dieſe Vögel, gleich dem wilden Stamme ver Llama, der Gua⸗
nako's und Vicunna's beſtimmte Orte aufiuchten, um dort ihre Außsleerungen
gemeinfchaftlich abzuſetzen °), ift Faum anzunehmen, ba der Aufmerkfamfeit,
mit welcher viefelben jet beobachtet werden, wohl faum die Infeln und
Klippen entgangen fein würven, welche den noch lebenden Befchlechtern zu
diefem Zwecke dienten. Die Berfchiedenart ver Voͤgelarten an der perua-
nifchen und patagonifchen Küfte möchte die Verſchiedenheit des Guano auch
nicht völlig erklären, wie es von Anhängern ver erften Theorie gefchieht.
Uebrigend gehören fie alle ver einen Orbnung ver Schwimmvögel an; auf
den peruanifchen Infeln berrfcht die Familie ver Pelilane und in Patagonien
die der Fettgaͤnſe vor.
Die Wahrheit mag wohl, wie es fo häufig zwifchen zwei Anflchten ver
Fall if, in der Mitte beiver Theorien liegen, denn aufmerkſame und verflan-
dige Seeleute, welche den Guano in feinen Schichten an Ort und Gtelle
faben, verfichern, den Hauptbeſtandtheil als verweſte oceanifche Subſtanzen
erfannt zu haben, was leicht darin feine Exrflärung finden möchte, daß vie
bortigen Vogelfamilien meiſt gejelfchaftlich und zwar in Schaaren, welche oft
eine auch nur annäbernde Abfchätung verbieten, in einer Art- von gemteinfas
men Nefte, das ſie durch gegenfeitig fich unterflügende Anſtrengung aus allerlei
groben, vom Meere ausgeworfenen Pflanzenreflen erbauen, brüten und leben.
Hierfür fpräche ferner, daß man oft auch ganze Vögel mit Haut und felbit
Gefieder, ſowie einzelne Slügel, Beine und Gerippe verfelben im Buano fin
det. In den oberen Schichten fieht man dieſe heile oft noch ziemlich un-
verfehrt, während fie in ven unteren dagegen ganz zerbrödelt find. Da ſie
leiver bei der Ieifeften Berührung auseinander fallen und zu Guano werden,
erlaubt eine genaue Betrachtung ver Skelette, auch durch die Bergleichung
der Anatomie, nicht die Beflimmung, weldyer Bogelfamilie diefe Nefler ange
hören. Auch viele Seelömen, von denen ſowohl die Mütenrobbe, ald auch
die gemähnte Ohrenrobbe dieſe Gegenden befuchen, finden ſich als Leichen und
Gerippe in dem Guano. Auf der Infel Chinchas felbft ift eine Grotte, in
welcher fie zu 40 und 50 auf einem Flecke dicht bei einander gefunden wur⸗
den. Den Angaben zufolge follen fich dieſe Ihiere an beflimmte Orte bege
ben, fobald fle ein Gefühl ihres Herannahennen Todes haben. Dieje gewiß
hoͤchſt merkwurdige Sitte fand Darvie gleichfald bei ven Guanako's in ven
bier nahe liegenden Andesketten, und vielfach find Sterbepläße verfelben, fett
+) Darvie fand dergleichen Düngerhaufen von 8 Fuß Durchmefler und mehr,
die in den holzarmen Gegenden Patagoniens den Iudianeen ein koſtbares Breunma:
terial abgeben. €.
Der Guano und feine Hauptfundorte. 427
in der Nähe des Meered over an Ylußufern, gefunden worden, bie dicht mit
Steletten und Knochen bebedit waren, deren gute Erhaltung und völlige Un⸗
benagtheit die Bermuthung verbot, daß an foldhen Steffen das Lager ihre
Beute zufammenfchleppender Maubtbiere geweſen fei.
Der Vorrath an Guanomaſſe ift allerbingd ein ungeheurer, erreicht aber
dennoch nicht die fabelhaft Elingenven Angaben, wie jie 3. ®. in Nopitzſch'o
„Kaufmännifchen Berichten” S. 274 ober in Anverdjond „Weltumfegelung ”
angegeben find. Derfelbe fagt, man babe berechnet, daß vie Infel, die eine
Dberfläche von 8 engl. Quadratmeilen bat, auf ihrer Belfenmafie 495,616,000
Kubik⸗MPard Buano zu Liegen babe, was, da jede Kubik⸗Mard ihrem Gewichte
nach auf 4 englifche Eentner berechnet wernen muß, 1,982,464,010 Gentner
oder 99,123,300 Tonnen giebt, woraus folgt, daß die Infel jährlich 50,000
Tonnen 2000 Jahre lang liefern könnte. Die höchfte anzunehmenne Ausfuhr
wären 500 Ladungen in einem Jahre; jede zu 200 Schiffö-Laften (2 Laſt find
glei 5 Tonnen) berechnet, und fo würde biefer Vorrath der einzigen Inſel
Chinchas erft in 200 Jahren erfchöpft fein, doch dürfte ſich in biefem Zeit
raume auch wohl eine nicht unbedeutende Maſſe wieder gebilvet Haben. Ganz
fo übermäßig hoch ift jedoch in Wahrheit ter Vorrath nicht, vielmehr ergab
die von einer Depitation von Ingenieuren im Anftrage der Megierung unter»
nommene Meſſung der Buanomafle für den Gefammtvorratb der drei Chin⸗
hass Infeln nachſtehendes Mefultat, welched vie peruanifche Geſandtſchaft zu
London am 7. Februar 1854 veröffentlichte. Die Lager haben vurchfchnitt«
lich ungefähr 60 Fuß Dicke und enthalten 12,376,100 Tonnen Guanoz dieſe
Schägung zeigt aber Meflungstonnen an, welche erfahrungsmäßig nach Ges
wichtötonnen ded Marktes berechnet eine Mehrheit von etwa ein Drittel erges
ben, wonach 15,501,466 Tonnen Gewicht noch von diejer Infelgruppe zu
verführen find; die anderen Lager follen erft noch gemeſſen werden. Der uns
ermeßliche Geldwerth, ven dieſe Maſſe repräfentirt, if Leicht zu berechnen,
wenn man weiß, daß die Tonne Buano gegenwärtig 9 Pfund Sterling in
England gilt, wovon die Hälfte auf die Bracht gerechnet wird.
Die reichfte ver Infeln ift Chinchas ſelbſt; an derfelben wird in biefem
Augenblide an ver Nord⸗, fowie an der Sühfeite gleichzeitig geladen. Die
Stelle, wo dad Brechen des Guano jetzt gefchieht, liegt nicht weit von dem
bewohnten Theile ver Infel. Sie beſteht aus einem hoben und fleilen Hügel,
auf deſſen Seiten jedem Arbeiter ein länglicher Haum von etwa zwei Ellen
Breite angewiefen ift, der von dem feines Nachbars durch aufrechtflehenve
maueräßnliche Guanofämme getrennt iſt. In viefem Raume fteht der Arbei⸗
ter und bricht oft unter großen Anflrengungen, ba der Guano in feinem Zu⸗
fammenbange fo hart ift, ala es nur Stein fein kann, mit Spighade und
Spaten große Stüde los, die fobann zu dem Buße des Hügeld nieberroflen,
wo fie gefleint und auf Schublarren ober in Säde gefüllt werben, um fie
zu den Ladungsplägen zu führen. Died gefchieht in orventlichen feften, mit
428 | Miscellen:
eifernen Schienen verfehenen Wagen. An ven Klippen, wo bie Labungepläge
befinplich find, Hat man Hohe Holzplanken in Form eines mit der Spige nad
außen gemwenbeten Dreiecks errichtet; aus ber Spige wird der Guano in bie
Schiffe Hinausgewälzt, und dieſe Arbeit, das eigentliche Verladen, iſt der wider⸗
wärtigfte Theil aller Befchäftigungen mit biefem Handelsartikel. Man ver
fährt dabei folgendermaßen:
Langt ein Schiff an, fo legt es fo nahe als möglich der Ladungsklippe
an, wirft dort an einem beitimmten Flecke feinen Ballaft in ven Ocean und
nimmt gleichzeitig dieſelbe Schwere an Guano ein, um das richtige Gewicht
zu behalten und fich gegen das limfchlagen zu fichern. Diefe Laſt wird ihm
“ auf der Infel gehörigen Prahmen zugeführt, ſodann geht es zurkd und nimmt
die Anterftelle auf der Rhede ein, welche ihm orbnungsmäßig nach der Zeit
feiner Ankunft zufdmmt, und erhält die Labetage zugemwiefen, welche oft bei
großen Fahrzeugen eine preimonatliche Liegezeit erfordern, während Fleine Fahr⸗
zeuge nach einer Formel zwifchenpurch belaben werden. Die weitere Belaftung
geſchieht auf zweierlei Arten, durch Boote, welche 40 bis 50 Tonnen Ladung
Halten umd fie nach der Rhede binausbringen, oder mittelft einer näher zu
befchreibenden Vorrichtung, „ver Schut (ehoot)* unter der Klippe ſelbſt. Die
erftere Art foll den Borzug vor der zweiten haben, geringere Abgaben zu
zahlen, was nur durch den Umſtand zu erklären fein wuͤrde, daß die Schifie
dadurch gezwungen find, einen längeren Aufenthalt an ver Infel zu nehmen.
Die Schut ift eine Tegelfürmig auslaufennde Röhre vom ftärfften Segeltudk,
welche oben auf ver Klippe mit ſchweren eifernen Ketten befeftligt wird und
bis Hinab in den Schifferaum führt. (Die jebige Ladeklippe Hat vie Höße,
daß fie ungefähr mit ven Toppen der Bramflengen in einer Horigontalebene
liegt). Undurchdringlicher Staub wirbelt in die Luft, wenn ber Guano durch
die Schut raufcht, und alle Vorficht der Seeleute, welche fich währen des
Ladens Mund, Ohren und Nafen mit Tüchern verbinden, und durch Aus-
fpannen von Segeln nach der Klippenfeite zu das Einpringen des fohmusigen
Stoffes in die Kaflıten zu verhindern fuchen, ift vergeblih, denn die Fahr⸗
zeuge nehmen fogleich ein ihre Fracht verrathendes graugelbes und höchſt un⸗
ſauberes Anfehen an. Die Infel befitt mehrere Schutd und kann mit jeder
derfelben ein Bahrzeug von 400 Tonnen in weniger, ald zweimal 24 Sthm-
den belaften, Eine in England beftellte und erwartete Mafchinerie foll vie
felbe Laft Fünftig in 14 Stunven in ein Fahrzeug fchaffen können.
Die Bemannungen der Schiffe dürfen die Infeln nicht betreten, da es zu
wiederholten Malen vorgelommen ift, daß zwifchen ihnen und den auf den»
ſelben ftationirten Arbeitern blutige Schlägereien ſtattfanden. Die Lebteren
find theilmeife Verbrecher, welchen eiferne Fußſchellen und fchmere Ketten das
Leben und vie ohnehin nicht Leichte Arbeit noch faurer machen, theils politis
ſche Gefangene, vie bei ven fo gut wie alttäglichen Aufftänden Peru's gegen
bie herrichenne Partei und Megierung eine befoldete over unbeſoldete Oppo⸗
Der Guano und feine Hauptfundorte. 429
fition bildeten und durch Zufall mit ven dort an der Tagesordnung feienben
Umflurzverfuchen fcheiterten, und envlich einer Anzahl Ehinefen, welche ihrer
Behauptung zufolge zwar freiwillig hierher gekommen, — wie manche Stim⸗
men angeben, durch falſche Vorfpiegelungen verlodt, — aber, wenigftens aus
dem Berlufte ihres volfsthümlichen Haarzopfes zu ſchließen, wegen ihres Vers
Halten gegen das Geſetz und die Geſellſchaft unfreiwillig ihr Vaterland ver⸗
Iaflen mußten. Sie führen ein qualvolles und entjeßliches Leben, fchlinmer
noch, als das der Gefangenen, deren 2008 es in der Megel if, nur A bis 5
Jahre bei der Guanoarbeit zu bleiben, für die aber im jeder Hinficht beſſer
geforgt ift, als für vie unglüdlichen ausgefloßenen Söhne des himmliſchen
Reiches, deren trübe Schwermuth auch der elendeſte der hieſigen Verbrecher
mit dem böhnenden Zuruf: „Chin! Ein!” noch neden zu Dürfen fich berech⸗
tigt glaubt. Wie Sclaven behandelt und Nachts in Höhlen unter ver Guano⸗
oberfläche eingefperrt, fuchen fe oft im Selbfimord das Mittel zur Befreiung
von ihrem Elende, und flürgen ſich von ver Klippe hinab in's Meer, ober
durch den Schut mit dem Guano auf das Schiff, wo dann ihre Leichen mit-
unter erft bei der Auslabung entdeckt werben. Nichts Tann betrübenber fein,
als der Anblick dieſer Menfchen. Im Geſicht und an den fänmmtlichen Glie⸗
dern von dem beißenden bräunlichen Staube bedeckt und mit zerriffenen Klei⸗
dern gewinnen ihre abſchreckenden Geſichtszuge, vie einem verbrecherifchen Reben
und einem ſchuldbedeckten Gewiſſen entfprechen, einen grauenhaften und Ban«
gigkeit erweckenden Ausdruck.
Die Arbeitszeit währt von 3 Uhr Morgens bis 10 Uhr Vormittags,
und von A Uhr Nachmittags bis 7 Uhr Abends; in verfelben ift jeder Ar⸗
beiter verpflichtet, täglich 90 Karren Buano zu brechen; was er über dieſes
Maß liefert, wird ihm befonvers bezahlt, wodurch er fich einen Sparpfennig
erwerben könnte, wenn er es nicht in ber Hegel verflünde, troß des Verbots,
Spirituofa auf die Infeln einzuführen, durch Schmuggelhandel fich im „Bisto*
den Duell des Vergeſſens feines Elendes zu verfchaffen. Der monatliche Ars
beitslohn ift außer der fchlechten Koft und dem Wafler, welches die Handels»
gejellfchaft, die ven Guano in Pacht Bat, befchaffen muß, 4 Piafter, oder, da
der Piafler Suͤd⸗Amerika's 1 Thlr. 13 Sgr. zu gelten pflegt, täglich 5 Sil⸗
bergrofchen und 9 Pfennige. Da die Infel felbft kein friſches fühes Waſſer
hat, ift jedem ankernden Schiffe vie ſehr verflännige Abgabe auferlegt, je
nach feiner Größe einen Vorrath von Wafler auf der Infel abzuliefern, und
zwar in dem PVerhältniß, vaß jene 100 bis 150 Tonnen Laſt eine Tonne
Trinkwaſſer befchaffen müffen.
Die Negierung von Peru bat ſelbſt mit ver Ausbeute des Guano nichts
zu Schaffen, ſondern geftattet vielmehr dem Meiftbietenden, gegen eine im Vor⸗
aus zu entrichtende Summe, auf eine längere over kuͤrzere Zeit, gewöhnlich
aber auf ein Jahr, die Verfchiffung Es Hat fich zu dieſem Zwecke eine
Sandelögefellfchaft gebildet, die aus verfchienenen, meift englifchen, großen
430 Mistellen:
Handlungshaͤuſern in Lima und Callao beſteht. Die größte Verſendung geht
nach England, und geſchieht immer auf Rechnung ber erwähnten Geſellſchaft,
fo daß an Ort und Stelle kein Guano verkauft wird. Die Fahrzenge, welche
ihn holen, müflen Lima oder Callao, und alle Pisko anlaufen, um dort zu
Flariren, woher in manchem Jahre nahezu ein halbes Tauſend Yahrzeuge vie
fen Fleinen Hafen befuchen. Um vie Souverainetätörechte der Republik aufs
echt zu erhalten und die Inſeln unzweiveutig als peruanifches Staatteigen-
thum zu bezeichnen, fowie um unter der Menge ber auweſenden Handelsfahr⸗
zeuge, vie alle Farben der bunteften Flaggenkarte aufweifen, die Ordnung zu
fichern, it ein Orlogsſchooner bier flationirt und mit Vollmacht und Mitteln
auögeftattet, ven Willen ver Megierung und das Geſetz zur Geltung zu bringen.
Die Zahl ver beſtaͤndig auf ver Infel Berweilenven beträgt in ber Regel
200 Köpfe. Ihre Anflelung, wenn man ven Aufenthalt vafelbfi fo nennen
darf, liegt an dem nörblichften Punkte, bei einer fteil, wie eine Mauer, ab⸗
flürgenden Selfenwand, von welcher eine mit großer Mühe angelegte Treppe
zum Strande binabführt. Die Wohnungen der Buchhalter ver Gefellfchaft
und Aufjeher der Arbeiter find nothdurftig aus Brettern zufammengenagrlte
Häufer, und vie Arbeiter felbft wohnen in einer Art Hütten von Bambus:
ftöden und Mobrmatten, im Viereck ausgeführt und etwa A Ellen hoch, aber
bald von größerem, bald von Fleinerem Umfange, und in verfchiebene innere
Näume geheilt, vie jedoch ſtets fehr ſparſam bemefien find, nur ven Platz
für die allernothwendigften Geräthichaften geftatten, bed gevielten Fußbodens
entbehren, und fich im völligfien Naturzuftande befinden. Die Chineſen find,
wie ſchon bemerkt, von den Peruanern getrennt und friften als Höhlenbewoh⸗
ner ihr trauriged Dafein. Noch weiter nörblicher, als viefe wüfte Aufent
balteftätte ver Lebenden, befindet fich ver legte Ruheplatz der hier von ihren
Banden Befreiten. Wohl ſchwerlich giebt «8 irgendwo einen fdhauerlicheren
und abſchreckenderen Kirchhof, als viefen auf der Infel Chinchas. Da feine
Erde vorhanden ift, fo bettet man die Leichen im Mül des Guano, größere
Städen darauf zu formlofen Grabhügeln zufammenwälzend, die den ſchmud⸗
Iofen Grabmälern und Kreuzen Taum fo lange eine erhaltene Stüße fiat,
als der darunter liegende Leib gebraucht, vie Auft mit entfeglichem Bermwefungd
geruch zu erfüllen und im Guano ſelbſt zu Guano zu werben.
So wenig Erheiterung auch für die Befehlshaber und Offiziere ber Fahr⸗
zeuge auf ber nackten Blur, ober, richtiger ausgedrückt, Yläche, wo fein Baum,
fein Strauch, Fein Grashalm, nicht einmal ein wenig Moo8 aus bem roth:
braunen Boden berborfprießt, wo der Zuß nur jeden Augenblict in Vertie⸗
fungen tritt, worin Zaufende von Vögeln haufen, varbietet, fo berrfcht doch
viel Gefelligkeit unter der Menge der Gapitaine, welche gezwungen find, bier
eine längere Liegezeit im Müſſiggange zu verbringen. Man flattet fich gegen
feitig Befuche ab, unmanbelt die Injeln, an verem Rande fich hier und dort
die Bergwaͤnde in's Meer Hinabfenfen, das unabläffig feine Brandung fchän-
Der Guano und feine Hauptfunborte. 481
mend baran bricht; befucht die Klippen, vie, freiftehenn außerhalb der Intel
oft in hoͤchſt phantaflifchen Formen umherliegen und mitunter ſich nur als
losgeriſſene große Stüde des den Guano tragenden Felſens ausweiſen, viels
leicht durch die verzehrende Gewalt der beizenden Maſſe abgelöfl. Die Klippen-
wände find felten glatt; große geräumige Grotten mit Durchgängen von einer
zur andern, dem Bußgänger und zuweilen auch Booten zugänglich, ungeheure
Klüfte und Hervorfpringenne Blöde geben ihnen ein gebrochenes, oft groß⸗
artiged und majeftätifches Anſehen. In jenem Schlupfloch figen Bögel zu
Taufenden; bald find es große, zur Familie der Pelikane gehörenve räuberifche
Tölpel (Sula fusca), bald ift e8 der Verfünder eines herrlichen Klima's und
eines Oceans, auf welchem das Schiff tagelang in geraver Linie und ohne
erhebliche Veränderung der Segelftelung feinem Ziele entgegeneilt, der ebenfo
grazidfe und ſchoͤne, als vichterifch benannte Phaston oder Tropikvogel; dann
in ungeheuren Schaaren Mövenarten, wie vorzugsweiſe der Scheerenfchnabel,
tie Quebranta huessos oder der Beinbrecher, der von Patagonien aus auf
feinen gierigen Jagbzügen den anderen Waſſervögeln bis Hierher folgt; und
faum weniger zahlreich, ald die Möven, die Schwalbenfturmudgel. Sie alle
bemühen fich in einem gemeinfchaftlichen Goncerte, ſitzend oder über ver Waffer-
fläche flatternd, ihre Stimmen, die meift rauh und heiſer tönen, erflingen zu
lafien. Seelöwen ſchwimmen oft in Schaaren umher und jagen nach ven
Pferdemakrelen, vie bier vie Größe von ſtarken Schelffifchen erreichen, und
werfen fie, wenn fle biefelben erreicht, fpielend, Hoch aus dem Waſſer, in ver
Zuft danach fihnappend. In weifer Vorſicht verbot die Regierung von Peru
daB Jagen und Erlegen ver Vögel und Serlöwen, um bie immerhin möglis
hen Guanoerzeuger vor Störung ober gar Verfolgung und Ausrottung zu
fihügen. Jever im Bereich ver Infel abgefeuerte Schuß zieht eine Strafe von
5 Biaftern nach ſich. Der Befehlshaber des Schooners Hat aber das Recht,
zur Bereicherung ver naturhiftorifchen Sammlungen die Erlaubniß zur Er⸗
Iegung einzelner Thiere mittelft Steinwärfen und durch Knittel zu geben.
Der Zifchfang iſt Hingegen erlaubt und völlig frei, und durch die ein⸗
fache Manipulation ver Herablaffung großer Körbe in das Waſſer ziehen vie
Matrofen Tauſende von Fleineren und größeren Fifchen aus den Wellen auf
ihren Tifch. Auch Haye umfchwärmen Häufig die Fahrzeuge und bei Wind-
ſtille fegen die Walen, welche dieſe Gegenden befuchen, um ihre Jungen zu
gebären, das Meer in Heftige Bewegung, ihre dampfende Waflerfäule oft bis
zu 15 Fuß Höhe ausfprigenn. Zahllofe Weichthiere und Kruftenthiere leben
in den Tangarten, von denen die Klippen umgeben find, und wenn der Tod
und die Reſte des Todes in finfterer Einfamfeit auf der Höhe ver Infeln
tbronen, bewegt fih um und unter venfelben dad mannigfaltigfte Leben.
Des herrlichen Klima's ift fchon gedacht worden; nie fällt Regen in die⸗
fen Gegenden, fchwerer Thau erfegt auf den nahen Küften Peru's nothdürf⸗
tig den befruchtenden Niederſchlag. Stürme und Orkane find eben fo unbe⸗
432 Miscellen: Der Guano und feine Hauptfundorte.
kannt und immer fchönes Wetter macht ven Namen „flilles Meer“ zur voll⸗
fommenften Wahrheit für den hier ſanftwogenden Ocean, den die peruanifchen
Küftenfahrer mit Bahrzeugen durchfurchen, deren Segel Feine Reffbännfel
haben.
Die Rhede zwifchen ven Infeln bat zwar eine etwas offene Lage, da aber
die harten Winde bier nie vorfommen, liegt man in der größeften Sicherheit.
Der Ankerplatz für vie großen Fahrzeuge ift an ver Norbfeite ver Infel Ehin-
has, hat guten Grund und 15 bis 24 Faden Tiefe, vie fich auf Die Entfer⸗
nung von 1 bi8 14 engl. Meilen von der Küfte bis auf 30 Haben fleigert.
Die Fahrzeuge, welche an ver Klippe an ver Schut liegen, pflegen des Nachts
wegen einer flarfen Wogenfchwellung (Deining) zur größeren Sicherheit einige
Faden weiter heraus zu legen. In den Monaten April und Mai iſt dieſe
Deining am fchwerften, weshalb in dieſer Zeit wenig Bahrzeuge bier zu. fein
pflegen, da bie Landſee dann fo ſtark gebt, daß fle zu heftig fchlingern (fchau-
keln), um unter dee Schut laden zu Tönnen. In ben übrigen Monaten er⸗
reicht oft die Zahl ver verfammelten Schiffe die Höhe von 90 und 100, was
dann den unzuverläffigen Matrofen Leichte Gelegenheit zur Defertion giebt,
indem fle fich an Bord eines fegelfertigen Fahrzeuges verbergen, bis daſſelbe
bei feiner Rüdfahrt wieder auf hoher See angelangt if.
Ein Paar Uintiefen in ver Nähe ver Infeln find durch Bojen kenntlich
gemacht. Fiß-Moy ließ von feinen Offizieren eine Speziallarte des Jahr⸗
waflerd aufnehmen, bie fehr gut fein fol; es fehlte aber auf verfelben die
Angabe einer Fleinen felfigen Lintiefe, die nur durch wenige Fuß Waller be
vet iſt. Sie liegt im Weſt⸗Süd⸗Weſten von Jsla Blanca, in geraber Linie
zwifchen Balleſta's und San Gallan's öͤſtlichſten Vorgebirgen, ungefähr auf
dem Drittel diefer Linie, von der erfleren Infel entfernt. Drei Bahrzeuge
wurben das Opfer des Ueberſehens verfelben; das Ießte, im Jahre 1851, war
ein peruaniſches Barkſchiff von 400 Laften, es lief auf und ging völlig ver⸗
Ioren. Diefer Unfall bewirkte die Anmeldung der Klippe bei ver Regierung,
welche nun auch dieſe Untiefe mit einer Boje bezeichnen ließ, um fo vie Fahrt
zu erleichtern und ficherer zu machen.
u. v. Ekel.
XI.
Die Welfer in Augsburg ald Befiter von DVene-
zuela und die von ihnen veranlaßten Expeditionen
der Deutſchen dahin.
Der Gegenftand, der in dem Folgenden abgehandelt wird, ift Fein
ganz unbekannter, aber er hat das feltfame Schickſal gehabt, theils
mangelhaft und unvollfiändig mitgetheilt zu fein, theild find die Namen
fo entftellt worden, daß man über fie völlig zweifelhaft blieb, und erft
dem verdienten Meufel verdanken wir ihre genaue und fichere Beftims
mung. Leider aber ift der kurze Aufſatz, den er darüber mittheilte, fo
wenig beachtet worben, daß man ihn faft vergefien nennen fann. Eine
berichtigte und vervollftändigte Erzählung fehlt noch, und dennoch iſt
die Begebenheit wichtig genug, um einer foldden werth zu fein.
Als der große Entveder der neuen Welt, ChHriftoph Columbus,
im Jahre 1498 feine dritte Reife angetreten hatte, waren Neider und
Mißgünftige nur zu eifrig bemüht, ihn um ale Früchte feiner erfolg⸗
reihen Beftrebungen zu bringen. Einer der eifrigften war der Bifchof
von Badajoz, ein für feine Zeit fehr mächtiger Mann, denn er bes
forgte die Gefchäfte des Staatsrat) von Indien, und hatte vielfache
Gelegenheit, ihm zu fchaden. Ein wagehalfiger Abenteurer, deſſen Unters
nehmungsgeiſt durch die neuen Entdedungen gereizt wurde, und ber den
Haß des Bifchofs gegen Eolumbus fannte, wandte fih an den Bifchof
mit der Bitte, ihm zu erlauben, Schiffe auszurüften, um eine Ent
dedung fortzufegen, welche nichts weiter al8 Muth und Ausdauer vers
langte. Dem Bifchof war diefer Vorfchlag jehr willlommen; er nahm
unferen Abenteurer, der ſich Alfonfo von Djeda nannte, mit offenen
Beitfchr. f. allg. Erdkunde. Br. V.
434 Ä 8. v. Klöden:
Armen auf, denn er erkannte in ihm einen Dann, der vielleicht den
Ruhm des Columbus verbunfeln, jedenfalls aber theilen würde. Er
ertheilte die erbetene Exrlaubniß und lieferte dem Ojeda die Karten und
Schriften des Columbus aus, allein von den Fatholifchen Königen unter:
fchrieb Feiner die Erlaubniß, denn ihr Inhalt verlegte den Bertrag, den
fie mit dem Admiral Columbus abgefchlofien hatten.
Eine große Zahl von Spaniern und Ausländern fand ſich zu
fammen, um durch neue Abenteuer ihr Glück zu machen. Ojeda trieb
in Sevilla fo viel Geld auf, daß er vier Schiffe ausrüften fonnte. Zu
feinem Ober» Steuermanne erwählte er den Biscayer Johann de la
Coſa, einen erfahrenen muthigen Mann. Ein in der Echifffahrt und
Geographie wohl geubter reicher Kaufmann aus Florenz, Amerigo
Befpucei fhoß Geld zur Ausrüftung her, und entfchloß fich, Die Reiſe
mitzumachen. Am 20. Mai 1499 ging die Flotte unter Segel. Schon
am 27ſten Tage erreichte man Land und überzeugte fich bald, daß man
fefted Land gefunden hatte. Ojeda befchloß, der Küfte zu folgen, um
einen bequemen Hafen aufjufuchen, den er auch bald fand. Es fehlte
nicht an Einwohnern, die fich friedlich zeigten, aber von Gold, nad
dem man fo begierig fürchte, fand fich feine Spur. Ojeda verweilte hier
27 Tage, verforgte ſich mit Lebensmitteln und fegelte an ber Küfte
entlang weiter, bis er abermals auf einen Hafen traf, wo er zu feiner
Verwunderung ein Dorf entdedte, welches wie Venedig gebaut war.
Es fand nämlih im Waſſer auf Pfählen, die Häufer hingen mittel
Zugbrüden zufammen, und es waren Ihrer 26. Ojeda nannte das Dorf
Denezuela, das heißt Klein⸗Venedig, und noch jetzt führt der Ort ven
Namen. Damit war die Küfte dieſes Landes entdedt, deſſen Ent
dedungsgefchichte wir nicht weiter verfolgen, da eine andere Unterneh
mung unfere Blide auf fich zieht.
Seit der Entdedung von Venezuela waren 27 Jahre vergangen,
EHriftoph Columbus war geftorben und Amerigo Veſpucci ohne fein
Zuthun die Ehre zu Theil geworden, daß der ganze Welttheil nach ibm
den Ramen empfing. Die Zahl der Entdeckungen hatte ſich ungemein ver-
mehrt, ald die Küfle Benezuela’s von Neuem die Blide auf ſich 309.
Der ungeregelte Zuftand der neu entvedten Länder, der große
Ruf von den unermeßlichen Reichthümern derſelben und die geringe
Wehrkraft ihrer Einwohner waren Lockmittel genug für ein ganzes Heer
Die Welfer in Augsburg als Beſitzer von Venezuela ıc. 435
von Abenteurern aller Nationen, welche auf Seeraub ausliefen und
fich zunächft in den weftindifchen Infeln ftationirten. Bald erfchallten
Klagen über Klagen wegen der entfehlichen Gewaltthaten dieſer gott
vergefienen Menjchen. Sie fingen die Einwohner des Feſtlandes von
Amerika, fchleppten fie al8 Sclaven fort, entwölferten alle Küften, und
begingen die abfcheulichiten Näuberein. Man glaubte dem entgegen
zu arbeiten, wenn man die Rieberlaffungen vermehrte, weil ınan hoffte,
die Befehlshaber würden dann im Stande fein, den frechen Raubzügen
Einhalt zu thun. Am meiften war die ganze Küfte von Venezuela dies
fen Räubereien audgefeßt. Deshalb befam der Fönigliche Factor Jos
bann von Ampuez Befehl, dort den Grund zu einer Stadt zu legen.
Es war eine ſchwierige Aufgabe, denn er erhielt dazu nur 60 Mann,
allein die Leute Hatten Muth und guten Willen. Sie landeten zu
Venezuela und fanden den Ort noch, wie ihn Alfons von Ojeda vers
(affen Batte. Das Land umher wurde von den Einwohnern Korlana
genannt. Ein mächtiger Kazike, Manaure, herrſchte Dafelbft über fehr
tapfere Indianer. Johann von Ampuez trug ihm ein Bündniß ar,
und fand ihn dazu geneigt. Seht wurde nun die neue Stadt ange
legt und erbaut. Man gab ihr den Namen Eoro, und war genöthigt,
Brunnen anzulegen. Die Stabt hatte zwei Häfen. Das fehr ausge⸗
dehnte Land war hoͤchſt angenehm und bildete eine vortreffliche Pros
vinz, in deren Mitte der große See Maracaibo einen der größten und
prächtigften Meerbufen darſtellte. Es machte den Spaniern wenig
Mühe, ſich in den Beſitz des fchönen Landes zu fegen, aber mitten in
feinen Anftrengungen wurde Johann von Ampuez genöthigt, den Platz
Ausländern zu überlaffen.
Kaiſer Karl V. vermählte ſich nämlich im Jahre 1526 mit der portu-
giefifchen Prinzeffin Ifabella, König Emanuel's Tochter. Um diefe und
andere große Ausgaben zu beftreiten, war er genöthigt, bei den über:
reichen augsburgifchen Kaufleuten, den Welfern, ein Anlehen zu machen.
Auf ihren Borfchlag verglich er fich mit ihnen dahin, daß er ihnen für
eine beftimmte Summe Geldes die ganze Landſchaft Venezuela im Jahre
1528 als ein Erblehen überließ, denn das Land war ihnen als ein
überaus goldreiches gerühmt worden. Die Bedingungen, unter weldyen
fie es erhielten, find merkwürdig genug, um ihnen hier eine Stelle zu
gönnen.
28 *
436 K. v. Klöden:
Die Welfer follten das Land im Namen der Krone Caſtiliens
vollends erobern und Alles einnehmen, was zwifchen dem Gap La Vela,
wo fich die Statthalterfchaft St. Martha endigt, und dem Cap Maraca-
pana liegt. Sie follten fich auch aller Infeln bemächtigen, die in dieſen
Raume find, ausgenommen die Infeln Curacao, Oruba (jet Aruba)
und Bonayre, die Ampuez zu behalten hatte, und in der ganzen Gtrede
dieſes Landes zwei neue Wohnpläüge und drei Schanzen erbauen, endlich
zu diefem Unternehmen wenigſtens 300 Dann anmerben. Sie follten
50 deutfche Bergleute fchaffen und dieſelben in alle Provinzen verthei⸗
fen, in denen fih Spanier in Indien niedergelaffen hatten; alle dieſe
Bedingungen waren innerhalb eined Jahres zu erfüllen. Der Kais
fer verband fich feinerfeits, das Amt eines Alguazil-Majord und Ares
lantaden unter den Welfern bei der Berfon und den Rachlommen des—⸗
jenigen erblih zu machen, den fie aus ihrer Familie dazu erwählen
würden. Sie follten ferner A Prozent Gewinn von Allem haben, was
man aus dem Lande ziehen würde, das fie eroberten; 400,000 Mara⸗
vedi's hatte der General und 200,000 Maravedi's der Lieutenant an
Gehalt zu beziehen, dem fie das Unternehmen auftrugen. Sie follten
befreit fein von dem Zolle für die Einfuhr aller Lebensmittel, die fie
aus Spanien kommen laſſen würden. Sie erhielten 12 Quadratmeilen
Land, das fie in ihrem Namen anbauen laffen fonnten. Pferde, Stu;
ten und allerlei Vieh Fonnten fie aus den Inſeln des Windes nehmen,
namlich aus den großen Antillen. Die Indianer durften fie zu Scla⸗
ven machen, wenn fie fich nicht gutwillig unterwürfen, und die fchon
Gefangene waren, konnten fie taufen, dies jedoch nicht ohne Theilnahme
der Mifftonarien und Föniglichen Beamten. Den Vierten von ihren
Sclaven follten fie an die Föniglichen Gefälle bezahlen. Sechs Jahre
lang follten fie eben das Recht haben, wie die Unterthanen der Krone
Gaftilien, aus den Arfenälen von Sevilla alles das zu nehmen, was
ihmen nöthig fein würde, ſich auszurüften. Endlich mußten fie ſich
allen Verordnungen unterwerfen, welche die neu eroberten Länder be:
trafen. Weil ſich aber auf allen Seiten große Unordnung eingefchlichen
hatte, indem man Alles verhehlte, was man indgeheim an Gold oder
foftbaren Waaren erhandelte, wodurch das Fünftel des Könige jeht
vermindert wurbe, fo hatten die föniglichen Beamten die Macht, genauc
Unterſuchungen anzuftellen, und der Aubitor zu St. Domingo erbielt
Die Welfer in Augsburg ald Beſiher von Venezuela ıc. 437
Befehl, zu verhindern, daß die Fahrzeuge der Infeln und anderen Län-
der feiner Gerichtöbarfeit Handel auf der Küfte von Venezuela trieben.
Diefer merkwürdige Contract giebt zu vielen Bemerfungen Ber
anlaſſung; namentlich erfcheinen die vom Gewinne der Unternehmung
verheißenen A Procent bei einem Wagniß, das fiete Lebensgefahr, uns
ermeßliche Mühen und eine Menge von Menfchen erforderte, fo außer
allem Verhaͤltniß, und felbft die Sclaven, die man erft einfangen, dann
ernähren und bewachen mußte, boten in einem uncivilifirten Lande fo
wenig Bortheile, daß diefe beinahe illuforifch erjcheinen. Indefien war
in jenen Zeiten das Papier noch gebulbiger, als jebt, die Eontrolle im
fernen Lande über alle Maßen Fäglih, und ein bewaffneter Haufe von
mehr als 400 Europäern in Südamerifa allmächtig; ängftliche Ges
wifienhaftigfeit incommodirte Niemanden, am wenigften die Conquiftas
doren, und vor den Augen des Kaifers, in deffen Reichen die Sonne
nicht unterging, war ed, wenn er nach Amerifa fah, nur zu oft Nacht.
Die Welfer griffen nun ihre Unternehmung fräftig an. Ihnen
galt ed natürlich vor Allem, ein gutes Gefchäft zu machen, und dem⸗
gemäß wählten fie ihre Leute, lauter Deutfche, und rüfteten fie beftens
aus. 400 Fußknechte und 80 Reiter wurden angeworben, zum Haupts
mann der ganzen Schaar wurde Ambrofius Alfinger ernannt, zu ſei⸗
nem Lieutenant Bartholomäus Sailer ), und zu Anfang ded Jahres
1529 langten unfere Deutfchen wohlbehalten zu Coro oder Benezuela
an. Sohann von Ampuez fah fich feiner Statthalterfchaft nicht ohne
Verdruß beraubt und wurde auf die vorgedachten Infeln Curacao,
Oruba und Bonayre bejchränft. Leider nahm er alle Wohlfahrt und
alles Glüc mit, welche die Provinz bis dahin genofjen hatte, denn es
begann nun eine traurige Zeit, in welcher fich die Brutalität in ihrer
abfcheulichften Geftalt offenbart. Vor Allem ging man darauf aus,
Gold zu befommen, und durch die verhaßteften Mittel, durch Peini⸗
gungen aller Art wurden die unglüdlihen Indianer gezwungen, es
herbeizufchaffen Der Kazife Manaure wurde nicht beffer geachtet, als
jeder andere Indianer. Man legte ihn auf die Folter, und er follte
1) Mahrfcheinlich ein Verwandter des Johaun Seller ans Bamberg, für welchen
Johann Schöner ans Nürnberg 1520 eine Erdkugel von 3 Fuß Durchmeſſer anferti⸗
gen mußte (Irving, Columbus X— XII, 400), vie noch jept in Nürnberg aufbes
wahrt wird.
