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Full text of "Zeitschrift für die gesammten Naturwissenschaft"

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Zeitschrift 


für die 


Gesammiten Naturwissenschafien. 


Originalabhandlungen 
und 
monatliches Repertorium der Literatur 
| der 


Astronomie, Meteorologie, Physik, Chemie, Geologie, Oryktognosie, 
Palaeontologie, Botanik und Zoologie. 


Redigirt von 


Dr. 6 6 Giebel, 


Prof, a. d, Univers, in Halle. 


Neue Folge 1871, Band IV. 
(Der ganzen Reihe XXX VIII. Band.) 


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Mit 3_Tateln. 


Berlin 
Verlag von Wiegandt & Hempel. 
em. 


KURZE 


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Inhalt. 


Originalaufsätze. 


©. Giebel, Prof. Ueber einige Milben . . . 2. 2 2 2 22. 

— — Die Zoologie 

A. Girtanner, Dr., Vertretung un ehe 1 Hanleiene in 
der Schweiz . a 

A-Habel, dus Miinano auf den Olnnchaz insel 3 ; 

G. Holzmüller, Dr., Berg-, Thal- und Gletscherfahnten.i im Gebiet 


der Oetzthaler Ferner . . BEE RE ST AO : 
L. Salle, über die Sebaein- Meinsänren (Diosysebncinsiure) eine Ho- 
mologe der Weinsäure . . . c er 


G. Schubring, immerwähreude Kalendek; Studien nad Kritiken im 
Gebiete des Kalenderwesens . . 

Suhle, Prof., über den Einfluss der Windrichtung, auf die Feuchig 
keit dee Lüft . .. SEE U TAT c 

E. Taschenberg, Prof, , ihopterelefische Sindien.a aus Haan hinter, 
lassenen Papieren des Oberlehrers Carl Wanckel zu Dresden . 

— — einige neue südeuropäische Hymenoptera . . .».., 


Mittheilungen. 


Setie 


441 


218 


Frostschäden des Jahres 1870—1871 184. — G. Schubring, Nach- 


träge zum meteorologischen Jahresbericht auf das Jahr 1870 182; 


reine 


oder temperirte Stimmung? 258. — E. Taschenberg, chilesische Insekten, 


besonders Käfer 38. 


IV 


Sitzungsberichte. 


Ausstellung verschiedener naturgeschichtlicher und technischer Gegen- 
stände 372. — Bischof, über die Brennwerthe der in Halle übliehen 
Brennmaterialien 85. — Credner sen., über Brauns Jura des N.W.Deutsch- 
lands 3815 Verschiedenheit der diluvialen Geschiebe in unserer Provinz 
383. — Credner jun., Hebung durch Wasserwirkung 371. — Dunker, 
über Pettenkofers Canalisationsproject zu Frankfurt a/M. 89; über Liebig’s 
Untersuehung der Entstehung der Seidenraupenkrankheiten 210. — EI- 
liessen, tertiärer Fusus im Diluvium 385. — Fischer, Vortrag über die 
Darwinsche Theorie 374. — Generalversammlung in Bernburg 368. — 
Giebel legt Rhinobates obseurus vor 85; Studers Untersuchungen über 
den Kanal der Trematoden 89; in Schwefelkies umgewandeltes Holz 379; 
neue Janthella und über Receptaculites Murchisoni 380; über besondere 
Eigenthümlichkeiten des Orthoceras regulare 382; über eine Dictaea und 
verschiedene silurische Korallen 383; systematische Stellung der Cesto- 
den 384; Geschichtliches über Infusorien 384; Prineipien bei Abfassung 
des Thesaurus Ornithologiae 504; Fortpflanzungsweise im Thierreiche 505. 
— Graf, krystallinischer Hornstein bei Taucha 85. — Gründler, über 
Euplectella 373. — Hahn’s Schreiben aus der Capstadt 382. — Klautsch 
legt einen Schädel von Gavialis und einen Menschenschädel mit eigen- 
thümlicher Verletzung vor 85. — Köhler, Churchs Untersuchungen des 
Turaeins; über die verschiedenen in Arabien gebräuchlichen Zubereitun- 
gen des Haschisch 87; über Sonnenscheins Verbindungen des Arsens in der 
Natur 210; Verhalten der Terpentinöle zum Phosphor 379; über Aconitin, 
Coniin und Milchsäure 385; Renard’s Untersuchungen über das Canthari- 
din 505. —. Marschner, Mamutzahn von Merseburg 382. — Potzelt, 
legt einen Königschen Apparat vor 382. -—- Rey, über Droste’s Verzeich- 
niss der Wintergäste und über Anthus Richardi 397; über Cossypha gut- 
turalis 380; Zahl der europäischen. Brutvögel 384. — Ad. Schmidt, über 
Diatomeen 376. — sSchubring, über immerwährende Kalender; Flüssig- 
keit zur Darstellung der Plateau’schen Gleichgewichtsfiguren; über die 
Meile des neuen Systems 96; über Seifenblasen 371. — Taschenberg, 
über Schmidts Rübennematoden 89; über besonders schädliche Insekten 
dieses Jahres 371; neue südeuropäische Hymenopteren 379; über ähn- 
liche Käferlarven 383; Lebensweise südafrikanischer Hymenopteren 506. 
— Teuchert, Geoffroys Speisezettel aus dem belagerjen Paris 89; Stei- 
gerung der Temperatur in Salzlösungen durch heissen Dampf. Emaille- 
Photographien 208; über Antozon nach Nasse 384. 


& 


Literatur. 


Aligemeines. J. Frischauf, Grundriss der theoretischen Astro- 
nomie und der Planetentheorie (Graz 1871) 311. — Hessel, Uebersicht 
der gleicheckigen Polyeder (Marburg 1871) 311. — @. Karsten, Mass 
und Gewicht in alten und neuen Systemen (Berlin 1871.) 259. — K. 
Kühn, die elekiromagnetische Materie in ihrer kosmischen Existenz 312. 


Y 


— J. Rosanes, über die neuesten Untersuchungen in Betreff unserer An- 
schäauung vom Raume (Breslau 1871) 312. 


Physik. J. Baxt, die zum Bewusstsein eines Gesichtseindruckes 
erforderliche Zeit 45. — J. Bernstein, über elektr. Oscillationen in ge- 
radlinigen Leitern nach der Oeffnung eines Kettenstromes 261. — E. Ha- 
genbach u, Bodynsky, Schmelzung bleierner Geschosse durch Aufschla- 
gen auf eine Eisenplatte. 44. — F. Knoblauch, eine durch Dispersion 
hervorgebrachte stereoskopische Erscheinung 468. — A. Kundt, Ver- 
suche über das gemeinschaftliche Sieden zweier nicht mischbarer Flüssig- 
keiten 44; über anomale Dispersion 188; über die anomale Dispersion 
der Körper mit Oberflächenfarben 466; Nachtrag zum vorigen 467; desgl. 
468. — V. v. Lang, über die anomale Dispersion spitzer Prismen 468. 
— G. Magnus, Veränderung der Wärmestrahlung durch Reinheit der 
Oberfläche 44. — L. Pfaundler u. Platter, über die Wärmecapaeität 
des Wassers in der Nähe seines Dichtigkeitsmaximums 262. — E. Rü- 
dorff, Bestimmung des Wassers im Eisessig 42; die Bestimmung der 
Schmelz - und Erstarrungstemperatur der Fette und anderer Verbindungen 
43. — E. Sarasin, von der Phosphorescenz verdünnter Gase nach dem 
Durchgang einer elektr. Entladung 261.— E. H. Schellbach, über einen 
neuen Apparat zur Ermittelung der Gesetze des Luftwiderstandes 312. — 
H. Schneebeli, über den Stoss elastischer Körper und eine numerische 
Bestimmung der Stosszeit 313. — P. Secchi, eine neue Methode, die 
Sonne spectroskopisch zu betrachten 314. — Sellmeyer, zur Erklärung 
der abnormen Farbenfolge im Spectrum einiger Substanzen 468. — E. 
Villari, über die Rlastieität des Kautschuks 313. — A. v». Waltenho- 
fen, über die Anziehung einer Magnetisirungsspirale auf einem bewegli- 
chen Eisenkern 262; ein einfacher Apparat zur Demonstration des nega- 
tiven Verhaltens ciserner Röhren 262; Bericht über eine neue Thermosäule 
von grosser Wirksamkeit 314. — K. W. Zenger, eine neue Thermosäule 
263; das Differentialphotometer 263. 


Chemie. E. H. Baumhauer, über die Trennung des Eisens vom 
Nickel und Kobalt 192. — F. Beilstein und A. Kuhberg, über Mono- 
und Dinitro-Naphtalin 51. — Bettendorff, krystallisirte Schwefelverbindun- 
gen 471. — Carstanjen, neue Methode Oxymonocarbonsäure in die zu- 
gehörigen Dicarbonsäuren umzuwandeln 315. — Fr. Goppelsröder, schnell 
ausführbare und genaue Methode der Bestimmung der Salpetersäure 316; 
Chemie der atmosphärischen Niederschläge 318. — A. W. Hofmann, das 
primäre und secundäre Phosphin der Methylreihe 47; Darstellung der 
Aethylenbasen im Grossen 264. — A. Hasemann, das Cytisin, neues Al- 
kaloid im Gen. Cytisus 264. — F. W. Kreke, die Erscheinungen der Zer- 
setzung wässriger Lösungen in Eisenchlorid 191. — Linnemann, ein Bei- 
trag zur weitern Kenntniss des Pinakons; über die gleichzeitige Bildung 
des Propylaldehyd, Aceton und Allylalkohol neben Acrolein bei der was- 
serentziehenden Einwirkung von Chlorealeium auf Glycerin 469. — O0. 
Loew , Löslichkeit des Kupferoxyds und Eisenoxyds in ätzenden Alkalien 
51. — P. C. Marguart, über die Polybromide der Ammoniumbasen 472, 
— Muck, Verwerthung molybdänsäurehaltiger Flüssigkeiten von Phos- 
phorsäurebestimmungen 473. — K. Preiss, quantitative Bestimmung der 
Doppelcyanide 266. — sSchafner, über die Darstellung von Thallium im 
Grossen 469. — Schulze, über Anthrakonsäure 314. — H. Struve, Stu- 
dien über Ozon, Wasserstofihyperoxyd und salpetersaures Ammoniak 50. 
— Thomsen, die Affinität des Wasserstoffs zum Chlor, zum Sauerstoff und 
zum Stickstoff 470. — B. Tollens, Versuche über die Allylgruppe 315. 
— Ulloth, einfache Darstellungsmethode des Quecksilberchlorürs 5l. — 
Vogel, der Fettgehalt der Bierhefe 473; Schwefelsäure als Verbrennungs- 
produkt des Steinkohlenleuchtgases 475. — Th. Zincke, neue Reihe aro- 
malischer Kohlenwasserstoffe 49. — sSilv. Zinno, Jodschwefelsäure und 
‚ Jodschwefelsaure Salze 470. 


VI 


Geologie. Fr. Babanek, die Erzführung der Przibramer Sand- 
steine und Schiefer in ihrem Verhältnisse zu Dislocationen 55. — H. Beh- 
rens, über mikroskopische Zusammensetzung und Struktur der Grünsteine 
192. — Bäumler, Vorkommen der Eisensteine im westfälischen Steinkoh- 
lengebirge 323. — E. Boll, die protozoischen Geschiebe Meklenburgs und 


deren organ. Einschlüsse 52. — R. v. Dreske, über Serpentin und ser- 
pentinähnliche Gesteine 328. — O. Gillieron, Kreideformation in den vor- 
dern Alpenketten am Genfersee 271. -— Ad. Gurlt, Hebungsphänomene 


der Diluvial und jünnern Zeit im südl. Norwegen 269. — Alf. Jentzsch, 
über den Löss im Saalthale 482. — @. v. Marschall, Erklärung und Be- 
stimmung der Eiszeit 194. — Mohl, Beziehungen zwischen Trachyt, Ba- 
salt und Dolerit 270. — Ed. v. Mojsisovics, Parallelen in der obern 
Trias der Alpen 476. — Alb. Müller, die Cornbrashschichten im Basler 
Jura 267; die Gesteine des Geschehenen-, Gomern- und Mainthales 321. 
— M. Neumayr, aus der Sette communi 53. — A. Nöschel, eigenthüm- 
liches Vorkommen von Glaubersalz im Kaukasus 53. — Fr. J. Pick, die 
letzten Erdbeben, Thermen und Solfataren auf Milo 55.— E.E. Schmidt, 
aus dem östl. Thüringen 481. — B. Studer, zur Geologie des Ralligen- 
gebirges 271. — H. Trautschold, der klinsche Sandsteine 273. — @. 
Tschermak, zur Kenntniss der Salzlager 479. 


Oryktognosie. A. Bauer, über den steierschen Graphit 195. — 
Arist. Brezina, die Salzbacher Epidote 337. — Fr. Hessenberg, über 
Anlıydrit 59. — How, Wickworthit, neues Mineral 277. — A. Kenngott, 
Zusammensetzung des Epidot 57. — E. Th. Liebe, Beyrichit und Mille- 
rit 485. — M.v. Lill, Ullmannit vom Rinkenberge in Kärnten 62. — 
Niedzwiedzky, Trinkerit von Gams bei Hieffau in Steiermark 196. — 
Nöllner, Lüneburgit 277. — L. Raab, über den Baryt- und Mangange- 
halt einiger Mineralien 61. — @. vom Rath, neues Vorkommen von Ba- 
bingtonit bei Herbornseelbach; über den nassauischen llvait 61. — @. 
Rose, Bildung des mit dem Steinsalz vorkommendeu Anhydrits 273. — 
J. Rumpf, Mineralogisches aus Steiermark 276. — Sandberger, Vorkom- 
men des Lithionglimmers im Fichtelgebirge; Weissnickelkies oder Ram- 
melsbergit 4384. — Schrauf, Kupferlasur von Nertschinsk 329. — Spir- 
gatis, ein fossil., vielleicht der Bernsteinflora augehöriges Harz 483. — 
A. Streng, neues Vorkommen von Tridymit 336. — @. Tschermak, über 
Pyroxen und Amphibol 329. — Websky, Julianit, neues Erz 483. — H. 
Wieser, Analyse des Kieserits vom Hallstätter Salzberge 62; Analyse 


eines Kieselzinkerzes 195. — V. R. v. Zepharovich, der Diapherit von 
Przibram und der Freieslebenit 196. — C. Zinken, Astrakanit von Stass- 
furt 62. 5 


Palaeontologie. E. W. Binney, über die Struktur foss. Pflan- 
zen 63. — O0. Böttger, über den Mergel von Gokwe in S. Afrika und 
seine Fossilien 278. — Em. Cornelia, Mammiferes fossiles de Lombardie 
(Milano 1858—71) 192. — Th. Davidson, Monographie der britischen 
fossilen Brachiopoden 63. — Osw. Heer, über die foss. Flora der Bären- 
insel und Grönlands 342. — F. Karrer, Foraminiferenfauna in der obern 
Kreide von Leitzensdorf bei Stockerau 340. — Em. Kayser, die Brachio- 
poden des Mittel- und Oberdevon der Eifel 487. — Leidy, vorweltliche 
Pferde Amerikas 66. — Owen, Monographie der foss. Säugelhiere der 
mesozoischen Formationen 65. — K.F. Peters, miocäne Dinotherium- 
reste aus dem südl. Steiermark 279. — Probst, foss. Meeres - u. Brak- 
wasserconchylien der Gegend von Biberach 341. — R. v. Reuss, Phy- 
matocareinüs speeiosus, neue Krabbe aus dem Wiener Leithakalke 337. 
— A.E.Reuss, die Foraminiferen des Septarienthones von Pietzpul 277. 
— Schlüter, neue Echiniden und Riesenammoniten in der Kreide 339. 
— H. Trautschold, Erhaltungszustände russischer Ammoniten 378. — 
Weiss, Tylodendron speciosum, neue Conifere aus dem Rothliegenden; 


vu 


Nöggerathia 338. — J. V. Wood, Monographie der eocänen Mollusken 
Englands 64. — H. Woodward, neuer Eurypterus von Perton in Here- 
fordshire 197. — Th. Wright, Monographie der britischen foss. Echino- 
dermen der Kreideformation 63. 


Botanik. A. Braun, abnorme Bildung der Adventivknospen am 
krautartigen Stengel von Calliopsis tinetoria 198; Verhältniss der Zygo- 
morphie der Blühten zur Sympodieubildung 281. — J. E, Dubus, Be- 
schreibung neuer oder wenig bekannler exotischer Kryptogamen W. Afri- 
kas 201. — A. Dräger, kritische Pflanzen in Meklenburg 74. — L. 
Fuckel, Symbolae mycologicae 69. — Hanstein, eingewachsenes Forst- 
zeichen in einem Rothbuchenstamm 343; geweihförmig verästelte Faseia- 
tion eines Eschenzweiges 343; vorläufige Mittheilung über Bewegungser- 
scheinungen des Zellkernes in ihren Beziehungen zum Protoplasma 344. 
G. Herpell, die Laub- und Lebermoose in der Umgegend von St. Goar 
334. — Hildebrand, Verbreitungsmittel der Compositenfrüchte 280, — 
H. Hülser, Keimfähigkeit des Roggens bei niedriger Temperatur 344. — 
J. B. Jack, die Lebermoose Badens 493. — N. Kauffmann, die Bildung 
des Wickels bei den Asperifolien 347. — Wlad. Koeppen, Wärme und 
Pflanzenwachsthum 280. — @. Maas, Rubus glaucovirens, neue Magde- 
burgische Brombeere 198. — Magnus, über Uredinen 281.— F. A. G. 
Miguel, die von Regnell in Brasilien gesammelten Piperaceen 74, — A. 
Neilreich, kritische Zusammenstellung der in Oesterreich vorkommenden 
Arten, Formen und Bastarde der Gattg. Hieracium 489. — A. Ohlert, 
Ernährung und Wachsthum der Flechten 69. — W. Pfeffer, über Em- 
bryonalbildung bei Selaginella 67; bryogeographische Studien aus den 
rhätischen Alpen 351. — Pfitzer, Potochytium clavatum n, gen. et n.sp. 
parasitischer Pilz auf Diatomeen 342. — A. Pritzel, Thesaurus literatu- 
rae botanicae Edit. II. fasc. 1.493. — L. Rabenhorst, die von Haussknecht 
im Orient gesammelten Kryptogamen 68. — Russow, Eutwickelung der 
Sporen bei den Leitbündelkryptogamen 281. — Sachs, mechanische Ver- 
hältnisse bei dem Wachsthume der Pflanzen 68. — Ad. Weiss, zum Bau 
und der Natur der Diatomaceen 282, 


Zoologie. B.H. Bannister, neue Klassification der amerik. Gänse 
80. — P. Bleeker, Memoire sur les Cyprinoides de Chine 363. — Const. 
Blumberg, über den Bau des Amphistoma conicum 496. — J. Fr. Brandt, 
Naturgesch. des Elens 75. — 0. Bütschli, Entwickelung und Bau der 
Samenfäden bei Insekten uud Crustaceen 360. — G@. Canestrini et P. 
Pavesi, Catalogo sistematico degli Araneidi italiani 360. — de Chau- 
doirs Monographie des Lebiidae 386. — F. Droste, kritische Musterung 
der periodischen Wintergäste und Irrgäste Deutschlands unter den Vö- 
geln 81. — Eimer, über das Ei der Reptilien 2834. — W. Flemming, 
über die neue Gray’sche Hornschwammgattung Janthella 206. — Alph. 
de la Fontaine, die Amphibien Luxemburgs 80. — C. @. Giebel, The- 
saurus Ornithologiae 364.— Greeff, über den Bau und die Naturgeschichte 
der Vorticellen 356; der Echinodermen 499. — C. Heller, Untersuchungen 
über die Crustaceen Tyrols 204. — W. His, Bau des Eies einiger Sal- 
moniden 283. — Th. Holland, die Wirbelthiere Pommerns (Stolpe 1871) 
867. — K. Koch, Atypus Sulzeri, eine Würgspinne in Europa 204. — 
L. Koch, die Arachniden Australiens (Nürnberg 1871) 450. — @. v. 
Koch, Synopsis der Vögel Deutschlands (Heidelberg 1871) 364. — Koss- 
mann, über die Talgdrüsen der Vögel 500. — Chr. Lütken, über An- 
thipates arctica n. sp. als erste Art der Gattung von der Küste Grönlands 
283; eine drilte Abhandlung kritischer Untersuchungen der Seesterne 
2835; zur Kenntniss der Echinodermen Spitzbergens 283. — K. Moebius, 
wo kommt die Nahrung für die Tiefseethiere her? 201. — W. Peters, 
Amphibien im Hochlande von Peru 205; Lichanotus mitratus, neuer Indri aus 
Madagaskar 286. — Peters u, Philippi, über Pelzrobben an den $.Ame- 


vn 


rikan. Küsten 501. — R. Ridgway, zur Kenntniss der N. Amerik. Falco- 
nidae 81. — L. N. Schmarda, Zoologie 1. Band (Wien 1871) 366. — 
A, Schneider, zur Kenntniss der Radiolarien 358. — F. E. Schulze, 
Conservirung der Coelenteraten 282, — Fr. Eilh. Schultze, über den Bau 
und die Entwickelung von Cordylophora lacustris 493. — K. Sumpf. über 
eine neue Bomolochidengattung (Hildesheim 1871) 203. — Troschel, Pedi. 
cellarien der Echinodermen 362; über das Männchen von Cobitis taenia 
363. — J. Warnimont, die Aesche, Thymallus vexillifer 78. — H. 
Zimmermann, die Spinnen der Umgegend von Niesky in der Oberlau- 
sitz 1 360. 


Orthopterologische Studien 


aus den hinterlassenen Papieren des Oberlehrers 
Carl Wanckel zu Dresden; 


mitgetheilt von 


Prof. Taschenberg. 


Im vorletzten Herbst wurden mir von der Wittwe des nun- 
mehr länger als 10 Jahre verstorbenen lieben Freundes und 
Verwandten C. Wanckel die nachgelassenen Vorstudien zu 
einer Arbeit „Orthoptera Saxoniae,“ zu beliebigem Gebrauche 
übergeben. Leider sind dieselben noch nicht weit genug vor- 
geschritten, um ein Ganzes geben zu können, wie es der Ver- 
fasser beabsichtigte, wohl aber finden sich eine Menge der 
sorgfältigsten Beobachtungen und Notizen jeglicher Art, welche 
wohl werth sind, der Vergessenheit entrissen zu werden. 

Ich iege daher hier Dasjenige nieder, was für das Leben 
dieser Thiere von allgemeinem und für einen späteren Bear- 
beiter des gleichen Gegenstandes von speciellem Interesse ist. 

Die Arbeit war zunächst zu einer Doctor-Dissertation be- 
stimmt, da der Verewigte, welcher aus Gesundheitsrücksich- 
ten eine längere Zeil inne gehabte Predigerstelle mit der eines 
Lehrers für die beschreibenden Naturwissenschaften an der 
Neustädtischen Realschule zu Dresden vertauscht hatte, von 
verschiedenen Seiten zu diesem Schritte aufgefordert sein 
mochte. Dass sie aber keine Dissertation der gewöhnlichen 
Art geworden wäre und zu einer spätern weitern Ausführung 
im Dienste der Wissenschaft bestimmt war, wird aus dem Fol- 
genden erhellen. Ich gebe daher zuerst den Plan der Disser- 
tation, sodann das Verzeichniss der in Sachsen gefundenen 
Orthoptera und zuletzt die Notizen über einzelne Arten, welche 
ich vorgefunden und zur Veröffentlichung zurecht gemacht habe. 

Zeitschr. f. d. ges. Naturwiss. Bd. XXXVII, 1871. 1 


2 


Orthoptera Saxoniae — Praefatio: Status cognitionis. Col- 
lectiones. 

I. Pars generalis (breviter tractanda) 1. Notio. Dispositio 
systematica cum historia ejus. 2. Structura externa, 3. Struc- 
tura interna, 4. Vivendi ratio (Biologia), 5. Conservatio. 6. Li- 
teratura (Auctores eitati). — Il. Pars specialis. Descriptio ge- 
nerum et specierum. — Ill. Tabula, orthoptera Saxoniae cum 
iis provinciarum affınium (Bohemiae, Silesiae, Marchiae) com- 
parans. — IV. Index a) systematicus, b) alphabeticus. — 
V. Delineationes et icones. 


Verzeichniss der in Sachsen gefundenen Orthoptera.*) 
Forfieulina. 

Forficula gigantea F. Kötschenbroda (Dehne. Woekl. °/,) 
Leipzig (Mus. Lips. nach Pöppig), Plauenscher Grund (v. Block) 
Haide bei Halle ?%s (Anmerk. d. Herausgeb.). 

F. minorL.°s Chemnitz (Kirsch), Wildenfels, Dresden (Wckl.), 
Halle (Anmerk. des Herausg.). 

F. auricularia L überall, nebst var. cyclolabia Fieb. Leip- 
zig (Andr.). i 

F. albipennis Meg. Zwickau (Andr), Böllberg bei Halle an 
Gebüsch °%s (Wekl.), Bastei in der sächs. Schweiz, an Ge- 
büsch ?/jo- 


*) Das Verzeichniss enthält die genauen Angaben der Fundorte und 
Finder, deren abgekürzte Namen gleich erklärt werden sollen; wenn bei 
ersteren auch Halle und letzteren mein Name vorkommt oder Mus. Hal. 
so beruhen diese Angaben nicht blos auf den Notizen, welche ich früher 
geliefert habe, vielmehr hielt sich Wanekel im Sommer seines Sterbe- 
jahres (1858) einige Wochen in Bad Wittekind auf und machte während 
dieser Zeit fleissige Excursionen, auf denen ich ihn oft begleitet habe. 
Wenn ich in dem Verzeichnisse einige später von mir für Halle gemachte 
Beobachtungen nachtrage, werde ich stels: Bemerk. des Herausgeb. da- 
zusetzen. Die Namenabkürzungen sind folgende: Andr, — Andritzscky, 
Rehb — Hofrath Reichenbach, Tg = Taschenberg, Wckl = 
Wanckel. — Mit den meisten Gewährsmännern stand Wanckel in per- 
sönlichem Verkehr, nur 3 ausser den bekannten Orthopterologischen Schrift- 
stellern sind litterarisch benutzt worden: Ludwig, Chr. Fr., Erste Auf- 
zählung der bis jetzt in Sachsen entwickelten Insekten, Lpz. 1799. — 
v. Block, Verzeichniss der merkwürdigsten Insekten, welche im Plauen- 
schen Grunde gefunden werden, in: W. G. Becker „Der Plauensche 
Grund bei Dresden mit Hinsicht auf Naturgeschichte nnd schöne Garten- 
kunst. Nürnberg 1799. — Meyer E. Jul. Jac. Versuch einer medieini- 
schen Topographie und Statistik der Hpt. und Residenzstadt Dresden. 1840. 


3 


F. acanthopygia Gene. Matzen beim Rabenhorst an Laub- 
holz °Y/,, Bastei an Laubholz ?/o, Mordgrund bei Dresden 
desgl. *%o- 


Blattina. 


Blatta maculata Schreb. Plauen (v. Block), Dresden (Meyer, 
Rehb, Wekl), Chemnitz (Kirsch), Dölauer Haide bei Halle 
(Anmerk. des Herausgeb.). 

B. lapponicaL. Universtätsholz bei Leipzig (Ludwig), Plauen 
(v. Block, Meyer, Rehb., Wekl.), Tharant (Stein), Schneeberg 
(Wekl.), Chemnitz (Kirsch), Zwickau (Schurtz), Wesenstein 
(Hartung; wurde fälschlich für ericetorum gehalten.) Halle 
(Mus. Hal. Tg '%/) mit 2 hemiptera in Copula (Judeich). 

.B. germanica L. Plauen (v. Block), Dresden (Meyer, Rchb., 

- Wekl), Wildenfels (Wckl), Zwikau (Andr.), Halle, besonders 
Zuckerraffinerie und Waisenhaus (Anmerk. des Herausgeb.) 
— B. Megerlei Fieb = punctata Meg., für welche Art Fie- 
ber Sachsen anführt, konnte nicht aufgetrieben werden. 

Periplaneta orientalis L, Chemnitz (Kirsch) Halle sehr 
gemein (Anmerk. d. Herausgebers). 

P. americanaL. Dresden in Blauholz (Wckl), Halle in irgend 
einer Naturaliensendung (Anmerk. d. Herausgeb.). 

Gryllodea. 

Gryllotalpa vulgaris Ltr. Dresden (Block, Meyer, Ludwig 
u. a.), Wildenfels (Wckl.), Chemnitz (Kirsch), Zwickau 
(Schurtz), Oschatz (l,öbner), Büschdorf bei Halle neuerdings 
(1869) sehr lästig (Anmerk. des Herausgebers). 

Myrmecophila acervorum Pz, Plauen (Block, Meyer, 
Charp., Müller), Tharant in Buchenlaub (Stein), Wehlen, 
Leuben (Märkel), Halle (Mus. Hal. nach Burmeister). 

Gryllus campestrisL. Zwickau (Andr.), Chemnitz (Kirsch) ete. 

G. domesticusL. 

G. sylvestris F. Hosterwitz (Rehb.), Porsberg '”/s (Wckl), 
Leipzig (Mus. Lips.). 

Locustina. 

Odontura serricauda F. Dresden (Kaden, Nagel). 

O.albovittata Koll. Hosterwitz (Rehb.), Hof-Lössnitz (Dehne) 
auf Pimpinella, Achillea millefolium, Cirsium ete. August 
bis Ende September, Porsberg, Radebeul (Wckl.). 

; 1* 


4 


Odontura punctatissima Bosc. Leipzig (Mus. Lips.). 

Meconema variumfF. Dresden (Block, Meyer, Rehb., Wekl.), 
Tharant (Stein, Wcekl.) Wildenfels (Wckl) Giesshübel (Nagel), 
Leipzig (Carus), Halle (Mus. Hal.) Diese Art ist hier an 
Eichen alljährlich die gemeinste der ganzen Familie (An. 
merk. d. Herausgebers). 

Xyphidium fuscum F. Dresden (Block, Meyer, Rchb.) 
Halle (Mus. Hal.); ich fing diese seltene Art in einem Herbst 
zwischen Wörmlitz und dem damals entstehenden Eisenbahn- 
damme (Anmerk. d. Herausgeb.). 

Locusta viridissima L. Gemein Ende Juli bis Oktober, 
auch Wildenfels, Zwickau. 

L. caudata Charp. Dresden (Schurtz). 

L. cantans Füssly Juli bis Anfang Oktobers. Dresden (Block, 
Meyer, Rchb., Wckl.), Tharant, viel häufiger als Z. veridis- 
sima (Stein., Wekl.), Giesshübel (Nagel) Wildenfels (Wckl.) 
Schneeberg, Stein, Zwickau (Schurtz). 

Thamnospizon cinereus Zett. Dresden (Ludwig, Block, 
Meyer, Rchb., Wack!.) Tharant (Stein), Oschatz (Löbner), 
Giesshübel (Nagel), Freiberg (Ludwig) Leuben (Märkel) 
Leipzig August bis 19. Oktober (Carus, Schurtz), Zwickau, 
Schneeberg, Stein häufig (Schurtz), Halle (Anmerk. des 
Herausgebers). 

Decticus griseusF. Dresden (Wckl. Rehb. Schurtz), Oschatz 
(Löbner), Leuben (Märkel) Mittelbach bei Chemnitz (Schurtz, 
Kirsch), Halle (Tg.) — ? var. intermedius Serv. (Mus. Hal.). 

D. bicolor Phil. wo? (Judeich). 

D. brevipennis Chp. August bis Ende Oktober Dresden 
(Wckl., Schurtz), Tharant (Stein), Leuben (Märkel), Oschatz 
(Löbner), Chemnitz (Kirsch). 

D. brachypterus L. August bis Oktober. Dresden (Block, 
Meyer, Wckl., Schurtz), Tharant (Woekl.), Oschatz (Löbner), 
Leuben (Märkel), Schneeberg (Schurtz). 

D. verrucivorusL. Juli bis September durch das Gebiet. 

Acridiodea. 

Chrysochraon dispar Hager, Oschatz °%s ein 2 (Wckl.). 

Ch. brachypterus Ocsk. Juli, August. Tharant, Oschatz (Wckl.), 
Montib. saxon. nach Mus. Hal., aber unter dem Namen Gom- 
phoc. smaragdinus Fisch, 


5) 


Stenobothrus elegans Charp. Auf feuchten Wiesen und 
Rasen, Anfangs Sommer '*/, Dresden (Rehb.), Moritzburg 
(Wckl.), Herrnhut (Carus), Leipzig häufig (Schurtz), Zwickau 
(Schurtz). 

St. dorsatus Zett (ob — thalassinus Block?) Dresden häu- 
fig (Dehne, Rchb., Wckl.) Leuben (Märkel), Oschatz (Löbner), 
Leipzig im August und September gemein, Zwickau (Schurtz), 
Chemnitz (Kirsch). 

St. pratorum Fieb, °%, bis Oktober a. parallelus Zett, 
gemein durch des Gebiet b. montanus Charp. Oschatz und 
Dresden (1 2 Wckl.), in Saxon. montibus (Charp.). 

St. lineatus Pz. August, September. Dresden (Rchb.), Tha- 
rant, Giesshübel, Pirna, Porsberg. Meissen (Wckl. Schurtz), 
Leuben (Märkel), Oschatz (Löbner, Wckl.), Zwickau (Schurtz), 
Chemnitz (Kirsch), Halle (Mus. Hal.). 

?Hierher var. stigmaticus Fieb, nach Exempl. vun Fie- 
ber aus Böhmen im Mus. Hal. 

St. stigmaticus Ramb. (non Fieb.) August, September, Dres- 
den, Krinschendorf (Haller) Moritzburg (Wckl) Potschappel 
(Schurtz), Meissen (Klocke), Leuben (Märkel), Oschatz (Wckl) 
zwischen Grimma und Wurzen (Carus), Zwickau und Umge- 
gend häufig (Schurtz), Dölauer Haide, Juli (Wckl.). 

St. viridulus L. Juli bis Oktober, besonders in dem Ge- 
birge: Hochwald und Lausche (Wckl), Erzgebirge allgemein 
(Wekl., Vogel), Dresden, Oschatz (Wekl), Chemnitz (Kirsch.). 

St. rufipes Zett. August. Scharfenberg (Schurtz), Leuben 
-(Märkel), Oschatz (Wckl, Löbner), Leipzig (Andr.). 

St. apricarius L. Dresden (Wckl.). 

St. haemorrhoidalis Charp. August, September. Dresden, 
Reichenberg, Moritzburg, Halle, Basel, (Wckl), Potschappel 
(Schurtz). 

St. pusillus Phil, (= geniculatus Eversm., Sachsen nach 
Fieb), Juli bis 19. Oktober. Sächsische Schweiz, 2 mit 
ausgebildeten Decken und Flügeln °/, (Liebe), Dresdener 
Haide, bei Hohenwiese, @ mit verkürzten Decken und Flü- 
geln, Oktober 1856 und 57 (Wckl), Leuben (Märkel) irgendwo 
(Judeich). 

St. miniatus Charp., in Saxoniae montibus (Charp.); zwar 
sah ich noch kein Exemplar aus Sachsen, trage aber Be- 


6 


denken die Richtigkeit der Angabe Charpentier’s, des Auctors 
der Art, zu bezweifeln, wie Fisch. Fr. es thut. 

St. variabilis Fieb. August bis Oktober, Coitus 8. Oktob. 
Zwickau. 

St. biguttatus Chrp. August bis Oktober gemein (Ludwig, 
Rehb., -Wckl., Dehne, Märkel, Löbner), Leipzig (Andr.), 
Halle (Tg.), Zwickau (Schurtz). 

St. rufus L., Leuben (Märkel), Oschatz (Löbner, °/; Wckl), 
Leipzig (Andr.), Halle (Tg.). 

St.sibiricus L., diese Art soll nach Fieber bei Dresden vor- 
kommen, es istaber sehr fraglich, da Dehne, auf dessen Aucto- 
rität die Angabe gemacht wurde, keine sichere Auskunft 
ertheilen kann und sich auf einen Zweiten beruft, welcher 
die Art bei Altenberg im Gebirge gefunden haben will. 


Stethophyma grossum L. Ende Juli bis Oktober, am T. 
und 8. letztgenannten Monats in Copula gefangen bei Dres- 
den (Wckl.), Plauen (Block, Rehb.), Radebeul und Moritzburg 
(Wckl.) Oschatz (Löbner), Leipzig (Carus, Andr.), Penig_ 
(Dehne), Einsiedel bei Chemnitz (Vogel), Lauter (Woekl), 
Halle (Tg.). 

Caloptenus italicus L. Juli bis September Saxonia (Charp. 
Burm,), Dresden (Ludwig), Plauen? (Block) Haide (Haller, 
Wckl.), Hof-Lössnitz (Dehne), var. „ xanthopiera Fieb,, 
Dresden (Dehne) nach Fieber. 


Acridium tataricum L (var. lineola F.?) 1 @ bei Leuben 
(Märkel). 


Pachytylus migratoriusL. Die Fundorte sind zu tren- 

P, cinerascens F. nen und zu sichern! was 
mir, dem Herausgeber, natürlich nicht möglich ist. Plauen 
(Block), Samsdorf und sonst bei Tharant häufig (Stein), Dres- 
den (Meyer, Wckl., Judeich) Lössnitz (Dehne), Leipzig 
(Wekl., Pöppig in der Stadt), Oschatz (Löbner), Leuben 
(Märkel), Zwickau (Schurtz) Pöhla im Erzgebirge (Judeich), 
Naumburg und Halle (Tg.). 

P. stridulus L. Juli bis Oktober, Dresden (Block, Meyer, 
Rchb., Wckl., Dehne), Tharant (Stein), Leuben (Märkel), 
Oschatz (Löbner), Schneeberg (Wckl.), Wildenfels (Schurtz), 
Chemnitz (Kirsch). 


7 


Oedipoda cyanoptera Charp., August, September, Blase- 
witz (Wckl.), Halle (Mus. Hall.). 

?0e. coerulans L (ob = vorige Art, oder zu derselben ge- 
hörig?), Loschwitz (Rehb.), Oschatz (Löbner), am Bienitz 
zwischen Leipzig und Merseburg (Andr.), Eilenburg (Dehne). 

Oe. fasciata Sieb a) coerulescens, Juli bis Oktober, 
Dresden (Block, Meyer, Rehb., Wckl., Dehne) Tharant (Stein), 
Leuben (Märkel), Oschatz (Löbner), Wildenfels (Woekl.;, 
Zwickau (Schurtz), Halle gemein (Anmerk. d. Herausgeb.) 
— ß. miniata Pall. = germanica Ltr. Dresden (Block, 
Wekl., Rehb.) Rabensteiner Forst (Kirsch), Zahna oder Harz? 
(Tg.) — var. ochracea Wckl, Dresdener Haide (Wckl.). 

Tettix subulata L., Dresden (Ludwig, Block, Meyer, Rchb., 
Wckl.), Leuben (Märkel), Oschatz (Löbner), Zwickau (Schurtz)» 
Halle (Tg.). 

T. bipunctata (und Lawve = T. Schrancki Fieb), Dres- 
den (Ludwig, Block, Meyer, Rehb., Wckl., Dehne), Leuben 
(Märkel), Oschatz (Löbner), Zwickau (Schurtz), Halle (Tg.). 


Bemerkungen zu einzelnen Arten. 


1. Forficula giganteaF. wurde zuerst von Dr. Dehne 
gefunden und später, nach seinen Angaben, am 5. September 
1857 von mir bei Kötzschenbroda unmittelbar unterhalb der 
Landungsbrücke des Dampfschiffes, unter Steinen. Als Her- 
ausgeber bemerke ich hierbei, dass auch ich diese Art hier 
_ unter Steinen fand, aber unter gänzlich andern Verhältnissen; 
diese Steine lagen nämlich zerstreut auf einer sterilen, stets 
von der Sonne beschienenen und durchwärmten Sandfläche 
der ödesten Haidegegend unserer hiesigen Umgebung (bei Niet- 
leben, am Rande der Dölauer Haide). 

Zu den Beschreibungen Fischer’s und Fieber’s (die- 
jenige Philippi’s ist weniger gut) wäre noch zu bemerken, 
dass das ganze Thier, auch Fühler, Fressspitzen und Beine, 
mit alleiniger Ausnahme der Augen, blass weisslich, eigent- 
lich fast farblos ist; der Kopf oben, mit Ausnahme seines 
Randes und das Pronotum sind braun, die Decken an ihrer 
Naht braunroth, auf der Scheibe mit je einer, etwas schiefen 
Längsstrieme von brauner Farbe versehen und mit einer brau- 
nen Linie am Hinterende des Aussenrandes. Ueber den Hin- 


8 


terleib geht oben und unten ein breiter Mittelstriemen von 
‘mehr oder minder dunkler Färbung und eben so ist die 
Spitzenhälfte der Zangen dunkler als ihre Wurzel. Wenn be- 
hauptet wird, dass das ganze Thier nach dem Tode braun bis 
schwarzbraun werde, so muss Herausgeber dieses unbedingte 
Urtheil doch etwas beschränken: das Thier dunkelt allerdings 
nach, aber nicht in dieser bedeutenden Weise; denn ich be- 
sitze mehrere Exemplare, welche ihre ursprüngliche Farbe ziem- 
lich unverändert beibehalten haben; möglich, dass der trockne 
Fundort dabei von Einfluss gewesen ist. 

2. Odontura punctatissima Bose (= O0. albovittata 
Koll?) Die folgenden Mittheilungen stehen unter dem zwei- 
ten der beiden Namen, der aber mit einem ? versehen ist. 
Hierüber am Schlusse, 

Die vermeintliche O. albovittata ward zuerst von Dr. 
Dehne in Hof-Lössnitz auf Solidago gefangen. Im Herbst 1855 
fand ich ein Z am Waldrande der Wiese des Seegrabens bei 
Radebeul, am 7. August (1856) fing Schurtz mehrere Exem- 
plare unter der Spitze des Porsberges in einem alten Stein- 
bruche, am 30. auch ich ein Pärchen ebenda, dann etwas spä- 
ter an dem eben genannten Seegraben ziemlich.viele Stücke 
besonders auf Pimpinella, Heracleum, Achillea millefolium und 
Tanacetum, Somit lag also eine grössere Menge von Exem- 
plaren vor. Im Leben ist die Grundfarbe schön grün mit Aus- 
nahme sämmtlicher Schienen und Tarsen, welche erste roth 
sind, und des ganzen Rückens, auf welchem die grüne Grund- 
farbe mehr oder weniger rostroth oder rothbraun überlaufen 
ist. Diese grüne Grundfarbe ist mit Ausnahme des Gesichts, 
der Mundtheile, der Brust und des Bauches mit schwarzbrau- 
nen Tüpfelchen besprenkelt. Die Färbung ist in beiden Ge- 
schlechtern ziemlich gleich, aber nicht constant, indem mit 
dem Alter das Grün durch Rostroth oder Braun an den be- 
reits genannten Stellen mehr verdrängt wird, beim Q mehr 
an den Seitenkanten des Hinterleibes, als auf seinem Rücken; 
nach dem Tode tritt die dunkle Färbung mehr in den Vorder- 
grund. 

Der senkrechte Kopf, besonders Gesicht und Mund, sind 
weisslichgrün, der obere Scheitelbuckel ist braun, vorgezogen 
und gefurcht, der untere fast kugelig, weisslich und dunkel 


9 


betüpfelt. Die Augen sind kugelig vorgequollen, fahl, in der 
Mitte dunkler, die Fühler sehr lang, von dreifacher Körper- 
länge, grüngelb und rothbraun geringelt, am Grunde von einer 
Falte umgeben. Von jedem Auge zieht auf dem Hinterkopfe 
eine braune Linie nach dem Rande des Vorderrückens und 
setzt sich auf diesem an Stelle der Seitenkiele fort; ausser- 
dem ist der Hinterkopf schwarzbraun betüpfelt. (Von einer 
weissen Mittellinie und 2 weissen Seitenlinien, die Fischer 
für seine O. albivittata beansprucht, kann ich am Hinterhaupte 
nichts sehen). Vorderrücken bei d und Q kaum verschieden 
(vergl. Fischer) wenig länger als breit, wenn die herabge- 
bogenen Seitenlappen zur Breite gerechnet werden, ohne die- 
selben mitzurechnen 1'/, mal so lang als breit zwischen den 
Seitenkielen, vorn gerade abgestutzt, hinten mehr abgerun- 
det, übrigens sattelförmig, hinten etwas emporgehoben, in der 
Mitte eingedrückt. Die ziemlich vertiefte Querfurche bildet 
einen über die Mitte nach hinten zurückspringenden Winkel, 
dessen Schenkel sich an den herabgebogenen Seitenlappen 
über die Mitte nach vorn ziehen. Der Mittelkiel des Rückens 
ist vorn und hinten ein wenig erhoben, besonders beim d, 
in der Mitte verwischt und kaum durch eine schmale, dunkle 
Linie angedeutet. Die Seitenkiele treten kaum hervor, sind 
aber durch die bereits erwähnten roth-braunen Linien mar- 
kirt, die in der Mitte nach innen je einen stumpfen Winkel 
bilden und hinten weiter auseinandergehen als vorn, auch an 
diesen zwei Stellen stärker und breiter gefärbt sind als in der 
Nähe der Winkelspitze, wo sie von der Quervertiefung unter- 
brochen werden, Die herabgebogenen Lappen sind länglich 
viereckig, ihr Vorderrand lang, wenig gebogen, die Schulter- 
ecke mehr aufwärts abgerundet; der ganze Unterrand ist weiss- 
„gesäumt und dieser weisse Streifen setzt sich zu beiden Seiten 
des Hinterleibes neben dem dunklen bis zum Leibesende fort, 
ist aber in der Mitte der Leibesseite von der grünen und 
dunklen Farbe etwas mehr überdeckt. Die grüne Farbe des 
Bauches tritt vor der weissen Streifung zurück, jedes Bauch- 
segment hat nämlich in der Mitte einen schmalen, oft ganz 
verwischten und jederseits zwei breitere, weisse Längsstrei- 
fen, von denen der äussere an die Rückenschuppe grenzt. 


10 


(Bei Fischer ist es undeutlich, ob 3 oder 5 Streifen gemeint 
sind.) 

Die Flügeldecken g' sind klein, nicht halb so lang als 
der Vorderrücken, gewölbt und stark geadert; eine bogenför- 
mig nach dem Hinterrande gekrümmte, besonders starke und 
breite braune Ader setzt scheinbar den dunkeln Seitenkielstrei- 
fen des Vorderrückens fort. Der Aussenrand ist blasser; aber 
weissgesäumt, wie Fischer sagt, kann ich ihn nicht finden. 
Die Decken des 2 sind nur Y, so lang wie der Vorderrücken 
(nach Fischer ') bräunlich von Farbe und greifen nur we- 
nig übereinander. 

Sämmtliche Schenkel | Q sind grün, wie der Körper, 
und mit dunkeln Tüpfeln gesprenkelt, die hintersten kürzer 
als die Schienen in beiden Geschlechtern; Schienen und 
Tarsen bei beiden rothbraun (anders sind die Verhältnisse nach 
Fischer.) 

Der Hinterleib des Z ist fast walzenförmig, seine After- 
klappe abgestutzt, die Nähte ‚sind dick, nach der Spitze 
wenig verdünnt und sehr wenig nach oben und innen ge- 
krümmt, flaumhaarig; die Geschlechtstheilplatte nach der Spitze 
allmälig verschmälert und ausgerandet, zwischen den Raifen 
emporsteigend, unten zwischen gekielten Rändern in der Mitte 
wenig vertieft, blass und wenig dunkel gesprenkelt. (Einen 
Einschnitt an ihrer Basis, der sie zweilappig macht, wie Fi- 
scher auf Taf. XII f, 16° y sie abbildet, kann ich weder am 
lebenden, noch am todten Thiere sehen; auch scheinen die 
Raife in dieser Abbildung viel zu sehr auf einander zugerich- 
tet zu sein, während sie in Wirklichkeit doch parallel laufen). 
— Der weibliche Hinterleib verdickt sich in der Mitte bedeu- 
tend, seine Afterklappe ist kurz, fast dreieckig, die Geschlechts- 
platte ebenfalls kurz und dreieckig, zugespitzt, unten mit, 
einem Mittelkiele versehen, welcher an den Seiten von 2, hin- 
ten zusammenlaufenden Furchen begrenzt wird; die Legscheide 
erreicht nicht die halbe Hinterleibslänge, ist sehr zusammen- 
gedrückt, dünnpapierartig, durchscheinend und von der Basis 
an gekrümmt; der Oberrand gleich hinter dem Grunde bis zur 
Spitze fast gerade, vor der Spitze sehr fein gekerbt, der Un- 
terrand fast wie ein Viertelkreis gebogen, an der Spitzen- 
hälfte stärker gekerht; seine obere Hälfte grün, die untere 


11 


bräunlich, dte Spitze braun. — Die Körpergrösse gibt Fi- 
scher mit 4—4'%‘4 viel zu gering an. 

Verf. ist geneigt, die eben ausführlicher beschriebene Art 
nicht für Fischer’s O. albovittata, sondern für Barbitistes 
punctatissima Bosc. = auctumnalis Hagb. Serv. zu halten, 
falls nicht etwa beide identisch seien, und zwar aus folgen- 
den Gründen: a) sie stimmt in Grösse und verschiedenen an- 
dern erwähnten Punkten nicht mit Fischer’s albovittata, b. sie 
steckt in Dehne’s Sammlung von Fieber als Leptophyes 
punctatissima Fieb. bestimmt, c. Reichenbach’s Abbildung 
ist gut, trägt denselben Namen und ist vonKollar bestimmt. 
d. In der Sammlung des zool. Museums zu Halle steckt unter 
dem Namen Barbitistes autumnalis Hgb. Chp. u. a. ein von 
Fieber aus Böhmen stammendes Q als punctatissima, wel- 
ches den unsrigen vollkommen gleich ist. 

Die beschriebene Art wurde in verschiedenen Jahren Mo- 
nate lang in einem Zuckerglase gehalten, auf dessen Grunde 
etwas Erde mit Rasen lag, und vorherrschend mit Pimpinella 
saxifraga gefüttert; bei Schurtz frassen die Thiere Euphorbia 
cyparissias. Sie ergötzten den Beobachter durch ihre Eigen- 
thümlichkeiten vor andern Arten. Mit dem einen Vorderfusse 
wird ein Fühler eingefangen, von unten bis oben durch den 
Mund gezogen und dann wieder losgelassen; ferner wurden 
die Tarsen der Vorder- und Mittelbeine mit Speichel benetzt 
besonders, wie es schien, um an den Glaswänden in die Höhe 
klettern zu können; denn diese Benetzung wurde so lange 
wiederholt, bis die Füsse hafteten (dem Beobachter ist dabei 
die allbekannte Arbeitersitte, sich in die Hände zu spucken, 
unwillkührlich eingefallen). Das Weibchen erhebt den Hinter- 
leib, biegt ihn unterwärts im Kreise so, dass die Spitze der 
Legescheide den Mund berührt und beleckt werden kann; 
aus ihr drangen nicht selten eiweissartige Klümpchen hervor, 
die wohl auch abgeleckt wurden. Das Männchen brachte in 
ähnlicher Weise die Hinterleibsspitze nach dem Munde und 
beleckte die Raife; beim eifrigen Fressen lüftete es öfter die 
Decken wie zum Zirpen, lies aber keinen Ton vernehmen. 
Von demselben wird nur erwähnt, dass er sehr leise sei, in 
nicht immer gleichen Intervallen hervorgebracht werde und einem 
kurzen, gestossenen s gleiche. 


12 


Possirlich anzusehen waren die Vorbereitungen und Auf- 
munterungen zur Begattung. Beide Geschlechter stellen sich 
auf die vier Vorderbeine und heben durch gerades Aufstem- 
men der Hinterbeine den Hinterleib hoch empor, bald bogen-, 
bald S-förmig, laufen in dieser Stellung (gleichsam auf den 
Händen) rückwärts, auch an den senkrechten Glaswänden auf- 
wärts. Das Männchen sucht dabei seinen Leib unter den des 
Weibchens zu schieben, welches jedoch öfter hiervon keine 
Notiz nimmt, geht es dagegen auf die Einladung ein, so be- 
steigt es mit dem Vordertheile den Rücken des Männchens, 
biegt seinen hochgehaltenen Hinterleib im Kreise nach unten 
bis unter den Kopf, die Legröhre seitwärts, so dass die Vulva 
dem Ende des ziemlich tiefgehaltenen männlichen Hinterleibes 
zugekehrt ist und nun von den Raifen desselben gefasst wer- 
den kann. 

Von einer aus 3 J und 5 ®@ bestehenden Gesellschaft 
wurden Eier erzielt, dieselben aber nie in einer Schaum- 
hülle an Pflanzentheile abgesetzt, vielmehr wurden sie ent- 
weder an die Glaswände, oder an Pflanzenstengel mittelst der 
vorher erwähnten Schleimmasse angeklebt oder dem Innern 
der Pimpinella-Stengel etc. einverleibt. Das W. machte näm- 
lich eine Längsspalte in den Stengel, legte ein oder mehrere 
Eier hinein und kittete mit jener Masse darüber; auch in die 
Blattscheiden am Stengel waren sie in derselben Weise abge- 
setzt worden, ja sogar in einen Bindfaden, der sich um den 
Hals eines der Fläschchen befand, in welchen die Futterpflanzen 
steckten. Aus dem Grasrasen liessen sich einzelne und mehre 
zusammengebackene Eier abschütten, welche also wohl auf 
den Grasboden gelegt sein mussten. Das Ei ist zusammen- 
gedrückt, schwach biconvex -eiförmig mit ziemlich scharfem 
Rande, ziemlich 3 mi!l. lang und wenig über 1 mill. breit, 
während die Eier der andern Locustinen stielrund zu sein 
pflegen. 

Ein am ?/ gefangenes 9, auffallend durch Entfärbung mehr 
schmutziggelblich mit braun statt grün, hatte eine rothe, 5“ 
Par. lange Filaria. 

3. Locusta viridissima L. Magna, viridis, capitis, 
pronoti elytrorumque dorsum ferrugineum; pronotum po- 
stice subproductum; elytra abdomine fere duplo longiora; 


13 


Femorum posticorum viridium 'spinae breves, nigro-termi- 
natae; lamina supra-analis Z in medio late rotundato- 
emarginata, angulis loborum posticorum’ acutiusculis rectis; 
cerci g elongati, ante medium dente interno mucronato, 
stylos longe superantes (corum pars prominula lamina su- 
praanali multo longior); lamina subgenetalis A bicostata, 
apice emarginata (stylis computatis) cercis brevior. 

Diese Art ist auch bei Dresden fast häufiger auf Saaten 
(Hirse, andern Cerealien, Kartoffeln etc.) als auf Bäumen und 
Sträuchern, wie C. cantans sucht sie den Sonnenschein zu 
vermeiden und sitzt daher während desselben tiefer an den 
Pflanzen, kommt aber im Schatten an denselben empor. Wenn 
ihr durch die Ernte ihre Lieblingsörter genommen sind, sucht 
sie Weiden, Birken und andere Bäume auf und sitzt nament- 
lich in den Abend- und in den ersten Nachtstunden sehr hoch 
oben in denselben, munter zirpend. Dass sie die Flügel nur 
als Fallschirm gebrauche, also nur abwärts und nicht weit 
fliege, wie behauptet wird, ist nicht unbedingt wahr; denn 
ein Männchen, welches ich fortlassen wollte, flog mir von der 
Hand allmälig aufwärts bis zu einer an 30 Schritt entfernten 
Birke. 

Herr Forstmeister Judeich besitzt ein Exemplar, das 
ganz von Ichneumonenlarven ausgefüllt, aber doch gut ausge- 
bildet ist. 

4.Locusta caudata Charpt.: Magna, tota viridis, (ex- 
cepto organo stridoris); pronotum postice subquadratum ; 
elytra abdomine fere duplo longiora (aliter Fischer); fe- 
mora postica extus vitta basali nigra, spinis fortiusculis 
atris, maculis atris insertis; lamina supraanalis 3‘ in me- 
dio anguste excisa, angulis loborum posticorum paullulum 
extrorsum versis; cerci d\ (breviores) interne tuberculo ro- 
tundo basali, stylos aequantes (eorum pars prominula 
laminam supraanalem fere aequans); lamina subgeneta- 
lis S' bicostata, apice excisa, (stylis computatis) cercos 
Qequans. 

Von Natur und Bau höchst ähnlich der Z. vir.dissima, 
nicht kleiner als diese, wie es nach Fischer sein soll, eher 
grösser 1” 2% mit den Decken fast 2“, die Decken eher et- 
was länger im Verhältniss zum Körper als dort; die Fühler 


14 


genau so lang, bis zum Ende der Decken reichend; an den 
Schulterecken und der Breite des Vorderrückens kann ich kei- 
nen Unterschied entdecken und doch sind zwischen beiden 
Arten Unterschiede vorhanden und zwar 1. in der Farbe, 2. im 
Baue, 3. im Gesange. Die Unterschiede in der Farbe sind in 
den Diagnosen hinreichend hervorgehoben; es fehlt hier das 
Roth auf dem Scheitel, dem Vorderrücken und dem Rücken der 
Flügeldecken; auch ist die Färbung der Hinterschenkel bei 
beiden Arten abweichend. Die Unterschiede im Bau beziehen 
sich auf folgende 3 Punkte: a. Die Hinterschenkel und ihre 
Schienen sind länger, ihre Dornen stärker und ganz schwarz; 
was von den Dornen gesagt wurde, gilt auch für die Vorder- 
schenkel. b. Das Hinterleibsende ist ganz anders gebaut: die 
Afterplatte ist nicht rund ausgerandet, mit gerade nach hinten 
gerichteten Lappen, sondern spitz ausgeschnitten und der In- 
nenrand der Lappen ist auswärts gerundet, so dass ihre Spit- 
zen mehr nach aussen stehen. Die Raifen sind kürzer, haben 
vor der Mitte innen nicht einen starken Zahn, sondern an der 
Basis einen runden Höcker und überragen die Bauchplatte 
nicht. Diese ist tiefer und spitzwinkelig ausgeschnitten, mit 
dem Griffel so lang als die Raifen. c. Der vorragende Gipfel 
des Scheitels ist schmäler (lässt zwischen seinen Seiten und 
der Fühlerwurzel noch etwas Raum) und erhebt sich über den 
Scheitel nicht allmälig gerundet, sondern ziemlich plötzlich. 

Der Gesang, durch welchen Herr Schurtz auf das Thier 
aufmerksam gemacht wurde, hat nicht die einzelnen Töne 
(zik zik) von Z. viridissima, sondern besteht in einem eigen- 
thümlichen Schnurren (rrrt und s), das keine einzelnen Töne 
unterscheiden lässt; es beginnt schwach, schwillt schnell, um 
wieder abzunehmen, dauert etwa 4 Pulsschläge und wieder- 
holt sich nach kurzer Pause in derselben Weise. Der Ton soll 
dem des Szenobothrus biguttulus hinsichtlich seiner Schnel- 
ligkeit ähneln. 

Fischer’s Beschreibung von dieser Art differirt etwas 
von dem vorliegenden Exemplare, der genannte Auctor halte 
aber kein Männchen gesehen. 

5. Locusta cantans Füssly. Abgesehen von den äus- 
sern Verschiedenheiten, unter denen die durchaus lauchgrüne 
Körperfarbe und die kurzen, die Hinterleibsspitze des 4 we- 


15 


nig überragenden Flügeldecken zu den auffälligsten gehören, 
unterscheidet sich die Art von Z. virzdissima auch durch Be- 
nehmen und Gesang (Anmerk. d. Herausgebers). Sie scheint 
weniger bis zu den Spitzen der Pflanzen (Hafer, Gerste, Wei- 
zen, Klee, Wicken, seltener Kartoffeln) hinaufzukriechen, son- 
dern in der Mitte derselben zu verweilen, ist sehr scheu und 
bemerkt die Annäherung des Menschen leicht, was sie dürch 
sofortiges Verstummen ausdrückt; wegen dieser Vorsicht und 
wegen ihrer Farbe findet man sie schwer und fängt sie schwer, 
besonders gegen Abend. Weil sie vor und mit der Ernte 
singt, nennt man sie stellenweise „Erntevogel“. Ihr Zirpen 
lässt sie besonders hören nach Sonnenuntergang und vor Son- 
nenaufgang, es hält oft endlos an. Die Töne folgen schnell 
auf einander, 4 — 5 auf einen Pulsschlag, und dadurch sind 
die einzelnen viel weniger unterscheidbar als bei L. viridis- 
sima;, auch ist ihre Stärke nicht immer gleich. Bisweilen 
schwellen sie sehr auffallend an und nehmen wieder ab, während 
andrerseits das eine Männchen ein gleichmässig schwächeres, 
ein anderes in der Nachbarschaft ein gleichmässig stärkeres 
Gezirp hören lässt. Nach 2, 3 oder 4 Takten, deren jeder 4 
Sechzehntel Noten enthält, folgt ein etwas höherer, gedehn- 
terer Ton und eine Pause, auf welche das Gezirp von Neuem 
beginnt. Gegen Abend pflegen die Tonreihen länger zu wer- 
den und in der Nacht oft sehr lang, minutenlang anhaltend, 
wobei die Pausen nicht länger werden, wohl aber folgen den 
Pausen zuweilen einzelne nachschlagende Töne. Der Klang 
lässt sich etwa mit rrss’ ss’ ss’ ss’...ssit wiedergeben; er be- 
ginnt mit einem ır, dem ein sehr scharfes ss mit verstohle- 
nem üLaute folgt, beide Töne sind so innig verschmolzen, 
dass sie schwer zu unterscheiden und doch neben einander 
forttremulirend gehört werden. In der Gefangenschaft, in wel- 
cher das Gezirp sehr mannigfach abändert, waren die Tonrei- 
hen bisweilen auffallend schwach, besonders bei kühlerem 
Wetter, und schienen von einem ganz andern Thiere herzurüh- 
ven, wenn auch nur seltener und kürzer, ein anderes Mal, 
besonders bei Wärme, hatten sie eine ausnehmende, den Kopf 
schwacher Personen angreifende Stärke; und wenn das Männ- 
chen in Hitze geräth, so ist ein ganz plötzliches Crescendo 
und forte besonders häufig. 


16 


6. Thamnospizon cinereus Zett, Die Färbung ist 
bei Fischer gut beschrieben, in der sonst guten Zeichnung bei 
Reichenbach viel zu roth, gut im Totaleindrucke bei Rö- 
sel, der II. Taf. XX f. 8 7 abbildet, aber die Einzelnheiten 
weniger erkennbar. Das Männchen ist im Ganzen ziemlich 
dunkel gefärbt. Kopf und Vorderrücken sind auf graugelber 
Grundfarbe fein braun marmorirt, besonders dicht und dunkel 
das Gesicht, der Mund blass; Scheitel mit sehr feiner blasser 
Mittellinie zwischen dunklerem Marmor und 2 graugelben Sei- 
tenlinien, an welchen auswärts hinter den Augen bis zum 
Vorderrücken ein schwarzer Flecken sitzt. Vorderrücken ne- 
ben der Mittellinie dunkler gefärbt, vorn verschmälert von der 
Mitte nach hinten breiter. Die herabgebogenen Seitenlappen 
unten und an der Hinterseite, so wie der Vorderrücken hin- 
ten mit einer schmalen Leiste von gelblicher Färbung. Die 
Seitenlappen sind oben von den verwischten Seitenkielen an 
schwarz, ihr unterster schmälster Theil aber auf graugelbem 
Grunde braun marmorirt. Die Decken über einander liegend, 
gewölbt, sehr stark gelbadrig, im Mittelfelde und am äussern 
schmalen Rande schwarz. Vorderbeine auf graugelbem Grunde 
braunmarmorirt, Hinterschenkel oben und innen ebenso, aus- 
sen mit breiten, am Oberrande zahnartig gekerbten schwarzen 
Längsstreifen, die Wurzel oben mit dunklem Fleck, unten 
licht. An Schienen und Tarsen herrscht die braune Färbung 
vor. Der Hinterleib ist oben schwarzbraun oder schwarzgrau, 
an den Seiten fast schwarz, die Rückenschuppen am hintern 
Seitenrande schmal und schwach gelb gesäumt; Brust grün- 
gelb, Bauch lebhaft gelb, besonders in der Mitte Länge 9, 
davon kommen auf den Kopf 1, auf das Pronotum 3, auf 
die Decken 2‘, auf den Hinterleib von den Decken an und 
einschliesslich der Raife 4. Die Fühler messen 11 — 12. 