438 8. v. Klöden:
befennen, wo er fein Gold habe. Wahrfcheinlidh wäre er ein Opfer
der fchredlichen Marter geworden, wenn es ihm nicht gelungen wäre,
zu entfpringen und in bie Gebirge zu flüchten. Nun rüdte Alfınger
nach dem See Maracaibo in das Land der Araguer, plünderte und
morbete blutbürftig Alle, die fich ihm widerfegten, und verkaufte Tau-
fende in die Sclaverei, um Gold zu erhalten. Zur Entfchuldigung
dieſer Greuel wurde angeführt, die Araguer feien Menfchenfrefier, eine
Beſchuldigung, deren Richtigfeit wir dahin geftellt fein laſſen müſſen
Die Araguer waren Alfinger mit vielen Breudenbezeugungen, tanzend
und mit reichen Gefchenfen an Gold entgegen gegangen, er aber ver-
ſchonte Niemanden. Einen großen Haufen derſelben jagte er in ein
Haus, wo er die Unglüdlichen in Stüde hauen ließ; eine Anzahl hatte
ih auf das Dach des Haufes geflüchtet, er ließ das Haus anzünden
und fie fämmtlich verbrennen.
Nunmehr zog Alfinger mit feinem fchon ziemlich gefchmolzenen
Trupp, der durch ftete Nachſendungen aus Europa faum in der ex
forderlichen Stärfe zu erhalten war, zu den Bolabujern, weftlich vom
Maracaibo. Das Volk war friedlich, befaß aber zu feinem Unglüde viel
Gold. Da Alfinger’8 Truppe durch die härteflen Strapagen und tau⸗
jenderlei Mühfeligfeiten, forwie durch den verzweiflungsvollen Widerſtand
der Indianer gar fehr abgenommen hatte, auch an Krankheiten litt, fo blieb
er hier eine Zeit lang ftehen. Obfchon die Eingeborenen ihn fehr freund:
lich bewirthet und reichlich befchenkt hatten, ließ er doch bei feinem Abzuge
alle Männer, Frauen und Kinder, die er befommen fonnte, ergreifen,
und in eine große mit einem hohen Stafetenwerfe umgebene Bucht ein-
fperren. Hier mußten fie fo lange Hunger und Durft erleiden, bis cin
Jeder ein großes Stüd Gold aufgebracht hatte. Wer es nicht Fonnte,
mußte vor Hunger und Durft verfchmachten.
Die Deutfchen zogen nun in das benachbarte Land der Alfohola:
der, denen fie viel Gold mit der erfinnlichften Graufamfeit abzwangen,
und alle ihre Wohnungen verbrannten, ja fie verwüfteten das ganze blut
gedüngte Land von Tamalamefe bis an den Fluß Lebrixia und felbk
bis in die Statthalterfchaft St. Martha hinein mit Feuer und Schwert,
überall blutige Zußtapfen zurüdlaffend. Unglüdlicher Weife Hatte ſich
ein Oerücht verbreitet, dem Alfinger und feine Truppen nur zu gern
Glauben fhenkten. Im Innern von Südamerika, hieß es, weit von
Die Welfer in Augsburg als Beſiher von Venezuela ıc. 439
dem Meere entfernt, liege an einem See ein fo goldreiches Land, daß
die Einwohner, die auch fehr civilifirt und kriegeriſch feien, nicht nur
das Gold und das Silber flatt aller anderen Metalle gebrauchten,
fondeen auch ihre Häufer damit deckten und ſich vollftändige Waffen⸗
rüftungen davon machten. Der Name dieſes Volkes fei Omegas, und
feine fehr große, ſchoͤn gebaute und reiche Hauptftadt liege an dem
vorgedachten See und umfafle den größten Theil der Einwohner bes
Landes.
Der Urfprung diefer weit verbreiteten Sage von dem Goldlande,
von den Spaniern EI Dorado genannt, iſt unbefannt. Sie fol füb-
amerilaniſchen Urfprungs fein, und es ift wohl möglich, daß die In⸗
bianer, welche Die große Goldgier der Europäer mit Erſtaunen kennen
lernten, diefen das Mährchen aufbanden, um fie nach dem Innern dee
Landes in unwirthbare, von den Küften weit entfernte Gegenden zu
loden, wo fie von ihren Schiffen abgefchnitten waren und leichter den
Untergang finden mußten. Wie dem aber auch fei, Alfingers Begierde
war rege geworben, er wollte nach dem Golblande hin und fich des
goldenen Haufes, das dafelbft vorhanden fein follte, bemächtigen. Er
machte fih auf einen weiten Zug gefaßt und fing damit an, einen
großen Vorrath von Lebensmitteln zu fammeln. Der Transport der⸗
felben machte ihm feine Schwierigkeit. Ex ließ eine große Menge Ins
bianer zufammentreiben und fie in vderfelben Weife fefieln, wie man
die Galeerenſclaven feflelt. Ein Jeder Hatte außer feiner Kette am
Halfe noch eine Laft zu tragen, welche einem Maulefel zu ſchwer ges
weien fein würde. Der größte Theil diefer Unglüdlichden kam vor
Kummer und Entfräftung um. Sank einer von ihnen unter feiner
Laft nieder, fo Hielt man fich nicht Damit auf, ihm die Kette vom Halfe
zu nehmen. Man half fich auf fehnellere Weile und fchlug ihm den
Kopf ad. ES ift entfeplich, wenn das Thier im Menfchen entfefjelt
wird, und die Habfucht mit grimmigen Krallen feine Begierben ftachelt.
Vergebens aber waren alle Anftrengungen Alfingers, das goldene Haus
ließ ſich nicht erbliden. Er erfannte, daß er einem Schattenbilde nach-
iage. Alfinger wurde bei vielen Gelegenheiten gefchlagen, und bie
Hälfte von den Deutjchen, welche den vergifteten Pfeilen entgingen,
ftarb ſchon nach wenigen Monaten an den übermäßigen Mühen und
Befchwerden, fo daß, wenn die Welfer nicht fortwährend neue Refruten
440 K. v. Klöden:
nachgefchickt Hätten, ver ganze Haufen fchon längft vernichtet worben
wäre.
Drei Jahre hatte dieſe ſchaͤndliche Wirthſchaft bereitd gebauert,
und noch war nicht daran gedacht worden, einen von den beiden Pläßen
zu erbauen, wozu man fich doch anheifchig gemacht Hatte. Auch für
die Belehrung der Indianer follte geforgt werden, und zu dem Ende
war dem Zuge eine Anzahl Dominikaner zugefellt worden. Weil aber
die Deutfchen ſich ſaͤmmtlich der neuen [utherifchen Lehre zugewendet
hatten, fo fümmerten fie fi wenig um die Dominikaner, und biefe
vermochten ohne ihre Unterflühung nichte.
Ein neuer Zug, den Alfinger anführte, ging ſuͤdwaͤrts ein Hohes
Gebirge hinauf, das die Europäer noch nicht betreten hatten. Sie
fanden die Luft hier ſehr kalt und fließen zugleich auf eine Bölfer
ſchaſt, welche fich fehr tapfer wehrte. Alfinger felber wurde gefährlich
verwundet. Man brachte ihn zwar nad) Eoro, allein er ſtarb an bie-
fer Verwundung im Sahre 1532. Nach feinem Tode fiel das Com⸗
mando an feinen Lieutenant Bartholomäus Sailer, doch konnte biefer
ſich deſſelben nicht lange erfreuen, denn er folgte nach kurzer Zeit fer
nem Vorgänger im Tode nach.
Die Welfer fcheinen bei der Unternehmung nicht Die goldenen
Früchte gefunden zu haben, welche fie fich verfprachen, denn fie ließen
die Stellen der Befehlshaber mehrere Jahre unbefeht, und fchidten
auch Feine neuen Truppenfendungen. Da die Provinz Venezuela faſt
ganz vom Volke entblößt war, glaubte die Fönigliche Audiencia, fie
müßte wenigftend unterdeflen einen Befehlshaber jo lange dazu emem
nen, bi6 der SKaifer anderen Befehl überfenden würde. Ihre Wahl traf
den Johann von Earvajal. Derfelbe erhielt ven Befehl, nach Coro zu
gehen und fich die Wiederherftellung der dortigen Zuflände angelegen
fein zu laffen. Niemand war dazu weniger geeignet als er, dagegen
faum einer fähiger, das Gegentheil zu bewirken. Vielleicht hat es nie
einen böferen Menſchen gegeben. Seine Ausfchweifungen machten for
gar, Daß man die der Deutfchen vergaß, und von allen Seiten erhoben
fih Taute Klagen über fein empörendes Verfahren. Carvajal's Grau.
famfeit entvoͤllerte bie ganze Küfte von Venezuela, eine ber frucht-
barften und volfreichfien der Erde.
Endlich fandten die Welſer im Jahre 1534 wieder einen Statt
Die Welfer in Augsburg ald Beſitzer von Venezuela ıc. 441
halter nach Venezuela, den Johann Alemann, deſſen Stellung gegen
den Johann von Garvajal, wie es fcheint, ganz unentfchieven blieb.
Ehe ſich dies BVerhältniß vegelte, ſtarb Alemann nach furzer Zeit, und
abermals mußten die Welfer an eine Beſetzung des Poftens denen.
Sie wählten diesmal einen verfuchten beutfchen Kriegsmann, den
Förg oder Georg von Speier, und gaben ihm den Nicolaus Federmann
zur Hülfe und Begleitung mit. Georg von Speier wurde als Gou⸗
verneur nach Venezuela gefchidt, während Johann von Carvajal noch
im alten Verhältniß geblieben zu fein fcheint, und in feinen Gewalt
thätigfeiten fortfuhr. Es gefhah Died im Jahre 1535. Nicolaus Fer
dermann ging fogleich an das Werk, bei dem Vorgebirge Bela eine
Stadt zu erbauen, gab aber den Plan mannigfacher Hinderniffe wegen
wieder auf. |
Unterbefien hatte die Nachricht von dem berühmten Goldlande im
Innern von Südamerifa auch unfere Deutfchen erreicht, und ihre Bes
gierde lebhaft rege gemacht. Noch verwegener als die Spanier, tras
fen fie alle Anftalten, fi dahin zu begeben und daſſelbe auszuplündern.
Mit 400 Mann trat Joͤrg von Speier einen Raubzug in das Innere
des Landes an, von dem und nur wenige Nachrichten erhalten find,
obgleich er 5 Jahre lang dauerte, fich weit erftredte und an Abenteuern
aller Art reich war; nur ein trauriger Reft von 80 Mann fehrte
aus demfelben zurüd. Nicolaus Federmann hatte fih von Georg von
Speier getrennt und beftand feine Abenteuer auf eigene Hand, denn
feiner von ihnen wollte fich dem Andern unterorbnnen, und fo war des
Haders zwifchen ihnen fein Ende. Wir bevauern, darüber ohne Rache
richten zu fein. Zwar hat Federmann die Gefchichte feiner Reife drucken
laffen, died Buch ift aber eine außerordentliche Seltenheit und, wie es
fcheint, nur noch in einem einzigen Exemplare vorhanden, welches fich
früher in der Klofterbibliothek zu den Mengen in Ulm befand und jebt
wahrfcheinlich der Föniglichen Centralbibliothek in München angehört.
Der Titel des Buches if: Indianifche Hiftoria; eine fchöne kurzwei⸗
lige Hiftoria Nicolaus Federmanns des Jüngern von Ulm erfter raife,
fo er von Hifpania und Andalofia aus in Indias des Dreanifchen
Mörs gethan hat, und was ihm allda begegnet bis auf fein Wieder⸗
kunft in Hifpanien, aufs kurzeſt befchrieben, ganz luſtig zu leſen. 1557.
A. Am Ende fleht: Getrudt zu Hagenaw bey Siegmund Bund. Die
442 8. v. Klöden:
Beichreibung wurde nach Federmann's Tode von Hans Kifhaber ber:
ausgegeben. Sie it 63 Blätter flarl. Da es mir nicht möglich ge:
weien ift, das Buch zu benugen, fo kann ich von dem Inhalte nichte
mittheilen.
Da Georg von Speier den Welfern vielleicht nicht tüchtig genug
erfchien, fo entfchloffen fie fich, die Sache dadurch zu fürbern und das
berühmte Goldland El Dorado endlich enideden zu laflen, daß fie eine
neue Expedition ausrüfteten und der noch abweienden zu Hüffe ſchid⸗
ten. Wie wichtig e8 fei, einen tüchtigen Befehlöhaber an die Spike
zu ftellen, war ihnen deutlich geworden, und forgfältiger als früßer
verfuhren fie diesmal in ihrer Wahl. Es gelang ihnen, den geiwünid-
ten Mann für ihre Pläne zu gewinnen und mit ihm einig zu werben.
Dies war der Faiferliche Kriegsobrifte Ritter Philipp von Hutten,
Bruder bes Bifchofs Morig von Hutten zu Eichfledt. Er gehörte mit
dem berühmten Ulrich von Hutten demfelben Gefchlechte an, aber wäh
rend dieſer der Stedelberg’fchen Linie fich zuzählte, gehörte jener der
Srantenberg’fchen an. Er wurde ald GouverneursLieutenant und Wis
litairsCommandant von Venezuela nach Amerika gefandt, war alie
dem Georg von Speier untergeordnet. Biederherzig, ritterlich, kühn
und unerfchroden, ſcheint Ruhmbegierde und Luft an gefährlichen Aben-
teuern ihn allein vermocht zu haben, den gefährlichen Boften zu über:
nehmen. Wenngleich ein Sohn feiner harten Zeit, war er doch weni-
ger goldgierig, graufam und hartherzig, als feine Vorgänger, und bie
Abenteuer diefes edlen beutfchen Rittersmannes gewinnen für ung ba
durch ein doppeltes Interefie. Iſt es doch, als ob das beutfche Her
dem deutfchen leichter nachempfinden fünnte, was es in Sorge, Noth,
Angft, Furcht, Hoffnung und Glüd bewegte, als irgend einem fremden.
Im Jahre 1535 ging Philipp von Hutten mit 130 Mann nad
Amerifa, und begab ſich nach Eoro, dem damaligen Hauptorte in ber
Provinz Benezuela, — oder, wie fie Hutten nennt, Venefela, auch Be
nezola, am Meere Oceano gelegen, — mo er mit Jörg von Speier
ſich vereinigte, der gleich nachher feinen großen Zug antrat. Den Fe
dermann fuchte er auf und wünfchte, ihn kennen zu lernen; er nennt
ihn einen fehr geſchickten Gefellen, Fonnte aber nicht mit ihm zuſammen⸗
treffen. Unterdeſſen fpielte Carvajal feine angewaßte Rolle fort un
ließ fih in feinem Gebahren nicht irre machen. Er hatte die Herr
Die Welfer in Augsburg als Veſitzer von Venezuela sc. 4493
ſchaft zwar rechtmäßig erhalten, feste fle aber als Uſurpator fort, und
trieb e8 ärger denn je.
Schon im Jahre 1532 war ein Bifchof für Coro ernannt, und
1536 fchlug derjelbe wirflich feinen Sig dafelbft auf. Er hätte vor Allem
die Pflicht gehabt, ſich der unglüdlichen Unterbrüdten anzunehmen, fich
der brutalen Gewalt entgegen zu flellen, es nicht zu dulden, daß alle
Pflichten der Menfchlichkeit mit Füßen getreten würden und der fchänd-
lichſte Golbdurft aus dem Plündern und dem Menfchenverfauf eine
Erwerböquelle machte. Leider aber fand er, wie Andere, dies ganz in
der Ordnung, ja er beteiligte fich fogar bei dem Gewinn.
Unfer Ritter Philipp von Hutten machte den ganzen gefahtvollen
und überaus mühfeligen Zug des Georg von Speler mit, der nad) Süs
den gerichtet war und den Zweck hatte, das Goldland, den großen See
und das Volk der Omegas aufzufinden. Er war hierbei dem Georg
von Speyer untergeordnet. Der Zug ging weit in das Land hinein
und verbreitete viel Sammer und Elend. Man fchlug fich unabläffig
mit den Indianern, war in dem wilden unwirthbaren Lande auf fleten
Märfchen, naͤhrte fi) nur von wilden Früchten und dem fpärlichen
Ertrage der Jagd, hatte mit Krankheiten und dem Ungemach der Wits
terung zu Tampfen, beſonders während der langen Regenzeit, verlor
viele Menfchen und gewann wenig Gold, denn das gepriefene Eido-
rado, von dem alle Indianer Amerifa’s zu erzählen wußten, glich der
Sage von der goldenen Zeitz alle Völker fprachen davon, aber Nies
mand wußte, wann fie vorhanden geweſen fei.
Mit dem unerfchrodenften Muthe, großer Tapferkeit und einer
Beharrlichkeit, die eined befieren Zwedes und Erfolges werth gewefen
wäre, hatten Georg von Speler, Ritter Philipp von Hutten und deren
Leute die ungeheueriten Mühjeligfeiten, Befchwerlichkeiten und Gefahren
vier Fahre lang ertragen, die A00 mitgenommenen Deutfchen waren big
auf 80 gefchmolzen; da war man genöthigt, das Suchen nach dem
Goldlande aufzugeben und nach Eoro zurüdzufehren. Im Jahre 1539
famen fie mit ihrem Heinen Häuflein dort an; Jörg von Speier hatte
feine Luſt, dies Leben fortzufegen, er veifete im nächften Jahre 1540
nach St. Domingo, wo er bald nachher flarb.
Runmehr war unfer Ritter der natürliche Nachfolger feines Vors
gängers im Ober⸗Commando, ja er hätte nad) den ſtipulirten Bebin-
444 K. v. Klöden:
gungen den Titel und die Würde des Adelantado oder Statthalters
erhalten müfjen. Statt deffen aber ernannte zu aller Erftaunen die
Audienzia von St. Domingo den Bifchof von Eoro, Namens Baſtidas,
zum Givil- Gouverneur von Benezuela und ließ dem Philipp von Huts
ten nur die Würde eines Militair- Gouverneurs. Dies gefchah 1540.
Unfer Bifchof glaubte den Antritt feiner Regierung Durch eine mög:
lichft fchändliche und empörende Unternehmung bezeichnen zu müflen, weld«e
gegen die unglüdlichen Indianer am Maracaibo s See veranftaltet wurbe.
Ein geroiffer Pedro Limpias, von dem noch weiter die Rede fein wird,
war der Befehlshaber derfelben, und die Beute, die man dadurch ge
wann, befland in einer unbeträchtlihen Summe Goldes und in 500
Indianern, die auf der Stelle ald Sclaven verkauft wurden. Sclaven⸗
händler hatten fich längs der ganzen Küfte etablirt.
Ritter Philipp von Hutten feheint mit dem Gange der öffentlichen
Angelegenheiten, feiner Lage und feinem Gewinne wenig zufrieden ges
wefen zu fein. Im Sahre 1538 war er einmal nach Eoro zurüdges
kehrt, aber alsdann mit Georg wieder weiter gezogen. Auf diefem Zuge
führte er ein Tagebuch, das von 1538 bis 1541 reicht, und uns er
halten if. Meufel, der es von dem Ritterhauptmann Karl Friedrich
Reinhard von Gemmingen erhalten, hat daffelbe in feinem hiſtoriſch⸗
literarifchen Magazin Thl. IT, ©. 51 bis 117 abüruden laflen, unter
dem Titel: Zeitung aus Indien. Es iſt freilich nur kurz und dürftig,
denn es find Aufzeichnungen auf der Reife unter Gefahren und Rüben
aller Art niedergefchrieben und wenig mehr enthaltend, als die ſehr
vielfifbigen Namen ver inbifchen Berge, Flüſſe und Ortfchaften, auf
welche er mit feinem Heerhaufen fließ, wahrfcheinlich wie er fie aus
Sprechen hörte. In Form eines Briefes fchidte er dieſes Tagebuch
am 20. October nach Deutfchland. Unter dem 16. Januar 1540
fchreibt er: „Ich habe jest länger denn fünff Jahr im Land unnutzlich
verzehrt." Diefe Aeußerung zeigt, Daß er mit den Erfolgen feines Thuns
unzufrieden war. Wahrfcheinlich waren feine Dienfte ihrem Werthe
nach weber genügend anerkannt, noch belohnt. Letzteres dürfte indeſſen
nicht vom Geldgewinn zu verfiehen fein, denn er fagt an einer andes
ren Stelle: „Weiß Gott, fein Geis Gelds bat mich bewegt, dieſe Reiſe
zu thun!“ Schwerli konnte er übrigens mit der ihm angewiefenen
Stellung zufrieden fein, denn der Biſchof Baſtidas, wie der Uſurpa⸗
Die Welfer in Augsburg als Befiger von Venezuela ıc. 445
tor Carvajal, wenigftens eben fo mächtig ald er, arbeiteten ihm ent⸗
gegen.
Indefien glaubte Philipp von Hutten feiner Pflicht ald Capitano
generale gegen die Welfer Genüge leiften zu müflen, und trat 1541
an die Spige eines neuen Zuges. Er hatte erfahren, daB Queſada
von Santa Féͤ aus mit 250 Mann und einer Anzahl Reiter auf die
Entdefung und Eroberung von El Dorado ausgegangen fei. Diefe
Nachricht entflammte von Neuem feinen Unternehmungsgeift. Eine
folde Expedition — ſchloß er ganz vernünftig — würde man nicht
ausgefandt und gewifiermaßen preisgegeben haben, wenn man nicht
ganz zuverläffige Nachrichten von der Eriftenz des gepriefenen Gold⸗
landes eingezogen und erhalten hätte. Er hielt es daher für rathfam,
dem Quefada entgegen zu ziehen und fich mit ihm zu vereinigen. Zwar
war ed möglich, daß er zur Entdedung zu ſpät fam, aber bei der Ex,
oberung konnte feine Hülfe von Nutzen fein, und er dadurch wenigftens
Theil an den Reichthümern Diefes Landes nehmen. Hätte er freilich
gewußt, daß Queſada, von den großen Befchwerlichkeiten des Marjches
entfräftet, genöthigt gemwefen war, mit großem Berlufte fih nach Pos
payan zurüdzuziehen, fo würde er wohl den Gebanfen aufgegeben
haben, feinem Wege zu folgen.
Nach vielen ausgeftandenen Mühfeligfeiten und Beſchwerden kam
man nach etwa 8 Monaten zu einem invianifchen Voͤlkerſtamm, wo
Ritter Philipp auf eingezogene Erfundigungen von einem der Vornehm⸗
ſten des Volks erfuhr, daß er fich in der Landfchaft Papamene befinde,
und daß der von ihm eingefchlagene Weg nur durch wüfte und unbes
wohnte Gegenden führe, in denen er mit den Seinigen nothwenbig
vor Hunger umfommen müßte. Dagegen verficherte der Indianer, er
wolle ihn, wenn er es wünfche, in ein Land führen, in welchem Gold
und Silber im größten Weberfluß vorhanden wären. Zugleich zeigte
er einige goldene Aepfel und andere Kleinigfeiten vor, welche angeblich
fein Bruder erft Türzlich aus biefem Lande mitgebracht Hatte. Dan
brauche nur immer öftlich bis zum Fluſſe Guaguave (jetzt Quaviari)
zu gehen, fo erreiche man das Land.
Ritter Philipp von Hutten mißtrauete dem Indianer, wie feinem
Berichte, und allerdings konnte ein unbebingted Vertrauen ſehr fchlecht
angebracht fein. Ihm ſchien es rathſamer zu fein, auf dem bisher bes
446 K. v. Klöden:
tretenen Wege den Spuren des Queſada zu folgen, und er nahm ben
Indianer nur ald Führer auf diefem Wege mit. Nachdem man auf
demfelben wieder acht Tagereifen unter großen Entbehrungen und
Mühen zurüdgelegt Hatte, und ber Führer gewahr wurde, daß Feine
Befchwerlichkeiten und feine Roth den Hutten von dem einmal gefaßten
Vorſatz abbringen konnten, entwich er in der dunflen Nacht und kehrte
zu den Seinen zurüd.
Die Entweichung des Wegweiſers, die immer befchwerlicher wer:
denden Wege und der ſteigende Mangel ſchlugen den Muth der Truppe
völlig nieder. Alle Soldaten bevauerten, dem Rathe des Fuͤhrers nicht
gefolgt zu fein, fie murreten laut, beftanden auf die Umkehr, und es
drohte eine Meuterei auszubrechen. Allein Ritter Philipp verlor, obs
gleih im wilden fremden Lande auf fich felbft befchränft, weder ven
Muth, noch feine Entfchloffenheit. Mit eifernem Sinn und großer
Feftigfeit beharrete er bei feinem Beſchluß, und feine Soldaten fügten
fih feinen Anordnungen.
Mehrere Tage nachher erblidten fie in der Ferne einen Berg,
welcher ganz dem ähnlich zu fein fehlen, an deſſen Fuße der Beſchrei⸗
bung nach die Stadt EI Dorado liegen follte. Eine große Freude be
mächtigte fich der Deutfchen, und wie einft die Kreuzfahrer ſehnſuchts⸗
voll und hocherfreut die Zinnen der heiligen Stabt erblidien, fo malte
fi Freude und Vergnügen in den Gefichtern unferer Krieger, die man
wohl auch Kreuzfahrer nennen fonnte, denn Kreuz und Elend wartete
ihrer genug. Man eilte, den Berg zu erreichen, man mühete fich, ihn
zu erfteigen, aber ald man oben war, fand man fich in feinen Hoff:
nungen betrogen. Es war die Epite, welche fpäter 206 Pardaos ge
nannt wurde. Unglüdlicher Weife begann mit der Erfleigung des
Berges die Regenzeit, welche in diefen Gegenden mit geringer Unter:
brechung ſechs Monate lang, vom Juni bi November, dauert, und
befanntlich ſchuͤtten die tropifchen Regen eine unermeßlihe Menge
Waffer herab. Während diefer Zeit war an eine Fortſetzung der Reife
nicht zu denfen, unfer Ritter mußte mit feinen Leuten die Regenzeit
dort abwarten, wo er fich befand, und alle Qualen des fchredlichkten
Hungers erbulden. Ameifen und Schlangen waren diefe Zeit hindurch
ihre vorzüglichften Nahrungsmittel. Sehr viele von den Leuten farben
Die Welfer in Augsburg als Beſitzer von Venezuela ıc. 447
eines elenden Todes, die übrigen verloren alle Haare, die Nägel und
die Augenbraunen.
Als die Regenzeit ihrem Ende nahete und die Leute fich einiger
maßen wieder erholt hatten, wozu feine Heine Zeit gehörte, machte fich
Ritter Philipp auf den Ruͤckweg nad) Eoro, denn der Reſt feiner Leute
bedurfte einer gründlichen Erholung. Er Fam aber nicht dahin, fons
dern verweilte in dem Dorfe Nueſtra Seüora de la Fagoa, bis bie
Regenzeit vollends vorüber war.
Während nun feine Leute von den überftandenen Muͤhſeligkeiten
und Leiden ausruhten und ſich dem Gedanken überließen, bald in Coro
dafür entfchäbigt zu werben, Dachte Ritter Philipp, den alle dieſe Schwies
rigfeiten nur noch mehr aufgereljt hatten, auf neue Verfuche, fein Ziel
zu erreichen und das gefuchte Glüd emblich zu erjagen. Durch unab⸗
(äffiged Nachforfchen bei den Indianern brachte er endlich fo viel her⸗
aus, daß der indianifche Häuptling ihm die Wahrheit gefagt Habe, und
alle Rachrichten flimmten darin überein, daß im Innern von Süd⸗
Amerifa ein Land von den Omegarro bewohnt werbe, welches das
reichfte von allen Ländern wäre. Die Einwohner aber feien ungemein
zahlreich, geimmig und Friegerifch, weit mehr ald alle andern. Einige
Indianer nannten diefed Volt Icaguer, in der Angabe der Lage ſtimm⸗
ten fie mit einander überein.
Dies genügte, um den Muth unfered Abenteurers aufs Höchfte
zu entflammen, und feine Begierde, dies Land zu erreichen, aufzuftacheln.
Die Gefahren, die Mühen und Entbefrungen famen gar nicht in Ans
fchlag; war doch Ausficht vorhanden, das Alles reichlich zu vergüten.
Sobald es thunlich war, nahm er feine Leute zufammen und brach mit
ihnen nach der Gegend auf, welche der einzige Gegenftand aller feiner
Wünfche und Hoffnungen geworden war. Die Zahl feiner Leute war
bis auf AO Mann gefchmolzen, und gewiß gehörte ein tollfühner Muth
dazu, um mit einer ſolchen Hand voll Menſchen Gegenden und Länder
zu befriegen, die fehr bevölkert und, wie die Sage wenigftend berichtete,
von friegerifchen und grimmigen Stämmen bewohnt waren.
Philipp von Hutten trat feinen Zug an; Indianer boten fich ihm
zu Wegweifern an und hielten ehrlich Wort, denn fie führten ihn an
den Fluß Guaguave. Weberhaupt zeigt fih, daß er ihre Freundſchaft
448 K. v. Klöden:
su erwerben wußte, ein Beweis, daß er fie menfchlich behandelte, was
ihm zu großer Ehre gereicht. Auf ziemlich bequemen Wegen kam er
bei dem Fluffe an und zog dann feine Erfundigungen ein. Die Ein
geborenen berichteten ihm, daß er durch den auf ber anderen Seite
des Fluſſes gelegenen Ort Mafatoa hindurch müffe, aber ohne Kahn
nicht Hinüberfommen fünne. Er gab daher einem von den Indianern
den Auftrag, über den Fluß zu ſetzen und den Einwohnern des Orts
anzuzeigen: ex fei hier mit AO Mann in der Abficht, in entfernte Laͤn⸗
der zu ziehen; er bäte um freien Durchzug und um ihre Freundſchaft,
wogegen er ihnen bie feinige anbieten lafle.
Der Indianer entfprach dem in ihn gefebten Vertrauen vollfom
men, und ſchon am andern Morgen fam der Sohn des dortigen Kr
zifen mit der erforderlichen Anzahl von Kähnen, um Philipp mit feinen
Leuten über den Fluß zu Holen. Ihnen wurde ebenfalls Freundſchaft,
Baftfreigeit und Unterftügung angeboten und von ihnen dankbar an
genommen. Philipp begab fich mit den Seinigen zu dem Kaziten von
Makatoa. Sie wurben von diefem Volke auf das freundfchaftlichfte und
wohlmollenpfte aufgenommen und behandelt und ed Fam zwifchen ihnen
zu einer innigen Berbindung. Als der fehr gutmüthige Kazike von
dem Zwede der Reife feiner europälfchen Gäfte Kenntniß erhielt, ver
fiherte er ihnen, daß das Land der Omegaer wirklich fehr reich an
Gold und Silber fei, daß es aber auch fehr ftarf, und zwar von einem
fo Eriegerifchen Volke bewohnt wäre, daß es ein unfluges, tolles, gan
unausführbared Unternehmen fei, mit fo wenigen Leuten einen Verſuch
gegen dbafjelbe zu wagen. Unſer Hutten ließ fi durch dieſe Bor
ftellungen nicht fohreden. Eine Schwierigfeit war ihm nichts, als eine
Aufforderung, fie zu befiegen. Er war von feinem Vorſatze nicht ab»
zubringen und beftand auf die Ausführung deſſelben. Als der Kayife
ihn unbeweglih fand und feine Vorftelungen als vergebens erfannte,
gab er ihm Wegweifer mit, um ihn zu dem nächlten, von Mafatcı
neun Tagereifen entfernten Dorfe zu geleiten, und Empfehlungen un
den Kazifen deſſelben, der fein Sreund war. Man legte den Marit
ohne viele Befchwerlichkeiten zurüd, da die Wege gebahnt und ziemlid
gut waren. |
Der Kazike, zu welchem unfere Abenteurer jebt gelangten, empüng |
fie mit allen Beweifen von Leutfeligfeit und Vergnügen und beyeugte
Die Welfer in Augsburg als Beilger von Venezuela sc. 449
ihnen das größte Wohlwollen. Aber auch er fuchte dem Bhilipp bie
Tollfühnheit feines Unternehmens begreiflich zu machen. Auch er bes
ftätigte, daß Alles wahr fei, was man ihm von den Omegas, ihrem
Reichthum und ihrer Macht erzählt Habe. Aber er meinte, man habe
ihm wahrfcheinlich die Stärke, die höhere Geiſtesbildung und die großen
Einfichten dieſes Volkes verfchwiegen, welches noch nie von einem an-
deren Volke mit irgend einem Erfolge angegriffen worben fei; folglich
fei es Sächerlich und gegen den gefunden Menfchenverfland, es nur für
möglich zu halten, daß man mit AU Mann, und wenn file auch wahre
Löwen wären, ein Land erobern koͤnne, das von Leuten vertheibigt
werbe, welche fich fowohl durch ihre große Zahl, ald auch durch ihre
Kriegokunſt furchtbar gemacht Hätten. Gewiß waren diefe Vorftellungen
ſehr vernünftig, allein fie machten auf Ritter Philipp Feinen Eindruck
Zu feſt fland in ihm der Entichluß, es koſte was es wolle, dem Ziele
nachzuſtreben. Da der Kazife feine unbeugfame Halsſtarrigkeit fah, fo
berichtete er ihm weiter, daß das Land, welches aufzufuchen fein Un⸗
fleen ihn verleite, fünf Tagereifen von dem Dorfe entfernt fei, und daß
er nerfpreche, ihm feld dahin zu führen und ihm nicht eher zu vers
laſſen, als bis er ihm das Land gezeigt hätte. Er verficherte fogar, er
würbe feldft jebe Gefahr mit ihm theilen, wenn er nicht wüßte, daß er
dadurch die Sicherheit und die Eriftenz feines eigenen Bolfes auf das
Spiel ſetzte. Aber er bat zugleich den Anführer und feine Gefährten
infländig, im Kalle eines unglüdlichen Ausganges, und wenn Einer ober
der Andere von ihnen ber unvermeiblichen Todesgefahr entrönne, ſich
wohl zu erinnern, wie bringenb er fie vor einer Unternehmung gewarnt
habe, bei welcher fie, wie er feft überzeugt fei, dem gewiſſen Untergange
entgegen gingen. Man hörte feine Vorſtellungen kalt und gleichgültig
an und fprach nur von der Abreife; der wohlmeinende Kazife wurde
als Wegweifer mitgenommen.
Nachdem man fünf Tagemärfche gemacht hatte, kam man an den
Abhang eines Berges, von welchem man A bis 5 einzelne Hütten er»
blickte, die mit großen Steeden gut angebauter Felder umgeben waren.
Weiterhin in einem reizenden Thale lag eine fo unermeßlich große Stadt,
daß man fie nicht ganz überfehen konnte. Die Straßen [hienen voll-
fommen gerade zu fein, die Häufer dicht neben einander zu fliehen und
gut gebaut zu fein. Seht, fagte der Kazile, Habe ich mein Verfprechen
Beitſchr. f. allg. Erdkunde. Bd. V. 29
450 8. v. Klöden: -
erfühlt, euch die Hauptflabt der Omegaer zu zeigen. Du fichft Bier
das berühmte Land vor dir, nach deſſen Reihthümern bie Deutſchen fo
füftern find. Das große Gebäude, welches in der Mitte der Statt
hervorragt, ift Die Wohnung des Oberhauptes und der Tempel vieler
Goͤtter. Die Bolldmenge viefer Stadt if: unermeßli groß und die
darin herrfchende Orbnung bewundernswuͤrdig. Die einzelnen rings
um die Stadt zerftreueten Häufer, find die Wohnungen derjenigen Ome⸗
gaer, welche auf Befehl des Oberhauptes Lebensmittel für die Stadt
bauen müffen, während die übrigen fich ganz allein mit dem Krieg
wefen befchäftigen und fich beflänbig in den Waffen üben. Du fiehtt
mit eigenen Augen, wie mächtig dad Land if, defien Eroberung bu
‚dir vorgenommen haft, und du Fannft Dich felbft von der Verwegenheit
eures Vorhabens überzeugen. Beftehft du aber dennoch darauf, den
Berfuch zu wagen, fo bleibt mir nicht anderes übrig, ald nach Hauie
zurüchzukehren und die Götter anzuflehen, euch in Schuß zu nehmen,
fo vergeblich died auch fein wird, — Auch diefe Rebe des Kazifen
machte feinen Eindrud; fie nahmen von ihm Abfchied und marfchirten
auf die Stadt los.
Als unfere Deutfchen ſich ten Lanbhäufern näherten, welche fie
vom Berge aus gefehen Hatten, begegneten fie einigen von den India
nern, welche ſich mit dem Ackerbau befchäftigten, und vie bei dem An.
blid der weißen, bärtigen und frembartig befleideten Europäer heftig
erſchracken und davon liefen. Man jehte ihnen vergebens nach; nur
Ritter Philipp erhafchte einen von ihnen zu feinem Unglüd, denn ald
fich der Indianer überzeugte, daß er nicht mehr entrinnen fünne, fuchte
er fich durch einen Lanzenwurf von feinem Gegner zu befreien, ver
diefen fehr ſchwer zwifchen den Rippen verwundete. Ehe noch cine
Stunde verfloß, hörte man ſchon In der Stadt von allen Seiten einen
gewaltigen Lärm von Trommeln und ein heftiges Getöfe von anderen
Kriegswerkzeugen, zugleich aber ein fürchterliches Gefchrei. Zum Glüd
für bie Deutfchen brach die Nacht rafch ein, die dort nur Durch eine
furze Dämmerung vermittelt wird, und begünftigte den Ruͤckzug. Eic
brachten die Nacht auf dem Gipfel des Berges zu, wohin Philipp ron
Hutten in einer Hängematte getragen wurde.
. Bei dem Anbruch des folgenden Tages erfchien eine Armee von
15,000 Omegaern, welche aus der Stadt z0g, um bie Deutfchen an-
Die Welfer in Augsburg als Beflger von Venezuela ıc. 451
zugreifen. Diefe, obgleich ihrer nur noch 39 waren, welche die Waffen
führen konnten, weil Philipp von Hutten verwundet dalag, rüfteten
fih unter dem Befehl des Oberften Limpias zum Gefechte. Vielleicht
war nie ein Kampf in Bezug auf die Stärke der beiden Parteien un-
gleicher, als diefer, und nie war einer fo wenig nachtheilig für Die ges
ringere Zahl. Die Deutfchen entwidelten eine Tapferkeit, die über alle
Vorftelung ging. Keiner von ihnen wurde getöbtet, fie fchlugen bie
Dmegaer fiegreich zurüd, und das Schlachtfeld war mit den Leichen
derfelben ganz bebedt.