Das Weibchen ist 9 — 10“, seine Legscheide 3 — 3'/2“ 
in Farbe von dem /' etwas’ abweichend: der Hinterleib ist 
weniger dunkel, oben und an den Seiten mehr mäusegrau oder 
vielmehr aschgrau, so dass die Grundfarbe mehr vortritt, die 
Seiten nicht schwarz, der Bauch gelblich, nicht hochgelb, 
wenigstens selten; die Decken sind sehr kurz und liegen 
seitwärts von einander entfernt; sie sind grau und gelb geadert. 

Das Thier hält sich gern auf niederem Gebüsch, Brom- 


17 


beergestrüpp etc. auf, schlüpft aber bei der Annäherung des 
Menschen zwischen Gras und auf die Erde herab, wo man es 
schwer auffındet. Das Einfangen ist daher trotz der Häu- 
figkeit an den geeigneten Stellen mit Schwierigkeiten ver- 
bunden. 

Der Lockton des Männchens ist ein einzelnes, in Pausen 
wiederholtes, nicht allzukurzes tsä, bei welchem der Vokal 
aber nur sehr verstohlen gehört wird, mit dem jedoch zu- 
gleich vorher ein leises Schwirren (r) verbunden scheint, was 
durch die Sprache kaum nachzuahmen ist. Roh nachgeahmt 
würde es durch rit(s) oder durch srit ausdrückbar sein. Meist 
lässt es den Ton einzeln, aber von Sekunde zu Sekunde hö- 
ren, macht auch wohl längere, unregelmässige Pausen. Eine 
Beobachtung, bei welcher die Töne in kürzerer Zeit erfolgten 
und viel länger anhielten, ergab sich später als das Duett 
zweier Männchen, die sich gegenseitig antworteten. In der 
Gefangenschaft zirpten einige Männchen Abends zwischen 9 
und 10 Uhr bei Lampenlicht sehr Sleissig. 

71. Deeticus brevipennis Chrp. Das Thier findet sich 
im kurzen und langen Grase wie auf Stoppelfeldern und ist 
von Philippi (Orthoptera Berolinensia p. 25) der Farbe nach 
sehr gut beschrieben, sehr genau auch, aber dadurch fast 
weniger deutlich bei Fischer (Orthopt. europ. p. 275 etc.) 

Der Körper ist mit Ausnahme des Hinterleibsrandes glatt 
und hat vorherrschend eine bräunlichschalgelbe Farbe. Der 
Kopf ist graugelb oder grün, der Scheitel innen bräunlich 
schalgelb (testaceus), mit einer schmalen gelben Mittellinie, 
welche sich etwas schwächer auf den Vorderrücken fortsetzt. 
Beiderseits wird sie von 2 sehr genäherten schwarzen Strei- 
fen begrenzt; je eine andere, breitere schwarze Streifung geht 
von den Fühlern an den Augen vorbei nach dem Vorderrücken, 
wo er sich an Stelle der Seitenkiele fortsetzt. Die Augen 
sind fast kreisrund und dunkelgrau. Der Vorderrücken, etwas 
länger als breit, ist grau oder bräunlich -schalgelb und auf 
der hintern Hälfte mit einem schwachen Mittelkiele versehen, 
der nach vorn von der sehr wenig eingedrückten Mitte des 
Rückens an fast oder ganz verschwindet und nur durch jene 
zuerst erwähnte gelbe Mittellinie angedeutet wird, während 


die Seitenkiele durch die beiden schwarzen, gleichfalls erwähn- 
Zeitschr. f. d. ges. Naturwiss. Bd. XXXVIII, 1871. 2 


18 


ten Streifen, die nach innen schmal gelblich besäumt sind, 
ersetzt werden. Die herabgebogenen Seitenlappen sind stets 
mit einem dickeren, breit helleren: gelblichen, oder wenn 
das Mittelfeld grün ist, mindestens lebhafter hellgrünen, un- 
gefleckten Rande eingefasst; ihr Mittelfeld entweder auf grau- 
gelbem Untergrunde braun oder schwarz gefleckt und vor dem 
hellen Rande rings schwarz gesäumt, oder grün und dann nur 
nach oben, nicht nach unten, schwarz eingefasst. Der Hinter- 
leib ist entweder seitlich und oben grau-schalgelb, oder bei 
den grünen Exemplaren nur oben grau-schalgelb, wie auch 
der Kopf und Vorderrücken; die dunkle Rückenfarbe wird bei- 
derseits noch dunkler begrenzt, An der Bauchseite haben 
sämmtliche Rückenschuppen noch vor ihrer Verbindung mit 
den Bauchschuppen und oberhalb der Stigmen einen gelben 
Fleck, wodurch längs der Seiten eine gelbe Linie nahe der 
Unterseite entsteht; die untere Bauchseite ist grüngelb. Die 
Beine sind entweder ganz röthlich schalbraun, oder haben bei 
den grünen Exemplaren grüne Schenkel; nur der Hinterschen- 
kel aussen einen schwarzen kammartig gezähnten Streifen. 
Fühler und Ende des Hinterleibs sind von Fischer und Phi- 
lippi gut beschrieben, der Dorn der Raifen f aber in der 
Abbildung des Erstgenannten zu klein, im Widerspruche mit 
seiner richtigen Beschreibung ‚‚cerei hirsuti paullo pone me- 
dium dente interno longiusculo curvato, fusco-mucronato.“ 
Yersin*) bezeichnet das Gezirp im Ganzen ziemlich rich- 
tig. Es ist ein sehr schwacher getrillerter Ton, ein leises 
Schwirren, das aber nicht wie der helle Vokal eee, sondern 
mehr wie rrrrr klingt, jedoch seiner Schwäche wegen fast 
einem sehr leisen ssss ähnelt. Die Dauer ist sehr verschie. 
den, im Beginnen etwa 2--3, dann wohl auch 4—5 Puls- 
schläge lang, unterbrochen von Viertel- oder Zweiviertelpau- 
sen. Sind die Thiere einmal in das Singen gekommen, so hal- 
ten sie oft einen langtrillernden Ton von 6, 8, 10 ja 12 und 
mehr Pulsschlägen aus, dem dann auch eine längere Pause 
folgt. Die Bewegung der Decken ist so gering und schnell 


x 


*) Memoire sur quelques faits relatifs & la stridulation des Orthop- 
teres et & leur distribution geographique en Europ. Par Mr. Yersin, 
instituteur. (Extrait du Bulletin de la Soeiete vaidoise des Sciences na- 


turelles.) 


19 


zugleich, dass man die einzelnen Bewegungen nicht unterschei- 
_ den kann. Man sieht nur, wie bei Anfang eines Tones die 
Decken sich nach auswärts lüften, am Schlusse desselben sich 
wieder zusammenlegen ;, während seiner Dauer dagegen schie- 
nen sie in der angenommenen Lage still zu stehen. Fischer 
sagt: „g' acerrime strident“ und Schurtz behauptet, dass sie 
im Sonnenschein laut genug zirpten, um die Stenobothren zu 
' übertönen, wenn ınan ihnen nur hinreichend nahe sei. Scharf 
kann ich den Ton allerdings nicht finden. Auch diese Art 
zirpte noch Abends 10 Uhr bei Lampenschein. Aus einem 
noch im Aetherglase befindlichen, aber bereits betäubten Exem- 
plare schlüpfte eine filaria (Gordius), die fast 6“ lang war, 
und wandt sich noch lange im Glase, ehe sie starb. 

8. Decticus brachypterus_L. Ich fand diese Art 
ziemlich zahlreich im Thale der wilden Weisseritz oberhalb 
Tharant, nach der edlen Krone zu, auf einer Wiese, wo ich 
zugleich an demselben Tage Chrysochraon brachypterus und 
Decticus verrucivorus fing, und an verschiedenen Oertlichkei- 
ten. Auch wurden wohl ein Dutzend Exemplare beiderlei Ge- 
schlechts mit ausgebildeten Decken erbeutet. Ich bewahrte 
sie 2 Nächte und einen Tag in einem Glase auf, um zu be- 
‘obachten, in wie weit die Flügelentwicklung das Gezirp än- 
dere. Dass kein Unterschied statt finde, Konnte ich feststel- 
len, aber an meinen Gefangenen keine langen Beobachtungen 
anstellen; denn sehr bald hatten die Weibchen den Männchen 
bis zur Hälfte die Decken abgefressen und mit der Zeit die 
sämmtlichen Männchen verspeist. 

Das Gezirp hat Aehnlichkeit mit dem der Zocusta viri- 
dissima und cantans, sowie des Decticus verrucivorus, je- 
doch ist es sehr schwach und meist auch langsamer, und wird 
nur bei Tage besonders im Sonnenschein,’ oder Abends bei 
Lampenlicht ausgeführt. Es ist von Yersin gut bezeichnet. 
Das Männchen lässt gewöhnlich zu" Anfang einzelne Töne hö- 
ren, deren 2 auf einen Pulsschlag gehen und die durch kurze 
Pausen vollkommen von einander getrennt sind; ist es aber 
erst im Zuge, so werden die Töne weit schriller, fast doppelt 
so schnell, es gehen ziemlich 4 auf einen Pulsschlag und dann 
gleicht das Gezirp eben sehr dem der oben genannten Arten, 
hält auch ziemlich lange an; aber ein blos schrillendes Schwir- 

2 * 


20 


ren, wie bei D. drevipennis, ist nicht zu bemerken. Den 
Klang bezeichnet Yersin mit den Lauten riu; man kann ihn 
so bezeichnen, doch wollte mir scheinen, er sei noch besser 
angegeben durch rth mit englischer Aussprache oder durch ıf, 
zwischen beiden Lauten fast die Mitte haltend. 

Bemerkt sei noch, dass der schwarze Streifen an der Ba- 
sis der Innenseite der Hinterschenkel bis zu einer schwachen 
Linie verändert, ja ganz verwischt sein kann. Der Vorder- 
rücken und der Scheitel sind grün oder graugelb. Dieselben 
Klümpchen einer eiweissartigen Masse, welche bereits bei 
Odontura erwähnt und bei andern Arten, wie Chrysochraon 
am Hinterleibsende der Weibchen beobachtet werden können, 
fanden sich auch hier zeitweilig vor. 

‚9. Decticus verrucivorus L Das Gezirp geben Fi- 
scher und Yersin gut an. Es ist nur am Tage zu hören. 
Morgens, beim Anfange, lässt das Männchen einzelne Töne 
vernehmen, die wie rrith, rith klingen und die weder schnell 
noch viele auf einander folgen. Am Mittage, im Sonnen- 
scheine, wird das Gezirp oft lebhaft und schnell, auf einzelne 
langsame Töne folgen schnellere bis lange anhaltende Reihen 
eintreten, in denen 4 Töne auf einen Pulsschlag kommen. 
Solche Reihen dauern oft minutenlang und dann gleicht das 
Gezirp, zumal es sehr laut ist, sehr dem der Locusta viri- 
dissima oder auch cantans. Am Schlusse der Tonreihe fol- 
gen in abnehmender Schnelligkeit oft noch einzelne Töne 
nach, wodurch ein Gezirp entsteht, welches in seinem Be- 
ginne, Fortgange und Ende sehr den Stössen einer erst lang- 
sam in Bewegung kommenden, dann schnell bewegten und end- 
lich wieder allmälig stehenbleibenden Maschine (Locomotive 
etc.) ähnelt. 

10. Chrysochraon dispar Heyer. Am 9, fing ich 
bei Oschatz im Laubgehölz zwischen Striesa und Colm auf 
freiem Grasplatze ein Weibchen, das im Baue sehr gut die 
Fischer’sche Beschreibung wiedergibt (nach Fieber kaum 
zu bestimmen), aber in der Farbe etwas abweicht. Brust und 
namentlich der Hinterleib unten gelblich, die Hinterschenkel 
unten hellblutroth, der ganze übrige Körper einfarbig und 
gleichmässig erbsfarbig mit geringem Glanze; auch die Decken 
so, ohne rosige Adern. Gesicht, Wangen, Mundtheile mit 


21 


dunklen Punkten. Zwei Reihen solcher Punkte bezeichnen 
auch die wenig auffallend helleren Bogenlinien, die hinter 
den Augen vom Gipfel des Kopfes nach dem Vorderrücken 
gehen und sich hier in einzelnen Punkten fortsetzen; an den 
Seiten derselben nur wenig dunkle Punkte, dagegen zahlrei- 
chere oben neben dem Kiele des Hinterleibes. Die Brust und 
weniger der Bauch sind grubig, die Gruben mit dunklen Punk- 
ten ausgefüllt. Hinterschenkel innen und aussen auf der Mit- 
tellinie mit einer Reihe dunkler Punkte, die in dem Zusam- 
menstosse der Fiederfurchen stehen (innen nicht mit dunklen 
Streifen). Vorder- und Mittelschenkel nur wenig dunkel punk- 
tirt. Dornen der Hinterbeine hell mit schwarzer Spitze, des- 
gleichen die Krallen; Hinterschienen unten ein wenig röthlich ; 
Arolium gross, Kniekanten etwas dunkel berandet. Afterklappe 
kurz, aufwärts gebogen, mit brandigbraunen Zähnen. 

11.Chrysochraon brachypterus Ockskay, Fisch. fand 
ich zuerst 28/, (1856) im Thale der wilden Weisseritz ober. 
halb Tharant nach der edlen Krone zu auf einer schönen Wiese, 
die am linken Flussufer unmittelbar aufwärts der Einmündung 
des sogenannten tiefen Grundes sich befindet. Damals hatte 
ich nur Weibchen gefangen. Am 27. August fand ich das Thier 
zahlreicher, obwohl nicht in Menge, und auch Männchen, 
zugleich mit Decticus brachypterus. Auch bei Oschatz an 
der bei Nr. 10 näher bezeichneten Oertlichkeit. 

Das Thier ist von zierlichem Baue. Der Scheitel ist mäs- 
sig vorgezogen, vorn mit einem geringen Wulstrande umge- 
-ben, ohne Grübchen, oben auf dem Dreieck zwischen den 
Augen mit deutlichem Mittelkiel, der sich nach hinten verliert. 
Gesicht sehr abschüssig, Stirnleiste schon von der Scheitel- 
spitze zwischen der Fühlerein'ügung, besonders beim 5, ge- 
furcht und bis an das Kopfschild herab mit ziemlich paralle- 
len Rändern, die sich nur nach unten etwas von einander ent- 
fernen. Augen eiförmig, rundlich, mehr seitlich gestellt, ziem- 
lich entfernt von einander und kaum mit dem Scheitel in 
gleicher Höhe. Fühler schmal, etwas flach gedrückt, gegen 
die Spitze hin verschmälert, beim f' den Kopf und den Vor- 
derrücken um eine Kopflänge, beim @ nur um die halbe Kopf- 
länge übertreffend. 

Vorderrücken vorn und hinten gerade abgestutzt, dreikiel- 


22 


lig, der Mittelkiel deutlich und ziemlich scharf, die Seiten- 
kiele verstrichen, wenig bemerkbar, übrigens parallel; etwas 
hinter der Rückenmitte findet sich die deutlich eingedrückte, 
ein wenig nach vorn geschweifte Querlinie, welche sich nach 
den herabgebogenen Seitenlappen und den Seiten des Brust- 
kastens bis zu deren Hälfte fortsetzt. Vor ihr ist der Rücken 
ziemlich glatt, in der Mitte grob, hinten dichter und feiner 
punktirt. Die Seitenlappen der Brust sind nach hinten sehr 
wenig weiter auseinander als vorn, da der Flügelmangel keine 
Ausbildung der Brustmuskeln erheischt. Die Prothoraxseiten sind 
fast parallel. In derMitte der Seitenlappen geht vor der vorher be- 
zeichneten Linie noch eine andere vom Rücken bis zu 2/, des 
Lappens herab. Die Vorderbrust hat einen sehr stumpfen 
Querbuckel. Mittel- und Hinterbrust sind grob punktirt, letz- 
tere hat 2 eingedrückte Oeffnungen. Flügeldecken und Flügel 
verkürzt und verkümmert, die Decken des 7 halb so lang wie 
der Hinterleib, oder ein wenig länger als dessen Hälfte, oben 
sich berührend, länglich, hinten abgerundet, blassgefärbt, 
durchscheinend. Die Vena mediastina geht bis zur Mitte des 
Vorderrandes und lässt ein ziemlich breites Randfeld, die v. 
scapularis und v. externomedia laufen bis zum Flügelrande 
parallel, vor ihnen eine ziemlich breite area scapularis. Das 
Mittelfeld erweitert sich nach hinten und in ihm bilden die 
Zweige der vena externomedia und internomedia ein unregel- 
mässiges Maschennetz; das Hinterrandfeld ist ziemlich breit. 
Die Adern, wohl auch ihre Zwischenräume, sind an der Decken- 
wurzel schön grün, weiter hinten bräunlichgelb. Die Decken. 
des W. sind sehr klein, etwa '« so lang wie der Hinterleib 
und erreichen kaum das Ende des ersten Segments von die- 
sem, liegen weit auseinander, an seiner Seite, sind eben, 
länglich eirund und sammt den Adern schön roth gefärbt. Die 
Flügel sind bei beiden Geschlechtern linienförmige Stummel, 
welche das Hinterrückenende nicht erreichen. Die Beine sind 
zierlich, sparsam behaart, die Hinterschenkel wenig verdickt, 
länger als der Hinterleib, die Haftlappen zwischen den Kral- 
len gross und eiförmig. 

Der Hinterleib ist oben gekielt, besonders beim Q nach 
hinten verdünnt, die lamina subgenetalis Z' etwas verlängert 
kegelförmig, die obere Afterplatte in der Mitte der Basis ein- 


23 


gedrückt und das voraufgehende Rückensegment tief ausge- 
schnitten. Die Klappen Q schmal linienförmig und scharf ge- 
rippt, die oberen rinnig, etwas aufgebogen, an den Oberrän- 
dern gekerbt, die untern dreikantig. Brust und Bauch sind 
behaart. 

Das lebende Thier glänzt auffällig, durchscheinend gold- 
artig auf grünem oder beim 2 vorherrschend auf grüngelbem 
Grunde; an Brust und Bauch tritt dieser Glanz am meisten 
hervor. Kopf, Rücken, Brustseiten, Hinterleibsrücken sind 
gleich gefärbt, rein goldgrün oder mit gelber Beimischung, 
die Mundtheile, Hinterschienen, Tarsen und ein schmaler Hin- 
terrand der Hinterleibssegmente blass. Fühler an der Wurzel 
grün, nach oben bräunlich, wie die Augen; von diesen geht 
über die Seiten des Vorderrückens ein dunkel oliven- oder 
schwärzlich- grüner Streifen, an dessen Innenseite, die Kiele 
vertretend, eine schön gelbe oder weissliche Linie hinläuft. 
Auch vom Scheitel geht über die Mitte des Oberkopfes und 
des Rückens häufig ein Streifen von dunklerem Grün. Brust 
und Bauch sind gelb oder bei den grünen Exemplaren grün- 
gelb. Die vier vordern Beine sind grün mit blassen Längs- 
streifen an den Schenkeln, die Hinterschenkel sind an der 
Seite und unten gelb, dagegen die fiederartigen Rippen grün, 
die Hinterschenkel etwas dunkler gelb, die Kniee kaum dunk- 
ler, die Behaarung schwarz bespitzt. 

Nach dem Tode verliert sich bald der schöne Glanz, spä- 
ter auch die schöne Farbe, besonders verwandeln sich grün 
und gelb in olivenbraun, an den Hinterschenkeln unten in röth- 
lichbraun. Hinter dem Vorderrande des Vorderrückens und 
unmittelbar hinter der Querlinie desselben tritt je eine roth- 
braune Querlinie hervor, die man am lebenden Thiere nicht 
sieht. 

Körperlänge: f' 6, — 7“, © 9— 10“ einschliesslich der 
Legeklappen. 

In einer elftägigen Gefangenschaft bemerkte ich nur ein- 
mal beim M. einen zirpenden Ton, ohne ihn genauer be- 
obachten zu können, Fischer beschreibt ihn kurz, Yer- 
sin (unter Opomala brachyptera) genauer. Die W. hatten 
nur, gerade so, wie es Fischer angibt, kleine, etwa 4 
lange, bräunliche Schaumklümpchen zwischen Grasstengel 


24 


gelegt, welehe bald zu einem porösen Cocon erhärteten, dem 
der Blutegel ähnlich. In einem derselben fand ich beim Oeff- 
nen 5 bräunliche längliche Eier. 

12. Stenobothrus elegans Charp. Sehr gut beschrie- 
ben, namentlich auch in der Färbung von Philippi. 

W. Scheitel grün mit dunklem Strich hinter den Augen, 
übrigens der Kopf braungelb. Vorderrücken grün mit 3 fast 
geraden Kielen, von denen besonders der mittlere erhaben ist, 
jeder seitliche aussen von einem dunklen Streifen begleitet 
wird, der bisweilen wohl auch einen weisslichen Schein hat; 
die herabgebogenen Seitenlappen braungelb mit 3 Linien. Die 
Flügeldecken von der Länge des Hinterleibes, sind grün durch- 
scheinend und grünlich geadert. Am Vorderrande, zwischen 
der vena mediastina und scapularis befindet sich ein langer, 
weissgelber Streifen von weisshaarigen Queradern, der die 
ganze area scapularis ausfüllt, hinter diesem ein dunkler Strei- 
fen, gebildet durch die vena scapularıs und externomedia, bis- 
weilen aber auch bis in die Flügelmitte verbreitert. Die vena 
subexternomedia entfernt sich in der Flügelmitte ungewöhn- 
lich weit von der v. externomedia und gabelt sich dort. Flü- 
gel fast von Deckenlänge, glashell, aber am Vorderrande grün- 
lich und grün geädert. Hinterleib dunkelbraungelb, Brust und 
Bauch flaumhaarig, gelblich. Beine bräunlich schalgelb, Kniee 
nicht dunkler. 

13. Stenobothrus dorsatus Zett. Der Nervenverlauf 
der Decken ist bei dieser Art oft so veränderlich, dass bis- 
weilen, besonders beim W., die beiden ein und desselben 
Thiers nicht übereinstimmen. 

Das Gezirp wird von Fischer ziemlich genau bezeich- 
net. Das M. zieht beide Schenkel zugleich abwärts und er- 
zeugt.dadurch einen Ton, von dem etwa 2 auf einen Puls- 
schlag gehen, 7 bis 20 mal, ja 30 und einige Male hinter ein- 
ander. Der Klang lässt sich mit rrt, rri vergleichen, bisweilen 
mehr mit trrr, wobei sich zwischen den Wiederholungen ein 
verstohlenes und höheres i einschiebt. Sobald es den letztern 
Klang hat, entsteht der Laut t, sobald bei der Niederbewe- 
gung der Schenkel diese unten an den Decken angekommen 
sind, indem sie sich nun wieder vibrirend aufwärts bewegen, 
entstehen die schwirrenden rrrLaute. Bei vielmaliger Wieder- 


25 


holung folgen zuletzt die Töne meist etwas langsamer auf ein- 
ander, auch geschieht die Schenkelbewegung nicht immer 
völlig gleichzeitig oder vielmehr ein Schenkel beschreibt zu- 
weilen einen etwas grössern Bogen als der andere. 

Ausser dem eben beschriebenen, am häufigsten wahrzu- 
nehmenden Gezirp kommt noch ein anderes vor. Das Thier 
zieht erst beide Schenkel in kurzem Bogen gleichzeitig 4 bis 
5 mal abwärts, so Schnell, dass etwas mehr als zwei, aber 
weniger als 3 Bewegungen auf den Pulsschlag kommen. Nach 
dem letzten, dem 4. oder 5. dieser Töne, welcher etwas schär- 
fer klingt, zieht es sofort die Schenkel abwechselnd, jeden 
jedoch in derselben Schnelligkeit, abwärts, wodurch eine Reihe 
von meist 4 (wohl auch 6) noch einmal so schnell sich fol- 
gender Töne von anderem Klange entsteht, ähnlich einem 
Triller. 

14. Stethophyma grossum L. wurde am 6. Oktober 
1855 zur Beobachtung des Locktons und der Begattung in 2 
männlichen und 4 weiblichen Individuen in ein Zuckerglas 
eingesetzt, obschon die Zeit für dergleichen Beobachtungen 
zu weit vorgeschritten zu sein schien. Der Lockton der Männ- 
chen liess sich bald vernehmen. Um ihn hervorzubringen 
schnellt das Thier entweder das rechte oder das linke Hinter- 
bein (nie beide gleichzeitig) weit über den Leib hinaus, un- 
gefähr auf die Art, wie ein Pferd, welches mit dem Hinter- 
beine ausschlägt. Dadurch entsteht ein nicht starker, kur- . 
zer, schnipsender Ton, dem nicht unähnlich, welcher entsteht, 
wenn die Thiere an das Glas springen, oder dem Picken einer 
Taschenuhr; die Töne folgen in gleichen Intervallen von 's 
bis höchsten ?/; Sekunde und nur hinter dem vorletzten tritt 
eine etwas längere Pause ein; gewöhnlich sind es 7, es kom. 
men aber auch nur 5 und ausnahmsweise 9, ja 10 vor. Viel- 
maliges Hören des Locktons und Beobachtung der dabei statt- 
findenden Bewegung bestärkt immer mehr in der Ansicht, dass 
der Ton nicht durch Reiben des Schenkels, weder an den Flü- 
geldecken, noch am Hinterleibe erzeugt wird, sondern dadurch, 
dass bei dem Ausschnellen des Schienbeins das Kapselband, in 
welchem das Schienbein am Schenkel eingelenkt ist, plötzlich 
ausgedehnt wird und einen knackenden Ton hervorbringt. 

Ein Pärchen der Thiere begattete sich, ohne dass der 


26 


Hergang genauer beobachtet werden konnte. Darauf starb das 
eine M. (ob das begattete, liess sich nicht feststellen). Das 
andere M. hat sich nachher noch mehrmals gepaart. Es liess 
vorher den Lockton hören, sprang aufein Weibchen, umfasste 
dessen Rücken ungefähr in der Mitte mit den Vorder- und 
Mittelfüssen, bog dann seinen Hinterleib seitwärts neben 
dem des W. herab, öffnete seine Zange, stiess die Genitalien 
sichtlich heraus und brachte nun das Ende seines Hinterleibes 
unter das des W., fasste dasselbe und, als dies still hielt, 
brachte es die Genitalien in die Scheide des W. Von nun an 
war es völlig still und ruhig, liess sich vom W. schleppen, 
wohin dies wollte, und zeigte gar keine Aufregung. Desto 
sichtbarer ward diese beim W. Es athmete schwer, tief und 
lebhaft mit starker Bewegung der Hinterleibsseiten, bewegte 
den Kopf stossweisse aus dem Prothorax heraus nach vorn 
und wieder zurück und zu gleicher Zeit das Ende des Hinter- 
leibes, indem es dasselbe ruckweise gegen die Genitalien des 
M. bewegte; kurz die Stossbewegungen, welche man bei der 
Begattung höherer Thiere das M. ausführen sieht, wurden hier 
vom W. gemacht, welches den activen Theil darstellte. Die 
Begattung daueıt ziemlich lange. Nach und nach starben 2 
W. und die beiden andern sammt dem M. verhielten sich ziem- 
lich ruhig, wohl in Folge der eingetretenen kalten und nassen 
Witterung. In der zweiten Hälfte Oktobers wurden noch einige 
W., aber kein M. eingefangen und zu jenen dreien gebracht. 
Das M. lockte täglich, sobald die Sonne das Glas beschien, 
und begattete sich noch wiederholt mit mehren W., wobei in 
einem Falle das W. wenig Betheiligung zeigte und ruhig frass. 
Die W. starben nach und nach alle, das einzige Männchen 
überlebte sie sämmtlich, trotz der vielmaligen Paarungen, um 
einige Tage, bis es endlich am 2. November ihnen gleichfalls 
nachfolgte. 

15. Oedipoda coerulans F. Ueber das Vorkommen 
dieser Art bei uns bin ich lange sehr zweifelhaft gewesen, 
nachdem mir das Thier von verschiedenen Orten her zuge- 
kommen. Zuerst machte mich ein männliches Exemplar aus 
Gothland von Zetterstedt selbst an Hofr. Rehb. als coerwles- 
cens Leit. = cyanopterus Charp. gesendet, stutzig. Es liess 
Sich keine andere Verschiedenheit zwischen diesem und den 


27 


Oschatzer Expl. der Oedip. coerulans finden, als dass das 
Schwedische Thier auf der Flügelmitte eine rauchfarbene Binde, 
und die Hinterschienen wenig dunkel geringelt hat. — Nach- 
dem ich im September bei Blasewitz dasselbe Thier, und zwar 
auch Weiber, mit rauchfarbener Flügelbinde gefunden, ward 
ich noch zweifelhafter. Hierzu kamen die viel grösseren, 
dunkler gefärbten Expl. der O.coerulans aus der Gegend von 
Bern. Eine sorgfältige Vergleichung aller dieser Thiere mit 
Charpentier’s Beschreibung des Gr. cyanopterus und Fi- 
schers Beschreibung lässt nur eine von beiden folgenden 
Annahmen zu. 

Entweder 1. Gr. coerulans F. und Gr. cyanopterus Chpt. 
sind wirklich verschiedene Arten, von denen die erste die 
mehr südliche — in Norden von der zweiten vertreten 
scheint. Dann können a) die Diagnosen entscheiden. In 
diesem Falle muss ich nicht nur alle meine sächs. Exemplare 
für Oed. coerulans F. halten, sondern auch mein Zetterstedt- 
sches Expl. aus Gothland gehört dazu, und zwar zu der var. 
alis medio fuscofasciatis, wie die Blasewitzer Exemplare. Zu 
dieser Annahme bin ich am meisten geneigt, weil die Merk- 
male der Struktur, wie Fischer sie angiebt, am vollkommen- 
sten bei dieser Art passen. —- Weil ferner die bedeutendere 
Grösse der Weibchen gegen Gr. cyanopterus Chpt. spricht, 
— und weil die rauchfarbene Binde nicht ‚fascia recia“, son- 
dern nach innen ‚„arcuata“ ist, bei Gr. Cyanopterus aber sie 
eine recta sowohl nach den Diagnosen, als nach Charpentiers 
Abbildung sein soll, Die von Zetterstedt an Charpentier ge- 
sendeten Exemplare sind entweder von letzterem, wenn der- 
selbe den Gr. coerulans nicht mit Flügelbinde kannte, ver- 
wechselt und für seinen Gr. cyanopterus gehalten worden; 
oder Zetterst. hat beide verwechselt, den echten cyanopterus 
an Charp. gesendet, aber auch die bandirte Var. von coeru- 
lans für dasselbe gehalten. Zugleich wäre dann hier die 
Behauptung Zetterstedt’s und de Bork’s, dass coerxulans nicht in 
Schweden vorkomme, widerlegt, und Linne’s angegriffene An- 
gabe gerechtfertigt. Den echten cyanopterus hätte ich dann 
noch nicht. Es könnte ferner b) Zetterstedt’s Exemplar wirk- 
lich Gr. eyanopterus Charp. sein. — Dann muss ich auch die 
sächs. Thiere, wenigstens die von Blasewitz, dafür halten. Es 


28 


käme dann der Unterschied fast nur auf die Färbung der Hin- 
terschienen hinaus. In diesem Falle will mir aber die Dia- 
gnose (fascia recta) nicht stimmen, denn offenbar ist die Binde 
hinten nach innen gebogen. Fischer’s Abbildung t. XVIIL f. 5 
gibt sie freilich so an; es fragt sich aber, ob dieselbe ge- 
nau ist, da sie sowohl den Worten, als der Abbildung Char- 
pentiers nicht entspricht. Auch will die bedeutendere Grösse 
der Weibchen nicht reclit passen. 

Oder 2) Gr. coerulans und Gr. cyanopterus Chapt. sind 
gar nicht specifisch verschieden, sondern nur die bindenlose 
und die mit Binde versehene Varietät einer und derselben Art, 
die in Färbung und Grösse bedeutend abändert, ähnlich wie 
Oedipoda fasciata Sieb. — Freilich will mir die Annahme 
bedenklich scheinen, dass so scharfsichtige Entomologen, wie 
Charpentier, Zetterstedt, Fischer etc. die Identität nicht be- 
merkt hätten. Indessen liegen von den Ersteren allerdings 
schon andere einzelne Irrthümer vor. Bis jetzt möchte ich 
am liebsten das Zetterstedtsche Exemplar nicht für den ech- 
ten Gr. cyanopterus Chpt. halten. Immerhin aber scheinen 
die Unterschiede zwischen beiden Thieren sehr unbedeutend, 
da zumal Charpentiers Hauptmerkmal, das Vorhandensein oder 
Fehlen der Flügelbinde nicht entscheidet, und auch Gr. 
coerulans Fischers mit Binden vorkommen soll. 

In Fiebers Unterscheidungen, der auch azurescens Ramb 
noch trennt (Lotos, 4. Jahrg. S. 198) kann, ich mich zur Zeit 
nicht finden. 


Bemerkungen. 


1. Oedipod. coerulans in der Sammlung des Prof. Carus in Leipzig 
ist gleich den Dresdener Exemplaren. 

2. Im Museo zool. univers. Lips. sind neben grösseren Expl. der Oed. 
coerulans aus Süddeutschld. (= meinen Schweizer Expl.) eine Menge 
andere, gleich den Oschatzern und Dresdenern als coerulans aufgeführt ; 
die gleichgrossen mit Binde aber als 0. cyanoptera. 

3. Im Mus. Halense steht die grosse und kleine Form ohne Binde 
als O. coerulans; die kleine Form mit Binde auf den Flügeln als O. 
cyanoptera Chp. Auch hier sind die kleinen Formen ganz gleich den 
Oschatzer und Dresdener Thieren. Die Binde aber entscheidet nicht, da 
sie bald da ist, bald fehlt, bei sonst gleichem Baue. 


29 


Ueber einige Milben. Tat. I—IIl. 


von 


C. Giebel. 


Im Jahre 1861 veröffentlichte ich Nitzsch’s Untersuchun- 
gen der unter der Haut der Vögel lebenden Milben (cf. Bd. 
XVIll. 438— 444), für welche derselbe den neuen Gattungs- 
namen Ziypoderas gewählt und 12 Arten charakterisirt hatte. 
In demselben Jahre machte Filip pi im Archivio per la Zoo- 
logia, l’anatomia I. 52 Tb. 5 eine Art derselben Gattung als 
FHypodectes nycticoracis bekannt. Die zu jenen Artbeschrei- 
bungen gehörigen Originalzeichnungen von Nitzsch standen 
mir damals nicht zu Gebote. Da neue Beobachtungen über diese 
merkwürdigen Milben seither nicht bekannt geworden sind 
und die Abbildungen das Verständniss der gegebenen Beschrei- 
bungen wesentlich erleichtern, so liefere ich dieselben auf 
Taf, I. I. III. jetzt nach und lenke damit von Neuem die Auf- 
merksamkeit auf diese Thiere. Von den beiden gleichzeitig 
publieirten Gattungsnamen ist wohl der viel ältere von Nitzsch, 
insbesondere da er die Gattung mit 12 Arten einführt, dem 
Filippischen auf nur eine Art sich stützenden vorzuziehen und 
ist ebenso dessen Artname, weil von dem Wohnthiere, das 
ja zwei verschiedene Arten dieser Gattung beherbergt, ent- 
lehnt, wie überhaupt für Schmarotzer diese Benamsungsweise 
unzulässig, und daher auch für diesen die Nitzsch’sche Bezeich- 
nung beizubehalten, 

Es stellen je von der untern und von der obern Seite 
dar Tafel 1. 

Fig. 1. 2. Hypoderas pusillus, unser Bd. XVII. 442. nro. 8. 
vom Eisvogel. 


— 3.4. — exilis 443. nro. 9. von Columba nicobarica. 

— 5.6.7.8. — ellipticus 443. no. 12. von Ciconia alba. 

— 9. 10. —- heteropus 442. nro. 7. von Falco subbuteo. 

— 11. 12. — brevis 443. nro. 10. von Ardea nycticorax. 
Tafel II: 


Fig. 1. 2. Hypoderas lineatus 438 nro. i vom Nachtreiher 
(Filippis Hypodectes nyeticoracis). 
— 30%, — quadrimaculatus 440 nro. A von Musophaga 
variegata. 


30 


Fig. 5. 6. Hypoderas gonogrammicus 439. ne. 3. von Columba 


nicobarica. 
ET..S. — gracilis 441. no. 5. von Rallus porzana. 
—. 9.10.11. — major 441. no. 6. von Dysporus bassanus mit 


drei Vorderfüssen bei « und 5 links und 
mit dem zweiten Hinterfusse bei 5 rechts. 


Tafel II: 
Fig. 1. 2. 3. Hypoderas propus 439. nro. 2. von Columba coro- 
nata. 
— 4.5. — simplex 443. no. 11. von Tantalus lacteus. . 


In seiner von den Zoologen sehr wenig beachteten Abhand- 
lung über Acarus in Ersch und Gruber’s Encycl. 1818. I. 249 
führt Nitzsch einen Sarcopterus nidulans ein, den er in der 
Haut des Grimlings, Fringilla chloris und der Feldlerche, Alauda 
arvensis, gefunden hatte. Ich gebe auf Taf. III. Fig. 6 die ver- 
grösserte Abbildung desselben nach Nitzsch’s sehr sorgfältiger 

Handzeichnung. Es genügt ein Blick auf den Bau der Füsse, 
um die auffällige Verschiedenheit von den Räudemilben der 
Säugethiere zu erkennen. Diese Milbe lebt in der Haut selbst 
und erzeugt dicke Knoten bis zu S Linien Länge und 6 Li, 
nien Breite, regelmässige und unregelmässige, an der Brust und 
am Rücken des Vogels. Diese gelben Knoten haben eine eigene 
Hauthülle und enthalten theils eine trockene weisse mehlige 
Masse, die aus Milbeneiern und abgestreiften Bälgen besteht, 
theils eine ganz gelbe, welche die lebenden Milben bildet. 
Einzelne Milben findet man bei sorgfältiger Untersuchung auch 
auf der Haut und den Federn des Vogels. Die reifen Embryo- 
nen in den Eiern und die eben ausgeschlüpften Jungen sind oran- 
gegelb und scheinbar nur vierfüssig, da das dritte Fusspaar 
so kurz ist, dass man dasselbe leicht übersieht. Der Magen 
bildet nach vorn drei Zipfel, von welchen der mittle der kür- 
zere und stumpfe ist. Mehr als doppelt so gross haben sie 
schon deutlich alle vier Fusspaare und verschmälern ihren 
vorher vollkommen abgerundeten Hinterleib sehr. Trächtige 
Weibchen erscheinen gestreckter als die Männchen und ver- 
schmälern ihren Hinterleib nur sehr wenig. Von Mundtheilen 
erkennt man zwei kegelförmige, zweigliedrige Taster’von der 
Dicke der Vorderbeine, jeder an der stumpfen Spitze mit drei 
schlanken hornigen Haken besetzt, deren einer länger als die 


31 


beiden andern ist, und die alle drei eingezogen oder unter- 
geschlagen werden können. Die Taster scheinen aus einer 
Scheide an ihrem Grunde hervorzutreten. Die Körperhaut ist 
fein gerieft, wie gewöhnlich bei Krätz- und Räudemilben. 
Nur am hintern Leibesende stehen zwei lange steife Borsten. 
Die vier Vorderfüsse sind kegelförmig, nicht so deutlich und 
scharf gegliedert, wie unsere Abbildung es darstellt, mit ein- 
zelnen langen Borsten besetzt und am Ende mit zwei an der 
Wurzel verschmolzenen Klauen und zwei schmalen Haftlappen 
versehen. Die vier Hinterfüsse sind viel kürzer als die vor- 
dern, stumpfkegelförmigen Warzen gleich, und tragen an der 
Spitze je drei kurze und drei sehr lange Borsten. Die sehr 
grossen Eier sind rund elliptisch, anfangs weiss, dann mit dem 
reifenden Embryo orangegelb, und kleben ziemlich fest an- 
einander. 

Dermanyssus nennt Duges in den Ann. sc. nat. 1834. 
II. 19. Tb. T. eine artenreiche Gattung von vagabondirenden 
Thiermilben und unterscheidet dieselbe von Latreille’s Gama- 
sus, mit welcher sie das kleinste fünft® Tasterglied und die 
scheerenförmigen männlichen Kiefer gemein hat, durch das 
labium trifidum bei jener und das corpus molle statt corpus 
seutigerum. Fr weist ihr einige Arten von’Vögeln und Fleder- 
mäusen zu, von denen er jedoch nur D. avium eingehend be- 
spricht und abbildet. Koch nahm diese Gattung auf und zählt 
ihr 7 Arten zu. Ich finde unter denselben die auf Tafel II. 
Fig. 7 nach einer von Nitzsch hinterlassenen Handzeichnung 
abgebildete Art nicht erwähnt. Dieselbe bewohnt die Nasen- 
höhle des Caprimulgus europaeus und fällt bei Oeffnung der- 
selben so.leich durch ihre beträchtliche Grösse auf, welche 
der der menschlichen Kopflaus gleichkömmt, und nicht minder 
durch ihre braunrothe Färbung, welche von dem durchschei- 
nenden gefüllten Magen herrührt. Sie nährt sich also vom 
Blut ihres Wirthes und mag denselben, da sie zu 12 bis 15 
in der Nase beisammen lebt, gar empfindlich plagen. Der Na- 
gen ist von sehr beträchtlicher Grösse und sendet nach vom 
zwei Blindsäcke, nach hinten ebenfalls zwei aus, die bis an 
das Ende des Leibes reichen, so dass nur ein kleiner mittler 
Theil der Leibeshöhle für die übrigen Ringeweide frei bleibt. 
Der dicke Rüssel mit den überragenden Tastern ist ungemein 


32 


beweglich. Die vier kurz beborsteten Fusspaare sind nah 
neben einander eingelenkt und nicht in dem Maasse von ein- 
ander verschieden, wie es Duges und Koch für ihre Arten an- 
geben. Der Hinterleib ist sehr lang. Die Körperhaut zeigt 
sehr feine Querriefen ähnlich denen der Krätzmilben. Ich 
nenne die Art zu Ehren ihres verdienten Entdeckers, meines 
Amtsvorgängers, Dermanyssus Nitzschi. Ihr Vorkommen in 
der Nasenhöhle steht nicht vereinzelt da, denn wie ich schon 
in dem letzten Aufsatze über Milben erwähnte, fand Nitzsch 
auch in der Nasenhöhle der Gans und des Kukuks ähnliche 
Milben, und bei sorgfältiger Aufmerkeit auf diesen Wohnsitz 
wird es gewiss auch gelingen, wenigstens bei Vögeln noch 
mehr neue Milben nachzuweisen. 


Das Whuano*) auf den Chincha Inseln. 


von 


* A-Habel 
in New York. 


> 


Aufgefordert, in den Sitzungen des Lyceum of natural Hi- 
story of New-York am 1. Mai 1871 meine Ansichten, die 
ich mittelst meiner speciellen, auf den Chincha Inseln ge- 
machten Studien über die Beschaffenheiten des Whuano er- 
worben habe, äusserte ich mich folgendermaassen: 

Da es meine Absicht ist, späterhin ein specielles Werk 
über diesen Gegenstand zu veröffentlichen, so will ich mich 


*) Möge es erlaubt sein, hier zu bemerken, dass die obige Schreibart 
die am bestbezeichnende ist, indem unser deutsches W mit dem 
folgenden A am besten den Laut versinnlicht, der beim Aussprechen die- 
ses Wortes gebraucht wird. Der Grund, warum bisher Guano geschrie- 
ben wurde, liegt darin, dass uns diese Schreibart durch die Spanier über- 
kommen ist, in deren Sprache, wie bekannt, das w mangelt, und für 
welches dieselben das g, den sich am meistnähernden Laut ihrer Sprache, 
substituirten. Auch das A, welches eine leichte Aspiration andeutet, wurde 
weggelassen, zum Theil, weil man vernachlässigte, dasselbe zu die. 
sem Gebrauche zu verwenden, hauptsächlich aber, weil dessen Stellung den 
herrschenden orthographischen Regeln zuwider gewesen wäre. 


33 


diesmal begnügen, Ihnen, meine Herren, nur einige von den 
Schlüssen mitzutheilen, zu deren Annahme mich die Studien, 
die ich während fünf Wochen auf den Chincha Inseln betrieb, 
gezwungen haben. Ich muss aufrichtig gestehen, dass ich 
damals von der Nothwendigkeit, solche Studien anstellen zu 
müssen, völlig überrascht wurde und dass dieselben dem zur 
Folge auch gänzlich unvorbereitet unternommen wurden. Die 
Ansicht der übrigen Welt theilend, dass es eine abgemachte 
Sache sei, was das Whuano eigentlich wäre, und welche die 
Ursache und Weise seiner Anhäufung auf jenen Inseln, 
die Annahme nämlich: dass es einfach die durch Jahr- 
hunderte fortgesetzte Anhäufung von Exkremen- 
ten mehrerer Arten von See-Vögeln sei, die zu 
Tausenden und Tausenden auf jenen Inseln sich 
aufbhielten, — und desshalb durchaus keine Möglichkeit 
voraussehend, irgend etwas Neues zu beachten oder aufzu- 
finden, was unsere Kenntniss in Betreff dieses Gegenstandes 
bereichern oder modifiziren würde, bestand der alleinige Zweck 
meines Besuches der Inseln nur in der Befriedigung der Neu- 
gierde, diese interessanten Orte gesehen zu haben. 

Aber schon beim ersten Anblick der Massen des Whuanos, 
die durch continuirliches Abgraben und Entfernen derselben den 
zahlreichen Stellen in ihrer ganzen Mächtigkeit den Blicken 
sich darstellten, wurde ich unwiderstehlich zu der Annahme ge- 
trieben, dass die Art und Weise dieser Ablagerungen keines- 
wegs so einfach gewesen, als man es bisher aufgestellt hatte. 
Diese Wahrnehmung bestimmte mich zu verweilen und mein 
Aufenthalt dehnte sich bis auf fünf Wochen aus, die mit For- 
schungen, Messungen und Zeichnen nicht allein der Ablage- 
rungen des Whuano auf den verschiedenen Inseln, sondern 
auch der Felsarten, von denen diese Inseln gebildet werden, 
verbracht wurden. Dieses geschah sowohl am Festen, als 
auch zu Wasser die Inseln im Boote umfahrend. Dass die- 
ses Unternehmen weder ein sehr angenehmes, noch- ohne 
Beschwerde und Gefahren war, werden Sie, meine Herren, 
leicht einsehen, wenn Sie sich nur vorstellen wollen, dass ich 
bemüssigt war, während der ganzen fünf Wochen Whuano 
einzuatihmen, ja Whuano zu verspeisen. Belieben Sie sich nur 


eine von Morgens bis Abends bewegte und oft stark bewegte 
Zeitschr. f. d. ges. Naturwiss. Bd. XXX VII, 1871. 3 


34 


Atmösphäre vorzustellen, so sehr mit Whuano geschwängert, 
das von fünfhundert Arbeitern abgegraben und geschaufelt, 
und von andern ebenso zahlreichen mehrmalen auf- und ab- 
geladen wird, wobei es sechzig, neunzig und noch mehre Fuss 
zu stürzen genöthigt wird, dass diese Atmosphäre stets wie 
ein dichter gelber Nebel die Inseln schon in einiger Entfer- 
nung dem Anblicke entzieht und den geschlossenen Fenstern 
und Thüren zum Trotz durch die feinsten Ritzen in die Stube 
dringt, wo binnen kurzer Zeit alle Gegenstände mit einem 
bräunlichen Ueberzuge bedeckt werden; so werden Sie die 
eben gemachten Ausdrücke gewiss nicht als übertrieben fin- 
den. Ueberdies, wenn man sich auf dem Lande von einem 
Orte zum andern bewegen will, so kann dies nur geschehen, 
mehr als Knöchel tiefin Whuano watend, und von einer Wolke 
desselben begleitet, die ein jeder Tritt neu erzeugt. Zahl- 
reiche Klippen unter dem Wasser, die mächtigen Wogen der 
See, deren eine einmal meinem Ruderer das Ruder entriss und 
das Boot halb füllte, und die tobende Brandung, die sie an den 
Inseln verursachen, die oftmals so heftig ist, dass die Annä- 
herung zu selben unmöglich wird und schon mehrere Men- 
schenopfer gefordert hat, gefährden oft schon die Bewegung 
im Boote. 


Als unmittelbare Frucht dieser Arbeiten gelangte ich zu 
Schlüssen, die nothwendiger Weise die Annahme einer ande- 
ren Hypothese über die Formation des Whuano bedingen. 

Ich will Ihnen heute einige dieser Schlüsse mittheilen. 

Der erste von allen ist folgender: Das Whuano be- 
steht durchaus nicht bloss aus einer gleichförmi- 
gen Masse, sondern im Gegentheil, es stellt sich 
unter wenigstens zwei Formen dar -- da ich hier 
eine Nebenform nicht in Anschlag zu bringen gedenke — 
Ungeachtet alles Sträubens wird man gezwungen, ihrer zwei 
anzunehmen, weil sie sowohl in Betreff ihrer Beschaffenheit, 
als auch der Art und Weise ihrer Bildung von einander ab- 
weichen. 


Die erste dieser Formen bedeckt allenthalben vollständig 
die andere. Sie ist aus Exkrementen mehrer Arten 
von See-Vögeln und See-Säugethieren nebst den 


3) 


Eiern und Federn der Ersteren und den Knochen 
beider Thier-Klassen zusammengesetzt. 

An dieser Masse ist eine Schichtung durchaus nicht zu 
erkennen, sondern sie stellt ein ziemlich verworrenes Gemenge 
obiger Stoffe dar. Ihre Farbe ist röthlich braun und daher 
verschiedenartig und dunkler gefärbt, als das unterliegende 
Whuano. Man erkennt daher deutlich ihren Ursprung, so wie 
Art und Weise nebst dem Alter ihrer Bildung. Die ver- 
schiedensten Grade der Erhaltung und Zersetzung ihrer Be- 
standtheile geben die verschiedenen Zeitperioden an, denen 
sie angehören. Diese umfassen den grossen Zeitraum, von 
den Tagen der Gegenwart beginnend, bis zurück zu jenen Epo- 
chen, über welche uns die heutige Geschichte keinen Auf- 
schluss gibt. ; 

Ihre Mächtigkeit, so weit ich selber beobachten Konnte, 
wechselt von drei bis zwölf Fuss Dicke. Dies soll jedoch 
durchaus nicht verhindern, anzunehmen, dass in andern Theilen 
der Inseln, von welchen das Whuano schon vor meiner An- 
kunft entfernt war, ihre Dicke etwas bedeutender gewesen 
sei; wie z. B. auf der nördlichen Insel, von welcher das 
Whuano zuerst weggeführt wurde, und auf welcher keines 
mehr sich befand. 

Unter dieser Decke ruht das eigentliche Whuano. Seine 
Menge ist unverhältnissmässig grösser als die des Vorigen, 
indem es ganze Hügel von mehr als hundert Fuss Höhe bildet. 

Ausserdem unterscheidet es sich von dem Vorigen sowohl 
durch Gleichmässigkeit und Feinheit seiner Bestandtheile, als 
auch durch seine klar ausgeprägte Schichtung. Dieselbe ist so 
eclatant, dass ein einziger Blick auf sie jede vorurtheilsfreie 
Person überzeugen muss, dass sie das Produkt von abgelager- 
ten Stoffen ist, die sich aus dem Wasser niedergeschlagen 
haben. 

Weisse und gelbe Schichten wechseln mit einander ab, 
die sich wieder durch verschiedenfarbige Schattirungen und 
ihre verschiedene Mächtigkeit von einander unterscheiden. 

Alle Schichten zeigen eine deutliche Neigung, die aber 
durchaus nicht überall eine gleiche, sondern im Gegen- 
theil verschieden ist, nicht allein auf den verschiedenen In- 
seln, sondern in den verschiedenen Theilen derselben Insel. 

3*+ 


36 


So beträgt z.B. in einem Theile der mittleren Insel die Nei- 
gung blos fünf Grade, ganz nahe bei aber, wo die Richtung 
der Schichten eine andere ist, steigt sie zu fünfzehn Graden, 
während sie an einem dritten Orte nur acht Grade beträgt. 

Am interessantesten in dieser Beziehung sind wohl die 
Ablagerungen auf der südlichen Insel. Auf dieser bildete 
das Whuano einen in seiner von Norden nach Süden verlau- 
fenden Axe äusserst gedehnten conischen Hügel von mehr als 
120 Fuss Höhe. Als man anfıng, auch von dieser Insel das 
Whuano wegzunehmen, so wurde zuerst das nördliche Ende 
dieses Hügels abgetragen, sodann wurden zwei seitliche Ein- 
schnitte gemacht, die zur Zeit meines Besuches noch nicht 
die ganze Masse ihrem längsten Durchmesser entlang durch- 
‘drungen hatten. Auf diese Weise blieb das südliche Ende 
des Hügels noch unverletzt, während die Hauptmasse dessel- 
ben in ihrer ganzen Mächtigkeit auf drei Seiten zur Beobach- 
tung sich darbot; ebenso auch die östliche und westliche Ba- 
sis des Hügels. 

Die Schichten in der Mitte — im strengsten Sinne des 
Wortes — der so blossgelegten Hauptmasse verliefen horizon- 
tal, die mit ihnen continuirlichen, gegen Süden gerichteten, 
zeigten aber eine Hebung von Nord nach Süd von sechs Gra- 
den, während jene in entgegengesetzter Richtung verlaufen- 
den, d. h. von Süd nach Nord, eine Hebung von acht Graden 
hatten. Am südlichen Ende des westlichen Einschnittes hin- 
gegen befanden sich Schichten, die, von Süd-West nach Nord- 
Ost mit einer Neigung von zwanzig Graden verlaufend, andere 
Schichten überlagerten, die blos mit einer Neigung von vier 
Graden von Nord nach Süd verliefen. Am gleichen Ende des 
östlichen Rinschnittes konnte etwas Aehnliches beobachtet 
werden, mit dem Unterschiede jedoch, dass die oberen Schich- 
ten mit einer Hebung von zwanzig Graden von Nordost nach Süd- 
west verliefen. Die unterliegenden Schichten waren aber ver- 
schüttet und so aller Beobachtung entzogen. 

Alle Schichten dieser Form des Whuano beherbergen 
Steine, Eier und einzelne Knöchelchen. Nach Verschiedenheit 
der Schichten erscheinen die Steine mehr oder minder zahl- 
reich und von verschiedener Grösse, bis zu einer solchen, 
dass der Slein etwa fünfzehn Pfunde wiegt. Der Inhalt der 


37 


Eier ist gänzlich verschwunden und deren Höhlung ist völlig 
mit flüchtigen Ammonium -Salzen gefüllt, die binnen wenigen 
Tagen sich gänzlich verflüchtigen. Die Eischalen sind mehr 
oder weniger eingedrückt und sehr zerbrechlich, ebenso auch 
die Knöchelchen, deren Mürbheit mit der Tiefe der Schichten 
so zunimmt, dass sie bei der Berührung zu Staub zerfallen. 

Einen andern Beweis für die Annahme, dass der geschich- 
tete Theil des Whuano unter Wasser aus Niederschlägen sol- 
cher Substanzen, die in selbem suspendirt waren, sich gebil- 
det hat, liefert der Sand, auf welchem das Whuano überall 
ohne Ausnahme aufliegt. Die Mächtigkeit dieses Lagers ist 
sehr verschieden ; manches davon hat nur mehrere Zolle in 
der Dicke, während wieder ein Theil eines Lagers bis zur. 
Dicke von zwölf Fuss der Beobachtung zugänglich war. 

Alle diese Sandlager sind geschichtet und auch die 
Neigung dieser Schichten ist verschieden, von denen die 
grösste bis auf fünf und zwanzig Grade sich beläuft. In vie- 
len Lagern ist der auf diesen Sandlagern befindlich gewesene 
Whuano bereits entfernt gewesen; in solchen aber, wo dies 
nicht der Fall ist, kann man deutlich wahrnehmen, dass Sand 
und Whuano eine ähnliche Schichtung haben, und dass die 
Neigung beider dieselbe ist. 

Alle diese Sandlager enthalten Whuano in grösserer oder 
geringerer Menge. So z. B. ist in einem Lager dessen Sand 
vollständig mit Whuano gemengt; nur dass die Mengung des 
oberen Theiles des Lagers aus gleichen Verhältnissen von Sand 
und Whuano besteht, während die Menge des letzteren in den 
untern Schichten viel geringer ist. Die Schichten eines an- 
dern Lagers auf derselben Insel schliessen verschiedenartig 
geformte Massen, die auch verschieden gross sind, gleichsam 
inselartig ein. Diese Massen sind auch verschiedenartig ge- 
lagert, so dass sie bald einander berühren, bald mehr oder 
weniger von einander entfernt liegen. 

In diesen Lagern befindet sich der Sand entweder in lo- 
sem Zustande, oder es ist derselbe zu einer Steinmasse ver- 
bunden, in welch letzterem Falle dieser Sandstein fast immer 
auf losen Sandschichten ruht. 

Beide Arten, sowohl der lose Sand, als der verbundene 
enthalten nebst dem Whuano auch Eier; oder besser ge- 


38 


sagt Eischalen und Knöchelchen, ja ganze Vogel-Skelete. In 
meiner Sammlung befinden sich Exemplare beider, sowohl im 
losen Sande gefunden, als (ebenfalls auch ein Skelet) im Sand- 
stein. 

Schliesslich will ich noch eines interessanten Fundes er- 
wähnen, der während meiner Anwesenheit auf den Inseln ge- 
macht wurde. Dieser bestand in einem drei Zoll dicken La- 
ger einzig und allein aus dicht aneinander gepressten Vo- 
gel-Körpern, mit welchen .durchaus keine andere Substanz ge- 
mengt war, gebildet. Das Fleisch derselben, von schwärzlicher 
Farbe, die wohlerhaltenen Knochen umgebend, war deutlich 
zu erkennen; die Köpfe zusammengepresst und das in den- 
selben befindliche Gehirn gelblich gefärbt, in seinen Formen 
deutlich begränzt und wohl erhalten. Die bedeutende Härte 
dieses Lagers beurkundet den bedeutenden Druck, der auf 
dasselbe gewirkt haben musste. Die nächste unter diesem 
Lager befindliche Whuano-Schicht enthielt sehr viele Steine 
und die Mächtigkeit der überliegenden Whuano-Masse dürfte 
vielleicht fünfzehn bis achtzehn Fuss betragen haben. Einige 
diesem Lager entnommene Stücke befinden sich ebenfalls in 
meiner auf jenen Inseln gemachten Sammlung. 


Mittheilungen. 


Unser Vereinsmitglied, Herr Fischer in Pösneck, schickte 
eine kleine ihm aus zweiter Hand zugegargene (dem Herrn Fr. 
Geisse daselbst gehörige) Sammlung chilesischer Insekten ein, 
welche einiger Bemerkungen wohl werth erscheint. Die Sendung 
ist aus Osorno und enthält vorherrschend Käfer und zwar folgende 
Arten, welche mit Ausschluss von dreien der Sammlung des zoo- 
logischen Museums bisher fehlten: 

1. Creobius Eydouri Guer. — Cascelius Kingi Curt. ein 
mittelgrosser, zur Familie der Cnemacanthiden gehöriger Lauf- 
käfer, welcher in Körperform der gleichfalls hierher gehörigen, 
heimischen Gattung Broscus gleicht und sich durch den zweithei- 
ligen Zahn des Kinns von den übrigen Cascelöius- Arten unter- 
scheidet, so dass Lacordaire Bedenken trägt, unsere Art bei 
der genannten Gattung zu belassen. 


39 


2. Bolbocerassp.? Oberseitsschwarz, unterseits und an den 
braunen Beinen gelb zottig behaart; das Halsschild erscheint vorn 
schräg abgeschnitten und ist dieser Abschnitt gegen den schmalen 
Hinterrand stumpfkantig abgesondert. Diese schräge Vorderseite 
enthält vorn eine tiefe Quergrube, nach hinten in eine seichte, 
aber breite Mittelrinne auslaufend, daneben beiderseits wallar- 
tig erhöht; im Grunde der vorn sehr niedrigen Grube eine nie- 
renformige Erhebung. Der Kopf steigt (von der Seite gesehen) 
vom Kopfschilde in drei gleich hohen Stufen auf, die höchste ist 
aber nicht stufenförmig, sondern es sind zwei gerade stumpfe 
Stirnzapfen, welche nach hinten steil abfallen, um einen zweigru- 
bigen Scheitel zu bilden, welcher durch leistenartige,, vorn scharf- 
eckige Seitenwände begrenzt wird. Lg. 14 mill. — Ich wage 
nicht zu entscheiden, ob die Art neu, und hegnüge mich mit den 
angeführten Merkmalen, da das einzige mir vorliegende Exemplar 
nicht besonders conservirt ist. 

3. Äreoda mutabilis Solier, ein zu den Ruteliden gehöri- 
ger Lamellicorne von besonders geringer Körpergrösse im Ver- 
gleiche zu seinen nächsten Verwandten (13,5 mill.) 

4. Buprestis (Halecia de Cast.?) sp.? Ein schönes Thier 
von reichlich 24 mill. Le. und 11 mill. Br. in der Körpermitte. 
Die fast senkrechte Stirn ist grob runzelig punktirt, schwach ge- 
hohlt, das Kopfschild tief dreieckig ausgeschnitten, die gelbliche, 
sich hier anfügende Oberlippe an der Spitze stark ausgerandet. 
Die Fühler in der Mitte zwischen der Kopfschild- und Augenecke 
inserirt, ihr erstes Glied etwas keulenformig, das zweite etwa 
halb so gross wie das dritte, dieses sammt den folgenden eine 
stumpfe Säge bildend. Letztes Tarsenglied fast cylindrisch, vorn 
gestutzt. Augen gestreckt elliptisch, auf dem Scheitel weit ge- 
trennt. Halsschild quer, am Hinterrande schwach zweibuchtig, am 
Vorderrande fast gerade mit hakig vortretenden Ecken, an den 
Seiten in der Hinterhälfte schwach eingebogen, in der Vorder- 
hälfte durch eine schräge Linie in die Vorderecke verlaufend; 
auf der Oberfläche in der vordern Hälfte von der Mitte nach den 
Seiten etwas grubig abfallend, an den Seiten sehr grob und sehr 
dicht runzelig punktirt, auf der Scheibe grob und sehr einzeln 
punktirt, in einer vertieften Mittellinie sogar vollkommen glatt. 
Schildchen fast quadratisch mit einem Längseindrucke jederseits. 
Flügeldecken so breit wie das Halsschild, vor der Mitte mit einer 
länglichen Randschwiele aussen, hinter der etwas verbreiterten 
Mitte bis zur Spitze scharf unregelmässig sägerandig; ihre Ober- 
fläche platt gedrückt, jede mit einer seitlichen, nach der Naht 
zu scharf geradlinig begrenzten und mit einem mehr spitzen als 
rechten Winkel in der Höhe der äussern Schwiele beginnenden 
Vertiefung, welche sich nach der Spitze zu allmälig abflacht. 
Die ganze Oberfläche ist mit unregelmässigen groben Punkten 
mässig dicht besetzt, die an den umgebenden Rändern runzelig 


40 


zusammenfliessen und weisse Zottenhärchen nicht nur hier, son- 
dern auch an den übrigen Körpertheilen tragen. Der Bauch hat 
einen stumpfen, polirten Mittelkiel, ist an den Seiten netzartig 
punktirt und zottenhaarig, an der Spitze dreizähnig. Das Meta- 
sternum ist hinten pfeilspitzig ausgeschnitten und hinter der Mitte 
durch eine geschwungene Querleiste wie zweitheilig. Fussglied 
1 und 2 mit starkem, gebogenen, lamellenartigen Anhange an 
der Spitze, 3 und 4 breit herzförmig. An den Hinterbeinen Tar- 
senglied 1 länger als 2, aber kürzer als 2-++ 3. Klauen einfach. 
Die Unterseite des Käfers ist goldgrün, wie der Kopf, oben ist 
das Halsschild bräunlich grün, etwa mit Ausschluss der mehr gold- 
grünen Seitenränder, die Flügeldecken sind vorherrschend stahl- 
blau und bronzebraun gemischt, wie die Beine; der vordere Theil 
des Seitenrandes, je 2 Flecke an der Hinterhälfte dieses und un- 
vollkommener die Nahtpartie bleiben licht goldgrün. Fühler 
schwarz, an der Wurzel blau oder grün schimmernd. 

5. Curis bella Guer. jenes zierliche, Anthaxia-artige Pracht- 
käferchen mit 2 violetten Längsstriemen der Flügeldecken auf 
der sonst goldgrünen Oberseite des Körpers. 

6. Tibionema abdominalis Guer. jener schmucke, zu den 
Melanactiden gehörige Schnellkäfer, der von den Vorderecken 
des Halsschildes an bis ziemlich zur Leibesspitze hin in 2 paral- 
lelen Seitenlinien verläuft und sich durch die auf dem Rücken 
platten, nach den Seiten hin unter einer stumpfen Kante sich ab- 
dachenden Flügeldecken auszeichnet. Der ganze Käfer ist glän- 
zend schwarz und an der Hinterbrust und dem Bauche blutroth. 

1. Dasytes trifasciatus Gor. nach 2 Exemplaren des hie- 
sigen Museums. Da ich diesen Namen aber nirgends verzeichnet 
finde, so will ich das Thier durch eine Beschreibung näher kenn- 
zeichnen. Der stark schwarz behaarte Körper ist blauschwarz, 
die sehr grob, unregelmässig punktirten Flügeldecken sind ziegel- 
roth, an der Naht, der Spitze in 2 unregelmässigen Querbinden 
vor und hinter der Mitte und in einem Flecke auf der Schwiele 
im Spitzentheile dagegen schwarz. Die vordere Querbinde ist bei 
dem vorliegenden Exemplare nicht entwickelt, sondern besteht in 
einem länglichen schwarzen Flecke hinter der Schulterbeule, wel- 
cher weder den Aussenrand der Decke, noch den entgegenkom- 
menden schwarzen Nahtrand erreicht. Das vorliegende Exemplar 
ist kleiner (Lg. 13,5, Br. 6 mill.) als jedes der beiden in unse- 
rer Sammlung, auch sind die beiden Kiele auf jeder Flügeldecke 
bei ihm weniger ausgebildet als dort; trotzdem halte ich es für 
identisch mit jenen. 

8. Mordella sp.? etwas abgerieben. Glänzend schwarz, sil- 
berhaarig sind die Stirn, ein sehr flaches Grubenpaar jederseits 
des Halsschildes, die Schildchengegend, ein kleines Fleckchen vor 
und ein grösseres rundes hinter der Mitte jeder Flügeldecke, und 
einige Ränder an der untern Körperseite, besonders die Vorder- 


41 


ecken der 3 ersten Hinterleibssegmente. Lg. einschliesslich des 
Stachels 12 mill. 

9. Megalometis margaritaceus Er, ein unscheinbares 
schwarzes Rüsselkäferchen aus der Gruppe der Strangaliodiden, 
welches Erichson zur genaunten Gattung stellte, weil auf jeder 
Flügeldecke Tuberkeln stehen und zwar hier im hintern Flächen- 
theile ein Buckel und ein Stachel, was bei der sehr verwandten 
Gattg. Strangaliodes nicht der Fall ist. Schönherr unterschied 
diese beiden Gattungen durch das Vorhandensein des Schildchens 
bei letzterer, den Mangel desselben bei ersterer; hiernach 
müsste die in Rede stehende Art zu Strangaliodes gestellt wer- 
den, wo sie Lacordaire auch auflührt. 

10. Lophotus Eschscholtzi Schönh., ein gleichfalls unan- 
sehnlicher, aber bedeutend grösserer Rüsselkäfer aus der Gruppe 
der wahren Aterpiden. 

11. Callidium submetallicum Blanch., ein zierliches, schwar- 
zes Bockchen, dessen sammtartige Flügeldecken je eine nach 
hinten gekürzte, von der Schulter ausgesendete Rippe durch die 
Mitte tragen, so wie eine gelbe Schrägbinde durch die Mitte und 
eine feingelbe Eintassung des dadurch entstandenen vordern 
Feldes. 

12. Callisphyrus macropus Newm., einer jener interessan- 
ten, zu den Necydaliden gehöriger Bockkäfer, welcher ausser ge- 
kürzten, nach hinten verengten, nach auswärts gebogenen und 
wieder etwas verbreiterten Flügeldecken sich durch buschige Be- 
haarung an Schenkel und Schienen der kräftigen Hinterbeine aus- 
zeichnet. 

13. Cheloderus Childreni Gray wird von J. Thomson 
gleichfalls zur eben genannten Division gerechnet, obgleich die 
Flügeldecken normal entwickelt sind. Das stattliche Thier von 
45 mill. Länge ist an den sehr grob, zum Theil runzlig punktir- 
ten Flügeldecken metallisch purpurroth, am Vorder- und Aussen- 
rande goldgrün, am äussersten Saume von der Mitte an wenig- 
stens stahlblau; Kopf und Halsschild sind lebhaft grün, letzteres 
mit je einem zugespitzten ohrartigen Seitenlappen versehen. 
Bauch und Beine grün mit mehr weniger blauem Schimmer, Füh- 
ler blau. : 

Ausser den genannten Käfern enthielt die Sendung 3 Hymen- 
opterenarten: 

1. Den schönen Pompilus (Priocnemis) Gravesi Curt, in 3 
Exemplaren, eine Mordwespe, deren verhältnissmässig sehr kurze 
Flügel gelb sind, wie der ganze Körper durch dicht anliegende 
Behaarung, nur die Flügelspitze, zwei runde Flecke auf jedem 
Vorderflügel und durch Abreibung auf dem Hinterleibe entstan- 
dene kahle Stellen sind schwarz. — 2. Odynerus sp.? glänzend 
schwarz und mässig schwarz behaart, Hinterrand von Segment 1 
und 2 schmal weiss, Fühler, Beine, mit Ausschluss der äusser- 


42 


sten schwarzen Wurzel an letzteren, Flügelschüppchen und Flügel 
gelbroth, letztere an der Spitze stark getrübt. Ein mit diesem 
Stück sonst vollkommen übereinstimmendes Exemplar unseres Mu- 
seums, welches gleichfalls aus Chili stammt, hat noch einen weis- 
sen Bogenstreifen auf der Rückennaht des "Thorax und einen 
weissen Strich am äussern obern Augenrande. — 3. Einen Ich- 
neumoniden aus der Gattung Uryptus mit sehr schlankem ersten 
Hinterleibsgliede (wie bei Zinoceras Tg) und mit einem Bohrer, 
der die Körperlänge um das Doppelte übertrifft. Glänzend 
schwarz, einschliesslich der Flügel; die sehr dünnen langen Füh- 
ler in der Spitzenhälfte mit weissem Ringe. Hinterbeine sehr 
verlängert, mitschwach keulenförmiger Schiene. Ich habe die Art 
unter dem Namen Cr. longiseta der Universitätssammlung ein- 
verleibt. — Die gestreckt elliptische Larve eine Blatta von schwarz- 
brauner Färbung mit schmutziger gelber Seiteneinfassung der 3 
Thoraxringe und 5 gelben runden Seitenfleckchen der 5 ersten 
Hinterleibsringe. Das Pronotum ist höckerig, vorn grubig einge- 
drückt, am Rande gerade abgestutzt und kisst von oben her den 
Kopf etwas frei. Am Grunde des“ fast halbkreisformigen 
Hinterendes der Leibesspitze steht je ein kurzer blattarti- 
ger Griffel. Die stummelhafte Flügeldecke hat die Länge des 
Mesothorax, eine gelbe Farbe, eine kräftige, dunkle Mittelrippe 
und einen leistenartigen, etwas aufgebogenen Aussenrand. Die 
Unterseite des Thieres ist in ihrer Vorderhälfte mit Einschluss 
der Beine vorherrschend gelbroth gefärbt. Körperlänge 24, Br. 
11 mill. 

An diese Larve schliesst sich noch eine riesig grosse eines 
Laipyriden in 2 Exemplaren, oberwärts von schwarzbrauner Fär- 
bung mit geiben Seitenrändern der Rückenschilde vom zweiten 
ab und je einem gelben Seitenflecke vorn am Prothorax. Auf der 
Unterseite wechseln gelb und schwarzbraun in zierlichen Zeich- 
nungen mit einander ab, so zwar, dass durch die Mitte und je- 
derseits eine Reihe verschieden geformter dunkler Flecke läult. 
Körperlänge au 70 mill., eine gedrungene, nicht weiter ausge- 
zeichnete Lilellenlarve, wohl der Gattg. Libellula augehörig, 
und endlich eine Kreuzspinne mit zeichnungslosem Hinterleibe. 


Taschenberg. 


Literatur. 


Physik. E.Rüdorff, über dieBestimmung des Wassers 
im Eisessig. — Die als Eisessig im Handel vorkommende, höchst con- 
centrirte Essigsäure soll bei 170 C. erstarren, meistens erstarrt er aber 
erst bei niedrigern Temperaturen (bis zu — 7° C. herunter); der Grund 


43 


dafür ist ein grösserer oder geringerer Gehalt an Wasser. Rüdorff be- 
merkte, dass die Flüssigkeit sich bedeutend unter ihren Erstarrungspunkt 
abkühlen liess, sie erstarrt dann erst, wenn ein Stück feste Säure hinein- 
geworfen wird, und dabei steigt die Temperatur auf den Erstarrungspunkt; 
ein Theil der Flüssigkeit erstarrt aber nicht und kann abgegossen werden; 
der feste Rückstand wird aufgethaut und wiederholt ebenso behandelt. 
Dadurch erhielt R. nacheinander folgende Erstarrungstemperaturen: 120,5; 
15,1; 16,1; 16,4; 16,65; 16,7; 16,7; 16,7; 16,7. Da sich nun nichts mehr 
änderte, dürfte 16°%,7 C. als die wahre Erstarrungstemperatur zu betrach- 
ten sein. Darauf hat R. noch bestimmt, bei welchen Temperaturen be- 
jiebige Gemische von Eisessig mit Wasser erstarren, z. B. 100 Gewichts- 
theile Essigsäure gemengt mit 
0,5 Wasser (Wassergehalt 0,497°/,) bei 150,65 ©. 


1,0 EL) ( ” 0,990%) „ 14,8 
5,0 EL) ( ” 4,761) „ 9,4 
10,0 „ ( „ 9,090%) EL) 4,3 
15,0 ” ( ” 13,043%,) yaheagz 0,2 
24,0 9» ( „ 19,354%) » — 17,4 


Demnach lässt sich namentlich bei sehr concentrirten Lösungen ein sehr 
geringer Wassergehalt leicht ermitteln; die wasserreichen Mischungen ha- 
ben bei niedriger Temperatur eine merkwürdige Zähigkeit und die feste 
Säure scheidel sieh nur sehr langsam aus, die ganze Flüssigkeit wird na- 
türlich nie fest, sondern die wasserhaltige Säure verhält sich wie eine 
Salzlösung, aus welcher nur das Wasser fest wird (Rüdorff, Pogg. Ann. 
116, 55.) — Auch Schwefelsäure, Chlorcaleium u. s. w. wirken erniedri- 
gend auf den Erstarrungspunkt ein. — (Poyg. Ann. 140,415 — 421.) Sbg. 

Rüdorff, über die Bestimmung der Schmelz- und Er- 
starrungstemperatur der Fette und anderer Verbindungen. 
— Unter Hinweis auf die von Wimmel (Pogg. Ann. 133, 121) zusam- 
mengestellten Methoden zur Bestimmung des Schmelzpunkts, macht R. 
darauf aufmerksam, dass der Schmelzpunkt meist merklich höher liegt als 
der Erstarrungspunkt gefunden wird, und schlägt vor , nicht den Schmelz- 
punkt, sondern denErstarrungspunkt und zwar auf eine eigenthüm- 
liche Weise zu bestimmen. Er hat nämlich beobachtet, dass die Fette die 
Erscheinung der Ueberkältung in hohem Grade zeigen, und dass daher bei 
einem einfachen Versuche der Erstarrungspunkt zu tief gefunden wird; 
dazu kommt nun noch die Zähigkeit der Masse und das schlechte Wärme- 
leitungsvermögen der Fette, welche auf die Genauigkeit des Resultates 
störend wirken. Seine neue Methode beschreibt der Verf. durch einen 
Versuch mit Japanwachs, dasselbe wurde geschmolzen und begann bei 
49° theilweise zu erstarren, dabei stieg die Temperatur auf 45%,8; der 
entstandene ziemlich steife Brei wurde durch Eintauchen in warmes Was- 
ser und Umschütteln wieder in leichtflüssigen Brei verwandelt. Dieser 
begann nun schon bei 45° zu erstarren und die Temperatur stieg dabei 
auf 460,7. Bei Wiederholung des Versuches durch nochmaliges theilwei- 
ses Schmelzen und Abkühlen trat bei 450,5 ein Steigen des Thermometers 
bis zu 499,7 ein; beim folgenden Versuche waren die beiden Temperaturen 


44 


5003 und 500,8 und beim nächsten Male sank die Temperatur bis auf 
50,8 und stieg dann beim Erstarren gar nicht mehr; es war also keine 
Ueberkältung eingetreten und 500,8 muss als Erstarrungstemperatur des 
Japanwachses angesehen werden. Das ganze Verfahren erklärt sich da- 
raus, dass die Gegenwart eines festen Körpers in höchst feiner Verthei- 
lung die Ueberkältung möglichst beschränkt. Die Methode hat offenbar 


grosse Aehnlichkeit mit der im vorigen Referat beschriebenen, — (Ebda 

140, 420 — 425.) Sbg. 
A. Kundt, Versuche über das gemeinschaftliche Sieden 

zweier nicht mischbarer Flüssigkeiten. — Dämpfe von Flüs- 


sigkeiten, welche sich nicht mischen, folgen nach Magnus dem Dalton- 
schen Gesetz; in Folge dessen sieden solche Flüssigkeiten, wenn sie zu- 
sammen sind, bei einer Temperatur, die niedriger ist, als die Siedetempe- 
ratur der flüchtigsten; es ist aber schwer den Siedepunkt constant zu er- 
halten. K. gibt dafür folgendes sichere Verfahren an: Man fülle einen 
Standeylinder etwa bis zu !/; z. B. mit Schwefelkohlenstoff und leite sie- 
dend heisse Wasserdämpfe hinein, dann nehmen Flüssigkeit und abzie- 
hender Dampf die constante Temperatur von 420,56 an; auch wenn man 
siedende Dämpfe von CS? in Wasser leitet, erhält man dieselbe Tempera- 
tur. Wasser mit Benzol oder Nelkenöl liessen den Versuch auch gelingen. 
— Man erwärme Wasser in einem recht grossen Gefässe bis auf 469,6, 
halte ein mit Schwefelkohlenstoff gefülltes weites Reagensgläschen hinein, 
so dass es etwa 45° warm wird und giesse dann den Inhalt desselben ins 
Wasser, dann wird sofort ein energisches Sieden auftreten, welches bei 
wiederholtem Umrühren so lange anhält bis die Flüssigkeit unter den Sie- 
depunkt des, Gemisches (420,6) abgekühlt ist. — (Ebda 489—492.) Sbg. 
G. Magnus, über die Veränderung der Wärmestrahlung 
durch Rauheit der Oberfläche. — Der verewigte Verf. hatte eigent- 
lich die Absicht, diese Abhandlung noch durch neue Untersuchungen zu 
vervollständigen, sie ist aber auf seinen Wunsch in ihrer ursprünglichen 
Fassung veröffentlicht; als Resultat gibt er am Schluss folgendes: Die 
grössere Ausstrahlung rauher Oberflächen hängt ab von dem Brechungs- 
verhältniss der Substanz für die Wärmestrahlen ; je grösser dieses, oder je 
kleiner der Brechungsexponent ist, um so geringer ist die Ausstrahlung 
aus der ebenen Oberfläche. Grösserer Unebenheiten der ausstrahlenden 
Fläche haben nur unbedeutende Aenderungen der Ausstrahlung zur Folge. 
Eine solche tritt nur ein, wenn die Krümmungsradien sehr klein sind und 
sich sehr stark ändern, und wenn die ausstrahlende Substanz wenigstens 
diatherman ist. Im allgemeinen kann zwar die Rauhigkeit der Oberfläche 
sowohl eine Steigerung, als eine Verminderung der Ausstrahlung bewirken, 
aber wenn die Unebenheiten sehr fein und sehr tief sind, so tritt bei we- 
nig diathermanen Substanzen, wie den Metallen, fast stets eine Steigerung 
ein, Ist ein sehr feines Pulver derselben Substanz auf der Oberfläche be- 
findlich, so steigert diese die Ausstrahlung bedeutend, nicht nur bei we- 
nig diathermanen Körpern, wie die Metalle, sondern auch bei stark diather- 
manen, wie z. B. beim Steinsalz, — (Ebda 337 — 348.) Sbg. 
E. Hagenbach und J. Bodynski, über die Schmelzung 


45 


bleierner Geschosse durch Aufschlagen auf eine Eisen- 
platte. — Bei Schiessübungen in Basel war eine Zielscheibe von Eisen- 
blech angewendet und es hatten dabei die bleiernen Spitzkugeln nur eine 
sehr kleine Einbiegung in das Eisen hervorgebracht, sie fielen selbst in 
der Nähe der Scheibe nieder und es zeigten sich sowohl an der Scheibe, 
als an der stark deformirten und bedeutend leichter gewordenen Kugel 
(von 40 Grm. bis auf 13) bedeutende Spuren von Schmelzung. Unter 
Annahme einer Geschwindigkeit von 320m ergibt sich die Wucht (neuer 
nicht unpassender Ausdruck für „iebendige Kraft“) der Körperbewegung 
auf 209 Kgr. M. und Hagenbach berechnet daraus, dass fast alle Wucht 
der Körperbewegung in Wärme (Molecularbewegung) umgesetzt wird, und 
dass ferner die meiste Wärme zur Schmelzung des Bleis verwendet wird. 
— Bodynski stellt dies Resultat in Abrede und berechnet, dass die enl- 
stehende Wärme zum Schmelzen von fast 10 solchen Kugeln hinreichen 
würde; die lebendige Kraft der Körperbewegung wäre nämlich gleich 2048 
Kgr. M. Es wäre also nur ein kleiner Theil der lebendigen Kraft zur 
Schmelzung des Bleis verwendet. (Hagenbach: Poyg. Ann.140, 486—488; 
Bodynski: Ebda Bd. 141, 594—596.) 

J. Baxt, über die zum Bewusstsein eines Gesichtsein- 
druckes erforderliche Zeit. — Ein sehr schnell vorübergehender 
Lichteindruck auf die Netzhaut erzeugt einen Reiz in den nervösen Appa- 
raten, der viel länger anhält, als die ganze Einwirkung des Lichtes. Das 
zeigt sich in dem scheinbar continuirlichen Gesichtseindrucke intermitti- 
render Beleuchtungen und in den positiven Nachbildern, letzte können so- 
gar bis 12 Secunden erkennbar anhalten. So ist also auch bei kürzester 
Dauer des ursprünglichen Lichtireizes stets eine gewisse Zeit gegeben, 
während welcher der Beobachter mittels Nachbildes eine Reihe von Ein- 
zelheiten des gesehenen Objects wahrnehmen kann, zu deren Wahrneh- 
mung ihm der unmittelbare Lichtreiz keine Zeit gelassen haben würde. 
So können wir im Dunkeln nach einem Blitze eine ganze Reihe von ein- 
zelnen Gegenständen erkennen , obgleich die Dauer der Beleuchtung nur 
10000tel Theile einer Secunde beträgt, das positive Nachbild ist aber ge- 
rade in einem solchen Falle auch unter ungünstigsten Bedingungen ent- 
wickelt und dauert deshalb lange. Verf. stellte Versuche an, die Zeit für 
das Bewusstwerden eines Gesichtsbildes zu ermitteln. Das positive Nach- 
bild kann man nicht direet auslöschen, wohl aber durch einen neuen 
mächtigen Lichteindruck so übertäuben, dass es seinen Werth für die 
Wahrnehmung verliert. Die Versuche wurden mit einem von Helmholtz 
construirten Tachistoskop angestellt. Der Beobachter erblickt bei demsel- 
ben ursprünglich durch einen Schlitz einer rotirenden Scheibe auf sehr 
kurze Zeit das Object, unmittelbar derauf tritt an Stelle des Schlitzes ein 
schwarzer, danach ein hellbeleuchteter weisser Sector der Scheibe, dessen 
Beleuchtung den zuerst erhaltenen Eindruck modifieiren sollte. Bei den 
neuen Versuchen zeigte sich, dass die starke Beleuchtung zum Auslöschen 
des positiven Nachbildes nicht von vornher auf die rotirende Scheibe fal- 
len durfte, weil schwarzer Sammt unter solcher Beleuchtung nicht dunkel 
genug war, um nicht das Nachbild wesentlich zu beeinflussen, Deshalb 


46 


wurde ein schmaler Streif eines Spiegels normal zur Achse au der Scheibe 
befestigt, welcher das Object für einen Augenblick sichtbar machte. Das 
auslöschende Licht fiel dann kurze Zeit später durch einen Ausschnitt der 
Scheibe von deren Hinterseite her in das Auge des Beobachters. Benutzt 
wurde das Licht einer Petroleumflamme, die im Brennpunkte einer Con- 
vexlinse von kurzer Brennweite stand. Die durch den Spiegel gesehenen 
Objecte waren Buchstaben und verschlungene Curven,, helle auf dunklem 
Grunde. Der primäre Eindruck dauerte 0,0129 Secunde, der zweite zur 
Auslöschung des ersten 0,055 Seeunde.e. Das Object war eine Druck- 
schrift, von der 3Buchstaben zugleich sichtbar wurden. Wurde der erste 
Eindruck !/,, Sec. nachdem er begonnen, wieder ausgelöscht, so war 
durchaus nichts von ihm zu erkennen. Bis zu !/,, Sec. Dauer waren zwar 
undeutliche Spuren gesehener Objecte wahrnehmbar, ohne dass jedoch ein 
Buchstabe zu errathen war. Bei mehr als 1/,, See. Dauer wurden mehr 
Buchstaben und deutlich erkannt. Bei 1/,, Sec. Dauer war kein Unter- 
schied mehr zu bemerken, ob nun das auslöschende Licht eintrat oder 
ganz weggelassen wurde. Sehr auffällig war der Einfluss verschiedener 
als Objecte benutzter Figuren. Bei einer einfachen Ellipse war der Ein- 
druck vollständig in 1/,, See., bei der entwickelten Lissajouschen Curve 
für die Schwingungen der Quinte dagegen waren ?/,, Sec. nöthig- Auch 
der zweite starke Lichteindruck erreicht nicht unmittelbar in der Nerven- 
substanz seine ganze Höhe, sondern braucht dazu eine gewisse Zeit, aller- 
dings steigt er schneller als der schwächere erste nach Exner. Bei den 
hellsten von diesen angewendeten Beleuchtungsstärken, die nur Beleuch- 
tungen weissen Papiers, nicht directes Flamwenlicht waren, trat das Ma- 
ximum der subjectiven Lichtstärke sogar erst 1/, Sec. nach Beginn der 
objeetiven Beleuchtung ein, in B.’s Versuchen muss es wegen der viel 
grössern Lichtstärke viel schneller eingetreten sein, ausserdem ist darauf 
zu rechnen, dass das zurückgebliebene Nachbild schon, ehe der zweite 
Lichtreiz das Maximum seiner Erregung herbeigeführt batte, bis zum Un- 
wahrnehmbaren abgeschwächt sein konnte und dies bestätigen andere 
Versuchsreihen B.’s, nach welchen innerhalb ziemlich weiter Grenzen die 
Helligkeit des gesehenen Objectes keinen merklichen Einfluss auf die Zeit 
der Wahrnehmung hatte. Die Aenderungen der Helligkeit wurden theils 
durch Aenderung der Breite des Spiegels erzeugt, tlieils durch Einschal- 
tung von transparentem Papier zwischen dem Lichte und der dunkeln 
Schicht, in welche die Figuren eingeschnitten waren. Bei sehr schwa- 
chem oder sehr starkem, blendendem Lichte dagegen ergab sich die für 
seine Wahrnehmung nöthige Zeit grösser als bei mittler Lichtstärke. Da- 
her ist es nicht wahrscheinlich, dass die obigen Zahlen für die zur Wahr- 
nehmung nöthige Zeit eine erhebliche Vergrösserung wegen der Dauer der 
Ansteigung des zweiten Lichtreizes zu erleiden haben. — Andere Versuche 
B.'s beziehen sich auf den Einfluss der gesehenen Öbjecte, wobei nicht 
nöthig, den momentanen Lichteindruck durch einen zweiten auszulöschen. 
Bei Anwendung von Schriftproben verschiedener Grösse, bei gleicher Be- 
leuchtung und gleicher Spaltbreite ergab sich, dass zur Erkennung kleiner 
Schrift eine viel längere Lichteinwirkung, also auch ein länger dauerndes 


47 


positives Nachbild uöthig war, als für grosse Schrift. Grosse räumliche 
Differenzen im Gesichtsfelde werden schneller wahrgenommen, als kleine, 
ebenso grosse Helligkeitsdifferenzen schneller, als kleine. Helmholtz fügt 
hier noch andere Versuche hinzu. Wenn man gedruckte Zeilen durch 
elektrische Funken beleuchtet, erkennt man bei jedem Funken bald hier 
bald dort einzelne Gruppen von Buchstaben und sonderbar, fehlt mitten in 
einem Worte, das man liest, ein Buchstabe oder von einzelnen Buchstaben 
sieht man nur einen Strich und den andern nicht. Helmholtz hatte dabei 
immer einen dauernd hellen Punkt im dunkeln Felde vor sich, den er als 
Fixationspunkt benutzte, und fand es möglich, ohne diesen Fixationspunkt 
zu verlassen, die Aufmerksamkeit schon vor der Beleuchtung durch den 
Funken auf diesen oder jenen Theil des dunkeln Feldes hinzurichten und 
sah dann, was dort erschien. Er erklärt dies für eine Thatsache von ho- 
her Wichtigkeit, weil sie zeigt, dass das, was wir das willkührliche 
Richten der Aufmerksamkeit nennen, eine von Bewegungen der äussern 
beweglichen Theile des Körpers unabhängige Veränderung in unserem 
Nervensystem ist, wodureh Reizungszustände gewisser Fasern vorzugsweise 
zum Bewusstsein gelangen. — (Berliner Monatsberichte Juni 333—337.) 

Chemie. A. W. Hofmann, über das primäre und secun- 
däre Phosphin der Methylreihie. — Angesichts der einfachen Re- 
action, durch welche der Phosphorwasserstoff in Aethylphosphin und Di- 
äthylphosphin übergeht, erschien es wünschenswerth, den Process, welcher 
die Glieder der Aethylreihe so leicht lieferte, auch in andern Reihen zu 
erproben. Das Verfahren bewährte sich vollkommen. Die Alkoholphos- 
phine lassen sich durch die Einwirkung des nascenten Phosphorwasserstoffs 
auf die Alkoholjodide ebenso schnell und reichlich erhalten wie die corre- 
spondirenden Amine, während Trennung und Reindarstellung der Phos- 
phorbasen ungleich weniger Zeit und Mühe in Anspruch nehmen als die 
entsprechenden Arbeiten in der Stickstoffreihe. Zunächst untersuchte H. 
die Meihylkörper. Phosphoniumjodid, Jodmethyl und Zinkoxyd wirken mit 
erwartetem Erfolge aufeinander. Die für die Aethylbasen zweckmässigen 
Verhältnisse (2 Mol. Jodphosphonium, 2 Mol. Alkoholjodid und 1 Mol. 
Zinkweiss) gelten auch für die Methylreihe. Es wurden Röhren von 100 
— 150 Cubikcent. angewendet, in denen man 70 — 80 Gramm der aufein- 
ander wirkenden Agentien ohne Gefahr digeriren kann, Beim Einbringen 
wird wie früher das Jodphosphonium von dem Jodmethyl durch die Zink- 
weisschicht getrennt, die man mittelst eines Glasstabes scharf eindrückt, 
damit das einsickernde Jodmethyl nur langsam das Jodphosphonium er- 
reicht, auf welches es in Gegenwart von Zinkoxyd schon bei gewöhnlicher 
Temperatur heftig einwirkt. So gewinnt man Zeit, die Röhren auszuziehen 
und zuzuschmelzen. Die Digestion anlangend arbeitete H. bei der Tem- 
peratur des siedenden Wassers, nach 6—8stündigem Erhitzen im Was- 
serbade ist die Umwandlung beendet, bei Erhitzen im Luftbade auf 150° 
nach 4 Stunden. Die erkalteten Röhren öffnen sich.mit Detonation und 
die Gegenwart einer kleinen Menge unverbrauchten Phosphoniumjodids be- 
kundet, dass sich neben dem Monomethylphosphin auch höher methylirte 
Basen gebildet haben. Das Reactionsprodukt, die beiden Phosphine in 


48 


Verbindung mit Jodzink enthaltend, ist eine feste Krystallmasse, die man 
herausziehen kann. Die weitere Behandlung desselben erfolgt wie bei den 
Aethylkörpern. Etwa 500 Gramm des Reactionsproduktes befinden sich in 
einem Ballon, dessen dreifach durchbohrter Kork in der mittlen Oeffnung 
ein Tropfrohr mit Halın und Kugelaufsatz trägt. Durch die zweite Oefl- 
nung tritt ein Strom trocknen Wasserstoffs ein, mittelst der dritten steht 
der Ballon in Verbindung mit einer leeren Flasche zur Aufnahme über- 
destillirenden Wassers, dann mit einer Kalkgefüllten Trockenröhre, end- 
lich mit einer Spirale, deren Temperatur durch Eis auf — 25° gebracht 
ist und deren unteres Ende in den Tubulus eines Siedekolbens einmündet, 
welcher in eine ähnliche Kältemischung taucht. Die Röhre des Siedekol- 
bens ist verbunden mit einem Cylinder, der eine Quecksilbersäule von 6 
Centim. Höhe enthält, dann folgt wieder eine leere Flasche und schliess- 
lich eine Flasche mit concentrirter Jodwasserstoffsäure. Ist nun der ganze 
Apparat mit Wasserstoff gefüllt, lässt man Wasser auf das Reactionspro- 
dukt fliessen. Dieses wirkt heftig auf die Mischung der beiden Phosphin- 
salze ein. Das zuerst entwickelte Gas verdichtet sich nicht, es enthält 
etwas Phosphorwasserstoff. Aber nach wenigen Augenblicken beginnt die 
Entwicklung von reinem Methylphospbin, das, durch die Kalksäule getrock- 
net, sich in dem abgekühlten Siedekolben zu einer farblosen Flüssigkeit 
verdichtet. Wenn kein Gas mehr entwickelt wird, erhitzt man die Mi- 
schung bis sich die ganze Krystallmasse gelöst hat. Das verdichtete Me- 
ihylphosphin lässt sich nur in zugeschmolzenen Röhren anfbewahren. Nach 
Austreiben des Methylphosphins erkaltend, erstarrt die Flüssigkeit zu 
prachtvollen blendend weissen Krystallnadeln, einer Doppelverbindung des 
Dimethylphoniumjodids mit Jodzink. Die Abscheidung des Dimethylphos- 
phins erfolgt mittelst Natronlauge; Luft ist fortwährend sorgfältig auszu- 
schliessen, da sich an ihr das Methylphosphin augenblicklich entzündet. 
CH, 
Das Methylphosphin CH,P=H\P ist ein ebenfalls farblos durchsichtiges 
H 
Gas von furchtbarem Geruch. Durch Abkühlung und Druck lässt es sich 
zu einer farblosen, auf Wasser schwimmenden Flüssigkeit verdichten, die 
unter Druck von 0m,7585 von Platin aus bei — 14° siedet. Um das Ver- 
halten bei wachsendem Druck zu studiren wurde der Compressionsappa- 
rat von Magnus benutzt. Bei 0° waren 1°/, Atmosphären hinreichend, die 
Verflüssigung zu beginnen, bei 21/, Atmosphären war das Gas vollkommen 
in Flüssigkeit verwandelt. Bei 10° begann und vollendete sich die Ver- 
flüssigung unter einem Druck von 2!/, und 4 Atmosphären, bei 20° unter 
4 resp. 41/, Atmosphären. Das Volumgewicht wurde zu 24,35 gefunden. 
Das Methylphosphin ist in Wasser unlöslich; ist das Wasser lufthaltig: 
so verschwindet ein Theil des Gases in Folge von Oxydation, die sich 
durch Bildung weisser Nebel verräth. Befindet sich das Methylphosphin- 
gas über Wasser, in das von aussen Luft eindringen kann, so verschwin- 
det das Gas vollständig. In Alkohol ist es ziemlich löslich, bei 0° ab- 
sorbirt 1 Vol. Alkohol von 95 Proc. schon 20 Vol. desselben. Aether bei 
gewöhnlicher Temperatur löst nur änsserst wenig, bei 0° aber lösen sich 


49 


70 Vol. in 1 Vol. Aether. Das Gas hat eine grosse Anziehung für den 
Sauerstoff, mit Luft gemischt bilden sich weisse Dämpfe; schon bei ge- 
linder Erwärmung entzündet es sich an der Luft, dagegen lässt es sich 
ohne Veränderung durch siedendes Wasser leiten. In Berührung mit Chlor, 
Brom und Salpetersäure verbrennt es mit lebhafter Flamme. Mit Säuren 
bildet es Salze, die von Wasser zersetzt werden und Pflanzenfarben blei- 
chen wie Chlor. Nnr das Chlorhydrat und das Jodhydrat wurde beson- 
CH, 
ders untersucht. — Das Dimethylphosphin C,H,P = CH, \P ist eine farb- 
H 
lose durchsichtige Flüssigkeit, leichter als Wasser, in dem es unlöslich 
ist, siedet bei 25° und ist mit dem Aethyphosphin isomer; oxydirt aus- 
serordentlich, entzündet sich in Berührung mit Luft augenblicklich und 
verbrennt mit leuchtender Phosphorflamme. Bei der Bearbeitung erfolgen 
sehr leicht heftige und gefährliche Explosionen. Es vereinigt sich leicht 
mit den Säuren, bildet sehr lösliche Salze. Die Lösung des salzsauren 
Salzes giebt mit Platinchlorid ein gut krystallisirendes Doppelsalz, auch 
mit Schwefel und Schwefelkohleustoff entstehen Verbindungen, die sich 
sehr wesentlich von denen des Trimethylphosphins unterscheiden. Die 
leichte Entzündlichkeit und der niedrige Siedepunkt erschweren leider die 
Arbeiten mit dem Dimethylphosphin ganz ungewöhnlich. — (Berliner 
Monatsberichte Juni 340 — 348.) 

Th. Zincke, über eine neue Reihe aromatischer Kohlen- 
stoffe. — Aus Benzylchlorid und Benzol erhält man durch Behandlung 
mit Zinkstaub und nachherigem Fractioniren einen bei 260— 263° sieden, 
den, angenehm nach Orangen riechenden Kohlenwasserstoff, dessen Zu- 
sammensetzung der Formel Ci3H1?— C°H5— CH?— C$H5 entspricht und 
vom Verf. Diphenylmetihan oder Benzylbenzol genannt wird. Er erstarrt 
beim Stehen in der Kälte zu Krystallen, die bei 24—25° zu einer farb- 
losen Flüssigkeit schmelzen, welche bei 261—262° überdestillirt und in der 
Vorlage zu prismatischen Nadeln erstarrt. Beim langsamen Abkühlen 
bilden sich grosse monoklinische Tafeln. Der Kohlenwasserstoff löst sich 
leicht in Alkohol, Aether, Chloroform ete.; Brom und concentrirte Sal- 
petersäure liefern Substitutionsprodukte. Bei längerem Kochen mit Ka- 
liumbichromat und verdünnter Schwefelsäure wird er zu Benzophenon oxy- 
dirt, welches sich jedoch auffallender Weise von dem aus benzoesaurem 
Kalk dargestellten Benzophenon im Schmelzpunkte und der Krystallform 
unterscheidet. Es bildet schiefe, glasglänzende, durchsichtige Prismen, 
die bei 26— 26, 5° zu einer klaren Flüssigkeit schmelzen, welche con- 
stant bei 300° siedet. — Aus Toluol und Benzylchlorid wird in gleicher 
Weise ein bei 270 siedender Kohlenwasserstoff, das Benzyltoluol erhalten, 
Es gleicht in seinen Eigenschaften dem Benzylbenzol, riecht nach Früch- 
ten und löst sich leicht in Alkohol, Aether etc. Er wird nicht fest, son- 
dern bei —17° bis — 30° nur dickflüssiger; das specifische Gewicht ist 
- bei 17,50 0,995. Seine Bildungsweise, seine Oxydationsprodukte und 
deren Umwandlung machen die Strukturformel : CCH5 — CH? — CH? — CH? 
wahrscheinlich. Bei längerem Kochen mit Kaliumbiehromat und verdünnter 

Zeitschr. f.d, ges. Naturwiss. Bd. XXXVII, 1871. 4 


90 


Schwefelsäure wird neben andern Produkten eine Säure C!4H1003 er- 
halten; bei gemässigter Oxydation mit verdünnter Salpetersäure wird in 
geringer Menge eine Säure von der Zusammensetzung Ci?H1?0? gebildet. 
Die Säure C!4H1003 scheidet sich aus den Lösungen ihrer Salze in der 
Kälte als dicker aufgequollener Niederschlag, in der Hitze in kleinen sei- 
denglänzenden Blättchen aus. Sie ist in kaltem Wasser sehr schwer, in 
heissem etwas leichter, in Aether, Alkohol, Eisessig leicht, in Chloroform, ° 
Benzol, Toluol und verdünnter Essigsäure aber nur schwierig löslich; 
Aus heissen Lösungen in verdünntem Alkohol, Chloroform ete. scheidet 
sie sich beim Erkalten in dünnen atlasglänzenden Blättchen, aus heisser, 
verdünnter Essigsäure in dünnen langen Nadeln ab. Sie schmilzt bej 
194— 195° und giebt bei höherer Temperatur ein aus breiten, oft verästel- 
ten Nadeln bestehendes Sublimat. Sie bildet gut charakterisirte, meistens 
leicht krystallisirende Salze. Das Baıyumsalz krystallisirt mit 1 Mol. H?O, 
das Caleiumsalz mit 2H?0. Sie ist eine eigenthümliche Ketonsäure von 
der Structur: C$H5— CO — CH? — CO?H und wird vom Verf. Benzoylben- 
zoesäure genannt. — Durch andauerndes Behandeln einer wässerig-alko- 
holischen Lösung mit Zink und Salzsäure geht sie in eine Ketonalkohol- 
säure, die Benzhydrylbenzoesäure C6H5>— CH.OH — C#H2— CO?H über. 
Diese Säure ist isomer mit der Benzilsäure oder Diphenylglycolsäure. Aus 
den Lösungen ihrer Salze gefällt, scheidet sich die Benzhydrylbenzoesäure 
anfangs milchig, allmälig in kleinen verwachsenen Nadeln aus. In Was- 
ser und verdünntem Alkohol ist sie viel löslicher als die Ketonsäure, beim 
Erkalten der heissen Lösusg Krystallisirt sie in baumartig verzweigten Na- 
deln. Sie schmilzt bei 164— 165°, sublimirt aber nicht, sondern zersetzt 
sich unter Abgabe eines ölförmigen Körpers, während ein rothes, sprödes 
Harz zurückbleibt.. Mit dem oben erwähnten Oxydationsgemisch behan- 
delt, geht sie wieder in die Benzoylbenzoesäure über. Ihr Baryumsalz 
krystallisirt wasserfrei, das Calciumsalz mit 5H?0. — Wird die Benzhy- 
drylbenzoesäure 4 bis 5 Stunden mit wässriger Jodwasserstoffsäure auf 150° 
erhitzt, so tauscht sie HO gegen H aus und giebt eine Säure von der For- 
mel: C6H5— CH? — C6H?— CO?H, die Benzylbenzoesäure, die isomer mit 
der Dyphenylessigsäure ist. Sie bildet ein weisses lockeres Pulver; aus 
heissem Wasser krystallisirt sie in mikroskopischen Nadeln, aus heissem, 
verdünntem Weingeist in grösseren Nadeln oder Blättchen aus. In abso- 
lutem Alkohol, Aether, Chloroform ist sie leicht löslich. Sie schmilzt bei 
154—155° und sublimirt in höherer Temperatur. Ihre Salze zeigen wenig 
Neigung zu krystallisiren. — (Ber. Chem. Ges. IV. 298 und 509.) 
HeinrichStruve, Studien überOzon, Wasserstoffhyper- 
oxyd und salpetrigsaures Ammoniak, —- Verfasser hat bei allen 
atmosphärischen Niederschlägen Wasserstoffhyperoxyd aufgefunden und ge- 
langt zu dem Schlusse, dass bei jeder Verbrennung, so auch bei der Athmung 
Ozon, salpetrigsaures Ammoniak und Wasserstoffhyperoxyd gleichzeitig ge- 
bildet werden, von welchen Produkten freilich meist nur salpetrigsaures 
Ammoniak der Untersuchung zugänglich ist. Athmet man in ein feuchtes 
Becherglas, so kann man in dem Wasser desselben salpetrige Säure durch 


51 


Jodkalium, Ammoniak durch das Nessler’sche Reagenz nachweisen. 
Ebenso im Speichel. — (Bull. Vacad. de St. Petersburg 15. p. 325.) 

Dr. Uloth, einfache Darstellungsmethode des Quecksil- 
berehlorürs, — Versetzt man eine wässrige Lösung des Quecksilber- 
chlorid mit Oxalsäurelösung, so bleibt die Mischung im Dunkeln klar oder 
wird erst nach längerer Zeit kaum wahrnehmbar getrübt. Auch beim Er- 
wärmen tritt keine Trübung ein. Setzt man jedoch das Gemisch dem di- 
rekteu Sonnenlicht aus, so scheidet sich fofort Quecksilborchlorür in Form 
kleiner perlmutterglänzender Blättchen ab. Nach Verlauf von 2 Tagen 
kann im Sommer auf diese Weise die grösste Menge des Quecksilberchlo- 
rids, etwa 80 Proc. redueirt werden. Je intensiver das Sonnenlicht wirkt 
und je höher die Temperatur, desto leichter und vollständiger tritt die 
Reduktion eing schräg auffallende Strahlen und niedrige Temperatur er- 
schweren dieselbe. Das abfiltrirte und ausgewaschene Chlorür ist frei von 
Chlorid und Oxalsäure. Verf. empfiehlt das Verfahren zur Darstellung 
von Calomel. Da hierbei nie die ganze Menge des Chlorids redueirt wird, 
kann der gelöst bleibeude Rest durch Kalilauge als Oxyd gefällt und ver- 
wendet werden. — (N. Jahrb. f. Pharm. 35, 129.) 

F. Beilstein und A. Kuhberg, über Mono- und Dinitro- 
Naphtalin. — 1) Mono -Naphtalin. Dieser Körper wird durch Behan- 
deln von Naplhıtalin mit roher Salpetersäure in der Kälte dargestellt und 
zwar bildet sich stets nur eine Form des Nitro-Naphtalins.. Es ist in 
Schwefelkohlenstoff sehr leicht, schwieriger in Weingeist löslich. 100 Th. 
Alkohol (87,5 °,) lösen bei 150 2,81 Th. Es krystallisirt in langen, glän- 
zendem, schwefelgelben Nadeln. Schmelzpunkt 58,5%. 2) Nitro - Amido- 
naphtalin C1PH$(NO?)(NH?) wird erhalten durch Uebergiessen von schmel- 
zenden «Dinitronaphtalin mit Alkohol und wenig concentrirtem Ammoniak 
und Einleiten von Schwefelwasserstof. Man fällt mit Wasser, zieht die 
gebildete Base mil Salzsäure aus, fällt mit Ammoniak und löst den Nie- 
derschlag in heisser verdünnter Schwefelsäure. Beim Erkalten krystalli- 
sirt das schwefelsaure Salz mit 2 Mol. Krystallwasser in glänzenden, lan- 
gen, breiten Nadeln heraus, die in kaltem Wasser sehr wenig löslich sind. 
— Die freie Base wird aus der Lösung des schwefelsauren Salzes durch 
Ammoniak gefällt und nach der Umkrystallisation mit Wasser in glänzen- 
den, rothen, kleinen Krystallen, deren Schmelzpunkt bei 118— 119° liegt, 
erhalten. — Aus dem salpetersauren Salz wurde das Diazoderivat erhal- 
ten und dieses mit absolutem Alkohol zerlegt, wodurch ein Mononitro- 
Naphtalin, das in nichts von dem gewöhnlichen verschieden war, erhalten 
wurde. — Diese Versuche beweisen, dass im «Dinitro-Naphtalin die bei- 
den Nitrogruppen eine symmetrische Stellung einnehmen. — (Zitschr. f- 
Ch. 14. 211.) 

0. Loew, über die Löslichkeit des Kupferoxyds und 
Eisenoxyds in ätzenden Alkalien.— Nicht nur Kupferoxydhydrat, 
sondern auch schwarzes Kupferoxyd löst sich in concentrirten Lösungen 
ätzender Alkalien. Concentrirte Natronlauge färbt sich bei längerem Er- 
hitzen mit Kupferoxyd intensiv blau, es lösen sich auf 30 Atome Natron 
1 Atom Kupferoxyd. Durch Wasser, Alkohol und Essigsäure kann man 

4 * 


52 


aus dieser Lösung direct schwarzes Kupferoxyd ausfällen. Bei längerem 
Stehen der Lösung wird ein hellblaues Pulver ausgeschieden, das gleiche 


Aequivalente Natron und Kupferoxyd enthält. — Eine Schmelze von Ku- 
pferoxyd mit überschüssigem kaustischem Kali löst sich jn wenig Wasser 
mit blauer Farbe. — Auch Eisenoxyd mit Kali zusammengeschmolzen 


giebt beim Digeriren mit sehr concentrirter Essigsäure eine Lösung, in der 
durch Verdünnen mit viel Wasser ein Niederschlag von Eisenoxyd entsteht. 


— (Z. analyt. Chem. 1870, 463.) Albr. 
Geologie. E. Boll, die protozoischen Geschiebe Mek- 
lenburgs und deren organischeEinschlüsse. — Die in Meklen- 


burg nicht gerade häufigen protozoischen Gerölle ähneln den in Skan- 
dinavien anstehenden Lagern vielmehr, als denen der russischen Ostseepro- 
vinzen; Verf. sammelte folgende: 1. Sandstein sehr selten. Ein grob- 
körniger, weissgrauer Block mit vielen schwarzen und braunen Abdrücken 
organischer Reste bei Malchin, früher für Kohlensandstein gehalten, dann 
von Hagenow richtig als Fucoidensandstein im Liegenden des skandinavi- 
schen Siluriums erkannt, wohl das erste derartige Geschiebe in NDeutsch- 
land. Ein anderes nur faustgrosses Geschiebe eines sehr feinkörnigen har- 
ten hellgrauen Sandsteines von Goldberg enthielt Reste von Paradoxides 
als einer primordialen Form. Römer erwähnt ein gleiches von Freiburg 
in Schlesien, Beyrich ein solches von Berlin, Kade von Meseritz. Ein drit- 
tes bei Neubrandenburg gefuudenes Gerölle eines sehr harten grünlichgrauen 
Sandsteins mit kieseligem Bindemittel, weissen Glimmerschüppchen, klei- 
nen Glaukonitkörnern und vielen zierlichen Schalen einer Diseina, die 
kreisrund, sehr flach, mit warzigem Wirbel, 21), Mm. Durchmesser. — 
2. Alaunschiefer. Ein dem schwarzen plattigen von Andrarum in 
Schonen völlig gleiches Gestein fand B. bei Pentzlin beim Brunnengraben 
in 54° Tiefe mit bituminösem Kalk und Anthrakonit. Petrefakten waren 
nicht darin. 3. Anthrakonit, weniger bitumenreich als der esthländische 
und nordamerikanische,, ist ein späthiger Stinkstein oder vielmehr ein mit 
Kohlen gemengler stängeliger oder blättriger, stark bituminöser Kalkspath, 
häufig in Meklenburg, aber stets ohne Petrefakten. — 4. Bituminöser Kalk, 
schwarz, graubraun, durchmengt mit Anthrakonittheilchen und davon bis- 
weilen grobkrystallinischkörnig, bisweilen reich an kleinen Trilobitenköp- 
fen, in einem Stück mit eingesprengten Schwefelkieskrystallen, immer 
hart, in Platten spaltbar, bituminös, bei Neubrandenburg, Peccatel, Neu- 
strelitz, Dobbertin, Rostock, Doberan, auch bei Travemünde, Berlin, Prenz- 
lau und Meseritz gefunden. Ein bei Kläden gefundenes kleines Stück ist 
braun, leicht und weich, zerreiblich, ohne Anthrakonit, schwach bitumi- 
nös, mit zwei primordialen Trilobitenköpfen. — 5. Grobkörniger marmo- 
rirter Kalk ohne Bitumen fand sich einmal bei Goldberg; im Bruch zucker- 
körnig, mit protozoischen Resten. Die Gerölle 2.—5. nehmen ein höheres 
Niveau ein, als 1. Die Petrefakten in den Kalken 4. und 5. sind: Agno- 
stus pisiformis Dalm, manche Gerölle ganz erfüllend; A. neobrandenburgen- 
sis Boll, Palaeontogr. I. Tb. 17. Fg. 7. voriger Art sehr nah stehend; A. 
laevigatus Dalm, Sphaerophthalmus humilis Phill, sehr fragmentär, aber 
sehr häufig, in England in den schwarzen protozoischen Schiefern der 


99 


Malvernhügel, Sph. teretifrons Angel, häufige Kopfschilder, Olenus gibbo- 
sus Wahlb, O. scarabaeoides Wahl, O. perpusillus n. sp. Mit diesen 
Trilobiten fand sich ein unbestimmbares Brachiopodenstück. — (Meklen- 
burger Archiv XXIV. 31—46,.) 

A. Nöschel, eigenthümliches Vorkommen von Glauber- 
salz im Kaukasus. — Am rechten Ufer der Jora auf einer plateauar- 
tigen Terrasse, 10 Werst südlich von der deutschen Colonie Marienfeld und 
20 Werst von Tiflis findet sich eine pflanzenleere, 60° tiefe Mulde. Längs 
des Joraufers besteht der Untergrund aus steilen thonigmergligen Tertiär- 
schichten, bedeckt von festen Schichten mit Gypskrystallen, reich au bit- 
tern Quellen, in den höhern Schichten mit Naphtaquellen, in den tiefen 
mit schwachen Kochsalzquellen, stellenweise auch mit kleinen Nestern von 
Braunkohle. Die obere Partie besteht aus einem Wechsellager von Sand- 
und Thonschichten. Der Thon ist sehr hygroskopisch und wird im Was- 
ser seifig, enthält sehr viel Eisenoxyd und Gyps. Der Sand ist feinkör- 
nig, halbfest und zerfällt an der Lufi. Das überlagernde Gebilde ist zu- 
erst ein weicher thonigsandiger Mergel und oben ein festes, nagelfluhartiges 
Conglomerat. Die erwähnte Mulde ist mit einem thonigen Mergel erfüllt, 
der voller Glaubersalzkrystalle, Thonplatten und Gypsstücken ist. Bel 
troeknem Wetter überziehen schneeartige Salzblühten die ganze Fläche; 
bei nassem Wetter ist der Grund so weich, dass man einsinkt. Bei dem 
ersten Besuche sah Verf. 3 kleine Kratere in der Mulde, deren 1?/,’ grosse 
kreisrunde Oeffnungen mit klarem Salzwasser gefüllt waren, ihr Rand aber 
bestand nur aus durchsichtigen Glaubersalzkrystallen, die Aussenseite des 
Randes schneeweiss von Salzblühten. Diese Kratere zeigen sich nicht alle 
Jahre, nur in nicht zu feuchten. Ein. Bohrversuch ergab: 1’ weissen Mer- 
gel mit Glaubersalzkrystallen und Gyps, 2'/),’ grauen Thon mit kleinen 
Glaubersalzkrystallen, 1/;‘° dunkelgrauen, sehr salzigen stinkenden Thon, 
5’ festes reines Glaubersalz, das wahrscheinlich viel mächtiger ist und 
sich wohl über 310000 Quadratfuss ausbreitet. Um Tiflis giebt es mehre 
grosse Glaubersalzseen, deren Krystalle die Apotheker verwerthen. Jenes 
Glaubersalzlager ist so fest, wie Steinsalz, das Salz selbst ist glasglän- 
zend, ohne krystallinische Bildung, fast durchsichtig, nur stellenweise 
trübe und grau. Die Untersuchung ergab nur 10 Procent thoniger Verun- 
reinigung. — (Riyaer Correspondenzblatt XVIII. S— 13.) 

M. Neumayr, aus der Sette Communi. — Im N. von Vicenza 
liegt als Vorwerk der Alpen in 3000‘ Meereshöhe eine steinige Hochebene, 
die Sette Communi, im W. vom Thal des Astico mit 10007 hohen senk- 
rechten Wänden eingefasst, in O. ven dem ähnlichen Thal der Brenta, in 
N. mit Bergzügen begränzt, im $S, steil gegen den niedrigen Hügelzug der 
Marostica und Bragonzi abfallend.. Die Fläche der Hochebene selbst ist 
wellig von ungemein tiefen jähen Thaleinschnitten durchzogen, die vor- 
treffliche Profile von der Trias bis in die obere Kreide liefern. Die von 
O—W streichenden Schichten bilden ein gewaltiges Gewölbe und eine 
in N. sich anschliessende anticlinale Falte.e Aus den in $. angelager- 
ten eocänen Gebilden und mit ihnen in Verbindung stehenden Basal- 
ten ragt die senone Scaglia auf, höher hinauf folgt der concordant 


54 


unter ihr lagernde Biancone (Neocom), dann der rothe Ammonitenkalk 
und endlich der graue Rozzokalk ; der unter diesem befindliche Hauptdo- 
lomit zeigt sich in O0. des Steilrandes nur in Wasserrissen, während im 
WTheile der Dolomit den ganzen Hang bildet. Am Rande des Plateaus 
biegen sich die grauen Kalke in horizontale Lagerung um und es legen 
sich die erwähnten jüngeren Glieder wieder auf; allmählig tritt NFallen 
ein, während die gegen den NRand der Sette Communi£eintretende anti- 
klinale Schichtenstellung mit SFall wieder den Rozzokalk zum Vorschein 
bringt, der sonst im Plateau, wie der Dolomit, nur in Thalschnitten sicht- 
bar wird. Die in N. sich anreihenden Bergketten bestehen wahrscheinlich 
aus Hauptdolomit. Dieser als ältestes Gestein tritt sehr mächtig auf und 
ist um Pedescala von kleinen Gängen eines schwarzen Eruptivgesteines 
(vielleicht Augitporphyr) durchschwärmt; an Versteinerungen fand N. 
nur Turbo solitarius, eine Natica und eine Koralle. Unmittelbar über 
dem Dolomit beginnt die jurassische Schichtenfolge, bestehend aus grauem 
Rozzokalk und rothen Ammonitenmarmor, arm an Gliederung und wenig 
mächtig. Die tiefe, durch de Ziquo’s Arbeit über die Flora von Rozzo be- 
kannte Abtheilung begreift N. unter dem Namen der grauen Kalke. Sie 
führt Terebratula rozzana und Renieri, Megalodus pumilus, Gervillia Buchi, 
Cypricardia ineurvata und Chemnitzia terebra und ist höchstens 300° mäch- 
tig, während sie im Etschthale 1500° Mächtigkeit hat. Nach zahlreichen 
Profilen im WTheile zerfällt sie in 2 Glieder, deren Gränze die Schicht 
mit Landpflanzen ist. Ueber dem Triasdolomit, geschieden durch roth- 
braune versteinerungsleere Kalke, tritt als erster fossilführender Horizont 
eine Bank rothbraunen Knollenkalkes mit Gervillia Buchi auf, darüber £fol- 
gen gelbe und graue, etwas dolomitische diehte Kalke im Wechsel mit 
weissen Oolithen, danu derselbe dichte Kalk im Wechsel mit Knollenkal- 
ken, ähnlich denen im Niveau der Gervillia Buchi. Darauf folgt das Haupt- 
lager der Landpflanzen, auf diesen einen Horizont beschränkt. Den obern 
Theil bildet ein vielfacher Wechsel von Bänken mit Lithiotis, Terebratula 
rozzana und Renieri, Megalodus pumilus. Jede Bank hat meist nur eine 
oder zwei Arten. Auch haben die meisten Schichten keine namhafte ho- 
rizontale Verbreitung. Trotz dieser Regellosigkeit sind für den WTheil 
der Sette Communi folgende Glieder von unten nach oben festzuhalten: 
Dolomit, @ versteinerungsleerer tiefster Kalk, 5 Schichten mit Gervillia 
Buchi, e Wechsel von dolomitischem Kalk und weissem Oolith, 2 Wechsel 
von dolomitischem Kalk und rothbraunem Knollenkalk, e Pflanzenschicht, 
f untres Molluskenniveau, g Hauptlithiotislager, A oberes Molluskenniveau. 
— Im OTheile der Sette Communi bietet der Einschnitt der Brenta ge- 
waltige Aufschlüsse. Hier erhebt sich über dem Dolomit, durch Uebergänge 
‘ und Wechsellagerung eng verbunden, ein mächtiger weisser Oolith, dem- c 
im westlichen Niveau gleich. In den’ Gränzschichten gegen den Dolomit 
liegt ein grosser breitrippiger Pecten, weiter oben ein kleiner glatter Pec- 
ten, ganz oben folgt grauer Kalk, 30° mächtig und nur mit Pentacriniten. 
Hierüber folgt an manchen Stellen unmittelbar der rothe Ammonitenkalk, 
an andern Stellen, durch eine Bank röthlichgelben Knollenkalkes getrenut, 
der stellenweise linsenförmige, aus Muscheltrümmern gebildete Massen ent- 


55) 


hält. Hier fand Verf. Stephanoceras Brongniarti und rectelobatum, Posi- 
donomya alpina, Terebratula curviconcha und suleifrons, Rhynchonella de- 
flexa und adunca, wonach die Schichten zu den Klausschichten gehören. 
Der rothe Ammonitenkalk zeigt an einigen Orten deutliche Gliederung, so 
am Tanzerloch einen tiefen Horizont, der den Schichten mit Aspidoceras 
acanthicum zu entsprechen scheint. Ueber die sehr mächtig entwickelten 
Kreideschichten des Biancone und der Scaglia, sowie über das kleine Eocän- 
becken von Gallio vermag Verf. nichts Neues beizubringen. — (Verhdlgen 
Geolog. Reichsanstalt Nr. 10. S. 165 — 169.) 

Fr. J. Pick, die letzten Erdbeben, Thermen und Solfa- 
taren auf Milo. — Verf. landete am 13. März bei stürmischem NO im 
Hafen von Milo und zog andern Morgens in der Stadt Kastro Erkundigun- 
gen über die letzten Erdbeben ein. Die Erdstösse dauerten seit Mitte Ja- 
nuar ununterbrochen fort, waren Ende Februars und Anfangs März sehr 
stark und zahlreich, über 20 an einem Tage, oft 3 in einer Stunde; seit 
10 Tagen war Ruhe eingetreten und erst in der Nacht seiner Ankunft 
wurden wieder 3 ziemlich heftige Stösse wahrgenommen. Doch richteten 
auch die stärksten Februarstösse keine Zerstörung au Gebäuden an, nur 
ein 4 breiter Erdriss öffnete sich bei Kastro. Die Richtung der Undula- 
tionsquellen ging von W. nach OÖ. Der Erschütterungskreis war auf Milo 
beschränkt und wurde schon auf den nächsten Inseln gar Nichts verspürt, 
NO. vom Hafenort Scala, in der mässigen Ebene von Adamandas Almiros 
befindet sich eine Solfatara. Der Boden ist hier auf, 80 Klafter Umkreis 
stark schwefelgelb gefärbt, nimmt bei wenigen Fuss Tiefe schon bis 57° R 
an, ist lehmartig feucht und enthält sehr viel Schwefel. Verf. besuchte 
die beiden Thermen an der See und die Solfotaren Calamo und Polyochoro 
wie auch das Schwefelbergwerk Ferlingo. Die erste Therme wird bei un- 
ruhiger See von dieser bespült, hat 38° R bei 7,6 R. Lufttemperatur. Die 
zweite Therme ist eine Art Tümpel, von der See völlig getrennt, hat 240,5 
und enthält Schwefelwasserstoff, Die Solfatara Calamo liegt auf einem 
der höchsten Punkte der südlichen Gebirgskette der Insel, hat höhere Tem- 
peratur als die Adamandos, schon bei 1/ Tiefe 500; an einer Stelle des 
WRandes befindet sich eine natürliche Höhlung mit 58° R. und tiefer hinab 
65°, ihre Wände sind glühend heiss und die Schwefeldünste steigen wie 
aus einem siedenden Kesse! auf, Geruch und Dämpfe sind unerträglich. 
In Polyochoro war die Temperatur bis 5° Tiefe nur 33%. Die Thermen 
des Ferlingo kamen wegen des herrschenden NO nicht zum Vorschein. In 
den Minen des Schwefelbergwerks steht die Temperatur auf 30—32°. Die 
Therme von Castana, gegenüber der Insel Keinilo, hat 63° R. Auch bei 
Protisala, Tramichia, Mandraka, Candaro finden sich Thermen und Solfa- 
taren. Das sehr schlechte Wetter gestattete eine Fahrt nach Santorin nicht, 
doch überzeugte sich P., dass der Georgsvulkan in steter Thätigkeit ist; 
die Dämpfe kommen continuirlich, nicht stossweise hervor und, da ein 
eigentlicher Krater fehlt, von der ganzen massig ausgedehnten Fläche aus- 
gehend. — (Ebda Nr. 8. S. 128 — 130.) 