Es muß nothwendig fabelhaft erfiheinen, daß 39 Europäer 15,000
Indianer geſchlagen haben ſollen, und man fönnte wohl glauben, durch
diefe alten Nachrichten würden manche neueren Siegeöberichte noch
weit übertroffen. “Dennoch aber iſt e8 gewiß, daß eine Handvoll Eu⸗
ropäer die mächtigften amerifanijchen Reiche erobert hat. Eine Anzahl
von 120 Mann, die auf drei unbedeutenden Fahrzeugen aus Europa
nach dem noch gänzlich unbekannten Amerika abfegelte und auf der
von 1,500,000 Karaiben bewohnten Infel St. Domingo landete, nahm
diefelbe im Namen des Königs von Spanien in Beſitz, legte Feſtungs⸗
werfe darauf an und unterwarf nicht nur die ganze Infel, fondern
rottete auch die Ureinwohner derfelben ganz aus. ortez wagte mit
508 Soldaten und 109 Matrofen und Handwerföleuten, wovon in
Allem nur 45 Mann mit Schießgewehren bewaffnet waren, ein Land
anzugreifen, das von 6 Millionen cultivirter und Friegerifcher Einwoh⸗
ner vertheidigt warb, und es gelang ihm, daſſelbe unter feine Bot-
mäßigfeit zu bringen. Pizarro eroberte das ganze unermeßliche Reich
Peru mit 180 Spaniern. Dies find Hiftorifch vollkommen beglaubigte
Thatfachen und laffen den Bericht von dem Treffen mit den Omega’s
weniger unglaubwürdig erfcheinen. Begreiflicher wird die Sache, wenn
man bedenkt, daß die Amerikaner fi) ohne alle Schutzwaffen nadt und
bloß ihren fchwer bewaffneten Feinden gegenüberftellen mußten, daß fie
weber Eifen noch Stahl fannten, fein Feuergewehr befaßen und mit
allen taftifchen Vortheilen unbefannt waren. Lanzen, Bogen und Pfeil
waren ihre einzigen Waffen, mit benen fie europätfcher Kriegskunſt
nur im allergeringften Maße widerftehen Tonnten.
Ungeachtet unfere Deutfchen einen glänzenden Sieg erfochten hats
ten, fahen fie doch ein, daß die Eroberung diefed Landes nur durch
29 *
452 K. v. Klöden:
eine weit ſtaͤrkere Anzahl von Truppen moͤglich fein würde. Sie gas
ben daher für jet weitere Berfuche auf und fehrten zu dem Kazifen
zurüd, der ihnen zum Wegweifer gebient Hatte, und ber feinen Augen
faum traute, als er fie wieder fah. Hier hielten fie ſich fo lange auf,
bis Philipp von Hutten von feiner Wunde ganz genefen war. Dieſer
zog inzwifchen von dem Kazifen die genauefte Erfundigung ein, wie
eine zweite Unternehmung der Art fchneller und glüdlicher ausgeführt
werden Fönnte. Hierauf trat er mit den Seinen den Rüdweg nad
Coro an, denn dort wollte er Anftalten zu einem neuen nachdrückliche⸗
ven Kriegszuge gegen die Omegas treffen.
Aber ein Unglüd war es, daß der Oberft Limpias fich bei dem
Zuge befand. Diefer, ein treuer Anhänger des Juan de Carvajal,
welcher letzte fich noch immer im widerrechtlich angemaßten Beſitz ver
Gouverneursftelle von Venezuela befand, und in deffen Solde Limpias
ſtand, betrachtete die Unternehmungen Ritter Philipps nicht ohne Un⸗
ruhe. Kam Philipp von Hutten nach Coro, fo war zu fürchten, Das
er feine rechtmäßigen Anfprüche auf die Gouverneursftelle mit aller
Kraft geltend machen würde. Um über Philipps Vorhaben fletd unter:
richtet zu fein, Hatte Carvajal veranlaßt, daß Limpias dem Zuge bei⸗
gegeben wurde, und diefer diente ihm als Spion. Da Philipp von
Hutten jetzt nach Coro ziehen wollte, fliegen die Beforgnifie Carvajals.
Schon früher feheint zwifchen ihm und Limpias für dieſen Fall eine
Verabredung und ein Verſprechen ftattgefunden zu haben, dem man
nun nachfommen wollte Es war in der Charwoche 1546, ald man
ſich noch 100 Meilen diesfeits Coro befand. Da brach eine Meuterä
unter den Truppen aus; Limpias fland mit einem Theile der Leute
unferem Ritter und den ihm treu Gebliebenen gegenüber. Das Signal
gab Limpias durch die Ermordung Philipps von Hutten Mit ihm
fiel ein junger Welfer, der den Zug mitgemacht hatte, fowie der größte
Theil derer, die auf Huttend Seite fanden. Damit endete diefe tra
gifche Gefchichte. Limpias ging nach Coro und blieb dort unangefod-
ten. @arvajal aber wurde fpäter wegen feiner angemaßten Gewalt
nach Urtheil und Recht gefchleift und gehenkt.
Den Tod Philipps von Hutten erfuhr man aus den Briefen fer
ner Verwandten. Die beiden lebten fchrieb der Bruder des Ermorde⸗
ten, der Biſchof Morig von Eichftädt, an den römifchen König Zerbi-
Die Welſer in Augsburg als Beflger von Venezuela ıc. 453
nand, und da vermuthlich dieſer nicht Helfen fonnte, an beffen Bruber,
Kaifer Karl V., König von Spanien, um volle Genugtfuung und Aus⸗
lieferung des von Philipp Hinterlafienen Vermögens zu bewirken, wie
auch „der brieflichen Urkunden, auch Berzeichnifien ver neu entbedten
Land, die mein Bruder fonder Zweifel feinem vorigen Gebrauch nad
mit Fleiß wird befchrieben haben“. — Aber der wadere Bifchof erreichte
jelnen Zwed nicht; vermuthlich weil gerade damals (1545) der Kalfer
mit ganz anderen, ihm weit mehr am Kerzen liegenden Dingen, mit
Ausführung feiner deſpotiſchen Abfichten auf das deutſche Reich be
ſchäftigt war, und weil feine inbifchen Räthe in Spanien, — wenn er
ihnen ja Rotiz davon gab, — ſich um die gerechte Sache eines Aus-
laͤnders gegen einen ihrer Landsleute wohl wenig befümmerten.
Nunmehr erfchien auch die Zeit, wo der Kaifer die verderblichen
Holgen einfah, die feine den Welfern ertheilte Begünftigung nothwen⸗
Dig mit fich führen mußte. Ex überzeugte fi), daß bei einer folchen
Berwaltung die Provinz Benezuela immer ein verheertes, fchänblich
ausgefogened Land bleiben würde, und nahm die Souverainetätsrechte
über diefelbe zurüd, deren er fich eigentlich niemals Hätte entäußern
follen. Der Traftat mit den Welfern wurde aufgehoben, und ber Kal
jer ernannte den Licentiaten Johann PBeres von Tolofa zum Statt-
halter der Provinz.
Sechs mühenolle Jahre Hatte Philipp von Hutten auf feinen beis
den letzten Reifen nad) dem Lande der Omegas zugebracht, und war
um alle Früchte derfelben beirogen worden. Durch Feine der welferi-
ſchen Erpebitionen ift die Wiſſenſchaft bereichert worben, durch feine
derfelben das Golbland aufgefunden. Dies Gefchid theilten fie freilich
mit anderen Erpebitionen zu demfelben Zwede Queſada 309, wie
oben bemerft, von Santa & mit 250 Mann und vieler Reiterei auf
die Enidedung des Goldlandes aus, und Fam zurüd, nachdem er den
größten Theil feiner Mannfchaft verloren hatte. Pebro de Ordaz ftellte
von Quito aus einen ſolchen Zug an, der nicht minder unglüdlich
abfief Antonio Berrio Tehrte von einer gleichen Unternefmung mit
einem Berlufte von neun Zehnteln feiner Mannfchaft zurüd. Fran⸗
eisco DOrellana zog mit 500 Mann auf die Entvedung des Goldlandes
aus und wurde von feinen eigenen Leuten, die fich nachher zerftveuten,
ermordet. Alle diefe Züge haben nichts genügt, aber dem Lande ent-
454 8. v. Klöden:
feslich viel Unglüd und Schaden gebracht. Sie lieferten nur den Bes
weis, wie unendlich viel der Menfch leiten kann, wenn irgend eine
Idee fein ganzes Weſen beherrfcht und fein ganzes Thun und Treiben
fih auf einen Punkt richtet. Großes haben diefe Männer allerdings
in der Beflegung von Widerwärtigfeiten, Schwierigkeiten und Hinder
niffen geleiftet, aber auch in der Verübung von Graufamfeiten und
Schändlichfeiten aller Art. Während man fie bewundert, muß man fie
verabfcheuen. Leuchtend fteht in dieſer Hinficht unfer Philipp v. Hutten
da, denn von ihm find folche Abfcheulichkeiten nicht befannt, und von
allen Genannten dürfte ihm das vorzüglichfte Lob gebühren. Schade,
daß die Bapiere verloren gegangen find, von denen fein Bruder ſpricht.
Sie find es wohl für immer.
Obgleich die hier mitgetheilte Erzählung vollftändiger if, als eime
der bisher befannten, fo ift doch nicht in Abrede zu ftellen, daß fie
duch einen forgfältigen Gebrauch der vorhandenen Quellen noch ver:
vollftändigt werben könnte, wären biefe nicht zum Theil große Selten
heiten. Für denjenigen, ber ſich an die Arbeit machen will, ftelle ich
im Folgenden den literarifchen Apparat zufammen.
La historia general y natural de las Indias, islas y terra ferma
del mar Oceano. Por el Capitan Gongalo Hernandez de
Oviedo. Parte I. Sevilla 1535. Fol. — Sauptquelle; der
Verfaſſer entitellt aber die Namen ganz gewaltig. Georg von
Speier heißt bei ihm Georg Spirra, Philipp von Hutten nemt
er Philipp de Urre. Darin find ihm alle fpäteren Befchreiber,
jelbft bis in neue Zeiten gefolgt, woher es gefommen, dag man
von der Mitwirfung der Deutfchen bei diefen Unternehmungen
nichts wußte.
O. Dapper, Die unbefannte neue Welt, oder Befchreibung des Welt:
theilö America und des Suͤdlandes. Amfterdam 1673. Fol. S.620
— 623.
Allgemeine Hiftorie der Reifen zu Wafler und zu Lande, oder Samm—
lung aller Reifebefchreibungen. Leipzig 1757. A. Bd. XV. S©.49—51.
Marci Welseri Opera. Norimbergae 1628. Fol.
Paul v. Stetten des Jüngern Lebensbefchreibungen zur Erwedung
und Unterhaltung bürgerlier Tugend. Augsburg 1782. 8. ©. 209
— 248.
Die Welfer in Augsburg ald Beſitzer von Venezuela ıc. 455
Indianiſche Hiſtoria; eine fchöne furzweilige Hiſtoria Nicolaus Fe⸗
dermannd des Jüngern von Ulm erſter raife; fo er von Hifpa-
nia und Andolofia aus in Indiad des Oceaniſchen Moͤrs gethan
hat, und was ihm allda begegnet bis auf fein Wiederfunft in
‚Hifpanien, aufs kurzeſt befchrieben, ganz luftig zu lefen. 1557. 4.
Getruckt zu Hagenaw bei Sigmund Bund. — Sehr felten.
Iſelin, Hiftorifches Lerifon. Artikel Hutten.
Junckher Philipps von Hutten Zeitung aus India; aus feiner zum
Theil unleferlich gewordenen Handfchrift. Abgedruckt in Meufels
biftorifchsliterarifchem Magazin. Baireuth und Leipzig 1785. 8
ma). Thl. J. ©. 51 — 117.
Meusel, Bibliotheca historica. Vol. III. P. I. Lips: 1787. p. 281.
Keife in den öfllichen Theil von Zerrafirma in Sübamerifa von
Depond. Aus dem Franzöf. überfeht von Chr. Mayland. Berlin
1808. ©. 32 — 42. 384 — 394.
El Dorado. Ein Beitrag zur kritiſchen Unterfuchung der geographi⸗
ſchen Fabeln verfloſſener Zeiten von T. F. Ehrmann. Abgedruckt
in Bertuch's allgemeinen geographiſchen Ephemeriden. Bd. XXV.
Weinar 1808. S. 136 — 165.
Nachtrag zur vorftehenden Abhandlung. Aus einem Schreiben des
Heren Hofraths 3. ©. Meufel an den Berfafler der Abhandlung,
Heren Prof. Ehrmann. Abgedruckt in demfelben Bande der all
gemeinen geographiſchen Ephemeriden, S. 483 — 490.
K. v, Klöden.
Niscellen.
Allgemeine Weberficht der Veröffentlihungen aus der admi-
niftrativen Statiftit der verfchiedenen Staaten.
(Fortſehung.)
V. Die Niederlande.
Im Sabre 1826 wurde im Königreich der Niederlande ein Bureau ver
allgemeinen Statiftit errichtet; es war einer flatiflifchen Commiljion unter-
georonet, welche aus Hohen Stantsbeamten beſtand, und befchäftigte ſich haupt⸗
ſachlich mit Sammlung der Documente über die Bewegung des Civilſtandes
und mit der Ausführung ver Zählung von 1829, an welche ſich die Einfüh-
zung der Benölferungsregifter anfchloß. Zugleich war 1826 vie Errichtung
ftatiftifcher Provinzial» Commifflonen angeorbnet worden. Schon vorher hatte
in Gent (1818) eine ſtatiſtiſche Gefenfchaft für Oftflandern beſtanden. Das ftati-
ftifche Bureau ging 1830 ein, die Provinzial» Gommifftonen hörten theilweiſe
fchon früher auf. Das erſte Recueil des Tableaux publiés par le Bureau de
Statistique erfchien 1827, das zweite 1829; fe betrafen bie Bewegung ber
Bevölkerung feit 1915, ven auswärtigen Hanbel, Klima, Agricultur, Stein:
Tohlenpropuction, Fiſcherei und Mebicinalwefen; nachträglich wurde 1836 noch
ein britter Band heraudgegeben. Das auf die belgischen Provinzen bezüglicye
Material, betreffend die Zählungsrefultate, Die Bewegung des Givilftandes,
Griminaljuftiz, Schulen, Arbeitshäufer, iſt in ven belgiſchen flatiftifchen De-
cumenten, welche 1832, 1833 und 1836 erfchienen find, veröffentlicht worben.
Die Arbeiten des flatiflifchen Bureau's erfchienen one Tertz die Tabellen ver
erften Sammlung find von dem Director des Bureau’ E. Smits in einem
befonderen Werke beleuchtet worden. Seit 1826 fanden auch Mittheilungen
aus der offiziellen Statiſtik, z. B. Bevölkerung, Gefängniffe ac. betreffend, in
Zobatto’8 Jahrbuch ihre Stelle.
Die Mefultate der zweiten nieverländifchen Volkszählung gab das Mini»
flerium des Innern im Jahre 1840 Heraus. In dieſem Minifterium wurke
1848 ein ftatiftifche8 Bureau errichtet, welches unter v. Baumhauers Direr-
tion fteht. Das Bureau hat die Zählung vom November 1849 in größerem
Mapftabe, als die bisherigen, ausführen laſſen. Die Zählung umfaßt Wohn⸗
pläße, Gebäude, ven Eivilftann, Geburtsort, die Confeflion, dad Alter und
den Beruf (Stand und Gewerbe) der Einwohner; vie Tabellen find 1852
unter bem Titel: Uitkomsten der derde tienjaarige Volkstelling, beraus-
gegeben worben. Im Jahre 1854 erfchien der erfte Jahrgang bed von dem⸗
felben Bureau herausgegebenen Statistisch Jaarboekje, in welchem fich na-
Ueberficht der Verdffentlichungen aus ver abminiftrativen Statiſtik. 457
mentlich tabellarifche Darftellungen des Standes und ver Bewegung ber Bes
völferung, der Krankenhäufer, des Iinterrichts, des Armenwefens (1841 bis
1850), ver Mechtöpflege, ver Befängniffe, der Agricufturprobuction und des
Viehſtandes, ver Fabriken, des inneren und äußeren Handels, ver Schiffahrt,
der Staats⸗ und Provinzial= Finanzen befinden. Die agricultur«ftatiflifchen
Aufnahmen finden feit 1851 flatt; ältere Zufammenftellungen finden fich für
einzelne Provinzen und aus Halboffiziellen Quellen. Bon ben Jahresberichten
ftatiftifchen Inhalts, welche im Reſſort des Minifteriums des Innern heraus»
Tommen, find einige ſchon vor der Trennung Belgiens von den Niederlanden
erſchienen, fo die Berichte über ven Zuftand ver Wohlthätigkeitdanftalten (fchon
1827) und über den Zuſtand einzelner Zweige des Unterrichtäwefens; feit
1847 murben biefelben in ftatiftifcher Beziehung noch erweitert (Verslag no-
pens den Staat der hooge, middelbare en lagere Schoolen und Verslag
nopens den Staat van het Armwezen). Das Minifterium bed Innern hat
im vorigen Jahre eine ftatiflifche Darftelung ver öffentlichen Arbeiten in ven
Iahren 1850 bis 53 (Verslag over de openbare Werken) und entfprechend
der Arbeiten in dem Jahre 1854 herausgegeben. Außerdem erfcheinen jähr«
lich vie Sefängnißtabellen (Statistische Tabellen van de Bevolking der
Gefangnissen) und bie Berichte der Infpectoren der Irrenhäufer (Verslag
over den Staat der Gestichten voor Kranksinnigen). mei weitere fla-
tiftifche Spezlalbureau’8 beftehen im Yinanzminifterium und im Juſtizminiſte⸗
rium; dad erftere giebt jährlich vie Statistiek van den Handel en de Scheep-
vaart heraus, wovon ber erfte Band, auf 1846 bezüglich, 1848 veröffentlicht
wurbe; fte erfheinen jet ſchon im nächftfolgennen Jahre. (Nieverlänpifche
Handelstabellen aus früheren Jahren find 3.8. in Buddinghs Statistiek voor
Handel en Nijverheid abgebrudt). Das ftatiftifche Bureau im Juſtizmini⸗
flerium Bat zuerft 1850 vie Geregtilijke Statistiek, und zwar fowohl die
Tabellen der Civil-, als der Criminal⸗Rechtspflege, in den Jahren 1847 big
1849 Herausgegeben; ſeitdem erfcheinen viefelben je im folgenden Jahre. Don
anderen amtlichen Werfen ftatiftifchen Inhalts find die Mechenfchaftöberichte
des Finanzminifterd und das vom topographifchen Bureau im Kriegsminiftes
rium veröffentlichte Ortfchaftönerzeichnig zu erwähnen. Die Hauptquellen
der Provinzialftatiftit find die Jahresberichte der permanenten Deputationen
an die Provinzialräthe, von denen die erften ſchon im Jahre 1823 erfchienen
find. Seit 1851 ift für viefelben die gleiche Form durch dad Minifterium
des Innern vorgefchrieben worden. Auch von ven Jahreöberichten ver Ge⸗
meinbebehörvnen (Verslag van den Toestand der Gemeente etc.) erfcheinen
einige im Drude.
Das Herzogtbum Limburg fteht in Fatififcher Beziehung wie jebe nies
derlaͤndiſche Provinz. Die Statiftit veffelben für die Periode von 1830 bis
1839 findet fih in ven belgiſchen flatiftifchen Dorumenten; der erfle Provin⸗
zial⸗Verwaltungsbericht erfähien 1833. Das von der Gefellfchaft ver Freunde
458 Miscellen:
der Wiflenfchaften und Künfte herausgegebene Jaarboekje voor het Hertog-
dom Limborg ift in ftatiftifcher Beziehung mit Lobatto’8 Jahrbuch verglichen
worden.
Die Statiftif der niederländifchen Eolonien befchränkt fich auf die Ver⸗
waltungsberichte des Colonien= Minifteriums; fie kommen nicht in den Bud’
handel. Ausführliche Auszüge daraus werden in dem Staatskundig en staats-
huishoudkundig Jaarboekje veröffentlicht, welches feit 1849 ericheint. Die
Behandlung der Statiftif ift nach den einzelnen Golonien verfchieden; bei ven
oſtindiſchen Beſitzungen genügen bie Nachrichten, beſonders foweit fie die im-
materiellen Intereffen betreffen, nicht den Anfprüchen an eine eigentliche Sta⸗
tiſtik; befprochen werben Bevölkerung, Militair, Mechtöpflege, Cultus, Wohl
thätigkeitöanftalten, Sanitätöwefen, Unterricht, cultivirtes Land, Production,
Viehſtand, innerer und äußerer Verkehr, Finanzen (hier insbeſondere die Mo⸗
nopole). Die Angaben für Java mit Madura find genauer, von ven übrigen
Infeln finden ſich nur einzelne Notizen; Handels⸗ und Schiffahrtötabellen von
Java mit Mabura werben regelmäßig nufgeftellt, fle werben im ftatiflifchen
Jahrbuch des Minifteriumd des Innern abgebruct, für frühere Jahre finden
fie fich in ven Tabellen des ſtatiſtiſchen Bureau's des englifchen Handeldamts.
1829 erfchien in Batavin felbft der Verslag van den Handel, Scheepvaart
en inkomende en uitgaaende Rechten op Java en Madura in het jaar
1828, im vorigen Jahre ift eine Overzigt van de Scheepvaart onder Ne-
derlandsche Vlag op de Oost-Indien ged. 1853 erſchienen. Vollſtaͤndiger
find die DVerwaltungsberichte hinſichtlich der weſtindiſchen Beſitzungen (ver
Inſeln und Suriname), doch find auch diefe nicht gleichförmig; bie Einwoh⸗
nerzahlen werben bier ſpeziell wmitgetheilt, ebenfo Die Bewegung des Civilſtan⸗
des; außerdem werben flatiftifche Nachrichten über Militair, Eultus, Unter⸗
richt, Wohlthätigkeitsanftalten, Sanitätsanftalten, Finanzen, cultivirtes Land,
Production und Viehſtand gegeben. Die Sandelötabellen von Suriname wer
den in dem flatiflifchen Sahrbuche mitgetheilt; für frühere Jahre finben fle
fich in dem Moniteur des Indes orientales et occidentales abgedruckt, wel-
her überhaupt ſtatiſtiſche Artikel über die niederländifchen Beflgungen in bei-
ven Indien enthält. Auch über vie Guineafüfte finnen fich in dem Verwal⸗
tungäöberichte einzelne ftatiftifche Angaben.
VL Belgien.
Im Jahre 1831 wurde im beigifchen Minifterium des Innern das Bu
reau der allgemeinen Statiſtik errichte. Der Director deſſelben, E. Smits,
gab zunächft, vereint mit dem Director des Obfervatoriumd A. Duetelet, bie
erften beiven Bände ver Documents statistiques (betreffend Bevölkerung und
Griminaljuftiz) Heraus; dann erfchienen in den Jahren 1836 bis 1841 vier
weitere Bände dieſer Documente, welche beflimmt waren, die gefammte Ver⸗
waltungöftatiftif zu umfaffen. In biefen wurden bie von ben einzelnen Bi-
Ueberficht des Verdffentlicjungen aus der abminiftrativen Statiftil, 459
niftesien herausgegebenen flatiflifchen Tabellen im Auszuge abgedruckt, nament-
lich aus den von den entfprechenden Abtheilungen des Minifteriumd des In⸗
nern herausgegebenen Tabellen des Communaloctrois ( Statistique des Octrois
communaux 1836, erfchienen 1839), des auswärtigen Handels ( Tableaux
du Commerce exterieur, zuerft für 1831 bis 1834, dann für die einzelnen
Jahre bis 1840) und ven Berichten Liber die Stantöftraßen und Eifenbahnen;
ferner aus den vom Iuftizminifterium herausgegebenen Comptes de l’Admi-
nistration de la Justice criminelle für die Jahre 1831 bis 34 (erfchienen
1835) und 1835 (erfchienen 1839), und de la Justice civile in den Jahren
1832 bis 36 (erfchienen 1837), 1836 bis 39 (erfchienen 1840), und aus
den vom Finanzminifterium berausgegebenen Mefultaten ver Kataſtrirung
(Statistique territoriale von 1834, erfchienen 1839) und den Staatsrech⸗
nungen (den Comptes rendas de l’Administration des Finances und sur
la Comptabilit& de l’Etat). Außerdem enthalten vie flatiftifchen Documente
die Tabellen der Bewegung ber Bevölferung (1834 bis 39), ver Wahlen,
Aushebungen, des höheren und Primair- Unterrichts (bi8 1838), ber Findel⸗
häufer, der Gefaͤngniſſe und Arbeitshäufer, ver Wohlthätigkeitäburenu’s, ver
Provinzial» und Communalfinanzen, der Impfungen, der Agrieulturjchäpen,
des Viehſtandes, der Getreivepreife, ver Berg- und Hüttenmwerfe und Dampfs
mafchinen (1831 bis 36), und der Meteorologie; viele legten find dem ſeit
1834 von Duetelet herausgegebenen Iahrbuche des Obſervatoriums entlchnt,
welches zugleich Tabellen aus der Bevdlferungsftatiftif mittheilte.
Im Jahre 1841 wurde neben dem fortbeftehenden Bureau der allgemei⸗
nen Statiftil die flatiftifche Central⸗Commiſſion organifirt; fle wurde aus
Staatöbeamten zufammengefeßt, und Duetelet, welcher ald Berfafler ver ſo⸗
cialen Phyſik als Begründer ver belgiſchen Statiftil betrachtet wird, wurde
Director derſelben. Sie erhielt vie Beftimmung der Reviſton, Verbeſſerung
und Erweiterung aller flatififchen Tabellen und fpäter vie Berechtigung, daß
ftatiflifche Aufnahmen nur mit ihrer Genehmigung ftattfinden bürften, Ihr
Organ ift das Bulletin de la Commission centrale de Statistique, deſſen
erfter Band 1843, der fünfte 1853 erfchien. Das Bulletin enthält die Ver⸗
handlungen und Arbeiten ver Central⸗Commiſſion, unter ven legten 3.8. die
Berichte über vie Getreide» und Kartoffelernte, über ven Viehſtand, die Lebens⸗
mittelfrage, vie Aſſekuranzfrage und die feit 1846 eingerichteten Bevölferungs-
regifter; es enthält weiter mehrere Auszüge aus amtlichen ftatififchen Werken
und bibliographifche Arbeiten von Heufchling, zehn Abhandlungen von Que⸗
telet, betreffend Zählungen, Trauungen, Sterblichkeit, fünf Abhandlungen von
Ducpetiaur, welcher auch außerdem in balboffiziellen und Privatwerken ver«
fchiedene Zweige der Verwaltungsftatiftit behandelt hat, drei von BVigfchers,
betreffend Wahlen, Bergwerke, Berforgungslafien, ferner Auffäge von Saus
veur (Taubftummen), Steven (Communaloctrois), Perrot (Journale), Mas
lou (Eiſenbahnen). Bon dem fechiten Theile des Bülletins find bis jetzt bie
[4
460 Miscellen:
Verhandlungen des flatiftifchen Congreſſes zu Brüfiel (Congres general de
Statistique en 1853) und Ducpetiaur's Bearbeitung der Aufnahmen über
die Bedürfniffe ver arbeitenben Klafien (Budgets &conomiques des Classes
ouvrieres, Subsistances, Salaires, Population) erfchienen. Im Jahre 1843
wurden unter bem Vorſitze der Gouverneurs Provinzials Commifjionen ein
gerichtet; ihre Arbeiten haben fich auf vie Volkszaͤhlungen, die Iocalen Urſa⸗
hen der Verbrechen, ven Pauperiömus und die Ortönamen bezogen. Unter
Mitwirkung der fatiftifchen Gentral» Gommifiton Hat das flatiftifche Bureau
im Minifterium des Innern berauögegeben: Die Tabellen ver Bewegung des
—* mit vorausgehender Ueberſicht des Bevolkerungsſtandes ſeit 1831
(Population relevò décennal 1831 bis 1840, Mouvement de l’Etat civil
1841 bis 50, erfihienen 1842 bis 51) und die Reſultate der Volkszählung
von 1846 (nach Civilſtand, Wohnftg, Geburtsort, Sprache, Confeſſton, Alter,
Gewerbe und Beruf, auch Häufer, Haushaltungen, Schüler, Arme) mit ven
gleichzeitigen Aufnahmen über die landwirthſchaftliche Cultur und Production
nebſt dem Viehſtand und über vie Gewerbthätigfeit (Arbeiter, Maſchinen xc.);
die drei Bände dieſes Recensement general, Population, Agriculture, In-
dustrie, und außerdem eine vollftännigere Ausgabe der Agriculturaufnabmen
find 1849 618 51 erfchienen. Außerhalb der ſtatiſtiſchen Abtheilung find vom
Minifterium des Innern an flatiftifchen Arbeiten Herausgegeben worben: von
der Inbuftrie- Divection vie Reſultate der Enquötes sur l’Industrie linjere
(erfchienen 1841 und 42) und sur Is Condition des Classes ouvrieres et
sur le Travail des Enfants (erfchienen 1848); von der Unterrichts⸗Diret⸗
tion mit theilweife ftatiftifchem Inhalt: Etat de l’Instruction primaire 1831
bis 1840 (erfchienen 1842), Situation de l’Instruction primaire 1842, Rap-
port triennal sur l’Instruction primaire 1843 bis 45 und entfprechenb 1846
bis 1848 (erſchienen 1849), ferner Etat de l’Instruction moyenne bis 1842
(erfchienen 1843) und 1843 bis 48 (erichienen 1849), Rapport sur Y’Exat
de l’Enseignement sup£rieur für 1836 bis 40, dann jährlih und feit 1848
alle drei Jahr; von ver Abtheilung für Provinzial» und Communal⸗Ver⸗
waltung: Rapport sur les Octrois communaux 1845, Documents relat.
à la Tarification du Pain et de la Viande de Boucherie 1846 unt
Rapport de la Commission de Revision des Octrois communaux 1848.
Statiftifche Jahresberichte ver permanenten Deputationen an die Provinzial
räthe (Rapports annuels sur la Situation des Provinces) find einzelne feu
1833, regelmäßig feit 1836 erftattet worden; ſeit 1844 ift für viefelben vie
übereinftimmende Form von ber Central⸗Commiſſion vorgefchrieben worden.
Jahresberichte über die fläntifche Communalverwaltung kamen feit 1836 ber:
aus; fie find von mehr, als 20 Stäpten gedruckt erfchienen; gleichförmige
Gadres für viefelben wurben feit 1846 vorgefährieben. Die Jahresbericht
der Arrondiffements-Gommiflaire (Rapports des Commissaires des Arron-
dissements) und die der länplichen Gommunalverwaltung find feit 184%
Ueberjicht der Veröffentlichungen aus der abminiftrativen Statiftif. 461
gleichmäßig eingerichtet; von ven erften erfcheinen einzelne gedruckt. Endlich
möüffen hier vie Rapports annuels des Chambres de Commerce und die des
Commissions provinciales d’Agriculture erwähnt werden. Die Ergebniffe
der Sahresberichte der Provinzial» und Communals Verwaltung im Jahrzehnt
1831 His 1840 find in dem vom Winifterium des Innern herausgegebenen
Resume des Exposss de la Situation administrative des Provinces et.
Communes (erfchienen 1841) zufammengeftellt. Die Statiftit der Civil⸗ und
Griminalrechtspflege wird im ftatiftifchen Bureau des Yuftizminifteriums (Die
rector Lentz) bearbeitet; der Bericht über die Eivilrechtspflege in ven Jahren
1839 bis 43 ift 1847, die über die Eriminalrechtöpflege in ven Jahren 1836
bis 39 und 1840 bis 43 find 1843 und 1846 erfchienen. Andere Arbeiten
des Juſtizminiſteriums von flatiftiichem Werthe find die Jahresberichte über
verſchiedene Zweige ver Wohlthätigkeitsanftalten, vie Statistique des Läbers-
lites au profit des Etablissements röligieuses et charitables 1831 bis 49
(erſchienen 1850), die Ergebniffe per Enquète sur l’Etat des Maisons
d’Alienes (erfchienen 1842) und ber Rapport sur le Travail dans les
Prisons et les Depots de Mendicite (erſchienen 1848). Das Minifterium
der dffentlichen Arbeiten bearbeitet wie Statiftit der Berg⸗ und Hüttenmerfe
und der Dampfmafchinen (Statistique des Mines, Usines et Machines &
vapeur), fie ift für die Jahre 1836 bis 38, 1839 bis AA und 1845 bis 49
in den Jahren 1842, 46 und 52 herausgegeben worden; an anderen Arbeis
ten dieſes Miniſteriums find bie feir 1841 erfchienenen Jahresberichte über die
Eifenbahnvermaltung und die feit 1843 erfcheinenden Annalen zu erwähnen,
in denen einzelne flatiftifche Aufnahmen aus dem Reſſort vefielben abgedruckt
werden. Bon ven ftatiftifchen Arbeiten des Finanzminifteriums find die Han⸗
dels⸗ und Schiffahrtätabellen hervorzuheben, welche zuerft für 1841 von dieſem
Drinifterium herausgegeben wurben und je im nächflfolgenden Sabre erfcheinen,
und die 1853 veröffentlichte vervollſtaͤndigte Ausgabe der Territorialftatiftit (Bo⸗
dentheilung nach Gulturarten ıc.). Als vom Kriegsminifterium publizirt wirb
pie Statistique criminelle, Conseils de Guerre etc. (1835) bezeichnet; als
vom Minifterium des Auswärtigen gelten die feit 1850 erfchienenen Jahresberichte
de8 Service des Emigrants. Eine Zufammenftellung und Bearbeitung bes
in dem Jahrzehnt 1841 bis 50 aufgenommenen ftatiftifchen Materials, ſowie
theilmweife des weiter zurüdliegenden, Hat die flatiftifche Central⸗Commiſſion
mit Unterflüßung der Minifterialbureau’8 in der 1852 erfchienenen Situation
generale du Royaume geliefert; die einzelnen Kapitel enthalten vie geogra⸗
phifche Lieberficht, die Meteorologie, Territorialftatifiit, Geologie, Zoologie,
Bevölkerung und Bewegung des Eivilftanded, Veränderungen des Wohnfites
3c., Berfaffung und Wahlen, Provinzials und Gemeindeverwaltung (Wahlen
und Finanzen), Unterricht, Wiffenfchaften und Künfte, Wohlthätigkeitsanftal«
ten (einfchließlich der Krantenhäufer, Arbeitshäufer, Binvelhäufer, ver Leih⸗
haͤuſer und Berforgungäfaflen), Gefängniffe (für beide Jahrzehnte), Rechts⸗
462 Miscellen:
pflege (und gerichtliche Polizei), Sicherheitöpolizei, Cultus, Sanitätöverwaltumg
(auch Mineralwäfler, Epivemien), Militair (Beſtand, Mefrutirung, Vedürfniſſe),
Bürgermiliz, Finanzen (und Staatsſchuld), Agrifultur (Hier u. a. vie neuen
Kulturen feit 1847), Inpuftrie, Handel (3.8. Banken, Münze), Land⸗ une
Waſſerſtraßen und Poſt. Neue ftatiflifche Documente werben vorzugsweiſe
in Scheerer'8 feit 1854 erfcheinennem Annuaire statistique et historigee
Belge abgebrudt.
VO. Dänemark und die Herzgogthümer.
Die flatiftifche Commiſſion für dad Königreich Dänemark wurde im Jahre
1833 errichtet; fle beftand aus Hohen Staatöbeamten, hatte fein eigenes Bu⸗
reau, fondern überließ die Bearbeitung den verſchiedenen Minifterialbureau's.
Sie gab feit 1836 das statistik Tabelvärk, 21 Bände, heraus; bie Ta⸗
bellen veffelben enthalten die Bevölkerung nach ven Zählungen von 1834,
40 und 45 (eine frühere Zählung Hatte 1801 flattgefunden), vie Bewegung
der Bevdlkerung feit dem Anfang viefes Jahrhunderts, die Territorialfatiftif
( Bodentheilung, Werth der Gebäude und Landgüter), Aderbau (Ausfaat
und Ernte) und Viehſtand, fläptifchen Verbrauch, Handels⸗ und Schiffahrts⸗
tabellen feit 1834 (guch Hanbeldmarine), Griminaltabellen für 1832 bis 40,
Selbſtmorde, Irrenftatiftif; außerdem hat fle die nye Matrikel for Jordeien-
dom von 1844 veröffentlicht. Im Sabre 1848 wurde die ftatiflifche Com⸗
mifflon aufgehoben, doch find von ihren Arbeiten noch nachträglich die Hanbeld-
und Schiffahrtstabellen dieſes und des folgenden Jahres und die Wahlftatikif
von 1848 herausgegeben worben. In Stelle der Commiſſion wurde unter
dem Sefammtminifterium das Bureau ber allgemeinen Statiſtik errichtet, deſſen
Chef in flatiftifchen Angelegenheiten anflatt ver Reſſortminiſter zeichnet; es
giebt eine neue Folge des ftatiflifchen Tabellenwerfd (statistisk Tabelvärk,
ny Räkke) beraus, von weldyer bis jeßt 10 Bände erjchienen find, enthal⸗
tend die Zählungdrefultate von 1850 (nach Alter, Givilftand, Stand unt
Bewerbe, Geburtöftelle), Die Bewegung des Civilſtandes in den fünf vorher⸗
gehenden Jahren (die Todesurfachen nur in Kopenhagen), ferner die Wahl
ftatiftit von 1849 und 52, die Statiſtik des Bodens nach Eulturarten, ver
Vertheilung bed Grundeigenthums und die Tabellen der größeren Lanpgüter:
der achte und zehnte Band enthalten Kandel und Schiffahrt des jeht ver-
einigten Zollverbandes Daͤnemarks und der Herzogthümer in ven Jahren 1852
und 53. Das flatiflifche Bureau hat außerdem Mittheilungen (Meddelelser
fra det statistiske Bureau) veröffentlicht; der vormalige Director deſſelben
Bergfde, vollendete feine Statiftif des daͤniſchen Staats, deren erfler heil
1844 erſchien, im Jahre 1853. Das ſtatiſtiſche Tabellenwerk tbeilte zugleich
die Zaͤhlungsreſultate in den dänifchen Nebenlänvern ( Farder und I8lant ),
fomwie tie Bewegung der Bevölkerung daſelbſt und vie Wahlſtatiſtik der War
rder mit, die Volkszählungsrefultate von 1840 und 1845 für Grönland, von
Ueberſicht der Beröffentlichungen aus ber abminiftrativen Statiflil. 468
1841 für die weftinbifchen Infeln, (auch von 1840 für die vormals bänifchen
Beitgumgen in Oſtindien, wogegen bie vormaligen Beflgungen in Guinea nicht
vorkommen). Andere flatiflifche Documente über Dänemark und vie Neben-
länder find vie feit längerer Zeit zufammengeftelten Griminaltabellen, vie feit
1835 erftatteten Mechnungsüberfichten des Binanzminifteriums und die Jahres⸗
berichte der Nationalbanf. Die mebicinifche Gefelichaft in Kopenhagen Hat
einen Ausfchuß für mebicinifche Statiſtik; in ihren Schriften finden fich ftatiflifche
Abhandlungen, 3.8. Schleißner's Statiftil ver Lebenspauer in Island. Aus⸗
führliche Tabellen über die Sunpfchiffahrt find in den Tabellen des englifchen
Handelsamts (und zwar unter dem bortigen Inlande) mitgetheilt; vaſſelbe
Werk enthält Ausfuhrtabellen der bänifchen Infeln in Weftinvien.
Die Refultate ver Volkszaͤhlung von 1803 in ven Gerzogthümern Schles⸗
wig und Holſtein wurben von der Mentenfammer in Kopenhagen herausge⸗
geben, ebenfo die Zählungsrefultste von 1835; im Herzogthum Lauenburg
war 1831 gezählt worben; bie Ausfuhrtabellen ver Herzogthümer für vie
Sabre 1836 und 37 gab die Generalzollfanımer zu Kopenhagen heraus. Im
Sabre 1839 wurde die Wirkfamfeit ver daͤniſchen ftatiftifchen Commiſſion auch
auf die Herzogthümer ausgedehnt; vie Zählungen von 1840 und 1845 wur⸗
den in benfelben in ähnlicher Weife, wie im Königreiche Dänemark, vorges
nommen. Die flatiftiiche Commiſſton veranftaltete eine deutſche Ausgabe des
flatiftifchen Tabellenwerks, von welcher zwölf Theile herausgekommen find;
fie enthalten die Zählungstabellen, vie Geburten, Sterbefälle und Trauungen
1835 bis 44, und die Handels⸗ und Schiffahrtötabellen des ſchleswig⸗ hol⸗
fteinifchen Zollverbandes (d. 5. einfchließlich des Fürftenthums Lübeck) für bie
Fahre 1838 bis 1846 und die Durchfuhr durch Lauenburg. Die Handels⸗
tabellen für 1847 wurven nicht mehr von der Commililon veröffentlicht.
Ebenfo wenig ift das außerdem bei ven Behörden ver Herzogthümer zuſam⸗
mengeftellte Material, betreffend Criminal» und Civiljuſtiz und Inpuftrie offi-
ziel Herausgegeben. Ein Gentralblatt für Handel, Schiffahrt und Induſtrie
der Herzogtbhümer erfchien zu Kopenhagen in ven Jahren 1846 und 47. Das
ſchleswig⸗ holſteiniſche Finanzdepartement hat an flatiflifchen Arbeiten die Nach»
richten über Handel und Schiffahrt im Jahre 1848 und die Finanzrechnungen
für 1848 und 49 Herausgegeben. Ein eigenes ftatiflifches Bureau für bie
Herzogthümer beiland zu Kiel vom Februar 1850 bis zum Märg 1852,
von dieſem ift nur im Jahre 1851 ein Heft Mittheilungen erfchienen. Diree⸗
tor des Bureau's war Rawit, in deſſen feit 1846 erjchienenen Sahrbüchern für
Geſetzgebung und Verwaltung auch flatiftifche Aufſaͤtze veröffentlicht wurden,
und ber inı Jahre 1849 das Staatshandbuch der Herzogthümer Herausgab,
welches zugleich eine topographifch = ſtatiſtiſche Landesbeſchreibung enthielt. Das
ftatiftifche Bureanı zu Kopenhagen Hat die Statiftif der Herzogthümer bis
jege nur, ſoweit e8 die Zolleinheit mit Dänemark erforverte, mitbearbeitet, doch
bat ed den zehnten Band des Tabellenwerfd (Handel und Schiffahrt Dänes
464 ' Miscellen:
marks und ber Herzogthumer 1853) auch in einer beutfchen Ausgabe ver⸗
dffentlicht. Die Statiftil einzelner Lanveötheile der Hergogthümer ift in halb⸗
offiziellen Schriften bearbeitet worben; unter biefen ift Hanſſens Statiſtik des
Amtes Bordesholm Hervorzuheben.
VOI. Schweden und Norwegen.
Die ſchwediſchen Bevolkerungstabellen fin feit 1749 von ver Tabellen⸗
Commiſſion aufgeftellt, ſeitdem aber zu verfchievenen Zeiten erweitert und ver
beffert worden; vie Volfszählungen wurben anfangs alle drei, feit 1775 alk
fünf Jahre ausgeführt. Die Tabellen» Eommiffion giebt ale fünf Jahre ber»
aus: Tabell-Commissionens Femärs-Berättelse angäende Nativitetens
och Mortalitetens Förhällande och 8. Rikets Folkmängd, bie Zählungs-
zefultate und die Bewegung der Bevölkerung feit der letztvorhergegangenen
Zählung enthaltend; bei der Zählung wird Alter, Eivilftand, Stand und Be
ſchaͤftigung ſehr ſpeziell unterfchievden (auch Gefangene, Arme ꝛc.), auch in
Betreff der Bewegung des Givilftanves find die Unterfcheinungen fehr zahl
reich, bei ven Geburten werben bie Verbältniffe ver Gebaͤrenden (Alter ıc)
unterfchieven, bei nen Todesfaͤllen gewifle Topesurfachen, bei ven Ehen bie
aufgelöften u. f. w. Die fünfjährigen Berichte find zuerfi für 1821 bis 25
erfchienen, ebenfo da8 zubehörige Tabellenwerk Tabeller höranda till Tabell-
Commissionens afgifne Berättelse (doch find vie Tabellen für die fünfjäh-
rige Periode 1826 bis 30 nicht veröffentlicht worven); ſte kommen in ber
Megel im britten Jahre heraus, doch iſt ver neuefte Bericht (von Fr. Th. Berg
gearbeitet) erſt im vorigen-Iahre erfchienen. Dazwifchen find von der Tas
bellen⸗Commiſſton auch verſchiedene Berichte für einzelne ober mehrere Jahre
erftattet worden mit beigegebenem Gteneral-Sammandrag öfver Nativiteten
och Mortaliteten (und mit befonveren Tabellen über die Sterblichkeit an der
EHolera); vie erfte allgemeine Zufammenftellung geht bis 1749 zurück. Die
Statiſtik des Handels und der Inpuftrie wird im flatiflifchen Bureau des
Commerz⸗Collegs bearbeitet; die Berichte defielben über Handel und Schiift-
verkehr mit dem Auslande und insbeſondere mit Finnland und Norwegen
(fowie die Handelsmarine feit 1795) find felt dem Anfange ber breißiger
Jahre erfähienen. Bald darauf hat das Bureau auch die Herausgabe ber
Jahresberichte über die inländifche Schiffahrt und ver über die Handwerks⸗
und Babrif-Inpuftrie begonnen (Commerce-Collegii Berättelse om Sr.
Utrikes Handel och Sjöfart, om Sv. Inrikes Sjöfart, om Fabrikernes
och Manufacturernes Ställning, vie neueften für 1853; in den Ichtgenann-
ten wird u. A. auch der Werth der Fabrikate angegeben. Die Jahresberichte
des Juftizminifterö erfchienen zuerft für das Jahr 1830; fie find feit 1841
in der jeigen Form eingerichtet und zerfallen in ven Bericht über die Civil⸗
und Griminaltechtäpflege (Justitie-Statsministerns Berättelse angäende ci-
Ueberficht der Verdffentlihungen aus der abminiftrativen Statiflif. 465
vila Rättegängs Ärendena och Brottmälen) und ven Bericht über Ver⸗
fäufe und Verpfäändungen von Grundeigenthum (J. St. B. om Förhällan-
det med den à Landet lagfarne Egendom samt meddelade och dödade
Inteckningar); beiten find ftatiftifche Tabellen beigefügt. Die Statiftif ver
Production der Berg- und Hüttenwerfe ift in ven feit 1833 erfchienenen
Zahreöberichten des Bergcollegiumd niebergelegt ( Bergscollegii Berättelse om
Förhällandet med Bergshandteringen); vie ftatiftifchen Tabellen ver Ges
fängniffe und Arbeithäufer find in ven betreffenven, zuerft für 1835, in ver
legten Zeit aber alljährlich Herausgelommenen Berwaltungäberichten enthalten
(Styreisens öfver Fängelser och Arbetsinrättningar Berättelse om Fängvär-
den); von flatiftifchem Werthe find die Berichte des Geſundheitstollegii über
das Mebicinalmefen (Tabellen ver Kranfenhäufer, Impfungen ꝛc.), der erite
Jahrgang für 1851 erfchien 1853, wer zweite im Jahre darauf (Sundhets-
collegü Berättelse om Medicinalverket i Riket). Außerdem werben als
ftatiftifche Documente bezeichnet vie Borlagen an die Reichsſtaͤnde feitend des
Binanzminifterd und ein 1846 erjchienener Gen. Sammandrag af statistiske
Tabeller upprättede efter Formulärer meddel. af Kommiten för Behand-
ling af Frägan om Nationalrepresentationens Ombildning. Die Gentrali-
jation der Statiſtik und Errichtung eines flatiftifchen Bureau's wird feit laͤn⸗
gerer "Zeit beabfichtigt. — Die ſchwediſche Provinzialftstiftil if} in den Quin⸗
quennals Berichten ver Lanbeöshauptleute und beziehungsmeife des Statthalters
von Stockholm über ven öfonomifchen und fonftigen Zuftand des Landes nach
den verfchievenen Richtungen ( betreffend Landesbeſchaffenheit, Bevölkerung, die
einzelnen Nahrungszweige und die politifche Verwaltung) behandelt; tabella-
rifh zufammengeftelt werben die Bodentheilung nach der Nutzungsart, Aus⸗
ſaat und Ernte, Viehſtand, Grundwerth, Beſteuerung, Marktpreife. Diefe Bes
richte wurden zuerſt für die 3. 1823 bis 27 aufgeflelt, dann in Sjährigen
Perioden weiter, diejenigen für 1843 bis 47 find in ven Jahren 1850 uno 51
erfhienen, vie nächften Berichte umfafjen nur die vreijährige Periode 1848 bis
50 und erfchienen 1853. In Verbindung mit den Arbeiten bed topographi⸗
ſchen Bureau's werden von dem Landmeſſertorps ftatiftifche Befchreibungen ber
einzelnen Kirchfpiele geliefert, von denen jedoch angeblich erft drei erjchienen find.
Die Heraußgabe der norwegifchen ftatiftifchen Tabellen war im Jahre
1838 durch das Finanzdepartement begonnen worben (Statistiske Tabeller
udgivne efter det Finants-, Handels- og Told-Departements Foranstal-
ting); fie wurden von dem feit Anfang 1846 im PMinifterium des Innern
errichteten flatiflifchen Bureau fortgeſetzt (Contor for det almindelige sta-
tistiske Tabelvärk i Departementet for det Indre). Die biöher erfchie-
nen Bände enthalten vie Volkszählungsreſultate (nach Civilſtand, Alter, Stand
und Gewerbe), fowie die gleichzeitigen Aufnahmen über Agricultur (Ausſaat und
Ernte) und Viehſtand, ferner die Bewegung ver Bevölkerung feit dem Anfange
des Jahrhunderts, und die Handels⸗ und Schiffahrtötabellen (auch ven Verkehr
Zeitſchr. f. allg. Erdkunde. Br. V. 30
466 Midcellen:
mit Schweden und die Handelsmarine) für 1835 und weiter für breijährige
Perioden (zulegt bis 1853). Die Cenſus werben feit 1815 alle zehn Jahre aufge-
nommen; die legten Genfusaufnahmen find, ſoweit fle Irre, Blinde, Taubftunme,
Ausfägige betreffen, von Holft beſonders bearbeitet worden. Das Yinanzmini-
Rerium Bat außerdem territorial = ftatiftifche Tabellen nad) den Landesmatrikeln
von 1819 und 1838 herausgegeben (Tabel der viser Antallet af Jorde-
brugene og deres Störrelse efter Skylden etc.); ſie jind in den Jahren
1840 und 45 erfchimen. Das Kirchen= und Schuldepartement Bat die Sta-
tiſtik des Unterrichtsweſens, bauptfächlich ver Volksſchulen, für vie 3. 1837 und
weiter zurüd und für das 3. 1840 in ven 3. 1840 und 43 herausgegeben
(Statistiske Tabeller ved Undervüsningsväsenets Tilstand). Andere Do-
cumente für die Randesftatiftik find bie von dem Finanzminifterium erflatteten
Staatsrechenfchajtöberichte und die Berichte der Staatöbanf, ferner die von
Holft herausgegebenen Berichte der Commiſſionen für die Irrenanflalten und
den Geſundheitszuſtand in den Gefängniifen (Beretning fra en til at un-
dersöge de Sindsvages Kaar nedsat Commission und om Sygepleien i
Straffeanstalterne), fowie der Bericht der Cholera» Commifjion (Actstykken
ang. Cholera, 1850); auch bat das Juſtiz⸗ und Polizei» Departement ſta⸗
tiftifche Tabellen über die Strafanftalten (eine Art Criminalftatifiif) befannt
gemacht. Die periopifchen Berichte der Amtleute über den öfonomifchen Zu⸗
fiand des Landes begreifen die verfchievenen Verwaltungszweige; ſie geben
ſtatiſtiſche Nachrichten über Veräußerung und Berpfändung bon Grundeigen-
thum, DBerficherungen, Handwerker, Fabriken, Bergwerföproduction, Handel,
Getreidepreiſe, Befteuerung, Zölle, Amtöfinanzen, Straßenbau, Sparfaften
u. ſ. w. Sie find zuerft für Ende 1829, dann für die Jahre 1830 bis 35,
und ſeitdem für jedes weitere Jahrfünft erftattet worben; Ueberſichten der⸗
felben bat das Departement des Innern beraudgegeben (unter verſchiedenen
Bezeichnungen: Oversigt over de af Amtmändene afgivne Rapporter, Or.
over Rikets ökonomiske Tilstand i Forbindelse med Amtmändenes
Femaarsberetninger, Beretninger om N. ök. Tilst. udgivne efter Foran-
stalting af Dep. f. d. 1.); vie Berichte bezüglich ver Jahre 1841 bis 45
hat Braun Toethe für feine normegifche Statiſtik benutzt. Seit 1850 ik
auch den Gemeinde» und Diftricetöverwaltungen die Aufftelung ftatifliicher
Tabellen über ihre öfonomifchen Angelegenheiten (3.8. über die Armenpflege)
aufgegeben worden.
IX. Das britiſche Reich einſchließlich Britiſch-Indien.
Die britiſche Statiſtik iſt nicht centraliſirt; in London ſelbſt beſtehen drei
bedeutende ſtatiſtiſche Inſtitute, das Statistical Department of the Board of
Trade, 1832 errichtet, früher unter Porter's, feit 1848 unter Fonblanaue
Direction, die londoner flatiftifche Geſellſchaft, 1834 errichtet, und das General |||
Ueberficht der Veroͤffentlichungen aus der abminiftrativen Statiſtik. 467
Register-Oflice, 1836 errichtet. Das ſtatiſtiſche Departenıent des Handels»
amts Bat in den Tables of Revenue, Population, Commerce etc. nicht
nur die ſtatiſtiſchen Erhebungen aus dieſem Heflort, fondern überhaupt vie
bei der Megierung und dem Parlament eingehenven ftatiftifchen Tabellen kurz
mitzutheilen fich zur Aufgabe gemacht. Seit dem Juni 1833 ift jährlich ein
Band der Tables of Revenue etc., alſo im vorigen Jahre ver 22fte erſchie⸗
nen; fie beziehen fich je auf das vorlegte Jahr, ver letzte Band alfo auf
1852; die auf die Colonien bezüglichen Tabellen erfchienen anfangs vom drit⸗
ten bis achten Bande in Supplementbänden, ſeitdem find fie mit in den Haupt⸗
bänven enthalten; vie ftatiftifchen Tabellen von auswärtigen Staaten waren,
anfangs vom dritten bis neunten Bande in ven Hauptbänden mit enthalten,
feitvem wurden fie in Supplementbänven zum 12., 14. und 18. Theile vers
öffentlicht. Von Band 21 (Jahr 1851) an beichränfen ſich vie Tables
of Revenue auf die frühere erfte Abtheilung, nämlich auf die Finanz» und
Sandelötabellen. Die Nachrichten aud ven hierher gehörigen Reſſorts find die
volftändigften; fie gehen in ven Tables of Revenue im Ganzen bis 1821,
in Porters Progress of the Nation theilmeife fogar bis 1801 (fowie auch in
Darton’8 ftatiftifchen Tabellen eine Zufammenftellung der Hauptjächlichften
ſtatiſtiſchen Verhaͤltniſſe Gropbritanniend auf den Umfang der erfien Hälfte
diefe8 Jahrhundert unternommen worten ift); einzelne Zufammenftelungen
in den PBarlamentspapieren reichen bi8 in das vorige Jahrhundert zurüd
(R. of the s. Committee on public Income and Expenditure, Account
of the Import and Export of the British and foreign Merchandise etc.).
Das Material für diefen Theil ver Tables of Revenue gewähren theils bie
verfchiedenen jährlich vorgelegten Finance Accounts (fie erfcheinen auch bes
fonder8 und zwar fchon jeit 1822), die von den einzelnen Yinanzbehörven,
wie dem Stempelamt (Stamp Office), wo die ftatiftifchen Tabellen gleichfalls
bis in das vorige Jahrhundert reichen, dem bireften Steueramt (Tax Office),
dem Accountant general of Excise, deſſen Tabellen dad Material für Zweige
der Productions» und Verbrauchöftatiftit geben, ver General» Infpection ver
Einfuhr und Ausfuhr, dem Registrar general of Shipping, den Postmaster
general, dem Comptroller of Corn Returns (Korneinfuhr) und ver Munz⸗
verwaltung aufgeflellten Tabellen, vie Returns of the Offioe of the Com-
missioners for the Reduction of the national Debt, vie R. of the 8. Com-
mittee on the Bank of England, und vie Returns of the Bank of Eng-
land, die von den Commiſſionen für den Kohlenhandel und für die Hering«
ficherei aufgeftellten Tabellen, vie Reports of the Registrar of Joint-Stock-
Companies und die weiter zurücliegenden Nachweifungen über Actiengeſell⸗
Ihaften, fomwie über die Banfen und Sparkaffen. Ihrem ftatiftifchen Inhalte
nach find neben den älteren Tabellen viefer Art auch die neuerdings erfchie-
nenen Reports of the s. Committee on the Income and Property Tax
hierher zu zählen. Die Einfuhr» und Nusfuhr- Tabellen in ven Tables of
30 *
468 Miscellen:
Revenue wurden mit der Zeit abgekürzt, dagegen find die Nachweifungen
über die Schiffahrt und die Handelsmarine (deren Statiſtik feit 1815 auch
beſonders erfchienen ift) in ven letzten Jahren erweitert, auch hat man Ta⸗
bellen ver Durchfuhr feit 1850 Hinzugefügt. (Die nicht auf Finanzen und Han⸗
del bezüglichen in ven Tables of Rev. abgedruckten Tabellen werben unten bei
der Statiftif der betreffenden Reſſorts erwähnt.) Außerben giebt das Handels⸗
amt feit 1839 monatliche Accounts relating to Trade and Navigation
heraus; dieſen gingen vorher Statements of Import and Export, Returns
of the Number of Vessels. Im vorigen Jahre zuerft ift für vie Periode
1840 bis 53 vom Handelsamt ein Statistical Abstract veröffentlicht wor⸗
den, defien Tabellen fi auf Finanzen, Handel, Schiffahrt, Accife, Kornpreiie,
Münze, Sparkaffen, Banknoten, Bevölkerung, Armenpflege und Auswante-
rung beziehen; in ähnlichem Umfange erfchien in dieſem Jahre ver Statistical
Abstract für 1840 bis 1854.
Die Bolközählungen wurden in Großbritannien feit 1801 alle zehn
Jahre ausgeführt, anfangs nur mit Ermittelung der Kopfzahl und der
Häuferzahl, allmählig mit linterfcheinung ber perfönlichen Verhältniffe. Die
Refultate find veröffentlicht worben in dem Enumeration and Parish Re-
gister Abstract von 1821, dem comparative Account of the Population
of Gr. Br. 1801 bi 31, dem Enum. and Par. Reg. Abstract von 1831
(erfchienen 1833), dem Abstract of Answers and Returns, Enumeration,
Age, Occupation, Par. R. Abstract von 1841 (in 6 Bänden), und dem
Census of Great-Britain 1851, Population Tables in 5 Baͤnden, die erfle
Abtheilung die Volkszahl nach ven ſechs Zahlungen für alle Landesabtheilun⸗
gen (politifchen, abminiftrativen, Tirchlichen), fowie Ylächeninhalt und Häufer-
zahl, vie zweite Abtheilung dann Alter, Eivilftann, Befchäftigung und Ge⸗
burtöftelle der Einwohner, fomwie die Statiftif der Blinden, Taubflummen,
und der in Kranken», Irren⸗, Arbeitähäufern und Gefängnifien befindlichen
Perſonen, auch Tabellen des Grunnbeflges und der in Bewerben und Land⸗
wirtbichaft befchäftigten Arbeiter enthaltend; fle erfchienen in ven Jahren 1852
und 1854. Mit diefem Cenſus wurden Aufnahmen über die Statiftil der
Schulen, willenfchaftlichen Inftitute und Kirchen (ven Kirchenbefuch) verbun-
den (Census etc., Religious Worship and Education); fie find 1854 ber-
auögegeben worden. Auögeführt wurven vie früheren Cenfus durch Rickmann
(empl. in arranging Returns under the Population Acts), die beiden letz⸗
ten durch dad Generals Megifter- Amt (G. Graham, W. Farr, H. Mann).
Die Statiftit der Geburten, Sterbefälle und Trauungen in England
bearbeitete früher ebenfalls Rickmann (welcher danach Bills of Mortality
aufftellte); die unvollkommene Regiftrirung veranlaßte die Errichtung der
General Register Office (Report of a Committee appointed to inguire
into the State of Registers), unter dieſem wurben nach einer Ginthei«
lung, welche fi an vie neugebilbeten Armenpflegebezirke anſchloß, im
Ueberſicht der Verdffentlichungen aus ber abminiftrativen Statiftif. 469
den einzelnen Diſtrieten Superintenvent-Regiftrer, ven Unterbiftricten Regi⸗
firer (im Ganzen 2190) angeftellt. Die Thätigkeit des G. R.- Amts wurde
1845 auf die Ermittelung der Tobesurfachen ausgedehnt (Circular to me-
dical Practitioners etc.). Das ©, R.-Amt bat feit 1839 Jahresberichte
(Annual Report of the Registrar general of Births, Deaths and Mar-
riages in England) beraudgegeben; vie Nachrichten beginnen mit dem Juni
1837. Die Sahreöberichte find biß zum neunten Bande in einer Folio⸗ dann
und fchon vom fünften Bande an in einer Octav⸗Ausgabe erfchienen. Um⸗
faffende Zufammenftellungen ver Mortalitätd- und Bevölferungdverhältnifie
enthalten ver ſechſte und der zmölfte Jahresbericht, an welchen legten fich
Farr's Abhandlung Uber die neue englifche Lebenstafel und ihren Gebrauch
für Lebensverficherungsanftalten anfchließt; fchneller als vie ausführlichen
Jahresberichte erfcheinen bie Ueberfichtötabellen (in Folio). Das G. R.⸗Amt
giebt außerdem feit 1840 Wochenberichte über vie Geburten und Sterbefälle
in London und feit 1849 Vierteljahröberichte über vie Geburten ıc. in Eng⸗
land mit meteorologifchen Tabellen heraus. Als ein befonveres Werk ift 1854
der Bericht des ©. R.⸗Amts über die Cholera (Report on the Mortality
of the Cholera in England 1848, 49) erfchienen. — Bon anderen Arbei-
ten aus der abminiftrativen Statiftit, welche ſich auf die Geſundheits⸗ und
Sterblichfeitsverhältnifie beziehen, find zunächft vie de8 Board of Health zu
erwähnen (fie beginnen mit ven Reports of the sanitary Condition of the
labouring People of Great-Britain 1842 und 43); und Chadwicks Sup-
plementbericht, betreffend die Beerdigung in den Städten; dann folgen u. A.
die Reports of the Metropolitan sanitary Commission, die Annual Re-
ports of the Board of Health für 1851 und vie fpäteren Iahre; Hierher
gehören weiter die zufammengeftellten Refultate der Erfahrungen der Lebens-
verficherungd=@efellfchaften und Friendly Societies (Report from the s.
Comm. on Assurance Associations 1853 ıc., Report from the s. Comm.
on Friendly Societies, die Returns des Megiftrerd der Fr. S. und Finlai-
ſon's Report on Sickness and Mortality in Fr. S. in England), Eine
Zufammenftellung der Armenpflege in England feit 1801 (Abstr. of Ret.
made to Parl. of Expenditure for the Relief of the Poor) ift in ven
T. of Rev. abgebrudt; flatiftifched Material enthalten ferner die Reports of
the s. Comm. on Poor Laws, worunter bie 14bänpigen Rep. of the s.
Comm. for ing. into the Advancement and practical Operation of the
Poor Laws; feit Einrichtung ber Armenverbände find die Annual Reports
of the Poor-Law-Commissioners erfchienen (zuerfi 1835); das neu er⸗
richtete P. L. Board für England giebt feit 1849 (zuerft für 1849) Jahres»
berichte heraus. Als ähnliche Gegenſtaͤnde betreffend Eönnen bier vie Berichte
und namentlich die Analitical Digests aus den Berichten der Comm. app.
to ing. into Charities in England erwähnt werben; ferner bie verfchienenen
Tabellen ver Local Taxation (namentlich aus ben Rep. of the s. Comm.
470 Miscellen:
von 1838) und die über ſtaädtiſche Verfaſſung und Verwaltung überhaupt
in Verbindung mit dem Municipal-Corporation- Act aufgeftelltien Tabellen
(Rep. of the s. Comm. app. to ing. into M. C. in England 1836 xc.).
Tabellen der Parlamentöwähler in Großbritannien find zu verfchiedenen Bes
rioden zufammengeftelt und veröffentlicht worden. Statiſtiſches Material über
den Volksunterricht befindet ſich in den Berichten ver feit 1816 beſtandenen
Comm. of ing. into the State of Education of the People (für England),
der Education Inguiry von 1835 und in ven zahlreichen Mittbeilungen des
1838 errichteten Committee of Council on Education, deſſen neuere Ar»
beiten auch Schottland mit begreifen. Die Stanflif der Auswanderung bes
trifft alle drei Königreiche; Nachweiſungen verfelben find jeit 1820 aufgeftellt
worden (Report of the s. C. on Emigration), und es werden alljährlich
Returns exh. the Emigration from the U. K. regelmäßig vorgelegt.
In der Eriminalftatiftil beginnen die Zufammenftellungen von 1805 und
find bis dahin bei Porter benugt. Die Tables showing the Number of
eriminal Offenders erſchienen zuerft für 1834 (vergleichöweife bis 1820
zurückgehend); ſie werben im Minifterium des Innern von Redgrave be⸗
arbeitet. Die Statiftif der Gefängniffe findet fich fehr ausführlich behandelt
in den Reports of the Inspectors general of Prisons in Great Britain,
welche zuerft 1836 erfchienen find (in deren Beilage Digests of BReturns
rel. to Prisons in England); aufervem enthalten ſtatiſtiſches Material vie
Jahresberichte der Directoren der Staatögefängniffe und die verſchiedenen
Gaol Returns (Number of Persons comm. to the diff. Gaols in Eng-
land 1814 bis 34 2c.). Aus ver Eivilrecktöäpflege find ftatiflifche Nachwei⸗
fungen erft neuerdings zufammengeftellt worden (fo in ven Parlamentöpapies
ren die Returns of County Courts, of the Court of Chancery :.); ſchon
feit 1820 wurben die Tabellen der Banferutte und vie Returns of the In-
solvent Debtors Court mitgetheilt. In ven Tables of Rev. find die flati-
ftifchen Tabellen abgeprudt, welche von ven Polizeibehörven ver größeren
Städte aufgeftellt werden (jo von der Polizei der Hauptflabt und der Lon⸗
don»City, von Kiverpool, Manchefter, früher auch von Birmingham und Hull);
fie enthalten außer den Tabellen ver ‘Polizeigerichtöbarkeit vermifchte Tabellen,
welche ſich auf die Thätigfeit in Betreff ver Diebflähle, Bordelle, Trunken⸗
heit, Brände, Unglüdsfälle ıc. beziehen; verfchienene verfelben erfchienen auch
befonder8 (Metropolitan Police criminal Returns).
Material für die invuftrielle Statiftif geben vie feit 1834 Halbjährlich
erfchienenen Reports of the Inspectors of Factories (in ®roßbritannien):
auch find mehrmald und namentlich 1850 Ueberfichten der Manufactur In»
duftrie der geſammten britifchen Infeln zufammengeftellt worven (enthaltend
Number of Factories, Power and Hands employed); außerbem find hin⸗
fichtlih der Manufactur= und Bergwerks⸗Induſtrie die Berichte der Childrens
Employment Commission (von 1833 und fpäteren Jahren) und die Com⸗
Ueberficht der Veroͤffentlichungen aus der adminiſtrativen Statiftif. 471
mifflondberichte on the Act for Regulation of Mills and Factories zu ers
wähnen. In der Statiftif ver Mineralproduction ift das Material jehr un⸗
gleich vorhanden; vie Eifenprobuction in Großbritannien ift für verfchiedene
Sabre in ven Tables of Revenue mitgeteilt worden, die Kupferprobuction
in England geben die Parlamentöpapiere feit 1820 an, die Zinnprobuction
ergiebt ſich aus ben Returns des Duchy of Cornwall Office. Tabellen des
auf den Märkten verkauften inlänvifchen Kornd werben von ven Korns Ins
pectoren in England alljährlich zufammengeftellt. Statiftifche Nachweiſungen
der Lebendmittelpreife find zu verjchienenen Zweden durch verfchienene Behör-
ven aufgeſtellt, 3. ®. in dem Beport of the s. Comm. on the State of
Agriculture von 1833 ıc. und fpäter in ben Jahreöberichten ver Tithe Com-
mission. Die Agriculturs Statiftit überhaupt wurde vor etwa 20 Jahren
von ber Negierung in Angriff genommen, daB aufgenommene Material das
mals der londoner ftatiflifchen Gefellfchaft überlaffen und in deren Journal
mitgetheilt. Seit 1848 find neue Aufnahmen durch die Regierung veranlaft
worden; in dem im vorigen Jahre erfchienenen Bericht der Commiſſion für
die Landwirthfchaft findet fich der Umfang der einzelnen Bulturarten und ber
Viehſtand angegeben.
Als der erfte in England entftanvene flatiflifche Verein kann vie flatiftifche
Section der British Association for the Advancement of Science (errich⸗
tet 1833) bezeichnet werven; fie hat ſowohl felbft eine ftatiftifche Uinterfuchung
angeftellt (on the Collieries upon the Tyne and Wear, 1838), als andere
Privatunterfuchungen unterftüßt. Im Jahre darauf wurde die Londoner fla-
tiftifche Gefellfchaft gegründet; fie gab zunächft ein Heft Transactions ber-
aus, dann abgefondert den erften Commifjionäbericht über den Stand des
Unterrichts in Weftminfter, und drei Serien von ragen, betreffend Berhälts
niffe der aderbauenven und inpuftriellen Bevölkerung, hierauf feit dem Mai
1838 das Journal, welches anfangs in monatlichen Heften, feit Juli 1839
in Biertelfahröheften erfchien. Das Journal enthält die Verhandlungen und
vie Commiffiondberichte,; viele find zwei weitere Berichte der Kommilfion on
the State of Education in Westminster, ver Rep. of the Education Comm.
on the Borough of Finsbury und der fünfte Bericht des Education Com-
mittee, ferner der Report of the medical Comm. on Suicides in West-
minster und on the State of the working Classes in two Parishes in
Westm., ver Rep. of the C. on the State of the Inhabitants of Church
Lane St. Giles, zwei Berichte des Comm. on Hospital Statistics, der Rep.
on Sickness and Mortality among the Metropolitan Police, der Rep. of
tbe C. on the State of the poorer Classes in St. George in the East,
und der Rep. of the C. on Education in South Staffordshire; außerdem
bat vie Geſellſchaft ftatiftifche Unterfuchungen in den Städten Leeds und
Sheffield veranlaßt. Das Journal enthält aus der englifchen Statiſtik ver⸗
fchiedene Abhandlungen von Kletcher (deſſen Moral and educational Sta-
\
472 Miscellen:
tistics u. f. w.), von Porter, von Chadwick (über Lebendbauer), von Farr,
9. Mann, Sellin, Buy, Neifon (veflen Beiträge zur Lebensoſtatiſtik aud ven
Erfahrungen der Friendly Societies, Eifenbahnunfälle ꝛc.), Tidd Pratt, Raw:
fon u, U. Someit die Thätigfeit der Gefellfchaft über England Hinausreicht,
wird fie weiter unten erwähnt werben.
Die ftatiftifche Geſellſchaft zu Manchefler wurde fchon im Jahre 1833
geftiftet; fie Hat Herausgegeben Reports of the Committee of the M. stat-
Soc. on the State of Education in Manchester, in Bury, in Salford, in
York, in Pendleton, in Rutlandshire, in Hull (6i8 1841), on the Con-
dition of the working Classes in an extensive manufacturing District
(1838), on the Condition of the Population in 3 Parishes of Rutland-
shire (1839), eine Collection of miscellaneous Reports and Papers, un»
einen Aufiat on the Demoralization and Injuries occasioned by the Want
of proper Regulation of Labourers engaged in the Construction of Rail-
ways (1846); ſie befteht noch fort und erftattet Jahresberichte. Die übri⸗
gen in England errichteten ftatiftifchen Gefellfchaften haben fich bald wierer
aufgelöft; es waren dies die flatiftifche Befellfchaft zu Briftol, 1836 errichtet,
von deren Arbeiten die Statistics of Education in Bristol und ein Report
of an Inquiry into the Condition of the working Classes in Bristol an-
zuführen find; zweitens vie ſtatiſtiſche Befellfchaft zu Leeds, gefliftet 1838,
drittens die zu Birmingham, in vemfelben Jahre errichtet (Arbeiten derſelben
find der Report on the State of Education in Birmingham und bie Eco-
nomical Statistics of Birmingham), viertend vie zu Xiverpool, in demſelben
Jahre geftiftet, fie ftellte Unterfuchungen über die Lage der arbeitenden Klafien
an, ihre Beröffentlihungen find fehr gering. Schließlich muß Hier, wenn es
auch nicht als ein flatiflifches Inſtitut bezeichnet werben Tann, das Institute
of Actuaries erwähnt werben, deſſen Mitglieder auf dem Felde ver Berfiches
rungsſtatiſtik fehr thätig find, und welches ven erften flatiftifchen Gongre$
(durh S. Brown) beſchickt Hatte.
Zu denjenigen Zweigen, in welchen vie fchottifche Statiſtik fi) von ver
englifchen unterfcheidet, gehört zunächft vie Bewegung des Civilſtandes. Die
Gontrole derfelben, beſonders die Eintragung der Ehen und der Geburten in
die Parochialregifter, ift fehr mangelhaft; das 1847 vorgelegte Geſetz über
Ausdehnung des Regiſterſyſtems auf Schottland fiel durch. Eine Zufammen-
ftellung der Bewegung des Civilſtandes in den Jahren 1842 bis 50 (Return
of the Number of Births, Deaths and Marriages) befindet fi in ven
Parlamentöpapieren. Die Statiftif der Lebensdauer ift durch Privatihätigkeit
fehr geförvert worben; Clelands Vital Statistics of Glasgow find in ben
Tables of Revenue abgebrudt, vie British Association hat einen Report
on the vital Statistics of five of the chief Towns of Scotland veröf:
fentliht, die Vital Statistice von Evinburgh werden monailich, vierteljähr-
lich und jährlich Church I. Stark) zuſammengeſtellt und veröffentlicht. "Die
Veberficht der Veröffentlichungen aus der adminiflrativen Statiftif. 473
londoner ſtatiſtiſche Geſellſchaft Hatte eine Commiffton für die Ausdehnung
des Regiſterſyſtems auf Schottland niebergefeßt und theilte in ihrem Jour⸗
nal Auffäße über fchottifche Vitalftatiftit mit. Don den fchottifchen ſtati⸗
ſtiſchen Gefellfchaften Hat die 1836 zu Glasgow geftiftete eine Abhandlung
über Populationd- und Mebicinalftatiftit herausgegeben, fie befchäftigte fich
vorzugäweife mit der Statiftif der weftlichen Grafichaften; die 1841 geflifs
tete flatiftifche Sefellfchaft zu Aberdeen wollte die Statiſtik ver norböftlichen
Grafichaften bearbeiten, bat fich jenoch bald aufgelöfl. Aus ver Statiſtik
des fchottifchen Armenweſens find namhaft zu machen: der Bericht der Com⸗
miſſion der Kirchenverfammlung vom Jahre 1839 (Report by a Committee
of the General Assembly of the Management of the Poor), die feit 1840
zufammengeftellten Poor rate Returns, die Berichte des Board of Supervision
for the Relief of the Poor und die in den legten Jahren feit 1849 aufge
ftellten Armentabellen (auch wird Hierher der Bericht ver Central⸗Commiſſion
ver Edinburgh Society for the Relief of the Destitute in the Highlands
von 1851 zu zählen fein). Die Statiflif ber Friendly Societies ift in ven
Jahreöberichten des Regiſtrers enthalten; vie Statiftit ver Wahnfinnigen hat man
in mehreren Sahren aufgenommen (die flatiftifchen Tabellen des Glasgower
Irrenhauſes wurben in ben Tables of Revenue abgedruckt). Hinfichtlich des
Unterrichtöwefend find bier noch vie Berichte zweier Unterfuchungs-Gommiffto-
nen (Answers on parochial Education von 1826 und Abstract of Ans-
wers and Returns on Education von 1837) zu erwähnen, aus der Eivil-
Nechtöpflege vie Vorlagen des Court of Session an dad Parlament, aus ber
Griminalrechtöpflege vie Tables of criminal Offenders, aufgeftellt feit 1832,
in der jeigen Form aber, d. h. ven englifchen ähnlich, feit 1836 alljährlich vom
Lordadvokat für Schottland dem SBarlament vorgelegt, aus ver Sicherheitd-
Polizei die Berichte über die Zahl der wegen Trunfenheit verhafteten Perſo⸗
nen in Evinburgh und Glasgow, aus der Befängnißvermaltung die feit 1840
erflatteten Berichte des G. Board of Directors of Prisons, Die Aufftelung
einer fchortifchen Ugriculturftatiftit (Tabellen des landwirthſchaftlich benutzten
Bodens, des Biehftandes, ver Ernte) ift von der Highland and agricultu-
ral Society of Scotland zuerft für das Jahr 1854 unternommen worben
(Report on the agricultural Statistics in Scotland). Endlich ift Sinclair's
flatiftifche Befchreibung von Schottland zu erwähnen, deren Material von ven
einzelnen Pfarrern kirchſpielsweiſe geliefert worden war, und bie fpäter von
dem Verein für pie Hinterbliebenen von Geiftlichen neu herausgegeben wor⸗
den iſt.