Fr.Babanek, die Erzführung der Przibramer Sandsteine 
und Schiefer inihrem Verhältniss zu Dislocationen. — Po- 


56 


sepny hat für die Siebenbürger und die alpinen Erzlagerstätten behauptet, 
dass die Erzführung stels an eine gewisse Art von Störungen, an Dislo- 
cationen gebunden ist und dass die Gestalt und Lage der Erzlagerstätten 
vorzüglich von 2 Faetoren abhängt, nämlich von dem Charakter der Dislo- 
cation und von der petrographischen und chemischen Beschaffenheit der 
Gesteine. In Bezug hierauf untersuchte Verf. die Przibamer Lagerstätten. 
Dieselben bewegen sich an den Gränzen gewisser geologischer Zonen, und 
zwar die meisten in der ersten Grauwackensandsteinzone, besonders an der 
Gränze der zweiten Schieferzone. Hier liegen die Hauptbaue, kleinere im 
Schiefer selbst, in der zweiten Grauwackensandsteinzone, und mit der Ent- 
fernung von den Gränzen nimmt der Adel der Gänge ab. Auf den Birken- 
bacher Gängen, auf der Gränze der ersten Grauwackensandsteinzone gegen 
die zweite Schieferzone, bildet silberhaltiger Bleiglanz mit silberhaltiger 
Zinkblende, Siderit und Caleit die Gangfüllung; diese nimmt entfernt 
von der Dislocation ab und macht Siderit mit Caleit und aufgelösten Let- 
ten Platz. In festen Grauwackenquarziten, entfernt von der Schiefergränze, 
erscheint der Erzgang verdrückt und durch eine Caleitschnur ersetzt, eben- 
so beim Durchsetzen der Diorite. Dieselben Beobachtungen bietet die Bo- 
hutiner und Lillgrube, wo gegen die grosse Dislocationsspalte die Leiten- 
kluft zu der Adel sich anhäuft, entfernt von derselben aber abnimmt. 
Grossen Einfluss auf die Erzführung hat die Vertheilung der Gangarten in 
der Gangmasse und die Beschaffenheit derselben. Die Gänge mit einer 
milden oft lettigen Caleit- und Sideritreichen Füllung führen gegen die 
Dislocationsspalte zu in den obern Horizonten den meisten Adel, während 
Gänge mit fester Füllung gegen die Tiefe zu beständigeren Adel haben. 
Besondere Mineralien kommen in den obern Horizonten am reichsten vor, 
da die Veränderungen des Nebengesteines, die chemischen Wirkungen des 
Wassers ihrer Bildung günstiger sind, während in der Tiefe weniger, mehr 
Schwefelverbindungen vorkommen. Ueber die Erzführung der ersten Sand- 
steinzone sind schon wiederholt Untersuchungen publieirt, weniger über 
die der zweiten Schieferzone. Diese ist erst in neuer Zeit angegriffen mit 
einem Hauptschachte im obern Schwarzgrubner Gange. Die Gänge dieser 
Zone wurden lange für selbstständige gehalten, jetzt für Fortsetzungen der 
Birkenberger. Abweichend von den Gängen der ersten Grauwackensand- 
steinzone führen sie neben blos putzenförmigem Bleiglanz vorwaltend Blende 
und Siderit; Silberfahlerz, auf jenen selten, ist hier häufig. Diese zweite 
Zone der Przibramer Schiefer hat 60 Klafter Mächtigkeit, bildet eine Halb- 
einmuldung, deren Schichten NO streichen und in W ziemlich flach ein: 
fallen. An ihrer Gränze gegen die zweite Sandsteinzone treten häufiger 
Diorite auf und an die Lettenkluft, welche dieses Gebirge von der ersten 
Sandsteinzone trennt, reiht sich eine mächtige Partie von schwarzen gra- 
phitischen Schiefern, die leicht zerbröckeln. An diese schliessen sich 
feste Grauwackenschiefer, oft in feinkörnigen Sandstein übergehend und 
die Erzgänge gestaltiger zeigend. Auch treten kleine Einlagerungen von 
Diorit, Kieselschiefer und (Quarzit auf. Das äusserste Glied dieser Zone 
ist ein Grauwackenconglomerat, haselnussgrosse Quarzkörner in thonig- 
schiefrigem Bindemittel. Die Gangstücke in dieser Schieferzone bleiben 


97 


sich auf allen Gängen gleich und sind leicht von denen der ersten Sand- 
steinzone zu unterscheiden. Jene Erzgänge, welche aus der ersten Sand- 
steinzone in die zweite Schieferzone übersetzen, ändern ihr äusseres An- 
sehen theilweise durch andere Anordnung der Gangarten. Neben gross- 
blättrigem silberarmen Bleiglanze tritt unregelmässig geordnet Blende, 
Siderit und Caleit auf, nebst dem Fahlerz, selten gediegen Silber und Rotlı- 
gültig, an besondern Mineralien: Wulfenit, Cerussit,, Erythrin, Pyrit, Löl- 
lingit, Smithsonit, Pyrostibit, Häufig finden sich Bruchstücke schwarzer 
Schiefer in der Gangausfüllung. Die Mineralien in der Gangmasse er- 
scheinen meist ohne bestimmte Anordnung, die Struktur ist verworren; 
der Bleiglanz entweder in schwachen kurzen Schnüren oder eingesprengt 
mit Blende, Siderit und Caleit. Oft erscheint Bleiglanz in mächtigen Put- 
zen, ebenso auch die Blende und der Siderit, der meist Fahlerz zum Be- 
gleiter hat. Die besondern Mineralien treten bei grosser Gangmächtigkeit 
in Drusenräumen auf. Die Mächtigkeit der Gänge wechselt von wenigen 
Linien bis eine Klafter; oft erscheinen sie zertrümmert, zumal in der Nähe 
der Schieferscheidungsklufi beim Durchsetzen der milden graphitischen 
Schiefer. — (Jahrb. Geol. Reichsanst. XXI, 290 — 295.) 

Oryktognosie. A. Kenngott, dieZusammensetzung des 
Epidot. — Die zahlreichen Analysen des Epidot veranlassten K. zur 
Berechnung einer allgemeinen Formel. Nach demselben ist er ein Silikat 
von Kalk- und Thonerde, worin die Thonerde zum Theil durch Eisenoxyd 
vertreten wird und ein gewisser Wassergehalt eigenthümlich ist. In dle- 
sem Sinne erhielt er die Formel Ca0.H,0 + 3(Ca0.Si0O, + A1,0,Si0,). 
Dieselbe folgt aus den Anlysen zunächst der schweizerischen Epidote 1, 
und 2, von der Alpe Lolen, 3. und 4. aus dem Maggiathale, 5. 6. aus dem 
Formazzathale, 7. 8. von Sussenhorn, 9. 10. von Caverdiras, 11. von 
Rothlaue 12. 13. ebendaher und 14, 15. ebendaher nach Scheerer, Stockar, 
Escher und Rammelsberg. 

0, AlO, Fe&0, CaO Mg0 H,O Summa 


1. 39,07 28,90 743 24,30 0,10 0,63 100,48 
21°38,39 28,18 7,56 22,64 Je 2,500 0.,99,37 
Beiss.ısl 27,85. 88:30 1723.48 & 2,04 99,85 
a 37,98% 127,63 ©, 8,23. 23,58 ei 2,04 99,46 
5. 38,35 27,60 8,56 22,94 = 2,41 99,86 
6. 38,21 - 27,45 8,76 22,80 nn 2,41 99,63 
38,22 1 526:62 8,72 23,66 = 2,16 99,88 
gu ass H26.18 8772413 a2 16 99,97 
900377621 27.22 8,67 23,94 m 233 99,78 
10.037,70 227,49 9,12 23,87 u 2,33 100,51 
11. 38,99 25,76 99 22,76 0,61 2,05 100,16 
12° 9837.96, 826.35. 971° @23,77 2 2,02 99,81 
13. 38,13 26,42 9,74 23,30 — 202 99,61 
122 138,52. .,24.61 8,66 2456 0,45 = 96,80 
15. 44,56 23,72 833 2471 a 101,82 


Aus den Analysen 1 -- 13 folgt die Formel Ca0.H,0 +3(Ca0.Si0,+Rz0;. 
Si0,) worin R,0, vorherrschend Thonerde ausdrückt, neben dem Eisen- 


58 


oxyd stellvertretend erscheint und zwar im Mittel 5Al,0,1Fe,0,. Hieraus 
ergiebt sich als Mittel 38,31 Kieselsäure, 27,41 Thonerde, 8,52 Eisenoxyd, 
23,84 Kalkerde und 1,92 Wasser, Eine zweite Reihe von Analysen durch 
Collet Decostier 16, Kühn 17, Hermann 18.19, Rarnmelsberg 20, Bär 21, 
Stockar Escher 22. 23 betreffen den Epidot von Bourg d’Oisans im Dau- 
phine : 

SiO, Al,0, Fe,0, CaO Mg0 H,0 Summa 


16... 37,0 27,0 17,0 14,0 — es 96,5 

17.3983. 121.68 me.6E 022,5 0,30 = 100,52 
1840.037.00.% 85708 13,37.00021.19 1,10 1,68 99,36 
19. 38,60 2057 15,06 21,93 = 2,08 100,44 
20: 38,370.2 ,21:137%116,85. 423,58 0,17 en 100,10 
21. mu37,78 1. 721,25. 115,970. % 23,46 0,60 ie 99,47 
22.137,33... 2227% 015,72. %. 22,50 ._ 2,35 100,17 
230 113736. 1.121,78. 2 15,62% 0.2259 & 2,35 99,70 
24. 37,56 20,78 16,49 : 22,70 0,29 2,09 99,91 


Mit Ansnahme der Analyse 16. führen dieselben auf 6Si0, 3R,0, und 
4CaO und die Berechnung der Formel auf 37,19 Kieselsäure, 21,18 Thon- 
erde, 16,53 Eisenoxyd, 23,14 Kalkerde und 1,86 Wasser, Diesem steht 
nahe der Epidot von Traversella, den Rammelsberg 25. 26, Scheerer 27 
und Hermann 28 analysirten: 

25. 37,51 21,76 12,52 21,26 0,60 2,68 99,92 
26. 38,34 20,61 9,23 25,01 0,43 2,82 98,65 
27. 37,65 20,64 16,50 22,32 0,46 2,06 100,13 
28. 40,08 16,81 15,93 19,11 4,97 1,20 99,54 
Wie in den vorigen haben wir auch hier das Eisenoxydul unbeachtet ge- 
lassen und weichen hier 26 und 28 erheblich ven der obigen Formel ab, 
wofür ein Grund in den Analysen selbst nicht aufzufinden und neue Ana- 
Iysen nothwendig sind. Der Epidot von Arendal wurde analysirt und von 
Vauquelin 29, von Geffken 30, von Kühn 31, von Rammelsberg 32. 33, 
von Hermann 34. 35, von Scheerer 36, von Richter 37, vom Rath 38: 


29. 37,0 21,0 24,0 15,0 = — 98,5 

30. 36,14. 22,94 14,29 22,86 2,38 — 100,03 
31003616820 121,72: 2.16,12.206.23,07. 5.053 — 98,72 
32 37X9810,.20,78 17,24 23,796 1.11 — 100,85 
33. 38,76 20,36 16,355 23,71 0% 2,00 101,62 
SU 373208. 22,85. 11,56 0422,03 0.074, 2,93 99,32 
SEM 3679000 21,24. 12,9600..21.27 — 2,86 100,32 
300 02759102073 16,57. 122.690 041 2,11 100,05 
Sa ı38184 225,45. 110,88. 01.22,62 nn 2,41 100,20 
3200137292 019,21 15,55. ..321630.00,25 2,51 98,74 


Wird Vauquelins Analyse 29 nicht beachtet und wiederum das hier nicht 
angegebene Eisen- oder Manganoxydul zur Thonerde, die Magnesia zur 
Kalkerde gerechnet: so erhält man 3R,0, und 4CaO auf 6Si0, und im 
Mittel 2Al,0,1Fe,0, wie im Epidot von Bourg d’Oisans. — Die uralischen 
Epidote von Achmatowsk analisirten Hermann 39, 40. 41, Rammelsberg 


59 | 


42, Hermann 43 und 44 die von Burawa, derselbe den Puschkinit 45 und 
Wagner 46: 

39. 40,27 20,08 14,22 21,52 0,54 0,16 99,26 
40. 837,62 18,45 12,32 24,76 0,39 2,20 98,85 


A. 36,45 24,92 9,54 22,45 — 3,50 100,11 
Ba 5 21.05. 11,41, ,22,38 1,15 2,67 100,00 
a3. 3747... 24,09. 10,60. 22,19 — 1,24 98,40 
AA. 36,87 18,18. 14,20 21,45 0,40 1,56 97,29 
A 37arn 18,64... 14,15, 22,06 = 1,44 98,60 
Rom 38:88, .18:85,.11 16,34 ,...16,00 6,10 = 98,50 


Das in diesen Analysen wieder nicht aufgeführte, aber wie bei vorigen in 
den Summen eingerechnete Eisenoxydul beträgt bis 4,60, das Natron bis 
2,28, das Manganoxyd 0,26, das Lithion 0,46. Diese Analysen wie die 
vorigen umgerechnet stimmen weniger gut mit der aufgestellten Formel 
überein, doch weichen 41—44 wenig von 3R,0, ab, während in 39 sich 
2,68R,0, zu 3,57 CaO wie 3:4 verhalten, nur dass dann der Kieselsäurege- 
halt über 6 liegt. Der Puschkinit mit seinem hohen Natrongehalt in Analyse 
45 und seinem hohen Magnesiagehalt in 46 constatirt nicht die Formel 
des Epidot, istaber auch noch nicht genügend erforscht, um als selbstän- 
dige Species zu gelten. Andere noch vorhandene Analysen tragen wenig 
zur Feststellung der Epidotformel bei. So analysirte Hermann einen mit, 
Magnetit vorkommenden Epidot 47 von Sillbhöhle bei Helsingfors mit 39,67 
Kieselsäure, 18,55 Thonerde, 14,31 Eisenoxyd, 3,25 Eisenoxydul, 20,53 
Kalkerde, 1,62 Magnesia 0,52 Natron, 1,23 Wasser, dessen Umrechnung 
auf die obige Formel hinweist. Rammelsberg fand in "einem Epidot 48 
von Hasserode am Harz 37,94 Kieselsäure, 21,00 Thonerde, 12,64 Eisen- 
oxyd, 2,98 Eisenoxydul, 23,45 Kalkerde, 0,91 Magnesia und 1,60 Wasser, 
welche Zahlen 6Si0,, 2,88 R,0,, 4,38 CaO und 0,84 H,O ergeben, und 
würde die Abweichung ven den frühern Zahlen schwinden, wenn der 
Magnesiagehalt auf beigemengten Amphibol bezogen wird. Aehnlich ver- 
hält sich der Epidot 49 von Auerbach im Odenwald nach Wandel mit 
41,59 Kieselsäure, 22,04 Thonerde, 16,04 Eisenoxyd, 18,68 Kalkerde und 
3,21 Magnesia, deren Berechnung ergiebt 6,93 SiO,, 2,14 Al,O,, 1,00 F&,0,, 
3,34 CaO und 0,80 MgO oder 6Si0,, 2,72 Al,0,; mit Einschluss des Eisen- 
oxydes und 3,59 CaO mit Mg0. Kühns Epidot 50 von Penig enthält 38,69 
Kieselsäure, 21,98 Thonerde, 17,42 Eisenoxyd, 21,95 Kalkerde, 0,27 Mag- 
nesia, welche Zahlen mit den Verhältnissen des Epidot von Bourg d’Oisans 
und Arendal stimmen. Die noch übrigen 5 Analysen des Epidot von St. 
Jean, von Allemont im Dauphine, von Quenast in Belgien und von Jakobs- 
berg in Schweden zeigen sehr abweichende Verhältnisse, können aber die 
gewonnene Formel nicht zweifelhaft machen. — (Neues Jahrb. Mineral. 
etc. 1871. S. 449 — 459.) 

Fr. Hessenberg, über Anhydrit. — Verf. wählt für seine um- 
fassenden krystallographischen Untersuchungen die Grailich’sche und Lang- 
sehe Aufsiellung der Anhydritkrystalle nach der optischen Orientirung. 
Da die Elastieitälsachsen mit den morphologischen Achsen in der Rang- 
ordnung nach ihrer Grösse zusammenfallen, so wird zur verticalen Haupt- 


60 


achse die grösste Krystallachse zugleich die grösste Elastieitätsachse, zur 
kleinsten Krystallachse (Brachydiagonale) zugleich die kleinste Elasticitäts- 
achse, zur mittlen Elastieitätsachse dia Makrodiagonale. Demnach ent- 
spricht die erste Spaltungsrichtung der Basis, die zweite dem Brachypi- 
nakoid, die dritte dem Makropinakoid.. Zur Vergleichung der Grailich- 
Ben enheraschen Aufstellung des Anhydrits mit der Naumannschen dienen 
HOP = NoP& HoPs —= NOP, H.P5 = NoPz; HP = NaoP, 
HL =. Nbgsb=B, H2P2 — N2 P2 und H3P3 — N3P3. Hes- 
senberg beleuchtet die oft mit einander verwechselten drei Spaltungsrich- 
tungen. Erhitzt man einen Krystall oder ein Spaltstück in einem Glasröhr- 
chen, so wird der erste Blätterbruch alsbald deutlich perlmutterglänzend, 
während die beiden andern sich gar nicht ändern. Dieses Kennzeichen 
ist ganz untrüglich bei allen sedimentären Formationen, den Salzlagern 
entstammenden Anhydriten. Aber abweichend verhalten sich die Anhydrit- 
krystalle von der Insel Santorin. Dieselben verändern sich beim Erhitzen 
gar nicht und da sie mit allem äusserlichen Anschein eines freien Subli- 
mationsproduktes in Einschlüssen des neuen Lavastromes der Aphroessa 
vorkommen und also schon einmal erhitzt gewesen waren, ohne in dessen 
Folge den Perlmutterglanz auf ihren Durchgängen zu zeigen, so kann der- 
selbe auch nicht bei den künstlichen Nacherhitzungen erzeugt werden, 
und muss man schliessen, dass diese Krystalle auf anderm Wege entstan- 
den sind als die hydrogenen Anhydrite der Salzgebirge. Zur viel schwie- 
rigern Unterscheidung der Spaltrichtungen nach Brachy - und Makropina- 
koid giebt H. eine Methode an. Man spaltet ein recht dünnes Plättchen 
von quadratischem Umriss nach der ersten basischen Spaltrichtung los, 
bemerkt sich genau dessen Lage zum Krystall, legt es auf eine ebene Un- 
terlage und drückt mit einer Nadelspitze auf die Mitte, dann spaltet der 
zweite Blätterbruch (Brachypinakoid) fast immer leichter als der dritte. — 
Im Einzelnen bespricht Verf. die Krystalle von Aussee mit drei Pyrami- 
den. Die Krystalle von Berchtesgaden dicktafelförmig, mit vorwaltenden 
basischen und brachydiagonalen Flächen, zahlreichen Makrodomen, zeigen 
die Combination OP. „Px.P . «Po - Po - 2P ar. sb ca. Isbaı: jalcn 
.1/,PS. Die Krystalle von Santorin, äusserlich sehr unvollkommen ausge- 
bildet, lassen sich doch leicht nach ihren drei Richtungen platt spal- 
ten und als Zwillinge neuer Art erkennen. Zwillingsebene ist 1,P%, die 
zu diesem Brachydoma normale Zwillingsachse ist parallel dem Makropi- 
nakoid. Zwillingsebene 1,P&%:0OP = 153025’. Die Berechnung der Ach- 
senverhältnisse ergab Hauptachse: Makrodiagonale: Brachydiagonale = 
1:0,99920:0,892534. Für die Grundform P berechnen sieh: Brachydiago- 
nale Endkanten: 112°38’24, Makrodiagonale 103014’48, Seitenkanten 112° 
42/2. Die Krystalle von Stassfurt zeigen einen zweifachen Typus, die 
sehr kleinen von weisser Farbe die Combination von PS.mP%, für Po : 
Endkanten — 83030, Seitenkanten = 96%30°, die andern von 3/,‘‘ Länge 
und bläulichrosenrother Farbe haben die Combination 1,Po .Po -mP 
Zum Schluss giebt Verf. die Zusammenstellung der Flächen und Winkel 
der Anhydritkrystalle, die einen Auszug nicht gestattet. — (Abhandl. 
Senkenb. Mus. Frankfurt VII.) 


61 


G. vom Rath, neues Vorkommen von Babingtonit bei 
Herbornseelbach im Nassauischen, — Strahlig gruppirte schwarze 
Krystalle, gewissen Abänderungen der Hornblende nieht unähnlich, auf 
Eisenkiesel aufgewachsen, zeigen folgende Flächen a— „PS, b= „P5; 
eo WBd Anz — Bin, s— Pu here ny2, EL ibn: 
Von diesen Flächen wurden o und s zuerst von Daubre am Babingtonit 
von Arendal, f von G. vom Rath an Krystallen von Borneo beobachtet. 
Stets herrschen die Flächen b, c, d oder sie treten bisweilen allein auf, 
sind parallel ihren Kanten, mit a gestreift, desgleichen g, h, f, während a, 
0, S eben. Das spiessige Ende der Krystalle krümmt steh oft hakenförmig, 
Spaltbar deutlich nach dem Makropinakoid und der Basis. Das spec. Gew. 
3,355 stimmt genau mit dem Arendaler. Die schwarze Farbe zieht zuwei- 
len ins Grünliche, Die strahligen Massen dieses nassauischen Vorkommens 
ähneln so sehr gewissen Abänderungen der Hornblende, dass die Vermu- 
thung nahe liegt, manche strahlige Partien auf Contactlagerstätten, die für 
Hornblende gehalten werden, seien wirklicher Babingtonit. Die Krystalle 
sind meist so aufgewachsen, dass man nur eine keilförmige Spitze 
sieht. Die gemessenen Winkel stimmen sehr nahe mit denen der Aren- 
daler Krystalle überein nämlich b:c=87022°, b:d=81°6, e:s=137! 
und ec:o=135°%. Der nassauische Babingtonit wird begleitet von Quarz, 
Kalkspath und Beudantit, zuweilen auch von 1lvait und findet sich aufge- 
wachsen in Drusen eines sehr quarzigen Eisensteines, der mit einem me- 
laphyrähnlichen Grünstein verbunden ist. — (Poggendorffs Annalen Er- 
gänzsbd. V. 420 — 424.) 

Derselbe, über den nassauischeu Ilvait. — Derselbe findet 
sich in der 2!/, Stunden langen SW —-NO streichenden Contactzone zwi- 
schen Culmschiefer und Melaphyrlagerungen, welche sich von Herborn im 
Dillthal gegen SW bis Roth und in NO gegen Herbornseelbach erstreckt. 
Als Contactgebilde erscheint eine 1), —1'/,‘ mächtige derbe schwarze Masse, 
die hauptsächlich Mangankiesel und derber Ilvait ist. Letzter nun findet 
an vielen Punkten der Strecke besonders bei Kalbach, Dollenberg, Gaul- 
stein, Neuenhaus, Bieken u. a. O0. Die Flächenreihe gut ausgebildeter 
Krystalle zeigen die Combination „P.o P2.oP2. „P&. «PS .P.PS. 
Der Contaktpunkt, welcher den Babingtonit lieferte, liegt nahe dem Haupt- 
fundorte des Ilvait bei Herbornseelbach, gehört aber einer zweiten, ganz 
in Melaphyr eingekitteten Culmfalte an. Unverkennbar ist die Analogie 
zwischen der Nassauischen Ilvaitlagerstätte und der von Campiglia in der 
Maremma sowie von Rio auf Elba. Während an diesen Orten das Eisen- 
silicat von strahligem Augit begleitet wird, spielt im Nassauischen strah- 
lig gruppirter Babingtonit dieselbe Rolle. — (Edda 424 - 427.) 

L. Raab, über den Baryt- und Mangangehalt einiger 
Mineralien (Inauguraldiss. München 1870.) — In 50 untersuchten Mi- 
neralien ist kein Baryt enthalten und fehlt derselbe als Bestandtheil in 
den meisten Silicaten. Im Stilbit von Island wurde derselbe gefunden. 
Die ältern Angaben von2— 11 Baryt in den Feldspäthen beruhen auf Unvoll: 
kommenheit der analytischen Untersuchung. Verf.’s Methode vom Nach- 
weis des Mangans ist sicher bis auf weniger als ein Procent. Das Fluor 


62 


geht mit dem Eisen eine flüchtige Verbindung ein, daher diese Methode 
zur Manganbestimmung geeignet erscheint, für die Bestimmung des Eisens 
und der Kieselsäure aber fehlerhaft wird. Vier untersuchte Chromite ent- 
halten sämmtlich Mangan, dessen Gehalt in dem sibirischen und norwe- 
gischen, gegenüber dem uralischen und texanischen, in vorwiegender Menge 
erscheint. Der Mangangehalt von 5 untersuchten Magnetiten beträgt 1,08 
—1,53 Procent. — (Neues Jahrb. Mineral. 1871. S. 518.) 

H. Wieser, Aualyse des Kieserits vom Hallstätter Salz- 
berge. — Derselbe ist gelb, auf den Bruchflächen deutlich krystallinisch, 
von 2,5645 spec. Gew. und besteht aus 57,87 Schwefelsäure, 28,89 Ma- 
gnesia, 13,24 Wasser, 0,05 Eisenoxydul, 0,06 Chlor, 0,05 Natron und Spu- 
ren von organischer Substanz. — (Verhandlgen Geol. Reichsanst. no.8. 
S. 130.) 

M.v.Lill, Ullmannit vomRinkenbergein Kärnten, — Das 
Mineral ist in einer aus talkigem Thonschiefer und krystallinischem Dolo- 
mit bestehenden Gesteinsmasse eingewachsen, hat ausgezeichnete hexae- 
drische Theilbarkeit, 6,63 spec. Gew., zumeist weisse und stahlgraue Farbe 
und besteht aus 15,28 Schwefel, 56,07 Antimon, 0,94 Arsen, und 27,50 
Nickel mit geringen Spuren Kobalt. Diese Zahlen stimmen mit der For- 
mel für den Ullmannit NigS,Sb, nur ist ein geringer Theil des Antimons 
durch Arsen vertreten. Das Mineral ist in Kärnten wiederholt beobachtet, 
zuerst im Lölling-Hüttenberger Erzberge, dann in Waldenstein und mit 
dem hier besprochenen an der Drau im Bezirk Bleiberg. — (Ebda 131.) 

C. Zincken, Astrakanit von Stassfurth. — Die Zahl der in- 
teressanten Fossilien des Stassfurther Steinsalzlagers hat wiederum sich 
vermehrt. Vor etwa 3 Monaten beobachtete Borchers, dass unter dem 
Kainit, welcher auf dem nördlichen Flügel des Grubenbaues im Anhalti- 
schen Leopoldschacht bergmännisch gewonnen wird, diesem Fossile ähn- 
liche Salzstücke sich fanden, welche mit einer weissen Kruste weit schnel- 
ler sich überzogen, als solches bei jenem der Fall zu sein pflegt. Bei nä- 
herer Untersuchung der Gewinnungspunkte zeigte sich, dass die (wie die 
andern Schichten) geneigte Kainitschicht, — bekanntlich von unreinem 
Steinsalz und hangendem Salzthon bedeckt und von der Carnallitschicht 
unterteuft, — am unteren Ausgehenden (oberhalb der 114 Lachterstrecke), 
an welchem die Mächtigkeit von 6 Lachter auf wenige Fuss sich vermin- 
dert, auf etwa 3 Lachter Länge und Breite durch Partien von Astrakanit 
ersetzt war. Dieser trat hier in einer etwa 6 Zoll starken Schicht und 
ausserdem im liegenden Carnallit und zwar in 1,—2 Zoll dieken Schmit- 
zen auf, welche auf eine Region von etwa 1 Fuss Mächtigkeit sich be- 
schränken. In einer etwa auf 2 Quadratfuss sich ausdehnenden kluftarti- 
gen Druse im derben Astrakanit fanden sich ausgezeichnete helle, glän- 
zende Krystalle mit vielen Flächen des in monoklinischer Form krystalli- 
sirenden Salzes, welche auf einer krystallinischen Schicht von bis 0,03 
Meter Stärke aufsassen. Der letztere umschliessende derbe Astrakanit bil- 
det eine dichte, graugrüne, mehr oder weniger durchscheinende, dem Kai- 
nit z. Th. sehr ähnliche Masse. Das spec. Gew. des krystallisirten Astra- 
kanits ist —2,223, die Härte —=3,5. Die chemische Analyse, ausgeführt 


63 


durch L. Lössner, ergab: 42,49 schwefelsaure Magnesia, 35,94 schwefelsau- 
res Natron, 21,44 schwefelsaures Wassser, nämlich 21,44 Wasser, 18,50 
Natron, 11,96 Magnesia, 47,97 Schwefelsäure, entsprechend der bekannten 
Formel NaSO, + MgSO, + 4HO. nach welcher berechnet werden: 21,581 
Wasser, 18,563 Natron, 11,976 Magnesia, 47,904 Schwefelsäure. Nas Vor- 
kommen des Astrakanits von Stassfurth zeichnet sich vor den bisher be- 
kannten von Ischel (Blödit), Astrakan und Mendoza dadurch aus, dass nicht 
nur krystallinische Massen, wie an diesen Orten.angetroffen wurden, sondern 
dass es auch vollkommen schöne Krystalle lieferte; eine genaue Untersu- 
chung und Messung derselben erscheint als eine dankbare Arbeit, — 
(Berg.-Hüttenm. Zeitg. XXX, Nr. 31. p. 267.) 

Palaeontologie. E. W. Binney, Observations on the 
structure of fossil plants. Pt. II. Lepidostrobus and some allied 
cones. London 1871. 4%. — Verf. giebt zunächst eine Geschichte der Gat- 
tung Lepidostrobus und Flemmingites nebst Bemerkungen über deren ver- 
wandtschaftliches Verhältniss zu Lepidodendron, Sigillaria etc., verbreitet 
sich alsdann über die Makro- und Mikrosporen und beschreibt mit Bezug- 
nahme auf die angehängten Tafeln sehr eingehend die Exemplare von Le_ 
pidodendron Harcourti und vasculare, Lepidostrobus Russellanus, L. du- 
bius, L. tenuis, L, levidensis, L. Hibbertanus, L. ambiguus, L. Wünscha- 
nus, L. latus, Bowmanites cambrensis. — Palaeontogr. Society 1871. 
XXIV.) 

Th.Wright, Monograph of the british fossil Echinoder- 
mata from the cretaceous formations I. 4. London 1871. 4%. — 
Die in unserm Junihefte gegebene Anzeige der Diademadae setzen wir 
hier fort mit Aufzählung der in der vorliegenden Lieferung beschriebenen 
Arten: Cyphosoma magnificum Ag (C. sulcatum Ag, C. Middeltoni Woodw), 
C. Wetherelli Forb, C. spatuliferum Forb, C. radiatum Sor (C. simplex 
Forb, Phymosoma Heberti Des, C. perfeetum Cott).. Dann wendet sich 
Verf. zur Familie der Salenidae, charakterisirt dieselbe im allgemeinen, 
gliedert sie in solche tuberculis perforatis et disco apicali parvo, wohin 
Acrosalenia und Pseudosalenia und in solche tuberculis imperforatis et 
disco apicali magno, wohin Peltastes, Goniophorus und Salenia. Die Be- 
schreibung der Arten erstreckt sich hier nur auf Peltastes Wrighti Des 
(Salenia punctata Forb), P. stellatus (Salenia areolata, S. stellatus Ag, 
P. punetata Ag), P. Lardyi Des (Salenia acupieta Des), P. clathratus Ag 
(Salenia umbrella und ornata Ag), P. umbrella Ag (Salenia clathrata 
Woodw), P. Bunburgi Forb. — (Ebda 1871. XXIV.) 

Th. Davidson, Monograph of the british fossil Brachio- 
poda. Pt. VII. the silurian Brachiopoda Nr. 4. — Mit dieser Lieferung 
erhält die umfangreiche Monographie der Brachiopoden, welche allen wei- 
teren Untersuchungen über diese Molluskengruppe zur sichern Grundlage 
und zum Muster dienen wird, ihren Abschluss und sind ihr denn auch 
die Speecialtitel für alle 7 Bände beigegeben, so dass dieselben nunmehr 
für sich gebunden und in dieser Form bequemer als in der langen Reihe 
der Palaeontographical Bände zerstreut, benutzt werden können. Zur Ver- 
vollständigung unserer Referate zählen wir hier noch die in dieser letzten 


64 


Lieferung behandelten silurischen Arten auf: Orthis porcata MC (0. gran- 
dis Portl, O. inflata Salt, O. Carlegi Hall, O. anthicostiensis Shal), O. 
Actoniac Swb, OÖ. Luvisi, O. simplex MC, O. Salteri, ©. crispa MC, 0. 
unguis Swb, 0. protensa Swb (0. lata Phill), O. turgida MC, O. sagitti- 
fera MC, O0. hirmatensis MC, O0. sarmentosa MC, O0. aequivalvis, O. alter- 
nata Swb, O. confinis Salt, O. patera, O.biforata (Terebratula Iynx Eichw, 
Porambonites dentatus und brevis Pand, Delthyris brachynota Hall, Spiri- 
fer Sheppardi Casteln, Spirifer tridens, Iynx und terebratuliformis MC), 
O. insularis Eichw (O. galea MC), O.spiriferoides MC, O. tricenaria Cour — 
Orthisina ascendens Buch (Pronites ascendens, plana, rotunda, convexa, 
alta, praeceps, tetragona, lata und excelsa Pand) — Strophomena rhom- 
boidalis Wilk (Producta depressa Sowb, Pr. rugosa His, Leptaena tenui- 
striata Sowb, Strophomena undulata Vanux, Productus Twamleyidav). Sır. 
ungula MC, Str. imbrex Pand (Plectambonites triangularis und inversa 
Pand), Str. euglypha His, Str. Walmstedti Lindstr, Str. funieulata MC, 
Str. Dayi, Str. deltoidea Conr (Leptagonia plicolis MC, Leptaena semiova- 
lis MC, Orthis sublaevls MC), Str. Jukesi, Str. arenacea Salt, Str. simu- 
lans MC, Str. retroflexa Salt, Str. antiquata Swb (Leptaena Lewisi Dav, 
Orthis scabrosa Dav), Str. corrugatella (Orthis corrugata Portl, O. undu- 
lata MC), Str. Holli, Str. siluriana, Str. pecten (Anomia peeten L, Orthis 
minuta Hasw), Str. Orbignyi, Str. filosa Swb, Str. applanata Salt, Str. or- 
natella Salt, Str. Waltoni, Str. Hendersoni, Str. grandis Swb, Str. ex- 
pansa Swb (Str. rugifera Portl), Str. compressa Swb, Str. Fletsheri. — 
Leptaena transversalis (L. duplicata Swb, L. Duvali Dav), L. segmentum 
Ang, L. quinquecostata MC, L. sericea Swb, L. seissa Salt, L. tenuieincta 
MC (L. aenigma Vern), L. laevigata Swb (L, lepisma Phill), L. tenuissime 
striata MC. — Chonetes striatella Dalm (Leptaena lata Buch, Profiuctus 
sarcinulatus Buch, L. vieinula Casteln), Ch. lepissma Swb, Ch. minima 
Sw (L. Grayi Duv). Im Anhang werden beschrieben: Lingulella ferrugi- 
ginea Salt, Lingua petalon Hicks, Obolella sagittalis Salt, O. Belli, O. ma- 
culata Hick, Obolus plumbeus Salt, Kutorgina eingulata Bill (Obolella Phil- 
lipsi Dav), Acrotreta Nicholsoni Dav, Discina corona Salt, D. pileolus 
Hick. — Den Schluss bildet eine geognostische Verbreitungstabelle sämmt- 
licher in England vorkommenden Silurarten und ein sehr nothwendiger 
Generalindex für alle 7 Theile dieser Brachiopoden-Monographie, die 
ebenso sehr den Zoologen, wie den Palaeontologen und Geognosten inte- 
ressirt. — 

S. V. Wood, Monograph of the eocene Mollusca. Pt. DI. 
Bivalvia. London 1871. 4%. — Diese Fortsetzung beginnt mit der Cha- 
rakteristik einer eigenthümlichen Gattung Verticordia, welche Woodward 
und Deshayes zu den Trigonien stellten, aber sie hat ein ossieulum und 
ist zugleich integropalleat, daher Verf. sie zum Typus einer eigenen Fa- 
milie Verticordidae macht. Ihre 4 eocänen Arten sind selten: V. formosa, 
obliquata, suleata (Isocardia sulcata Swb), propinqua. — Von den andern 
hier behandelten Gattungen führen wir nur die als neu charakterisirten 
auf, nämlich Cardita alticosta, C. erebrisulcata, Ü. obovata, C. simplex, 
C. corpusculum, Astarte clarendonensis, A. modicilla, Crassatella bartonen- 


65 


sis, Cr. corbuloides, Cr. pumilio, Cr. Sowerbyi, Cr. subquadrata, Cr. te- 
nuisulcata, Chama selseyensis, Ch. prisca. Damit haben die Bivalven ihren 
Abschluss gefunden. — (Palaeontogr. Society 1871. XXIV.) 

R. Owen, Monograph of the fossil ofthe mesozoic for- 
mations. London 1871. 4% 4 pll. — Die Säugethiere der secundären 
Formationen sind für die Theorie von der allgemeinen geologischen Ent- 
wicklung des thierischen Organismus von der höchsten Bedeutung und ihre 
dürftigen Ueberreste sind in vorliegender Monographie von dem gründlich- 
sten Anatomen untersucht und nach ihren verwandtschaftlichen Beziehun- 
gen beleuchtet worden. Die Zahl derselben ist, nachdem lange Zeit hin- 
durch die Stonesfielder Unterkiefer die einzigen vielfach missdeuteten wa- 
ren, in den letzten Jahrzehnten beträchtlich vermehrt, so dass Verf. schon 
31 Species uns vorführen kann. Er behandelt sie in geologischer Reihen- 
folge und beginnt mit Microlestes, 3 triasischen Arten, dann folgen die alt- 
bekannten unteroolitischen Amphiterium 2, Phascolotherium 1 und Stereo- 
gnathus 1 Art, die zahlreichen der Purbeckschichten, welche auf 11 Gat- 
tungen vertheilt werden. Die Gattung Microlestes wurde bekanntlich von 
Plieninger für eine Art aus der Gränzbreceie des Keupers bei Degerloch 
errichtet, und vergleicht Owen diese Zähne mit dem neuholländischen Myr- 
mecobius. Im gleichaltrigen Kalk von Holwell in Somersetshire kommen in 
Grösse und Form sehr ähnliche Zähne vor, für welche 0. den Namen Mi- 
cerolestes Moorei einführt, wie für einen zweiwurzligen Backzahn aus dem 
Mergel von Watchet in derselben Grafschaft den Namen M. rhaeticus. 
Beide Arten werden sehr eingehend verglichen mit Myrmecobius, Hypsi- 
prymnus und Plagiaulax und ergeben sich als von einem insectivoren Beu- 
telthiere, der nächsten Verwandtschaft mit Myrmecobius abstammend. Am- 
phitherium Prevosti und A. Broderipi und Phascolotherium Bucklandi sind 
die bekannten Arten. Dazu kömmt nun noch ein Kiefer mit 3 Zähnen als 
vierte Art des Stonesfielder Oolith: Stereognathus oolithieus. Die Zähne 
unterscheiden sich von allen bekannten erheblich und erinnern zunächst 
an Pliolophus und Hyracotherium aus dem Londonthone, sie scheinen von 
einem winzig kleinen omnivoren Hufthiere herzurühren, bei dieser Gele- 
genheit bespricht Owen auch den von Emmons im Chatam Kohlenfeld in 
Nord-Carolina entdeckten Unterkiefer mit 3 Schneide-, 1 Eck- und 10 Back- 
zähnen, das Dromatherium sylvestre, und erklärt das Thier für ein insek- 
tenfressendes Beutelthier, die Lagerstätte desselben für unteroolithisch oder 
der deutschen Lettenkohle gleichaltrig. In demselben Lager kommen auch 
theeodonte Saurier vor. — Die Säugetliiere liefernden Sehichten der Insel 
Purbeck an der Küste von Dorset liegen zwischen Oberoolith uud Weal- 
den und sind von Webster, Buckland und Fitton In geognostischer und 
paläontologischer Hinsicht befriedigend untersucht worden. Aus ihnen 
führt uns Verf. folgende Säugethiere vor: Spalacotherium trieuspideus 
nach zwei Unterkieferästen mit einsitzenden Zähnen, die zunächst an den 
Goldmull, Chrysochloris, erinnern, bei weiterer Vergleichung doch auch 
entschiedene Beziehungen zu Amphiterium und den lebenden Thylacrinus 
und Sarcophilus bieten. Die andere Art, Sp. minus, beruht auf dem lin- 
ken Unterkieferaste, der bedeutend kleiner ist als bei voriger Art. Amblo- 

Zeitschr. f. d. ges. Naturwiss. Bd. XXXVIII, 1871. h) 


66 


therinm hat unten die Zahl der wahren Malılzähne von Amplitherium, oben 
die von Peralestes, aber 4 Schneidezähne jederseits, die beiden hintern 
Prämolaren haben grössere Kronen als die nächst folgenden Molaren. A. 
sorieinum, rechter Kieferast mit 4.1.46 und vielleicht sorgar 7 ächten 
Backzähnen, in den Formen Amphitherium und Myrmecobius zunächst ver- 
wandt. A. mustelula, auf einen rechten Unterkieferast begründet, kleiner 
als vorige. Peralestes unterscheidet sich von Spalacotherium durch auf- 
fälligere Verschiedenheit zwischen Prämolaren und Molaren. P.longirost- 
ris in der Form der obern Mahlzähne, Sarcophilus zunächststehend. Eine 
zweite Art lässt Verf. fraglich. Achyrodon, nach 4 Kieferstücken mit drei- 
spitzigen Zähnen, deren äusserer Zacken sehr schlank und scharf ist, A. 
nanus, rechter Kieferast mit 8 Molaren und 2 Prämolaren und den Alveo- 
len noch 2 Prämolaren, deren Kronen höher als die der nächsten ächten 
Backzähne sind, hauptsächlich durch das Grössenverhältniss der Zacken 
von Amblotherium verschieden. A. pusillus, nach einer hintern Hälfte 
eines Unterkieferastes mit noch 4 Mahlzähnen. Peraspalax talpoides nach 
einem Kieferaste mit 7 Molaren und 4 Prämolaren, denen von Didelphys 
ähnlich. Peramus mit stark an G:össe nach hinten abnehmenden Mahl- 
zähnen. P. tenuirostris mit auffallend langem und schlanken Kieferaste. 
Stylodon nach dem Fragmente eines linken Kieferastes. St. pusillus, au 
Chrysochloris und Spalacotherium erinnernd, mit 4.1.47 Zähnen im 
Unterkiefer. St. robustus mit stärkerem Kiefer als vorige Art. Leptocla- 
dius dubius, nach einem Kieferaste mit 9 Backz., dem Eck- und 2 
Schneidezähnen, alle durch Lücken von einander getrennt. Bolodon grün- 
det sich auf obre Backzähne, die sich nicht mit den untern der vorigen 
Gattungen vereinigen lassen. Sie gehören der einzigen Art B. cerassidens. 
Triconodon mordax, ungemein scharfe dreizackige Backzähne, an welchen 
der mittle Zacken die beiden andern nur sehr wenig überragt. Tr. ferox, 
Tr. oceisor, Tr. major und vielleicht noch andere Arten, die näher zu 
unterscheiden die fragmentäre Beschaffenheit der Reste nicht gestattet. 
Triacanthodon serrula, in den Zahnformen Thylaerinus nah verwandt. Pla- 
giaulax minor, ein rechter Kieferast mit einsitzendem Schneidezahn, 4 Prae- 
molaren und 2 Molaren. PI. Becklesi, hinteres Fragment eines rechten 
Kieferastes mit ungewöhnlich starkem Condylus, lamellenartigen Praemo- 
laren. Ferner Pt. Faleoneri und Pl. medius. Die Gatiung hat im Unter- 
kiefer 1.0.(4—3) +2 Zähne und gehört zu den pflanzenfressenden Beu- 
telthieren. Alle diese secundären Säugethiere gehören also zu den Mar- 
supialien, die Verf,, weil ihre Gehirnbildung sich zunächst an die der 
Vögel und Amphibien anschliesst, Lyencephala nennt und in solche mit 
nur zwei obern Schneidezähnen, Plagiaulax, und in solche mit mehr als 2 
obern Schneidezähnen eintheilt. Letzte Gruppe hat die typische Anzahl 
der Backzähne, wohin Trieonodon, Triacanthodon und Phascolotherium 
gehören, oder eine grössere Anzahl von Backzähnen, wie sie dei den an- 
dern der beschriebenen Gattungen sich finden. Nur Stereognathus und 
Bolodon als ungenügend bekannt, lassen sich in diese Gruppe nicht ein- 
ordnen. — (Palaeontogr. Society 1871. XXIV.) 

Leidy, vorweltliche Pferde Amerikas. — Auf eine eigen- 


67 


thümliche Faltenbildung der obern Backzähne errichtete L. schon 1858 in 
den Proceed. Acad. Philadelphia die Gattung Protohippus und weist der- 
selben gegenwärtig folgende Arten zu: Pr. perditus, Pr. arcidens (Equus 
arcidens Owen), Pr. principalis (Equus principalis Lund, E. neogaeus Ger- 
vais, E. macrognathus Gervais, Hippidion prineipalis Owen), Pr. neogaeus 
(Equus neogaeus Lund, Hippidion neogaeas Owen), Pr. placidus, Pr. su- 
premus. Des Verf.’s Arten sind bereits in der Abhandlung über die fos_ 
silen Säugethiere der Fauna von Dakota 1869 beschrieben und abgebildet 
worden. — (Proceed. acad. Philadelphia 1870. 126 — 127.) 
Botanik. Pfeffer, über Embryobildung bei Selaginella. 
— Unter allen Gefässkryptogamen findet sich ausschliesslich bei Selagi- 
nella schon zur Zeit der Reife in der grossen weiblichen Spore ein Pro- 
thallium, das, aus wenigen Zelllagen bestehend, unter dem Scheitel der 
tetraedrischen Sporen gelagert ist. In dem übrigen ungleich grössern 
von Reservestoffen angefüllten Raum wird beim Keimen durch freie Zell- 
bildung ein Gewebe erzeugt, das bei $. Martensi die Spore fast ganz er- 
füllt. In dem erstgenannten Prothallium aber entstehen die zahlreichen 
Archegonien und zwar je aus einer der freien Aussenfläche anliegenden 
Zelle, welche zunächst in eine innere und äussere Zelle zerfällt. Aus letz- 
ter entstehen durch die bestimmte Theilung die Halszellen des Archego- 
niums, während von dem protoplasmareichen Inhalt der untern Zelle eine 
kleine, jenen angränzende Partie als Kanalzelle abgeschnitten wird, ganz 
ähnlich wie bei Marsilia, Salvinia u. a., die übrige Inhaltsmasse der un- 
tern Zelle gestaltet sich zur Eizelle. Beim Oeffnen der Archegonien übt 
der stossweise entleerte Inhalt der Kanalzelle eine gleiche attractive Wir- 
kung auf die Spermatozoiden wie diese von Moosen und Farren bekannt 
ist. Nach der Befruchtug umgiebt sich die Eizelle bald mit einer Mem- 
bran und wird weiterhin durch eine zur Längsachse des Archegoniums 
senkrechte oder wenig geneigte Wand getheilt. Aus der äussern dieser 
beiden Zellen entsteht durch Streckung ein Aufhängefaden,, der die innere 
Zelle, die Mutterzelle des Embryo, in das die Spore erfüllende Gewebe 
drängt. Die kleinen männlichen Sporen von Selaginella bilden während 
des Heranreifens gleichfalls ein Prothallium, das jedoch sehr rudimentär 
ist, aus einer sehr kleinen Zelle besteht, die in keiner Weise an der Bil- 
dung der Spermatozoiden sich betheiligt. Ausserdem sind in der reifen 
Mikrospore noch primordiale Zellen 4 oder 6 vorhanden, die bei Sel. Mar- 
tensi, eaulescens und Griffithi übereinstimmend, aber anders als bei Sel. 
Kraussana gelagert sind. Bei erst genannten Arten entstehen die Mutter- 
zellen der Spermatozoiden durch Zerfällung sämmtlicher Primordialzellen 
in sehr zahlreiche, sich suceedan bildende Zellen. In den weiterhin sich 
isolirenden Mutterzellen sondert sich der Inhalt in eine centrale Vacuole, 
die allseitig von sehr diehtem Protoplasma umgeben wird, aus dem end- 
lich durch entsprechendes Zerfallen das schraubig gewundere Spermato- 
zoid gebildet wird, welches am vordern Ende mit zwei langen Wimpern 
versehen ist. In der Regel löst sich die Mut’erzelle in dem Momente, da 
das Spermatozoid entschlüpft, auf und nur vereinzelt wird sie von diesem 
mitgeschleppt. Häufiger aber findet man Spermatozoiden mit kleinen Bläs- 


5* 


68 


chen an ihrem Hinterende, die jedoch nichts weiter sind als Vacuole, um 
welche das Spermotozoid sich bildete, und die von der Mehrzahl der Sper- 
matozoiden nicht mitgeschleppt wird. — (Würzburger Verhandlungen 
13570 Juni.) 

Sachs, mechanischeVerhältnisse beidem Wachsthume 
der Pflanzen. — Der Druck, den das in eine wachsende Zelle einge- 
drungene Wasser auf die Zellwand ausübt, ist eine das Flächenwachsthum 
der Zellenhaut bedingende Ursache. Bei den in Streckung begriffenen In- 
ternodien, Blättern u, s. w. übt das Mark und überhaupt das saftige Pa- 
renchym vermöge seines schnelleren Längenwachsthums einen longitudi- 
nalen Zug auf die langsamer wachsenden Gewebe (Epidermis, junges Holz, 
junges Bast), deren Wachsthum durch diese Zerrung unterstützt wird. 
Das Diekenwachsthum des Maıkes junger Internodien drängt das combi- 
nirte Gewebe nach aussen und verhindert die Bildung radialer Holzzell- 
reihen, die erst dann zu Stande kommen, wenn jener Druck von innen 
her auf das Cambium aufhört. Der Druck des wachsenden Holzkörpers 
auf die Rinde erzeugt zunächst eine peripherische Drehung der Rinden- 
zellen, welche deshalb in peripherischer Richtung stark wachsen und dann 
durch radial gestellte Wände sich so theilen, dass der Querschnitt von 
Internodien mit verdicktem Holzkörper in der äussern Rinde peripherisch 
verlaufende Zellschichten zeigt. Der Gegendruck der Rinde auf den sich 
verdickenden Holzkörper dagegen beeinträchtigt das radiale Wachsthum, 
das sofort eine Steigerung erfährt, wenn die Spannung der Rinde durch 
Längseinschnitje vermindert wird; auf die vom Frühjahr bis Herbst zu- 
nehmende Spannung zwischen Rinde und wachsendem Holz lässt sich 
wahrscheinlich die Verschiedenheit von Frühjahrs- und Herbstholz der 
Jahresringe zurückführen. Andere Erscheinungen sind wahrscheinlich nur 
auffallende Wirkungen äusserst geringen Druckes auf wachsendes Pflanzen- 
gewebe: so die Krümmung der Ranken um eine sie nur leise und leicht 
berührende Stütze, ferner das Umwachsenwerden dünner frei stehender 
Grasblätter von den Hüten grosser Pilze. Unerklärlich bleibt aber noch 
die Entstehung der Saugscheiben an den Ranken von Ampelopsis, wo 
diese einen festen Körper dauernd berühren, die Entstehung von Wurzel- 
haaren, an derjenigen Seite einer Brutknospe von Marchantia, welche einen 
festen Körper leicht berührt. — (Ebda 18.) 

L. Rabenhorst, die von Hausskneceht im Orient gesam- 
melten Kryptogamen. — Haussknecht bereiste den Orient und speciell 
Persien von 1864—66 und 1866—68 hauptsächlich behufs geographischer 
Untersuchungen, wendete aber auch den Pflanzen einige Aufmerksamkeit 
zu. Da die Kryptogamen Persiens noch sehr wenig gesammelt sind: so 
hat dieser Beitrag einen ganz besondern Werth. Die Bestimmung der 
Laubmoose haben Milde und Juratzka übernommen und Verf. liefert hier 
die Pilze, Flechten und Algen. Letzte sind die zahlreichsten, die Flech- 
ten die geringsten und meist auch unsere gemeinen deutschen Arten, Wir 
führen nur die Gattungen mit Angabe der Artenzahl und der Namen der 
als neu eingeführten auf: Chytridium 1, Synehytrium 2, Peronospora 3, 
Cystopus 1, Mucor |, Ustilago 3, Tilletia 1, Uromyces 6, Pileolaria 1, Puc- 


69 


cinia 20, darunter P. pimpinellaram, P. pulvinata neu, Melampsora 3, 
Polythrinieum 1, Macrosporium 1, Stemonites 1, Retieularia 1, Geaster 1, 
Tulasnodea 1, Cyathus 2, Terfezia 1, Tuber 1, Lasiobotrys 1, Erysiphe 5, 
Ueinula 1, Phyllactinia 1, Sphaerotheca 1, Auricularia 1, Corlicium 2, 
Stereum 2, Clavaria 1, Polyporus 3, Daedalea !, Schizophyllum 1, Pa 
nus 1, Montagnea Haussknechti, Coprinus imbrieatus, Dothidea 3, Gno- 
monia 3, Melogramma cylindrospora, Vassa 1, Diatrype 1, Nectria 1, 
Hypoxylon 3, Poronia 1, Xylaria 1, Jeptostroma 2, Glonium 1 und die 
neue Gattung Seörosporium: fungus cupulatus; cupula pezizoidea, patel- 
liformis, ab initio aperta, disco marginato; nucleus carnosogelatinosus, 
ascis paraphysibusque e strato tenui cupulae basin investienle enascentibus 
constans; aseci elongati, aequierassi, angustissime eylindrici, tetraspori, 
jodo non tincti; sporae valde elongalae, virgatae, multicellulares, in fasci- 
culum plus minus tortae, die Art P. ocellatum. Die Zahl der Flechten 
beträgt 49 und ist keine neue Art darunter, die Aufzählung der Algen 
folgt später. — (Dresdener Isis 1870. 225— 241.) 

L.Fuckel, Symbolae mycologicae. Beitrag zur Kenntniss der 
rheinischen Pilze. Mit 6 Tff. — Die vorliegende Arbeit füllt den 23. und 
24. Jahrgg. des Nassauischen Vereines und beruht durchweg auf eigenen 
Forschungen, ohne jedoch die Untersuchungen Anderer unberücksichtigt 
zu lassen. Hinsichtlich der Systematik hält Verf, fest am Generations- 
wechsel und unterscheidet Fungi perfecti und F. imperfecti, deren Ent- 
wieklung zu höheren Formen noch nicht ermittelt ist. Die erste Gruppe 
klassifieirt Verf. nach de Bary, nimmt aber die Myxomyceten darin auf 
und scheidet die Tremellinei, als mit den Ascomyceten zunächst verwandt, 
aus. Die perfecti zählen hier 313 Gattungen mit 1809 Arten, die imper- 
fecti 141 Gattungen mit 527 Arten. Die bekannten Arten werden nur na- 
mentlich mit der Synonymie, Literatur und den Standorten aufgezählt, die 
neuern zugleich diagnosirt. Die Zahl der letzteren ist beträchtlich, doch 
können wir hier nur die Namen der vom Verf. neu aufgestellen Gattungen 
anführen und müssen wegen der Arten auf das Buch selbst verweisen, 
das übrigens keiner entbehren kann, der sich mit deutschen Pilzen be- 
schäftigt. Die neuen Gattungen also sind: Glischroderma, Xenodochus, 
Puceinella, Trachyspora, Apiosporium, Dimerosporium, Preussia, Barya, 
Myriocarpa, Clypeosphaeria, Epicymatia, Plagiostoma, Linospora , Macro- 
spora, Camptosphaeria, Didymosphaeria, Byssothecium, Trichosphaeria> 
Herpotrichia, Enchnosphaeria, Teichospora, Trematosphaeria, Crotono- 
carpia, Ohleria, Gibberidea, Cucurbitula, Eleutheromyces, Valsella, Eurya- 
chora, Homostegia, Coronophora, Rhizomorpha, Coprolepa, Ileophragmia, 
Cercophora, Habrostichis, Duplicaria, Dothiora, Ahlesia, Pseudopeziza, Mi- 
cropeziza, Pyrenopeziza, Trichopeziza, Hyalopeziza, Pseudochelotium, Pe- 
zizella, Velutaria, Arachnopeziza, Dasyscyphe, Stammaria, Bispora, Cibo- 
ria, Pithya, Leucoloma, Crouania, Humaria, Plectania, Pseudopleetania, 
Aleuria, Plicaria, Pustularia, Otidea, Sclerotinia, Macropodia. 