Selbftändiger iſt die irifche Statiftit. Cenfusaufnahmen fanden in Ir⸗
Iand in den Jahren 1813, 21, 31, 41 und 51 flatt (außerdem der
Census of religious Denominations von 1834); von den früheren wurs
ten Abstracts veröffentlicht; die beiden neueften führte das Genfusamt in
Dublin aus; vie Mefultate des Cenſus von 1841 wurden in dem Report
474 Miscellen:
of the Commissioners appointed to take the Census in Ireland veröffent-
licht, fie ſtehen an Specialität ungefähr denen des neneflen britifchen Genfus
gleich; daneben wurde in vemjelben Bericht die Bewegung des Civilſtandes
des Jahrzehnts 1831 His 40 zufammengeftellt (mit Eingehen auf vie Todes⸗
urfachen). Die Mefultate des lebten Cenſus find graffchaftäweife dem Parla⸗
ment vorgelegt, auch in allgemeineren Berichten vargeftellt worden (Theil 3
enthält ven Report on the State of Disease); die Statiflif der Taub-
flummen, nach viefem Genus vom Commiſſar Wilde bearbeitet, iſt in tem
Journal der londoner flatiflifchen Gefelichaft abgedruckt. Außerdem wire
die Agriculturftatiftil feit 1847 alljährlich aufgeftelt (vie Zählung des Bich-
ftandes Hatte fchon 1841 flattgefunden); viele angeblich vom Registrar ge-
neral erftatteten Returns of agricultural Produce in Ireland enthalten bie
landwirthſchaftlich benutzte Bodenflaͤche, den Viehſtand und eine Schäßung der
Production. Aus den Veröoffentlichungen über die Armenpflege in Irland
find hervorzuheben die Reports of the 8. Comm. on the State of the Poor
in Ireland 1830 x. und of the Comm. of Inq. into the Condition of
the poorer Classes in Ireland 1835 2c., für die Jahre 1839 bis 47 iſt
die irifche Armenpflege in ven englifchen Armencommillionds Berichten enthal⸗
ten, feit 1847 in ben Sahreöberichten ver Commiss. for administering the
Laws for Relief of the Poor in Ireland. Das irifche Unterrichtäweien be
handeln vie Jahresberichte der 1809 errichteten Comm. of Ing. into the
State of Education in Ireland, der Rep. of the 8. Comm. on Education
von 1825 ıc., und die Annual Reports of the Comm. on national Edu-
cation, welche feit 1834 erfchienen find. Hinſichtlich der Civilrechtapflege fint
bie von ven hohen Gerichtshoͤfen in Irland aufgeftellten Nachmweifungen (Grund⸗
rentenrüdftände, Emiſſionen ıc. betreffend), in ver Griminalrechtöpflege tie
Tables of eriminal Offenders zu erwähnen; biefelben erfchienen zuerft 1835
(für 1828 bis 34), doch ift dad Material fchon feit 1805 vorhanden (ba
PVorter); fie werden aus ven Returns made to the Inspectors of the
Gaols by the Clerks of the Crown and Peace zufammengeftellt; ftatiftifche
Tabellen der Befängnißverwaltung geben die Berichte der Insp. general on
the State of Prisons in Ireland, welche ſeit 1823 jährlich erfchienen finv:
die Dublin Police Returns enthalten vie Tabellen der Polizeigerichtöbarfeit,
Beauffichtigung der Öffentlichen Häufer ꝛc. Andere amtliche Zufammenftellun-
gen aus ber irischen Statiftif betreffen die Parlamentäreform (Wählertabellen),
die Irrenanftalten in Irland, vie Hofpitäter in Dublin, den Grafſchaftshaué⸗
alt, vie Municipal Corporations, die Loan Funds, vie Friendly Societies,
den Verkehr auf dem Shannon und den Kanälen, vie öffentlichen Bauten.
Der Berfehr mit England wurde im erften Biertel dieſes Jahrhunderts con-
trolirt, ſeitdem befchränfen fich die Nachrichten auf ven Getreideerport. Ber-
ſchiedenes flatiftifches Material findet fich in ven Berichten ver iriſchen Eiſen⸗
bahn « Commifjionen (3. 3. von 4835), ver Zehnt⸗Commiſſionen (feit 1831)
Veberficht der Verdffentlihungen aus der abminiftrativen Stariftif. 475
und der Handeldfammern. Die Zufammenftelungen ver iriſchen Manufacturs
Induftrie wurden oben erwähnt. — In Belfaft ift 1838 eine ftatiftiiche Ges
jelichaft für Ulfter errichtet worben; fle mar in verfchiebene Sectionen für
Unterricht, Mebicinalftatiftit, Wohlthätigkeit, Bergbau ꝛc. vertheilt. Die Ion«
doner ftatiftifche Geſellſchaft hat in ihrem Journal zahlreiche Auffäge über
irifche Statiftif abgebrudt; ſie beziehen ſich auf Die verfchiedenften Verhälts
niffe, u. A. auf die Sterblichkeit in Cork und Limerif, Pauperiömusd, Kran⸗
fenpflege, Agricultur, Bifcherei, Manufactur, Gelnverfehr, Auswanderung. Die
Heraudgabe einer allgemeinen ftatiftifchen Befchreibung von Irland Hat vie
iriſche Vermeſſungscommiſſion (Ordnance Survey) feit dem 3. 1837 unters
nommen.
Die Hauptquellen ver Colonialftatiftif find die jährlich von den Gouver⸗
neurd für dad Colonienminifterium aufgeftelten Tabellen; te wurben im
Sabre 1821 eingerichtet und erfordern in ihrem größten Umfange ftatiftifche
Nachrichten über Bevölkerung (nach Farbe und Befchäftigung), Geburten,
Sterbefälle, Trauungen, Miliz, Unterricht, Kirchen, Gefängniffe, Flaͤcheninhalt,
cultivirtes Land, Ugriculturprobuction, Viehſtand, Manufacturen, Bergmerte,
Fifchereien, Handel und Schiffahrt, auch Schiffbau, Geldumlauf, Eolonial»
finanzen, Preife und Arbeitslohn. Obwohl die Tabellen gleihmäßig aufge»
ftellt werben follten, fo ift doch ihre Volftänbigfeit nach ven einzelnen Eos
Ionien verfchieven; fte finpen ftch größtentheild von 1831 und 32 an in ven
Tables of Rev. abgevrudt. Die Handels⸗ und Schiffahrtstabellen erjcheinen
faft uniform; fie werben von den Zollbeamten aufgenommen und find (mit Aus⸗
nahme von Jamaica) feit 1827 für die damaligen Golonien vorhanden; nach=
ber kamen auch die Tabellen für einzelne neuere Colonien Hinzu; fie werben
auch jegt noch in ven Tables of Revenue abgebrudt, woſelbſt auch (bei
ber britifchen Marine) die Handelsmarine aller britifchen Beſitzungen angege-
ben iſt. Hinftchtlich Der europäifchen Beflgungen ift zu bemerfen, daß Man
und die normannifchen Infeln in vieler Beziehung (namentlich ang. Cenſus⸗
aufnahmen und Handel) in ver Statiftit von Großbritannien mitbegriffen find,
dag von Gibraltar, Malta und den jonifchen Infeln Tabellen ungefähr in
dem für die Eolonien bezeichneten Umfange aufgeftellt werden. — Der Eenfus
von 1851 Sollte jich auf alle Befigungen und Eolonien erftreden; wirklich vorges
legt find bis jeßt vie Refultate des Cenſus in ven nortamerifanifchen Colonien.
Vorher fanden in den norbamerifanifchen Golonien die Zählungen zu verfchie-
dener Zeit flatt (3.8. der lebte in Ober⸗Canada 1842, in Nieder - Canada
1844, in New» Brungmif 1840, in Nova Scotia 1838, in Brince Edward I.
1841, in Newfoundland 1845); ungefähr in jedem Decennium wurde in allen
nordamerifanifchen Eolonien einmal gezählt. Die Eenfus in den nordamerikani⸗
ſchen Colonien find beſonders vollftändig und vielfeitig aufgenommen; fle find mit
Statistical Returns d. 5. Aufnahmen ver Production, Inpuftrie ꝛc. verbunden;
dagegen fehlen theilmeife Die Angaben über die Bewegung des Givilftanves.
A476 Miscellen:
Statiftifches Material über die norbamerifanifchen Colonien enthalten aud
bie Reports of the s. C. on the affairs of the Northamerican Colonies
und insbefondere der Commifjton für Canada und das Journal der canati-
fihen Legislative; befonders find neuerdings bie Statistice of Nova Scotia
nach dem Cenſus von 1851 von Macculloch (Secretair des flatiflifchen Bu⸗
reau’8) herausgegeben worben. Die Länder der Hubfondbay -Eompagnie Hat
die Statiftif His jetzt kaum berührt; zu ermähnen find daſelbſt nur die Auf⸗
nahmen über pad Med» Hiver» Settlement von 1343 und ber Report on the
Results of a Census of Indian Tribes in the Oregon Territory voa
1845 (vor der Theilung deſſelben). — Die ftatiftifchen Tabellen von ven 17
weftindifchen Colonien find ziemlich, vollftändig; fie begreifen auch Die Bewe⸗
gung des Civilſtandes. Die Iegten Zahlungen vor 1851 Hatten auf Jamaica
und den fleinen Antillen 1844, auf den Bahamas und in Buiana 1841,
auf den Bermudes 1840, in Honduras 1826 flattgefunden. Beiträge zur
Statiftit von Weftindien enthalten die Berichte des 8. Comm. on the commer- |
cial State of the West-Indies, ferner fowohl für Weſtindien, als für vas
GSapland und Mauritius die Parlamentöpapiere aus ben breißiger Sahren,
welche fi) auf die Aufhebung ver Sclaverei beziehen; ſie theilen die Sclaven-
regifter (Bewegung der Sclavenbevölferung) feit 1816 mit. — Die flatifli«
fhen Zufammenftelungen von ven afrifanifchen Beflgungen begreifen das
Capland (die Tabellen find Bier fehr vollflänvig), vie Sierra Leona unt
Gambia, und feit 1840 St. Helena, die Cenſus flammen aus verfchierenen
Jahren. Statiflifche Angaben über Cape⸗Coaſt enthalten die Parlaments-
Papiere von 1847, über Fernando Po der Commifflonsberigt von 1834:
Britifh = Kaffraria Ift in dem 1852 vorgelegten Return of the Population of
the Colony of the Cape of Good Hope mitbegriffen. — Aus den Beftgun-
gen in ven invifchen Meeren erden vollftänbige ftatiftifche Tabellen mitge
tbeilt; vie Zahlungen finden in Mauritius Häufig flatt, in Ceylon fol vie
legte Zählung (vor 1851) im Jahre 1843 flattgefunden haben; ſtatiſtiſche
Nachrichten über Ceylon enthalten auch bie Reports of the 8. Comm. on
Ceylon, wovon ber dritte 1852 vorgelegt wurde. Statiflifche Nachrichten
über Hongkong giebt M. Martind auf offlciele Ermittelungen gegrünbeter
Bericht in feinem Werke über China. — In den auftralifchen Eolonien ha⸗
ben vie Iegten Zählungen vor 1851 auf dem Feſtlande 1846, in Vandiemens⸗
land 1847, in Neus Seeland 1844 ſtattgefunden. Die fatiflifchen Aufnah⸗
men, welche in Neu=- Std» Wales (feit 1837 einschließlich Port Bhilipp) une
in Bandiemeneland erfolgen, find bie vielfeitigften von allen Aufnahmen in
britifchen Colonien; fle gehen bis 1829 bez. 1824 zurüd und begreifen u. A.
auch die Criminal⸗ und Polizeiftatiftit, Prozeſſe, Port, Viehconſumtion u. j. w.
Statiftifche Mittbeilungen über Weftauftralien find feit 1834, über Sübauftra-
lien feit 1839 vorhanven. Tabellen ver Sträflinge in Neufüpmales und Van⸗
biemendland werben dem Parlanıent vom DMinifterium des Innern vorge:
Veberficht der Veröffentlichungen aus der adminiſtrativen Statiftil. 477
legt, fie gehen bis 1823 zurüd. Statiflifches Material enthalten ferner bie
Jahresberichte der Handelskammer von Melbourne — Eine wichtige Duelle
der Eolonialftatiftif (namentlich für Nordamerika und Auftralien) find bie
Annual Reports of the Land and Emigration Commissioners, wovon der
erite im Jahre 1841 (für 1839) erfchien; vemfelben gingen vorber vie Re-
ports of the Comm. on the Disposal of Land in the Colonies. Eine
Zufammenftelung der Handelsſtatiſtik aus den officiellen Quellen giebt Dan⸗
fon'8 Commercial Progress of the Colonies, herausgegeben von ber lon⸗
doner ftatiftifchen Gefelfchaft; außerdem finden fh im Journal viefer Ges
ſellſchaft Auffäbe aus ver Statiflil von Jamaica, Guiana, Ceylon, Neu⸗Sud⸗
Male, Süd» Auftralien und Neu Seeland großentheild aus officiellen Bes
richten mitgetheilt; eine andere offtcielen Quellen entnommene Zuſammen⸗
ftelung der Eolonialftatiftif ift die von M. Martin von 1839. Beiträge zur
Vitalftatiftil ver Golonien giebt die Bearbeitung der Statiflil der britifchen
Armee, jowohl in amtlicdyen Berichten (Statistical Reports of Sickness,
Mortality and Invaliding among the British Troops, in the Mediterra-
nean, in British America, in the West Indies etc.), theils in Auffägen
von Tulloh und Balfour im Journal der londoner ftatiftifchen Gefellfchaft,
und die der Statiftif der britifchen Marine (Statistical Report on the Health
of the Navy), welche durch Burnett und Bryſon aufgeftellt wird.
Mittheilungen aus der Statiftit von britifch Indien finden fich haupt⸗
ſächlich in ven Reports from the s. Comm. on the Affairs of the East
India Company; ver erfte verfelben ift aus den Jahren 1808 bis 13, ver
zweite von 1832, welcher in ſechs Theilen die Verwaltung, die Finanzen, den
Handel, bie Rechtöpflege und die Wilitairverhältniffe behandelt; ver neuefte
Commiſſtonsbericht (Report of the s.C. on the Indian Territories in ven
Parlamentöpapieren von 1852) enthält eine Anzahl vom flatiftifchen Bureau
im Eaſt⸗India⸗Houſe mitgetheilter Tabellen, betreffend die Ermerbungen feit
dem Mai 1834, den Befland an Land und Bevölkerung im Sabre 1851 (ap
prorimatiy auch für die einheimifchen Staaten), die Statiftil der Unterrichtö-
anftalten und des Cultus, der Eifenbahnanlagen ꝛc.; verfelbe enthält ferner
an Tabellen aus anveren Hegierungds Departementd den Befland der Armee
in den Jahren 1834 bis 51 und den der Marine, und die Statiftif der Ci⸗
vil⸗ und Criminalrechtöpflege aus den Jahren 1849 und 50. Die Tabellen
der Mechtöpflege umfaflen ven größten Theil des unmittelbaren Gebiets ber
Compagnie; fle werden in den einzelnen Präflventfchaften nach verfchiedenen
Grundſaͤtzen aufgeftellt, beziehen fich auf die Thaͤtigkeit aller Inftanzen, theils
weife auch auf die Befängniffe; am ausführlichften find die Tabellen der Prä-
ſidentſchaft Madras (fie unterfcheiden z. B. die einzelnen Verbrechen, vie Dauer
der Haft 30). Eine fpeciellere Zufammenftellung des Flaͤcheninhalts und ver
Bevölkerung geben der Bericht des ftatiflifchen Bureau's vom Jahre 1851,
und ber Return of the trigonometrical Survey of India vom Jahre 1850;
478 Miscellen:
der legte enthält vie Mefultate ver in Verbindung nit der Steuerverjaftung
und in ben Norpweftprovinzen mit der Anlage von Tofalftatiftifchen Aufitel-
lungen audgeführten Vermeſſung. Das ftatiftifche Bureau der oſtindiſchen
Regierung ift im Jahre 1846 bei dem Miniſterium des Innern errichtet wor:
den und fleht unter der Direction von E. Thornton (zugleich Herausgeber
bed Gazetteer of the Territories under the Government of the E.1.C.).
Das ftatiflifche Bureau Hatte fehon 1846 einen Cenſus audgefchrieben, wel:
cher auch wenigſtens in dem größeren Theile ver Präfiventichaften Madrad
und Bombay und in den Norbweftprovinzgen zur Ausführung gefonmen if,
während in anderen Theilen nur vie früheren Cenſus revibirt worben ſind;
im der Megel ift nur nach Familien gezählt. Die Refultate für die Nord⸗
weftprovinzen find in Shakespear's amtlich aufgeftelltenn Memoir on the State
of the North West Provinces of the Bengal Presidency veröffentlicht:
ältere lofale Genfus, wie zu Allahabad und Bombay, find im Journal ter
londoner ftatiftifchen Geſellſchaft beſprochen. Die Behandlung der Vitalſta⸗
tiſtik wird durch die in einzelnen Städten (Calcutta, Bombay, Chittagong)
beftehende Regiſtrirung der Sterbefälle erleichtert (Report on the Mortality
of Calcutta 1847 2c.), ferner durch die Aufnahmen über die Sterblichkeit in
der Armee, deren Ergebnifle ſowohl nach den Mittheilungen des betreffenten
Medicinalbureau's bie zu dieſem Zmede eingefegte Commiſſion ter londoner
ftatiflifchen Geſellſchaft veröffentlicht (Report of a Comm. of the L. stat.
Soc. upon the Sickness and Mortality among the European and native
Troops of the Madras Presidency, in 1840, 41), als namentlich Syfes
für alle drei Präfiventfchaften und für fpätere Sabre in Auffägen im Journal |
derfelben Geſellſchaft beiprochen Hat. Bon vemfelben Berfafler rühren auch
die gleichfalls unmittelbar amtlichen Quellen entnommenen Darftellungen ver
Statiftif der Civil⸗ und Eriminalrechtöpflege in ven verjchiedenen Praͤſident⸗
fchaften feit 1836 und die ver Unterrichtäunftalten, Irrenhäufer, ver Zucker⸗
production, @etreidepreife und aus ber Finanzverwaltung in verfelben Zeit-
fchrift Her. Mittheilungen über vie oftinpifchen Yinanzen gehen alljährlich an
da8 Parlament und werben in den Tables of Rev. abgevrudt; ebenvafelkit
wurden früher die oftindifchen Handels⸗ und Schiffahrtötabellen (feit 1811) um
insbeſondere die, welche fich auf ven Verkehr der Compagnie mit China beziehen,
mitgetheilt; beſonders erjchienen ift 1841 das Statement of the Commerce
of the Madras Territories. Die Vermaltungsberichte über pie Punjab⸗Terri⸗
torien find für 1849 618 53 veröffentlicht reorden. Als halbofficielle in Oſtindien
erfchienene Werke flatiftifchen Inhalts find Andrew de Eruz On the political
Relations between the British Government and the native States von
1843 und Montgommery's Statistical Report on the District of Cawnpocr
von 1849 zu bezeichnen; zahlreiche Mittheilungen aus officiellen ſtatiſtiſchen
Documenten geben M. Martin in feiner oftinvifchen Geichichte und Statirtıf
und Macgregor in feiner Handelöftatifiil. Bei der Asiatic Society of Ben-
Die Provinz Chiloe in Ehile. 479
gal zu Caltutta ift eine flatiflifche Commiſſion errichtet worden. In ven
ebendaſelbſt herausgegebenen Asiatic Researches finden fich ftatiftifche Artikel
mitgetbeilt (3.3. über den Genfus von Benares).
N. Boedb.
(Schluß folgt.)
Die Provinz Chiloe in Chile,
(Schluß.)
Schiffsbau.
Dieſer Gewerbszweig macht reißende Fortſchritte; 8 bis 10 Jahre früher
kannte man noch keine anderen Fahrzeuge, als die ſogenannten Piroguen,
welche mit einem der Binſe aͤhnlichen Gewaͤchs, Quinileja genannt, genäht
und höchftens mit Holgpflöden genagelt waren. In der Form glichen fie den
Schaluppen, nur waren fie etwas größer. Das Segelwerk beftand aus 4
dter 6 Lappen aller Karben, die, wenn man fahren wollte, mit ven Nadeln
ver Quila zuſammengeheftet wurven; zu Tauen bienten aus der erwähnten
Duinileja gedrehte Stricke, befeftigt am einem zwifchen zwei halbzirkelförmig
fih Freugenden Hölgern liegenden Stein, was die Leute sacho nannten,
Gegenwärtig find die Piroguen verfchwunden und an ihrer Stelle wer-
den die Ganäle ver Provinz von zierlichen Lanchas, Balandrad und Goeletten
von ficherer und guter Bauart durchfurdt. Das Tauwerk und die Geräth-
Ihaften der Bahrzeuge unterfcheiden fich in nichts von denen großer Schiffe,
und wenn dennoch in den inneren Departement? noch geringere Bahrzeuge, als
die genannten, eriftiren, fo find fie doch ohne Vergleich beſſer, als vie ehe⸗
maligen Piroguen. Gegenwärtig giebt ed in der Provinz folgende Fahrzeuge:
Barfs Goeletten ... 2
Öoelettn ...... 14
Balandraa ..... 61
Lanchas (Zillen) .. 756
Piroguen ..... . 3
Boote........ 542
Schaluppen..... 8
Bongos ....... 366
zuſammen 1752.
Im Bau begriffen find: 1 Fregatte (?), 1 Brigantine, 2 Goeletten, 10
anchas.
Die Baumeiſter und Zimmerleute der Seeküfte find mit Ausnahme eines
einzigen fänmtlich Landeseingeborene und haben ihre Grundflüde im Innern
480 Miöcellen:
der Provinz. Diefe Leute Haben eine angeborene Neigung für eine ſolche Br-
fchäftigung, und es genügt, daß fie ein ober zwei Mal ein Schiff bauen geſehen
haben, um das gleiche Unternehmen felber zu wagen. Man möchte überhaupt
ohne ſonderlichen Irrtum die Bewohner von Chiloe alle Zimmerer nennen,
fo durchaus allgemein ift die Beichäftigung mit Art und Beil.
Der Hölzer zum Schifföbau giebt es viele, audgezeichnet darunter fin
der Noble (Steineiche), die Luma, das fehwerfte und vauerhaftefte, für jch
viele Dinge ſich eignende Holz, der Bolu, ver Tique, die Cyypreſſe, beſonder
zu Maftbäumen gefchäßt, die Ulerce (Ceder), der höchfte Baum von allen unt
von allerlängfter Dauer, ver Muermo, ver Maniu, ver Hafelnußbaum un
viele andere, die nicht von geringerem Werthe, ald vie genannten, find.
Unter den verfchiedenen Inbuftriezweigen, die in Chiloe mit anerkannten
Vortheil gefchaffen werden Eönnten, verdient der Walfifchfang und der Fiſch⸗
fang einen der vorzüglichften Pläße. Die Walfifche find, je nach der Jahres
zeit, fehr zahlreich um ven Archipelagus in der Nähe ver Dreis Berge, un:
die Fifche find von mannigfacher Art und in unerfchöpflicher Menge; wei
ih der großen Infel giebt es Plaͤtze, wo man fle in fo beträchtlicher Zahl
fangen fönnte, daß fle nicht bloß für den Verbrauch des Innern ausreichen,
fondern auch einen Ausfuhrartikel gewähren dürften.
Der Seehuntsfang, ebenfalls von anerfanntem Nuten, wurde fonft von
Leuten in Chonchi und Carelmapu betrieben, fie Haben ihn aber — well
ohne zu wiflen warum — aufgegeben.
Der Cyder, bier Chicha genannt, war vor 12 over 15 Jahren in Meng:
vorhanden und galt die Arrobe nur 2 bis 3 Realen, während dieſe heut zu
Tage da, wo man Cyder findet, 3 bis A Peſos gilt. Diefer auffallende Wechſel
rührt davon Her, daß die Apfelbäume unfruchtbar geworben find, ohne tat
man die wahre Urfache anzugeben vermag. Im Allgemeinen glaubt man,
daß das große Erdbeben von 1837 den Verluft viefer Frucht verurfacht habe,
bie für die Einwohner nicht blos des vielen daraus gezogenen Safted wegen
von Wichtigkeit war, fondern auch weil jede Bauernfamilie vermittelft derjel⸗
ben eine anfehnliche Zahl von Schmeinen halten konnte, deren Schinken einen
bemerklichen Ausfuhrartikel bildeten.
In der Provinz exiſtiren zwei Brennereien; eine Bierbrauerei iſt man
im Begriff Hier in Ancud anzulegen.
Ueber dad Mineralveih und ob das Innere der Erbe Metalle enthilt
oder nicht, ift man ohne Kenntnig in Chiloe. Der einzige foſſile Schaf, ten
man fennt, der aber auch in allen Landestheilen reich verbreitet ift, if die
Steinkohle. Verſuche, Die man zur Gewinnung dieſes Brennftoffd an wer:
ſchiedenen Orten angeftellt bat, find überall von gutem Grfolge geweſen
wenn auch die oberfte Kohlenfchicht immer von geringerer Qualität war. 36
denke, daß die Zeit nicht fern ift, in welcher vie Chiloten Hand an die Auf
beutung diefer Minen Tegen und fie zu vervienter Bedeutſamkeit erheben werten
Die Provinz Chiloe in Chile. 481
Bon Geweben Fennt man feine anderen, ald ven Garro, ähnlich einem
fein gearbeiteten Berfan (Camlot), und vie Sabanilla, identifch mit dem Fla⸗
nel. Der Poncho wird, was Farbe und Arbeit betrifft, in verjchiedener Be⸗
fchaffenheit angefertigt; außerdem giebt es Bettdecken, die man faum für 10
bis 12 Peſos erhält, aber auch geringe zum Gebrauch der Armeren Volks⸗
flafie, enplicd Kirchen» und Zimmer» Bußteppiche. Meiſtens werben alle viefe
Gewebe von den Lanbleuten für ihren eigenen Gebrauch angefertigt, weshalb
fie auch geringer ausfallen, ald wenn fle auf Beftellung gearbeitet würden.
MWohlthätigkeit.
Es giebt in der ganzen Provinz nur eine Wohlthätigkeitö-Anftalt, naͤm⸗
ih das im December 1850 eröffnete Hofpital zu Ancud, über welches ich
folgende Angaben machen Tann.
Das Grunpftüd Hat einen Umfang von 8 Quadras; in dieſem Naume
befindet fich ein Viereck von 64 Varas, welches die Wohnung des Hausmei-
ſters, des unmittelbaren Vorgefegten aller Theile der Anftalt, enthält. Die
für Männer beflimmte Abtheilung ift ein Gang von 26 Varas Lünge und
8 Barad Breite; darin befinden fih 2 Säle von je 11 Varas Länge und
3 V. Breite, und zwifchen den beiden Abtheilungen ift ein bevedter Eingang
von 3 Varas Länge und 14 DB. Breite. Jever Saal faßt 12 Zellen mit den
entiprechenden Betten, wovon jeved aus 2 Bettlafen, 2 Deden, 1 Matrabe
und 1 Kopffifien befteht. Die Abtheilung für Frauen bildet die Norbfeite
des Vierecks und ift 14 Varas lang, 8 Varas breit. Ihr Saal enthält
8 Zellen für eine gleiche Zahl von Betten. Derfelbe warb am 8. Januar
dieſes Jahres eröffnet, Hat aber für jeht gar feine Einfünfte, und nur mit-
telft Erfparnifien und Megelmäßigkeit bei dem Männerhofpital konnte man es
dahin bringen, dieſen Zufluchtsort für arme Franke Frauensperſonen der Pro-
vinz an gründen. Getrennt von dieſem Saale durch einen bedeckten Ueber⸗
gang befinden ſich 2 kleine Zimmer, wovon das eine zur Apotheke, das an⸗
dere zur Aufbewahrung der Befleivungsgegenflände beider Hofpitäler dient.
Gegenüber dem Gebäude des Männerfaals ift ein anderer Eorrivor von
17 V. Länge und 7 D. Breite, der 4 Piecen enthält, vie eine für Kinder,
die andere zur Vorrathokammer, die dritte zur Küche, die vierte zur Hofpitals
wache.
Das bei beiden Anſtalten verwendete Perſonal iſt folgendes:
Ein Adminiſtrator, der ſein Amt unentgeltlich verwaltet,
ein Hausmeiſter mit monatlich 25 Peſos — Centeſimos,
ein Krankenwaͤrter ⸗ 8 > — =
ein Wächter ⸗ ⸗ 8⸗— ⸗
Latus 41 Peſos — Gentefimos,
Zeitſchr. f. allg. Erdkunde. Bo. V. 31
482 Miscellen:
Transport 41 Pefod — Centeſimos,
eine Wächterin mit monatlich A = 50 ⸗
eine Waͤſcherin = . 3 =: — .
eine Köchin ⸗ ⸗ 2 «= 50 P
eine Srauenfrantenwärterin mit A = —— P
55 Peſos — Eentefimos *).
Eine Berfon von anerfannten Eifer und Theilnahme für bie leidende
Menfchheit an die Spige ver Anftalt zu flelen, war eine der erflen Maf-
regeln, vie ich, fobald ich daran denken Fonnte, getroffen habe. Denn obne
einen anderen Oberen oder Dirigenten, als einen bloßen Hausmeiſter, traten
verfchienene merfliche Uebelftänve ein, vie gegenwärtig durch ven Ernſt unt
Eifer des Directors befeitigt find.
Das Männerhofpital allein bezieht jährlich 1200 Peſos, die ihm durch
die Negierung ausgeſetzt find, nebft ven Stellen für Kranfe der Garnifon, vie
ſich nicht ficher berechnen Iaffen, da man einmal 4 oder 5 Kranfe, ein ante
res Mal Feinen bat, doch kann man vurchfchnittlich 2 kranke Sofvaten auf
den Tag annehmen; dazu Fommt noch der Grundzins des auf Grundftüdken *)
des Hofpitald belegenen Pulverhaufes, der monatlich 10 Befos einträgt.
Das Frauenhofpital hat, wie gefagt, gar Feine Einkünfte und ſelbſt nich
das Heinfte Almofen, folglich muß jener Bedarf für vaffelbe aus ven Font:
des Männerhofpitald genommen werben.
Seit dem Datum der Eröffnung des Männerhofpitals, alfo vom Januar
1851 bis Ende April 1854, hat folgender Wechfel ſtattgefunden:
Eingebradt:
im Jahre: Männer: Rrauen: Zufammen:
1851 219 — 219
1852 261 — 261
1853 226 — 226
1854 1. Jahresdrittel 71 10 81
Zuſammen 777 10 787
Entlaſſen:
im Jahre; Maͤnner: Frauen: Zuſammen:
1851 207 — 207
1852 250 — 250
1853 221 — 221
1854 1. Jahresdrittel 64 8 72
Zuſammen 742 8 750
—2 Hoͤchſt billig! B.
2) Indem der Gert ausdrüclich fagt: en terrenos, nehme ich am, daß dies ciz
entfernt liegendes Srundftäd fei, denn es iſt wohl nicht denkbar, daß auf dem Blatı
des Hofpitals felbft ein Pulvermagazin befindlich fei. B.
Die Provinz Ehiloe in Chile. 483
Geftorben.
im Jahre: Männer: Brauen: Zufammen:
1851 12 — 12
1852 11 — 11
1853 5 — 5
1854 1. Jahresprittel 3 1 4
Zufammen 31 1 32 (v.5. 455 pt.)
Bedeutende Verbeſſerungen find ſowohl in ver Verwaltung ber Anftalt,
ala in ber Krankenpflege felbft gemacht worden, ferner bei dem Ankauf ver
Gerächichaften und fonft erforverlichen Artikel, alles mit dem Zweite, durch
GEriparniffe immer den Bedürftigen Hülfe Ieiften zu Eönnen.
Wenn Ew. ıc. die Summe der feften Gehälter, die 55 Peſos monatlich
betragen, im Auge behalten, und ebenfo monatlich 40 Peſos, die für die ge
wöhnliche Krankenpflege, einen Durchfchnittäfag für die Zahl der Kranken am
genommen, aufgehen, fo werden Sie erfennen, daß Einfommen und Ausgabe
fh die Wage halten, und man daher mit möglichfter Defonomie verfahren
muß, um die außergemöhnlichen Ausgaben für Geräthſchaften, Wäfche und
vergl. zu beſtreiten.
Seit dem erſten Male, als ich das Hofpital perfönlich befuchte und
deſſen Entlegenheit von der Stadt wahrnahm, überzeugte ich mich, daß es bei
ber fchlechten Jahreszeit nicht gehörig werde verforgt werden koͤnnen. Faſt
täglich ergeben fich Uebelflände, um verenwillen deſſen Verſetzung in ein näher
gelegened Local ratbfam erfcheint; auch Habe ich mehr als einmal bie Mittel
dazu, ohne dem Fiscus eine flärfere Belaftung zugufchreiben, zu erlangm Yer-
ſucht. Leider entfprach dad Ergebnig meinem Wunfche nicht.
PMagiftrate (Municipalidades).
Es giebt deren 10 in ver Provinz, d. 5. eine für jedes Departement;
nimmt man übrigend die Stadt Ancud aus, fo find alle anderen nur nomi⸗
nel, indem weit gefehlt ift, daß fie die heilfame Pflicht, die dad Geſetz in ihre
Hände legt, vollführen follten, da fie feine anderen Einkünfte beziehen, als vie
Heinen und zufälligen Polizeiftrafen, vie Seitens ver Öffentlichen Beamten ein-
Hegogen werden ').
Unftreitig ift diefem Umſtande die Nachläffigkeit zuzufchreiben, vie ich bei
dem größten Theile derfelben in Haltung ihrer Situngen wahrgenommm habe,
eine Nachläffigkeit, die bei manchen fo weit ging, daß ſie nicht einmal Ihre
Verhandlungen niederfchrieben, irgend ein Papier aufbemwahrten, noch felbft
fiber ihre Einnahmen und Ausgaben Buch und Mechnung führten.
Indem ein großer Theil ver Mitgliever offenbar wenig für fein Amt ſich
ı) In Brafilien ift es leider bis heute auch noch fo. B.
31*
484 Miscellen::
eignete, und daraus dieſe auffälligen Zuftände bervorgingen, fing ich damit
an, jeden Magiftrat feinen Serretair und Rendanten ernennen zu laflen, da⸗
mit durch dieſelben die emtfprechenden Bücher ſowohl über die gefaßten Be⸗
fchlüffe, ald auch über Einnahmen und Ausgaben, beftänven foldye auch nur
aus einem Neal, geführt würden, ertbeilte ihnen feſte und veutliche Inftruc
tionen über die DVerfahrungsweife, fowie einige allgemeine Regeln über ihre
wichtigen Obliegenheiten, und veranlaßte bie zeitweiligen Gouverneure zum
Erlaß einer Ordre, nach welcher die Rendanten von 3 zu 3 Monaten eine
Ueberficht der Einnahmen und Ausgaben einzureichen hätten, bamit fie Hebung
in einer fo ferupnlöfen Arbeit gewännen und fähig würben, am Schlufie des
Jahres den durch vie höchften Beftimmungen angeorpneten Haupt-NRechnungs-
ſchluß zu legen.
Ich bin fehr befriedigt über den Erfolg dieſer Ordre, benn bereits ıf
faft aus allen Departements der Rechnungsſchluß über das erſte Vierteljahr
des laufenden Jahres eingegangen.
Die visponiblen Fonds jeder Magiftratur des Innern find gegenwärtis
folgende:
Caſtro 51 Peſos 25 Centeſimos,
Chonchi 30 — ⸗
Dalcahue 36 - 75 ⸗
Achao nichts,
Chacao 15 = 50 ⸗
Calbuco 232 - 37,7 - N.
Diefe Summen nun fchreiben fi, wie gefagt, nur aus Polizeiftrafen
ber, die in früheren Jahren eingezogen, aber nicht weiter zur Verausgabung
gebradyt worden waren, da die Körperfchaften fih nie um etwas gekümmert
haben, obmohl deſſen, was ihren Bevölferungen noth thut, fo Vieles unr
Handgreifliched war. Auch fehe ich wirklich, daß der Intendant ihrer feinen
Augenblick uneingedenk fein darf und in vie Fleinften und einfachfien Detaild
ihrer fpeciellen Obliegenheiten Herunterfteigen muß, da ſonſt die Apathie unr
Dernachläffigung fleigend zunehmen würden.
In Calbuco eriftirt feit einigen Jahren die Steuer für die Nachtwächter
(Serenos), ohne daß folche Seitens höchfter Negierung genehmigt, oder irgend
einem Meglement unterworfen wäre; fte bringt monatlich” 12 bis 15 Peſos
ein, und indem davon der Nachtwächter mit 3 bis 4 Peſos bezahlt wird.
fließt der Ueberſchuß den öffentlichen Fonds zu. Es kann aber dieſe Beſtene⸗
rung nicht fortvauern; ich habe naher bereitd an den betreffenden Gouvernem
klare und fchließliche Weifungen erlaffen, daß ver Magiftzat in möglichiter
Kürze ein den Ortöverhältnifien angemeflenes Reglement feitftelle und foldes
ber Intenbantur einreiche, um es an das hohe Minifterium zu fenben m
defien Genehmigung einzuholen.
2) Zaft kaum glanblich wenig! B.
Die Provinz Ehiloe in Chile. 485
Dermalen ftehen mir Feine willfürlichen Schritte zu, um jenen Körper-
fchaften fichere Einnahmen zuzuwelfen; daß mich aber viefe Idee fortwährend
beichäftigt, mögen Em. 30. vorausſetzen.
Uebrigens kann ich nicht umhin, von dem, was ich in Betreff der Ma⸗
gifträte gefagt Habe, den von Ancud auszunehmen, indem berfelbe vielmehr
fein Amt nach Gebühr und nach Maßgabe feiner visponiblen Fonds ver⸗
waltet. Die Einnahmen und Ausgaben vefielben im Iettverfloffenen Jahre
1853 Iegt folgende Ueberficht dar:
Ueberfiht der Einnahme und Ausgabe der Municipalität von
Ancud im ganzen Jahre 1853.
Einnahmen: Objecte: Ausgaben:
1637 Peſos 684 Cent. Nachtwächter (Serenos) . . . . 1332 Pefos 50 Gent.
633 -» — Abgabe der Lanıhad = — ⸗
67 =» 121 - ⸗ ⸗Chinganas (?) — e⸗— ⸗
355 - 813 - GSchlachtfteuer (Carnes muertas) — » — =
216 = 6 = Bolizeiftrafen — 120.
365 » — = Pacht von Kämmerigeumpflüden — - — ⸗
— ⸗— — Poolizei⸗Beſoldungen...... 706 -» 53 ⸗
— ⸗ — ⸗ Deffentlihed Gefängniß .... 144 -» — =
— ⸗— — ⸗ Beſoldungen für ven Rendanten,
Serretair und Negiftrator .. 3931 » 92 =
— ⸗— — s Bureaufoften ver Juſtizbehöͤrde 4 => — ⸗
— ⸗— — Pacht für das Schlahtfau .. 8 = — =
— ⸗2 — . Reuchtfeuer der Küften und fons
flige Gerätbfchaften der Stra⸗
ßenbeleuchtung....... 312 =» 68 —
— — — ⸗ Fiuunr die Jahresfeier des Septem⸗
bers.......... ... 55 ⸗ 36 >
— ⸗— — ⸗ Elementar⸗Unterricht... 111 — ⸗
— ⸗ — 2 Inſiegel für verſchiedene Bureau'ſs 238 = — =
— ⸗— — Regiſtraturſchraͤnke für die In⸗
tendantur.......... 80 . — ⸗
— ⸗— — Kbvoſten des Frohnleichnams⸗Feſtes 20⸗— >»
— ⸗— — Nidvellirung und Pflaſterung ver
Straßen Pe Ve Er vr ve 249 3 864 a
— ⸗ — = Peunlöfhe-Beräthfchaften -.. 17» 26 =
— e⸗ — ss Bureauslinkoften ver Rendan⸗
tur und Kanzli ..... . 12 — —
2945 Peſos 684 Cent. 3533 Pefos 114 Gt,
94 =» AT = Saldo aus dem vorigen Sahre
Saldo aus dem laufenden Jahre 354 = 4»
3887 Peſos 16 Emmi. Balancirt 3887 Peſos 16 Gent.
486 Miscellen:
Schmal, ſehr ſchmal find vie Einkünfte biefer Stadtbehörde und tarin
legt der Grund, daß ed noch viele Erforverniffe giebt, die ihrer Dringlichkeit
ungeachtet bei Seite geftellt werben müſſen. Dennoch bege ich die Zuverfict,
daß mit der entfchiedenen Unterftühung ver hohen Regierung ed meinen Be⸗
firebungen gelingen werde, dieſelben auf befieren Fuß und in den Stand zu
fegen, Verbeſſerungen von Wichtigkeit und von anerfanntem öffentlichen Nutzen
zu unternehmen.
Bereitd Tiegen dem Gabinette zmei Projecte für eine ganz mäßige Be»
fteuerung vor; das eine auf die Lanchas, welche aud dem Innern ver Pre:
vinz, mit Brüchten, Holz ac.. beladen, herabfommnten, dad andere auf die Ver⸗
forgung der in diefem Hafen anlegenden Bahrzeuge mit Waſſer. Hinfichtlid
des erften Habe ich Em. ꝛc. zu bemerken, daß darauf bereit in einem Regle⸗
ment wegen Haltung einer Matrikel und wegen fonftiger Vorfchriften, denen
die dem inneren Handel fich widmenden Fahrzeuge unterworfen fein fellen,
und das dem Pinanzminifterium unter dem 16. Juli 1853 vorgelegt worten,
Bedacht genommen iſt. An der Envbefcheidung über beide habe ich ein wah⸗
re8 Intereffe und mwünfche daher, daß die hohe Megierung venfelben vie ne
fprechende Aufmerkfjamfeit zu Theil werben laffen möge.
Sobald die Anlage eines Kebendmittel- Marktes im Gange fein wird, was
nahe bevorfteht, wird derſelbe eine neue ftädtifche Einnahmequelle bilnen, un:
man fann mit gutem Grunde annehmen, daß dieſe die vorzüglichfte fein wirt.
Wenn alfo nur erft das zu diefem Behufe angekaufte Gebäube abgezahlt if,
fo wird diefelbe die ſtaͤdtiſchen Fonds wefentlich vermehren und ver genannten
Körperfchaft als ein Hebel dienen, um fich in dem Bereiche ihrer Thärigken
zu bewegen und auszubehnen, wenn e8 auch noch Tange in einem weit unter
dem Bedarf des Volks bleibenden Grabe gefchehen wird.
Es bietet fich endlich noch eine Maßregel var, die zu Gunften jener Yonts
mitwirken wird, nämlich die Veriflzirung und Abgrenzung der innerhalb te
Stadtbezirks belegenen Grundſtücke, um folche vorbehaltlich der zufländigen
Genehmhaltung zu veräußern, nebft anderen, vie man zwar kennt, aber tie
Niemand gegen einen Pachtſchilling nehmen will, e8 fei denn eins oder tat
andere, das einen unbebeutenden Canon abwirft. Die nämliche Maßregel ge
denfe ich auch bei den anderen Magifträten einzuführen, fobald ſich Iemam
finden Iäßt, der bie nöthigen Kenntniffe beftgt, um vie Verhältnifſe folder
Beligungen klar herauszuſtellen und Streitigkeiten mit Privatperfonen zu be
gegnen.
Der Seitens der hohen Regierung bereitd genehmigte Voranfchlag vü
folgenber:
Die Provinz Chiloe in Chile.
487
Anfchlag ver Einnahmen und Ausgaben der Municipalität von
Ancud für va8 Jahr 1854,
Einnahmen:
Berechneter Saldo aus dem Conto des vorigen Jehres 300 Peſos,
Einnahme von den Lanchas..... ..
Schlachtſteuer . . .. ö ne
Beiträge für bie Nachtwache 2222.22. . 2000
Polizeiftrafen . . 0.
Bon dffentlichen Bergnügungen. nn.
Pachtzind von Orunnfüdn . . .. .
3586 ae 08,
Laufende Ausgaben:
WBehalt des Rendanten mit monatlich 16% Pefod . . 200 Pefos,
s bed Secretaird mit monatlih 10 Pefod. . . 120
⸗des PBolizeirichterd mit monatlich 20 Pefod . 240
» bed Beamten ded Gefängnifles monatl. 8 Pefo8 96
Licht und euer für das Gefängnig, monatl. mit 2 Peſos 24
Sold des Aufſehers (Sobrestante) des Präfivii monat»
ih 9 Belo . . . . . 108
Sold des Magiitratäpieners, monatlich 6 Peſos. .. 72
Bureaukoſten des Alcalden des Gefängniſſes, 2W. mon. 24
Miethe für ven Schlächterhof, monatlich 4 Peſos.. 48
Bureaukoften des Juſtizamts, 2 Pefos monatih . . 24
Außerorbentliche Ausgaben:
Zur Errichtung eines Polizei»Corps, ſobald die hohe
Genehmigung des eingereichten Projects eingegangen
fein wird, während deſſen vie Befoldung der gegen
wärtig beftehenven Vigilanten und Nachtwächter, ein«
fchlieglich des Befehlshabers viefer letzten und veffen
Stellvertreter, fortzubauern Bat . « . . . . 1560
Dem Erheber der Steuer für vie Nachtwathe, 2 „6
von 2000 PBefos . . . .
Zur Unterhaltung ver Straßenbeleuchtung 00. 200
Für das Iahresfeft im September . . 2.0... 34
Für den ElementarsUnterriht . . 20. 450
Für die Frohnleichnams⸗ und San Carloo⸗ Feſte, jedes
mit 1 Une. .. oe.
Für Straßenpflafterung und Brunnen« Reparatur . . 100
Für unvorhergefehene Ausgaben - oo 2 0 0. 211
3586 Peſos.
“ I) % “ %
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50 Ent.
488 Miöcellen:
Eine neue Erpedition uach Paraguay.
Es Hat in den legten 10 Jahren faft ein wahrer Wetteifer zwifchen ven
drei größten handeltreibenden Nationen der Erve, den Engländern, Franzo⸗
fen und Nordamerifanern, flattgefunden, vie hydrographiſchen Berhältnifie
des fünlichen Amerifa zu erforfchen und mit Hülfe verfelben jich bequeme
Handelswege von den Küften nach dem Inneren zu eröffnen. Ueber einige
der neueften Verſuche der Art Hat dieſe Zeitfchrift bereits berichtet. So gab
Herr C. Ritter nach dem Werke des Lieut. 2. Herndon ausführliche Nachricht
über die in ven Jahren 1852 und 1853 von Herndon felbft und. feinen Ge⸗
fährten Laroner und Gibbon ausgeführten Berfuche, den Amazonenflrom mit-
telit Dampfern zu befahren und eine genauere wiffenfchaftliche Kenntniß des⸗
felben zu erlangen (Br. IV, 273— 282), nachdem ich felbit bereitö vorber
dieſe Erpebition erwähnt Hatte (ebend. II, 44). Außer dem Amazonenftrom
zog befonver8 noch der La Plata die Aufmerkſamkeit der wifjenfchaftlicden und
Handelswelt auf fih; indeſſen war es bis zu der totalen Umänberung der
politifchen Verhältniffe in den ungeheuren, an dieſem Strome und feinen gro=
Ben Zuflüffen gelegenen Landſtrichen eine völlige Unmöglichkeit, ohne Anwen⸗
bung von Gewalt reelle Zwede zu erreichen, weil, wie früher der Dictator
Francia Paraguay und den oberen Lauf ded La Blataftromd gegen ven Zu⸗
tritt aller Sremven abſperrte und Francia's Nachfolger, Lopez, bis in die
neuere Zeit ziemlich viefelbe Politik verfolgte, fpäter auch der Dictator Roſas
die Befahrung des unteren Laufes des Stromes bekanntlich allen Fremden
verwehrt Hatte. Erft mit Roſas Fall wurde die Freiheit ver Schifffahrt auf
dem 2a Plata und feinen Zuftrömen von allen betheiligten Uferftaaten feſtge⸗
ftelt, und feit der Zeit Eonnten auch erft vie großen handeltreibenden Natio⸗
nen der Erde daran denken, mit Dampfern in die Binnenländer einzubringen
und diplomatische Verbindungen mit deren Regierungen anzufnüpfen. Sn
der Hinſicht wurbe bereits früher Hier mitgetheilt (Zeitfchrift DI, 39), daß
eine Gefellfchaft diplomatiſcher eurspäifcher Agenten im Beginn des I. 1852
den Rio de la Plata und Paraguay aufmärtd gegangen fei und mit dem Prä-
fiventen von Paraguay zu Affuncion einen Vertrag abgefchlofien babe, wo⸗
nach den Angehörigen ver drei mitcontrahirenden Mächte, England, Frankreich
und Sarbinien, die freie Bahrt auf den Beiden genannten Strömen nebft tem
Handel ind Innere des Landes geftattet wurde, und jebt erhalten wir einen
Bericht über eine im vorigen Jahre ausgeführte zweite Fahrt auf dem La
Plata nach Paraguay, welche ver Nordamerikaner Edward U. Hopkins, der⸗
felbe, der ſchon vor einigen Jahren Paraguay befuchte und einen feinem haupt⸗
ſaͤchlichſten Inhalte nach in den in dieſer eitfchrift II, 1 — 38 mitgetheilten
Auffag über dad genannte Land Üübergegangenen Bericht erflattete, unternom-»
men hat. Der Bericht über bie neue Erpedition findet fich in der öfters hier
Eine neue Erperition nad) Paraguay. 489
ſchon benupten nordamerikaniſchen Geographical and Commercial Gazette
1855 Nr. 1 in folgender Weife:
„Bor einiger Zeit ward Mr. Edward Hopfind, Sohn des Bifchofs Hop»
find, ein funger in Buenos Ayres flationirter Seeofflzier, durch die Groß⸗
artigkeit des La Plataflromes und den Reichthum und bie Ausbehnung der
an den Ufern beffelben und an deſſen Zuflrömen gelegenen Lanpflriche fo an⸗
gezogen, dag er den Entfchluß faßte, viefelben aufs Neue zu burchforfchen.
Bald darauf erhielt verfelbe unter der Adminiſtration des Präfiventen Polk
bie Ernennung zu einer Agentur, welche ihm erlaubte, eine perfönliche Unter⸗
fuhung ber DVerbältniffe ver argentinifchen Republik, der Banda Oriental und
beſonders Paraguay's vorzunehmen. Da er damals noch fehr jung war, fo
handelte er wahrfcheinlih mehr nach Eingebung feines Herzens, als feines
Verſtandes; doch bleibt e8 unzweifelhaft, daß Muth, unerfchrodlenes Benehmen,
bie von ihm an Roſas gerichteten Borftellungen, Kenntniß der fpanifchen Sprache
und Gefchicklichkeit in allen Dingen, welche eine befondere Anziehungskraft für
die Spanier haben, im Verein mit eigenen Geiſtesgaben, welche weder durch
Hinderniffe noch Widerſprüche fich ſchrecken Tießen, feiner Stellung Einfluß
gaben.
Mr. Hopkins Beſtrebungen gingen befonders dahin, vie Schifffahrt auf
vem La Plata dem amerikanifchen Handel zu eröffnen und bie Zwiſtigkeiten
zu befeitigen, welche die verfchiedenen Provinzen verfeinveten. Gin ziemlich
langer Aufenthalt in Aſſuncion, mehrere Reifen zu Pferde durch Paraguay
und das freundliche Benehmen des Präfiventen Lopez vereinigten fi, ihm
manchen DBortheil zu gewähren.
Vor etwas länger, ald zwei Jahren, ging Pr. Hopfins mit einem be
ſonderen, eind der wichtigften in den Handel kommenden Producte Paraguay's
betreffenden Zwecke nach Frankreich und Fehrte von dort mit einem Empfeh-
lungsbriefe an den Verfaſſer dieſes Aufſatzes zurück und feßte demfelben feine
Anftchten auseinander. Hierdurch kamen biefelben nach und nach zur Reife
und gelangten endlich auch zur Kenntniß der amerifanifchen geographifchen
Geſellſchaft. Hopkins las diefer einen von einer Karte begleiteten Aufſatz vor,
welcher zu den erften in ihren Schriften veröffentlichten Artikeln gehörte.
Ein Berfuch, feine Anſichten durch Bildung einer Dampfſchiff⸗ und
Handels» Eompagnie zur Ausführung zu bringen, warb nun Durch Gopkins
und mehrere feiner Freunde projectirt. Mehrmals fchien die Ausführung in
ber That ganz nahe. Die Einwendungen, die man machte, waren beſonders
Nur gegen Mr. Hopkins Perfönlichfeit gerichtet, indem man meinte, verjelbe
babe feine Taufmännifche Erziehung erhalten, auch fei fein Temperament zu
feurig, um ein fo umfaffendes Profect zu leiten (ein Einwand, dem man dadurch
zu begegnen fuchte, daß man benjenigen, von benen er audging, vorfchlug,
ihre eigenen faufmännifchen Agenten mitzugeben), fo daß man nie von ihm eine
Befeitigung der ſchwierigen Verhältniffe in ven Plataftaaten erwarten binfe,
490 Miscellen:
endlich daß das Volk noch nicht zur Freiheit reif fei, und dag überhaupt nichts
gefchehen Fönne, bis nicht ein zweiter Mofas erfchiene.
Weder die mit Intereffe und Geſchick abgefaßten Ausführungen einiger
der fähigften fünamerifanifchen Autoren, welche die Politik, die Freundſchaft und
den Schub der Bereinigten Staaten in Anfpruch nahmen, noch die wohlüber-
legten Berichte fo beveutenver Reifenven, wie Sir Woodbine Parifh, oder vie
ſchaͤtzbaren Mitibeilungen von Ver. Brent, fcheinen befonderen Eindruck auf
das faufmännifche Publikum gemacht zu haben. Hopkins ganzed Unterneh
men wäre gefcheitert, hätte nicht deilen Plan in dem Eleinen Staate Rhode⸗
Island diejenige Unterflügung gefunden, welche ihm ver große von New⸗NYork
verfagte. Eine Anzahl ehrenwertber Perfonen von bort vereinigte fich mit
vier Männern der Stadt New»Mork (feiner von ihnen war Kaufınann) unt
bildete vereint eine Gejellfchaft zur Beichiffung des La Plata mit einem für
einen erften Verſuch Hinlänglichen Capital.
Zwei Dinge wurden babei feſt in dad Auge gefaßt. Zuerft bezweckte
man, ein Dampffchiff zu finden, welches bie Reiſe zur See ficher zurüdlegen
fönne, doch auch leicht genug wäre, ven oberen La Plata hinaufzufteuern und
darin zu fegeln, dann aber mittelft eines Segelfchiffes eine Waarenladung
voraußzufchidlen, welche für ven Handel werthvoll wäre und in Paraguay
von Augen jein Eönnte.
Das für die Geſellſchaft erfaufte Dampfichiff, ver Paraguay, war von un-
gefähr 500 Tonnen Gewicht, hatte eine Dampfmafchine von großer Kraft, ging
wenig tief und fuhr mit großer Schnelligkeit. Die nöthigen Reparaturen wurden
unter Aufjicht eines erfahrenen Capitains und unter der Leitung eined aus⸗
gezeichneten Ingenieurß vorgenommen, fowie man auch alle Vorſicht anwandte,
das Fahrzeug ficher und ſtark zu machen. Neue Kefiel, doppelte Bollwerke,
innere Verfchälungen durch die ſchwerſten Planken, Ginzufügung von Pum⸗
pen, Maften, Takelwerk und Segel wurven mit großen Koften angefchafft, unt
das Schiff fehien dadurch gegen alle Stürme gerüftet zu fein. Als es in Se
ging, ſtand ed unter ten Befehl des Lieut. Baldwin von der Marine ver
Vereinigten Staaten und hatte noch einen Gapitain der Handelsmarine an
Bord, welcher ven Befehl im Fluß übernehmen ſollte. Es war zugleich mit
Ingenieuren, Dannfchaften, Vorräthen und den beten Navigationsinftrumen-
ten wohl verjehen. Nie verließ überhaupt ein Dampfichiff ven Hafen mu
einem größeren Anfchein von Sicherheit, ald gerade ver Paraguay.
Die Unfälle begannen jedoch ſchon, ald man ſich Charleston gegenüber
befand, in dem Golffirom, und nur ein praftifcher Seefahrer, ver die Der:
bältniffe genau Tennt, vermag fie verftännlich zu erklären. Bon Charleston
ging ed dann ſüdwärts nad) Maranhäo, aber nachdem man diefen Hafen ver⸗
laffen Hatte, um ven weiteren Weg in fühlicher Richtung zu verfolgen, mußte
man ſchon nach wenigen Stunden umfehren, indem dad Schiff an feinem
Vordertheil einen Leck erhalten Hatte, welcher feine Sicherheit gefährdete.
Eine neue Erpevition nach Paraguay. 491
Es ward hierauf genau unterfucht und endlich der Aſſecuranz⸗Geſellſchaft
überlaffen, wobei es nicht wenig auffallen mußte, daß das Schiff, obgleich
aufgegeben und verkauft, Doch faft ganz ohne Reparatur ficher nach New
Orleans zurüdfehrte. Die Loͤſung dieſes Raͤthſels ift noch nicht erfolgt, doch
beweiſt eben die Thatſache ſelbſt, daß das Dampfſchiff fefſt gebaut und gut zu
diefem Dienft geeignet war. Die Beranlaflung des Lecks kann veöhalb nur
unbedeutend geweſen fein.
Die von der Gefellfchaft gefundenen Hinderniffe Hatten die meiften ande⸗
ren Unternehmer entmuthigt. Dem Agenten Mr. Hopkins gelang es jedoch,
bie Paflagiere, Beamten und Borräthe nach Montevideo zu fchaffen, wo er
bie voraudgefandten Waaren vorfand. Er befaß aber feine Mittel, ven Fluß
binaufzugelangen, indem fein eigenes Dampffchiff verloren gegangen war, und
wenn auch inzwifchen ein amerikanisches Schiff, der Waterwitch, angelangt
war, fo Eonnte vaffelbe doch felbit bei dem beften Willen des Eapitains ihm
nicht von Nugen fein. Unter dieſen Umſtaͤnden wäre die ganze Erpedition
beinahe fehlgefchlagen.
Mr. Hopkins ging jedoch nach Buenos Ayred und fand bier einen ame⸗
rikaniſchen Dampfer von der Art der fogenannten Propeller, ver einft unter
bem Namen Utah befannt geweſen war und einem ber Herren Aspinwall ges
hört hatte. Er war kürzlich den Argentinern verkauft worben und bilbete
unter dem Namen Gonftitution einen Theil der Flotte des Commodore Eoe.
Diefed Schiff warb gemiethet; man jchaffte fämmtliche Waaren, Vorräthe und
Beamte an Bord und hißte die amerifanijche Flagge auf, als ein eigenthümlicher
Umſtand, der die nautifche Etiquette betraf, zum Vorwand dienen mußte, die
Erlaubnig zurüdzunehmen. Allen Einwendungen zu begegnen, begab jich ver
Agent felbit den Fluß hinauf nach Eorriented, wo er vom General Urquiza
die Erlaubniß erhielt, in vollfommener Sicherheit mit feiner Flagge den Fluß
binauf und hinab zu fahren. Darauf machten fich jedoch noch andere Ein-
flüffe geltend, die aus der Geſchichte des Schiffes ſelbſt entfprangen. Endlich
ift noch bemerfendwertb, daß höchft achtbare, in Buenos Ayres anfäßige und
mit Mofas befreundet gewefene Amerikaner im Allgemeinen äußerft wenig
Vertrauen zu der Eröffnung des Stromies Hatten.
Sn einem fo Eritifchen Augenblick erfchien endlich ein in Amerifa gebau⸗
tes Dampfichiff, das in Rio verlaffen, fpäter aber wieder in den Stand ge⸗
jegt worden war, das ſüdliche atlantiiche Meer zu befahren, in dem Hafen.
Es ward für tauglich befunden, in Stelle des Utah gemiethet, und trat am
30. September 1853 unter der Flagge von Montevideo feinen Weg an.
Nun begannen auch Diejenigen, die in Montevideo und Buenos Ayres von
Anfang an Miftrauen gegen dad Unternehmen gehabt hatten, die Möglichkeit
des Erfolges mit etwas günfligerem Auge zu betrachten, währenn alle wohl-
gefinnten und unterrichteten Perfonen in dem Unternehmen den Beginn eines
großartigen und ehrenvollen Werkes fahen.
492 Miscellen:
Man kann nun fragen, welches ift der wirkliche Zweck viefer Expebition,
und was wird ihre Folge fein?
Der leitende Gevanfe war der, dem Handel und den Fabriken Nord⸗
Amerika's einen neuen wichtigen Ausweg zu verfchaffen, womit man die Hoff»
nung verband, als Nüdfracht Gegenftänve zu erhalten, welche hoͤchſt werth⸗
vol find und in der Heimath beftändig begehrt werden. Es war alfo Zweck,
einen neuen und unfehlbaren Markt für amerikanische Producte zu fchaffen
und fo ein Aequivalent, ja felbft mehr, als ein Aequivalent, für vie Ein-
bußen zu erhalten, die wir in jenen verbrauchten Häfen Curopa's erleiben
fönnten, wo Krieg, Zölle und Beichränfungen felbft dem vorfightigften Kauf⸗
mann nur DVerlufte bereiten; zugleich follte damit ver politifche Zweck ver-
bunden werben, jene frifchen und Eräftigen Anſichten, die unfere eigene Re⸗
gierungsform entwidelt, dort einzuführen, fowie auch durch die Kortfchritte in
Kunft und Wiffenfchaft, welche faft überall zur Verbeſſerung menfchlicher
Berhältniffe dienen, endlich den unglüdlichen und vernachläfftgten Rtepublifen
Südamerika's dad glänzende Beifpiel einer vernünftigen Regierung zu zeigen.
Died waren die leitenden Anſichten, worauf der natürliche Wunſch derjenigen,
welche dem Riſico fich unterzogen, folgte, nämlich der, wieder zu ihren Aus»
Ingen zu gelangen. Man wird genug Gelegenheit finden, viefelben zu benei-
den, follten fie auch nur viefen Zweck erreichen, und ebenfo wird man ferne⸗
ren DVerfuchen keinenfalls die beften Wünfche verfagen.
Die Geſellſchaft beabfichtigt, dad Monopol zum Handel auf dem oberen
Fluſſe zu erlangen und erwartet mit vollem Recht von Seiten PBaraguay's
ihrem Riſico und ihren Auslagen entfprechende Vortheile.
Die Ladung der voraudgefandten Barke Kate und Alice beftand in mehr
ald 800 Colli's (packs). Die Gegenftände waren mit Nüdficht auf die Be-
bürfniffe und ven Gefchmad in Paraguay ausgewählt, und man berechnete
den Werth der Ladung nach den in Affuncion geltenden Preifen zu 300 bis
400 pCt. über dem Koftenpreife; vie Ladung Eonnte felbft in New⸗Nork für
eine werthoolle gelten. Es fol Bier Feine Waarenrechnung gegeben werben,
doch möchte es einiges Intereffe gewähren, ven Charafter ver aus Paraguay
als Rückfracht zu erhaltennen Waaren anzuführen 2). Außer einer großen
Zahl der verfchiedenften Mevicinalfräuter und Gummiarten, Vanille, Para-
guay⸗Thee (Mate), Baummolle, Hanf, Reis, Manioc, indifchem Weizen,
Cautchouc, natürlichem Leim, Horn, Bellen, Cochenille gehören Hölzer und
Tabak zu den werthvollften Propucten Paraguay's. So enthalten vie Wäl-
ber dieſes Landes nicht nur das beſte Schiffshauholz, fondern auch hoͤchſt
feine fefte Hölzer von der fchönften Farbe, welche vie feinfte Politur annch⸗
2) Das Folgende betätigt das, was ausführlicher fchon in dem Artikel über Ba:
raguay bezüglich der werthvollen Producte dieſes Landes (IT, 24—28) gefagt war. ©.
Eine neue Exrpebition nach Paraguay. 493
men. Fourniere davon find eben fo wertbuoll, ald Mahagony. Um foldhe
Hölzer in der nothwendigen Form zu erhalten, wurden mit ben verfchienenften
nöthigen Werkzeugen verfehene Holsfäger ausgeſandt, die nicht allein das
nöthige Holz für ven Bedarf der Erpebition, fondern auch noch zum Verkauf
erlangen folltn. Da ferner ver feinfle Tabak als Landesproduct bekannt
it, fo wurden alle zu feiner Bearbeitung in ven Vereinigten Staaten ge»
bräuchlichen Werkzeuge mitgefandt, und nicht nur dieſe, fondern fogar noch
das nöthige Papier zum Ueberziehen und zu ven Berzierungen ver Eigarren-
fiiten, fowie auch das nöthige Blei zum Einfchlagen des Kautabaks. Es
fhlofien fich außerdem ver Expedition eine Anzahl ver geſchickteſten Arbeiter
der Stadt an, wovon einige die Tabaksfabrifation in Cuba erlernt Hatten;
ein durchaus mit ver Bereitungsweife des Tabaks vertrauter Mann führte fle
an. Es wurden ferner Mafchinen zum Enthülfen und Reinigen des Reis ge⸗
fandt, da dies in Paraguay in Menge vorkommende Product von dem Volke
biß jeßt noch mit einem Theile feiner Hülſe gegefien wird. Brent fagt in
feinem handſchriftlichen Iournal, daß allein die Aufftelung einer Reisenthül⸗
fungsmafchine einen Menfchen bier reich machen koͤnnte. Endlich wurden auch
Pflüge, Eggen, Drillbohrer, Schaufeln und Spaten mit eingejchifft, nicht min-
der wählte man Mafchinen zur Neinigung der Baumwolle, welche ebenfalls
bort fehr Häufig wächlt, und Fleine Dampfmafchinen, um größere Mafchines
rin in Bewegung zu feßen, große Vorräthe von Schreibpapier, Drudkerprefien,
ſpaniſche Schulbücher, amerifanifche Feuerwaffen, trodene Waaren, amerifa-
nifche Baumwolle, einfache den Kranfheiten des Landes angemeffene Medica-
mente, Schmudjachen, Sättel, Pferbeanfchirrungen und manches andere mit
großer Vorſicht aus; alles Fam glüdlich in Affuncion an. Faſt jener Zweig
amerifanifcher Inbuftrie war in der Ladung der beiden Erpebitionäfchiffe ver⸗
treten.
Die Erpebition begleiteten verjchiebene talentvolle Männer, zwei over drei
erfahrungsreiche Kaufleute, ein Dlineraloge, ein praktiicher Chemifer, Mafchi-
niften, Ingenieure, mit einem Worte lauter ſolche Männer, welche zur Aus⸗
führung des urfprünglichen Planes nothwendig waren.
Da man von Seiten des Präflventen einen freunplichen Empfang erwar-
tete, fo mußte die Gefelfchaft darauf vorbereitet fein, die Breundlichkeit auf
eine anfländige Weife zu erwiedern. Da ſie erfahren Hatte, daß der Praͤſident
ih noch immer eined alten englifchen Wagens bediente, ver einft Francia
gehört Hatte, fo verehrte fie ihm einen wunderfchönen Wagen und Gefchirre,
dad Werk des Herrn Ham, feiner Frau eine mit Juwelen und Berloques
verzierte koſtbare Uhr, feinen Töchtern eine Garnitur mit Silber verzierter
Bartengerätbfchaften. Die Regierung fügte hierzu ein Paar fehr ſchön ge⸗
arbeitete Kanonen mit Zubehör.
Kann man ſich nur einigermaßen auf die Ausfprüche von Heifenden,
494 Miscellen:
Büchern und Erfahrungen verlaffen, fo bietet in ver That Fein anderer Theil
Stdamerifa’3 mehr Reiz für amerikanische Unternehmungen var, ale Paras
guay, das mit fo großen Hülfsmitteln ausgerüſtet ift und eine Bevölkerung
von einer halben Million zählt, welche im Vergleich mit ven anderen zwei Mil⸗
lionen vie Ufer des La Plataſtroms bevölfernden Menfchen weit vorgefchritien
if. Das Land fucht Freundſchaft und Hanvelöverbindungen mit den Ver
einigten Staaten. Die Schifffahrt dahin ift bereitö eröffnet, Verträge wurs
den ausgewechſelt und Feine Gewaltthätigfeit oder Streitfucht von Seiten der
Bewohner von Buenos Ayred und Montevideo Fann länger den amerifani-
chen Handel mit Paraguay verhindern. Uns darin zu ſchützen, ift Pflicht
unferer Regierung.
Die Ankunft ver Fanny zu Affuncion erregte großes Aufſehen, va fie
das größte Schiff war, welches man je in dieſem Hafen gefehen hatte, und
auch dem Präflventen gewährte viefelbe große Freude, well er nad dreifähriger
Verzögerung feinen Lieblingsplan endlich in’8 Leben treten ſah. Der Eonful
Mr. Hopkins felbft wurde mie ein Minifter empfangen. Der Präftvent trug
bei der Audienz feine Staatöuniform und war von einem glänzenden Gefolge
umgeben; an feiner Aufrichtigkeit Tieß fich nicht zweifeln.
Der befte Theil Suͤd⸗Amerika's ift nun unferem Handel eröffnet. Im
Jahre 1845 wurde der Königin von England durch eine große Anzahl engli-
feher Kaufleute eine Betition überreicht, worin man fie bat, den Handel dahin
mit Gewalt zu erzwingen, „indem berfelbe in wenigen Jahren nur durch ven
in den britifch« oftinvifchen Befigungen tibertroffen werben vürfte”. Wir ba-
ben dies auf eine andere Weife vurchgefeht und die Frucht davon iſt zur
Ernte reif. In ganz Eurzer Zeit werden Dampfichiffe den La Plata und klei⸗
nere Schiffe ven Pilcomayo, Vermejo und Tebiquari befahren.
Mir Fünnen nicht Daran zweifeln, dag unfere Babrifmaaren in Baum-
wolle, Xever, Metallen und Federharz, unfere Möbel, Papiere, Agricultur-
Werkzeuge, Kleidungsſtücke, Stiefeln und Schuhe, Schirme, Hüte, Bücher in
Kurzem den Borzug vor den Erzeugniffen anderer Länder erhalten werven.
Eben fo leicht dürfte es uns fein, Ladungen mit ven beliebteften franzöſiſchen
Waaren und leichten Weinen dahin zu fenden. Auch die Gelehrten möchten
hierbei nicht Teer ausgehen, indem man 3.83. weiß, daß die Bibliothek ver
Jeſuiten von der alten Paraguaymiſſion ſich noch in Affuncion befindet; ges
wiß würde man jebt den Zutritt zu derſelben erlangen.
Diejenigen endlich, welche reine Hanbelsinterefien nicht zu würdigen ver⸗
ftehen und nur Gegenden, wo Gold gefunden wird, ihr Intereffe zumenden,
vermeifen wir auf das Werf von Herndon, welches berichtet, Daß an der
Stelle, wo die Quellen des Amazonenftromes faft mit denen des Paraguur
zufanmentreffen, Bold und Dianıanten in ungeheurer Menge gefunden wer⸗
den. Diefe Region ift nun leicht erreichbar, wenn man ten Fluß Guyaka,
der fich oberhalb Affuncion in den Paraguay ergieft, binauffährt, und es
Eine neue Expedition nach Paraguay. 495
findet der in dieſem goldſuchenden Beitalter paſſenden Localitäten nachfplirente
Abenteurer hier eine vielleicht Californien nicht viel nachftehenne Gegend *).
Wir erfahren ferner, daß bereits einige Mafchinen ver Gefellfchaft in
der legten Zeit nicht weit von Aſſuncion aufgerichtet worden find, und daß
die Cigarren» Manufactur im Stande war, 150,000 Stück Gigarren monat⸗
ih zu fabriziren; ver Preis für 1000 Stüd Cigarren in jener Stadt betrug
25 Sh. Dagegen ift noch Fein anderer der von der Gefellfchaft beabfichtig-
ten Induſtriezweige bis jeht ind Leben getreten.
Von Providence wurde endlich im vorigen Frühjahr (1854) ein Schnell-
fegler, der zwei Eleine Dampfichiffe an Bord hatte, mit einer nach dem Er⸗
gebnig ver neueften Erfahrungen außgemählten Ladung für ven bortigen
Markt abgeſandt. Dieſes Schiff erreichte im Auguft Montevideo, gerieth
aber, indem es den Fluß binauffahren wollte, auf ein Felsſtuck, und wurde
ſo bedeutend befchäbigt, Daß e8 ausgeladen werben mußte. Diefer abermalige
Unfall ift ein ernftes Hinderniß für das Gelingen des allgemeinen Planeß;
doch ein noch viel bedeutenderes beſteht in der augenfcheinlichen Mbficht des
Präftventen Lopez, durchaus nichts in der inneren Bolitit zu ändern. In
vielen Stücken ähnelt derſelbe Francia, als deſſen wärnfter Lobredner er auch
auftritt. Ueberdies iſt der amerikaniſche Conſul bei dem Praͤſidenten in Un
gnade gefallen, und wahrſcheinlich wird ihm das Erequatur entzogen werben.
Man giebt hierbei vor, der Conful fei vem Präfldenten durch oftmaliges Ueber⸗
fhreiten der Zanvespolizeigefeße unangenehm geworben; unzweifelhaft ift dies
alles unferer Regierung mohlbefannt. Doch abgefehen davon, ob unfere Be-
amten an dem La Plata Fluß fich gut oder fchlecht benehmen, fo muß man
doch ven DVerfuchen ver Geſellſchaft, auf demſelben vorzubringen, vie höchfte
Aufmerkfamkeit widmen.
Es ift noch zu bemerken, daß die von dem Waterwitch auf Koften ber
Regierung audzuführenden Aufnahmen durch ein Mitglied ver amerifanifchen
gevgraphifchen Geſellſchaft veranlaft worden find, die ihren fchriftftellerifchen
Beiftand dieſer Zeitfchrift zugeftchert Bat.
Es fcheint alfo, daß die Erpevition bis zu einem gewiſſen Grabe geglüdkt
it, und die Geſellſchaft Hofft auf reichliche Erfolge. Die Zurückberufung des
jegigen Conſuls, unzweifelhaft die Folge feines rafchen und fchlecht überlegten
Benehmend, wird reichlich durch Die Anweſenheit des Herrn Wr. H. Hud⸗
fon, Esq., amerifanifchen Conful zu Buenos Ayres erſetzt, um fo mehr, ale
berfelbe an der urfprünglichen Geſellſchaft betheiligt if. Im Augenblick fah-
en noch Feine Dampffchiffe zwifchen Affuncion und den weiter abmärtd am
ı) Auch durch einen in dem londoner Mining Journal 1853, S 670 enthaltes
nen und aus dem Panama Star entlehnten Briefe, der am 17. Auguft 1853 zu Cha⸗
capogas gefchrieben wurbe, erfahren wir, daß ber Amazonenſtrom und der Fluß San
Jago de Borja gelpführend find; endlich daß in der Nähe des Ucayale, der befannt:
lich einer der mächtiaften Zuſtröme des Amazonas if, gleichfalls Goldſandablagerungen
auftreten. ®.
496 Miecellen:
Strom gelegenen Hafen. Ohne ſolche kann aber der Handel auf dem Strome
nicht zunehmen.
Gumprecht.
Der neue Ganges⸗Canal in ſeinem Bau und in ſeinen
Ergebniſſen.
Wie manche Schattenfeiten an dem Walten der oſtindiſchen Compagnie
in ihren ausgedehnten Gebieten auch entvedt fein mögen und wie herbem
Tadel jenes Megierungd« und Dermaltungsiyftem in feinen eigenthümlichen
Verwicklungen und felbft in feinen Tendenzen fortwährend anheimfallen mag:
angeficht8 der von Jahr zu Jahr flärfer an das Licht tretenven Zeugniffe des
Auffhwungs und Gedeihens wird heute Fein Unbefangener mehr zweifeln
fönnen, daß in dem britifchen Oftindien die Segnungen ver fortfchreitenven
Eivilifation in der erfreulichften Entwidelung begriffen find '). — Aus ver
neueften Zeit verdient der nunmehr im Wefentlichen vollenvete Bau des Ganges⸗
Canals, deſſen Entwurf recht eigentlich aus der fürforgenven Theilnahme an
dem Wohle der Landesbewohner hervorging, als eine ver herrlichften Thaten
der englifchen Herrfchaft in Oftindien anerkannt zu werben. Abgefehen von
dem anderweiten fehr vielfeitigen Intereffe, welches dad großartige Werk dar⸗
bietet, liegt e8 ganz beſonders nahe, die Aufmerffamfeit der Leſer unferer Zeit⸗
ſchrift auf daſſelbe zu lenken, da es fich in feinen Entwürfen, in feiner Aus»
führung und in feinen unabfehbaren Erfolgen als ein geographiſches Er-
eigniß im eigentlichen und beveutungsvollen Sinne des Worted varftellt.
Jenen berühmten Strom Indiens, der in den religiöfen Anfchauungen
der heidniſchen Eingeborenen ald Gegenſtand der höchften Verehrung lebt und
von Dichtern faft aller civilifirten Nationen mit Vorliebe befungen wir, fehen
wir in dem Stadium feines Gervortretend aus den Vorhoͤhen des geheimnif-
reichen Himalaya⸗Gebirges durch dad in feiner Art nirgends übertroffene
Unternehmen des neuen Canalbaues bis auf einen geringen Reſt feiner Hlu-
then für eine Strede von 348 engl. Meilen dem alten heilig geachteten Bette
entzogen. Durch menfchliche Arbeit kommt ed dahin, daß ausgenehnten Lant-
haften, die bisher von den Schrediniffen einer veröbenden Dürre von Jahr
2) Mir verweifen gern auf die inhaltvollen Artikel von L. v. Orlich im Mai:
und Juni-Heft d. 3. unferer geitfährift und befonders auf bie zufanrmenfaffenten
Shiußbemerkungen S. 476 ff. — Eine andere Stimme der neueflen Seit aus Nord:
Amerifa Bayard Taylor A visit to India, China and Japan (London 1855. 8.
pe: 268— 70; bie amerifanifche Originalausgabe des Werks liegt uns nicht vor)
— Ye einem fehr verfchiedenen Standpunkte aus im Wefentlichen zu bemfelben
gebuiß.
Der neue Sanges- Canal. 497
zu Jahr bedroht waren, mit diefen Fluthen — als gefchähe es ihrerſeits zum
Entgelt ver ihnen feit unvenFlichen Zeiten gefpenveten Verehrung — Fruchtbar⸗
feit und Ergiebigkeit gefichert wird, daß 6 bis 7 Millionen menfchliche Wefen
fortan gegen die Wiederkehr ver erlebten entfeglichen Hungersnoͤthe gefichert, und
mittelft der neueröffneten Verkehrsader des frifchen Lebeushauches der Civili⸗
fation theilbaft werben.
Im Allgemeinen gehört der Gedanke, einzelne Lanpflächen over Diftricte
vorzüglich in den fogenannten norbweitlichen Provinzen Oſtindiens durch Be⸗
wäflerungsanlagen zu heben, keineswegs außsfchlieglich ven Zeiten ver englifchen
Belignahme an. Schon die fogenannten muhamebanifchen Exoberer haben neben
den Prachtbauten, vie bis auf den Heutigen Tag Gegenfland der Bewunderung
aller Heifenben und des Stubiums der Kunftfenner find, mancherlei Verſuche
gemacht, durch mehr oder minder beveutende Waflerleitungen gewiflen Land⸗
firichen, auf welche ihre Augen ſich mit Vorliebe richtete, höhere Fruchtbarkeit
und Kieblichfeit zu verleihen. Allein viefe und frühere Verſuche ſtehen ver⸗
einzelt da. Sie find bald mißlungen, bald in ver Ausführung unvollendet
geblieben, indem theils der Plan nicht richtig entworfen war, theils die Mittel
verfagten, oder auch weil e8 an Ausbauer fehlte. Unter anderen wurde in⸗
befien das vom Schach Jehan (dem vierten Nachfolger Babers) im I. 1626
ind Werk gefeßte Unternehmen des Delhi-Canals nicht allein glücklich zu
Ende geführt, fondern auch über ein Jahrhundert lang in Beſtand erhalten.