A. Ohlert, Ernährung und Wachsthum derFlechten. — 
Nachdem Verf, die Standorte und das Substrat der verschiedenen Flech- 
tenarten Preussens speciell angegeben hat, wendet er sich zur Untersu- 


70 


chung der Ernährung und des Wachsthums, welches durch die atmosphä- 
rische Luft mitihren Niederschlägen und Gasen und durch das Substrat be- 
dingt ist. Die Aufnahme der Nährstoffe erfolgt durch den ganzen Flechten- 
körper, dessen Zellen ungemein hygroskopisch sind, keineswegs blos durch 
die Rindenschicht. Da nun die atmosphärischen Niederschläge nicht blos 
den Flechtenkörper, sondern auch dessen Substrat anfeuchten, so werden 
dieselben auch unmittelbar von dem Substrat durch diesem aufliegenden 
Theile des Thallus aufgesogen. Indess ist dieser Factor der Ernährung 
doch gegen die unrfittelbare Aufnahme der Niederschläge untergeordnet 
und scheint oft sogar zu fehlen, wie ihn denn auch viele Lichenologen 
geradezu in Abrede stellen. Bei gewissen Flechtenspecies ist der Einfluss 
des Substrates auf ein Minimum reducirt, so bei den bodenvagen, auf 
Rinde, Holz, Erde, Steinen, zugleich sitzenden, die also indifferent gegen 
ihr Substrat sind, zugleich die weiteste geographische Verbreitung haben. 
Bei den auf Glas sich ansiedelnden Arten kann kaum ein Einfluss des 
Substrates auf die Ernährung angenommen werden. Von den Bodenva- 
genflechten gehen einige von Bäumen, ihrem Lieblingsplatze, auf Sandbo- 
den über und vermehren sich auch auf diesem sehr gut, obwohl sie nur 
locker aufsitzen, während sie auf der Rinde durch einen Nagel befestigt 
sind. In all diesen Fällen wird die Ernährung durch unmittelbare Auf- 
nahme der Niederschläge den Hauptfaktor bilden. Meist erscheinen die 
auf abnorınen Substraten sitzenden Flechten verkümmert. Die auf Leder 
wachsende Cladonia bringt es nur zu Thallusschüppchen, nicht zu Pode- 
tien. Die auf den Rückenschildern des Störs vorkommende Xanthoria pa- 
rietina und Lecanora Hageni zeigt stets bleiche Färbung und sonst eigen- 
thümliches Aussehen. Die eisenbewohnenden Flechten lassen einen sol- 
chen negativen Einfluss jedoch nicht erkennen. Von den 12 bodenvagen, 
auf Rinde, Holz, Steinen und Erde vorkommenden Flechten müssen die 
ausgeschieden werden, welche auf Erde nur zufällig und ohne sich zu 
vermehren vorkommen, ferner die, welche auf einigen dieser Substrate 
nur in gewissen Formen und Varietäten vorkommeu und dadurch deren 
Einfluss bekunden, dann bleiben als indifferent gegen ihr Snbstrat nur 
übrig Evernia prunastri, Parmelia physodes und Lecidea sabuletorum, 
Letzte Art kömmt aber nur am Grunde der Laubbäume und nur auf Kalk- 
mauern vor, also doch nicht überall, Parmelia physodes fructifieirt nur auf 
Bäumen und höchstens noch auf Holz, Evernia prunastri wandelt auf Stein 
und Erde erheblich ab. Sonach verhält sich also keine einzige Flechte 
völlig indifferent gegen die verschiedenen Substrate. Ferner tritt bei Ueber- 
siedelung einer Baumflechte auf Sand auch eine Modification des Thallus 
ein. Usnea barbata sitzt dem Boden nicht vermittelst eines Nagels auf, 
wie auf den Bäumen, und zeigt an einigen Stellen der Berührung eine 
schwarze Färbung, wie sonst oberhalb des Nagels oder Gomphus, wohl 
deshalb, weil die den Boden am meisten berührenden Stellen des Thallus 
auch vorzugsweise aus demselben Feuchtigkeit aufsaugen und somit die 
Function des Gomphus übernommen haben; zugleich sind die Enden des 
Thallus viel länger und dünner als im normalen Zustande, was sie zum 
Aufsaugen der Bodenfeuchtigkeit geeigneter macht. Evernia prunastri sitzt, 


71 


wenn sie auf Dünen wächst, nicht an nur einer Stelle, sondern an vielen 
dem Boden auf und zeigt dann stets eine schwarze Färbung des Thallus, 
der an diesen Stellen keine Faserbündel aussendet. Bei Cladonien, die, 
vom Boden losgerissen, horizontal auf demselben lagernd fortvegetiren und 
neue Pflänzchen oder Aestchen treiben, zeigen die Seitenäste der auf der 
Erde lagernden Mutterpflanze sich stark verdünnt und senden Faserbüschel 
aus, mit denen sie am Boden haften und dessen Feuchtigkeit aufsaugen. 
Also ist auch hier ein Einfluss des Substrates nicht ausgeschlossen. Die 
andern Flechten, welche die Nähe der Culturstätten, den Dickicht schatti- 
ger Wälder, in schattigen Erdhöhlen, an Wurzelgeflechten und modernden 
Stämmen sitzen, wählen theils mit Vorliebe theils ausschliesslich diese 
Standorte und sind für sie ohne Zweifel die Einwirkungen des Lichtes, 
der Wärme, Feuchtigkeit, des Windes u. dgl. von bestimmendem Einfluss, 
ohne jedoch alle Erscheinungen zu erklären. Von den die Culturstätten 
liebenden Flechten kommen einzelne anderswo gar nicht vor, so Physcia 
pulverulenta, Parmelia acetabulum, P.tiliacea, Lacidea acelinis, Verrucaria 
ryphonta, und doch sitzen ihre nächsten Gattungsgenossen z. B. Parmelia 
olivacea, fuliginosa, saxatilis ausserdem auch in Wäldern und Haiden, fern 
von aller Cultur. Bei den in diehten Wäldern wachsenden Arten frägt 
man, warum sie nicht auch in schattigen Gärten und in dem Lichte ent- 
zogenen Winkeln in der Nähe der Culturstätten vorkommen, wo dieselben 
Sträucher und Bäume wie im Walde stehen. Diese Arten müssen doch in 
der Luft der Wälder ein zu ihrer Existenz unentbehrliches Agens finden, 
da Substrat, Feuchtigkeit, Mangel an Licht ihnen auch an andern Orten 
ganz ebenso geboten sind. Dass weiter innerhalb grosser Städte über- 
haupt gar keine Flechten sich ansiedeln, kann nur in ihrem Gedeihen 
schädlicher Beimischungen der Luft begründet sein. Welcher Art diese 
Beimischungen sein mögen, ist schwer zu ermitteln. Dass die Waldluft, 
Gebirgsluft, die Luft des freien Feldes, der Thäler und Schluchten, der 
Dörfer und Städte eine sehr verschiedene ist, empfinden wir selbst auf 
unsern Wanderungen zur Genüge und von solchen Verschiedenheiten sind 
eben die Flechten abhängig, da sie die anderweitigen Existenzbedingungen 
aller Orten finden. Auch bei künstlichnr Versetzung gedeihen solche Ar- 
‚ten nicht: Gebirgsflechten liessen sich trotz aller Sorgfalt nicht in bota- 
nischen Gärten cultiviren. Dass gewisse langgestreckte Formen von Alec- 
toria und Usnea den Rand der Wälder lieben, hat darin seinen Grund, 
dass die stärkern Winde an solchen Orten die Flechten zu gestreckterem 
Wachsthum führen. Von den Erdflechten, Steinflechten Baumflechten, pa- 
rasitisch auf andern Flechten lebenden Flechten und andern bodensteten 
Flechten sind die meisten ausschliesslich oder doch vorwiegend an ihr be- 
stimmtes Substrat gebunden. Verf. zählt 119 bodenstete Arten auf, bei 
welchen also das Substrat von wesentlich bestimmendem Einfluss ist. — 
Welcher Art mögen nun aber die Einflüsse des Substrates auf Ernährung 
und Wachsthum sein? Einige dieser Einflüsse sind blos äusserer Art. 
Die typische Wachsthumsform der Flechten ist die kreisrunde Scheibe, 
wir finden dieselbe bei den meisten Krusten- und Blattflechten, bei den 
Rosetten der Cladonien, bei den polsterförmigen Rasen der Cetraria acu- 


12 


leata. Sobald grössere Feuchtigkeit einseitig wirkt, tritt excentrisches Wachs- 
thum ein, so häufig bei Umbilicaria pustulata; auf Holz wachsende Krusten- 
flechten nehmen eine elliptische gestreckte Form an, weil die Holzfasern das 
Wachsthum der langgestreckten Zellen der Markschicht in dieser Rich- 
tung bestimmen. Krustenflechten, die sich dem blattartigen Typus nähern, 
und die Blattflechten selbst bewahren auf Zäunen und Holzwerk ihre kreis- 
runde Form. Auch auf jüngern Rinden einiger Baumarten, bei denen sich 
die unter der Epidermis liegenden obern Rindenschichten horizontal gegen 
die Achse des Baumes mit Leichtigkeit losreissen lassen oder gar von 
selbst abblättern, zeigt sich eine ähnliche Erscheinung, bei Krustenflech- 
ten horizontale Streckung, dem Verlauf der Lamellen der Rinde entspre- 
chend. Die oberste noch zarte Epidermis des Baumes scheint an dieser 
horizontalen Lagerung der untern Rindenschichten nicht in gleichem Grade 
Theil zu nehmen, sondern löst sich in grossen Parzellen ab. Daher zeigt 
sich bei gewissen Flechten z. B. Verrucaria epidermidis, die nur auf der 
obern Epidermis wachsen und kaum einen Thallus haben, sondern nur 
unter der Rinde sitzende Gonidien entwickeln, dieser Einfluss der hori- 
zontal gerichteten Rindenschichten nicht, ihr Wuchs breitet sich gleichmäs- 
sig aus. Entwickelt sich aber der Thallus mehr: so tritt zugleich die 
langgestrecekte Form hervor. — Auch die Oberflächenbeschaffenheit des 
Substrates übt Einfluss auf das Wachsthum. So bildet Lecanora sophodes 
auf glatter Eichenrinde die Rinodina horiza, die sich nur durch die regel- 
mässig gefelderte Thallusbildung und bessere Entwicklung des Hypothal- 
lus unterscheidet. Lecanora scruposa variirt je nach ihrem Vorkommen 
auf Moos, Cladonienstielen, Erde, Sand, nach Beschaffenheit von deren 
Oberfläche. Verrucaria nitida kommt auf Corylus und dünner zarter Rinde 
von Carpinus als Var. nitidella mit kleinen Früchten vor, weil die grosse 
Zartheit der Rinde den unter derselben wachsenden Früchten das Hervor- 
brechen schon früher und leichter ermöglicht, als dies bei der Hauptform 
auf Fagus und dicker Rinde von Carpinus möglich ist, da hier die Apo- 
theeien schon eine bedeutende Grösse und Kräftigkeit erlangen müssen, 
ehe sie den Widerstand der starken überliegenden Rindenschicht überwin- 
den. Flechten, die zwischen Moos und andern Flechten wachsen, strecken 
sich in dieLänge und werden dünn, wie Cladonia gracilis u. a. — Einen 
wesentlichen äussern Einfluss üben Licht und Wärme. Cetraria islandica 
im Dunkel der Wälder ist weisslich, breitlappig, im hellen Sonnenlicht auf 
Haiden und Dünen aber dunkelbraun und schmallappig; Cetraria aculeata 
auf Lehmboden und im Schatten braun, auf dem Sande der Dünen in der 
Sonne fast schwarz und stachelig. Nicht minder einflussreich ist der 
Feuchtigkeitsgrad des Substrates. So zeigen die Erdflechten auf ihrem ty- 
pischen Substrät stets ein kräftigeres Wachsthum, reichere Entwicklung 
ihrer Formen und Varietäten und üppigere Fruktifikation, als wenn sie 
auf mit Erde bedeckten Steinen, Holzwerk und Stämmen sich ansiedeln, 
wozu schöne Beispiele bieten Cladonia fimbriata, pyxidata, gracilis etc. 
Cetraria aculeata erreicht ihre höchste Entwicklung auf dem dürrsten, die 
Feuchtigkeit schnell durchlassenden Sande und fruktificirt nur auf diesem, 
auf faulendem Holze entwickelt sie nur dürftige Formen, auf lehmhaltigen 


13 


Sandboden gedeiht sie besser, fruktificirt aber niemals. Peltigera canina 
wird auf Erde am grössten, zwischen Moos, wo die Flüssigkeit sich min- 
der lange hält, bildet sie nur zierliche Formen. Auf die Umwandlung 
der Conioeybe furfuracea in var. sulphurella und fulva, sobald sie auf Rin- 
den übergeht, scheint nicht blos die geringere Feuchtigkeit, sondern auch 
der Wechsel des Lichtes, der Wärme, der Luftbeschaffenheit von Einfluss 
zu sein. Der Einfluss des Feuchtigkeitsgrades des Substrates ist jedoch 
kein blos äusserlicher, sondern ‚auch ein innerer. Die in das Substrat 
eindringende Feuchtigkeit wirkt auf dieses selbst chemisch ein und dieFlechte 
nimmt die aufgelösten Stoffe desselben auf, soweit dieselben assimilirbar 
sind, ja in einzelnen Fällen möchte die Stoffaufnahme eine grössere sein 
als die aus der Luft auf der Oberfläche des Thallus. Auch hierfür weist 
Verf. mehre Beispiele nach, Etwa der dritte Theil aller bekannten preus- 
sischen Flechten (365 Speeies) ist ausschliesslich an ganz bestimmte Sub- 
strate gebunden: culturfreie Erde, Sand, Wald- oder Haideboden, Wur- 
zelgeflecht, erratische Blöcke, Gerölle, Kalkmauern, Stubben, bearbeitetes 
Holz, unter den Bäumen Pinus silvestris und abies, Querens, Betula, Ju- 
niperus, Corylus, endiich der Thallus oder die Apotheeien anderer be- 
stimmter Fleehtenarten. Ebenso siud unter den bodensteten Flechten alle 
Familien vertreten. Und diese stete und enge Verbindung der verschie- 
densten Typen mit streng bestimmten Substraten der mannichfachsten Art 
lässt sich nicht von lediglich äussern Einflüssen ableiten, vielmehr nur 
durch einen innern Zusammenhang erklären, durch Ernährung und Wachs- 
thum vom Substrat aus. Bei den Steinflechten insbesondere ist eine che- 
mische Einwirkung nothwendig, wie denn auch bestimmte Gesteinsarten 
ihre eigenen Flechtenspecies haben: Parmelia centrifuga, ineurva und con- 
spersa, Lecidea sulphurea, petraea, geminata u. a, nur auf Granitblöcken, 
Lecanora pruinosa und nigra nur auf Kalkstein. Unterstützt wird ferner 
die Annahme einer chemischen Zersetzung des Gesteines durch die auf- 
sitzenden Flechten durch die Thatsache, dass mehrere Verrucaria- Arten 
sich gleichsam in den Stein einfressen. Auf Granit wachsende Lecidea 
petraea hatte neben sich kleine Pflänzchen auf reinem (uarz gebildet, im 
Centrum eines Pflänzchen sah Verf. schon zwei Lagerareolen entstan- 
den, um die sich ein Kranz zierlicher dendritischer Verästelungen des 
schwarzen Hypothallus gebildet hatte, er benetzte das Pflänzchen mit con- 
centrirter Schwefelsäure, die den Hypothallus grün färbte, und wusch dann 
die Schwefelsäure mit Wasser ab; die Faserzellen des Hypothallus sowohl 
wie die Lagerareolen waren durch die Säure zerstört und es zeigten sich 
an Stelle der Areolen zwei kleine Vertiefungen, in denen sie eingebettet 
gewesen waren, und die dendritischen Verästelungen des Hypothallus zeig- 
ten auf dem Quarz entsprechende schwach vertiefte Linien. Ferner ist 
zu beachten, dass Umbilicaria, Endrocarpon und Stereocaulon so fest mit 
den Granitblöcken verwachsen, dass eine gewöhnliche Trennung nicht mehr 
möglich ist. Umbilicaria sitzt mit einer Haftscheibe auf, die sich bei U. 
polyphylla aus breiten rundlichen Lappen, bei U. flocculosa aus gedrängten 
Körnehen, bei U. pustulata aus schmalen sternförmig ausgebreitelen mehr- 
fach zertheilten Lappen zusammensetzt, immer aber in den Stein bis 


1a 


zu einer gewissen Tiefe eindringt und mit demselben verwächst. Ste- 
reocaulon denudatum hat gleichsam starke, vielfach verflochtene Wurzeln, 
welche in den Fels eindringen und sich mit ihren Enden aufs zarteste 
verästeln und gleichsam in das Gestein einfressen. [Wem dieser Process 
wunderbar erscheint, den erinnern wir an die steinbohrenden Algen und 
Schwämme]. Welcher Art dieser chemische Process sein mag, das haben 
die Chemiker noch nicht aufgeklärt. — Endlich die Frage, ob die Rin- 
denflechten sieh auch die Säfte der Bäume aneignen. Arten auf erstorbe- 
nen starken Rinden wohl nicht, da die Haftscheiben, Haftfasern und die 
Faserzellen des Hypothallus gewiss nicht bis zum Cambium eindringen. 
Flechten dagegen mit hypophlöodischem Thallus (Verrucaria, Arthonia, 
Opegrapha, Lecanora, Lecidea) mögen wohl mit ihren Gonidien und Fa- 
serzellen unter der Epidermis Stoffe der Nährpflanzen aufnehmen, und Meyer 
nennt solche Flechten geradezu parasitisch vegetirende. Auch spricht 
der Umstand, dass die meisten dieser Flechten gewisse Nährpflanzen 
bevorzugen oder ausschliesslich aufsuchen, für eine wirkliche Ernäh- _ 
rung durch dieselben. — (Danziger Schriften 1871. II. Abhdlg. 11. S. 
1—34.) 

F. A. G. Miquel, die von Regnellin Brasilien gesammel- 
ten Piperaceen. — Verf. charakterisirt folgende 34 Arten: Peperonia 
arifolia, P. hispidula Ew (P. tenera Miq, Acrocarpidium hispidulum und 
Sellovianum Mig), P. rotundifolia HB (Piper rotundifolium L, P. pummu- 
larifolia HB), P. exilis, P. cireinnata Lk (Astrocarpidium rotundifolium 
Mig), P. hederacea (Astrocarpidium majus Migq), P. diaphana n. sp., P. 
pterocaulis, P, veloziana, P. estrellensis DC, P. augescens n.sp., P. atro- 
punctata n. sp., P. Langsdorffi, P. galioides HB, P. Regnelliana n. sp. 
P. loxensis HB, P. Martiana, P. Selloviana, P. quadrifolia HB, P. trineura, 
P. reflexa Dietr, Potomorphe umbellata, P. sidaefolia, Artanthe Regnelli, 
A. Miquaniana, A. xylosteoides, A. mollicoma, A. Caldasiana n. sp. 
A. Kunthana, A. Cambessedei, A. ampla, A. colubrina, A. Guillemiana, 
A. exserens, Enckeacea nothifolia Kunth. — (Archives neerland. VI. 
168 — 176.) 

A. Dräger, kritische Pflanzen in Mecklenburg. — Verf. 
kritisirt hauptsächlich Boll’s Flora von 1860 mit Marsson’s Flora von Neu- 
vorpommern und Rügen 1869. Corydalis pumila sichere Art, aber noch 
nicht in Meklenburg gefunden. Geum urbanorivale, Bastard, noch nicht 
beobachtet, aber beide Stammarten desselben. Agrimonia odorata ist keine 
üppige Waldform der Eupatoria, eingeführt in den Garten von Putbus. 
Callitriche hamulata auf dem Friedländer Turnplatz häufig. Sedum refle- 
xum ist S. rupestre unterzuordnen. Senecio barbaraefolius ist bei Fried- 
land ungemein häufig und sicher von den andern Arten zu unterscheiden. 
S. saracenicus häufig in einem Graben am Friedländer Turnplatz. Hiera- 
cium rigidum gemein bei Putbus und um Friedland, fehlend bei Güstrow 
wo H. boreale häufig. Euphrasia rostkoviana auf Wiesen bei Friedland. ' 
Odonlites litoralis bei Putbus zahlreich neben O, rubra und scharf davon 
unterschieden. Die Bastarde von Meutha aquatica und arvensis häufig bei 
Friedland. Armeria maritima blosse Varietät von vulgaris, bei Putbus. 


15 


Rumex paluster sicher verschieden von R. maritimus, bei Putbus. Poly- 
gonum mite bei Friedland. Platanthera montana verschieden von Pl. bi- 
folia, bei Putbus beide neben einander. Epipactisrubiginosa an der Wis- 
marschen Bucht. Juncus silvaticus fehlt und wird irrthümlich aufgeführt. 
Junceus alpinus kommt neben J. lamprocarpus vor und ist nicht damit zu 
vereinigen. Seirpus Tabernaemontanus ist von Se. lacustris durch seine 
2 Narben zu unterseheiden, sehr häufig an der Meeresküste. Carex di- 
vulsa bei Friedland scheint von C. muricata unterschieden werden zu müs- 
sen. — (Mecklenburger Archiv XXIV. 17 — 26.) 

Zoologie. J.Fr. Brandt, Zur NaturgeschichtedesElens 
in morphologischer, paläontologischer und geographi- 
seher Hinsicht. (Petersburg, 1870. 4°. 3 Tff.). — In der Naturge- 
schichte des Elens sind noch mehrere sehr gewichtige Punkte dunkel und 
bringen des Verf.’s gründliche und umfassende Untersuchungen, deren 
Resultate uns in dieser Abhandlung vorliegen, gar manchen befriedigen- 
den Aufschluss. Zunächst wird diebezügliche Literatur aufgezählt, mit Wigand 
und Rosinus im XVI. Jahrhundert beginnend und bis auf die jüngsten 
Arbeiten fortschreitend.. Dann wird das Elen als eine eigenthümliche 
typische Form in der Familie der Cervinen dargestellt gegen die Ansich- 
ten der Darwinisten, die Elen und Edelhirsch aus dem Riesenhlrsch her- 
leiten wollen, wozwischen jegliche Verbindung fehlt. Das Elen unterschei- 
det sich von den andern Hirschen durch die plumpere, kürzere, dickere Form, 
den sehr verlängerten grossen Kopf, die sehr grosse fast viereckige, die 
Unterlippe überragende und bis auf einen nackten Fleck dicht behaarte 
Oberlippe, die sehr grossen Nasenlöcher, die breite in der Mitte concave 
Stirn, die kleinen Augen und kleinen Thränengruben, die mangelnden 
Eekzähne, breiten Ohren, den kurzen dicken Hals, sehr hohen Widerrist, 
die aussen am Metatarsus befindliche Haarbürste. Der Schädel ist ganz 
eigenthümlich, höher und breiter als sonst, vor den kurzen breiten Nasen- 
beinen wie ausgeschnitten, im Schnauzentheil sehr lang und schmal; 
Zwischen- und Oberkiefer sehr lang und niedrig, Nasenöffnung viel grös- 
ser, Thränengruben kurz, Stirn mit tiefer Grube zwischen den Augen, 
starke Leiste zwischen den Rosenstöcken, foramen infraorbitale der Augen- 
höhle genährt, Oceipitalkamm sehr stark, Basis eranii breit, foramina in- 
cisiva sehr lang; obere Backzähne sehr breit, untere äussere Schneide- 
zähne gross, mittlere diek; Knochen des Rumpfes massiv und kräftig, 
Halswirbel kurz und breit, erste Rückendornen besonders breit und hoch 
[Man vergl, über die Eigenthümlichkeiten des Skelets auch Giebel’s Säuge- 
tbiere S. 354]. Als subborealer Sumpfbewohner steht das Elen zwischen 
Renn und Edelhirsch. Der Riesenhirsch schliesst sich letzterem viel enger 
an als dem Elen und dieses bewahrte seine Eigenthümlichkeiten fossil und 
lebend, altweltlich und amerikanisch. Ganz besondere Beachtung ver- 
dienen die vergleichenden Untersuchungen des Geweihes, in denen man 
öfter schon specifische Differenzen finden wollte. Auf einem kurzen rund- 
lichen, fast horizontal nach aussen gewendeten Rosenstocke erhebt sich 
der mit der Rose umgebene Stiel und über derselben der Augenspross 
und die Schaufel, Letzte trägt am obern Rande bis 13, meist aber weniger 


76 


Zinken. Der Augenspross kann sieh mit der Schaufel vereinigen oder 
selbständig bleiben, ist einfach oder in 2 bis 4 Zinken gespalten, kegel- 
förmig oder abgeplattet oder in eine vordere Schaufel erweitert, an beiden 
Stangen gleich oder sehr ungleich. Bald nach der Geburt erhebt sich 
über jedem Auge ein Höcker, der bis zum September einen Zoll hoch 
wird und den Rosenstock darstellt. Im 2. Jahre sprosst daraus ein Fuss 
langer einfacher Spiess hervor, der sich im dritten Jahr gabelt, entweder 
durch Bildung des Augensprosses oder aber durch Theilung seines oberen 
Endes. Bisweilen spaltet sich fauch der Augenspross schon im 3. Jahre 
und kann die Grösse der Hauptstange haben. Vierjährige haben gewöhn- 
lich sechs Enden am Geweih und im 5. Jahre, wo das Elen reif wird, 
bilden sich kleine Schaufeln, die mit dem Alter grösser werden und jede 
bis höchstens 14 Enden erhalten. Das Alter über 6 Jahre hinaus nach 
dem Geweih zu bestimmen, ist bei den vielen zufälligen Einflüssen auf 
dessen Bildung stets sehr unsicher. Es sind überhaupt 2 Geweihtypen 
zu unterseheiden, solehe ohne besonderen Augenspross, der vielmehr mit 
der Schaufel vereinigt ist, und solehe mit freiem Augenspross, die aber 
durch Uebergänge verbunden und selbst an demselben Thiere vorkommen 
können, so dass es völlig unstatthaft ist, auf diesen Unterschied Arten oder 
nur Rassen zu begründen. — Fossilreste des Elens finden sich im Dilu- 
vium und Alluvium, am südlichsten in der Lombardei mit dem Bison, in 
der Schweiz im Kanton Luzern, Thurgau und in sämmtlichen Pfahlbauten 
von Pfäffikon bis Coneise wie denn auch Strabo und Polybius das Vorkom- 
men des Elens in den Alpen zur Zeit der punischen Kriege erwähnen, in 
Frankreich bei Issoire, Niort und an der untern Charente, in Grossbrita- 
nien nur in Irland, auf der Insel Man und im Marl zu Chirdon Burn; in 
Dänemark und Jütland in Torfmooren, ebenso in Schonen. Die zahlreich- 
sten Fossilreste aber liefert Deutschland: in Schleswig, Mecklenburg, Braun- 
schweig, an der Bergstrasse, bei Schweinfurt, in der Lausitz, in Schle- 
sien, in der Mark, bei Elbing, in Berlin. Ferner kennt man sie aus den 
russischen Ostseeprovinzen, russisch Polen, weit verbreitet im europäi- 
schen Russland, aus Ungarn, Sibirien, vom westlichen Abfalle des Hima- 
laya. Im Allgemeinen sind diese Reste jedoch viel seltener als die des 
Renn, Mamut und Rhinoceros. Aus Amerika werden nur zwei Vorkom- 
men des fossilen Elen erwähnt. Cervus alces von Meyer beruht auf Ge- 
weihen, die den lebenden völlig gleichen, ebenso ist das einzige Geweih 
des Alces leptocephalus Pusch identisch, Cervus savinus Fisch, Alces re- 
supinatus Rouill, Cervus felinus Fisch und alle übrigen auf Fossilreste be- 
gründete Arten findet Br. durchaus nicht verschieden von dem heutigen 
Elen. Das nordamerikanische ist häufig von dem europäischen speeifisch 
getrennt worden, aber weder in den Bälgen, noch in den Geweihen ver- 
mag Verf. irgend einen beachtenswerthen Unterschied aufzufinden, die an“ 
geführten Eigenthüumlichkeiten kann er nur für individuelle halten. — Die 
geographische Verbreitung des Elens erlitt im Laufe der Zeiten erhebliche 
Aenderungen. Das Vorkommen im Diluvium führt zu der Ansicht, dass 
das Elen erst seit dieser Zeit exislirt habe. Dass es neu geschaffen in 
der Diluvialperiode, dafür fehlen aber alle Beweise, wie auch für die Dar- 


11 


winistische Ansicht, dass es, ein natürliches Züchtungsprodukt anderer 
Arten, nach und nach in Europa, Asien und NAmerika aufgetreten sei, 
nirgends sind Reste gefunden, welche das Elen mit andern Hirscharten ver- 
binden, wie ja auch alle Fossilreste mit dem heutigen übereinstimmen und 
die Typicität des Elens seit seinem ersten Auftreten bekunden. Die Elene 
gehen mit Beginn des Sommers in die sumpfigen Gegenden und kehren 
im Herbst in die Wälder zurück, sie wandern also periodisch und darum 
liegt die Annahme nah, dass sie auch in der Urzeit von Osten her in Europa 
eingewandert sind, wozu sie durch physische Bedingnisse vernnlasst wur- 
den, wahrscheinlich durch Vereisung des asiatischen Nordens. Nach 
Schmidt und Ruprecht dehnte sich einst im N, von Europa und Asien der 
Wald bis zur Küste des Eismeeres aus und wie hier Mamut und Nashorn 
lebte, so auch mit ihnen das Elen. Die Reste dieses sind zwar dort noch 
nicht gefunden, doch bereits die Hörner des Aueröchsens, der doch gegen- 
wärtig in Europa und NAmerika ein Begleiter des Elen ist. Die Tertiär- 
fioren des Nordens änderten sich mit der allmählichen Vereisung und 
scheint vor dieser die Verbreitung des Elens vielleicht bis an den Pol ge- 
reicht zu haben, wenigstens bis Grönland und Spitzbergen, wo eine mio- 
cäne Flora von Heer nachgewiesen worden ist. Diese Flora war dieselbe 
wie die mitteleuropäische und lässt annehmbar erscheinen, dass damals 
auch die Faunen jener Länder eine entsprechende war. Br. nimmt daher an, 
dass das Elen ursprünglich im Norden Amerlkas und Asiens einheimisch 
war und von hier aus schon zur Diluvialzeit in Europa einwanderte. Die 
boreale Gränze des Elens fällt gegenwärtig mit der äquatorialen des Renn- 
thieres zusammen, dieses hat sich dem kältern Klima mit der dürftigeren 
Vegetation untergeordnet, das Elen aber nicht. Die Eiszeit trieb dässelbe 
weit nach Süden, wahrscheinlich soweit wie das Mamut hinabgeht, also 
bis in das südliche Asien, westlich bis Frankreich und Irland. Diese 
weite Verbreitung wurde durch den Menschen allmählich wieder einge- 
schränkt. Da Polybius das Elen noch in den Alpen kannte, muss es in 
Oberitalien schon lange vor ihm verschwunden sein, in der Schweiz 
wurde es erst nach der Zeit des zweiten punischen Krieges vertilgt, im 
Lande der Celten, dem alten Gallien, fand es, wie aus Pausanias sich 
schliessen lässt, erst nach der Mitte des 2. Jahrhunderts seinen Unter- 
gang. In Deutschland erlegten Jäger Pipins 764 in Schwaben ein Elen 
mit riesigem Geweih. Eine Chronik von Flandern gedenkt des Elens da- 
selbst noch im zehnteu Jahrhundert und sein Verschwinden in Deutsch- 
land ist daher ins 11. Jahrhundert zu verlegen, doch sollen in Böhmen 
noch im 14. Jahrhundert Elene gejagt sein, während die in spätern Jahr- 
hunderten in Schlesien und in Sachsen erlegten wohl nur aus Preussen 
und Polen übergelaufen sein mögen. In Skandinavien hat es sich bis in 
unserere Zeit erhalten, in Westpreussen bis in den Anfang dieses Jahr- 
hunderts, in Polen bis 1818, in Galizien bis 1760. Gegenwärtig bewohnt 
das Elen wasserreiche morastige, mit Weiden und Erlen bewachsene Ge- 
genden westwärts in einigen schwedischen Provinzen, in Ostpreussen nur 
noch durch Schonung geschützt, wogegen noch im siebenjährigen Kriege 
daselbst der Elenstand sehr ansehnlich war; auch im Wilnaer Gouvt. wird 


18 


es geschont, ebenso im Minsker Gouvernement, südlich geht sein Vor- 
kommen bis Kuban und Kaluga hinab. Um Petersburg kommt es in einigen 
Kreisen noch spärlich vor, in Finland früher sehr häufig ist es dem 
Aussterben nahe. Längs des Urals ist es in einzelnen Distrieten noch 
zahlreich, ebenso jenseits desselben am Ob und Irtisch, im Altaigebiet, 
am Jenisei, der Lena bis zum Peuschinskischen Busen. In Kamtschatka 
fehlt es. Südwärts in Asien findet es sich im ganzen Amurgebiete, an 
der Oka, in den Baikalgegenden, überhaupt bis zum 43. Breitengrade hin- 
ab. In Nordamerika liegt sein Gebiet zwischen dem 43. und 70. NBr. — 
Aus den alten griechischen Schriftstellern geht nicht mit Sicherheit her- 
vor, dass dieselben das Elen kannten, wenigstens unterschieden sie es 
nicht vom Renn. Dagegen war es sicher den alten Römern bekannt. 

J. Warnimont, die Aesche, Thymallus vexillifer Ag. — 
Die Aesche fehlt vielen fischreichen Gewässern und ist auf wenige be- 
schränkt, in Frankreich kömmt sie nur in der Auvergne in Luxemburg 
nur im Flüsschen Eisch vor, wo Verf. ihre Naturgeschichte studirte. Ihre 
Namen sind Asch, Aesche, Ombre, Grayling. Schon die Alten priesen 
ihren Wohlgeruch, feinen Geschmack und Zierlichkeit, wie man bei Gess- 
ner lesen kann, heute riecht sie freilich nicht mehr nach Quendel, (Thymus, 
daher Thymallus genannt). Sie gehört bekanntlich in die Familie der Sal- 
moniden und unterscheidet sich von ihren Verwandten durch die kleine 
Mundspalte, die feinen spitzen Zähne auf den Kiefern, der Pflugschar und 
den Gaumenbeinen, die hohe und lauge Rückenflosse, die zahnlose Zunge, 
die nach vorn spitze Pupille der Augen. Die Schuppenränder sind mit 
schwarzen Pünktchen dicht besetzt, auf den Seiten mit gelbem Schimmer 
angeflogen. In den Brustfl. 16— 17 Strahlen, in den Bauchfl. 11, Aflerfl. 
14—16, Sckwanzfl. 19 Hauptstrahlen, Rückenfl. 21 —26, wovon die er- 
sten 7—8 einfache sind. Die Fettflosse ist sehr klein, abgerundet. Ihre 
halbkreisförmigen Schuppen haben am freien Rande 5—7 Zähnchen und 
über 100 concentrische Linien, aber keine radiale Streifung, decken sich 
zur Hälfte, sind in Längsstreifen geordnet; in der sehr schwach geboge- 
nen Seitenlinie liegen 83—88 Schuppen, unter derselben 10 — 12, über 
derselben 7—8 Längsreihen. In der Jugend ist die Aesche weiss und 
glänzend, ausgewaschen graulichweiss bis schwärzlich mit gelbem Anflug 
auf den Seiten, im Alter dunkler, auf dem Kopfe matt grün, auf der 
Sklerotika mit grossem schwarzen Fleck. Eine gelbe Binde gränzt den 
Bauch von den Seiten ab. Brust- und Bauchflossen gelb, Fettflosse bräun- 
lich mit violettem obern Saume, Rückenflosse grau mit welligen schwar- 
zen und rothen Streifen. Verf. giebt die Grössenverhältnisse genau an. 
Das gewöhnliche Gewieht ist 3/, Pfund, mehr als 1 bis höchstens 1!/, 
Pfund sehr selten, Blochs Angabe von 3 und 4 Pfund in England beruht 
entschieden aufIrrthum, ebenso dass sie schon nach 2 Jahren 11/, Pfund 
schwer sei, das Wachsthum ist vielmehr ein langsames. Die Nahrung ist 
rein animalisch, im Winter sind es Phryganeenlarven, im Sommer neben 
diesen noch Insekten jeglicher Art, die zufällig ins Wasser gerathen, auch 
kleine Schnecken und Würmer. Im Magen findet man stets auch Stein- 
chen; Fische fand Verf. nur ein einziges Mal unter sehr vielen im Magen, 


19 


obwohl in ihrer Gesellschaft kleine Fische sehr häufig sind und sie die- 
selben leicht erwischen könnten. Dass sie, wie Blanchard behauptet, schr 
begierig Forellenlaich fresse, erklärt Verf. für eine leichtsinnige Behaup- 
tung. Im Flüsschen Eisch laicht die Aesche im April zwischen dem 8. 
und 24. in 10— 12 Tagen, an seichten schmalen Stellen, wo sie zu 4-8 
Stück sieh einfindet. Sie wandert also nicht wie die Lachse und Forellen. 
Beide Geschlechter spielen mit einander, jagen sich in hurtigem Fluge um 
die Brutstelle. Dass sie in den Sand eine Grube wühlen und den darin 
abgelagerten Laich wieder bedecken, wie Heckel erzählt, kann Verf. nicht 
bestättigen. Die gelblichen Eier sind nicht sehr zahlreich, Verf. zählte 
996, 1238 uud 2387 Eier. Auch die anatomischen Verhältnisse schildert 
Verf. Die Aesche lebt nur in kalten, schnellfliessenden schattigen Berg- 
wassern, nicht in der Ebene und in stehenden Wassern, doch beweidet 
sie seichte Bäche ebenfalls, geht daher auch nicht bis zu den Quellen, 
wie die Forelle; am liebsten hält sie sich am Ende langer steiniger Strö- 
mungen, überhaupt wo das Wasser einen kleinen Zug hat, bleibt in der 
Mitte des Bettes, meidet die dicht bewachsenen finstern Orte. In den 
Strömungen hält sie sich gesellig beisammen, in den Tiefen und Tümpeln 
stets vereinzelt; sie sonnt sich nie und hält nie ruhig an der Oberfläche, 
wechselt ihr Quartier nicht vom Frühjahr bis zum Herbst und während 
des Winters zieht sie sich in die nächste stille Bucht zurück und in die 
Tiefe. In der schönen Jahreszeit lauert sie nahe der Oberfläche auf Beute, 
schnippt über das Wasser, um Insekten zu haschen, zumal gegen Abend. 
Sie schwimmt sehr scknell, huscht wie ein Schatten dahin (daher Ombre 
bei den Franzosen). Da sie nur stromauf- oder stromabwärts, nie seit- 
wärts entflieht und schnell zurückkehrt: so wird sie mit der Senke und 
mit dem Wurfnetz sehr leicht gefangen (35 Stück in 1'!/, Stunde). Unge- 
mein zart, verträgt sie den Transport gar nicht: so oft man auch das 
Wasser in dem Gefäss erneuert, lebt sie doch kelne halbe Stunde in 
einem Gefässe, stirbt in Behältern von Quellwasser mit starkem Zufluss 
sehr schnell, selbst in Parkteiehen mit künstlicher Wasserbewegung dauert 
sie nicht über einen Tag aus. Verunreinigungen der Flüsse bringen ihr 
gleichfalls Verderben. Im Oktober und in der ersten Hälfte des Novembers 
geht die Aesche am liebsten auf den Köder, während die Weissfische sich 
nur bis September angeln lassen, und zwar nicht an Fleischstücke, nur 
selten an Würmer, wohl aber an Mücken und bei mässigem Winde und 
nahe der Oberfläche; pfeilschnell stürzt sie im Schaume der gährenden 
Brandung auf die geworfene zolllange künstliche Fliege. Verf. klagt bei 
dieser Schilderung des Fanges, der auf die genaueste Kenutniss des Le- 
bens, Charakters und Naturells der Aesche sich stützt, über die Flüchtig- 
keit Blanchard’s, der seine poissons d’eau douse de la France schrieb, ohne 
je das Leben der Fische selbst beobachtet zu haben. Die Aesche wird 
mit dem Wurfnetz, der Senke, dem Hamen und der Angel gefangen. Ist 
das Wurfnetz !zu engmaschig, so dass auch die Jungen gefangen werden: 
so wird in nicht langer Zeit die gänzliche Ausrottung der Aesche herbei- 
geführt und führt Verf. solche ausgebeutete Stellen in der Eisch an. Die 
Angel und deren Methode giebt Verf. speciell an, und verweisen wir den 


50 


sich dafür Interessirenden auf die Abhandlung selbst. Das erfolgreichste 
Angeln geschieht an schönen Sommertagen unmittelbar nach Sonnenunter- 
gang im stillen Wasser mit einer künstlichen Mücke als Köder. Der Fisch 
erkennt in der Dunkelheit Angel und Fischer nicht, stürzt schon beim Nieder- 
fallen der durch den Strom des Wassers sich bewegenden künstlichen Mücke 
auf dieselbe. - Von natürlichen Insekten empfiehlt Verf. die gemeine Mist- 
fliege, die Stubenfliege, kleine Libellen und Früblingsfliegen. Im Luxem- 
burgischen kömmt heut zu Tage die Aesche noch vor in der Eisch von 
Steinfort bis zur Mündung, in der Clerf vom gleichnamigen Städtehen bis 
Drauffeld, in der Wilz von der Markholzmühle bis Kautenbach, in der 
weissen Eruz von Medernach bis zur Mündung, in der Allert, Mamer, 
schwarzen Eruz. Die zufliessenden Bäche dieser Flüsse haben nur Forel- 
len, keine Aeschen, aber auch in jenen Flüssen hat ihre Häufigkeit be- 
reits erheblich abgenommen, theils in Folge sinnlosen Fanges, theils der 
Zunahme der Feinde, wie Fischottern und Hechte, und der störenden Cultur- 
anlagen längs und in den Flüssen. Das Fleisch der Aesche steht an 
Wohlgeschmack und Zartheit dem der Forelle gleich, hat auch dieselbe 
Zubereitung und den gleichen Marktpreis, in Luxemburg 2 Franken für 
das Pfund. — (Publications de l’Institut de Luxembourg XI. 1—48.) 

Alph. de la Fontaine, die Amphibien Luxemburgs. — 
Auf sorgfältige Beobachtungen gestützt führt Verf. folgende Arten unter 
mehr oder minder ausführlicher Besprechung auf: Emys europaea soll im 
Anfange dieses Jahrhunderts in der Mosel gefangen sein, E. lutaria bei 
Metz, Lacerta stirpium im deutschen und wallonischen Gebiet, L. agilis 
sehr häufig, L. Schreibersana, lebendig gebäreud, weit verbreitet, aber nir- 
gends häufig, Anguis fragilis im deutschen und wallonischen Gebiet häu- 
fig, Vipera aspis sehr gefürchtet und nicht selten im Dpt. der Mosel, kommt 
auch im Luxemburgischen vor, V. berus gemein in Flandern, nur einmal 
vom Verf. gefangen, Coluber natrix gemein, C. viperinus häufig um Metz, 
wahrscheinlich auch in Luxemburg, C. viridiflavus äusserst selten, C. lae- 
vis häufig, Rana eseulenta überall sehr häufig, R. temporaria gemein [Verf. 
kennt die Stenstruppsche Auflösung dieser Art in zwei Arten nicht], Hyla 
arborea häufig, Bufo calamita gemein, B. obstetricans an trocknen steini- 
gen Plätzen, B. vulgaris überall häufig, B. fuscus nur in den Thälern der 
Mosel und Sare, Bombinator igneus überall sehr gemein, Salamandra ma- 
culosa häufig, S. nigra nur in deu Thälern der Mosel und Sare, Triton 
carnifex selten, Tr. einctus überall sehr häufig, Tr. punetatus zwar über- 
all, doch nur vereinzelt, Tr. palmatus nur an einzelnen Orten häufig. — 
(Ibidem 49 —91.) 

B. H. Bannister, neue Classifikation der amerikani- 
schen Gänse. — Unter Ausschluss der Gattungen Dendrocygna und Che- 
nalopex sondert B. die Subfamilie der Anserinae in zwei Gruppen. An- 
sereae: Tarsus länger als die Mittelzehe mit Nagel, Schädel ohne Supra- 
orbital-Depression. a. Typische Gänse ohne Metallsehimmer des Gefieders 
und ohne sexuell verschiedenes Colorit: 1. Anser Vieill mit den Arten: 
A. hyperboreus, Rossi, coerulescens, ferus, segetum, Gambelli. 2. Branta 
Seop. mit Br. canadensis, Hutehinsi, berniecla, nigricans und leucopsis. — 


s1 


b. Abweichende Gänse mit Metallschimmer oder Spiegel: 3. Oressochen 
nov. gen. Schnabel sehr stark, hellfarbig, ohne sichtbare Lamellen, Füsse 
stark, hellfarbig, Hinterzehe sehr entwickelt, Gefieder in beiden Geschlech- 
tern gleich: O. melanopterus Gay in Chili. 4. COhloetrophus nov. gen. 
Schnabel mässig, schwarz, Füsse schwarz und orange, Gefieder glänzend, 
Arten: Chl. poliocephalus Gray in Patagonien und Chl. rubidiceps Sclat, Falk- 
lands Inseln. 5. Chloöphaga Eyt. mit Chl. magellauica und picta, beide 
in Chili und Patagonien. — Philacteae: Schädel mit sehr markirter supra- 
orbitaler Depression, Tarsus kürzer oder so lang wie die Mittelzehe mit 
Nagel, Küstenbewohner. 6. Philacte nov. gen. Schnabel kurz, mässig 
stark, hellfarbig, Nagel an beiden Kiefern vorstehend, Lamellen spitz und 
sichtbar, Füsse mittelmässig und hellfarbig, Gefieder hellfarbig ohne Me- 
tallglanz. Ph. canagica. 7. Taenidiestes Reichb. nur mit T. anartica (Anas 
anartieus Gmel.). — (Proceed. acad. Philadelphia 1870 no. 3p. 130—133). 

R. Ridgway, neueClassifikationdernordamerikanischen 
Falconidae nebst drei neuen Arten. — Verf. beschäftigte sich lange 
Zeit mit der Untersuchung dieser Familie und gelangte zu einer eigenen 
Gruppirung, die er mit Diagnosen der Gruppen und Gattungen vorlegt. 
Wir geben, da die Formen hinlänglich bekannt sind, nur das Schema. 
Die Familie der Falconidae sondert sich in Falconinae, wohin 1. Falco 
mit F. peregrinus, aurantius, vufigularis, (Hierofalco) candicans, (Gen- 
naia) mexicanus, (Hypotriorchis) columbarius und Richardsoni, femoralis, 
(Tinnunculus) sparverius, sparveroides und leucophrys. — Subfam. Circinae: 
Circus hudsonicus. — Subfam. Aceipitrinae mit Astur atricapillus, Acei- 
piter Cooperi und fuscus. Aquila Moehr. — Archibuteo Brehm mit A. 
Sanctijoannis und ferrugineus. — Buteo Cooperi, Harlani, borealis, li- 
neatus, zonocercus, Swainsoni, fuliginosus, albifrons, pennsylvanicus. — 
Craxirca Harrisi. — Asturina plagiata.. — Onychotes nov. gen. mit 0. 
Gruberi. — Subfam. Haliaeetinae: Haliaeätus leucocephalus und pelagi- 
eus. — Subfam. Milvinae: Pandion haliaeetus und carolinensis, Elanus 
leucurus, Nauclerus forficatus, Ietinia mississippiensis und plumbea, Rost- 
rhamus sociabilis. — Subfam. Polyborinae: Polyborus Auduboni und 
tharus. Zum Schluss verbreitet sich Verf. noch über einzelne Arten be- 
sonders. — (Ebda 138—150.) 

Ferd. Droste, kritische Musterung der periodischen 
Wintergäste und der Irrgäste Deutschlands unter den 
Vögeln. — Die Vogelgäste sind entweder regelmässige als Wintergäste 
oder Passanten, oder periodische, die sich in Sommer- und Wintergäste 
sondern, oder endlich zufällige, blosse Irrgäste als regellos umherstreifende 
Nachbarn, als Frühlings- und Herbstgäste, die von ihrer gewöhnlichen 
Zugrichtung abweichen, oder ächte Irrgäste ferner Länder, Den periodi- 
schen Wintergästen müssen wir periodische Sommergäste gegen- 
überstellen. Manche der letzten werden auch als Einwanderer bezeichnet, 
wie der Girlitz, Gartenammer, Hausrothschwanz, rothköpfiser Würger, 
indem sie allzu häufig in gewissen Gegenden erscheinen und nach einigen 
Jahren aus unbekannten Ursachen wieder verschwinden. Auch von den 
Nachbarvögeln kommen einzelne im Frühjahr herüber , nisten und ziehen 

Zeitschr. f. d. ges. Naturwiss. Bd. XXX VIll, 1871. 6 


82 


dann wieder ab. Nahin gehören Pastor roseus, ein Weibchen mit reifem 
Ei bei Winterthur erlegt, Merops apiaster, im südöstlichen Mähren regel- 
mässig brütend einmal bei Ohlau in Schlesien, ‚bei Würzburg, Nürnberg 
und Ulm brütend, getroffen, Totanus ‚stagnatilis von Naumann in Anhalt 
beobachtet, Hypsibates himantopus am Bodensee mit reifem Ei erlegt, 
Ardea alba bei Glogau. Alle wurden hier und da im Frühjahr oder Som- 
mer schon getroffen. — Periodische Wintergäste erscheinen plötz- 
lich im Herbst oder Winter schaarenweise oder einzeln und verschwinden 
dann auf eine Reihe von Jahren wieder, sie kommen aus N und NO, 
bleiben in gewöhnlichen Wintern in ihrer Heimat uud nur in strengen treibt 
Nahrungsmangel sie zur Wanderung. Hieher gehören: Surnia nisoria, in 
der Oberlausitz und in OPreussen einigemale, $. nyctea in kleinen Ge- 
sellschaften an den Küsten der Ostsee, seltener auch an der Nordsee bis 
Belgien, in Pommern und Preussen sehr zahlreich in den harten Wintern 
1811, 1825, 1833, 1865, 1866, 68 und 69; Ampelis garrulus, trotz jahre- 
reicher grosser Häufigkeit mehrere Jahre nach einander ausbleibend, plötz- 
lich dann zahlreich erscheinend und bis in die mittelmeerischen Länder 
hinabziehend, einzelne bleiben auch im Sommer und nisten, so bei Tü- 
bingen, Stuttgart, Berlin, Oppeln nistend getroffen; Emberiza nivalis an 
der Nord- und Ostsee fast allwinterlieh, im Innern Deutschlands selten : 
Alauda calcarata in WDeutschland und Holland sehr selten, ebenso in 
Tirol und der Schweiz, einmal bei Montpellier und bei Marseille erlegt, 
Corythus enucleator im Osten bisweilen sehr zahlreich, einmal in Anhalt 
und in Tirol brütend getroffen; Loxia taenioptera, im J. 1827 im Harz 
und bis Tirol, Frankreich und England zahlreich aus Sibirien eingetroffen ; 
Linota montium geht periodisch bis zur Schweiz und Savoyen hinab; Nuei- 
fraga caryocatactes, Brutvogel Deutschlands, aber in grossen Schaaren aus 
dem Norden im Winter eintreffend; Tringa maritima trifft nur selten in 
grossen Schaaren an nördlichen Küsten ein, vereinzelt öfter, wie auch 
Phalaropus einereus; Anser leucopsis bleibt jahrelang an den Küsten der 
Nordsee aus; Anas spectabilis zweimal bei Danzig und bei Usedom, Anas 
dispar bei Helgoland, Danzig, Berlin; Larus leucopterus in strengen Win- 
tern an der Nordsee, L. eburneus ebenso an der Ostsee, auch Mergulus 
alle. — Irrgäste erscheinen in allen Landen plötzlich in ungewöhn- 
licher Zeit, so Meeres- und Küstenvögel im Innern Deutschlands, Hoch- 
gebirgsvögel im Flachlande. Verf. sondert diese Irrgäste in herumstreifende 
Nachbarn, Frühlings- und Herbstgäste und in eigentliche Irrgäste. Her- 
umstreifende Nachbarn oder Vagabonden: Vultur monachus und 
Gyps fulvus vereinzelt hie und.da, zumal in Schlesien, Falco candicans 
einige Male in NDeutschland , Falco cenchris in 6 Exemplaren in NDeutsch- 
land beobachtet, Aquila pennata, in der Lausitz, Schwaben, Wetterau und 
bei München getroffen, Otis tetrax junge Exemplare öfter, alte sehr selien, 
Otis Quenii ist 15 mal beobachtet, Cursorius europaeus 2 mal in Hessen, 
einmal in Detmold , Mecklenburg, Schwaben, Numenius tenuirostris ein- 
mal in Anhalt und auf Sylt, Ibis faleinellus im Sommer überall in Deutsch- 
land vereinzelt getroffen, Halieus pygmaeus einmal in Schwaben, Halieus 
graculus an der Nordküste und einmal im Münsterlande, Erismatura mersa 


to) 


am Rhein, in Anhalt und Schleswig, Larus melanocephalus am Bodensee 
und bei Mainz. — Frühlingsirrgäste auf dem Zuge verschlagen, die 
auch Versuche zum Brüten machen: Merops apiaster in der Oberlausitz, 
in Baiern beobachtet, Pastor roseus gewöhnlich Mitte Juni, hie und da 
vereinzelt, Syrrhaptes paradoxus erschien massenhaft 1863, sie zogen, aus 
dem Hymalaya kommend, nach Ungarn, quer durch Deutschland bis an die 
Küsten, wo sie in den Dünen brüteten, brachen dann im Oktober wieder 
auf und wanderten nach SO, einzelne versprengte waren bis Februar 1864 
zu treffen. Einzelne Steppenhühner wurden schon im Frühjahr 1859 mehr- 
orts beobachtet. Glareola pratincola einzeln hie und da; Totanus stagna- 
tilis in Schlesien öfter, in Anhalt zweimal brütend, Hypsibates himantopus 
am Mansfelder See, bei Nürnberg, Dobberan; Actilis macularia, ein Nord- 
amerikaner, bei Venedig beobachtet, nach Blasius einmal in Hessen. Die 
südlichen Reiher kommen öfters nach Deutschland ; Phoenicopterus anti- 
quorum im April 1728 bei Mainz , 1795 auf dem Boden- und Neuenburger 
See, 1811 im Juni bei Kehl und Bamberg; Pelecanus crispus wird irr- 
thümlich angeführt statt P. onocrotalus, der von März bis Juni einzeln bis 
Stralsund und Dänemark sich verirrt. — Herbstirrgäste heimaten im 
O und NO und als solche wurden beobachtet: Turdus sibiricus im Harz, 
in Schlesien, T. varius auf Helgoland, bei Elbing, in Belgien, T. ruficollis 
bei Wien, Breslau, Helgoland, T. atrigularis öfters im Oktober und No- 
vember meist im Jugendkleide beobachtet, T. fuscalus bei Wien, in Schle- 
sien, bei Dessau, Berlin, Hannover, T. pallens in Anhalt, Sachsen, am 
Harz, Phyllobasileus superciliosus aus NAsien regelmässig im Herbst auf 
Helgoland, Corydalla Richardi aus dem SOEuropa im Herbst und Winter 
auf Helgoland, auch im Innern Deutschlands beobachtet; Phileremos leu- 
copterus öfter in Polen, auch in Belgien, Alauda brachydaciyla und ca- 
landra aus dem Süden bis Schlesien, Frankfurt und Helgoland verschlagen, 
A, alpestris öfter und selbst in Schaaren beobachtet, Emberiza rustica auf 
Helgoland, E. pusilla ebenda einzeln, E. pityornus sehr selten in Böhmen 
und Oesterreich , E. aureola, ein Exemplar auf Helgoland, in Südfrankreich 
jeden Herbst, Carpodacus eryihrinus, vereinzelt durch Deutschland bis Hol- 
land, Larus cinereus einmal in Deutschland, Limicola pygmaea sehr ver- 
einzelt, Anser ruficollis, zwei an der pommerschen Küste, einmal im Win- 
ter bei Stuttgart, Anas histrionicus, nur nach Naumann in der Ostsee und 
am Rhein beobachtet. — Eigentliche Irrgäste vom Sturm oder sonst 
verschlagen: Falco tanypterus aus Afrika in Brabant erschienen, Elanus 
melanopterus aus NAfrika nach Darmstadt verirrt, Aquila Bonellii aus 
dem Mittelmeer nach Böhmen, Buteo tachardus wiederholt bis Thüringen, 
Ulula barbata aus Sibirien nach Gumbinnen und der Lausitz, Oxylophus 
glandarius aus Afrika nach der Lausitz und Mecklenburg, Hirundo rufula 
aus Griechenland nach Helgolend, Lanius phoenicurus aus OAsien nach 
Helgoland, Sylvicola virens aus NAmerika nach Helgoland, Cinclus Pallasi 
aus WSibirien nach Helgoland, Mimus carolinensis aus NAmerika eben- 
dahin, Turdus rufus ebenso , T. migratorius aus NAmerika nach Meiningen, 
T. solitarius von NAmerika nach Anhalt, T.minor von ebenda nach Pom- 
mern, Phyllopneuste borealis aus Sibirien nach Helgoland, Iduna sali- 


6* 


84 


caria und Locustella certhiola ebenso, Budytes eitreola aus Ostasien nach 
Helgoland, Anthus ludovieianus aus NAmerika nach Helgoland, Alauda 
tartarica aus SOEuropa nach Brüssel, Emberiza caesia aus Kleinasien wie- 
derholt nach Helgoland, E. melanocephala aus Kleinasien nach Wien und 
Helgoland, Carpodacus roseus aus NAsien nach Anhalt und Helgoland, 
Perisorius infaustus aus NRussland nach Schlesien, Pterocles arenarius 
vom Mittelmeer nach Anhalt, Eudromias asiaticus von Mittelasien nach 
Helgoland, Charadrius fulvus aus Amerika und Sibirien nach Helgoland, 
Aclidurus longicaudus aus Nordamerika nach Hessen und Malta, Act. 
rufeseens aus NAmerika nach Helgoland, Oidemia perspieillata aus NAme- 
rika nach dem Rheine, Tachypetes aquilus an der Weser, Haliplana fuli- 
ginosa aus Amerika nach Hamburg und Magdeburg verschlagen, Larus 
Rossi aus dem hohen Norden nach Helgoland, Larus Sabwei von ebda naclı 
Westphalen und der Schweiz, Ossifraga gigantea aus den Tropen nach 
dem Rheine verschlagen. — Ganz aus der Liste deutscher Vögel will 
Veıf. vertilgen: Aquila clanga, Buteo ferox , Ceryle rudis, Caprimulgus 
rufieollis, Turdus pallidus, Parus cyaneus, Chenalopex aegyptiaca, Chen, 
hyperboreus, Anas falcata, Phaeton aelhereus, Diomedea exulans. — 
(Bericht XVIII. Ornithol. Versamm!. 1870. 62 — 96.) 


1871. Correspondenzblatt VII. 
des 


Naturwissenschaftlichen Vereines 
für die 
Provinz Sachsen und Thüringen 


Halle. 


Sitzung am 5. Juli. 


Anwesend 17 Mitglieder. 
Eingegangene Schriften: 
1. Stadelmann, Dr., Zeitschrift des landwirthschaftlichen Centralver- 


eins der Provinz Sachsen etc. XXVIII, Nr. 7. 8°. 
2. Zeitschrift der Ethnologie II. 4—6. Berlin 1870. 8°. 


Als neues Mitglied wird proklamirt: 
Herr Dette, stud. phys. hier. 


Herr Assistent Klautsch legt einen riesenhaften Schädel des indi- 
schen Gavial vor, dessen Eigenthümlichkeiten Herr Prof. Giebel erläutert. 


Ersterer legt ferner den Schädel eines auf hiesigem Zuchthause ver- 
storbenen Menschen vor, aus dessen innerem Scheitelbein die nagelartige 
Spitze eines eisernen Werkzeuges in schiefer Richtung bis zu einem hal- 
ben Zoll Länge hervorragt. Da die betreffende Persönlichkeit kein Zeichen 
gestörter geistiger Thätigkeit an siclı getragen hat, so erläutert der Vor- 
tragende an einem Präparate, wie das Vorhandensein jenes fremden Kör- 
pers im Innern der Schädelhöhle längere Zeit ohne Einfluss auf das Ge- 
hirn habe bleiben können. 


Herr Prof. Giebel legt den Rhinobates obsceurus, einen Rochen aus 
dem indischen Ocean mit rüsselartig verlängerter Schnauze vor, und cha- 
rakterisirt seine Eigenthümlichkeiten und seine Stellung zu den verwand- 
ten Arten. > 

Herr Chemiker Graf legt einen krystallinischen Honigstein aus der 
Braunkohle bei Taucha vor, wie solcher für unsere Gegend bisher nur 
aus Artern bekannt ist. 

Schliesslich spricht Herr Bergrath Bischof über die Brennwerthe der 
in Halle üblichen Brennmaterialien in Uebereinstimmung früherer Versuche, 
welche in seiner Broschüre über Gasfeuerungsanlage niedergelegt sind. 
Die Werthe bestehen in flüchtigen brennbaren Theilen, welche man beson- 
ders in den Schweelereien wünscht, und in Coaks. Mit diesen sind die 


S6 


Aschenrückstände und der Wassergehalt zu berücksichtigen. Für die 
Reinlichkeit der Haushaltung und Strassen, ja für den Gesundheitszustand 
eines Ortes sind möglichst fest zusammengepresste Kohlen schätzens- 
werth. 


Sitzung am 19. Juli. 
Anwesend 12 Mitglieder. 
Eingegangene Schriften: 
1. Arbeiten des Naturforschenden Vereines in Riga. Neue Folge Hft. IV. 
Riga 1871. 8°. 
2. Jahrbücher des Nassauischen Vereines für Naturkunde XXIIl u. . XXIV, 
Wiesbaden 1869. 1870 8°. 
3. Noll, Dr., der Zoolog. Garten XII. 8. Frankfurt aM. 1871. 8°, 
4. Sitzungsberichte d. k. böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften in 
Prag. Jahrg. 1870. Prag 1870. 1871. 8°. 
5. Stolba, Prof., Chemische Notizen. Prag 1870. 4°. 
6. Fritsch, Dr., Zur Anatomie der Elefanten- Schildkröte, Prag 1870. 4°. 
7. Tyndall, die Wärme, betrachtet als eine Art der Bewegung II. Ab- 
theil. Braunschweig 1871. 8%. (Recensionsexemplar). 
8. v. Koch, Gottlieb, Synopsis der Vögel Deutschlands. Heidelberg 1871. 
12° (desgl.). 
Das Aprilheft der Vereinszeitschrift liegt zur Vertheilung vor. 


Zur Aufnahme angemeldet wird: 
Herr P, Schoenemann stud. math. u, phys. hier, 
durch die Herren Hahn, Weyhe, Dette. 


Herr OberlehrerSchubring zeigt mehrere immerwährende Kalender, 
welche theils von ihm selbst, theils von Herrn Charles Kesselmeyer 
in Dresden entworfen sind; eine Beschreibung derselben wird nächstens 
in der Vereinszeitschrift gegeben werden. 


Sodann spricht derselbe über die aus Glycerin und Seifenwasser 
bestehenden Flüssigkeiten zur Darstellung der Plateau’schen Gleichge- 
wichtsfiguren. Plateau selbst habe die Anwendung von reinem ölsauren 
Natron empfohlen, welches aber im Handel nicht zu haben ist; bei Ver- 
wendung von gewöhnlicher Seife schreibe derselbe ein sehr umständliches 
Verfahren zur Bereitung der Glycerinflüssigkeit vor. Später habe Prof. 
Böttcher (s. B. 37, 417 uns, Zeitschrift) einige Recep'!e zur Darstellung 
dieser Flüssigkeit gegeben, von denen namentlich das ueueste sehr be- 
quem und zweckmässig sei: Man löst in destillirtem Wasser so viel fein 
geschälte Palmölseife auf, wie sich bei gewöhnlicher Temperatur eben 
löst, und versetzt diese Dösudg noch mit !/, des Volums Glycerin (rein 
und concentrirt), Diese Flüssigkeit liefert ziemlich hellklare Lamellen und 
empfiehlt sich auch wegen der einfachen Herstellungsweise; man darf sie 
aber, wie der Vortragende bemerkt hat, nicht lange in offenen Gefässen 
an der Luft stehen lassen. Herr Dr. Trommsdorf in Erfurt habe diess 
genauer untersucht und habe gefunden, dass alle Seifenlösungen durch 
die Kohlensäure der Luft zersetzt werden, es bildet sich ein sehr feiner 


87 


Niederschlag und die Flüssigkeit verliert dabei allmählich die Eigenschaft 
Sehauın und Blasen zu bilden. Derselbe habe auch bestätigt gefunden, 
dass aus ganz neutraler Seife, (ohne freies Alkali — wie sie zu den Was- 
seranalysen gebraucht wird) die dauerhaftesten Blasen hergestellt wer- 
den können. Von den im Handel vorkommenden Seifen, welche sämmt- 
lich freies Alkali enthalten können, (ebenfalls nach Dr. Trommsdorf) steht 
der neutralen Seife in dieser Beziehung die sogenannte „Transport-Glyce- 
rin-Seife“ am nächsten. 

Endlich legt Hr. Schubring noch einen Artikel aus der Weserzei- 
tung (Nr. 8778 Morgen - Ausgabe) vor, in dem die Unzweckmässigkeit der 
schon früher von ihm angegriffenen neuen Meile von 7500 Meter Länge 
dargelegt und der Wunsch ausgesprochen wird, dass dieselbe jetzt bei 
Ausdehnung der norddeutschen Mass- und Gewichtsordnung auf das Kö- 
nigreich Bayern abgeschafft werde. Er schliesst sich diesem Wunsche 
an, zumal da jetzt auch die Einführung eines decimalen Münzsystems 
für ganz Deutschland bevorsteht. In der sich hieran anschliessenden Dis- 
cussion wurde von allen Anwesenden die Ansicht ausgesprochen, dass das 
Kilometer als Entfernungsmass ausreiche, wenn man aber durchaus eine 
grössere Einheit haben wolle, so sei das 10fache desselben, des sog. My- 
riameter anzuwenden, nicht aber die 71), mal so grosse Meile, welche 
zum Decimalsystem passe, wie die Faust aufs Auge. — Auch der vor-. 
jährige Handelskammerbericht für Halle spräche sich gegen die neue 
Meile aus. 

Herr Dr. Köhler referirt Church’s Untersuchungen, das Turacin, ein 
animalisches kupferhaltiges Pigment betreffend. Die schön purpurroth ge- 
färbten Schwingen des afrikanischen Tourako (Scansores Musophaginae) 
geben ihren Farbstoff grossentheils an Wasser ab; ausser Turacus ery- 
ihrolophus, ist dasselbe bei Turacus albocristatus, Musophaga 
violacea und Corythaix porphyreolophus der Fall. Die Aus- 
ziehung des Farbstoffs hat nichts Eigenthümliches. Chureh untersuchte 
auch das Spectrum der Farbstoffllösung und fand, dass dasselbe dem des 
Blutfarbstoffs — in eigenthümlicher Weise glich. Diese Beobachtung führte 
ihn auf die Vermuthung, es werde Eisen in dem Pigment enthalten 
sein. Er war aber nicht wenig erstaunt, nach Zerstörung der organischen 
Substanz, Ausziehen mit Säure und Zusatz von Kaliumeisencyanür nicht 
Berlinerblau, sondern den braunpurpurrothen Niederschlag von Kupfer- 
cyanür auftreten zu sehen. Die vorhandene Kupfermenge in dem Pigment 
ist so bedeutend, dass ein salzsaurer Auszng der Federn, in der Flamme 
des Bunsenschen Brenners untersucht, die Kupfer-Reaktion gibt. Ausser 
‘ dem Blut der Helix pomatia ist dieses das einzige sicher constatirte Vor- 
kommen dieses von Dechamp, Olding, Dupre und Ulex angeblich auch im 
menschlichen Körper, Stroh, Holz etc. verbreiteten Metalles. (Journ. de 
_ Bruxelles Janvies 1871. Nach Church sind auch die Früchte von 
Musa kupferhaltig, 

Derselbe berichtet über die verschiedenen inArabien gebräuch- 
lichen Zubereitungen des Haschisch. Um den wirksamen Stoff 
des indischen Hanfes (Haschischine) zu gewinnen, werden 100 Theile der 


88 


sorgfältig abgewaschenen Hanf-Bractee mit 50 Theilen Schmelzbutter 
(samne) in verschiedenen Gefässen extrahirt und die mit dem Hanfstoff 
imprägnirte Butler, welche Dounheh heisst, abgepresst. Sie stellt das 
Hauptingredienz aller sogleich zu nennenden pharmazentischen Zuberei- 
tungen und Confekte, wozu Haschisch benutzt wird, dar und wird durch 
Kochen im Wasserbade von dem ranzigen (Butter-) Geruch befreit. Die 
mannichfaltigsten Verwendungen resp. Missbräuche, wozu Haschischprä- 
parate dienen, ergeben sich aus den Wirkungen desselben auf den Orga- 
nismus am einfachsten. Haschisch nüchtern in kleiner Menge genossen, 
regt den Appetit an, grosse den Schlaf, welcher 2 Stunden und länger 
dauern kann und sehr fest tst. Ganz ähnlich dem Opiumrausch erzeugt 
auch Haschisch einen mit sexueller Aufregung verbundenen Rausch; die 
Haschischnäschereien in grosser Menge verzehrenden arabischen Damen 
sollen in Folge dieses Genusses schöner und liebenswürdiger werden; die 
niederen Stände beiderlei Geschlechts suchen durch Rauchen von Hanf- 
bracteen 2. Qualität den nämlichen Zweck zu erreichen. Nach Godard 
sind die gegenwärtig noch gebräuchlichen Dounheh-Zubereitungen, wovon 
die meisten jedenfalls auf uralten Ueberlieferungen beruhen, folgende: 


1) Dawamisk: d. i. Moschus-Haschisch; gegenwärtig moschusfrei und 
von grüner Farbe; 

2) Hemdi: indische Conserve, grün: 

3) Garawisch: dieselbe Conserve mit Gewürz und dem Harz von Pista- 
cia lentiscus. 