Aber auch dieſe und ähnliche zur Zeit ihrer Blüthe Hochgepriefene Anlagen
famen bereit3 vor ver Mitte des 18. Jahrhunderts gänzlich in Verfall, Cs
blieb dem englifchen Unternehmungsgeiſte unrbehalten, fid) durch Canal⸗An⸗
lagen und Waſſerbauten einen unfterblichen Ruhm zu erwerben.
Einer der erften Entwürfe dieſer Art, die im Fortſchritte der Zeit nach
und nach erwachten, ging auf die Wiederherſtellung des Delhi⸗Canals, jedoch
zunächft (in den Jahren 1817—21) nur in einem ſehr beichränften und
unvollkommenen Maße. Erft einige Jahre darauf gelang ed dem Oberſt Col
pin nicht ohne große Anftrengung, von den Directoren der oftinvifchen Com⸗
pagnie zu einer ber Wichtigkeit des Werks angemefienen Vervollſtaͤndigung
der bisherigen Anlagen beträchtlichere Gelomittel zu erzielen. Der Erfolg
techtfertigte dad Unternehmen glänzenver, ald man erwartet hatte. Im Jahre
1847 betrug die Geſammtausgabe einfchließlich der durch die Erhaltung und
Ausbefierung bis dahin erforderten Ausgaben ein Beringes über 34 Million
Rupien *), während die Summe des Gewinns (Waſſerrente, Mühlenpadht,
Zolleinnahmen für dad aus den herrlichen Wäldern von Dehra Dhoon her⸗
abgeflößte Nugholz u. f. w.) 4 Mil. Rupien überſtieg. Der reine Webers
ſchuß ftellte fih auf 670,000 Rupien, und die von Jahr zu Jahr fleigenve
Einnahme aus dem Betrieb des Werkes wurde 1847 auf 302,885 Rupien
1) Der Geldwerih einer Nupie beträgt etwa 3 Thlr. (bis 205 Sgr.).
Zeitſchr. f. allg. Erdkunde. Br. V. 32
498 Miscellen:
berechnet. Bald lockte die erhöhte Ergiebigkeit des Bodens zahlreiche Anſied⸗
ler herbei, fo daß die Vortheile, welche unmittelbar ober mittelbar diefem Unter:
nehmen entfprießen, fich jeder menfchlichen Berechnung entziehen. Nichte war
natlırlicher, als daß nach und nach eine Anzahl ähnlicher Anlagen theild pro⸗
jectirt, theild auch in Angriff genommen wurde.
Dennoch bedurfte es noch eines nachhaltigen Anftoßed, um ben Unter⸗
nehmungdgeift auf bie reichbevölferten, aber für vie Anlage eines wirfjamen
Bewäflerungsfuftems außerſt fchwierigen Landſchaften zwiſchen dem Ganges
und Jumna zu lenken. Die beiden Ströme vereinigen ſich bekanntlich bei
der berühmten ſaraceniſch⸗ indiſchen Stadt Allahabad ). Diefe Stabt bildet
den Enbpunft der zwifchen beiden Strömen ſich auöbreitenden Lanbfläche,
welche von ihrer Lage, als ein indiſches Mefopotanien, nad) einem ber perſi⸗
fhen Sprache entnommenen Ausbrud den Namen Dhooab (Düab oder
Douab gefhrieben) erhalten Hat. In verhältnigmäßig naflen Jahren iſt tie
ſes in feiner Mitte von keinem perennirenden Strome bewäflerte Zwifchenge-
biet fruchtbar und liefert feinen 6 bis 7 Millionen Einwohnern, vie bei dem
Mangel der Transportmittel und in Folge des Culturſtandes faft lediglich auf
Aderbau und Viehzucht angewiefen find, genügenven Unterhalt. Allein viele
armen Lanpbauer werden, da fie niemals Vorrathe erübrigen, unvermeidlich
yon der aͤußerſten Bedraͤngniß ergriffen, fobald anhaltende Dürre entweber in
den Monaten Juni, Juli und Auguft oder im September und Januar ihre
Hoffnungen auf Ernte vernichtet. Die Dürre der Jahre 1837 und 1838
murbe ihnen im böchften Grade verhängnigvoll und verderblich. Berichter-
flatter wiffen das damalige "Elend nicht fehredlich genug auszumalen. Die
Acker und Weiden, melche man bei günfltiger Witterung in ergiebiger Fülle
prangen ſah, wurben zur Staubmwöüfte. Die Saat war in dem Erdboden er⸗
florben; das Gras welfte und vertrodnete. Die Bewohner gerietben in tie
größte Noth; ein furchtbarer Mangel an allen Kebensmitteln brach aus. Hun⸗
derttauſende kamen auf die fchredlichfie Weife und Leben. Ganze Dörfer
wurben entvölfert. Die Bande des Yamilien» und des Staatälebens, ja bie
Bande der Sitte, des Aberglaubend, der Religion Löf’ten ſich unter dem all-
gemeinen Jammer. Es Fam dahin, daß Eltern ihre Kinder um einige Biſſen
Brot verkauften; daß Braminen Speifen genofien, durch deren Berührung fe
ſich fonft entweiht hielten. Das Vieh fiel auf ben oͤden Belvern, fein Aas wurk
mit Begierde verföhlungen, um ben nagenden Hunger zu flillen. Alle Un
firengungen der Obrigfeiten, der milvthätigen Unftalten und Privatperſonen
erwieſen ſich unzulänglich. Die Regierung erlitt einen beträdytlichen Ausfall
2) Der Name „Allahabad“ (d. 5. Stabt Gottes) Fam von ben einbringenden
Muhamebanern; er wurde unter dem freundlichen Cindrucke der fchönen Landſchafi
und der bulbfamen Gingeborenen ertheilt, die ihnen die Stadt ohne Widerſtand über:
gaben. Der frühere einheimiſche Name Prisg (db. 5. Bereinigung) deutet anf den
Bufammienfluß des Jumna mit bem Ganges.
Der neue Banged- Ganal. 499
ihrer Einkünfte. Die Berlufte aus ven rückſtaͤndig gebliebenen und nie ge⸗
zahlten Abgaben oder Pachtbeträgen wurben in ven beiven Jahren auf 1 Mi.
Bund Sterl. berechnet. An manchen Orten Eonnten erft nach einer Reihe
von Jahren wieder Einfünfte erhoben werben.
Es ift eine ungemein erhebende Betrachtung, daß dieſe traurigen Erleb⸗
niffe nicht ohne anhaltende heilfame Wirkungen geblieben find. Man hat es als
einen der nächften glüdlichen Erfolge gepriefen, daß die Miſſionsanſtalten in
der Nähe fich unter dem allgemeinen Elende eines reichen Zumachfes zu erfreuen
gehabt haben. inter dem Jammer der Verwüftung fuchten und fanden Tau⸗
fende eine Zuflucht in den Pflegefchulen ver Boten des Chriſtenthumo, waͤh⸗
rend der invifche Aberglauben und Goͤtzendienſt in feinen Schwächen und ſei⸗
nee Sinnlofigkeit enthält erfchien. Bis auf die lebten Jahre find Reiſenden,
welche die Miſſionsthaͤtigkeit keineswegs mit günfligem Auge anfahen, viefe
Nachwirkungen bemerflich geblieben.
Dennoch wurde durch den Unternehmungdgeift der englifchen Staatsbe⸗
hoͤrde eine noch ungleich tiefer eingreifende und für vie Zukunft bei weitem
folgenreichere Entmidelung angebahnt. Denn in den Zeiten diefer unausſprech⸗
lihen Noth erwachte zuerft der ſeitdem mit Macht um fich greifende Gedanke,
bie Gewaͤſſer des Heiligen Stromes aus dem alten Bette mitten durch bie
ſchwer betroffenen Gegenden Binzuleiten. Den nächften Impuls gab die Aus⸗
fiht auf Erhöhung und Sicherung des Gedeihens ver Bruchtfelder, auf He⸗
bung des Außeren Wohlſtandes. Allein daneben war ven Merfechtern ver
gehegten Entwürfe nicht minder gewiß, daß dieſe Wafferleitungen durch ihre
Schiffbarkeit fich zugleich zu einer Lebensader der Civilifation und geiftigen
Eultur entwideln würden. An fich Iag dies Alles nahe genug: aber Die riefen-
haften Dimenfionen und der ungeheure Aufwand von Mitteln, welche die Aus⸗
führung bedingte, ließen die in Umlauf gefehten Entwürfe faft chimärijch er⸗
fheinen.
Der Oberſt Eoloin, bekannt durch fein Verdienſt um die Wieberher-
ſtellung des Delhi» Ganald, wird als derjenige genannt, der dieſe Idee zuerft
auffaßte, Wie dem auch fei, gewiß ift, daß die Ausarbeitung der eigentlichen
Entwürfe, die Bührung der Angelegenheit, bis fie zum Befchluffe reifte, und
die Leitung der Arbeiten bis zum Unfange des vorigen Jahres dem unermüt-
lichen Oberft Gautley angehört. Abgefehen von den Hemmungen bes Aufe-
ten Gefchäftöganged mit dem Dirertorium der oftinvifchen Compagnie erfor-
derten die taufenpfachen Verfuche, bei ven Behoͤrden Anklang zu finden, der
Betrieb ver Bermeffungen, hie Motivirungen des Planes der Anlagen in allen
ihren Einzelheiten große Verzögerungen. Eine Zeit lang, während Lord Ellen-
borough vie Würde ded General» Gouverneurd bekleidete, wurde dad ganze
Unternehmen fogar als befeitigt angefehen. Faſt 10 Jahre find darüber hin⸗
gegangen, bis der umfaffende Plan des riefenhaften Unternehmens im Jahre
1847 fo weit feftgeftellt und angenommen war, dag mun 2 dem 3. 1848
2
500 Miscellen:
zum Anfange der Erbarbeiten fhreiten Tonnte. Aber ſeitdem if das Wert
mehr als ſechs volle Jahre hindurch mit außerorbentlicher Energie fortgeführt
‘und fo weit vorgefchritten, daß es zur Zeit fo gut als vollendet angefehen
werben muß.
Um und nun zunächft die Aufgabe und den Umfang des neuen Ganges⸗
Canals anfchaulich zu machen, werben wir einen Blic auf die Oberflähentil-
dung und den Charafter der Gegend werfen müffen.
Die Landfchaften Ober- und Niever-Douab, welche bereitö zu der gro⸗
fen Hindoftans Ebene gerechnet werden, erſtrecken fich in füpöftlicher Ausdeh⸗
nung laͤngs dem rechten Ufer des Ganges ungefähr vom 30. bis zum 26.
Grade nörbl. Br. Die weſtliche Grenze bildet ver Jumna «Fluß, welcher auf
der erften Hälfte der Strede zwifchen Delhi und Allahabad (im Ganzen 619
engl. Meilen) dem Ganges ziemlich parallel laͤuft, dann aber in einer mehr
öftlichen Nichtung demſelben almählig näher tritt. Im Norden von Ober⸗
Douab erheben fich die Siwalit« Berge als Vorhöhen des Himalaya, dem fie
im Ganzen gleichlaufend find, obgleich vie Höchften Gipfel nicht über 3500
bis A000 Fuß emporfteigen. Demnad find die Douab »Lanpfchaften zwar in
ihrem nörblichen Theile von einzelnen Fleinen Hügelketten durchzogen, tragen
jedoch, ihrer Oberflächenbildung nach, den Charakter einer von Norboften nach
Südweſten allmählig ziemlich gleichmäßig fich herabſenkenden Ebene.
Die nähere Unterfuchung ver Bopdenverhältniffe ergab zuvoörderſt zwei
Erforberniffe, welche den Umfang und Aufwand der Operationen außerorbent-
lich vergrößerten. — Zuerſt zeigte fich, daß eine einfache Ganallinie nicht hin»
reichend war, un den Zwed ber Bemäfferung ded Douab mit angemeflenem
Erfolge zu erreichen. Man mußte darauf denken, durch Zmweigcanäle die Wir⸗
tungen bed Iinternehmend nach verfchiedenen Seiten Bin auszubehnen und durch
ein planmäßig geglievertes Canal⸗Syſtem möglichft vielen Ackerflächen ven
Segen der Bemwäfferung mitzutheilen. Dazu war aber eine fehr beträchtliche
Maffe des zuftrömenden Waſſers erforderlich, welche nur vie Fluthen des
Ganges und auch diefe nur in dem Stadium gewähren konnten, wo er alt
ein Flarer und voller Strom ") mit der ganzen Fülle ver aus dem nörklie
chen Gebirgslande Hindoſtans ihm zufließenden Gewäffer aus den Simalik:
Höhen Hervorbridt. Man Hatte längft ermittelt, daß der Strom weiter ab
wärtd in Folge der poröfen Beichaffenheit de8 Bodens durch Einſickern an
feinem Waffergehalt beveutend verliert. Außerdem würbe auch daB zur Waſſer⸗
leitung erforberliche Befälle nicht gewonnen worden fein, wenn man enra
erft am Solanifluffe die Anlage begonnen Hätte,
») Ganz anders erfcheint der Ganges z. B. bei der Cinmündung des Jumme
bei Allahabad, wo der Gegenſatz der hellen Jumma-Fluthen mit den: trüben Gen:
dem Meifenden ſtark auffällt. Bay. Taylor aa O. &. 236 erwähnt, daß ibm
ierbei der Anbli der Bereinigung des weißen mit dem blauen Nil und die des
Miffouri mit dem Mifftffippt lebhaft in Erinnerung trat.
Der neue Ganges» Ganal. 301.
Demnach wurde ald Anfangspunft des Canals eine Stelle etwa 14 engl.
Meilen unterhalb Hurdwar erfehen, wo ver Ganges bei feinem Eintreten in
die Hindoftanifche Ebene einen Waflergehalt von 8000 Cubikfuß in einer Se
unbe barbietet. Aller Einwendungen ungeachtet gewann der Plan, dem Bette
des Stromes von viefem Gehalt nicht weniger als 6750 Cubikfuß zu ent
ziehen, die Oberhand. Wan fand unbebenklich, es darauf ankommen zu laſſen,
ob das alte Bette, weldyes ohnehin für die Schifffahrt blos in geringem Maße
geeignet war, bei dem verbältnißmäßig fpärlichen Ueberreſt von 1250 Eubik-
Zuß vor der Hand fo gut wie troden gelegt werden würbe. Zugleich war
eine eriprießliche Regulirung des biöherigen wegen der Untiefen und Stroms
ſchnellen nur ſchwer benutzbaren Laufes, welcher ohnedies unterwegs burch
Grundquellen vielfach verflärkt wurde, für die Zukunft in Ausſicht geſtellt.
Aus dieſen Betrachtungen und Ermittelungen ergaben fich die Entwürfe,
welche bei der Ausführung des neuen Ganges⸗Canals maßgebend geworben
find. Die Hauptlinie des Canals ift 310 Meilen lang, zieht in ven Douab-
Randfchaften zwifchen Ganges und Jumna über Allyghur und ergießt fich bei
der Stadt Cawnpore (etwa 140 Meilen des Stromlaufs oberhalb Allahabad),
mit einem freilich bedeutend verminverten Waſſergehalt wieder in ben Ganges.
Die Strede von Hurdwar bis Allyghur beträgt 180, von da bis Cawn⸗
pore 170 engl. Meilen, waͤhrend ver Lauf des Ganges von Hurdwar bi
Cawnpore auf 348 Meilen berechnet wird. Don Allyghur aus gehen Zweige
Ganäle nach Humeerpoor (180 Meilen), Futtehghur (170 Meilen), Bolhud⸗
ſhuhur (60 Meilen) und Eoel (50 Meilen) ’). — Auf der erften Strede,
wo dad Bette des Ganald die ganze Fülle des abgeleiteten Waflers enthält,
it derſelbe 140 Fuß breit und 10 Fuß tief; weiter unten vermindert fich die
Breite bis auf 80, in den Zweiglinien bis auf 20 und die Tiefe bis auf
5 Buß. — Der Flächenraum, welcher durch dieſe Waflerleitungen der Bes
wäjlerung theilhaft gemacht wird, ift auf 1,500,000 Acres, oder — da die
Landbauer immer nur ein Drittheil des von ihnen bebauten Bodens bewäf-
fen — auf 4,500,000 Acres berechnet ?).
Der Bau diefed Canals Hatte befonders auf der Strede von Hurdwar
1) Bergl. Thornton Gazetteer of East-India 1], p. 292, wo ald Summe
der obigen Angaben 810 Meilen als Gefammtbeirag ber angenauebehmung bes Ga:
als berechnet werden. Diefer Plan ift augenfcheinlih in der Ausführung noch er-
weiter. Der von Charles Wood am 8. Auguft 1854 dem britifchen Parlamente
borgetragene Rechenſchaftsbe cicht (ſ. —*28 Parliam. Debates Vol. 135 p 1452)
zählt 898 Meilen. Gbenfo die offiielle Belegenheitefgrift »A short account of tlie
Ganges Canal.« (Roorkhee April 1854. 4.).
”) Diefe Berechnung if vom Gapt. N. Baird Smith angeftellt (in f. Schrift
»Italian irrigation, a Report on the Agricultural Canals of Piedmont and Lom-
— addressed to the Hon. Court of Ihe Directors of the East India Comp.
London & Edinb. 1852. 8. Bergl. North Amer. Rev. Oct. 1853 p. 459). je
gründet ſich auf die Anmahme, daß jeder der 6750 Eubiffuß Waſſer, weldhe von Se:
cunde zu Secunde dem Canal zufließen, jährlich 218 Acres bewäflert. .
302 Miscellen:
bis Noorkhee wegen des gebirgigen Terrains große Schwierigkeiten; aber ba
bem letzten Orte trat ein Hinderniß entgegen, deſſen Bewältigung den äußer-
fien Kraftaufwand erbeifchte. Hier traf ver Zug auf bad queer vorüberzie⸗
benve, 24 engl. Dleilen breite Thal des Solani»luffes, ver in öftlicher Rich⸗
tung dem Ganges zuftrönt. Lieber dieſes Thal mußte der Canal mittelſt
einer Ueberbrüdung binweggeleitet werben, um in bie Douab» Ebenen gelan-
gen zu können. Der Solani ift ein großentheild von Jahreszeit und Wetter
abhängiges, fehr veränverliched Gebirgswaſſer, einen großen Theil des Iahres
hindurch waflerarm und langfam dahin ſchleichend, währenn er zur Megenzeit
oder beim Aufgehen ver Schneemafien des Gebirges in gewaltigen Yluthen
daherbrauft.
‚Daher erforberte zumächft die Grundlage der Thal»Ueberbrüdung, welde
den Aquäbuct des Canals enthalten follte, die umfaflenpften Vorkehrungen,
um bie nöthige Dauerbaftigfeit und Feſtigkeit zu erreichen. Die Arbeiten be»
gannen damit, daß Steinblöde von zwanzig Gubiffuß je 20 Fuß tief in ven
Boden des SolanisBetted gelegt wurben. Jeder dieſer Blöde war (wie ed
fcheint, um den Grund gegen dad zerftörende LUnterwühlen des Quellwafſſers
unterhalb zu fchügen) mit 4 Brunnenöffnungen durchbohrt. Auf dieſen
Bloͤcken find in abgemefjenen Entfernungen fteinerne Pfeiler, jeder 124 Fuß
Hoch und oben 10 Fuß pic, errichtet, welche die 15 Bogen unter ber Ueber⸗
drüdung zu tragen hatten. Man kann fich denken, wie viefe Bogen, von oben
angeſehen, keineswegs einen imponirennen Anblid gewähren, in deſto größerem
Maße aber den Eindrud einer cyelopifchen Mafftvität und der Außerflen So
liditaͤt machen; denn fie find nicht weniger als 192 Fuß breit, dabei 5 Fuß
dit und erheben ſich mit einer Spannweite von 50 Fuß nicht mehr als
8 Fuß über das Niveau der Pfeilerfläche, auf welcher fie ruhen. Lieber die»
fen Bogen ift der eigentliche Aquäbuct angelegt, ver mit einer ebenfalls aus
Badfteinen ausgeführten Einfaffung von 8 Buß Dide und 12 Fuß Tiefe vie
mächtige Strömung in zwei burch eine Zwijchenmauer von einander abgeſon⸗
derten Ganälen von je 85 Fuß Breite 920 Fuß meit fortführt ). Man nehme
hinzu, daß oberhalb des Aquäducts auf einer Strede von 25 engl. Meilen
ein durchfchnittlich 164 Fuß hoher Erdwall, an ver Bafis 350 und auf ver
oberen Plattform 290 Fuß breit, errichtet werden mußte, daß auch Hier eine
Muuereinfaffung ſowohl des Canalbettes, als auch des Außeren Erdwalls
nöthig befunden, und die letztere in Form von Treppenſtufen ausgeführt
worden ifl, — um zu ermefien, welche Kräfte in Bewegung geſetzt werten
mußten, um ein folches Werk zu vollenden. Der Solani- Aquäpuct ift in
der That die Krone der ganzen Unternehmung des Ganges-Canald und un⸗
zweifelhaft eines ber großartigften Waſſerbauwerke unferer Zeit; der Berech⸗
ı) Die Breite des Solanibettes beträgt, wie aus den vorhergehenden Augaben
erhellt, 750 Fuß; es kommen mithin 170 Fuß auf die Verlängerung, weldye für
den Aquäpuct am Anfange und Ende erfordert würde.
Der neue Ganges = Canal. 603
nung des Major Baker zufolge erforverte ex vie ungeheure Zahl von 84 Mil«
tionen Badfleinen umd ungefähr 1 Million Eubiffuß Kal. Ein Yugenzeuge
berichtet, daß täglich, währenn die Arbeiten in vollem Gange waren, 100,000
Badfteine verbraucht worden find.
Zum Centralpunft der Arbeiten wurde ein unweit der Stelle des Wafler«
baued auf dem Plateau am Solani belegener Ort, Namens Roorkhee, aus⸗
erfeben, der feitvem aus einen Fleinen Hinbus Dörflein zu einer anfehnlichen
Stadt und englifchen Hauptftation angewachfen ifl. Hier fchlug die Direction
des Banalbaued ihren Sig auf, um mittelft eined unermeßlichen Aufwandes
von Urbeitökräften, Geldmitteln und Materialien, — mit dem Aufgebot aller
durch Erfahrung, Erfindung und Willenfchaft errungenen und erprobten Mittel
den kühnen Entwurf zur Ausführung zu bringen. Den Eingeborenen ver
Umgegend, fo lange einem rohen und trägen, faft träumerifchen Naturzuſtande
bingegeben, muß feltfam zu Muthe geworben fein, indem fle ihre ‚Hütten in
teiffender Schnelligkeit von den Schöpfungen ver höchflen europäifchen Indus
firie und Qultur, von Obfervatorien, Bactoreien und Werkflätten mit wunder»
bar wirkenden Apparaten, Dampfmaſchinen mit machtvoll treibenden Kräften
ungeben erblickten. Selbſt eine drei englijche Meilen lange Eifenbahbn — bie
erfte in dem größten ver alten Welttheile — wurde zur Erleichterung des
Materialien» Trandport3 angelegt und — als geſchaͤhe es, um den höchften
Bipfel europäifcher Erfinpungdfraft zu erreichen — wurbe eine Locomotive
aus England berbeigeichafft, die jedoch den inpolenten Hindus Urjache vieler
Unglüdöfälle wurde und unter ihren ungeſchickten Händen gar bald vergeftalt
Schaden nahm, daß fie außer Gebrauch gelegt werden mußte. Uebrigens ha⸗
ben fich Diefe Eingeborenen bei ven Ganalbau=Arbeiten, die unter der Leitung
englifcher Beamten und Werfführer faft ausfchlieplich von ihnen verrichtet
wurden, den Schilderungen ver Berichterfatter zufolge nicht nur Außerft ges
fchidt benommen, fondern auch eine über alle Erwartung hinausgehende Tüch⸗
tigfeit und Fähigfeit im Nachbilden bemährt, wenn gleich ihnen alles Erfin⸗
dungstalent abgeht. Troß des vorherrfchennen Mangeld an Beobachtung und
Abſtraction kann es nicht fehlen, daß die Anfchauung deſſen, was durch menſch⸗
lichen Berfland und durch ein wohlgeordnetes Zuſammenwirken menfchlicher
Kräfte hier erreicht if, ihren Blick über die engen Kreife des bisherigen Ge-
wohnheitslebens erhebt, jo daß ver Bau des Ganges⸗Canals auch durch feine
Wirkung auf die geiftige Entwidelung der Hindus ein Ereigniß von bleiben
der Bedeutung wird.
Die Einweihung ded Aquäducts wurde am 8. April 1854 zu Roorkhee
mit einer veligiöfen Feier und mit mannigfaltigen Beftlichkeiten begangen. Die⸗
jer Tag vervient ald einer der denkwürdigſten in der Gefchichte der nordweſt⸗
lihen Provinzen Oſtindiens auögezeichnet zu werden. Durch die zahlreichen
Malfahrer, welche aus allen Theilen des Landes nach Hurdwar kommen, um
das Waſſer des heiligen Stromes mit fich zu nehmen, war die Runde der bevor⸗
504 Miscellen:
ſtehenden Erdffnung des feinen Hauptheilen nach vollendeten Canals weithin
von Mund zu Mund gegangen. Nicht weniger ald 500,000 Menfchen aus
den verfchiedenften Völkerfchaften und Stämmen — Sikhs, Bengaleſen, Ro⸗
hillas, Afghanen, Mahrattas und fo viele andere, die wir felbft dem Namen
nach nicht kennen, aus Perften, ver Tartarei und ven Ländern jenſeit des
Himalaya Hatten ſich mit ihren eigmtbiimlichen Reiſeapparaten und im ihren
prunfenden Goftümen zufammengefunden, um Augenzeugen des Ereigniffes zu
fein. Hindus und Bupphiften, Barfen und Muhamedaner, Juden und Ghris
ſten erfchienen im bunten Gedränge neben einander. Die Engländer follen
nicht ohne Sorge vor einer fanatifchen Erhebung geweſen fein und für ben
Falls eines folchen Ausbruchs militairifche Vertheidigungsanſtalten in Bereit⸗
fehaft gehalten haben. Sie mußten, daß Priefter und froͤmmelnde Bettler in
Hurdwar die Ableitung des Ganges ald ven Außerfien Frevel dargeſtellt und
Alles verfucht Hatten, um die Maflen gegen ein folche® Unternehmen in Be
mwegung zu bringen. Allein dies mar fo wenig gelungen, daß fogar 10 Fa⸗
Tire ſich freiwillig dazu verflanten, unter ven Führern der ‘Prozeffion zu er-
fiheinen. Die Freigebigkeit der englifchen Behörbe that ein Uebriges, um nad)
allen Seiten Hin eine freunbliche und glüdliche Stimmung zu erwecken und
der Feierlichfelt den Charakter eines allgemeinen Freudenfeſtes zu verleihen.
Die Koften des Eanalbaueß waren auf 14 Million Pfund Sterling ver-
anfchlagt, und dieſer Anfchlag fcheint fi im Großen und Ganzen als ſtich⸗
haltig bewährt zu haben. Nur durch Wohlfeilheit der verwendeten Arbeite-
Träfte iſt es erflärlich, daß für eine foldhe Summe das großartige Unterneh
men bergeftellt werben Fonnte. Die Erfolge vefielben für die Zukunft find
unabfehbear. Zunachft find fie an feinem Orte anfchaulicher concentrirt, als
in der Stadt Roorkhee, welche jet als ein gewerbthätiger und verkehrsvoller
Mittelpunkt, mit europälfchen Gebäuven, mit einer Ingenieurfchule und einer
Druderei ) u. f. w. Im rafcheften Aufblühen begriffen if. Die Canallinie,
mit ihren planmäßig angelegten und durch Anpflanzungen gezierten Seiten
wällen im Außeren Anblick gehoben, wird unfehlbar ein neued Leben und
frifhe Bewegung in ihre Umgebungen ergießen. Man hat berechnet, daß vie
aufgewendete Summe durch die Einkünfte an Waflerrente, an Mühlenpacht
und an Einnahme für Holzflößungen u. ſ. w. mit mehr als 10 Proeent fid
verzinfen muß.. Das ift ein fehr günftiges Nefultat, aber viel höher fleigt
das Werk in unferer Anerkennung vom Standpunkte ber Betrachtung auf,
welche Kräfte des Nationalreichthums es gewedt, und welche Hebung für das
phyſiſche und geiftige Oluͤck von Millionen Menfchen aus ihr ben gebegten
Hoffnungen zufolge entfprießen muß. Dr. C. Brandes.
2) Bin kurzer Bericht über ben Canalban, in vielen taufend Exemplaren für
den 8. April 1854 zur Vertheilung an die Bingeborenen und Fremben in Hisdu:,
Urdu⸗ und englifcher Sprache gebrudt, iſt aus den dortigen Prefien hervorgegangen.
Menfchen und Sitten in China.
Der britiſche Beneral»-Gonful in Ehina, Sir John Bowring, von bem
unfere Zeitſchrift (IV, 345— 848; V, 297— 301) bereitö mehrere intereſ⸗
fante briefliche Mittheilungen Hatte liefern Eönmen, fandte an einen höheren
Beamten zu London, ben bortigen Registrar General, ein auch in dem chine»
ſiſchen Zweige der Königlichen afiatifchen Geſellſchaft verlefenes Schreiben,
welches fich in einer ſehr Ichrreichen Weiſe über bie wefentlichfien Punkte
des chineflfchen forialen Lebens, vie Bevolkerung des großen Meiches, deren
Bolygamie und Rahrung, fowie über die Naturprobucte des Landes verbreitet.
Da das londoner Athenaeum eine Abfchrift viefes Briefe von Sie John
Bowring erhielt, wodurch vaffelbe ihn in einer feiner neuefln Nummern (Nr.
1464 vom 17. Nov. 1855) mittheilen Tonnte, und ber Inhalt das Ergeb»
niß der Beobachtungen eines geiftvollen, fcharfblidlennen und durch mehzjäh-
rigen Aufenthalt in China mit den neueften Zuſtaͤnden daſelbſt wohlvertrauten
Mannes it, fo theilen wir das Schreiben nach ven verſchiedenen Abfchnitten,
in welche 08 zerfällt, nachſtehend mit.
Oumprecht.
Bevblkerung. Selt ver Zeit Kia King's, d. 5. feit 48 Jahren, iſt
keine offlcielle Zählung vorgenommen worden. Zwar bat man die Richtig⸗
feit diefer Zählungen, welche vie Sefammtzahl der Einwohner China's auf
362,447,183 angeben, vielfach bezweifelt, aber ich glaube, daß, je mehr wir
das Land Iennen lernen werben, fich auch vie Richtigkeit ver officiellen An⸗
gaben herausſtellen wird, und daß wir mit ziemlicher Sicherheit die gegen⸗
wärtige Bevölkerung des chineflfchen Reichs auf 350400 Mill. veranfchla»
gen dürfen. Die Strafgefepe fchreiben ein allgemeines Syſtem, nach dem bie
Eintragung in vie Regiſter gefihieht, vor, und Törperliche Züchtigung, gemöhn-
ih Hundert Schläge mit dem Bambus, trifft alle bie, welche gehörig Bericht
zu erflatten verfäumen. Die Sorge dafür liegt ven Aelteften des Bezirks ob,
und es foll vie Zählung eigentlich jährlich flattfinden, doch habe ich Feinen
Grund, zu glauben, daß das Geſetz befolgt oder deſſen Mebertreiung geahnt
wird,
Eintheilung der Bevölkerung. Altem Gebrauche nach zerfällt bie
Bevöllerung in vier Gruppen: Gelehrte, Aderbauer, Gewerbtreibende und
Kaufleute. Außerdem giebt es eine fehr zahlreiche Klafle, vie als faft ganz
ausgeftoßen aus ver Gefellfchaft betrachtet wird; dazu gehören Schaufpieler,
Spieler von Profeſſion, Bettler, Sträflinge, Beächtete und Andere, und viefe
finden wahrfcheinlich in ven Genfusliften feine Beachtung. Dagegen begnügt
fih in entlegeneren Landgemeinden ver mit Anfertigung ber Kiften beauftragte
Beamte mwahrfcheinlich damit, daß er nur die Durchfchnittözahl der näher ges
legenen und befler bevdlferten Gegenden angiebt.
506 Miscellen:
ch war nicht im Stande, einen genügenden Ausweis über dad Verhält⸗
niß der verfchienenen Alteröflafien zu einander ober die burchfchnittliche Sterb-
lichkeit in den verſchiedenen Rebendaltern zu erhalten. Jede Decade des menfch-
lichen Lebens hat bei den Ehinefen ihre eigenthümliche Benennung. So heißt
ein 10jaͤhriges Alter Deffnungsftufe (tbe opening degree), ein 20jäh-
riges Verfloffenfein der Jugenp (Youth expired), das 30 jahrige
Stärke und Ehe, das 40 jährige Amtsfähigkeit (Officially apt), das
50 jährige Erkennung des Irrthums (Error knowing), ein 60 jahriges
Kreis gefchloffen (Cycle closing), das 7Ojährige feltener Bogel
feine® Alters (Rare bird of age), ein SOjähriges runzliges Geſicht
(Rusty visaged), das 90 fährige Verzögert (Delayed), enblich ein 100.
jähriges des Alters Aeußerſtes (Ages extremiüy). Ba ten Ghinefen
fteigt aber die dem Einzelnen bewielene Ehrerbietung mit der Zahl feiner
Jahre. So machte ich vor einigen Jahren die Belanntfchaft eines bubdhiſtiſchen
Priefters, der im Klofter Tieng Yung in der Nähe von Ningpo lebte und
mehr als Hundert Jahre alt war, weshalb Leute von Stand ihn beſtändig bew
fuchten, um ihm ihre Aufwartung zu machen und ein Autograph von ihm zu
erhalten, was auch mir gelang. Es giebt nicht nur viele Stiftungen für alte
Leute, ſondern das Strafgefegbuch beſtimmt auch ſchwere Strafen für foldhe,
tie Arme in ihren alten Tagen zu unterflüßen fich weigern. Alter darf ſo⸗
gar als Milderungsgrund für ein Berbrechen angeführt werden und erwirft
Ermäßigung der Strafe. Biöweilen verordnen Faiferliche Dekvete die Ausıkei-
Iung von Geſchenken an alle arme alte Leute im Reiche.
Auswanderung aus China. Der beftändige Strom ver Ausıwan-
verung aus China, wohin andererfeitd gar Feine Einwanderung flatthat, if
ein fchlagenver Beweis für bie Dichtigfeit ver Bevölferung; denn obſchon Diele
Auswanderung ſich faſt außsfchlieglich auf vie beiden Provinzen Kwangtung
und Foofien befchränft, die zufanmen eine Bevölferung von etwa 34 ode
85 Mi. haben mögen, fo bin ich doch geneigt, zu glauben, daß mehr als
2 Mit. allein ans viefen Provinzen fi in fremven Ländern aufhalten. Im
Königreich Siam veranfchlagt man die Zahl ver darin fich aufhaltenden Chi⸗
nefen auf wenigftens 14 Mil., wovon 200,000 in ver Hauptſtadt Bangkol
Ieben. Es wimmelt von ihnen auf allen Infeln des inpifchen Archiyels. Im
Sava leben, wie wir nach einer genauen Zählung wiflen, allein 136,000.
Cochin China if voll von Ehinefen. Hier (d. 5. in Hongkong) liegen faſt flets
ein oder mehrere Schiffe, die chinefifche Auswankerer nach Galifornien um
anderen Plaͤtzen befördern; Waffen geben nach Auftralien, ven Philippinen,
Sandwichinſeln, der Weftlüfle von Gentrals und Sübamerifa, Einzelne aud)
nach Indien. Die Auswanderung nach bem britifchen Weſtindien ift ſehr be⸗
trächtlich gemwejen, die nach der Havanna betrug noch mehr. In Singapore
mögen jährlich etwa 10,000 neue Ankömmlinge eintreffen, während nur 2000
in die Heimath zurüdfehren (Journ. of the Indian Archipelago LI, 286).
Menſchen und Sittm in China. 507
Außer viefer enormen Auswanderung über's Meer geht ein anderer be⸗
beutenber Strom nach der Mandſchurei und Tibet, ſowie auch die reichen und
fruchtbaren Infeln Hainan und Formoſa durch die fortwährend einſtroͤmen⸗
ven chineſiſchen Anftenler zum großen Theile ihren früheren Befigern abge⸗
wonnen find. Alle find aber Männer, auf 10,000 Tommt nicht eine Frau;
daher vielleicht ber geringe Werth, der auf ein neugeborenes Mäbchen gelegt
wird. Und doch ſcheint dieſes beſtaͤndige Ausftrömen die Zahl verer, Die da⸗
beim bleiben, durchaus nicht zu vermindern. Zmar. verlailen nur wenige Chi»
neſen ihr Vaterland ohne ven feiten Entfchluß, wieder heimzukehren, um in
ber Halle ihrer Vorfahren zu beten, an ven Graͤbern ihrer Väter zu opfern,
boch ift wohl zweifelhaft, ob mehr, als einer von zehn, feine Heimath wieder⸗
feht, denn die Zahl’ verer, welche durch Krankheit, fchlechte Berpflegung,
Schiäbruch und fonflige Zufälligkeiten ihr Leben verlieren, erreicht eine wahr⸗
haft furchtbare Höhe.
Bodencultur und Nahrung. Die Kunft, das Land zu eni= und
bewäflern, Dünger in aller möglichen Weife zu gewinnen und anzuwenden,
Samen zu befruchten — kurz alle Einzelheiten des chineflichen Ackerbaues ver-
dimen volle Beachtung, wie viefelben aber auch wieverum Zeugniß Dafür ab⸗
Iegen, in welchem ungenügenven Berbältniffe der Ertrag des Bodens zu dem
wirklichen Bedarfe des Volkes fleht.
Die Ehinefen haben durchaus Feine Vorurtheile in Bezug auf Nahrungs»
mittel: fie efien Alles und Jedes, was ihnen nahrhaft fcheint. Hunde, beſon⸗
ders junge, werden ganz gewöhnlich zum DVerzehren verkauft, und man ſieht
diefelben abgebäutet und mit den Eingeweiden in ven Fleiſcherlaͤden frieblich
neben Schweinen und Sammeln hängen. Selbft gegen Ratten und Mäufe
baden die Chinefen Nichts einzuwenven, eben fo wenig gegen Affen un
Schlangen; die geoßen Seefchneden find für fie ein ariftofratifcher und koͤſt⸗
licher Lederbifien, der fo wenig wie bie eßbaren DBogelnefter bei einem Feſt⸗
effen fehlen darf. Noch nicht auögebrütete Enten und Hühner ſind ein Lieb⸗
Imgögericht; beginnende Fäulniß erregt nicht den geringfien Efel; faule Eier
lapt man keineswegs umkommen und Fiſche findet man nur um fo beffer,
wenn ſie recht riechen und dem Reis einen Fräftigen Geſchmack mittheilen.