4) Mourabit (=Conserve) gozzetib (— Muskatnuss) eine ähnliche Zu- 
bereitung mit Pistacie und Muskatnuss. 

5) Magoum, el ward (magoum — Pasta) mit Rosenöl; zu ',; —1 Unze 
auch als Medikament gebraucht. 

6) Habb (Pille) el zafaran — Safranpille; enthält Crocus (magrabie.), 
Eschenharz, schwarzen und weissen Pfeffer, Pyrethrum und Opium 
(Afioum) und wird zu 5—15 Stück genommen. Endlich ist noch 
zu nennen: 

7) Roumi griechischer Haschisch von schwarzer Farbe, weil die dazu 
benutzten Hanfbraeteen zuvor wie Kaffeebohnen gelb angeröslel 
werden. 

Schliesslich theilt Herr Dr. Teuchert aus dem vorliegenden Hefte 
des zool. Gartens einen Speisezettel aus dem im letzten Kriege belager- 
ten Paris mit, welchen Geoffroy veröffentlicht und mit seinen kritischen 
Bemerkungen versehen hat. 


Sitzung am 26. Juli. 


Anwesend 17 Mitglieder. 
Eingegangene Schriften: 
1. Kleinere Schriften der naturf. Gesellsch. in Emden XV. Emden 1871. 8°. 


2. Jahresbericht der k. k. geolog. Reichsanstalt XXI. 1 Wien 1871 gr. 8°. 
3. Verhandlungen der k. k. geolog. Reichsanstalt Wien 1871 gr. 8°. 


sg 


4. Monatsschrift der k. preuss. Akademie der Wissensch. zu Berlin, Mai 
1871. Berlin 1871. 8. 

5. v. Hauer, Zur Erinnerung an Wilh, Haidinger. Wien 1871. 8°. 

6. Verhandl. der Phys. Mediz. Gesellsch in Würzburg. Neue Folge IT, 
1. 2. Würzburg 1871 8°, 


Als neues Mitglied wird proklamirt: 
Herr P. Schoenemann, stud. math. et phys. hier. 


Zur Aufnahme aogemeldet wird: 
Herr Grubenbesitzer Grul in Röblingen, 
durch die Herren Giebel, Bischof, Taschenberg. 


Herr Prof. Taschenberg referivt Schmidt’s neueste Untersuchun- 
gen über den Rüben-Nematoden, 


Herr Prof. Giebel berichtet Studers Untersuchungen über einen 
Kanal bei Tremadoten. 


Herr Oberbergrath Dunker sprach, veranlasst durch die bei dem 
Vereine eingegangene Abhandlung: Beleuchtung des vom Professor M. 
v. Pettenkofer über das Canalisations-Project zu Frankfurt a/M. entworfe- 
nen Gutachtens. Frankfurt a/M. 1871“ über die 1868 in der 42. Versamm- 
lung deutscher Naturforscher und Aerzte und später zur Discussion ge- 
kommenen Frage, wie die exerementilen Stoffe aus den Städten zu entfer- 
nen seien, ohne dass sie wie seither den Erdboden und die Luft vergif- 
ten können und wie der hohe Werth, den diese Stoffe in unzersetztem 
Zustande als Düngmittel haben, für die Landwirthschaft zu verwerthen 
sei. In Erwägung sind hierbei gekommen das Tonnensystem, das Canal- 
system und ein vom Capitain Liernur zu Prag vorgeschlagenes Vertah- 
ren der Entfernung dieser Stoffe in unter dem Strassenpflaster liegenden 
Röhren durch Luftdruck, Das letztere hat der Vortragende von Anfang 
an im Allgemeinen für ausführbar gehalten, und die zuerst wohl berech- 
tigten Zweifel über die Wirkung gewisser an demselben vorkommenden 
Klappen werden durch die in Holland und Prag gemachten Erfahrungen 
beseitigt worden sein. Bis eiwas Besseres erfurden wird- muss Liernurs 
Verfahren, das näher beschrieben wurde, als das rationellste anerkannt 
werden, und.es ist zu tadeln, dass gegen dasselbe unbegründete Vorwürfe 
erhoben worden sind. Es wird aber auch das billigste schon desshalb 
sein, weil es nicht wie die andern Methoden zersetzte, oder zugleich aueh 
sehr verdünnte, sondern concentrirte unzersetzte Düngstoffe liefert, die, 
in Anerkennung ihres höheren Werthes, von den Landwirthen schon gern 
gekauft worden sind. Als nicht ganz zutreffend muss die in der oben 
erwähnten Abhandlung Seite 57 enthaltene Behauptung bezeichnet werden, 
es sei bei Liernur’s Verfahren ein Aufsteigen von Gasen in die Wohnhäu- 
ser, selbst wenn für die Ventilation der Aborte nicht gesorgt würde, un- 
möglich, weil kein Luftzug von unten eintreten könne. Ein solches Auf- 
steigen ist in den Abfallröhren der Aborte auch ohne Luftzug möglich, 
weil, wie schon Rommershausen bemerkt hat, die sich entwickelnden Gase 
leichter als die Luft sind und deshalb in derselben, allerdings nicht so 


90 


stark, als wenn Luftzug vorhanden wäre, in die Höhe steigen und in die 
Wohnungen dringen, wenn nicht für ihren Abzug gesorgt wird. 

Ausser in der erwähnten Abhandlung findet sich Näheres über den 
besprochenen Gegenstand in: 

Tageblatt der 42. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte 
‚in Dresden 1868. Seite 8$— 87, 117— 119 und 158 — 162. 

Offener Brief an die Theilnehmer der XLII. Versammlung deutscher 
Naturforscher und Aerzte zu Dresden 1868 von Capilain Charles T. Lier- 
nur. Prag 1863. Selbstverlag. 

Die Schwemmsielfrage angesichts des Liernur’schen Abfuhrverfahrens 
mit Saugsielen von Dr. OÖ. Volger, Frankfurt a/M. Verlag des freien 
deutschen Hochstifts (Leipzig, F. A. Brockhaus) 1869. 

Schwemmkanäle oder Abfuhr von Pieper, Ingenieur, Dresden. (Otto 
Lubel.) 1869. 


Druckfehler-Berichtigung zur Ornis von Halle. 


Seite 453. Zeile 3 von unten lies Südosten stalt Südwesten, 
„454. Nr. 6. von oben lies 1857 stutt 1867. 

na Mn von oben lies traf statt fand. 

„409 n 12.» von oben lies zog es statl es zog. 

Ana Ale von oben lies Vogel und die Eier statt Vogel. 
Ada Ze. von oben lies Rimrod statt Nimrod. 

BASS AT, von oben lies Rajoch statt Razoch. 

» 466. „ von oben lies im statt in. 

»„ 466. „ 76. » von unten lies gegen statt erst gegen. 
AO SB von unten lies Im Giertz statt In Siertz, 

„ 475 „130. „ von unten lies einer statt einen. 
,.4792,180:005 von unten lies Thuja statt Tupa. 

AS Aa von oben lies Striehvogel statt Streilvogel. 
nA von unten lies neuerer stalt meiner. 
-..480.2.216022, von unten lies die Eier statt die hier. 
..48092,10227, von unten liesDessauischenstatt dessauischen. 
20484902022, von oben lies weit seltener stalt selten noch. 
a ASaNe 203, ,, von unten ist °/,3. hinzuzufügen. 

na ya von oben lies Seeschwalbe statt Seliwalbe. 


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Gebauer - Schwetschke’sche Buchdruckerei in Halle. 


Berg-, Thal- und Gletscherfahrten im Gebiet der 
Oetzthaler Ferner. 


(Skizzen zu einem geographischen Characterbilde) 
von 


Dr. G. Holzmüller. 
(Dazu Taf. IV.) 


Einleitung. 


Die Strenge des letzten Winters und die überreichen 
Schneefälle, vor welchen die Alpen im Mai des Jahres 1871 
heimgesucht waren, hatten den Juli nicht gerade geeignet zu 
einem Besuche des Hochgebirges gemacht. Trotzdem beschloss 
ich, diesen Monat einer Reise nach dem Gebiete der Oetzthaler 
Ferner zu widmen. 

Schon die Allgäuer Alpen, an denen ich meine Vor- 
studien machte, zeigten mir, wie ausserordentliche Schwie- 
rigkeiten die ungewöhnlichen Witterungsverhältnisse zurück- 
gelassen hatten. Als ich z. B. von Oberstdorf aus den 6300‘ 
hohen ‚‚Mädelepass“ überstieg, traf ich schon in der Höhe 
von 4000° auf ansehnliche Schneereste und musste bald 
darauf im Thale des Sperrbachs stundenlang über Lawinen 
klettern. Unsichtbar brauste dabei der wilde Bach unter meinen 
Füssen. Die Mädelealp war noch fast vollständig vom winter- 
lichen Kleide umhüllt und lag einsam und verlassen in der 
Einöde. Beim Herabsteigen in das Lechthal fand ich das 
Holzgauer Tobel an einer Stelle von einer Lawine abgespertt, 
welche die Schlucht wohl 80‘ hoch vollständig ausfüllte. Auch 
hier wühlte sich der Bach durch eine finstere Eishöhle. Der 
einzige Vortheil, den die Lawinen gewährten, war der, dass 
sämmtliche Schneebrücken trugen, so dass die Bäche bequem 
überschritten wurden und das Passiren einzelner Trümmeriel- 
der erleichterl war. 


Grössere Schwierigkeiten bot das Uebersteigen des fast 
Zeitschr. f. d. ges. Naturwiss. Bd. XXXVII, 1571. 7 


92 


1000‘ höheren Kaiserjoches. Dort musste ich mühsam durch 
den tiefen Schneemantel von einer Signalstange zur andern 
waten. Da der Uebergang am Abend geschah und die Hitze 
des Tages den Schnee vollständig erweicht hatte, sauk ich 
oft bis an die Hüften ein. Eine solche Situation ist, wenn 
die Sonne eben untergehen will, und man sich ganz allein im 
Hochgebirge befindet, nicht die angenehmste. Als ich jedoch 
in dunkler Nacht das Dörfchen Pettneu erreichte, war Mühe 
und Anstrengung bald vergessen und durch die botanische 
Ausbeute des Tages reichlich belohnt. Die vorher ungünstige 
Witterung nämlich hatte die Vegetation zurückgehalten. Jetzt 
stand diese in schönster Pracht. Das Sommerkleid der Alpen 
war mir schon bekannt; noch nie aber hatte ich sie in so 
herrlichem Schmucke der Frühlingsflora gesehen. 

Von hier aus folgte ich dem wilden Laufe der Rosana 
und stieg auf der bequemen Arlberger Poststrasse nach dem 
Innthale hinab, welches ich bei Landeck erreichte. Dort bil- 
det der Inn im Wesentlichen die Grenze zwischen den Kalk- 
alpen nnd dem Glimmerschiefergebirge und scheidet demnach 
zwei in vieler Hinsicht verschiedene Welten von einander. 

Südlich vom Strome liegt die mächtige Oetzthaler-Gruppe, 
das Ziel meiner Reise. Schon öfters hatte ich dieses Gebirge. 
besucht. Warum hatte es mich stets von Neuem angezogen ? 
Desshalb, weil es in Bezug auf mittlere Höhe und Massenhal- 
tigkeit der Vergletscherung einzig in den deutschen Alpen 
dasteht. Stellen die letzteren im grossen Ganzen Kettenge- 
birge dar, so sieht man hier eine vielfach gegliederte breite 
Massenerhebung, welche Firnfelder und Gletschergebilde auf- 
zuweisen hat, die mit dem grössten Europa’s in die Schran- 
ken treten können. | 

Eine der Eigenthümlichkeiten dieses Gebirgsstockes ist 
es, dass die Thäler sich allmählich bis zu Höhen von 5 . 6000° 
erheben, ohne dass dabei die Cultur ganz aus ihnen verbannt 
wird. Wo sich der Thalboden nur einigermassen erweitert, 
findet man nicht nur einzelne Bauergehöfte, sondern ganze 
Dörfer, die zu den höchsten Europa’s zählen. Von ihnen aus 
kann man die bedeutendsten Felsspitzen und Eiszinken des 
Gebietes mit verhältnissmässig geringem Aufwande von Zeit 
und Kraft ersteigen. 


93 


Diese Hochthäler also sind charakteristisch für unsere Ge- 
birgsgruppe. Lassen sie auch dem Wanderer, der in ihren 
Schoss vorgedrungen ist, die mächtigen Eisgebirge nicht mehr 
so hoch und mächtig erscheinen, als er es vielleicht erwartete, 
so fühlt er sich dafür bei dem Anblick der durchaus alpinen 
Umgebung hoch in den Norden versetzt. Bald sieht er den 
Getreidebau schwinden, Felder, Gärten und Obstbäume bleiben 
zurück, und nur die Wiesencultur zeugt von emsiger Arbeit. 
Jetzt steht er hoch über der Region der Laubwälder, und nur 
Waldbestände von Lärchen und Zirbelkiefern begleiten ihn bis 
in die Nähe der Gletscher. 

So findet man hier nicht den aumuthigen Wechsel des 
Berner Oberlandes, nicht die wunderbaren Effecte der südlichen 
Alpenthäler, in denen sich die Vegetation Italiens mit der des 
Nerdens berührt, man vermisst selbst die Heiterkeit, welche 
sich die breite Mulde des Oberengadins bei gleicher Höhe be- 
wahrt hat. Hier tragen die Thäler sämmtlich jenen ernsten 
Charakter finsterer Majestät an sich, von dem man im Betreff 
der norwegischen Gebirge so häuflg erzählen hört. 

Ein aufmerksamer Blick auf die Specialkarte belehrt uns 
sofort, dass hier mächtige Kräfte an der allmählichen Zertrüm- 
merung des Gebirges arbeiten. Denn fast überall, wo ein Thal 
seinen Abfluss dem Inn oder der Etsch übergiebt, ist der 
Hauptstrom durch Schuttmassen, welche der Nebenfluss in 
aufgeregter Zeit mit sich führte, bis zur gegenüberliegenden 
Thalwand gedrängt. Man findet Schuttkegel von imposantester 
Grösse. Auf manchem steht ein ansehnliches Dorf so freund- 
lich da, als wäre der Grund, auf dem es gebaut ist, fest und 
sicher von Ewigkeit her. 

Sieht aber der Wanderer, wie alle Bäche, gletschergeboren, 
grau und trüb, mit sinnverwirrendem Getöse über die geneigte 
Thalsohle hinbrausen und jährlich dem Schoose des Gebirges 
grosse Mengen mineralischer Bestandtheile entführen, muss er 
noch im Spätsommer schmutzige, steinbedeckte Lawinenmassen 
übersteigen, die sich als Brücken kühn über die Bäche wöl- 
ben, erblickt er endlich die Muhrengänge und Trümmerfelder 
und einzelne Riesenblöcke, die fern von den Felswänden mitten 
im Wiesenboden liegen, so wird es ilın treiben, Sitz und Heerd 
jener zerstörenden Kräfte genauer kennen zulernen. Besonders 


-* 


l 


94 


interessant aber wird ihm unser Gebiet durch gewisse Er- 
scheinungen der Gletscherwelt, welche nur zu häufig Ereignisse 
in ihrem Gefolge hatten, an die der Thalbewohner nur mit 
Schrecken denkt. 

Orientiren wir uns kurz mit Hülfe der Karte über die 
geographische Lage unseres Gebirgstockes. Geht man von 
Innsbruck aus im Innthale aufwärts bis Finstermünz, verfolgt 
man dann die bequeme Strasse, welche der Schweizer Grenze 
fast parallel über die Malser Haide und durch das Quellgebiet 
der Etsch bis zum Fusse der Ortlergruppe führt, um dann den 
wachsenden Strom bis Meran und Bozen zu begleiten, und reist 
man. endlich über den tiefen Einschnitt des Brenners nach Inns- 
bruck zurück, so hat man die massige Erhebung in ihrem 
ganzen Umfange umwandert. Man könnte den Weg abkürzen 
und von Meran direct über den Jaufen nach Sterzing gehen. 
Dadurch würde ein Gebiet abgeschnitten, welches aus geolo- 
gischen und orographischen Gründen für sich betrachtet werden 
kann. Der Rest des Gebirges zerfällt in zwei Haupttheile, 
welche durch eine Linie vom Timbler Joch bis zur Oetzmün- 
dung deutlich getrennt werden. Oestlich dieser Linie liegt die 
sogenannte „Stubayer Gruppe“, westlich finden wir das spe- 
ciellere Gebiet der Oetzthaler Ferner, mit dem wir uns be- 
schäftigen wollen. Wir verweisen gleichzeitig auf das v. Son- 
klar’sche Werk über diese Gruppe*), in dessen Atlas man neben 
einer vorzüglichen Uebersichtskarte eine Anzahl specieller Glet- 
scheraufnahmen findet. 

Drei Parallelthäler führen uns von Norden her tief in den 
Schooss dieser Gletscherwelt. Das bedeutendste unter ihnen 
ist das schon erwähnte Oetzthal, westlich folgt ihm das kürzere 
Pitzthai, diesem schliesst sich das noch kleinere Kauner oder 
Kaunser Thal an. Die beiden ersteren hatte ich schon auf frühe- 
ren Reisen durchwandert, zum diessjährigen Angriffe blieb mir 
also nur das letzte übrig. Von ihm soll zuerst die Rede sein. 


1) Durch das Kaunser Thal zum Gepaatsch-Ferner. 
Um das Kaunser Thal zu erreichen, verliess ich am 
11. Juli das stadtähnliche Landeck und betrat die kunstvolie 
*) Die Oetzthaler Gebirgsgruppe mit besonderer Rücksicht auf Oro-. 


graphie und Gletscherkunde ete. von Karl Sonklar, Edl. von Innstädten. 
Mit einem Atlas. Gotha, Justus Perthes. 


95 


Strasse, die, kühn in die Felsen gesprengt, zunächst an dem 
rechten Ufer des Stromes hinführt. Der Inn hat sich hier ein 
enges Querthal gebrochen, welches er mit reissender Geschwin- 
digkeit durchtobt. Es ist die einzige Unterbrechung des gross- 
artigen Längenthales und die einzige Strecke seines ganzen 
Alpenlaufes, an welcher der Strom sich fast nach Westen wen- 
det. Vor vierzehn Tagen hatte er, mächtig angeschwollen, 
die Niederungen überschwemmt und allerlei Unheil angerich- 
tet. Wiesen und Felder waren verwüstet, Brücken und Stege 
weggerissen. Die Fundamente der Strasse, die stellenweise 
zerstört waren, wurden eben wiederhergestellt. Noch war das 
Wasser nicht auf den gewöhnlichen Stand zurückgekehrt. Wo 
das Bett sich stark verengte, schoss die Fluth mit wildem 
Ungestüm vorwärts, brandete mächtig gegen die Felsblöcke, 
die den Sturz hemmten, und spritzte oft bis zu Mannshöhe 
empor. Ein anziehendes Schauspiel, dieses Durcheinander- 
schleudern aufgelöster Wassermassen, dieses ewige Verschwin- 
den und Neugestalten phantastischer Schaumgebilde! 

Erst bei der historisch berühmten Pontlatzer Brücke er- 
weitert sich das Thal. Man findet jedoch nicht einen freund- 
lichen Wiesenboden, sondern im Wesentlichen nur ein breites 
flaches Geröllbett, welches der Strom vielfach getheilt durch- 
fliesst. Hier mündet der Faggenbach in den Inn und über- 
schüttet die Niederung mit Schuttmassen, über welche die Cul- 
tur noch nicht siegen Konnte. 

Dieser wilde Nebenfluss ist es, der das Kaunser Thal 
durchströmt. Obwohl das Letztere nur ungefähr 4' Meile 
lang ist, führt es doch dem Innstrom den Wasserreichthum von 
nicht weniger als 26 Gletschern zu. Das Thal hat anfangs eine 
fast östliche Richtung, wendet sich aber bald entschieden süd- 
wärts. Diese Krümmung macht die Firnmassen des Kaunser 
Grates schon für das Innthal sichtbar und erhöht den gross- 
artigen Eindruck des breiten Kessels. 

Die Häuser desıDorfes Prutz, welches von einigen Weilern 
umgeben in der Niederung liegt, sind zum Theil mit Stufen 
versehen, die in das hochgelegene Erdgeschoss führen, ein 
Zeichen, dass der Ort häufigen Ueberschwemmungen -ausge- 
setzt ist. Vor 14 Tagen hatte wirklich das Wasser in vielen 
Wohnungen gestanden. 


56 


Jenseit des Inn, auf der linken Seite des Thales, thront 
auf jäh abstürzendem Felsen die Burg Laudeck. Weiter oben 
befindet sich der Kurort Obladis mit seinem berühmten Sauer- 
brunnen. Ein schwächerer quillt bei Prutz dicht an der Strasse 
aus dem Felsen und ist ein Quell! bescheidenen Verdienstes 
für einige Kinder, welche dem Reisenden mit gefüllten Gläsern 
entgegenspringen. 

Fhe ich den Vizinalweg betrat, der in das Kaunser Thal 
führt, besuchte ich zunächst, und zwar in heisser Mittagstunde, 
die Schlucht, welche sich der Faggenbach bei seinem unge- 
fähr 2750° hohen Austritt im das Innthal gewühlt hat. Ein 
schmaler Fusswez hat gerade noch Platz neben der brausenden 
Ache. Nur hin und wieder findet sich ein wenig Wiesenboden. 
Letzteren hat man durch kunstlose Uferbauten möglichst ge- 
schützt. Mauern, aus Rollsteinen aufgeschichtet, engen den 
wilden Strom ein, dessen Oberfläche stellenweise höher liegt, 
als die Thalsohle. Die Mauern selbst sind an besonders ge- 
fährdeten Stellen durch roh aus Baumstämmen gezimmerte 
Böcke geschützt. Sollte der Fluss übertreten, so sind starke 
Buhnen bereit, die Hauptkraft des Wassers von den Ufern weg 
in die Mitte zu drängen. 

Es ist nicht, wie ich hier und dort gelesen habe, ein 
hoherSchuttwall, durch den sich die Ache wühlt, sondern ein 
vorgebauter Hügel von Thonglimmerschiefer, dessen regelmäs- 
sige Schichten fast senkrecht aufsteigen und deshalb leicht 
der Verwitterung unterliegen. Der Berg selbst, der in frühe- 
ren Zeiten das Thal vollständig abschloss, ist allerdings von 
Schuttmassen bedeckt, die bisweilen förmliche Hügel bilden. 
Ihre abgerundete Form fällt dem Wanderer sofort auf. Der 
Berg gehört jener Terrassenbildung an, die man in Tirol als Nit- 
telgebirge bezeichnet. Von diesen Terrassen hat die Cultur 
überall Besitz genommen, und oft steigt auf ihnen, sofern die 
Lage eine günstige ist, der Getreidebau bis zu erstaunlicher 
Höhe hinauf. 

Von den Steilwänden unserer Thalschlucht löst jedes Hoch- 
gewitter unzählige Centnerlasten morschen Gesteins los, wel- 
ches dann tosend in den gewohnten Rinnsalen herabschurrt 
und Muhren oder Schlammströme bildet. Von solchen war 
der Fussweg erst in letzter Zeit mehrfach überschüttet worden, 


97 


so dass ich oft über Getrümmer wegklettern musste. Oben 
hingen unterwühlte lockere Steinmassen, bereit, dem gering- 
sten Anstosse zu folgen. Diese Muhren waren jedoch, wie 
ich bald erfahren sollte, nur schwache Vorspiele der grossar- 
tigen Schultgänge des oberen Thales, welche durch ihre Ver- 
wüstungen stellenweise die Cultur aus ihrem Bereiche vertrie- 
ben haben. 

Während die linke Seite kräftigen Nadelwald zeigt, der 
nur von wilden Geröllgängen unterbrochen. wird, ist die rechte 
Wand fast kahl zu nennen und nur mit abgeblättertem Schie- 
fergestein bedeckt. Von der Höhe der letzteren blicken die 
Reste der alten Burg Bäreneck nieder. 

Bald verengt sich die Schlucht so, dass ein weiteres 
Vordringen unmöglich wird. Umkehrend folgte ich dem Laufe 
des Wassers bis zum Weiler Faggen, wo man die starke 
Wasserkraft auf mancherlei Weise ausnutzt, und bestieg den 
von Feldern und Schutthalden bedeckten Berg, auf welchem 
in der Meereshöhe von 3430° das Dorf Kauns liegt. Dasselbe 
macht, wie fast alle Dörfer in diesem Theile Tirols, von 
aussen einen freundlicheren Eindruck, als von Innen. 

Wie doch die moderne Cultur selbst in den stillen Schoos 
der einsamsten Alpenthäler eindringt, um rücksichtslos alle 
Poesie zu zerstören! Man denke sich, dass das Bezirksgericht 
zu Nauders wöchentlich mehrere Gensdarmen in das Kaunser 
Thal schickt, welche nicht nur die Dörfer, sondern selbst die 
höchsten Sennhütten aufsuchen müssen, um etwaiges Gesin- 
del abzufangen. In Tirol giebt es viel armes Volk, welches 
im Sommer über die Joche nach den Alpen anderer Gemein- 
den geht und dort den Sennern theils willkommen, theils 
‚lästig ist. Siehelfen ihnen bei manchen Arbeiten, bekommen 
dafür; etwas Alpenkost und dürfen auf den Heustadel schlafen. 
Gefährlich sind diese Bettler den Touristen nicht, sie können 
aber doch recht zudringlich werden. Um dieses Vagabondiren 
unmöglich zu machen, ist jetzt selbst die Gastfreundschaft 
der Alpenhütten unter polizeiliche Controle gestellt, und das 
einfache Hirtenvolk bekommt häufig Besuche der grünen 
Uniformen. Dieser prosaischen Einrichtung zufolge erfreute 
ich mich auf dem Wege von Kauns bis Kaltenbrunn der Be- 
gleitung eines Dieners der Gerechtigkeit, der mir jedoch über 


98 


die Natur des Thales, über die wenigen Gasthäuser und na- 
mentlich über den Zustand der Brücken und Stege zuverläs- 
sige Mittheilungen machen konnte. 


Der Fussweg nach Kaltenbrunn zieht sich hoch an der 
nordöstlichen Thalwand hin und steigt bis zur Höhe von 4032”. 
Das Frühjahrswasser hatte ihn an mehreren Stellen zerstört. 
Nur nothdürftig war er wieder hergestellt, und stellenweise 
war die Passage sogar gefährlich. Das gelbliche thonige 
Schiefergestein weicht leicht dem Andrange der (Gewässer, 
und so sind die Betten der Giessbäche tief eingerissen. An 
einigen Stellen hatten förmliche Erdrutsche stattgefunden. 
Der unterwühlte Rasen hatte sich losgeschält und war mit 
Bäumen und Felsen tief hinabgeschurrt. 


/ur Rechten hat man stets die wilde Thalschlucht, in 
deren Tiefe der Faggenbach bei starkem Gefälle über Fels- 
blöcke und Geröll zum Innthale hinab rauscht. 


Bei : Kaltenbrunn verliess mich die Uniform. — Hier 
macht das Thal die entscheidende Wendung nach Süden und 
verliert gleichzeitig seinen schluchtartigen Charakter. Den 
weniger steilen Abhang bedeckt prächtiger Tannenwald, durch 
welchen bald steigend, bald fallend, unser Pfad führt. Dabei 
öffnet sich die Aussicht in das Innere des Thales, in dessen 
Hintergrunde, vollständig übergletschert, die blendende Weiss- 
wand erscheint. Ihr westliches Ende gipfelt sich zu dem schön 
geformten, imposanten Dome der Weissseespitze (11200°) auf. 


Oestlich stürzt der Kaunser Grat, westlich der Glocken- 
kamm, von einer mittleren Höhe von mehr als 9000 steil 
gegen die jetzt breitere Thalsohle ab, deren Höhe ungefähr 
4000° betragen mag. Auf beiden Abhängen sieht man die 
beweglichen Bänder einiger Wasserfälle. Wo sie herabkom- 
men, ist stets der Ausgang eines hohen Alpenthales, welches 
anfangs guten Wiesengrund aufweist, dann aber schnell im 
das Gemäuer zerrissener Felsgrate und nach den überglet- 
scherten Kämmen hinführt. Ist auch das Thal landschaftlich 
nicht so reich, wie das tiefere Oetzihal mit seinem häufigen 
Wechsel grossartiger Felsschluchten und breiter Wiesenflächen, 
so zeichnet es sich doch vortheilhaft durch die kräftigen 
Waldbestände aus, welche als Bannwälder den cultivirten 


99 


Wiesenboden möglichst vor der Verheerung wilder Natur- 
kräfte schützen. 

In der grünen Thalsohle, die sich bald bis zu einer 
Breite von fast 2000° erweitert, liegen freundlich die niedri- 
gen Holzhäuser der Weiler Platz und Vergotschen. Das Ge- 
fälle des Thales ist hier nicht mehr so stark, wie im unteren 
Theile. Trotzdem eilen die milchigtrüben Fluthen der ufer- 
losen Ache mit schäumender Geschwindigkeit durch die 
Wiesen. 

Was dem Reisenden im Oetzthale so häufig begegnet, 
musste ich hier ebenfalls erleben: Die grosse Hitze entzog 
den Gletschern und Schneefeldern Wassermassen, welche 
der Bach nicht zu fassen vermochte. Streckenweise standen 
die Wiesen unter Wasser, die Strasse war oft überfluthet, 
und ich musste mir durch die Felder einen eignen Weg su- 
chen. Den Landleuten war bange um die Heuernte und die 
mühsam gepflegten Feldfrüchte. Sie befürchteten ein stärke- 
res Austreten des Wassers, da sich schwere Wolken gebildet 
hatten, welche schon die Hochgipfel umzogen und für die 
nächsten Tage Regen in Aussicht stellten. 

Kurz vor Feuchten, dem letzten Dorfe des Thales, breitet 
sich ein imposantes Trümmerfeld aus. Riesige Felsblöcke, 
von denen einige bei entsprechender Grundlage mehr als 
20° Höhe haben, sind wild durch und über einander geschleu- 
dert. Aber schon lange Zeit müssen sie hier lagern, denn 
zwischen den moos- und flechtenbewachsenen Steinen hat 
sich eine reiche Vegetation gebildet. Alte, knorrige Tannen, 
von grauen Bartflechten bedeckt, klammern ihre Wurzeln um 
die Schieferklippen, durch welche der Weg sich emporwindet. 
Ein wahrhaft norwegisches Landschaftsbild! 

Bald wird zur Linken der malerische Wasserfall des 
Gsöllbaches sichtbar, der in 9 Absätzen eine Höhe von 1326 
herabstürzt und zuletzt einen kühnen Luftsprung von 200° 
wagt. Der Schuttkegel, welcher die aufgelöste Wassermasse 
auffängt, trägt einen Stand prächtiger Lärchenbäume Vom 
Thale aus sind übrigens nur vier der Fälle sichtbar. 

Gegen Abend erreichte ich nach gemächlicher Wande- 
rung Feuchten. Das kleine Dorf liegt ungefähr 4180’ über 
dem Meere und besteht aus einer Anzahl theils an einander 


100 


gereihter, theils zerstreuter Gebirgshäuschen, unter denen 
sich nur die Kirche, die Pfarre und die beiden Gasthäuser 
durch massivere Bauart auszeichnen. Einzelne Wohnungen 
liegen hoch an den Thalwänden zwischen abschüssigen Fel- 
dern, auf denen nur mit Mühe ein wenig Korn nebst Kartof- 
feln zur Reife gebracht wird. 

Von dem Wirthe Gfall, dessen Brüder als die stärk- 
sten Leute im Thale und als tüchtige Bergführer bekannt sind, 
wurde ich als erster Tourist dieses Jahres freundlich empfan- 
gen, Bald erschienen auch Förster und Pfarrer, brachten aber 
nicht die besten Hoffnungen mit. „Die Wolken gehen thal- 
auf, das bringt schiächt schlecht) Wetter.“ Einmal gründ- 
lich einzuregnen, darauf muss man im Hochgebirge stets ge- 
fasst sein. Als die Nacht niedersank, machte sich der Sturm 
auf, und bald schlug der Regen klatschend gegen die Fenster. 
Wir blieben jedoch bei guter Laune Bis nach Mitternacht 
sassen wir bei dem rothen Tirolerwein, und ich hörte man- 
cherlei von den Schrecken des Hochgebirges, von Muhren, 
Schneefällen, Lawinen, Unwettern und von all den Müh- 
salen und Anstrengungen, welchen sich der Bergbewohner im 
Sommer und Winter unterziehen muss. 

Als ich am Morgen erwachte, erschien mir das Schlaf- 
zimmer eigenthümlich beleuchtet. War es Traum oder Wahr- 
heit? Am 12. Juli hatten die Berge von Neuem das Winter- 
kleid angelegt! Unten allerdings hatte es geregnet, aber nur 
wenige hundert Fuss über der Thalsohle begann die scharf 
abgegrenzte Schneedecke. Dabei war es empfindlich kühl, 
und wie gestern Abend zogen die Nebel thalaufwärts, ver- 
hüllten die Höhen und liessen häufige Regenschauer nieder- 
prasseln. Es war rechtes Aprilwetter. 

Auf der Strasse stand der Wirth mit seinen Brüdern. 
Aufmerksam lugten sie mit dem Fernrohr durch die Nebel 
nach einer Alp hinauf, um zu sehen, wie es ihren Kühen in 
der Sommerfrische erging. 

Im innern Thale gab es kein Gasthaus mehr. Ich musste 
also in Feuchten bleiben, um besseres Wetter abzuwarten. 
Am Vormittag besuchte ich den Förster. der mir die Zeit mit” 
Jagdgeschichten vertrieb und von seinen Wald- und Wild- 
ständen erzählte. In seiner Stube stand ein plump ausge- 


101 


stopfter Steinadler. Das Thier war im Frühjahr bemerkt 
worden und hatte sich bald in einem Schlageisen gefangen. 
In den Käfig gesetzt, nahm es vier Wochen lang weder 
Fleisch noch Wasser zu sich, fiel endlich rasend vor Hunger 
über einen vorgeworfenen Frass her, um jedoch unmittelbar 
darauf unter Krämpfen zu verenden. Auch Tschudi erzählt, 
mit welcher Halsstarrigkeit diese Thiere in der Gefangenschaft 
über einen Monat lang auf alle Nahrung verzichten können. 
Die Adler sind jetzt sogar in diesen wilden Thälern 
selten geworden. Ich selbst bekam auf der ganzen Reise 
nicht mehr als drei Exemplare zu Gesicht. Lämmergeier 
hatte der Förster lange Zeit nicht beobachtet. Auch der 
Gemsenstand ist sehr zusammengeschmolzen, so dass nur die 
alten Thiere geschossen werden dürfen. Murmelthiere sollen 
nicht so selten sein. Wie mit dem unsinnigen Zerstören des 
Wildstandes, so ist es jetzt auch mit dem verderblichen Ent- 
walden der Berghänge vorbei. Alle Waldstände stehen unter 
obrigkeitlicher Controle, und kein Stamm darf ohne Erlaub- 
niss des Forstwarts gefällt wurden. Brauchen die Bauern 
Holz, so wird ihnen dasselbe angewiesen. Die guten Folgen 
dieses wirthschaftlichen Verfahrens werden nicht ausbleiben. 
Für den Nachmittag war ich zum Herrn Curat, einem 
freundlichen, alten Herrn geladen, wo über Intoleranz, Infalli- 
bilität und Schädlichkeit der Eisenbahnen lustig disputirt wurde. 
Da gegen Abend die Wolken still standen und sich end- 
lich langsam thalabwärts neigten, und da namentlich die 
steilen Schroffen des hohen „Schweiker“ Sonnenblicke erhiel- 
ten, besprach ich mit den Brüdern des Wirthes meine Reise- 
pläne. Ich hatte die Absicht, die grossartige Gletschertour 
von der Gepaatschalpe direct nach Vent zu versuchen. Nach dem 
neuen Schneefalle aber weigerten sich beide Führer entschie- 
den, das Wagniss zu unternehmen. ‚Der frische Schnee ist 
vom Oberwind (Westwind war gemeint) weich geworden; wir 
sinken ein und kommen nicht durch. Das Schlimmste sind 
die Eisspalten, die er verdeckt. Mit dem Wetter ist’s nicht 
sicher. Wenn dort oben Nebel kommen, sind wir verloren.“ 
Sogar über das Oelgrubenjoch wollten sie nicht gern gehen. 
Ueber das Weissseejoch aber wollte es Joel Gfall mit mir 
versuchen. Ich setzte also fest, dass ich morgen, bei gutem 


102 


Wetter, allein nach der Gepaatschalpe gehen und den Glet- 
scher besichtigen würde. Dort sollte Joel am Abend ein- 
treffen, mit mir übernachten und mich dann über jenes Joch 
führen. — 

Das gab ein anderes Erwachen am folgenden Morgen. 
Die Sonne leuchtete hell ins Thal herein, und der frische 
Schnee an den Bergen glänzte wie ein Festgewand. Kühl 
und kräftigend wehte die Bergluft thalabwärts. Die Bauern 
gingen nach den Wiesen, und bald verliess auch ich, mit 
Fleisch, Brod und Wein ausgerüstet, mein norwegisches 
Dörfchen. 

Heute sahen auch die Wasserfälle anders aus, als im 
gestrigen Nebelwetter. Dort stürzte sich der Brunigfall über- 
müthig und wasserreich in den Thalgrund, mitten in die 
Reste einer Lawine hinein, deren fester compakter Schnee 
wohl noch 25° hoch den Boden bedeckte. Gleichzeitig er- 
schien im Hintergrunde der herrliche Eisdom wieder, welcher 
dem Thale einen so grossartigen Abschluss giebt. 

Wohl eine halbe Stunde lang führt der Weg eben durch 
frische Wiesen; dann verengt sich das Thal. Erst treten 
Hügel, dann tannenbewachsene Schieferschroffen bis dicht an 
den Bach heran. Der Pfad beginnt zu steigen. Von beiden 
Seiten senken sich, wie lange Heereszüge, Trümmermassen 
herab, die ihre Vorposten bis ins Strombett vorgeschoben 
haben. Nun brausst das Wasser wild in prächtigen Cascaden 
nieder und stürzt sich kühn in selbstgewühlten Höhlen unter 
den Lawinen hin, die hier und dort die Schlucht verstopfen. 
Oft hört man im Brüllen der Wogen dumpfe Schläge. Sie 
rühren von Felsblöcken her, welche dem Drucke des Wassers 
weichen und hart gegen einander schlagen. 

Nur ein wenig erweitert sich jetzt das Thal. Einige 
Hütten, Klammel genannt, lehnen sich an die Felsen. Der 
dürflige Wiesenboden und die Spuren von Feld sind sorgsam 
durch Steinmauern geschützt. Da die Ache schon am frühen 
Morgen so hoch geht, dass sie den Weg erreicht, so wird 
nach dem neuen Schneefall für den Nachmittag, der heiss 
zu werden verspricht, ein stärkeres Anschwellen der Fluthen 
erwartet. Die Einwohner sind bereits eifrig beschäftigt, Tan- 
nengezweig an bedrohten Stellen aufzuschichten, um die Wucht 


103 


des Wassers von den Mauern abzuhalten und die dürftige 
Ernte zu retten. 

Ein beschwerliches Leben voll von Mühen und Gefahren 
führen diese Gebirgsbauern. Felsbrüche, Lawinen, Muhren, 
Hochfluthen und wie die mächtigen Feinde alle heissen, be- 
drohen Leben und Besitz jahraus jahrein. Und doch haftet 
der Mensch an der Scholle. Nur selten gelingt es den wilden 
Gewalten, die Cultur zu verdrängen. 

Leider ist diess hier ganz in der Nähe geschehen. Wir 
brauchen nur wenige Windungen einer neuen Thalstufe zu 
erklimmen, um die Ueberreste eines flachen Wiesenbodens 
zu erreichen. 

In früheren Zeiten mögen die Trümmermassen, welche 
von den Steilwänden des übergletscherten Watzekogels herab- 
donnerten, das Thal abgesperrt und den Bach aufgestaut ha- 
ben, so dass sich ein See bildete. Die ebnende Kraft des 
Wassers hat den Boden desselben mit Schlamm und Getrüm- 
mer ausgefüllt, bis die Fluth den sperrenden Wall durch- 
brach, allmählich abfloss und culturfähigen Boden zurückliess. 
Die kleine Häusergruppe, welche in dieser Einsamkeit steht, 
wird noch jetzt „See“ genannt. t 

Hier nun kann man sehen, was Muhren zu bedeuten 
haben. Nach mehrfachen Zerstörungen unternahmen die 
Elemente im Jahre 1862 einen Gewaltangriff, dem 30,00077 
Klafter bebauten Bodens zum Opfer fielen. Auf ewig ist 
derselbe von Schlamm und Geröll bedeckt. Noch nicht 
zufrieden damit, haben sich die Schuttgänge von Jahr zu 
Jahr drohender den Häusern genähert. Schon ist die Mühle, 
die abseits am Giessbache steht, fast ganz zertrümmert. 
Die Steinmassen haben die Wände durchbrochen und sind 
in die inneren Räume gequollen. Beim nächsten Hoch- 
wasser wird wahrscheinlich die Ruine ganz weggedrückt. 
Aber auch die Wohnungen werden in Jahr und Tag zerstört 
sein. Vor Kurzem haben die Besitzer, wie ich hörte, be- 
schlossen, den Gefahren zu weichen und ihr Domicil thalab- 
wärts zu verlegen. Traurig vernachlässigt stehen die Häuser 
da; die Gehege sind verkommen, und der Weg ist hoch und 
breit von Gestein überschüttet. Tiefe, unregelmässige Rinn- 
sale hat sich der Bach gewühlt, der von den baumentblössten 


104 


Hängen des Watzekogels in Cascaden niederstürzt. Eine 
Brücke bändigt ihn nicht; der Wanderer mag sehen, wie er 
ihn überschreitet. 

Ich verlasse die traurige Stätte. — Ueber sumpfigen 
Boden führt der Weg durch das Thal, welches sich bald 
wieder verengt, da von beiden Seiten Hügel mit prächtigen 
Bannwäldern bis an den Bach herantreten. Der Weg, an 
deın unser Pfad sich hinaufwindet, ist wiederum ein Trümmer- 
feld aus alter Zeit. Starke Bäume sind zwischen den rauhen 
Schieferblöcken aufgewachsen. In ihrem Schatten wuchern auf 
feuchten Humusbetten, die zwischen den Steinen lagern, üppige 
Farrenkräuter. Freundlich blicken die zarten Blüthen des Bit- 
terklees aus den dunklen Spalten und Klüften hervor. 

Heute ruht der Bannwald still und friedlich im Sonnen- 
schein. Anders wird er erscheinen, wenn er beim Hochge- 
witter, vom Sturm geschüttelt, die Macht des Wassers bricht 
und dem Andrange bewegter Felsmassen widersteht, anders, 
wenn die Lawine donnernd anstürmt, ganze Reihen von Bäumen 
niederschmettert und doch endlich zwischen Stämmen und Ge- 
stein Kraftlos ermattet. 

Dort aber lichtet sich der Wald. Dort hat die Wucht 
entfesselter Schneemassen bis tief an den Bach hinab eine 
Bresche gerissen. Ein wildes Durcheinander zerbrochener Stämme, 
verdorrter Zweige und darüber geschleuderter Steine bezeich- 
net den Gang des Ungeheuers. Hier droht dem ganzen Walde 
Gefahr. Denn wo es ihr einmal glückte, da versucht es die 
Lawine von Jahr zu Jahr von Neuem. 

Ein Bild von überraschender Freundlichkeit bielet eine 
grüne Wiese, auf welcher mächtige Felsen nur eimzeln zer- 
streut liegen, und wo im Schutze eines häuserhohen Blockes 
ein kleines Kapellchen mit dem Muttergottesbilde ruht. Nicht 
weit davon befindet sich eine Schwefelquele.e Die Bauern 
haben sie mittelst einer Holzrinne bis an den Weg geleitet und 
halten das Wasser für ausserordentlich gesund. Nun führt der 
Pfad von Neuem in den Wald, an quellenreichen Abhängen 
hinauf, wo sich zwischen den träufelnden Steinen feuchte Moos - 
und Rasenbetten ausbreiten, welche ein bunter Flor der schön- 
sten Alpenblumen schmückt. 

Solche Stellen findet man in diesen Gebirgen häufig wie- 


105 


der. Ein Jeder begrüsst sie mit Freude, und gern weilt der 
Blick des Wanderers ein Weilchen auf den freundlichen Kindern 
der Flora und freut sich der kleinen Welt, die so bescheiden 
in der grossartig rauhen Umgebung wächst und blüht. 

Wo in den Ritzen und Spalten der Felsen oder auf den 
treppenartigen Absätzen des Gesteins der feuchte Humus haften 
kann, da bilden sich Moos - und Flechtenlager, oder es breiten 
sich die weichen Teppiche der Selaginella helvetica oder die 
blumendurchwirkten Polster rasenbildender Pflanzen aus. Zahl- 
reich wuchert hier die Pinguicula vulgaris mit ihren gallert- 
feuchten, hellgrünen Blattrosetten, die sich flach auf den Fel- 
sen niederbreiten; schlanke Stengel treibt sie aus diesen her- 
vor, deren jeder eine violette, gespornte Blüthe trägt. Auch 
ihre Schwester, Pinguicula alpina, ein bescheidenes weisses 
Blümehen, tritt nicht selten auf. Die Nachbarin pflegt die 
Pirola uniflora mit jener nickenden Blüthe zu sein, aus deren 
flacher weisser Blumenkrone ein ungewöhnlich grosser Stempel 
hervorragt. Dort hängt am Felsen der schwankende Stengel 
der Tofieldia calyculata und wiegt die gelbe Aehre im Winde. 
Von jenem höheren Rasenbande hat eine andere Blume Besitz 
genommen, die zweihäusige Valeriana montana, deren Blüthen 
zum Theil vom zartesten Flaume geschmückt sind. Daneben 
wächst frisch aus dem bethauten Moosboden eine ganze Colonie 
kleimer Pflänzchen der Entwickelung entgegen. Nur noch einige 
Tage, dann wird der Blüthenschnee der Parnassia palustris 
ein reizender Schmuck des grünen Felsenbandes sein. 

Charakteristisch ist das Auftreten der Viola biflora, des 
eigentlichen Veilchens der Alpen. Aus den dunklen Schatten 
feuchter Felsspalten leuchten seine goldglänzenden Blüthen her- 
vor, von zartem hellgrünen Blätterschmuck umgeben. Wie fast 
alle Veilchen, so entwickelt sich auch dieses in bescheidener 
Zurückgezogenheit. 

Im lieblichsten Wechsel treten ringsum die mannichfaltigen 
Steinbrecharten auf, lauter freundliche Erscheinungen und echte 
Kinder der Alpenwelt. Oben am Felsen, im hellsten Sonnen- 
schein, breitet sich meergrüner Rasen aus, der von unzäh- 
ligen kleinen Blättchen der Saxifraga caesia gebildet wird. Ganze 
Scharen schlanker Stengel heben sich aufwärts und tragen die 
schönsten Blüthensterne. Unten aber, auf. feuchtem Grunde, 


106 


wuchern die gelbgeblümten blattreichen Stengel der Saxifraga 
aizoides, und aus glänzenden Blattrosetten treiben Saxifraga aspera 
und stellaris hohe Stengel auf, die alle von zierlichen Sternen 
geschmückt sind. Zum Schlusse sei die Saxifraga aizoon ge- 
nannt, welcher die Krone in dieser Familie gebührt. Reizen- 
deres kann es nicht geben, als die Rosettenblätter dieser Pflan- 
ze, die eine förmliche Garnitur von weissen Perlen tragen. 
Leicht erkennt man, dass die letzteren Kalkabsonderungen sind, 
die sich in den Grübchen des Blattrandes bilden. Asplenium 
Trichomanes und viride, die lieblichsten unserer Farrenkräuter, 
vollenden häufig den Schmuck des Felsens. 

Hin und wieder pflückt der Wanderer am Wege ein 
röthliches Blümchen, welches an der Hand einen mehligen 
Staub zurücklässt. Es ist eine Schwester unserer Schlüssel- 
blume, die Primula farinosa. Seltener wird er eine entferntere 
Verwandte jener Frühlingshoten finden, die Cortusa Matthioli 
mit ihren violetten, niederhängenden Glöckchen. Dort aber, 
am Rande des Gebüsches, webt sich in den bunten Teppich 
der Blüthenschmuck der Aquilegia oder des charakteristischen 
Benedictenkrautes (Geum rivale). Und noch mancherlei findet 
sich im feuchten Schatten des Buschwerkes. 

Im Spätsommer schwindet der bunte Schmuck disser Blu- 
menwelt. Einige Glockenblumen und Gentianen werden ihn zu 
ersetzen suchen. Schon jetzt sieht man hier und dort das 
frische Kraut der Gentiana cruciata und die lanzettlichen Blätter 
der schönen G. asclepiadea. 

Im Gegensatz zu dem bunten Blumenflor des feuchten Ab- 
hangs wird der Nichtbotaniker an den trockenen Felsen des 
Thalgrundes, die dem heissesten Sonnenbrande ausgesetzt sind, 
kaum einiges Pflanzenleben vermuthen. Höchstens das schmuck- 
lose Kleid der Flechten und die staubigen Polster der Moose 
glaubt er zu finden. Erstaunt aber wird er sein, beim Näher- 
treten auch hier einen wahren Reichthum von Blüthen zu er- 
blicken. Allerdings ist der Wechsel nicht so gross, denn vor 
Allen dominiren die verschiedenen Formen der Gattungen Sedum 
und Sempervivum, aber dafür wuchern auf dem dürren Gestein 
um so üppiger die saftigen Stengel mit den fleischigen Blättern, 
und zahlreiche Blüthensterne von weisser, gelber und rotber 
Farbe saugen die brennende Wärme der Sonnenstrahlen ein. 


107 


Alpenrosen, und zwar Rhododendron ferugineum, fand ich 
in Menge, als ich bei der Rostizalpe den Bach überschritten 
hatte und längs der felsigen Abhänge über den flachen Kies- 
boden wanderte. Die altersgrauen Felsblöcke zur Rechten wa- 
ren bisweilen so vollständig von ihnen bedeckt, dass es aus- 
sah, als hätten sie ein bräunlichgrünes, glühendroth durch- 
wirktes Kleid angezogen. Hier entsprangen am Fusse des Ab- 
hangs zahlreiche Quellen. Das feuchte Ufer der klaren Bäche 
brachte Homogyne alpina und Petasites alba in Menge hervor 
und war hier und dort mit einigen gefleckten Orchideen ge- 
schmückt. 

Die ganze Flora dieser Thalhänge der untern Alpenregion 
zu schildern, würde hier unmöglich sein. Absichtlich wurde 
nur das angegeben, was mir beim Durchwandern des Thales 
auffiel, ohne dass ich eigentlich nach Pflanzen suchte. Es kam 
nur darauf an, den allgemeinen Eindruck möglichst treu wie- 
derzugeben. 

Vergleicht man im Allgemeinen die Nebenthäler dieses Glim- 
merschiefergebirges mit denen der Kalkalpen, so sind die letzte- 
ren, was die Schönheit der Formen anbetrifit, entschieden im 
Vortheil. Die Kalkberge sind zerrissener und zerklüfteter, die 
Thäler durchbrechen die Ketten in mühsamen Windungen und 
bieten desshalb grosse Mannichfaltigkeit der Ansichten. Jeder 
Abhang ist von Runsen und Schluchten plastisch durchfurcht, und 
von den zerschnittenen Gralen ragen vielgestaltete Spitzen und 
Zinken zum Himmel auf. Hier hingegen gehen die Thäler weit- 
hin gradaus, als ob das Gebirge bei seiner Erhebung ausein- 
ander gebrochen wäre, und so erscheinen sie als langgestreckte 
Mulden, in denen die Aussicht nur langsam wechselt, in denen 
man nur selten jene wunderlichen und bizarren Spiele der Ero- 
sion bemerkt. Dazu ist hier die Unterlage der Berge massiger, 
die Gipfelformationen sind nicht so zahlreich, und es herrscht 
mehr Neigung zur Plateaubildung. Kühn gezackte Hörner und 
scharfe Spitzen treten allerdings hier und dort auch auf, sind 
aber in der Regel vom Thale aus nicht sichtbar und ändern 
deshalb den muldenartigen Charakter nich. Auch die dunkle 
Farbe der Felsen ıst hier düsterer und eintöniger, als das 
helle, vielfach schattirte Grau der Kalkalpen, von denen sich 
das grüne Kleid der Vegetation ganz anders abhebt. Das Auge 

Zeitschr, f. d. ges, Naturwiss. Bd. XXXVIII, 1871, S 


108 


wird also hier weniger Befriedigung finden, als dort. Mir 
scheint jedoch auch die Pflanzenwelt der Kalkberge eine reich- 
haltigere und farbenprächtigere zu sein, als die hiesige. 

Aber etwas fehlt den Kalkalpen doch, gerade das, was 
wir suchen, die erhabene Majestät jener imposanten Eisdome 
und die breite Entwickelung massiger Firnfelder, aus denen 
sich die Riesenarme der Gletscher tief ins Thal herabsenken. 

Schon werden rechts und links ansehnliche Eismassen sicht- 
bar, auch vor uns schliesst eine blendende Wand das Thal 
ab, und bald wird uns diese fremdartige Welt in ihren Schoos 
aufgenommen haben. 

Nur noch ein Aufstieg durch wildes, waldbedecktes Fels- 
getrümmer, wo ich die Zirbelkiefer zum ersten Male wieder 
sehe, wo an den Abhängen ganze Teppiche von Rhododendron 
wuchern,, und die gelben Veilchen und Primeln ihre Köpfe aus 
dem gestrigen Schnee stecken, der im Schatten der Bäume und 
Felsen noch nicht schmelzen wollte; dann deuten kunstlose Ge- 
hege die Nähe von Menschen an, ich trete aus dem Walde, 
und vor mir liegen die grünen Matten der Gepaatschalpe (6021). 

Ein schöner, grossartiger Anblick! Links die mächtigen 
Schroffen der Oelgrubenspitzen mit ihren schneeigen Klüften, 
vor mir der steile Nöderkopf, der sich quer vor die Weiss- 
wand geschoben hat, und zwischen ihnen die Eismasse des 
Gepaatschferners, dessen Grösse in den deutschen Alpen un- 
übertroffen dasteht. Im Hintergrunde theilt sich der mächtige 
Eisstrom, und zwischen beiden Armen ragt schwarzfelsig der 
ringsumgletscherte Rauchkopf hervor, um den sich östlich der 
Gletscher in tiefer Mulde herumwindet, während westlich ein 
hoher Eiskamm steil überstürzt und zerbrochenes Treppenwerk 
herabsendet. 

Am Fusse des Nöderkopfes liegt mitten in den Wiesen die 
grosse Sennhülte der Gepaalschalpe, vor derselben der umhegte 
Melkhof, und nicht weit davon steht der grosse Viehstall. Rings- 
um weiden an den sonnigen Ahbhängen zahlreiche Rinder. 

Die Gepaatschalpe ist Eigenthum der Gemeinde Prutz und 
war in diesem Jahre von 88 Kühen betrieben. Sonst pflegt 
die Anzahl derselben grösser zu sein. Die Kühe bleiben stets 
auf den sanften Thalabhängen in der Nähe der Hütte und las- 
sen sich Morgens und Abends ohne Schwierigkeit zum Melken 


109 


treiben. Sie wissen, dass ihnen dort die Hirten stels etwas 
Salz zu lecken geben. Nur beim schlimmsten Unweller wer- 
den sie in den Stall getrieben , sonst bleiben sie Tag und Nacht 
im Freien. Auch einige Schweine treiben sich herum, die mit 
den Molken gemästet werden. Später im Jahre werden Ochsen 
in das noch höhere Thal der Alpe Nasserein gebracht. Augen- 
blicklich waren dieselben nebst einer Anzahl von Pferden, in 
einem unteren Theile des Thales. i 

Obwohl die Gepaatschalpe bedeutend höher liegt, als z. B. 
der Gipfel des Rigi, so ist sie doch von allen Seiten geschützt 
und bequem ins Thal gebettet. Sie lehnt sich an lawinenfreie 
Abhänge. Ein Arm des Baches, der die quellenreiche, etwas 
sumpfende Umgebung durchströmt, ist an die Hülte herange- 
leitet und treikt ein Rad, welches die Stampfe des riesigen 
Butlerfasses in Bewegung setzt. Denn vorzüglich Butter wird 
hier bereitet. Sie wird den ganzen Sommer hindurch in einem 
kühlen dunkeln Raume aufbewahrt und zu einem einzigen gros- 
sen Kuchen geformt, der bei einem Durchmesser von 4—5 
Fuss allmählich die gleiche Höhe eıreicht. Im Herbste wird 
sie nach Prutz gebracht und unter die Bauern vertheilt. Die 
Vertheilung geschieht nicht nach der blossen Zahl der Kühe, 
sondern nach dem Milchertrage der einzelnen Thieree. Um den- 
selben zu taxiren, kommen die Bauern öfter im Sommer her- 
auf und setzen ihn gemeinschaftlich fest. 

Die Butter wird nicht ausgeführt, sondern zu eignem Ge- 
brauche verwandt. Die Käse, die man hier bereitet, -sind 
widerlich trocken und fast ungeniessbar. 

Das Personal der Hütte besteht aus dem Senner, drei‘ 
Hirten und einer Magd, welche vollauf zu thun haben. Sie 
leben höchst einfach von Milch und Mehlspeisen und von trock- 
nen, kuchenförmigen Broden, deren ganzer Vorrath auf einem 
wunderlichen Gestelle dicht neben der grossen gemeinsamen 
Schlafstätte sich befindet. 

Selten wird die Einsamkeit durch den Besuch eines Tou- 
risten unterbrochen. Denn das Kaunser Thal ist noch zu un- 
wirthlich, um sich dem Strome der Reisenden zu öffnen. Feuch- 
ten besitzt das letzte leidliche Gasthaus. Von dort bis zu 
(Gepaatschalpe findet man auf Sstündigem Wege last nur Alpen- 
Kost, und mit dieser und einem Heulager für die Nacht nimmt 

S*+ 


110 


nicht jeder verlieb, Sollte es gelingen, in der Nähe der Alpe 
ein Berghaus zu gründen, so würde dem Thale mit seiner 
herrlichen Gletscherwelt eine grossartige Zukunft bevorstehen. 
Sicher würde es kein schwächlicher Concurrent des Oetzthales 
werden, und wir würden eine neue und zwar wesentliche Füh- 
rerstation für das Netz von Hochgebirgstouren erhalten, welches 
für jetzt von Vent und Gurgl aus sich über die mächtigen Eis- 
wälle ausbreitet. 

Als ich durch den kotbigen Melkhof zur Hütte gelangle, 
wurde ich von den Leuten freundlich empfangen und zu der 
frugalen Mittagstafel geladen. 

Der Nachmittag sollte der Besichtigung des Gleischers ge- 
widmet werden, den man von hier aus in wenigen Minuten 
erreicht. Der Senner versprach mich zu begleiten. Allein wollte 
ich das Eis nicht betreten, weil der frische Schnee sämmtliche 
Spalten verdeckte. 

Orientiren wir uns zunächst über die Lage und den Um- 
fang des mächtigen Eisgebildes.. Die Uebersichtskarte und die 
Specialaufnahme des Gletschers im v. Sonklar’schen Atlas wer- 
den den Leser wesentlich unterstützen. 

Zwischen dem Rofner - und Venter- Thale einerseils und 
dem Langtauferer -, Kaunser- und Mittelberger - Thale anderer- 
seits zieht sich von der imposanten ., Weisskugel“ (11841) 
über die ‚Wildspitze“ (bei 11947‘ der höchste Gipfel der 
ganzen Gruppe) bis zum ‚„ Weissen Kogel“ die Haupimasse des 
Oetzthaler Gletschergebieles, der sogenannte Weisskamm. Keiner 
der übrigen Kämme kann in Bezug auf Vergletscherung mit 
diesem rivalisiren. Die mittlere Breite des durchaus zusammen- 
hängenden Eiszuges lässt sich auf "4 geographische Meile ver- 
anschlagen. 

Zieht man eine gerade Linie vom „Urkundkopfe “ nachı 
dem Langtauferer Jöchl, so. hat man mit ziemlicher Genauig- 
keit von der gesammten Firnmasse den Theil abgetrennt, wel- 
cher das Gebiet des Gepaalschferners darstellt. Im Westen ist 
dasselbe begrenzt durch die 11200‘ hohe ‚ Weissseespitze ‘“, im 
Süden durch die „Hochvernagtwand “ im Nordosten durch die 
„Schwarze Wand “. 

Die Peymann’sche Specialkarte stelll dieses überreiste 
Hochplateau durchaus unvollkommen dar. Dort macht dasselbe 


111 


den Eindruck , als ob es ringsum von Kämmen umgeben sei, 
so dass man einen Kessel vor sich zu haben meint, von dem 
man nicht weiss, wohin er eigentlich seine Firnmassen entleert. 

Von der Weissseespitze zieht sich die übergletscherte Weiss- 
wand nach Osten. Sie begrenzt das Plateau im Norden; die 
überquellenden Eismassen aber stürzen steil in abgerissenen, 
treppenförmigen Absonderungen nach dem untern Theile des 
eigentlichen Gepaatschgletschers hinab. Die Ostgrenze dieses 


‚Zuges bildet‘ der im Spätsommer ziemlich schneefreie Rauch- 


kopf. Zwischen diesem und der gegenüberlieden Schwarzen 
Wand befindet sich der tiefe Einschnitt, durch welchen haupt- 
sächlich das Plateau sich seiner Eislast entledigt. Hier quillt 
der Gletscher, in mächtiger Windung den Rauchspitz umkrei- 
send, ins Thal hinab. 

Südöstlich ist das breite Firnfeld von dem Weisskamm 
begrenzt, aus dem nur wenige ihrer Steilheit wegen schnee- 
freie Felsschroffen aufragen. Nach dem Fusse dieses Zuges 
hin senkt, sich von der Weissseespitze her das Plateau ganz 
allmählich nieder, der Firn geht in das eigentliche Gletscher- 
eis über, und die ganze compacte Masse wandert langsam mit ! 
schwachen Gefälle nordwärts, um sich dann mit stärkerer 
Senkung durch den oben erwähnten Einschnitt zu drängen. 
Die Bahn des Gesammigleischers ist also im Ganzen eine S för- 
mige. Ihre Länge giebt v. Sonklar mit 35,748‘ an, während 
die des eigentlichen Gletschers (ohne das Firnfeld gerechnet) 
16,700° erreicht. Die grösste Breite des Firnfeldes beträgt 
mehr als 10,000‘, die des Gletschers unterhalb des Rauch- 
spitzes beschränkt sich auf 1800. 

Wie langsam muss das Vorwärtsrücken der Massen in dem 
obern stundenbreiten Theile des Firngebietes sein, wenn selbst 
die Bewegung des auf den 6. oder 7. Theil dieser Breite zu- 
sammengedrängten unteren Gletschers von den Thalbewohnern 
sar nicht wahrgenommen wird. Von einem Vorwärtswandern 
wollte wenigstens der Senner gar nichts wissen, im Gegentheil 
hehauptete er, der Ferner ginge rückwärts (natürlich meinte er 
damit das Abschmelzen des unteren Endes). Und doch war er 
ein ganz intelligenter Mann, der schon manchen Sommer hier 
oben verbracht hatte und wie aus Allem, was er sprach, her- 
vorging, seinen nordischen Nachbar aufmerksam beobachtete. 