Wie vie von den Chinefen gegefjenen Speifen meift grob, derb und billig
find, fo find auch ihre Getränke merkwürdig ökonomisch. Trunkenheit ift ein
ſeltenes Laſter, wie denn Hisige Getraͤnke und Spirituofen nur ſelten genoflen
werben. Thee ift das nationale und allgemeine Getränk, und obwohl ver ges
wöhnliche nicht mehr als 3—6 d. (24—5 Sgr.) das Pfund Eoflet, fo be⸗
dient man fich hoch beſonders in den von ven Theediſtricten mehr entfernten
Gegenden meift einer Beimifchung von billigeren Blättern. Im Efien, wie im
Trinken, find die Chinefen mäßig und begnügen ſich mit zwei Mahlzeiten täg«
ih — dem „Morgenreis“ ungefähr um 10 Uhr und dem „Abendreis” um
5 Uhr Nachmittags. Der einzige Widerwille, ven ich in China bemerkt Habe,
508 Miscellen:
iſt gegen Milch — um fo auffallender, wenn man bebenkt, wie mädjlig tata=-
sifcher Einfluß in jenem Lande geweſen if, aber nie babe ich gefehen ober
gehört, daß Butter, Rahm, Milch oder Molfen in einer eingeborenen Familie
auf ven Tiſch gekommen wären.
Verwüflungen durch Noth und Krankheiten. Aller Wahrfchen-
lichkeit nach giebt es Fein Land ver Erve, wo bie Sterblichkeit größer und
furchtbarer als in China ift und Kücen reißt, die nur durch ungewöhnliche
Mittel auszufüllen wären. Ganze Waffen von Menfchen ferben gerabeu,
weil es ihnen an allem Unterhalt fehlt; Ueberſchwemmungen zerören Städte
umd Dörfer mit allen ihren Bewohnern; es würve Teine leichte Aufgabe fein,
den Verluft an Menfchenleben durch den Typhus und Orkane zu berechuen,
welche Iehte vie Küften China's heimſuchen und Böte und Junken bißweilen
zu Hunderten und Tauſenden zerfchellen. Die letzten Bürgerfriege müflen den
Verluſt von Millionen von Menfchenleben zur Folge gehabt Haben; vie Zahl
der Hingerichteten allein ift furchtbar. Im Augenblick, wo ich ſchreibe, be»
rechnet man, daß einzig und allein in ver Provinz Kmwantung täglich 400 —
500 Opfer durch die Band des Henkers fallen. Schonung fennt man nicht,
da es ber Menfchen im Ueberfluſſe giebt. So wenig befümmert man ſich
um einen Leichnam, daß man es bisweilen nicht der Mühe werth Hält, ihn
von dem Plage zu entfernen, mo er an ber Oberfläche der Erbe verweſt. Oft
babe ich einen Leichnam unter dem Tifche von Spielern erblickt, oft trat ich
an der Schwelle einer Thür auf einen verweſenden Leichnam. In manchen
Theilen China's giebt es gemauerte Thürme, im welche ganz junge Kinder,
befonders Mäpchen, von ihren Eltern durch ein in ver Mauer befinbliches
Loch geworfen werben.
Kindermord. Ueber vie Ausdehnung ver Sitte des Kindermordes find
die Meinungen getheilt. Daß er in manchen Provinzen ganz gewöhnlich if,
unterliegt feinem Zweifel. Einer ver berebteften chinefifchen Schriftfteller ge⸗
gen ven Kindermord, Kwei Chung Bu, giebt vor, von dem „Gott ber Lite
ratur“ befonders infpirirt zu fein, um dem chineftjchen Volle Vorſtellungen
zu machen, daß es fich dieſes unmenfchlichen Brauches enthalte, und erklärt,
daß ald Belohnung für feine Bemühungen ver Bott fein Haus mit Er
überhäuft und ihm Jiterarifche Nachkommen gegeben habe. Und och geht
auch er nicht weiter, als zu erklären, daß es fehlecht fei, bie Kinder umzu⸗
bringen, wenn man die Mittel babe, ſie zu ernähren, und einige feiner Gränk
lauten feltfam genug: „Töchter umbringen, fagt ex, beißt vie Harmonie dei
Himmels zerflören (in der gleichen Zahl ver Gefchlechter nämlich); je mehr
Töchter ihr ertränkt, deſto mehr Töchter werbet ihr befommen, und noch me
hat man gehört, daß das Ertränfen verfelben die Geburt von Sähuen nah
fich gezogen habe.” Er empfiehlt, die Kinder cher auszufegen und ihrem Schid-
fale zu überlaffen, als fie zu ertränfen, und fährt dann alfo fort: „es giebt
Beifpiele, wo die fo ausgeſetzten Kinder von Tigern genährt und groß gezogen
Menfchen und Sitten in China. 509
worden find. Wo follten wir denn fein, wenn unfere Großmülter und
Mütter in ihrer Kindheit ertränft wären.” Und dann führt er zmei Bälle
an, mo Mütter, die ihre Kinder ertränkt hatten, beftraft wurden, bie eine, in-
dem fich eine blutrothe Schlange an ihrem Beine feſtbiß, während Hände und
Füße der andern in Kuhfüße verwandelt wurden. Pater Ripa erzählt, daß
die Sefuiten in Peking allein jährlich 3000 ausgefegte Kinver tauften. Ich
babe Teiche gefehen, wo Kinter meiblichen Gefchlechtd erträntt zu werben
pflegen, deren Leichname dann auf der Oberfläche des Waſſers umbertreiben.
Wunfh nah Nachkommen. Gewohnheit und Sitte, Ueberlieferung,
die Lehren ihrer meifen Männer — Alles übt bei dieſem Volke einen mächti»
gen Einflug auf den Fortpflanzungdtrieb aus. Kinverlos zu fein gilt für ein
Unglüd, wenn nicht gar für eine Schande. Die chineſiſchen Moraliften fegen
ald Geſetz feſt, daß fobald eine Frau ihrem Wanne keine Kinder gebärt, fie
auf alle Weiſe verpflichtet ift, ein außereheliches Verhältnis zu begünfligen,
damit fein Name ſich fortpflanzge und im Kalle des Todes feinem abgefchiebenen
Beifte Die gebührennen Ehren erwiefen werben fünnen. Einer ber populärften
chineſiſchen Schriftfteller fagt deehalb: „Es giebt auf Erden Frauen, die nie
Knaben geboren, oder Mäpchen aufgebracht haben, und doch wenn ihr Batte
bereitö das Alter von 40 Jahren erreicht Hat, vemfelben nicht erlauben, eine
Concubine in fein Haus zu bringen oder eine Nebenfrau (handmaid) zu
unterhalten und auf andere Weiſe für Nachfommen zu forgen — fie betrach⸗
ten folch eine Perſon mit eiferfüchtigem Hafſe und böswilligem Neide. Ach!
fie wiffen nicht, wie rafch die Zeit dahin eilt! Dehne deine Monate und
Jahre aus, wie du willft, fie fliegen dahin wie Pfeile, und wenn deines
Gatten Lebendfraft erfchöpft ift, dann fürwahr kann er Feine Kinver zeugen,
und du, fein Weib, wirft die altbergebrachten Opfer zum Stillſtand gebracht,
wirft ihn feiner Nachkommenfchaft beraubt baden — dann wird die Reue, obs
ſchon in hundertfach verfchienener Weife an ven Tag gelegt, wirklich zu fpät
kommen — fein fterblicher Leib wird fterben — fein DBermögen, welches ihr,
Mann und Weib, zufammen zu halten gefucht Habt, wird nicht an feine Kin«
der kommen, ſondern Vettern und Verwandte werben ſich darum fireiten;
und du wirft nicht deinem Gatten allein, ſondern dir felbft Leid bereitet ha⸗
ben, denn wer fol für einen Sarg, wer für dein Brab forgen? wer fol
bich begraben oder bir Opfer bringen? Ach! vein vermwaifeter Beift wirb
Nächte in Thränen zubringen. Es ift traurig, daran zu denken.“ „%reilich,
fährt der chinefifche Autor fort, „giebt es einige Weiber, vie ihre Eiferſucht
beherrfchen und ihren Männern erlauben, Nebenfrauen zu nehmen, aber fte
thun dies fo verbroffen, al& tränfen fle Effig oder nahmen Säuren zu ſich —
fie fchlagen die Betty, indem fie auch beiläufig mit der Belinda zanfen; da ift
fein Sriede im Innern bes Haufes. Aber ich bitte euch, ald Fluge und tugend⸗
hafte Weiber zu handeln. Habt ihr Feine Kinder, fo fuchet mit Offenheit und
Ehrlichkeit eine Nebenfrau für euren Mann. Bringt fie ifin Kinder, fo wer⸗
510 Miscelln:
den die Arterien und Adern feiner alten Linie ſich fortpflangen, feine Kiuder
werben euch als Mutter ehren, und tröftet euch nicht das? Gebt nicht Raum
der bösmwilligen Eiferfucht eines fchänblichen Weibes. Veranlaßt nicht eine
Bitterfeit, vie ihr felbft zu verfchluden Habt.“
Bielweiberei. Gemöhnlich läßt fich aber vie Frau willig gefallen,
dad ihr Mann eine beliebige Anzahl von Nebenfrauen, die er ernähren kann,
ind Haus nimmt, da dieſe völlig unter ihrer Autorität fliehen, und fel&ft vie
Kinder derfelben ver erften Brau mehr Achtung zollen, als der eigenen Butter.
Die Ehinefen erläutern alle häuslichen Beziehungen durch Bilder, und fo
pflegen fie zu fagen, daß, wie ver Mann tie Sonne und die Frau der Mond ſei,
fo die übrigen Frauen die Planeten und Sterne des häuslichen Firmaments
vorftellten. Man bat übrigens mit Recht vie Bemerkung gemadht, daß, ob⸗
fhon die Ehinefen in der That finnlich genannt werven müſſen, fich bei ihnen
feine Vergdttlihung der gröberen Sinnenlüfte, wie in der Mythologie des
Alterthums oder in vielen Blaubendlehren des Orients findet. Erzählungen
von den LKiebfchaften ihrer Goͤtter und Helden finden fih nur felten in ihren
biftorifchen Büchern und überlieferten Legenden. Die Kleivung, ſorie das
Benehnen der Frauen in Ehina ift durchgehends einfach und anftänvig, umt
man muß fagen, daß ihre forialen Einrichtungen im Ganzen der Vermehrung
des menfchlichen Geſchlechts günftig find. Die Eltern find gewöhnlich zärtlich
beforgt um ihre Kinder und ſtolz auf fie; ebenfo find die Kinder ihren El⸗
tern gehorſam. Ordnung ift das erfte Geſetz des Confucius — Autorität
und Unterwerfung die Spige und Baſis der forialen Pyramide.
Das Gefühl, daß Schande mit dem Erlöjchen des Geſchlechts verbunden
fei, beichräntt fich keineswegs allein auf die bevorrechteten Klaffen in China.
Eine unferer Dienftboten, dem Namen nach Chriftin, brüdte den dringenten
Wunfch aus, ihr Mann möge in ihrer Abweſenheit eine andere Frau nehmen,
und fchien ganz erflaunt, daß Jemand gegen ein ſolches Verhaͤltniß nur Ei⸗⸗
fprache erheben ſollte.
Ehe. Die Verbeiratfung der Kinder ift eine der großen Familienange⸗
Iegenbeiten. Kaum ift in den höheren Klafien ein Kind geboren, fo mir
fhon die Frage feiner Eünftigen Bermählung häufiger Gegenfland ver Unter
Haltung. Es giebt eine zahlreiche Klaffe von Cheftiftern von Profeijlon, beres
Geſchaͤft es iſt, Die vorläufigen Einleitungen zu treffen, vie Brage über die Birgit
abzumachen, Differenzen auszugleichen und die Kür und Gegen in Bezug auf
etwaige Verbindungen vorzubringen. Da ed in China feine erblichen Ehren
giebt — ausgenommen die, welche von dem berühmten Sohne rüdmärts anf
den Vater, Großvater und bie ganze Reihe der Ahnen, welche durch den lite⸗
rarijchen oder kriegeriſchen Ruhm eines Nachkommen geadelt werben, über
sehen, — fo find Kaftenunterfchiede etwas Unbefanntes, und ein berühmter
Gelehrter felbft von der niebrigften Herkunft gilt als eine gute Partie für dei
veichfte und vornehmſte Mädchen. Die firengen Geſehe, welche Heirathen im
Sigungsbericht der Berliner geograpbifchen Geſellſchaft. 511
nerbalb beflimmter Verwandtſchaftgrade verbieten, bewirken, daß bie Kinder
zahlreich und gefund find; man geht in dieſer Beziehung fogar fo weit, daß
ein Mann und eine Frau, die beide den Bamiliennamen Sing führen, fich ges
fegiich nicht Heirathen dürfen, doch beſtehen feine Verbote in Bezug auf eine
Heirath mit der Schmefter eines verftorbenen Weibes.
Soldaten und Dratrofen wird fein Hinderniß in den Weg gelegt, ſich zu
verheirathen. Ich vermutbe, daß in Kolge der zahlreichen Auswanderung und
der größeren Zahl von Maͤnnern, die durch verfchiebene Zufälle ihr Leben
verlieren, ein großes Mißverhältniß zwiſchen den beiden Geſchlechtern befteht,
welches natürlich genug vie Mißachtung des weiblichen Geſchlechts zur Folge
Haben würde, aber genaue ftatiftifche Angaben fehlen hierfür, wie faft für alles
andere.
Der Zahlenunterfchied zwifchen Verheiratheten und Unverbeiratheten ift
außerordentlich gering. Heirathen zu beförbern, ſcheint Jedermanns Sache zu
fein. Berfprechen und Berlöbniffe nehmen natürlich genug die Aufmerkſam⸗
feit der jungen Leute in Anfpruch, aber nicht weniger auch die der Bejahr-
teren und Alten. Gine Heirath iſt das größte Ereigniß im Leben des Man-
ned, wie ver Frau, und erfolgt in China mit mehr vorgängigen Unterhand⸗
lungen, Förmlichkeiten im allmähligen Bortgange verfelben, Brieffchreiben,
Befuchen, Protokollen und Gontracten, als in irgend einem anderen Theile
der Welt.“
Situng der Berliner Gefellichaft für Erdkunde.
(Die Sitzung der Berliner Geſellſchaft für Erdkunde im Monat Auguſt iſt aus-
gefullen.)
Sigung am 8. September 1855.
Herr Walter legte zuvorderſt eine Karte der Telegraphen Linien Eng»
lands vor, worauf Herr v. Olfers vier Farbenſkizzen des bekannten und
gegenwärtig in Berlin anwefenden amerifanifchen Neifenden Gern Gatlin,
welche gotteöpienftliche Scenen des Indianerſtammes der Mandans (Faſanen⸗
Indianer) darftellten, zur Unficht übergab und viefelben mit erflärenden Bes
merfungen Begleitete. Herr Schulg Iegte ven von ihm herausgegebenen me⸗
Dicinifch»Tlimatologifchen Monatäbericht für Berlin, December 1846 — Juni
1847 (7 Hefte), vweögleichen feine Tabellen über den täglidden Gang ber
meteorologifchen Inftrumente in Mom vor und hielt, auf dieſe Schriften fich
beziehend, einen Vortrag über nmieteorologifche und Elimatifche Derhältniffe,
ſorie über die Methode, welche in Anwendung fommen müffe, um dieſe Ver⸗
512 Sigungsbericht der Berliner geographiſchen Geſellſchaft.
haͤltniſſe fur die Medicin brauchbar zu machen. Eine vorgelegte graphiſche
Darſtellung diente zur Erläuterung des Vortrages. Kerr Polsberw hielt dann
einen Vortrag über die Statiſtik der Völker des Alterthums, mit beſonderer
MRüdficht auf dad Werk von Moreau de Jonnès „Statistique des peuples
de l’Antiquite®. Ein Vortrag des Herrn Wolfers über Ebbe und Ylurh,
mit Rüdjicht auf einige und nahe liegende Orte, beichloß die Sigung. Für
die Bibliothek der Geſellſchaft waren folgende Gefchenfe eingegangen: 1) Zeit-
fchrift für allgemeine Erdkunde, Herausgegeben von Dr. 3. E. Gumpredit.
Br. V, Heft 2. Berlin 1855. Geſchenk des Verleger Herrn D. Reimer.
2) Alfabet Fonetique Europeen par Potonie. Paris 1855. Zugelantt
von dem Verfaſſer. 3) Karte von Norbamerifa von Mitchell. Amſterdam.
6 Bl. Gefchenf des Dr. Karl Maßmann in Ofterburg.
Situng der Berliner Gefellihaft für Erdkunde
am 13. October 1855.
Nachven der Borfitenve, Herr Ritter, der Gefellfchaft mit einigen ein-
leitenden Worten die erfreuliche Mittheilung gemacht Batte, daß der berühmt
afrifanifche Meifende Gere Barth unvermuthet in Berlin angefommen fe um
an der Sigung der Gefellfchaft Theil nehmen werde, erfchien viefer ſelbſt,
wobei er von der Verſammlung burch einmüthige Erhebung begrüßt wurde.
Der Borfigende geleitete ihn auf feinen Ehrenplatz, und als ex ihn, ber von
der Vorfehung fo wunderbar erhalten mar, noch einmal im Namen der Ge
ſellſchaft bewillkommt und daran die fchon früher in dieſer Zeitjchrift (Br. II,
©. 50) mitgetheilte Bemerkung gefnüpft Hatte, daß der Graf v. Schlieffen
zu EI Obeyd in Kordofan einen braunen Wanderer gefprochen Babe, welcher
dem Heifenvden in Baghermi begegnet war, hielt Herr Barth eine Anfprade
an die Geſellſchaft, worin er mit einem Bli auf die materiellen Verhältniſſe
der Erpebition feine Verpflichtungen gegen die Gejellfchaft hervorhob und tie
Erpebition gegen unbegrünbete Vorwürfe vertheidigte. Als geographiſche
Hauptergebniffe feiner Meile bezeichnete er: 1) vie Aufklärung des wahre
Charakters der Wuſte Sahara; 2) die Feſtſtellung ver Lage und Auspehnung
der Menbifgruppe; 3) den Nachweis, day der öſtliche Quellfluß des Kowars
vom Tſadſee unabhängig fei und den natürlichen Handelsweg in das Innere
Afrika's bilde; 4) die Erforfchung des Flußſyſtems von Baghermi und Ada⸗
maua und 5) die Feſtſtellung des Nigerlaufes zwifchen Soloto und Tim⸗
buftu. Außerdem deutete der Vortragenvde auf die ethnographiſchen Mejultar
der Reife Bin, welche ven geographifchen zum Wenigften nicht nachſtänden.
Als Erläuterung zu dem fo eben Mitgetheilten Iegte Herr Ritter die Aui-
Sigungsbericht ver Berliner geographiſchen Geſellſchaft. 518
nahme des DBenus (biöher Tfap) vor, melde vom Juli bis November 1854
durch Dr. Baikie, Befehlshaber des englifchen Dampffchiffes Plejade, bewirkt
und fürzlich nach dem englifchen Original in einem großen Garton von Dr.
A. Betermann zufammengeftellt worden war. Herr Heifing hielt hierauf
einen Vortrag, worin er vornehmlich Keicharbr'3 merkwürbige Meife nach Port
Eſſington fchilderte. Herr Dove legte dann eine photographifche Anſicht einer
Melieflarte von Frankreich von Sanis und außerdem mehrere von Babinet
(Paris 1855) herausgegebene Karten vor, welche des letztgenannten Ver⸗
faſſers neue Projectionsmethode, die er die bomolographifche nennt, und welche
die Fehler ver bisher üblichen Projectionsarten verkleinern fol, varftellen.
Weiter befprach verfelbe ven zweiten Theil von E. Hallmann’3 Werk über
bie Temperaturverhältniffe der Quellen, und indem er darauf hinwies, daß
die Pflanzen nicht allein von der Temperatur der Luft, ſondern weſentlich
auch vom Boden und von der Bodentemperatur abhängig wären, gab er noch
eine gebrängte Ueberficht von neu erfchienenen Schriften, die zur Aufklärung
der meteorologifchen Berhältniife einiger Länder beitragen. Das Annuaire
der meteorologifchen Geſellſchaft von Paris, das nicht allein vie Temperatur
verhältniffe Frankreichs, fondern auch die ver Colonien, insbefondere Alges
rind und Guiana's mittheilt, wurde Hierbei vorzüglich Hervorgehoben. Ende
lich befchrieb der Vortragenve einige auf der gegenwärtigen Barifer Ausftellung
beobachtete und für die geographifche Wiffenfchaft bedeutungsvolle Merkwür⸗
digkeiten und vermeilte beſonders bei einer finnreichen Vorrichtung, wodurch
die fortpauernde Beobachtung der Drehung der Erde aus den Schwinguns
gem des Penbels möglich wird. Am Schluffe der Situng richtete Herr Die-
terici der Aeltere im Auftrage des Vorfigenden noch einmal dad Wort an
Harn Barth und, indem er ven Wunfch ausfprach, daß verjelbe recht bald
wieder Berlin zu feinen Wohnftt ermählen und ſich in vemfelben heimiſch
fühlen möge, gab er der Stimmung aller Anmefenden durch ein breimaligeö
Hoch auf den Gefeierten einen entfprechenden Ausbrud, wobei er von ber
ganzen Verſammlung Träftig unterflüßt wurde. — Eingegangen waren für
die Geſellſchaft: 1) Die Büfte Leichardts. Geſchenk des Herrn Jules Ver⸗
reaux, Chefs der zoologifchen Anftalt in Paris, an die Königliche Regierung
und Durch des Herrn Minifterd v. Raumer Ercellenz der geographifchen Ges
fehfchaft überwiefen. 2) Die Hellenen im Skythenlande. Ein Beitrag zur
alten Geographie, Ethnographie und Handelögefchichte. Won Dr. Karl Neu⸗
mann. Bd. I. Mit 2 Karten. Berlin 1855. 3) Educacion comun en el
estado de Buenog- Aires por D. F. Sarmiento. Santiago de Chile 1855.
4) Catecismo geogräfico-politico e historico de la Repüblica Oriental
del Uruguay por D. Juan Manoel de la Sota. Montevideo 1855. (Bei«
des Geſchenke des General» Confuld Herrn v. Guͤlich). 5) Mittheilungen
über wichtige neue GErforfchungen auf dem Gefammtgebiete der Geographie
von Dr. U. Petermann. in 1855. Heft V u. VI. Geſcheat des Ver⸗
Zeitſchr. f. allg. Erdkunde. Bd. V.
514 Sigungäbericht ver Berliner geographiichen Geſellſchaft.
legers Hrn. 3. Bertbes in Gotha). 6) Jahrbuch des naturhiftorifchen Landes⸗
mufeums in Kärnten. Herausgegeben von J. N. Sanaval. Mit 2 lich. Taf.
3. Jahrgang. Klagenfurt 1854. 7) Memoria historica sobre los Dere-
ehos de Soberania y Dominio de la Confederacion Argentina por D.
Pedro de Angelis. Buenos-Aires 1852. 8) Noticia biogräfica de Mr.
Bonpland por Mr. de Angelis. Buenos-Aires 1855. 9) De ia Navi
gation de l’Amazone par Mr. de Angelis. Montevideo 1854. 10) Pro-
yecto de Constitution para la Bepüblica Argentina. Por Pedro de An-
gelis. Buenos-Aires 1852. 11) De la Conducts de los Agentes de la
Francia durante el bloqueo del Rio de la Plata, por el Observador
imparcial. Buenos-Aires 1839. 12) Ein lithographirtes Portrait bes
Reiſenden Bonpland. (Nr. 7— 12 find GBefchenke des Herrn be Angelis in
Montevideo.) 13) Carta geogräfica del Estado Oriental del Uruguay y
Posesiones adyacentes. Paris 1841. (Geſchenk des Herrn Bonpland.)
14) The Journal of the Royal Geographical Society of London. Vol 2.
P.1I, U, III. London 1840. 15) Bulletin de la Societe de Geographie.
IVme Serie. T. IX, Paris 1855.
Ueberficht der vom Juli bis zum November 1855 auf dem
Gebiete der Geographie erfchienenen Werke, Auffäbe, Karten
und Bläne.
Geographiſche und ſtatiſtiſche Beitfchriften.
Bee für allgemeine Erdkunde ꝛc. herausgegeben von Dr. T. C. Gumprecht.
V. Heft 1—6. Berlin (O. Reimer) 1855. gr. 8. (2 Thlr.)
Dittbeflungen aus J. Perthes’ geographifcher Anftalt über wichtige neue Erforſchun⸗
gen auf dem Geſammtgebiete der Geographie, von Dr. U. Betermann. Gotha
(Perthes) 1855. Heft IV—X. 4. (a 4 Thle.)
Notizblatt des Vereins für Erdkunde und” verwandte Mifienfchaften zu Darmſtadt.
Nr. 1—20. October 1854 — Juli 1855. Mit 6 lithogr. Tafeln. Darmſtadt
(Fongbans) 1855. 8.
Bulletin de la Societ€ de Geograpbie etc. IV”* Ser. T. IX. Juin. T. X. Juillet.
Aoüt. Paris 1855. 8,
Nouvelles Annales des Voyages. VI=* Ser. 1855. III. Juillet — Octobre. Paris. 8.
Das Ausland. Eine Wochenichrift ac. 28. Jahrg. 1855. Stuttgart (Gotta). 4.
Archiv für winenf@antiße Kunde von Rußland. Herausgegeben von U. Erman. Br.
XIV. Heft 8. 4. Berlin (G. Reimer) 1855. 8.
Revue de V’Orient, de PAlgerie et des Colonies. AIll=* Annde. III” Ser. 1855.
Jum — Septembre. Paris. gr.
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Jahrg. Leipzig 1856. gr. 8. (2T
Mittbeitun en des flatiftifchen Burean's 8 Berlin, Gerandgegeben von Dieterict.
8. Jahrg. Nr. 1— 19. Berlin (Mittler) 1855.
Bet des ſtatiſtiſchen Bureau's des Königl. (ächfifen Miniſteriums des Sunern.
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.5. 9— 11. 13
Cartes generales du bassin de la mer Noire et de la mer Baltique. 2 feuilles.
Reymann (8. D.) und v. Desfelb a W), ——— Spezial⸗Karte vom
zeutfelaub und deu augrengenben re) Neue Ausgabe. 117. — 132. Lief.
ogan (Blemming) 1858. — —X
(8. Be ee und fahre: ⸗Karte Gentrals Guropa’s.
a 5
Eiſenan von —* für das ZJehr 1856. Leipzig (Lit. Buream) 1855.
ol gr
Ueberfihtss Karte der Ciſenbahnen und der beventenderen Pofl: und Dambfſchiff⸗
Derbinbun en re — und den angrenzenden Ländern. Berlin (Dede)
o
Balneologiſche Karte —* 83 land und den an den Landestheilen. Berlin
(Scherk) 1855. 0 Thir) iſch ee
Böhm (8.), Plan von Berlin mit dem Weichbilve und der Umgegend bis Ghar:
Iottenburg. Neue Aufl. Berlin (D. Reimer) 1855. In 4. Garton. (2 Tr.)
Plan der ae Landsberg am der Warthe. Landsberg (Echäffer n. Go.) 1855. qm.
Bachler (2), Statiſtiſch⸗techniſche Karte von Oberſchleſien zum hüttenmänniſchen
Führer durch Oberfchlefien. Glogan (Flemming) 1855. Imp. Fol. (1 Thle.)
Bonsdorff (Th), Specials Karte des Regiernugsbezirks Magreburg, der Anhalt’
ſchen Herzogthümer und ber angeenjenben Lanbesiheile. 2. Blatt. Wagbeburg
(Kägelmann). Imp. Fol. (14 Th
Büchel (I.), Karte des Rreifes — Trier (Gall) 1855. gr. Fol. (} Thkr.)
—, Karte des Kreifes Ottweiler. Trier (Ball) 1855. gr. Fol. .)
—, , Rarte des Kreifes St. Wendel. Trier (Gall) 1855. gr. Fol. I Thlr.)
—, Karte des Kreifes Saarlouis. Trier (Gall) 1855. gr. Fol. .)
Röw e ag ⸗ eo Ad ‚Broßgerjogtbämer Mediendburg. Neafreli ( Barme:
i o
Plan von Dresden. Berlin (Grieben). Fol. (2 Gar.)
Ucberfichtsplan vom Innudationsgebiete ver Bewäfler bei und in der Umgegend von
rag Leipzig (Siurihe) 1855. Imp. Fol. (14 Thlr.)
Süßmilch-Hörnich (M.), Karte der Umgebung von Bab Eifer. Dresten
(Adler u. ne —8 Fol. In 16. Carton. (6 Sgr.)
Rof —* a & „gan reich Bayern. Neue Ausgabe. Mäürurg (Deyerlein)
Berghaus Tun), Sul Alias ber öfterseichiichen Monarchie. 2. Auflage. Gotha
(Perthes) 1855. qu. Fol. (12 Ser.)
Pluth (Fr), Karte des Chrudimer Kreifes im Königreich Böhmen wach ben neme:
Ben and beften vorhandenen Hilfsmitteln. Prag (Chriſtoph u. Kahe) 1855.
a
Dermann, Die Markgrafſchaft Mähren und das Herzogthum Ober» und Rieber:
ſchleſien wach ihrer neueſten gerichtlichen und politiſ * Tintheilung. Wien 1855.
Wagner (N), Karte des Juns und Hansrudfreifes in Oberöfterreich mit ben Gen:
Neu erfchienene geographifche Werke, Auffäge, Karten und Pläne 535
beusMaffen der Wolfsegg⸗Traunthaler Kohlenbergbau⸗ und Gijenbahngefellfchaft.
Wien (Lith. Anflalt von Sieger).
Plan von Gmunden und defien Umgebung. Wien (Artarla) 1855. 1 BU. M.yrLz,.
Schmitt (G.), Neuefte Original: Karte ver Umgebungen Wiens. Wien (Wenebift)
1855. Fol. in 16. Barton. (4 Thle.) -
Nenefter zuverläffigfter Plan von Wien mit feinen Vorfläbten. Wien (Wenebift) 1855.
Fol. in gr. 16. Garton. (4 Thlr.)
Pfeiffer (J. B.), Karte zur Reife durch Salzburg, das Salzlammergut und Berch⸗
tesgaben nebft einem Theile von Tyrol bis Brixen und bes baierifchen Hochge⸗
birges bis Münden. Salzburg (Balvi) 1855.
Gebirgss, Poſt⸗ und NeifesKarte von Dentfh- Tyrol und Sübbayern. München
(Kranz). Bol. Auf Leinw. (24 Ser.)
Karte von Ungarn und Siebenbürgen. Prag Berra) 1855. 4 DI.
Großfürftentyum Siebenbürgen. Prag (Berra) 1855. 1 II.
Carta ‚opograhie del Territorio Distrettuale di Castiglione di Stiviere. Mantova
1855. 1 DI.
Reneße —— und Poſt⸗Karte der Schweiz, Winterthur (Steiner) 1855. Imp.
gr.
Stryienski (A.), Carte topographique du canton de Fribourg, lerée de 1843 &
1851, gravee par Th. Delsol. Paris (Impr. lithogr. de Chardin aine).
La France et ses colonies, atlas illustre. 100 cartes dressees d’apr&s les cartes de
Cassini, du depöt de la guerre, des ponts et chaussees et de la marine, par
M. Vuillemain. Texte redige d’apres les documents officiels et sur un plan
Y entierement nouveau, r&unissant en forme de tableaux: 1) la division admi-
nistrative, politique, judiciaire etc.; 2) les vicissitudes historiques; 3) la bio-
graphie; 4) la statistique; 5) les ressources agricoles, industrielles etc. etc. par
Ernest Poiree. Paris (Migeon) 1855. 4. (35 Fr.)
Atlas special de la France par Bazin et Cadet. Pl. 21. France militaire. 27.
France commerciale et maritime. 28. Algerie physique, politique, administra-
tive et militaire. Paris (Impr. lith. de Wineteau).
Villevert (E.), Carte statistique de la France, d’apr&s les documents ofhiciels
les plus recents, faisant connaitre, par departements, tous les dléments de ri-
chesse, de prosperit£ et de grandeur de la France. Paris (Impr. lithogr. de
Lemercier
Atlas communal du departement de la Seine, arrondissement de Sceaux, canton de
Villejuif, commune de Fresne. Paris (Impr. lithogr. de Lemercier)).
de Billy (E:), Carte geologique des Vosges. Paris (Imprimerie roy.)
Atlas souterrain de la ville de Paris. Region N. E. Feuilles 1 et 2. Paris (Impr.
lithogr. de Chardon aine).
Illuſtxirter Flan von Paris. Leipzig (Expedition der illuſtrirten Zeitung). gr. Fol.
(4 Th).
Neuer und vollftändiger Plan von Paris. Leipzig (Weber) 1855. In engl. gr. 8.
Garton. (4 Thle.)
Bradshaw’s New map of Paris, including a map of the environs and a com-
prehensive Street Index. London (Adams) 1855. 12. (1 S.)
Tourrier (J.), New map of Paris; with a guide to the Great Exhibition and
rincipal buildings in the Capital. London (Whitbread) 1865. In case.
6.d.
Plan du 8 bois de Boulogne, dresse d'après les documents ofſiciels, gravé
et publi par Th. Delsol. Paris (Andriveau-Goujon) 1855.
586 W. Koner:
Hafen in von Smweaborg und Helfingfors. Berlin (Schropp u. Co.).
gr. Bol. Ir
Handite (F.), Sperials Karte des Kriegeihauplabes in Süd⸗Rußland. Glogan
(Flemming). Imp. Kol. (12 Ser.
Karte der ruffifchen Häfen am ſchwarzen und afoffichen Meere. Glogau (Flemming)
1855. gr. Bol. (z Thlr.)
Flender (R.), Specials Karte ver Krim. Nah J. J. N. Huot. 2. Aufl. Breslau
(Kern). gr. Fol. (4 Thle.)
Clerot, Plan Na sıiege de Sebastopol et ses environs. Paris (Impr. kıthogr. d«
Kaeppelin
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Sebastopol. Accompanied by explanatory descriptions. London ( Chapman
& H.) 1855. Fol. (10 8. 64)
— — — Part 3, showing the Mamelon. Ibid. eod. Fol. (2 S. 6 d.)
—. Topographical sketches of the ground before Sebastopol, accompanied by an
explanatory description. Part 2. London (Stanford) 1855. Fol. (4 $.)
Panorama d’Italia. Milano (Gnocchi) 1855. 1 BI.
Regno Lombardo- Veneto. M. ys55!z05. Milano (Gnocchi) 1855. 1 BI.
Carta topografica del Territorio Distrettuale di Mantova a norma del nuoro Com-
partimento. Mantova (Beretta) 1855. 1 BI.
Carta topografica del Territorio dı Viadana. Mantova (Beretta) 1855. 1 BL
Huber (3.), Die fardinifhe Monarchie. Nürnberg (Beyerlein). gr. Fol. (9 Ser.)
Vuillemin (A.), Mapa de los caminos reales y transversales de Espana y de
Portugal, con las nuevas divisiones de provincias Paris (Impr. lithogr. de
Lamoureux).
Karte vom nie: een Kriegsfchauplag in Aflen. Glogau (Flemming) 1855.
mp. 90
Kiepert ($.), Seneralfarte des türfifchen Reiches in Europa und Aften, nebſt Us:
8*8 bs Rußland und den Kaukaſus-Läudern. 4 Bl. Berlin (D. Reimer).
2 Thlr
Aılas van de Nederlandsche Bezittungen in Oost-Indi&, geteekend onder toeaigt
van J. Pijnuappel. Inhoud: I. Overzigtskaart. II. Java. III. Sumatra. IV.
Gouvernement Sumatra’s Westkust. V. Residentie Riouw en Bangka. VI.
Borneo. VII. Celebes. VIIl. Molukken. IX. Eilanden beoosten Java tot Ti-
mor. s Hage 1855.
Prospectus van eene algemeenen atlas van Nederlandsch Indie. Uit ofhicidle bron-
nen cn met goedkeuring van het Gouvernement te zamengesteld door P. ba-
ron Melvill van Carnbée.
Linant de Bellefonds, Carte de l’Etbaye, ou pays habit& par les Arabes Bi-
charis, comprenant les contrees des mines d'or connues des anciens sous Ic
nom d’Olakı, faite dans les anndes 1831 et 1832. Paris (Impr. lithogr. de
Kaeppelin).
Carte hydrographique de la partie septentrionale de la haute Egypte, ou sont in-
diques les travaux d’ouvrages executes et à executer d’apr&s les ordres de
S. A. Mehemet-Ali, Vice- Roi d’Egypte, par M. Linant de Bellefonds
Paris (Impr. lithogr. de Kacppelin) 1855.
Kiepert (H.), Entdeckungen im arktifhen PBolarmeere in Folge der Auffuchung ber
Franklin'ſchen Erpedition bie 1854. Berlin (D. Reimer) 1855. qu. Fol. (4 The.)
Men erfihienene geographifche Werke, Auffähe, Karten und Pläne. 537
Carte des regions arctiques et du passage nord-ouest, d'après la derniere carte de
Yamiraute britannique. Paris. 1 feuille.
Carte geologique du Canada, par W. E. Logan. Paris.
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5. Lief. Caſſel (Fiſcher). ar. Fol. (18 Ser.)
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de M. le Prof. E. Plantamour. — Bibliothtque univ. de Gentve. 1855. XXX.
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Ballot (B.), Jets over het Konigkl. Nederlandsch Meteorologisch Instituut. —
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WVierkundige waarneminge op den huize Zwaneburg. — ibid. 1855. Zu Ende
jeder Nummer.
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Mallet (R.), Notice of the British Earthquake of November Sıh, 1852. — Trans.
of the Roy. Irish Acad. XXII. 1855. p. 397.
Lloyd (H.), Notes on the meteorology of Ireland, deduced from the observations
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Lee (E.), Nice and its climate; with notices of the coast from Hitres to Genoa
etc. London (Adams) 1855. 178 S. 12. (44 S.)
—, Spain and its climate; with a special account of Malaga. London ( Adams)
1855. 190 S. 12. (44 S.)
Vess&lowsky, Du Climat de la Russie. La gröle. — Bullet. de P’Acad. de Sı
Petersbourg. Cl. d. sciences hist. 1855. XIII. No. 1. 2.
Spassky, Observations me£tsorologiques faites ä& Moscou, pendant les mois Jan-
vier — Aoüt. — Bulletin de la Societ£ Imper. des Naturalistes de Moscon.
1854.
Helfft, Das Klima und die Bobenbefchaffenheit Mlgeriens. — Zeitſchr. f. allgem.
Grofunde. V. 1855. ©. 383.
Lartigue, Carte generale des vents dominants à la surface des mers, pendant les
mois de janvier, fewrier et mars, et pendant les mois de juillet, aoüt et sep-
tembre. 2 feuilles.
W. Koner.
Druckfehler und Berbefierungen.
Im dritten Bande:
Seite 68 Beile 6 v.u. Hinter d'Anville iſt nicht einzufchieben.
Sm vierten Bande:
Seite 254 Selle 8 v. u. lie Adansonia digitata flatt Adansonia digitati.
339 = 8yn. lies Noch flat Nach.
396 » 16 und 17 v. o. lies Dolerit flatt Dolorit.
445 = 4 v.o. lied Buvry flatt Barry.
445 = 18 v.o. lies Fomento flat Tomento.
446 = 25 v.o. lies feito flatt fetio.
“
u» u 4
Im fünften Bande:
Seite 53 Beile 9 v. o. iſt nach dem Worte Benetianer ber Rame biefes Mannes
Marino Sanuto ausgelafien.
124 lebte Zeile v. m. lies I, 266 flatt IT, 226.
125 in der Ueberfchrift lies III. flatt II.
331 Seile 11 v. u. lie Eaton flatt Eton.
527 Beile 11 v. o. lies D’Escayrac de Lauture flat Lautour.
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Gchrudt bei A. W. Schade In Berlin, Grünflrafe 18.
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NOV 1 8 1938