112 


Genaue Beobachtungen über das Wandern der Gletscher 
haben bei vielen ein tägliches Vorrücken von 8-10“, bei 
einigen weniger, bei andern bedeutend mehr nachgewiesen. 
Die Bewegung ist im Frühjahr und Sommer, wo der Schmelz- 
process grosse Wassermassen durch den Gletscher leitet, am 
stärksten; im Winter pflegt sie kaum bemerkbar zu sein. An 
dem Gepaatschgletscher ist ein Weg von 200° für ein Jahr 
entschieden viel zu hoch gegriffen. Es muss demnach ausser- 
ordentliche Zeit vergehen, ehe die ganze Strecke durchlaufen . 
wird. 

Man hüte sich, die Masse des aus dem Gletscher austre- 
tenden Wassers ohne Weiteres als Massstab des Schmelzens 
zu betrachten. Hier, wie so häufig, ist es der Fall, dass an- 
sehnliche Bäche der Seitenthäler den Gletscher erreichen, un- 
ter ihm verschwinden und erst am Ende wieder erscheinen. 
Hier ist es vorzüglich der Oberburgbach, der den Wasserertrag 
des übergletscherten Amphitheaters von der Weissseespitze bis 
zum Glockenthurm, also die Abflüsse des Weisssee-, des Kar- 
lesspitz-, des Seejoch-, Nasswand-, Krummgampen- und Riff- 
“ lergletschers, dem Gepaatschferner zuführt. 

Jedenfalls müssten sich colossale Firnmassen in den obe- 
ren Theilen des Eisplateaus aufhäufen, wenn neben dem all- 
zulangsamen Wandern und Schmelzen nicht der Process der 
Verdunstung als wesentlicher Factor aufträte und Tag und 
Nacht die Last der Gebirges erleichterte. 

Die mittlere Höhe des eigentlichen Firnplateaus mag 9500‘ 
betragen, so dass fast die Hälfte der Oberfläche sich höher 
befindet, als die Spitze des Rauchkopfs. Letzterer eignet sich 
vorzüglich zum Ueberblick des ganzen Ferners, da er sich mit- 
ten aus dem Eismeere erhebt. In 4—5 Stunden ist er von 
der Alpe aus ohne weitere Schwierigkeiten zu ersteigen. 

Auf der linken Seite kann man von Zuflüssen nicht eigent- 
lich reden. Auf der rechten bemerkt man einige, jedoch sind 
sie ohne Bedeutung. Der einzige grössere kommt von der 
Schwarzen Wand herab und muss, da seine Richtung der des 
Hauptgletschers fast entgegengesetzt ist, von letzterem ge- 
waltsam herumgedrückt werden. Welche Kräfte mögen hier 
langsam und stetig wirken! 

Zunächst besuchte ich mit dem Senner die Stirn des 


113 


Gletschers. Der Weg führt anfangs über sumpfiges Terrain 
und erreicht bald einen von Alpenrosen überdeckten Abhang. 
Der Thalboden wird sichtbar, ein breites, graues Trümmer- 
feld. Der trübe Bach eilt vielfach getheilt durch die flachen 
Rinnsale des Geröllbodens. Da plötzlich hört am Abhange die 
Vegetation vollständig auf, die Wände sind glatt abgeschliffen, 
und einzelne Geschiebe und Trümmerblöcke zeigen als sichere 
Marke an, wie weit einst der Gletscher herabreichte. Auch 
der Boden der Mulde ist glattgescheuert. Mit Zähigkeit suchte 
der Gletscher jedes Hinderniss aus dem Wege zu schleifen. 
Dennoch ist es ihm, als er hier unten arbeitete, nicht gelungen, 
einzelne Riffe, die fest im Boden hafteten, vollständig zu ent- 
fernen. Von allen Seiten, sogar von der unteren hat er sie ange- 
griffen, überall sind sie wunderlich ausgekehlt und die abenteuer- 
lichsten Forınen zeugen von der zähen Wirksamkeit des Eises. 
Die Frontmoräne ist ganz unbedeutend, und zwar desshalb, 
weil der Gletscher keine eigentliche Mittelmoräne besitzt und 
nur wenige Steine auf seinem Rücken trägt. Auffallender sind 
die Randmoränen, die er zurückgelassen hat. Hoch an den 
Wänden lagern Blöcke, die er vor Zeiten dort niederlegte. 
Wir näherten uns der Gletscherstirn, welche zuerst auf 
denjenigen, der nicht geübt im Beurtheilen alpiner Grössen- 
verhältnisse ist, keinen besonders imposanten Eindruck ma- 
chen wird. Der Gletscher scheint ihm kaum eine Viertelstunde 
lang und keine hundert Schritte breit zu sein. Diess kommt 
nicht nur daher, dass in solchen Regionen aller Anhalt zum 
Taxiren zu fehlen pflegt, sondern auch daher, dass die ganze 
Masse perspectivisch hinter dem gewölbten Ende verschwindet. 
Das Titelbild des v. Sonklar’schen Buches, welches eben- 
sowenig wie die besten Gemälde eine hinreichende Vorstel- 
lung von einem Gletscher geben kann (das Stereoskop leistet 
hierin noch das Meiste), sucht uns zu erzählen, wie das un- 
tere Ende des Gepaatscher Ferners im Jahre 1856 aussah. 
Zu jener Zeit füllte ein mächtiger Eiswall, der schliesslich 
fast senkrecht niederstürzte, das Thal aus. Neben der pracht- 
vollen Wölbung des Hauptthores, welches 60° breit und 48’ 
hoch war, zeigte sich noch ein zweites, kleineres Thor. In 
das erstere konnte man ohne Mühe tief eindringen. Aus bei- 
den strömten Bäche aus, die sich bald im Trümmerfelde ver. 


114 


einigten. Die beiden Ausgänge und besondere Erscheinungen 
auf dem Rücken des Gletschers deuteten darauf hin, dass ein 
bedeutendes Felsenriff unsichtbar unter dem Eise ruhte und 
die Mulde mit dem eingelagerten Gletscher in zwei Theile 
trennte. 

Wie auffallende Veränderungen sind seitdem vor sich ge- 
gangen! Zunächst muss der Zeichnung nach der Gletscher 
um weit mehr als 200 Schritte zurückgegangen sein. Ausser- 
dem ist er bedeutend zusammengesunken, Das von Sonklar 
vermuthete Felsenriff ist deutlich zu Tage getreten und schon 
von einiger alpiner Vegetation bedeckt, die zwischen den 
zurückgebliebenen Schuttmassen Fuss gefasst hat. Die Thei- 
lung ist also immer entschiedener geworden. Auf der Zeichnung 
endet der Hauptstrom hoch und frei in kühner Wölbung;; jetzt 
liegt er flach in die Mulde zwischen Riff und Thalwand ge- 
bettet. Die beiden Gletscherthore sind vollständig verschwun- 
den. Die Oberfläche des Hauptarmes senkte sich jetzt unter 
20—250 Neigung abwärts, und nur in der Höhe von 15—20‘ 
bauten sich die Eisschichten simsähnlich ein wenig über, so 
dass ein Vorragen von kaum 8—10‘ erreicht wurde. An bei- 
den Rändern der Mulde lagerte die Eismasse fest auf und 
schwebte in der Mitte höchsiens zwei Fuss über dem Boden, 
so dass eine flache Höhle von 20 — 25° Breite entstand, aus 
welcher der Bach hervorquoll. — Der Nebenarm, der bei wei- 
tem nicht so tief herabgeht, als der Hauptarm, macht eigent- 
lich nur den Eindruck einer Seitenböschung, läuft muschelar- 
tig in das Gerölle aus und entsendet aus noch unscheinbare- 
rerer Spalte den schwächeren Abfluss. Beide Bäche, anfangs 
durch das Riff getrennt, vereinigen sich unterhalb desselben 
im Getrümmer. 

Und doch sind diese Wandelungen geringfügig gegen die 
grossartigen Veränderungen, welchen der grosse Gurgler- und 
vor allem der berüchtigte Vernagtgletscher drüben im Oetzthale 
unterworfen waren. Von den launenhaften Wanderungen die- 
ser beiden unruhigen Eisriesen wollen wir an geeigneter Stelle 
Einiges mittheilen. 

Die Farbe des Eises erschien nur desshalb schmutzig grau, 
weil das frische Schneegewand allzublendend dagegen abstach. 
In Wahrheit gehört der Gepaatschferner zu den reineren Glet- 


115 


schern. Das Eis muss schon desshalb verhältnissmässig frei 
von Schmutz sein, weil der Gletscher in den oberen Theilen 
fast nur von firnbedeckten Wänden umgeben ist und keine 
Mittelmoräne besitzt. Eingebackene Felsblöcke waren fast gar 
nicht zu sehen und die Annäherung war ganz gefahrlos. 

Zwischen den gelbbraunen, harten Glimmerschiefern, welche 
die Moräne bildeten, fand ich einige Blöcke des dunkleren 
Hornblendeschiefers. Letztere stammten jedenfalls von den 
Abhängen des Weisskammes. 

Von der Stirn aus war der Gletscher seiner Steilheit we- 
gen nicht gut zu besteigen. Wir gingen etwas zurück, klet- 
terten mühsam an den glattgewaschenen Wänden zur höheren 
Randmoräne hinauf, deren Steine hier und dort schon von Rho- 
dodendron umschlungen waren, und eilten dann über eine ab- 
gescheuerte schräge Schieferplatte zur Oberfläche des Eises 
hinab. 

Der frische Schnee lag durchschnittlich 4— 5 hoch, stel- 
lenweise aber erreichte er die doppelte Höhe. Die Beobach- 
tung der Gletscherfläche war also schwierig. Das Gehen war 
anfangs ganz gefahrlos, denn die Spalten waren selten und 
nicht breit. Wo ein Blick in die grünschimmernde Tiefe ge- 
stattet war, konnte man deutlich das Vorwärtsneigen des obe- 
ren Theiles der Spalten beobachten. Bekanntlich beweist das- 
selbe ein sclhnelleres Bewegen der Gletscheroberfläche, als 
der tieferen Theile, eine Erscheinung, die sich ganz naturge- 
mäss erklärt. 

Die Mitte des Gletschers ist bedeutend höher als der zu- 
sammengesunkene Rand. In Folge der Strahlung und Reflexion 
der Wände waren längs der letzteren tiefe Klüfte entstanden. 

Die Rauchspitze schien ganz nahe zu sein. Auf sie 
steuerten wir zu, um zunächst die Vereinigungsstelle der bei- 
den Gletscherarme zu besuchen und dann womöglich den Gi- 
pfel zu ersteigen. Je mehr wir dem Berge nahten, um so 
mehr schien er zurückzuweichen, und erst jetzt wurden die 
imposanten Grössenverhältnisse der ganzen Umgebung deutlich 
erkennbar. Aber je weiter wir vordrangen, um so mehr Schwie- 
rigkeiten stellten sich ein, denn Anzahl und Breite der Spalten 
nahmen zu, und doch verdeckte die trügerische Schneedecke 
jede Gefahr. Einige Risse gingen tief in das Innerste der 


116 


Eismasse hinab, andere waren weniger tief und dienten klei- 
nen Gletscherbächen als Bett. Stellenweise beobachtete ich 
wellenförmige Einsenkungen, in denen sich bisweilen Wasser 
angesammelt hatte. Die Fläche wurde immer unebener und 
zerklüfteter, es begannen jene sonderbar gestalteten qua- 
derörmigen Absonderungen, zwischen denen sich schroffe 
Schründe hinabsenkten, deren Wände in fahlem Blaugrün schim- 
merten. Von ausserordentlicher Farbenpracht war keine Rede. 
Weiter hinauf, wo das Gefälle des Gletschers stärker ist, wo 
Transversal- und Längenspalten sich wild durchkreuzen und 
mächtige Eistreppen sich übereinander bauen, dort war das 
Vorkommen beschwerlich und sogar gefährlich. 

Erstaunen muss man über die Plastieität des Eises, dem 
es gelingt, nach so wilden Zerklüftungen und nach fast voll- 
ständigem Verluste der Continuität, sich wieder zu einer com- 
pacten Masse zusammenzuschliessen. Die wechselnden Span- 
nungen, das plötzliche Entstehen, das allmähliche Oeffnen und 
Schliessen der Klüfte, das gegenseitige Verschieben der Eis- 
theilchen unter mächtigem Drucke, das Ueberdrängen der 
Oberfläche, das Vorwärtseilen der Mitte gegen den Rand, das 
abwechselnde Schmelzen und Erstarren, das lebendige Rieseln 
kleiner Wasseradern im Innern der Eismasse — dies Alles 
lässt uns den Gletscher als ein reichhaltiges Magazin der ver- 
schiedensten Kräfte erscheinen, obwohl er zunächst den Ein- 
druck starrer Unbeweglichkeit macht. 

Bedeutend auffallender, als hier, fand ich diese Erschei- 
nungen im Jahre 1867 am Mittelberger Gletscher, dessen aus- 
gedehntes Firnfeld sich bis auf 1200‘ Breite zusammenziehen 
muss, um sich zwischen den Wänden des Karlesspitz und Mit- 
tagskogels hinabzudrängen. Unter der starken Neigung von 
20— 30° senkt er sich wild zerrissen gegen 2000° abwärts 
und erscheint auf der ganzen Strecke, die man mit einem 
erstarrten Katarakte vergleichen könnte, wie ein Trümmerheer 
wild durcheinander geschleuderter Risblöcke. Auch er schliesst 
sich in der Tiefe des Thales wieder zusammen, wie ein be- 
ruhigter Strom, und wandert dem Ende zu, wo er aus einem 
prachtvoll gewölbten Thore die Pilzthaler Ache entsendet, 
Auch er ist dem grossen Schwarme der Reisenden noch viel 
zu wenig bekannt. 


117 


Ich sollte mit dem Gepaatschferner kein rechtes Glück 
haben. Während unserer Wanderung begann der Himmel 
sich bedenklich zu trüben. Vom Weissseejoch her senk- 
ten sich Wolken nieder, zogen ihre Schleier der Reihe 
nach über alle Gipfel und umbrauten schon die Spitzen des 
Rauchkopfes und des Oelgrubengebirges. Bald senkten sich die 
flockigen Nebel bis auf die Weisswand nieder und verhüllten 
das grossartige Bild der steil abfallenden Eiswände. Der Wind 
begann kalt zu wehen, es fing an leise zu regnen, sogar zu 
graupeln, und bald fühlten wir spitze feine Eisnadeln im Ge- 
sicht und an den Händen. Es wurde unheimlich auf dem Glet- 
scher. Wir mussten auf weiteres Vordringen und auf das Be- 
steigen des Rauchkopfes verzichten und suchten festen Boden 
zu gewinnen. Vorsichtig mit den Alpenstöcken tastend, um 
die Klüfte zu vermeiden, wateten wir langsam durch den 
Schnee, umgingen die steilen Senkungen und fanden eine 
Lawine, welche den Schlund zwischen Gletscher und Felswand 
ausfüllte. Hier war der Uebergang leicht. 

Ganz umsonst wollte ich den Weg nicht gemacht haben 
und überstieg mit meinem Führer die Randmoräne, deren Höhe 
an einigen Stellen 100° erreichte, um an den Abhängen des 
Nöderkopfes zu botanisiren. 

Dieselben sind nicht übermässig steil und hier und dort 
‚von Runsen zerrissen, die jetzt von Schnee ausgefüllt waren. 
Kleine Quellbäche stürzen sich von ihnen herab und ver- 
schwinden am Rande des Gletschers unter dem Eis. Nur 
einmal noch zerriss der Wind die Wolken und öffnete den 
Vorhang, so dass ich einen instructiven Blick über die ge- 
waltige Krümmung des Gletschers erhielt, den ich in Eile 
skizziren konnte. 

Beim Botanisiren war die Gegenwart des Senners inso- 
fern interessant, als ich von ihm die landesüblichen Namen 
etlicher Pflanzen erfahren konnte. Vielleicht sind einige der- 
selben manchem Botaniker willkommen, wenigstens für den 
Fall, dass er sich etwa an Ort und Stelle nach Standorten er- 
kundigen möchte. 

Ziemlich häufig fand sich im kurzen Rasen die klebrige 
„Primula glutinosa“, ein Blümchen von schön rother Farbe, 
welches mein Begleiter als „Speik“ bezeichnete. Er meinte, 


118 


es gäbe noch einen ‚„Jochspeik“ worunter er jedenfalls die Pri- 
mula minima verstand, Letztere suchten wir vergeblich an den 
wilden Klippen. Ranunculus alpestris, den er nicht streng von 
R. glacialis unterschied, nannte er „Gamskresse.“ — Die schön- 
sten Teppiche himmelblauer Gentianen, und zwar der G. ba- 
varica und vernalis, breiteten sich auf dem feuchten Boden 
aus. Sie wurden in Bausch und Bogen als Schlüsselblumen 
getauft. Auch die schönen dunkelblauen Glocken der G. acau- 
lis waren nicht selten und wurden von dem Senner als „Pfaf- 
fenkuttel“ begrüsst. Sie heissen aber auch „Schneller,“ fügte 
er hinzu, weil die Kinder die Blüthen gern aufblasen, zuhalten 
und auf die Hand schnellen, wo sie mit hellem Knall zersprin- 
gen. Azalea procumbens, die nur in wenigen Exemplaren vor- 
handen war, nannte er ‚wilde Alpenrose“. Mit demselben 
Namen musste aber auch die weniger schöne Erica carnea vor- 
lieb nehmen. Edelweiss (Gnaphalium Leontopodium) wuchs 
nach seinen Aussagen im Thale nicht, nur ‚unechtes Edel- 
weiss“ womit er „Gnaphalium Carpathicum“ bezeichnete, sollte 
vorhanden sein. Aber die Jochraute, Artemisa Mutellina, die 
wir heute nicht finden konnten, sollte hier oben nicht gar so 
selten blühen. An eben schmelzenden Schneefeldern wucher- 
ten förmlich die Colonien der sanftrothen, fransenblüthigen 
Soldanella pusilla, des reizenden Alpenglöckchens, welches 
der Führer in seine grosse Gattung der Glockenblumen warf. 
Endlich wusste er die Blätter des echten Enzians zu erkennen 
und bezeichnete noch die dunkel purpurblühende Nigritella 
globosa, jene wohlriechende Orchidee, als „Kuhbrändli“ oder 
„Bränzchen“. Diese volksthümlichen Namen beschränken sich, 
wie mich häufiges Nachfragen an den folgenden Tagen lehrte, 
durchaus nicht auf dieses einzelne Thal. 

Dies war die Botanik meines Führers. Sie hörte auf, 
als wir einige breite Schneefelder überschritten hatten und in 
höhere Regionen gelangten. Mir war es lieb, dass er sich in 
den Kopf gesetzt hatte, heute noch den ‚‚Jochspeik“ zu finden, 
von dem er erzählt hatte. An allen Felsentreppen kletterten 
wir ziellos umher, durchbrachen oft zähes Latschengebüsch 
und erreichten endlich Höhen von mehr als 8000‘, wo nur 
noch einzelne Grasinseln aus der frischen Schneedecke her- 
vorbliekten. 


119 


Anemone alpina, deren ausgebildete „Hexenbesen“ wir 
unten bemerkt hatten, blühte hier oben in grösster Pracht und 
Manichfaltigkeit. Beide Formen, die weisse und gelbe, wa- 
ren zahlreich vertreten. Dazwischen wölbten sich die Rasen- 
teppiche der gelben Saxifraga muscoides und die Polster der 
rothblühenden Silene acaulis. Auch die weissen Blüthenstern- 
chen der Alsine verna (alpestris) fehlten nicht. Sonst fielen an 
den Schuttfeldern noch die Büschel der Linaria alpina mit dem 
bunten Blühtenschmucke auf. 

Hätten nicht die Nebel die Aussicht vollkommen gehemmt, 
so wäre dieses Kreuz- und Querklettern eine prächtige Alpen- 
fahrt gewesen. Wir waren allmählich um den ganzen Nöder- 
kopf herumgekommen und gelangten nach den Abhängen, die 
in die Mulde des Weissseethales hinabführen. Niemand würde 
in der Höhe von mehr als 7000° ein so freundliches Alpen- 
thal mit den schönsten Weidegründen suchen. 

Beim Hinabsteigen nach dem Thalboden fanden wir Pedi- 
cularis asplenifolia und versicolor, weiter unten das grossköp- 
fige Trifolium alpinum und die Alchemilla alpiva. Wichtiger 
aber waren mir Musterexemplare von Gletscherschliffen, welche 
mit Nothwendigkeit darauf hindeuteten, dass in früheren Zei- 
ten der Gletscherzug von der Weissseespitze bis zum Glocken- 
ihurm eine continuirliche Eismasse gewesen ist, welche das 
ganze Hochthal ausfüllte und sicher bis an die. beobachteten 
Stellen, vielleicht aber noch weiter bis zum Gepaatschgletscher 
reichte. Sämmtliche Gletscher dieser Regionen sind noch jetzt 
in continuirlichem Rückgange begriffen. Die erwähnten Schie- 
ferwände waren vollkommen abgescheuert und zeigten deutlich 
die parallelen Riefen und Streifen, welche das abwärts wan- 
dernde Eis hervorgebracht hatte. 

Wir betraten den stark sumpfenden Boden des Thales. 
Das moorige Erdreich war fast überall mit welken Grasbü- 
scheln zu starken kugeligen Ballen zusammengetreten, eine Ar- 
beit, welche die alljährlich heraufgetriebenen Ochsen ver- 
richten. 

Weiter unten schwindet der Wiesenboden, felsiges Ge- 
mäuer tritt an den Bach heran, der Lauf des Wassers wird 
wilder, es schiesst über glattes Gestein hin und endlich stürzt 
es sich kopfüber in eine enge Felsschlucht, rauscht in tollen 


120 


Fällen mehr als 400° abwärts und eilt dem Gepaatschgletscher 
zu, um uuter den Eisınassen desselben zu verschwinden. 

Ein prächtiges landschaftliches Charakterbild baut sich 
auf. Wer die Zirbelkiefer, den echten Baum des Hochgebir- 
ges in seinem wahren Wesen und in seiner vollen Pracht ken- 


nen lernen will, muss hier an den wilden Felsentreppen em- 


porklimmen, wo sich ein uralter Stand der Pinus Cembra er- 
halten hat. Jeder Baum ist ein Muster von kräftigem Bau und 
trotziger Haltung. Dem Sturm und Unwetter ausgesetzt, der 
grimmigsten Winterkälte preisgegeben, oft von Lauinen be- 
drängt und von Steinschlägen verwundet, hat sich jeder Stamm 
langsam und zäh entwickelt. Jetzt steheu die knorrigen Käm- 
pen in urwüchsiger Kraft da, klammern die Wurzeln um die 
Felsen und strecken zerzauste Wipfel gen Himmel. Die Stämme 
sind ungewöhnlich stark, manche haben 3— 4‘ im Durchmes. 
ser, während die Höhe kaum 50° erreicht. Auch die Aeste 
sind kurz und gedrungen. Oft ist die Wipfelbildung verun- 
glückt und unverdrossen von Neuem versucht worden. Braun- 
roth erscheinen die verweltterten Stämme, an die sich graue 
Flechten angesetzt haben. Namentlich die derben Büschel der 
Usnea barbata hängen an den starren Aesten. 

Leider scheint dieser originelle Bergwald das Ziel seines 
Lebens erreicht zu haben, denn manche Spitzen sind grau und 
welk, einige Bäume sind bis zur Hälfte herab ausgedorrt und 
andere sind vollständig todt. Das dürre Holz der letzteren 
giebt unter dem Stosse des Alpenstockes einen eigenen stöh- 
nenden Ton von sich, Einzelne der Verdorrien sind vom Sturm 
niedergebrochen, andere sind nur halb gestürzt und haben sich 
im Geäste der Lebenden verfangen, welche die todten Brüder 
treu stützen und aufrecht halten. 

Aber ein Weilchen wird die Herrlichkeit doch noch aus- 
halten, denn so zühe die Zirbe im Wachsen ist, so laugsam 
ist sie im Absterben. — In den Abhang sclineidel eine liefe 
kluit ein, jedenfalls ein früheres Bachbelt, auf dessen wilden 
Steintreppen wir hinabkletterten. Auf beiden Seiten ragteı 
die Zirben aufwärts, auf dem Grunde aber lagen viele ver- 
morschte Bäume und oft stiess der Alpenstock tief in das ıno- 
dernde Holz. Neuer Nachwuchs bildele sich nicht, und bei 
der Rauheit dieser Regionen würde er wohl kaum mit Men- 


121 


schenhülfe zu Stande kommen. Nur die Vereinigung der gün- 
stigsten Temperaturverhältnisse, welche zum mindesten einige 
Jahre andauerte, könnte „jungen Anpflanzungen zu kräftiger 
Entwicklung verhelfen. — . 

Zwischen den Felstrümmern und Baumresten wucherten 
Farren und mancherlei Alpenkräuter. Wir scheuchten im Ge- 
strüpp ein Spielhuhn auf. Schnell Nog der grosse Vogel dicht 
am Boden hin und verschwand zwischen den Stämmen. Aus- 
serdem trieb sich an den tieferen Wänden eine Art von Erd- 
schwalben herum, welche der Senner als Wetterpropheten be- 
trachtete. Einmal hörten wir auch den heimischen Schlag des 
Finken, der sich nicht selten im Hochthale zeigen soll. 

Die Wolken senkten sich tiefer und hingen bald bis auf 
die Bäume herab. Windstösse schauerten kalt durch das starre 
Gezweig, dann fing der Regen an leise niederzurinseln und 
begleitete uns bis zur Hütte hinab, wo wir gerade zur rech- 
ten Zeit anlangten, um das ruhige, phlegmatische Hirtenvolk 
in ungewohnter Aufregung anzutreffen. Mit Knütteln und Stan- 
gen schlug Alles wild auf ein grunzendes Ungeheuer los, wel- 
ches sich wüthend wehrte und endlich hinkend der Ueber- 
macht wich. Der Eber, hier „Schwilch“ genannt, war mit 
einer Kuh in Collision gerathen und hatte sie an den Hinter- 
beinen verwundet. Als das Thier die Hörmer senkte, um den 
Frevier in den Grund zu bohren, schüttelte dieser uner- 
schrocken den Kopf und riss der Kuh mit den Hauern die 
ganze Stirnhaut entzwei. Dem Verbrecher sollten die Zähne 
ausgebrochen werden. — Die Kuh war instinktmässig zur 
Hütte gelaufen, wo der Senner sie sofort in seine Behandlung 
nalım. Die blutige Haut wurde einfach aufgedrückt und mit 
Theer verkleistert. Das Thier liess sich Alles ruhig gefallen. — 

Auf der Alpe war in unserer Abwesenheit Besuch er- 
schienen. Mit dem Alpmeister der Gemeinde Prutz waren 
mehrere Bauern gekommen, um das Vieh zu besichtigen. Die 
Kühe waren in den \elkhof zusammengetrieben, wurden ge- 
mustert und gleichzeitig gemolken. Originell sind hier die 
Melkstühle. Sie sind einbeinig, werden von dem Hirten um 
den Leib geschnallt und während der Melkzeit getragen. 
Wird der Platz gewechselt, so wird der Stuhl ohne Mühe 
mitgeschleppt. 


122 


Trotz des Nebelgeriesels besuchte ich noch die jensei- 
tige Thalwand, un auch das andere Ufer des Gletschers 
kennen zu lernen. Nach mühsamem Umherklettern auf den 
Moränenblöcken kehrte ich erst in später Dämmerung zurück. 
Die Bauern waren abgezogen; dafür war aber der Verabre- 
dung gemäss mein Führer Joel Gfall erschienen und schimpfte 
tüchtig über das ewig „schiächte“ Wetter. Er führte einen 
grossen Sack mit sich, in dem sich Steigeisen und Seile be- 
fanden. Wozu diess alles? fragte ich; ‚Ja, Herr, bei dem 
Wetter hat’s a G’fahr«. — 

Es wurde dunkel und bei der Nähe des Gleischers bald 
empfindlich kalt. Wir setzten uns auf Holzklötze, die Hirten 
natürlich auf die Melkstühle, Alles rückte an den Feuerheerd, 
und wir plauderten noch lange Zeit. Sogar der Humor kam 
zur Geltung, und es würde recht robust-idyllisch bei dem 
einfachen Hirtenvolke gewesen sein, wenn nicht der beizende 
Rauch des Feuers die Augen allzustark angegriffen hätte. 

Spät erst gings durch die feuchte Nachtluft mit der La- 
terne über den kothigen Melkhof und zum Viehstall; wir 
kletterten die morsche Leiter hinauf, und jeder bereitete sich 
ein Heulager. Das Dach war hier und dort zerrissen, und die 
kalte Gletscherluft durchzog den luftigen Raum; unter uns 
srunzte ärgerlich der ‚„Schwilch“; das Rauschen der Wasseı- 
fälle tönte herüber; oft prasselte der Regen auf das Dach; 
aber kein Geräusch konnte uns abhalten, recht bald in einen 
erquickenden Schlummer zu versinken. — 

Absichtlich verweilte ich längere Zeit bei der Schilde- 
eung des Kaunser Thales, denn das Pitzthal und Oetzthal ha- 
ben im Wesentlichen denselben Charakter; nur ist das letz- 
tere mehr als doppelt so lang, etwas stärker gewunden und 
häufiger zur Bildung breiter Wiesenflächen geneigt. Es würde 
mir fast unmöglich sein, den Eindruck, den diese beiden 
Parallelthäler anf mich machten, treu wiederzugeben, denn 
eine längere Reihe von Jahren ist vergangen, seitdem ich sie 
besuchte, und mancher Eindruck hat sich verwischt, während 
andere sich verwirrt haben könnten. Nehme also der Leser 
in der genaueren .Schilderung dieses einen Thales gleichzeitig 
eine Darstellung des allgemeinen Charakters der drei nördli- 
chen Thäler der Oetzthaler Gruppe entgegen. 


123 


2. Ueber das Weiss-Seejoch ins Langtauferer Thal. 

Nur matt und trüb drang das Tageslicht durch die Dach- 
luken, als wir am Morgen erwachten und das Heulager ver- 
liessen. Die Aussichten für den heutigen Tag waren nicht 
die besten, denn die Nebelwolken lagerten bis tief ins Thal 
herab. Kurz nach 6 Uhr nahmen wir Abschied von den Hir- 
ten. Es ging in derselben Felsschlucht aufwärts, in welcher 
ich gestern mit dem Senner herabgekommen war. Bald er- 
reichten wir den prächtigen Zirbenstand, wo wieder ein Spiel- 
huhn aufgescheucht wurde, vielleicht dasselbe, wie gestern. 
Dann gings an den brausenden Wasserfällen vorbei, wo die 
starken Bäume sich über wilde Abgründe neigen. 

Endlich war der erste steile Aufstieg überstanden, und 
wir betraten den feuchten Wiesengrund des stillen Nasserei- 
ner Thales. Ein morsches Kreuz, welches nebenbei als Weg- 
marke dienen mochte, stand halb zerbrochen in der Einsam- 
keit. Einige Ueberreste des Christusbildes lagen am Boden. 

Oben in den Klippen trieb sich eine Heerde kleiner Zie- 
gen herum. Als sie uns erblickten, sahen sie uns neugierig 
an und kamen dann in tollen Sprüngen herab. Sie folgten 
uns lange Zeit und waren weder durch Drohungen noch durch 
Stockschläge und Steinwürfe zu vertreiben. Zurückgescheucht, 
standen sie bald still, wagten sich anfangs langsam vorwärts 
und suchten uns dann in. munterem Trabe wieder zu erreichen. 
Woher diese Anhänglichkeit oder vielmehr Zudringlichkeit? 
Das Salz ist es, wonach die kleinen Bettler sich sehnen. 
Von Zeit zu Zeit schauen die Hirten nach den Ziegen und 
Schafen, die den Sommer über sich selbst überlassen bleiben, 
aus und versäumen nie, etwas Salz mitzunehmen. Durch diese 
Lockspeise bringen sie bald die ganze Herde zusammen. 
Daran haben sich die Thiere gewöhnt und wollen nun von 
jedem Menschen Salz haben Lass sie herankommen, und bald 
werden sie eifrig an deiner Hand und deinen Kleidungstücken 
lecken. Nur durch nachgeahmtes Hundegekläff gelang es 
Joel nach einer halben Stunde, die kleine Herde zu verscheu- 
chen, die nun in wilden Sätzen über Stock und Stein davon 
rannte. 

Die Grenze der Baumregion war schon erreicht. Nur 
noch selten war an den Klippen eine Zwergkiefer oder ein 

Zeitschr. f. d.ges. Naturwiss. Bd. XXXVlll, 1871. 9 


124 


Alpenrosenstrauch zu sehen. Gentiana acaulis, Campanula bar- 
bata und Primula glutinosa bildeten das Hauptcontingent der 
Blüthenpflanzen. Der Graswuchs war üppig. Der Bach hatte 
vollständig klares Wasser, muss also neben den Gletscherab- 
flüssen noch viele Quellen aufnehmen. Der Boden war ausser- 
ordentlich sumpfig, da der gestrige Schnee noch während der 
letzten Nacht zum Schmelzen gekommen war. Der Thalgrund 
ist nur wenige hundert Schritte breit, dann steigt zerklüfietes 
Gemäuer in Absätzen auf und erreicht bald die Felsschroffen 
der Thalwände. Heute wurden die scharfen Grate und die 
zerrissenen Kämme nur selten und stellenweise sichtbar, denn 
aus allen Klüften und Schluchten quollen Wolken hervor und 
umzogen die Höhen mit Nebelschleiern. Ist auch das Spiel 
dieser Kobolde an sich ganz interessant, willkommen ist es 
dem Bergbesteiger nie. Dem einsamen Wanderer bringen sie 
die grössten Gefahren. 

Ich werde nie die Aufregung vergessen, in die ich ver- 
setzt wurde, als ich im Jahre 1867 bei der Uebersteigung 
des Timbler Joches in der Abenddämmerung von Wolken über- 
rascht wurde, den Weg verlor und stundenlang in den Nebeln 
umhertasten musste, bis ich endlich eine Signalstange fand 
und erst in voller Nacht die Jochhöhe erreichte. 

Selbst der kundige Gebirgsbewohner täuscht sich häufig. 
Vor einigen Jahren, erzählt Joel, wollte ein Fremder von Söl- 
den über den Rettenbachgletscher nach dem Pitzthale gehen. 
Auf der Jochhöhe entliess er trotz der Nebel nach kurzer 
Rast seinen Führer. Erst spät am Abend gelangten beide nach 
wunderlichen Irrfahrten zu Menschen, aber beide hatten schon 
bei der Trennung die Richtung verfehlt; der Führer kam ins 
Pitzthal, der Fremde nach Sölden zurück. 

Aber nicht immer geht es so harmlos ab. Im vorigen 
Jahre, fährt Joel fort, ist ein Gaisbub hier herauf gegangen. 
Er sollte die Ziegen nach dem Nöderkopf treiben. Da ist der 
Nebel gekommen, und’s Bübel hat umkehren wollen; aber es 
hat den Brucken nimmer finden können. Nun ist’s in die 
Klüfte gerathen. Oben beim Bach hat man noch die Spur 
gesehen. Dort ist's also ins Wasser gefallen und ertrunken. 
Erst nach einer Woche hat man’s unten am Gletscher zerris- 
sen und zerschmettert gefunden. — 


125 


Wir blieben auf dem linken Ufer des Baches und über- 
schritten mit Leichtigkeit den Abfluss des Riffler Gletschers, 
der ein steiniges ‚Kar‘ durchfliesst, über welches der Weg 
zum Glockenthurm führt. Das Hauptthal würde uns nach dem 
Krummgampengletscher bringen, über den man nach den Ra- 
durschel- oder dem Malaagthale gelangen kann. Im letzteres 
kommt man aber bequemer über das Weissseejoch, welches 
wir gewählt haben. 

Wir müssen also nach einigem Aufstieg über feuchtes 
Geklipp auch den Hauptbach überschreiten und in das Thal 
des Weissseebaches einbiegen. Joel kam glücklich hinüber. 
Unter meinen Füssen aber wichen die glatten Steine, ich 
verlor fast das Gleichgewicht, gerieth ins Wasser und kam 
noch mit nassen Füssen davon. 

Hier, an den Nordabhängen des Hauptzuges, war weder 
der frische, noch der alte Schnee zum Schmelzen gekommen. 
Breite Felder dehnten sich aus. In den Senkungen lag er 
noch massig zusammengeweht. Hier schon sanken wir bei 
Jedem Schritte tief ein, und ich empfand, wie entsetzlich die. 
ses unsichere Waten, mehr als das strengste Klettern, ermü- 
den kann. 

Als von einer Steilwand lockerer Schnee herabschurrte, 
kam Joel auf die Lawinen zu sprechen und erzählte in seiner 
treuherzigen Weise, dass man ihn selbst vor zwei Jahren für 
todt aus einer solchen herausgegraben hätte. Mehr als drei 
Schuh hoch hätte der Schnee über ihm gelegen. Was diess 
bedeuten will, kann nur der beurtheilen, der selbst gesehen 
hat, zu welcher festen und compakten Masse bei Lawinen- 
stürzen der Schnee zusammengeschlagen wird. „Wie die 
Lawine losging, sagte er, war es, wie lauter Krachen und 
Kanonendonner. Gesehen habe ich nichts, als ringsum wildes 
‚Gestäub und Gewirbel. Der Windstoss hat mich gefasst und 
niedergeworfen, und dann hab ich nichts mehr gewusst. Zwei 
Stunden lang wurde nach mir gesucht und dann hat’s noch 
lange gedauert, bis sie mich ausgegraben haben.“ — 

Krummgampen- und Weissseethal sind durch einen steilen 
zerklüfteten Felsgrat getrennt, der weiter obeu den Nasswand- 
und Seejochgleischer scheidet. Diese Klippenwand musste 
umklettert werden. Unter gewöhnlichen Umständen ist dies 

9) * 


126 


nicht schwer, es ist sogar eine Art von Pfad vorhanden, 
Heute aber machten uns die Schneemassen viel zu schaffen. 
Joel musste vorangehen und tiefe Stapfen treten. Ich folgte 
und suchte die letzteren möglichst zu benutzen. Je nachdem 
der Schnee lag, strebten wir diese oder jene Klippe zu ge- 
winnen. Durch die Schluchten war kaum zu kommen. Oft 
mussten wir uns gegenseitig aus den tiefen Schneewehen 
heraushelfen. 

Als wir steile, nackte Felswände erreichten, an denen 
Gletscherschliffe sichtbar waren, erblickten wir die ganz frischen 
Spuren einer Gemse. Es sollen hier oben noch ziemlich viele 
existiren; bei jedem Jochübergange hat Joel einige „esehen. 
Jedenfalls hatten wir beide zu laut gesprochen und die Thiere 
verscheucht. Einmal nur hörten wir ein Murmelthier pfeifen ; 
danı flog ein Flühvogel vom Felsen auf, und ein Rabe zog 
langsam über das Thal hin. Diess waren die einzigen Spu- 
ren thierischen Lebens, die wir wahrnehmen konnten. 
Pflanzen waren nur an kahlen Klippen oder auf Hängen zu 
sehen, deren Schnee ziemlich niedergeschmolzen war. Ich 
beobachtete nur wenige Exemplare der Gentiana vernalis, Si- 
lene acaulis und eine Azalea procumbens. Soldanella pusilla 
hingegen war nicht selten. 

Als die Klippenwand mühsam umklettert war, suchten wir 
in der Höhe von 8500° an ihrem südöstlichen Abfalle, der nach 
dem Weissseethal hinabführt und wegen seiner Steilheit häu- 
fig schneefrei war, emporzuklimmen. Das gab schwere Ar- 
beit. Oft mussten wir mit Händen und Füssen an den Wän- 
den hinklettern, oft wichen die Schieferscherben unter uns 
und rollten in die Tiefe, und an manchem Abgrunde waren 
Schwindelproben zu bestehen. 

Aui der Höhe des Klippengrates, wo einige breite Fels- 
flächen schneefrei waren, machten wir Halt und rasteten ein 
Weilchen. Als ich ein prächtiges Stück Braten aus der Tasche 
holte, mit dem ich Joel überraschen wollte, sah mich dieser 
gross an und meinte: „Heute ist Freitag, da soll man kein 
Fleisch essen!“ Ernst wies er es zurück und nahm mit Brod 
und Wein vorlieb. Letzterer gab den Gliedern die alte Ela- 
stieität wieder und durchwärinte uns, denn hier oben war es 
bitter kalt. 


127 


Der Platz war zum Orientiren wie geschaffen Wo ist 
zunächst unser Ziel? Oben, wo der Kamm soeben nebelfrei 
wird, schneidet eine enge Scharte wohl 500‘ tief ein. Sie 
ist vollständig übergletschert. Diess ist das Weissseejoch. 
Heute kann man nicht erkennen, wo die Eismassen aufhören. 
Fels und Gletscher sind gleichmässig vom Schnee bedeckt. 
Eine steile, glänzende Schneewand senkt sich von der Scharte 
aus breit zwischen Karlesspitz und Nasswand nieder. Diese 
müssen wir ersteigen. 


Jenseit des tiefen Seethales, welches heute starr im Win- 
terkleide liegt, steigt das Gebirge schroff aufwärts, in allen 
Klüften Eis bergend. Oben aber ist Alles übergletschert, und 
östlich vom Karlesspitz hängt grossartig der steil abstürzende 
Weissseegletscher au den Wänden, die nordwestliche Abda- 
chung der mächtigen Firnfelder der Weissseespitze. Wie ein 
undurchdringlicher Panzer ruht die imposante Eismasse auf 
dem Felsenhange, und tief reicht sie ins Thal hinab. Dunkle 
Risse im Schnee deuten an, dass der Eisstrom bis zum Thal- 
boden geht, den oberen Theil der Senkung geradezu absperrt 
und die Gletscherwasser zu einem kleinen See aufstaut, dem 
71977' hoch gelegenen Eissee, welcher jetzt tief unter uns 
ruht. Er ist noch nicht aus der winterlichen Erstarrung er- 
wacht. Schnee und Eis bedecken die Fluth; nur am Rande 
ist er etwas aufgethaut, und das grüne Wasser schimmert mit 
eigenthümlichem Lichte aus der Tiefe herauf. 

Herrlich muss der Anblick des Gletschers sein, wenn die 
Schneemassen auf seinem Rücken geschmolzen sind, oder, 
wie man hier sagt, wenn er „abgeapert“ ist. Nur dort, wo 
bei der steilsten Senkung die Eismasse furchtbar zerklüftet 
ist und jeden Augenbltck herabzustürzen droht, sehen wir die 
wilden Schründe im herrlichsten Grün schimmern. 

In der Atmosphäre schien sich etwas zu ändern. Hier 
und dort brach die Sonne durch. Es war, als ob die Wolken 
- umkehren und sich nach Westen wenden wollten. Dabei wurde 
es mit jedem Augenblicke kälter. Aber auch der Rückblick 
nach dem Nassereiner und Kaunser Thal wurde freier. Die 
grünen Matten lagen wie eine fremde Welt zwischen den 
winterlichen Regionen, die von Fels und Eis beherrscht 
werden. 


128 


Die Nebel lösten sich von den Oelgrubenspitzen los. Jetzt 
erst erkannte ich, wie kühn geformt die Grate dieser wilden 
Berge sind, und welche Eis- und Schneemassen in ihren Klüf- 
ten lagern. Den Gepaatschgletscher konnten wir nun zum 
grossen Theil überblicken. Wir sahen, wie er sich gewaltig 
um den Rauchkopf wälzt. Hinter ihm erhoben sich, halb frei 
halb wolkenbedeckt, die Eisgrate der Schwarzwand, und über 
den Nöderkopf ragten mächtig die Höhen des Weisskammes. 
Der herrliche Eisdom der Weissseespitze war leider ganz von 
Wolken verhüllt. 

Schön kann man eine solche Aussicht nicht nennen; aber 
unendlich grossartig wirkt die starre Wildheit des einsamen 
Hochgebirges. 

Nun vorwärts, zum letzten Aufstieg! — Ganz nahe er 
scheint der Schneekamm des Joches; und doch soll es eine 
gute Stunde harten Steigens sein! In der Schneemulde geht 
es aufwärts, langsam, Schritt für Schritt. Immer stärker er- 
hob sich der kalte scharfe Ostwind. Er erhöhte die Trocken- 
heit der beizenden Eisluft, härtete aber gleichzeitig den mürb 
gewordenen Schnee, so dass derselbe besser trug, je höher 
wir kamen. 

Das blendende Weiss der Schneemassen war heute den 
Augen nicht verderblich, denn nur selten huschte mit den 
Wolkenschatten ein Lichtstreif über die Fläche; die Netzhaut 
war jedoch stark genug affıcirt, um schneefreie Felsen für 
ganz dunkel, den Himmel für blauschwarz, die Wolken für 
schmutziggrau zu halten, 

Unverdrossen geht es weiter hinauf in der eintönigen 
Mulde, die einseitige Anstrengung der Muskeln ermüdet un- 
gemein, Alle Energie ist nölhig, um bei dem häufigen Durch- 
brechen der Schneekruste nicht muthlos zu werden. 

Kurze Rast, um Athem zu schöpfen! Jetzt kommt das 
Schwerste. Die Wand thürmt sich fast senkrecht vor uns auf. 
Die Westwinde haben die Schneemassen scharf durch die 
Scharte gefegt, so dass sie über die Schneide weggequollen 
sind und wulstförmig überhängen. Hier heisst es aufpassen! 
Joel stösst mit den Bergschuhen bedächtig Löcher in die vor 
ihm stehende Schneewand. Dies sind die Stufen unserer Lei- 
ter. Eins nach dem andern wird sorgsam ausgetreten, bis es 


129 


zur Stütze dienen kann. Langsam, aber stetig gehl’s auf- 
wärts. Bald müssen wir uns mit beiden Händen nach vorn 
auf die Schneewand stützen, um sicher über den Abgrund zu 
schweben. Schon ist Joel über die letzte Wölbung geklettert, 
er reicht mir den Alpenstock entgegen, ein Schwung über den 
Schneewulst, und die Jochhöhe (9312°) ist erreicht. 


Scharf schneidet der Wind, hart kreischt der Schuee. 
Hände und Füsse sind erstarrt. Ein Schluck Wein und kräftige 
Bewegung erwärmt sie nur allmählich wieder. — 

So hoch diese einsame Passhöhe über der Schneelinie 
liegt, sie hat doch ıhre historischen Erinnerungen: Im Jahre 
1799 hat ein österreichisches Truppencorps unter Loudons 
Führung, da es im Etschthale vollständig abgeschnitten war, 
den Marsch über das Weissenjoch gewagt und glücklich aus- 
geführt. Waren die Terrainschwierigkeiten auch nur einiger- 
massen denen des heutigen Tages ähnlich, so ist die Leistung 
eine bewundernswerthe und scheint mir noch den verzweifel- 
ten Zug Suwarofl’s zu übertreffen, der in demselben Jahre, in 
ähnlicher Weise umstellt, seinen Feinden über den Pragel- 
und Panixer Pass entkam. 

Der Rückblick war hier oben selbstverständlich weit gross- 
artiger als von unserem früheren Rastpunkte aus. Der präch- 
tige Gipfelbau der übergletscherten Kämme trat frei und klar 
aus den Wolken hervor. Vor uns aber öffnete sich eine weite 
Fernsicht durch den Einschnitt des Malaagthales bis zum Etsch- 
thal und den Schweizer Bergen hin, 

Wo einige Glimmerschieferklippen aus dem Schnee vor- 
brachen, da war die Wasserscheide, und wir hatten es in der 
Gewalt, Schneebälle aus dem Stromgebiet der Donau in das 
der Etsch hinüberzuschleudern. 

Ich wollte Joel entlassen. Er meinte aber, es käme 
noch eine harte Stelle, der sogenannte Kessel. 

Ueberaus steil senkte sich die Schneeschlucht, auf der 
wir hinab mussten, in einer schlotartigen Rinne abwärts. 
Von allen Seiten her stürzten sich fast senkrechte Eis- und 
Schneewände in den unheimlichen Abgrund. Zur Linken be- 
deckten die Schneemassen den steilen Malaaggletscher, zur 
Rechten kamen sie von den Wänden der Nasswand herab. 

Joel machte kurzen Process. Er stemmte sich mit dem 


130 


Alpenstocke rückwärts in den Schnee und fuhr anfangs blitzschnell 
in die Tiefe hinab. Als er die Geschwindigkeit mässigen wollte 
und die Füsse mächtig in den Schnee einpresste, schob er die- 
sen in formlosen Ballen vor sich her, so dass ein breiter Theil 
der Schneewand ins Schurren kam und wirkliche Lauinen ent- 
standen. Mit Mühe konnte er sich selbst zum Stehen bringen. 
Für mich war das Hinabgleiten insofern schwieriger, als ich 
keinen Alpenstock zur Verfügung hatte und mich nur auf den 
einfachen Touristenschirın stützen konnte. Für einen Joch- 
übergang hatte ich ersteren nicht für nöthig gehalten, obwohl 
ich wusste, wie gute Dienste er leisten kann. 

Unten bilden die Schneemassen eine kesselförmige Sen- 
kung, in welcher sich im Sommer Wasser ansammelt. Hier 
war Vorsicht nöthig. In grossem Bogen gings an steilen Wän- 
den um die Vertiefung herum, wobei wiederum bedächtig 
tiefe Stapfen getreten wurden. Ein horizontales Firnfeld wurde 
erreicht, von dem aus das Hinabgleilen bequem war. 

Es war gegen 11 Uhr, als mich Joel hier verliess. Ohne 
Verzug kletterte er stetig aufwärts, während ich schnell im 
Schnee abwärts rutschte oder kletterte. Letzteres war nur 
dort nöthig, wo Felsklippen hervor ragten. 

Als ich tiefe weiche Schneemassen erreichte, in denen 
das Fortkommen nur schwierig zu bewerkstelligen war, ent- 
stand plötzlich hinter mir ein knatterndes Geräusch. Ich salı 
mich um und erblickte mächtige Steine, die mit rasender Ge- 
schwindigkeit von den Hängen des Malaagferners herabsau- 
sten, andere mit sich rissen und den lockeren Schnee in 
Gang selzten, bis endlich eine wirre Masse von Schnee, 
Gestein und losgerissenem Eis als Lauine zum Thalboden nie- 
derdonnerte. Mein Standort war nicht gefährdet, und so 
konnte ich zum ersten Male sehen und hören, wie sich die 
Löwin des Gebirges brüllend thalabwärts stürzt. 

An sicherer Stelle sieht sich das wilde Schauspiel ganz 
harmlos au, aber nur in grösserer Nähe erhält man einen 
Begriff von der Gewalt der entfesselten Kräfte. 

Jede Lauine ist ein ruckweiser Fortschritt in der allmäh- 
lichen Zertrümmerung des Gebirges, die hauptsächlich an der 
Grenze der Schneeregion ihren Sitz hat. Man blicke nur auf 
nach den zerrissenen und zerfressenen Felsgraten, welche 


131 


morsche Klippen überhäugen lassen und jeden Augenblick her- 
abzusenden drohen. Bald ist's ein einzelner Stein, der sich 
loslöstt und in Absätzen tief niederspringt und hier und dort 
das Geröll in Bewegung setzt. Bald schurren breite Trümmer- 
felder nieder, so dass die Basis einzelner Felsen entblösst und 
der Verwitterung ein neuer Angriffspunkt geboten wird. Bald 
sind es die Schmelzwasser, welche unmerkltch waschen und 
spülen, bis »lötzliich die Wände weichen und das Gestein zu- 
saımmensinkt. Hier arbeitet die Sonne mächtig an den Schnee- 
massen, die Felsen glänzen von Feuchtigkeil. In alle Ritzen, 
in alle Fugen dringt das Wasser ein, um aufzulösen und fort- 
zuführen. Und kaum sinkt die Sonne, so beginnt der Frost 
sein Werk. Die Wasseradern erstarren zu Eis und sprengen 
ihr Gefängnis. Bald ist die Oberfläche des Steines morsch, 
und Sturm und Unwetter können das Werk vollenden. 

Dabei ist die Härte des geschichteten Gesteins sehr variabel, 
und da in der ganzen Oetzthaler Gruppe die Schichtung steil 
ist, so bleiben härtere Platten stehen und starren in aben- 
teuerlichen Formen aufwärts. 

Die höheren Regionen sind deshalb weniger Sitz der Ver- 
witterung, weil die ewige Schneedecke ein Schutz der Felsen 
ist. In den tieferen aber fehlt der stete Wechsel von Frost 
und Hitze. 

So kommt es, dass bei Gletschern, die aus breiten flach- 
gewölbten Firnplateaus entspringen, die Moränenbildung längst 
nicht so stark ist, als bei anderen, dıe zwischen steile Wände 
eingelagert sind, deren Felsmassen leichter schneefrei werden. 
Auch wird Firn und Eis der letzteren bedeutend reiner sein, 
als das der ersteren. — 

Bald beanspruchten, als ich tiefer gekommen war, weite 
Trümmerfelder den grösseren Theil des Terrains. Die Schnee- 
felder wurden weniger breit und weniger mächtig, und end- 
lich erreichte ich Regionen, in denen das Pflanzenleben wieder 
zur Geltung kam. Anfangs lagen nur unscheinbare Flechten 
(Thamnolia vermicularia) scheinbar todt zwischen den Steinen, 
dann überzogen andere die Felsblöcke wie dichte Tapeten, und 
endlich begann das schöne Farbenspiel der blauen Gentianen, 
der rothen Primeln und der bunten Silenen und Steinbrecharten. 
Schon sah ich einige Bienen die Erica carnea umsummen, einen 


132 


kleinen Schwarm von Schneefinken scheuchte ich auf, uud so 
betrat ich wieder das Reich des Frühlings nach langstün- 
digem Verweilen unter der Herrschaft des starren Winters. Von 
allen Seiten kamen klare Bäche herab, vereinigten sich mit 
dem Abfluss des Malaagfernes, und lustig schäumend sprang 
die wachsende Fluth die Felstreppen hinab. Ueberall quollen 
klare Wasser aus dem Boden, auf dem die belebende Feuch- 
tigkeit einen bunten Blumenteppich hervorgerufen hatte. 

Hier schien es in den letzten Tagen nicht geschneit zu 
haben. Die Flora stand in herrlichster Entwickelung. Sie 
stimmte im Wesentlichen mit der des Nöderberges überein, 
nur war sie üppiger und farbenprächtiger. 

Bald traf ich auf die ersten Schafe, die am Bache wei- 
deten, jetzt verwundert die fremde Gestalt anblickten nnd schaa- 
renweise die Flucht ergriffen. — Dann ging es beschwerlich 
dem Laufe des Wassers nach, mühsam wurden die Treppen 
des Schiefergetrümmers überwunden, bis endlich die Mulde 
breiter und breiter wnrde, und ein leidlicher Pfad am sonnigen 
Abhange hinführte. Je tiefere Schichten der Atmosphäre ich 
erreichte, um so lästiger wurde die Mittagswärme, um so 
schwüler und dunstiger die Luft. 

Wie die meisten Nebenthäler des Oetzthaler Gebietes , so 
stürzt sich auch das Malaagthal, nachdem es eine ziemlich 
breite Wiesenterasse gebildet hat, steil in das Hauptthal hin- 
ab. Hier ist es die breite Senkung des Carlinbaches, zu 
welcher der Weg in ermüdenden Windungen hinabführt. In 
der Tiefe überrascht uns der Anblick von Dörfern, Feldern und 
Wäldern, die man bei so bedeutender Meereshöhe noch nicht 
erwartet hätte. Zur Linken aber schweift der Blick weit in 
dsn vergletscherten Hintergrund des Langtauferer Thales, zu 
dem imposanten Erhebungsgebiet der Weisskugel, welches an 
Höhe und Mächtigkeit mit dem der Wildspitze rivalisirt. Heute 
hingen die Eispanzer herrlich aus den Wolkenschleiern nieder, 
welche die höchsten Riesen dieser Bergwelt verhüllten. 

Bei der ersten Häusergruppe des Dorfes Hinterkirch traf 
ich die ersten Menschen au. Als sie hörten, dass ich über 
das Joch gekommen sei, erstaunten sie nicht wenig. Es war 
in diesem Jahre der wilden Schneemassen wegen noch Nie- 
mand hinübergegangen. Man erkundigte sich nach allen Ein- 


133 


zelheiten und war befriedigt, dass der Verkehr mit dem Nach- 
barthale nicht allzu schwierig sei. Als ich fragte, ob ich 
etwas Milch bekommen könnte, führte man mich in die Werk- 
stätte eines Bergschusters, der in der heissen Stube lustig 
drauflos hämmerte. Er legte soeben förmliche [Eisenreife um 
die zolldicken Holzsohlen mächtiger Schuhe. Ich erhielt eine 
Schüssel prächtiger Alpenmilch. Bezahlung für die einfache 
Erquickung war den Leuten kaum aufzudrängen. 
Nach Kurzer Rast ging es im Thale abwärls und zwar 
trotz der Höhe von fast 5800° fast immer zwischen Getreide- 
feldern hin. — In jedem Gebirge wird die Cultur dort am 
weitesten nach oben dringen, wo die Thäler sich breit und pla- 
teauähnlich erheben. So steigt sie in der breiten Thalmulde 
des Oberengadins in auffallendster Weise bis an den Fuss der 
Gletscher hinauf und lässt in der Meereshöhe zwischen 5000 
und 6000° stadtähnliche Dörfer entstehen. So wird auch im 
Oetzthale die Schneeregion ausserordentlich zurückgedrängt, und 
noch bis 6000° werden die Wiesen, wenig tiefer sogar ein- 
zelne Felder rationell bearbeitet. Während am Nordabhange 
der Alpen auf vereinzelten Gipfeln von 6000° kaum einiges 
Zwergholz mühsam und spärlich sich entwickeln kann, haben 
wir in unsern Thälern noch bei fast 7000° ansehnliche Lärchen- 
und Zirbenstände So lange auch der Winter dauert, er ist 
nicht wesentlich strenger, als auf den bayerschen Hochebenen, 
und das Maximum von Kälte, welches der letzte harte Winter 
in Vent (fast 6000‘) hervorbrachte, war noch nicht — 21° R. 
Wir brauchen ja nur unser Erzgebirge mit dem Harze zu ver- 
gleichen, um zu sehen, wie das erstere, als plateauähnliche 
Gesammterhebung, bewohnter und cultivirter erscheint, als der 
letztere, obwohl die Meereshöhe viel bedeutender ist. Wo 
das Gebirge sich in kühnen Gipfelbildungen erhebt und nur 
schroff eingeschnittene Thäler aufzuweisen hat, da bleibt die 
Culture sehr bald zurück, die Schneeregion reicht weit herab, 
und auch die Gletscher wandern zu ausserordentlicher Tiefe 
nieder. Wir wissen, dass das wild aufstrebende Berner Ober- 
land den Gletscher besitzt, welcher unter allen in den Alpen 
zur geringsten Meereshöhe herabsteigt. 

Die Structur des Langtauferer Thales ist für die Cultur 
dadurch so günstig, dass auf dem rechten, sonnenbeschienen 


134 


Abhange eine breite Terassenbildung sich aufbaut, die überall 
einige hundert Fuss über dem Thalboden bleibt und durch 
glückliche Lage und sanfte Neigung den Getreidebau möglich 
macht. 

Ein hübscher Weg, der allmählich zum Fahrweg wird, 
führt durch die üppigen Felder und Wiesen. Die Bäche, welche 
von den Bergen herabkommen, sind in gemauerte Rinnen ge- 
fasst, damit sie den cultivirten Boden nicht beschädigen. Die 
Wiesen werden durch ein System von Canälen bewässert und 
liefern augenscheinlich einen bedeutenden Ertrag. Dies Alles 
deutet auf Wohlstand und Intelligenz der Einwohner. Leider 
steht im schrofisten Gegensatze zu dem Allen die ausserordent- 
liche Unsauberkeit der Dörfer, in deren unnahbaren Sphären 
jeder wohlthuende Eindruck verwischt werden muss. Die Art 
und Weise, wie man hier den Dünger auf der Strasse aufbe- 
wahrt, ist geradezu polizeiwidrig. Sollte es eiwa mit dieser Un- 
reinlichkeit im Zusamınenhange stehen, dass eine Anzahl der klei- 
nen Dörfer, wie Pazin, Pleif, Capron und Bedross romanische 
Namen tragen? In wälschen Ländern ist einmal der gemeine 
Mann kein Vergötterer der Sauberkeit. 

Ein erträgliches Gasthaus ist im ganzen Thale kaum zu 
finden. Fremden also, die nicht auf allen Comfort verzichten 
wollen, ist der Besuch desselben, so schön es auch in land- 
schaftlicher Hinsicht dasteht, nicht zu empfehlen. 

Der Weg führt in Windungen bald steigend, bald fallend, 
bequen am Abhange der Terasse hin und lässt den wilden 
Carlinbach, den trüben Abfluss des Langtauferer Gletschers, im 
Allgemeinen tief unter sich. Nur selten tritt er nahe an den 
schäumeuden Bach, der hier und dort durch Steinmauern von 
den Wiesen abgehalten wird. Die linke Thalseite zeigt stets 
den schönsten Lärchenwald, der hoch an den Abhängen hin- 
aufsteigt. 

Ist der Charakter der Mulde im grossen Ganzen sanft und 
mild, so fällt der furchtbar zerklüftete Endberg, der als letz- 
ter Ausläufer des ‚„Matscher Kammes “ betrachtet werden kann, 
um so mehr in die Augen. Sein nördlicher Absturz erscheint 
wie abgerissen und gewaltsam zertrümmert und stellt zwischen 
den reichlichen Wäldern und grünen Wiesen eine förmliche 
Steinwüste dar. Mächtige Schuttwälle und Geröllhalden sen- 


135 


ken sich viele hundert Fuss herab, bedrohen die Wälder, ha- 
ben sie hier und da bereits durchdrungen und reichen stellen- 
weise bis an den Bach heran. Geschieht hier nichts zum 
Schutze der Cultur, so wird die Verwüstung im Laufe der 
Zeit grauenhaft überhand nehmen. Das Gerölle besteht nicht 
aus Blöcken und Schieferscherben, sondern aus vollständig zer- 
trümmerten und Kleingeschlagenen Steinmassen. Irre ich nicht, 
so tritt hier eine fast ringsum von Glimmerschiefer umgebene 
Insel von Alpenkalk über das Etschthal bis an diese Abhänge 
des Oetzthaler Gebietes heran und prägt sofort der Landschaft 
diesen veränderten Charakter auf. 

Selten, wie gesagt, habe ich solche Massen von Geröll 
und Getrümmer gesehen, und wohl Niemand würde vermuthen, 
dass die jenseitigen Abhänge dieses Berges die schönsten Alpen- 
weiden tragen. ; 

Hier stürzt der Carlinbach tosend und schäumend die letz- 
te Thalstufe hinab und erreicht bald einen breiten Wiesenböden, 
den er früher vollständig versumpfte. Jetzt hat man ihm ein 
künstliches Bett angewiesen, von Steinen gebaut und mit Erd- 
wällen versehen. Er hat dasselbe im Laufe der Zeit durch 
Geschiebe erhöht, so dass die Wasserfläche höher liegt, als 
der Wiesenboden. Der schnurgerade Canal leitet die trüben 
Wasser hinaus in das breite Etschthal, welches wir bei dem 
Dörfchen Graun betreten. Letzteres liegt anmuthig zwischen 
ebenen Feldern und Wiesen und ist schon mit Obstbäumen ge- 
schmückt, die man in der Meereshöhe von 4704° kaum er- 
wartet hätte. Längs der breiten Poststrasse finden sich meh- 
rere ganz ausehnliche Häuser. In dem leidlichen Gasthause 
hielt ich längere Rast und erwartete den Landecker Stellwagen, 
der mich noch bis nach Mals führen sollte. 

Malser Heide nennt man die tiefe breite Einsattelung des 
Gebirges, bei deren unmerklicher Neigung die kaum geborene 
Etsch drei flache Seen bilden muss. Von der westlichen Berg- 
gruppe lässt sich schwer entscheiden, ob sie als nordöstlicher 
Ausläufer der Berninaerhebung oder als nördlicher des Ortler- 
gebirges zu betrachten ist. Die östlichen Höhen sind die Ab- 
hänge des Oetzthaler Gebirges. 

Wie entschieden die Senkung ist, geht daraus hervor, 
dass die Passhöhe, die Reschenscheideck, eine Stunde von Graun 


136 


entfernt ist und doch kaum 40° höher liegt, als dieses Dorf. 
Es ist unbegreiflich, wie bei der Eintheilung der Alpen in ihre 
Hauptgruppen unsere geographischen Lehrbücher dem Splügen, 
dem Brenner und sogar der Dreiherrnspitze eine übertriebene 
Wichtigkeit beilegen, und diese bedeutende Einsattelung kaum 
der Erwähnung würdigen. Sie ist allerdings nicht ganz so 
tief, als der Brenner, letzterer aber ist eine schmale, bedeu- 
tungslose Scharte gegen unser Plateau, auf dem bei halb- 
stündiger Breite Seen und Dörfer reichlichen Raum finden. 
Der Thalbildung hat es die Etsch zu verdanken, dass sie beim 
Zusammenfluss mit dem viel stärkeren Carlinbach doch ihren 
Namen behält. 

Ein Schienenweg über die Reschenscheideck würde vielleicht 
mit geringeren Mitteln herzustellen sein, als sie die tunnelreiche 
Brennerbahn mit ihren Kunstbauten erforderte. Und wenn das 
Dampfross erst über den Aılberg eilen kann, wo man schon 
jetzt Vermessungen anstellt, dann wird auch der Vintschgau dem 
Innthale über diesen Bergwall die eiserne Hand reichen. Als 
ich diese Gedanken gegen den Gastwirth von Graun aussprach, 
verlor der Mann seine ganze Gemüthlichkeit und opponirte hel- 
tig gegen die Eisenbahn, die das Land nur aussaugen Könnte. 
„Jetzt halten die Wagen noch still, und die Fuhrleut’ kehren 
rechtschaffen ein. Ist die Bahn da, dann geht Alles im Fluge 
vorbei“. Aber die Entwickelung des Weltverkehrs kehrt sich 
nicht an die Interessen einzelner Individuen und bricht sich 
auch dort Bahnen, wo, wie in Tirol, eine beschränkte Volks- 
masse, die sich ausserdem allzuleicht dem Einflusse der berech- 
nenden Geistlichkeit überlässt, den Neuerungen sich entgegen- 
stemmt. Wie viele Käipfe waren zu bestehen, ehe das Pro- 
ject der Brennerbahnu durchgeführt werden konnte! 

Der Landecker Stellwagen kam staubaufwirbelnd herange- 
rasselt, mit einem einzigen Passagier belastet. Schnell ging’s 
nun auf guter Strasse über die breite Heide am flachen Mitter- 
und Heidersee vorbei und im Fluge durch einige ansehnliche, 
stark bewohnte Dörfer, in denen sich stattliche Gasthäuser be- 
finden. Der Baumwuchs an den Thalwänden wurde üppiger, 
sogar Laubwald wurde sichtbar, und wo nicht gut bewässerte 
Wiesen die T'halsohle ausfüllten, breitete sich Weidengebüsch 
über sumpfigeren Boden. Einen prächtigen Abschluss giebt der 


137 


Landschaft iım Süden der grossartige Aufbau der gewaltigen 
Ortlergruppe, des höchsten deutschen Gebirges, auf dessen um- 
gletscherten Höhen die einzigen Wolkenreste lagen, die von 
der Nebelmasse des heutigen Tages übrig geblieben waren. 
Sonst wölbte sich überall ein fast südlich blauer Himmel über 
Berg und Thal. 

Wie viel Subjektives legt doch der Mensch in alle sinn- 
lichen Wahrnehmungeu! Ich habe Schilderungen von Natur- 
forschern gelesen, die, weil sie aus dem Paradiese von Meran 
kamen, die Malser Heide als ein ödes, wildes Plateau von 
furchtbarer Einsamkeit darstellten. Ich sehe nichts von Alledem. 
Mich haucht heute Alles so sonnig südlich an, als wollte sich 
mir schon jetzt die üppige Vegetation Italiens entgegen drängen. 
Will ich aber aufrichtig sein, so muss ich einen grossen Theil 
dieses Eindrucks auf Rechnung des Contrastes zwischen der 
winterlichen Starrheit des übereisten Hochgebirges mit dem 
bunten Leben dieses Thales setzen. Wie schwer ist es doch, 
objectiv darzustellen, und wie leicht begegnen sich geographische 
Schilderungen in den schärfsten Widersprüchen! Wer ein Ge- 
biet einseitig und nur einmal bereist, ist nicht im Stande, 
auch nur einigermassen den allgemeinen geographischen Cha- 
rakter desselben darzustellen. Unter verschiedenen Verhältnissen, 
namentlich auch in verschiedenen Jahreszeiten muss er es auf 
allen Seiten studiren, alles Subjective bei Seite drängen und 
sich gewaltsam zur nüchternen Betrachtung zwingen. Absicht- 
lich also will ich von dem schönen vollen Eindrucke, den das 
obere Eitschthal an jenem Abende auf mich machte, nichts 
wiedergeben, als die bescheidene Bemerkung, dass für die 
bedeutende Meereshöhe die Vegetätionsverhältnisse unerwartet 
günstige sind. 

In mächtigem Bogen flog der Wagen unter dem Knirschen 
des Hemmschuhes den breiten Schuttwall vor dem Eingange 
des Planailthales hinab, liess das stattliche Dorf Burgeis mit 
seinem schlanken rothen Thurme zur Rechten und eilte dem 
Marktflecken Mals zu, dessen mittelalterliche Thürme in der 
Ferne sichtbar wurden. An der rechten Thalwand thronte das 
prächtige Schloss Fürstenberg, ringsum von dunklem Nadelwald 
umgeben. Wir erreichten eine tiefere Thalterasse, Baumwuchs 
und Feldbau wurden üppiger, schon sah man gemähtes Korn 


138 


auf breiten Feldplänen liegen, und bald rasselte der Stell- 
wagen durch die engen Strassen von Mals, dem Ziele der 
heutigen Reise. 

Das empfehlenswerthe Gasthaus zur Post nimmt uns auf, 
und sorgenlos geben wir uns dem langentbehrten Comfort hin. 
Wir sind jetzt wieder an der Heerstrasse des Touristenver- 
kehrs und freuen uns des geselligen Lebens unter gebildeten 
Menschen, welche durch den Zufall aus allen Himmelsgegenden 
zusammengeführt sind. 


3. Vintschgau- und Schnalser- Thal. 


Früh vor Sonnenaufgang öffnete ich die Jalousien meines 
Schlafzimmers. Die frische Morgenluft war ausserordentlich 
klar und durchsichtig. Die gewaltige Gruppe des Ortlerge- 
birges mit ihren scharf gezeichneten Conturen lag so nahe, 
als könnte man die eisigen Gipfel in einer Stunde bequem 
erreichen. Der höchste Punkt des deutschen Bodens ragte 
kühn, wie eine scharfe Nadel, von dem breiten Rücken in 
den Morgenhimmel auf. Schwer und massig senkten sich rings- 
um die starken Eispanzer nieder. 

Da glänzte plötzlich ein heller Punkt, ein intensives Licht- 
signal an der höchsten Spitze des Ortler, bald erglühte die 
ganze Schneewand und verkündete dem dämmernden Thale 
den Aufgang der Sonne. Allmählich stiegen die Lichter nie- 
der, ein Gipfel nach dem andern leuchtete in fammigem Feuer, 
und endlich glänzten sämmtliche Eiszinken der Laaser und 
Suldener Ferner im Morgenscheine. Anfangs waren es nur die 
Umrisse der Höhenzüge, welche das Auge interessirten , jetzt 
aber gaben Licht und Schatten dem Gebirgscoloss die Plastik, 
welche ihn erst in seiner ganzen gewaltigen Grösse erkennen 
lässt. Einzelne Massen traten vor, andere zurück, mächtig 
gliederte sich der ganze Bau, und nach den Gesetzen der 
Perspective wies das Auge jedem Punkte den ihm zukommen- 
den Rang an. 

Bald sinken die Lichtmassen an der rechten Thalwand 
nieder und lassen auch hier die tiefen Einschnitte des Gebir- 
ges deutlich erkennen. Dort öffnet sich das Münsterthal mit 
seinen düstern waldigen Abhängen. Ringsum erglänzen die 
stattlichen Thürme mehrerer ansehnlicher Dörfer und Flecken, 


139 


Aber auch der Vordergrund des Bildes trägt zur Schönheit des 
Ganzen bei. Denn dicht vor mir erheben sich die charakte- 
ristischen Häuser von Mals, seine zahlreichen Kirchthürme 
und das Gemäuer und die alten Warten mittelalterlicher Bur- 
gen. In den Gärten des Städtchens aber erscheint, den Sü- 
den verkündend, der üppige Laubwuchs der Kastanie und des 
Nussbaums. Ich empfing einen von jenen Eindrücken, deren 
plastische Vollendung uns das ganze Leben hindurch in der 
Erinnerung bleibt. 

Als der Omnibus gegen acht Uhr die Reisenden zusam- 
menrief, entriss er mich viel zu früh der Betrachtung des rei- 
chen, landschaftlichen Bildes, welches trotz aller Contraste die 
schönste Einheit in sich trug. 

Bald rasselte der Stellwagen auf sonnig staubiger Strasse 
durch die breite Niederung des Etschthales, durchflog die en- 
gen Gassen weniger Dörfer und erreichte unter dem häufigen 
Wechsel der schönsten Aussichten den Weiler Spondinig, wo 
die weltberühmte Strasse nach dem Stilfser Joch abzweigt, 
welche einst dazu bestimmt war, Wien und Mailand direct zu 
verbinden. 

Einige Tourisien stiegen ein, die gestern auf dem leicht 
zugänglichen Rücken des Gebirges gewesen waren. Ihre Schilde- 
rungen erinnerten mich lebhaft an eine frühere Reise, auf wel- 
cher ich unter den günstigsten Verhältnissen den 8800’ hohen 
Grenzwall zwischen Deutschland und Italien überstiegen hatte. 

Bei Spondinig wendet sich die Thalsenkung genau nach 
Osten und behält bei halbstündiger Breite diese Richtung mei- 
lenweit bei. Die Etsch strömt hier canalisirt durch den fla- 
chen sumpfigen Wiesenboden, der nur allmählich sich in trocke- 
nes Land verwandelt. Die Gebirgswälle, die schroff anstei- 
gend das Thal auf beiden Seiten einschliessen, stehen sich 
an Höhe fast gleich; an Masse aber ist die Gruppe der Oetz- 
thaler Ferner der Erhebung des Ortlerstockes weit überlegen. 

Auffallend ist hier, wie so häufig in den Alpen, die Er- 
scheinung, dass die Schattenseite der Berge weit hinau! den 
schönsten Baumwuchs zeigt, während die Sonnenseite, kahl und 
dürr, den traurigsten Anblick gewährt. Die Gebirgsarten sind 
auf beiden Seiten dieselben, die Verhältnisse stimmen mög- 
lichst überein, die Ursache kann also nur in dem glühenden 

Zeitschr. f. d. ges. Naiurwiss. Bd. KAXVIIT, 1971. 10 


140 


Sonnenbrande zu suchen sein, der im Sommer senkrecht ge- 
gen die südliche Abdachung der Oetzthaler Berge wirkt. Die 
Höhe, zu welcher sich die Temperatur zur Mittagszeit hier 
zu erheben pflegt, ist eine enorme, und sie ist fähig, auf 
dem schiefrigen Boden, dem durch die Hitze schnell die Feuch- 
tigkeit entzogen wird, das Pilanzenleben auf ein Minimum zu 
redueiren. 

Oft liegt der Humus, der sich streckenweise gebildet hat, 
trocken und zerborsten den glühenden Strahlen ausgesetzt. Bricht 
nun ein heftiges Gewitter los, so schützt ihn keine Moos- oder 
Rasendecke gegen die anschwellenden Giessbäche. Die Was- 
sermassen, schnell vereinigt und durch kein Hinderniss auf- 
gehalten, stürzen mit wachsender Gewalt an den Abhängen 
nieder und reissen den fruchtbaren Boden, wild mit steinigem 
Geröll vermengt, ins Thal hinab. So verwandelt sich häufig 
der fruchtbringende Einfluss des Regens in eine zerstörende 
Thätigkeit. 

Unter diesen Verhältnissen kann schwerlich eine kräftige 
Vegetation Fuss fassen. Umgekehrt aber würde, wenn auch 
nur ein mässiger Pflanzenwuchs vorhanden wäre, der Boden 
geschützt sein, die Feuchtigkeit würde leicht zurückgehalten 
und ihre segenbringende Wirksamkeit verstärkt werden. Es 
handelt sich also hier um eine jener Wechselwirkungen, de- 
ren Gleichgewicht zu erhalten der Mensch mit allen Kräften 
bestrebt sein soll. Leider ist dies aber fast überall in den 
südlichen Alpen nicht geschehen, und manche Thäler, die frü- 
her eine Fülle prächtiger Waldungen in sich bargen, sind durch 
sinnlose Entwaldung in traurige Steinwüsten verwandelt. Man 
wird lebendig an das Schicksal Siciliens erinnert, welches frü- 
her eine reiche Kornkammer war und jetzt so viele wüste und 
steinige Gefilde aufzuweisen hat. Vielleicht haben auch die 
Berge, die jetzt so traurig und kahl vor uns stehen, früher 
den Schmuck dichter Laub- und Nadelwälder getragen, und 
diejenigen, welche den Holzreichthum entfernten, ohne für 
Nachwuchs zu sorgen, ahnten nicht, welchen Schaden sie für 
viele Jahrhunderte herbeiführten. 

Um bei der ungemein schnellen Verdunstung die man- 
gelnde Feuchtigkeit künstlich zu ersetzen, hat man mit gros- 
ser Mühe aus dem Innern der Thäler das Wasser der Bäche 


141 


in Steinrinnen von geringer Neigung an den Wänden hinge- 
leitet und die quellenlosen Abhänge bis in Höhen von 1000 
über der Thalsohle hier und dort mit einem Canalnetz verse- 
hen, welches den dürstenden Wiesen - und Feldhängen einige 
Erquickung spendet. Ausserdem hat man durch Mauern und 
Wälle den cultivirten Boden vor der Gewalt schnell entstehen- 
der Giessbäche geschützt und erzielt auf diese Weise wenig- 
stens einigen Ertrag. Leider habe ich von grösseren Anpflan- 
zunsen junger Bäume keine Spur wahrgenommen, obwohl die- 
selben, wenn auch langsaın, so doch sicher den steinigen 
Charakter der wüsten Höhenzüge ganz umwandeln würden. 

Jetzt brütet schwüle Sonnenhitze auf dem heissen Ge- 
rölle, über welches nicht selten graue Eidechsen hinweghu- 
schen. Nur dürres Geniste findet kärgliche Nahrung. Aber die 
Wärme begünstigt die Entwickelung eines reichen Insekten- 
lebens. Bunte Falter flattern über die trockenen Hänge hin, 
darunter Doritis Apollo mit seiner schönen Flügelzeichnung, 
und schnarrende Heuschrecken mit rothen und blauen Hinter- 
flügeln durchschwirren die glühende Luft. 

Sind diese Abhänge dürr und kahl, so wuchert auf dem 
Thalboden die Vegetation um so üppiger und farbenreicher. 
Herrliche Mais- und Kornfelder breiten sich aus, und in den 
Gärten findet man eine wahre Fülle von fruchtbeschwerten 
Obstbäumen. Wallnuss und edle Kastanie deuten immer be 
stimmter das südliche Klima an. 

Eine vorübergehende Unterbrechung bildet nur der trockene 
sonnige Schuttwall von Laas, der fast eine Stunde breit aus 
dem Litzner Thale hervorgequollen ist und die Etsch bis zu 
den jenseitigen Abhängen hinübergedrängt hat. Er erinnert mich 
daran, dass schon früher der südliche Abfall der Oetzthaler 
Gruppe auf mich den Eindruck gemacht hatte, als ob hier der 
Process der Verwitterung bedeutend stärkere Zerstörungen 
herbeiführte, als auf der Nordseite des Gebirges. Die Ursa- 
chen dieser Erscheinung glaube ich in Folgendem zu finden: 
Erstens ist das Innthal unterhalb Landeck fast dreimal so weit 
von der Wasserscheide entfernt, als das Etschthal; folglich ist 
die Abdachung nach Süden viel jäher, als nach Norden. Mit 
der Steilheit der Abdachung wächst aber die Gewalt der her- 
abstürzenden Wassermassen. Dadurch ferner, dass die unte- 

105 


142 


ren Theile des Vintschgaues bedeutend tiefer liegen, als die 
entsprechenden des Innthales, wird die Neignng des südlichen 
Abfalls noch verstärkt, so dass der Aufstieg in den Thälern 
oft schwieriger isi als die Besteigung manches Berges. Drit- 
tens: auf den Südabhängen der Alpen pflegen allerdings die 
wässrigen Niederschläge nicht so reich zu sein, als auf der 
nördlichen; dafür überschütten aber heftige Gewitterregen die 
Berge um so plötzlicher mit bedeutenden Wassermengen, die 
bei der schwächeren Vegetation und dem vollständigen Mangel 
an Wäldern die kahlen Abhänge um so stärker affıciren. Der 
Winterschnee schmilzt hier ebenfalls heftiger und schneller, 
und die Giessbäche müssen stärker wirken, als bei der all- 
mählichen Entfernung des Schueereichthums, wie er auf der 
Nordseite stattfindet. Nicht auf die jährliche Menge der Was- 
sermassen kommt es an, sondern auf die plötzliche vereinigte 
Wirksamkeit derselben. ‘Endlich könnte noch angegeben wer- 
den, dass die Contraste zwischen Frost und Hitze, welche, 
wie oben angegeben wurde, die Grenze der Schneeregion zum 
steten Sitze der Verwitterung machen, an den Südabhängen 
häufiger auftreten, als im Norden, und dass hier die Firnfel- 
der der höhern Regionen, welche sich schützend auf dem 
Rücken des Gebirges lagern, verschwindend klein sind gegen 
die breiten Eisplateaus, die sich nördlich der Wasserscheide 
ausdehnen. 

Aus allen diesen Gründen erscheinen die Felsgrate des 
südlichen Theiles unseres Gebirges zerfressener und zerstörter, 
und die Thäler führen mehr Schutt und Gerölle mit sich, als 
die gleich grossen der Nordseite. Nur einen Factor müssen wir 
ausnehmen, der auf der Südseite gar nicht zur Wirkung kom- 
men kann, die furchtbaren Gletscherbrüche, welche in den 
nördlichen Theilen so häufig die schrecklichsten Verwüstungen 
herbeiführten. Dieselben afficiren aber nicht die Kämme und 
Grate, sondern nur die Thäler. -— 

Nach längerem Steigen ist die Höhe des Schuttwalles von 
Laas erreicht, und ein überraschender Blick nach Osten öf- 
net sich. Zahlreiche Dörfer liegen auf dem Thalboden oder 
an den Abhängen inmitten fruchtbarer Gelände. Unter uns 
blicken die Häuser von Kortsch freundlich aus einem Walde 
von Obstbäumen, und dicht dahinter breitet sich der Flecken 


143 


Sehlanders aus, wo, in der Meereshöhe von 2250’, der Wein- 
bau im Grossen beginnt. 

Das Etschthal bildet von der Malser Haide aus bis nach 
Meran hinab eine Anzahl sanft geneigter Terrassen, die mit 
einander durch steilere T'halstufen in Verbindung stehen. 
Jede von ihnen könnte man durch ihre Culturerzeugnisse scharf 
charakterisiren. 

Die Malser Haide senkt sich als oberste Terrasse von 
der Reschenscheideck (4725) bis zum Heidersee (4500) nur 
wenig mehr als 200°, welche sich auf eine Strecke von fast 
5j, Meile vertheilen. Auf ihr wird Getreide mit Erfolg ange- 
baut. Dann geht’s auf einer Strecke von halber Länge bedeu- 
tend steiler herab bis kurz vor Mals (3355), so dass die erste 
Stufe eine Senkung von mehr als 1000‘ hervorbringt. Hier 
beginnt die zweite Terrasse, die sich bis Laas (2721‘) er- 
streckt, und für eine Entfernung von mehr als 2 Meilen Länge 
nur eine Erniedrigung von etwa 600° herbeiführt. Sie ist da- 
durch eharakterisirt, dass Mais, Nussbaum und Kastanie zahl- 
reich auftreten. Ueber den Schuttwall von Laas geht die 
zweite Stufe nach Schlanders hinab (2254), so dass einer 
reichlichen Stunde die Senkung von fast 500° entspricht. Auf 
der dritten Terrasse wird schon der Weinbau mit Erfolg be- 
trieben. Die Thalstufen von Laatsch und Staben sind viel we- 
niger markirt, zuletzt aber führt die enge Schlucht von Töll 
(1750°) aus dem Vintschgau in den Thalkessel von Meran hinab, 
wo in einer Meereshöhe von mehr als 1000° das eigentliche 
Etschthal beginnt und alie Reize südlicher Vegetation dem 
Wanderer entgegentreten. 

Beim Hinabfahren nach Schlanders sahen wir zur Rechten 
die engen Einschnitte des Laaser- und des Martell- Thales, 
wo in den Glimmerschiefern mächtige Marmorstöcke lagern, 
aus denen ein vorzügliches Material gewonnen wird. Wie 
letzthin die Zeitungen meldeten, ist der Marmor des Martell- 
thales dazu auserlesen, die Riesenblöcke zu liefern, aus de- 
nen das deutsche Siegesdenkmal zur Verherrlichung des letz- 
ten grossen Krieges gemeisselt werden soll. 

In Schlanders hielt der Stellwagen an. Es wurde schnell 
von den Reisenden, lauter Norddeutschen, eine gesellige Mit- 
tagstafel arrangirt, bei welcher vielerlei über die Erlebnisse 


144 


der letzten Tage und über die Reisepläne für die Folgezeit 
ausgetauscht wurde. Die meisten gingen nach Meran, einige 
strebten noch südlicher, um über Trient nach dem paradiesi- 
schen Garten der Lombardei zu gelangen. Auch mich zog 
ftalien, dem ich jetzt wieder so nahe war, mächtig an, und 
nur nach einigen Kämpfen blieb ich dem Fntschlusse treu, 
die rauhen Eisgefilde der Oetzthaler Ferner weiter zu studiren. 

Nach kurzer Rast ging es wieder im Fluge vorwärts. Unter 
einem reichen Wechsel landschaftlicher Bilder erreichten wir 
den Punkt, wo die Strasse die mächtig fluthende Etsch über- 
schreitet. Bei Laatsch gingen wir auf das linke Ufer zurück. 
Der Wagen durchrasselte eine felsige Thalschlucht, in deren 
Tiefe das Wasser pfeilschnell vorüberrauschte. Bei den Rui- 
nen von Castellbell öffnete sich wieder das breite, fruchtbare 
Thal, ausgedehnte Weingärten schmückten die sonnigen Ab- 
hänge, und wir betraten bald das freundliche Dörfchen Staaben 
1768‘) am Eingange des Schnalser Thales, wo ich entschlos- 
sen dem schönen Süden den Rücken zukehrte. Die Reisege- 
fährten flogen von dannen, oft beneidete ich sie um die Ein- 
drücke, denen sie entgegeneilten, und mit wechselnden Em- 
pfindungen ging ich an die härtere Arbeit. 

Um noch am heutigen Tage zum Fusse des Niederjoches 
zu gelangen, begann ich sofort in grösster Sonnenhitze den 
steinigen Abhang zu ersteigen, an dem sich ein harter Saum- 
weg bis zur Höhe der Burg Juval (2875‘ empor windet, Es 
kostet einige Selbstüberwindung, ohne jeglichen Schatten un- 
ter solchen Verhältnissen einen steilen Aufstieg von mehr als 
1000° Höhe zu bezwingen. Die Erreichung meines Zweckes 
und ausserdem eine reizende Aussicht über den ganzen Vintsch- 
gau mit seinen fruchtbaren Niederungen, den zahlreichen Ort- 
schaften und dem vielgewundenen Bande des Etschstromes mit 
all seinen zahlreichen Nebenbächen und endlich der volle An- 
blick der eisgekrönten Gebirgskette, die sich vom Ortler her 
mächtig nach Osten zieht, waren ein der Anstrengung ange- 
messener Lohn. Ich liess die alte Burg mit ihrem Gemäuer 
und Epheugeranke zur Seite liegen. Sie wird nur zu Wirth- 
schaftszwecken benutzt und bietet nichts Interessantes. Hinter 
den Oekonomiegebäuden senkt sich der Pfad noch von einigen 
Nussbäumen begleitet in das schmale, tiefe Schnalser Thal 


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hinab. Der untere Theil desselben erscheint uns wie ver- 
ınauert, denn durch eine enge Felsschlucht musste sich der 
Strom seinen Weg zum Eitschthale bahnen. Die landschaftliche 
Schönheit dieser wilden Einsenkung steht zu den kahlen, aus- 
gedörrten Abhängen, die wir soeben überstiegen, in vollstem 
Contraste. Rechts und links senken sich Laub- und Nadel- 
waldungen nieder, und in der Tiefe erkennt man häufig den 
grauen Stamm und die massige Laubfülle des Nussbaums; den 
ebenen Boden aber schmücken herrlich grüne Wiesen mit gu- 
ter Bewässerung. Einzelne Gruppen von Bauerhäusern zie- 
hen sich im Thale aufwärts. Wild ist das Brausen des 
Baches, der bei starkem Falle donnernd über die Felsblöcke 
hinstürzt und oft den dumpfen Klang zusammengeschlagener 
Steine ertönen lässt. Und nicht selten zeigen sich an den 
Steilwänden jene heimtückischen Muhren und Schutigänge, 
welche sogar unsern Saumpfad an einigen gefährlichen Stellen 
verschüttet oder in die Tiefe gerissen haben. Mächtige Fel- 
sen endlich, die mitten im Wiesengrün lagern und vor Zeiten 
von den Höhen niedergedonnert sind, erzählen gleichfalls von 
der Wirkung entfesselter Naturkräfte. 


Was das Insektenleben anbetrifft, so musste ich über eine 
grosse Menge von Hirschkäfern erstaunen, die schwerfällig 
das Thal durchflogen In botanischer Hinsicht fiel das häu- 
fige Vorkommen von Sempervivum arachnoideum auf, welches an 
den Trümmerblöcken des Thalbodens förmlich wucherte. 


Die Kirche von St. Catharina mit ihrem schlanken Thurine 
erscheint auf einem hohen, senkrecht abstürzenden Felsen des 
östlichen Abhanges. Sie giebt uns im Verein mit den um- 
liegenden Gebäuden einen Massstab für die riesigen Grössen- 
verhältnisse der Umgebung. Einige Häuser des Ortes liegen 
unten im Thale, wo der Bach in wüthenden Katarakten durch 
eine ausgewaschene Felsenenge stürzt. Hier führt eine schwan- 
kende Brücke, kaum einen Fuss breit, über die brausenden 
Wassermassen, deren aufgelöster Schaum hoch emporspritzt. 
Ohne das leichte Geländer würde ich sie schwerlich über- 
schritten haben. So aber erfreute ich mich an dem sinnver- 
wirrenden betäubenden Getöse und ging erst, als ich des 
wilden Schauspieles müde war, nach den Hütten hinüber, um 


146 


kurze Zeit zu rasten. Die frische Alpenmilch war bei der 
drückenden Hitze eine köstliche Erquickung. 

Ich musste über die schwindelnde Brücke zurück, und nun 
begann ein Aufstieg der manchem Berge Ehre machen würde, 

In Windungen hebt sich der Pfad in einem angenehmen 
Lärchenwalde steil empor. Der Baumwuchs wird einigemal 
durch Schluchten unterbrochen, welche von kleinen Bächen, 
die an den Vorbergen des Mastauner Grates entspringen, in 
das Geschiefer gewaschen sind. Häufig Öffnen sich die 
schönsten Rückblicke in das schroffwandige Thal, deren an- 
muthiger Wechsel noch erhöht wird durch die laubwaldbe- 
wachsene Mittelgebirgsterrasse, welche den linken Abhang 
unterbricht. 

Der Thum von St. Catharina, der anfangs in schwindeln- 
der Höhe schwebte, rückt in dem Masse herab, als wir em- 
porsteigen, und bald steht er jenseit des Thales mit uns in 
gleicher Höhe. Hinter ihm haben sich allmählich die kahlen 
Felsmassen des zerrissenen Texelkammes erhoben. In der 
tiefen Thalschlucht zu unsern Füssen, die so eng erscheint, 
und in welche sich öde Trümmerfelder hinabsenken, haben 
doch einige Rasenstreifen Platz gefunden -und den Anbau 
weniger Hütten hervorgerufen. Auf den schmalen Rasenbän- 
dern der jenseitigen Abhänge erscheinen weidende Kühe als 
winzige Gestalten in der grossartigen Umgebung. Dem An- 
scheine nach bedrohen die Geröllhalden häufig den angebauten 
Boden, die Hochwasser mögen eben so oft zerstörend heran- 
brausen, und so muss das Leben der Bauern auch hier ein 
höchst gefährdetes sein, 

Ein tiefer Einschnitt in das Gebirge bezeichnet die Mün- 
dung des Pfossenthals.. Wildsprudelnd stürzt sich in Windun- 
gen über die Felsstufen der eisgeborene Bach aus der been- 
genden Schlucht. Dnrch letztere führt der Weg zu den süd- 
lichen Abhängen des übergletscherten Gurgler Kammes und 
weiterhin über das Eisjöchl zum Pfelderthale.e Nur einige 
Höfe liegen in dieser einsamen Gebirgsgegend und können 
dem Fremden etwas Alpenkost, kaum aber Unterkunft ge- 
währen. Der Besuch des Thales scheint nicht gerade häufig 
zu sein. 

Unser Pfad wendet sich, jener Thalschlucht gegenüber, 


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mit der ganzen Richtung des tiefen Einschnittes fast wesi- 
wärts. Der Lärchenwald lichtet sich, üppige Wiesen lösen 
ihn ab, und vor uns erscheinen die alten Mauern und Ge- 
bäude der Karthause Allerengelsberg, um deren Kirche sich 
eine Anzahl von Gebirgshäusern angesiedelt hat. Wir befinden 
uns bereits 4645’ über dem Meere, und zwar wiederum auf 
dem Plateau einer Mittelgebirgsterrasse, welche reiche Wiesen-, 
und einige Feldeultur zulässt. Im Hintergrunde bauen sich 
mächtige Felsberge mit zerrissenen Kämmen auf, die von eini- 
gen Eisgipfeln überragt werden. 

Nach kurzer Rast in dem einfachen Gasthause, wo man 
guten Meraner Rothwein bekommt, stieg ich hinter dem von 
Crucifixen überfüllten Dörfchen nach dem Thalboden hinab 
und überschritt den wild brausenden Tscherminbach. Ein 
Fleischer von Naturns, der im oberen Thale Schlachtvieh kau- 
fen wollte, begleitete mich und wusste den schönen Vintsch- 
gau mit seinem Frucht- und Weinreichthum und der gesunden 
Luft nicht genug zu loben. „Bei uns sind Leute von mehr 
als hundert Jahren gar nicht selten, und wenn man sie auch 
nicht mehr arbeiten lässt, so gehen sie doch noch ganz rüstig 
stundenweit nach den Nachbardörfern.“ 

Das Thal bleibt für einige Zeit schluchtähnlich einge- 
engt. An den wildesten Felsenbildungen windet sich der 
Pfad längs des zerrissenen Bachufers hin. Wüthend schlagen 
die Wellen gegen die starren Felsblöcke, die ihnen im Wege 
liegen. Oft brandete die angeschwollene Fluth über unsern 
Pfad, so dass wir an den Wänden hinklettern mussten. 

Ein echtes Gebirgsbild boten ein Bauerhaus und eine 
Mühle, die im Schutze eines riesigen, vollkommen isolirten 
Blockes gebaut waren, der sie gegen das Getrümmer der 
steilen Wand zu schirmen hatte, von der er selbst in alter 
Zeit herabgebrochen war. 

Wir befanden uns in einer jener Schluchten, die man 
als „Klamm“ bezeichnen könnte. Sie erinnerte mich an jene 
grossartige Maurach des Oetzthals, durch welche allerdings 
eine vielfach grössere Wassermasse hinabbraust und durch 
ihr betäubendes Getöse einen wahrhaft beängstigenden Ein- 
druck hervorbringt. Wo sich der Tannenwald bis zum aus- 
getretenen Bache herab senkte, wuschen die Fluthen uner- 


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müdlich an den Wurzeln und Stämmen der Bäume. Schon 
war ein schlankes Fichtenpaar den Wogen zum Opfer gefal- 
len und quer über den Bach bis auf unsern Weg gestürzt. 
Das Gezweig hing dicht und verworren bis tief ins Wasser, 
und die Stämme bogen und dehnten sich unter dem Drucke 
der Wellen. 

„Nun wirds bald wieder schön,“ sagte mein Begleiter in 
seiner einfachen Anschauungsweise. Der Thalboden wurde 
breiter, und sorgsam gepflegte Wiesen bildeten den lieblich- 
sten Contrast zu den aufgeregten Bilde kämpfender Natur- 
kräfte.. Wo sich das Schnalser- und Mastaunthal vereinigen, 
entsteht ein förmlicher Kessel, auf dessen ebenen Wiesen- 
grunde in der Meereshöhe von 5124’ das Ziel des heutigen 
Tagemarsches, das Dörfen „Unser lieben Frau“, in freundlich- 
ster Lage sich aufbaut. 

Die Wände des Kessels sind schroff, aber doch theil- 
weise bewaldet. An einer Stelle des linken Ufers senkt sich 
ein wildes Heer furchtbar zertrümmerter Blöcke nieder, welche 
abenteuerlich aufgeschichtet den Abhang so dicht bedecken, 
dass jede Vegetation unmöglich gemacht wird. 

Solcher Felsbrüche giebt es noch mehrere im Thale. 

Ich erwähnte oben, wie in den südlichen Thälern unsers 
Gebirgsstockes die Bäche plötzlich zu bedeutender Höhe an- 
schwellen können. Die Uferbauten, welche die wilden Ge- 
wässer von den Wiesen abhalten sollen, zeugen von deren 
unwiderstehlicher Gewalt. Die Schutzmittel gegen die Strö- 
mungen der Kaunser, Pitzthaler und Oeizthaler Ache, sind 
kleinlich zu nennen gegen die complicirten Hülfsmittel, die 
hier zur Anwendung kommen. Zunächst hat man das breite 
Fluthbett des Baches durch einen starken Steindamm, dessen 
breite Oberfläche hier und dort als Weg benutzt wird, ein- 
geengt. Bei gewöhnlichen Anschwellungen wird derselbe 
nicht überschritten. Dass er aber oft nicht ausreicht, davon 
zeugen die breiten Kieslager ausserhalb des Dammes. Hier 
steht eine ganze Reihe von viereckigen Kasten von ungefähr 
10° Breite, 20° Länge und 5° Höhe, die aus starken Stämmen 
gezimmert und hoch mit Steinen angefüllt sind. Einfache 
Steinbauten reichen hier nicht mehr aus, sie würden wehr- 
los von den Fluthen weggeschwemmt werden. Diese Buhnen- 


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werke selbst sind durch zahlreiche Baumstämme, die sich in 
den Abhang stemmen, gestützt und haben sicher eine bedeu- 
tende Widerstandsfähigkeit. 

Schon heute rast der Bach in wilder Wuth. Wie mag 
er vollends erscheinen, wenn er sich schwellend gegen die 
Hindernisse seiner Freiheit stürzt. 

Einige Räder an Mühlen und Schmiedewerkstätten deuten 
an, dass man aus der starken Wasserkraft wenigstens etwas 
Vortheil zu ziehen versteht. ‘Aber die überströmende Kraft- 
fülle, die, wie fast überall in den Alpen, sich in nutzloser 
schäumender Brandung aufzehrt, könnte ganz anders zur Ar- 
beit verwendet werden. Der Krafteffeet, der sich aus den 
Bächen des Oetzthaler Gebirges erzielen liesse, würde ent- 
schieden die Anzahl von Pferdekräften, welche von sämmtli- 
chen deutschen Dampfmaschinen repräsentirt wird, vielfach 
übertreffen. Bei dem starken Gefäll und dem Wasserreich- 
thum jedes Baches lässt sich durch die einfachsten Hülfs- 
mittel ein grosser Theil der Kraft nutzbar machen, der also 
fast ohne Kosten gewonnen würde. Ich bin überzeugt, dass 
der stärkere Verkehr der künftigen Zeiten in allen Thälern, 
die von den Hauptstrassen desselben nicht allzu abgelegen 
sind, bedeutende Industriezweige irgend welcher Art zur 
Entwicklung bringen wird. Der Geist der Neuzeit duldet es 
nicht, dass Hülfsmittel, die so reichlich dargeboten werden, 
auf ewig unbenutzt bleiben. 

Nimmt man den Ausgang des Schnalser Thales zu 1700° 
an, so hat man für den vierstündigen Thalweg von „Unser 
Frau“ bis zur Mündung des Baches einen Fall von fast 3500’. 
Daraus schliesse man auf die Wucht der hinabstürzenden 
Fluthen. 

Niebt weit oberhalb „Unser Frau“ trennen sich die Wege 
nach dem Niederjoch und dem Hochjoch, die beide nach 
Vent führen. Der erste geht rechts ab ins Tissenthal und 
führt. direct nach der 9493’ hohen übergletscherten Einsatte- 
lung zwischen Similaun (11,401) und der noch höheren „Fi- 
nailspitze‘“. Will man das Hochjoch passiren, so verfolgt 
man das Schnalser Thal noch weiter bis zum Kurzraser Hof 
(6400), von wo aus die Jochhöhe von 9311’ auf ziemlich 
steilem, aber nicht beschwerlichen Wege erreicht wird. Der 


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Abstieg nach Vent geschieht in beiden Fälien auf sanft ge- 
neigten Firnfeldern ohne Gefahr und Schwierigkeit. 

Unser Frau ist selbstverständlich der Rastpunkt für alle 
Oetzthalwanderer, mögen sie nord- oder südwärts streben, 
Drei Gasthäuser deuten auf ziemlich starken Verkehr. Und 
wirklich, während in früheren Zeiten ein Uebergang über die 
Eisgefilde für ein vermessenes Wagniss galt, oder wenigstens 
den Kühnen unter die Zahl der renommirten Bergsteiger ver- 
setzte, ist jetzt der Eismarsch, im Hochsommer wenigstens, 
fast zur täglichen Promenade geworden. Ganze Caravanen 
von Fremden, Herren wie Damen, gehen unter der Leitung 
tüchtiger Führer über die Firnfelder. Ruhig und sicher wan- 
delnde Maulthiere sind die Kameele der Eiswüste und tragen 
Menschen oder schweres Gepäck über den Bergwall. — 

Wir durchschritten den langgedehnten Ort und trennten 
uns in der Nähe der Kirche, die von einem kleinen Hügel 
aus den friedlichen Thalkessel überblickt. In dem obersten, 
neuen Gasthause, einem stattlichen Gebäude, fand ich freund- 
liche Aufnahme. 

Zwei Engländer traf ich an, steif und einsilbig. Letz- 
teres setzte ich auf Rechnung des anstrengenden Marsches, 
den sie zurückgelegt hatten. Sie waren von Vent gekommen 
und hatten vom Niederjoch aus den Similaun bestiegen. Da 
sie zu spät aufgebrochen waren, mussten sie den heissesten 
und hellsten Theil des Tages auf dem Schnee verbringen und 
hatten starke Entzündungen der Gesichtshaut und der Augen 
davon getragen. 

Ihr Führer war geneigt, mich morgen nach Vent zurück- 
zuführen. Eine Schwierigkeit aber fand sich darin, dass mor- 
gen Sonntag war. Er wollte als Mitglied des Führervereins 
den Paragraphen der Statuten nicht verletzen, welcher bei 5 
fl. Strafe verbietet, Messe und Kirche zu versäumen. Kurz 
entschlossen fragte ich: ‚Wann beginnt in Vent die Kirche ?« 
„Um 8 Uhr.“ „Gut, gehen Sie in Vent zur Kirche; besorgen 
Sie Proviant, und wecken Sie mich vor zwei Uhr.“ 

Die Mittagsstunden wollte ich eben nicht gern in der 
Schneeregion verbringen. Leider musste ich aber in Folge 
dieses Arrangements auf die. Besteigung des Similaun oder 
der Kreuzspitze verzichten. — 


151 


Werfen wir einen Rückblick auf das Schnalser Thal, so 
müssen wir gestehen, dass es an Grossartigkeit dem Oelz- 
thale nicht nachsteht und die beiden andern nördlichen Thä- 
ler vielleicht übertrifft. Es liegt nicht zwischen secundären 
Kämmen, sondern lehnt sich mit dem Pfossenthal an den 
einen Haupizug der ganzen Erhebung, dem es im oberen 
Theile fast parallel wird. Daher nimmt es auch eine grosse 
Anzahl von Nebenthälern auf und empfängt die Abflüsse von 
27 Gletschern. Dass von ihm nicht so viel gesprochen wird, 
als von den nördlichen Thälern, ist wohl darin begründet, 
dass die meisten Reisenden von Norden kommen und das 
Thal betreten, nachdem sie von grossartigen Eindrücken über- 
sättigt und von Anstrengungen abgespannt sind. Wohl selten 
wird man, thalabwärts gehend, in so kurzer Zeit und durch 
einen so reichen Wechsel der schönsten Landschaften aus 
der starren Einsamkeit ausgedehnter Eisfelder in die üppige 
Pflanzenwelt des Südens versetzt. 


4. Ueber das Niederjoch nach Vent. 


Kaum eine Stunde nach Mitternacht mochte es sein, als 
ich geweckt wurde. Der unruhige Schlaf hatte mich nicht 
erquickt. Starker Kaffee musste dem Körper die nöthige Elas- 
tieität geben. Ein Alpenstock, der nach Vent gehörte, war 
mir eine willkommene Unterstützung. Gegen zwei Uhr traten 
wir hinaus in die dunkle Nacht. 

Der Himmel war vollständig klar. Die Sternbilder strahl- 
ten fast planetarisch im reinsten Lichte. Die Luft war ruhig 
und kalt. Alles schwieg. Nur die Gewässer rauschten ihr 
Lied. Aber auch dieses erklang mit gedämpfter Stimine. 
Denn kaum halb so stark, als gestern Abend, mochte die 
Wassermasse sein, die jetzt von den Gletschern herab durch 
das Thal eilte. 

Alois ging langsam mit einer Papierlaterne, wie wir sie 
bei Illuminationen gebrauchen, voran und öffnete die Thüren 
der zahlreichen Gehege. So ging es eine Viertelstunde lang 
im Thale aufwärts, bis wir bei den letzten Häusern rechts 
ins Tissenthal einbogen, wo das Steigen begann. 

Zu sehen gab es nichts, als die dunkeln Massen der 
Berge, die sich scharf vom Nachthimmel abhoben, zu hören 


152 


nichts, als das Murmeln. und Gurgeln der Wasser, welche in 
die engen Bewässerungscanäle geleitet werden. 

Noch in der Höhe wurden zwei einsame Häuser passirt, 
dann lichteten sich die Lärchenbestände, die uns bis jetzt 
begleitet hatten, und bald war der letzte Baum hinter uns. 
Jetzt wurde die Umgebung alpin. Gleichzeitig begann die 
Dämmerung und machte unsere Leuchte unnöthig. Wir be- 
traten den leidlichen Wiesenboden, zu dem sich das Tissen- 
thal iu seinen oberen Theilen erweitert. Ringsum starrten 
kahle Felswände auf. Schmale Schneestreifen senkten sich 
von ihnen herab. Hier oben entspringen zahlreiche Quellen. 
Eine von ihnen schleuderte den klaren armstarken Wasser- 
strahl fast fusshoch empor. 

Wieder musste ich über die merkwürdige Durchsichtig- 
keit der Luft erstaunen. Alles war ausserordentlich in die 
Nähe gerückt, so dass sämmtliche Verhältnisse zu klein er- 
schienen. Wir erblickten vor uns an der Bergwand die 
Scharte des Joches, als wäre sie in einer Viertelstunde zu 
erreichen. Und als die Finailspitze und die Nachbarn des 
Similaun erschienen, hätte ich nicht geglaubt, imposante Berg- 
riesen vor mir zu haben. 

Der Rückblick auf die Gegenseite des Thales zeigte die 
Kämme wilder und zerrissener. als vorher. Längst hatte der 
muldenartige Charakter aufgehört. Die Baumregion lag tief 
unter uns. 

Bergprimeln, Gentianen, Steinprechgewächse und einige 
bunte Arten der Gattung Pedicularis traten in ähnlicher Weise 
auf, wie es oben geschildert wurde. Im ganzen war die 
Vegetation spärlich. 

Endlich wurde es felsiger. Der Weg stieg treppenartig 
über nacktes Gestein. Der Morgenwind begann uns kalt an- 
zuhauchen, und die frische kräftige Luft liess keine Ermüdung 
aufkommen. 

Wir betraten die ersten Schneefelder. Sie trugen fest 
und sicher, denn es hatte während der Nacht hier oben 
stark gefroren. Noch jetzt mochte die Temperatur unter dem 
Nullpunkte stehen. 

Da leuchteten plötzlich Lichtsignale von den Schneewän- 
den der Finailspitze herab und verkündeten den Tag. Dann 


153 


ergoss sich die glühende Lichtmasse tiefer und tiefer und 
brachte Leben und Gestaltung im die öde Landschaft. Mit 
der Sonne erhoben sich luftige Nebel, rosig angehaucht, die 
eilend über den Jochkamm zogen und wechselnd die Höhen 
umhüllten und umspielten. Anfangs . wurden sie leicht. von 
der trocknen Luft aufgezehrt und lösten sich in Nichts auf, 
aber immer neue Massen erschienen und zogen einen dauern- 
den Schleier um die höchsten Gipfel. 

Wir erreichten die Wand, mit welcher das Thal endet. 
Steil zog sich der kaum fussbreite Pfad bald über festes Ge- 
stein, bald über loses Getrümmer. Auch einige jäh abststürzende 
Schneefelder wurden überschritten, wobei wir vorsichig in 
die festgefrornen Fussstapfen von Vorgängern traten. Es fiel 
mir im Uebrigen keine Schwierigkeit in die Augen. Beim 
Herabsteigen vielleicht mag die Situation dem Neulinge etwas 
bedenklich erscheinen. 

An einer zerklüfteten Stelle, wo man zu rasten pflegt, 
stärkten wir uns durch Brod, Fleisch und guten Rothwein. 
Der Rückblick von hier aus wird dadurch interessant, dass 
die ganze Gruppe der Ortlergebirge über den jenseitigen 
Kamm aufragt. Diese macht die südwestliche Aussicht vom 
Niederjoch bedeutender, als die vom Hochjoch. Das Thal, 
welches noch in der Dämmerung ruhle, erschien wie eine 
tiefe Schlucht, deren Boden kaum sichtbar war. Auf der 
Ostseite starren die schroffen Abhänge des Similaun empor, 
auf der Westseite die eisigen Grate der Finailspitze, von 
denen überquellende Eismassen niederhängen. 

Einer der Gletscher, dessen Treppenwerk sich steil herab- 
senkt, soll nach Aussage des Führers sich erst in neuester 
Zeit gebildet haben und noch keinen bestimmten Namen tra- 
gen. Das Individuum ist hinlänglich gross, hat einen eigenen 
Ausgang und würde sicher auf der Sonklarschen Karte ver- 
zeichnet sein, wenn es vor zwanzig Jahren eine annähernde 
Grösse gehabt hätte. 

Nicht öhne Erstaunen fand ich hier in der Höhe von fast 
9000° die Spuren grösserer Thiere. Der Führer erzählte, dass 
vor drei Wochen die Rinderherden von Unser Frau über das 
Gebirge getrieben wären; die Alpenweiden des Niederthales 
gehörten dieser Gemeinde. Diese Bemerkung mag wohl den 


154 


Stolz manches Reisenden, der seinen Niederjoch-Uebergang als 
ein Wagniss betrachtete, einigermassen dämpfen, 

Nie ist mir das Uebersteigen eines Hochkammes beque- 
mer gewesen, als heute. Mochte es nun am Terrain, oder 
an der kräftigen Morgenluft liegen, von Erschöpfung oder 
Mattigkeit war nicht die Spur zu bemerken. 

Nach kurzem Klettern wurde die Felsenscharte erreicht, 
durch welche wir den Schneewall betraten. Die Jochhöhe 
von 9493° war somit erstiegen. Der Ostwind blies uns scharf 
und schneidend entgegen. Er machte den Aufenthalt etwas 
unangenehm und liess uns nur knrze Zeit den schönen Rück- 
blick geniessen. Dann gings in scharfem Schritt auf der an- 
fangs horizontalen, dann sanft nach Nordosten geneigten Firn- 
fläche vorwätls. 

Das Hochjoch unterscheidet sich vom Niederjoch dadurch, 
dass es im Gegensatz zu diesem durch einen breiten Plateau- 
wall dargestellt wird, von welchem der Hochjochferner nach 
beiden Seiten niederhängt. Hier hingegen bricht das Firnfeld 
an dem schartigen Ramme ab, und schneefrei senkt sich der 
schroffe Südabhang in das Tissenthal nieder. 

Die kühn aufstrebende Finailspitze, welche, so viel ich 
weiss, bis jetzt nur zwei Mal bestiegen wurde, und der plas- 
tische Eisdom des Similaun sind die zwei gewaltigen Säulen 
der Einsattelung, von der jeder sich ein übergletscherter Kamm 
nach Nordosten zieht. Links haben wir den Kreuzkamm mit 
der Saispitze, den Kreuzköpfen, der aussichtsreichen Kreuz- 
spitze und schliesslich der Thalleitspitze. Saigletscher und 
Sommaargletscher senken sich von ihm aus auf den Nieder- 
jochferner herab. Zur Rechten geht ein eisstarrender Berg- 
wall von Similaun nach der ‚„Hinteren Schwärze“ und dem 
Muttmalkamm. Hier ist nur selten eine schneefreie Stelle zu 
sehen. Die niederquellenden Eismassen brechen hier und dort 
senkrecht ab und zeigen grünschimmernde Wände und deut- 
liche Firnbänder. An einer Stelle pflegen sich mächtige Klum- 
pen abzulösen und donnernd auf den Niederjochferner zu stür- 
zen. So lag ganz isolirt ein riesig grosser Eisblock nicht 
weit von uns auf dem Schnee. Rings um ihn war durch 
den Reflex der Sonnenstrahlen eine muldige Einsenkung ent- 
standen. 


155 


Die Aussicht nach vorn war grossartig. Da sich die 
Richtung des Venterthals Kaum von der des Niederthals unter- 
scheidet, so sind die zerrissenen Gipfel der Stubayer Gruppe 
mit ihren Schneefeldern deutlich sichtbar. 

Leider blieb der herrliche Aufbau des Similaun zu unsrer 
Rechten fast immer von Nebelwolken verhüllt. Nur selten lüf- 
teten sich die leichten Schleier, um uns einen partiellen Au- 
blick zu gewähren. Er ist nicht der höchste, aber wohl der 
schönste Berg der ganzen Oetzthaler Gruppe, 

Die Morgensonne malte breite Bergschatten auf das Firn- 
feld, die sich mit sichtbarer Geschwindigkeit fortbewegten, 
während die erstere aufstieg. Der beleuchtete Raum aber 
liess glänzende Firnkrystalle wie Millionen von Sternchen auf- 
blitzen. 

Die Schneedecke trug sicher. Nur zwei Mal beobachtete 
ich fast schnurgerade Spallen von geringer Breite, die sich 
senkrecht zur Richtung des Gletschers vom einen Ufer zum 
andern zogen. 

Bald befanden wir uns an der Grenze der Firnregion. 
Obgleich den eigentlichen Gletscher der Schnee noch fusshoch 
bedeckte, wurde er doch durch die ersten Moränenblöcke an- 
gedeutet. Bald mehrten sich dieselben und bilden stärker und 
stärker angehäuft eine scharf abgegrenzte, gerade Linie, welche 
den Gletscher in zwei ungleiche Theile schied. Die linke 
Hälfte war die kleinere. 

Ist auch die Erscheinung der Moränen eine sehr be- 
kannte, so haben sich doch über ihre Entstehung einige ver- 
altete Erklärungsweisen erhalten. Desshalb erlaube ich mir, 
denjenigen unserer Leser, welche mit der Gletschertheorie we- 
niger vertraut sind, einige Andeutungen über das interessante 
Phänomen zu geben. Dieselben werden wenigstens einiges 
Licht auf das geheimnissvolle Leben der Gletscher werfen. 

Wie man unter Schneeregion dasjenige Gebiet der Höhen- 
welt versteht, in welchem die jährlich niederfallende Schnee- 
menge den durch Schmelzung herbeigeführten Verlust über- 
wiegt, oder ihm doch die Wage hält, so bezeichnet man mit 
dem Worte Firnregion den Theil eines Gletscherindividuums, 
auf welchem der aus dem Schnee entstehende Firnertrag wäh- 
reud eines Jahres nicht vollständig abgeschmolzen wird. Der 

Zeitschr. f. d. ges. Naturwiss. Bd. RXXVIII, 1871. al 


156 


tiefer liegende Theil, wo die Schmelzung überwiegt, ist der 
eigentliche Gletscher. Dort wird eine Firnschicht nach der 
andern entfernt, und endlich tritt das wirkliche Gletschereis 
zu Tage. Durch das Wandern des Gletschers werden all- 
mählich alle Theile der Firnregion unter die Firnlinie hinab- 
getragen. Während also oberhalb der letzteren in jedem 
Jahre neue Firnschichten sich bilden, werden unterhalb dersel- 
ben alljährlich ältere Schichten entfernt. 

Meistens ist der Gletscher schon oberhalb der Firnlinie 
von Wänden eingeschlossen, welche theilweise schneefrei wer- 
den. Von diesen stürzen mit den Lawinen, oder durch Sturm 
und Unwetter losgelöst, die Producte der Verwitlerung auf 
den neuesten Firn, werden dort während des Winters von 
Schnee bedeckt und bleiben in die allmählich entstehende 
Eisschicht eingeschlossen. So finden sich längs des Gletscher- 
randes in allen Jahresschichten eingefrorene Steintrümmer, 
welche mit der ganzen Masse thalabwärts wandern. 

Sobald die Firnlinie überschritten wird, wirkt die Schmel- 
zung und legt zunächst die zufällig zerstreuten Steine der 
jüngsten Schicht bloss. Später schmilzt auch die zweite Schicht, 
und jetzt werden ungefähr doppelt so viele Steine zu Tage 
liegen. Endlich werden die folgenden aus der Gefangenschaft 
erlöst, und selbstverständlich muss die Moräne, je tiefer man 
thalabwärts geht, anwachsen. 

Dass der Vorgang wirklich in dieser Weise geschieht, 
beweisen die sogenannten Mittelmoränen. Vereinigt sich näm- 
lich oberhalb der Firnlinie ein Gletscher mit einem andern, 
so fliessen die beiden Eismassen, ohne sich zu vermischen, 
neben einander her. Die eingefrorneu Trümmer, die anfangs 
längs des Gletscherrandes lagerten, stossen jetzt beiderseitig 
zusammen und treten oft erst tief unterhalb der Vereinigung 
allmählich zu Tage, um die Moräne zu bilden, welche die 
Grenze der beiden Individuen deutlich angiebt. 

Fig. I. auf Tab. IV. mag den schematischen Querschnitt 
eines einzelnen Gletschers in der Firnregion mit seinen Jahres- 
schichten und den eingeschlossenen Felstrümmern darstellen. 
Auf Fig. II ist ein Querschnitt unterhalb der Vereinigung 
zweier Individuen gegeben. Der in Fig. III dargestellte Längs- 
schnitt soll ein Bild davon geben, wie durch allmähliche Schmel- 


157 


zung die punktirten Schichten entfernt sind und das Gestein 
angehäuft wird. Die kleine Karte in Fig. IV. wird sich selbst 
hinlänglich erläutern. Hier münden mehrere Gletscher in ein- 
ander. Zwei Maränen trennen die einzelnen Individuen. Die Linie 
a—b stellt ungefähr die Firngrenze dar. Ausserdem mündet in 
den Eisstrom der Abfluss eines vierten Gletschers, welcher 
jedoch, wie es in dem Oetzthaler Gebiete häufig geschieht, 
von den mächtigen Eismassen zu einem ‚„Eissee“ aufgestaut 
wird. Das Wasser des letzteren muss sich durch die Klüfte 
und Spaltengänge des Gletschers seinen Weg suchen. Auf 
dem Felsgrunde selbst wird es nur an solchen Stellen fliessen 
können, an denen das Eis nicht unmittelbar auf dem Boden 
aufliegt, mit dem es den höchsten Theilen des Gletschers aus 
Gründen der Wärmetheorie zusammengefiroren sein mag. 

Die schematische Karte deutet gleichzeitig an, dass der 
Hauptgletscher bei der Mündung des Nebenthales nach dem 
See hin sich ausbuchtet. Diese Erscheinung, welche sich im 
Gebiete der Oetzthaler Ferner öfter zeigt, ist zunächst ein Be- 
weis dafür, dass der Gletscher nicht so, wie er einmal gestal- 
tet ist, thalabwärts rutscht, sondern dass die ganze Masse im 
Wandern sich plastisch den Formen des Bettes anbequemt. 
Wo dasselbe sich plötzlich erweitert, muss der Gletscher nach- 
folgen. So wie die Gravitation die flüssigen Körper nicht nur 
thalabwärts bewegt, sondern sie gleichzeitig die Buchten des 
Ufers ausfüllen lässt, so ist diess auch beim Gletscher der 
Fall. Trotzdem ist die Gletscherbewegung wohl unterschieden 
von der Fortbewegung der flüssigen Körper, deren einzelne 
Theile beliebig durch einander wirbeln können. Selbst der 
Vergleich mit zähflüssigen Körpern ist noch nicht treffend. 
Man beobachtet, dass die Jahresschichten des Eises deutlich 
getrennt bleiben und in den tieferen Theilen des Gletschers 
fast dem Querschnitt des Bettes parallel lagern. Und bei der 
Ausbuchtung nach den Seitenthälern nimmt man stets wahr, 
dass die anfangs aufgerichteten Schichten, die sich vorher an 
den Abhang des Bettes lehnten, horizontal niederzuklappen 
bestrebt sind. Alle diese Bewegungserscheinungen, zu denen 
noch das durch Beobachtung nachgewiesene Vorauseilen derMitte 
gegen den Rand und der Oberfläche gegen den Grund kommt, 
wachen das Vorwärtswandern des Gletschers zu einer sehr 

11° 


158 


complieirten mechanischen Erscheinung, deren mathematische 
Formulirung wohl unmöglich bleiben wird. Man vergleiche an 
dieser Ste!le das oft genannte v. Sonklarsche Werk und beachte 
vor allem die Beobachtungen, welche der Verfasser an der 
Stelle gemacht hat, wo der Gurgler Ferner sich nach dem 
Langthaler Eissee ausbuchtet. Er betrachtet mit Recht solche 
Stellen als seitliche Gletscherausgänge und ist überzeugt da- 
von, dass hier ein wirklicher Substanzverlust stattfindet. 


Die alte Theorie, welche Schmelzwasser in das Eis ein- 
dringen, dort gefrieren und im Momente des Erstarrens eine 
gewaltsame Ausdehnung stattfinden liess, die eine Bewegung 
der gesammten Masse nach unten und ausserdem ein Heben 
derselven nach oben hervorbringen sollte, durch welches man 
sogar das scheinbare Heraufkommen der Moränenblöcke zu er- 
klären suchte, diese Theorie ist schon wegen der ausseror- 
dentlichen Porosität des Gletschereises so gut als verwertlich. 


Kehren wir nach dieser Abschweilung zum Niederjochfer- 
ner zurück, dessen Moräne uns zu den nahe liegenden Be- 
trachtungen veranlasst hatte. 

Der Gletscher lag jetzt, in der Mitte ziemlich hoch ge- 
wölbt, an den Rändern abgeschmolzen, zwischen den schnee- 
freien Wänden der Thalmulde. Er wurde steiler und zerklüf- 
teter. Wir suchten also über die Randmoräne zum Ufer zu 
gelangen, welches auch ohne Schwierigkeit zu erreichen war. 
Weder die Erscheinung der Gletschertische trat besonders auf, 
noch jenes scheinbare Erheben eines Eiswalles unter der Mit- 
tel- oder Randmoräne, welches dadurch entsteht, dass die 
Steinmasse als Schutz gegen die Sonnenstrahlen das Abschmel- 
zen des Eises verhindert. 

Bald lag das Gletscherende, keilförmig sich niedersenkend, 
unter uns. Der Bach quoll trüb aus der flachen Oeffnung, de- 
ren Meereshöhe zu 7300‘ geschätzt wird, 

Auf dem linken Thalabhange, den wir betreten hatten, 
befindet sich das verfallene Gemäuer einer früheren Hütte, 
„Sommaar“ genannt. Hier trafen wir die ersten Schafe an 
und fanden überall zwischen den Felsblöcken kurzen Gras- 
wuchs, einige Primeln und Gentianen. In den Runsen rausch- 
ten zahlreiche Bäche nieder und wühlten sich oft durch Laui- 


159 


nenreste. Die Schneebrücken mussten vorsichtig überschritten 
werden. 

Nach einer Viertelstunde wird das Thal durch mächtige 
Eismassen, die aus einem Nebenthale vorquellen, vollständig 
verschlossen. Bald sehen wir, dass mehrere Gletscher von 
imposanter Grösse sich hier vereinigen. Zunächst erblicken 
wir den Marzellgletscher mit seinen Mittelmoränen, der sich 
von den Firnfeldern am Nordabhang des Similaun ernährt, 
welche sich bis zum Muttmalkamm ununterbrochen hinziehen. 
Er trifft kurz vor dem Eintritt in das Niederthal mit dem be- 
deutend massigeren Schalfgletscher zusammen, dessen Gebiet 
sich bis zur Karlesspitze im Osten und bis zum Schalfkogel 
im Norden erstreckt. Er senkt sich als ebener Eisstrom in 
ruhiger Windung nieder. Seine parallelen Moränen möchte 
ınan mit den Schienen vergleichen, die regelmässig auf den 
Curven einer Gebirgsbahn liegen. Er, als der mächtigere von 
beiden, drängt den Marzellgletscher weit an das Ufer des Nie- 
derthals herüber, wie die starke Mittelmoräne, die beide In- 
dividua trennt, deutlich anzeigt. 

Der Marzeli.letscher weicht dem Seitendrucke zum Theil 
dadurch aus, dass er sich nach dem eisfreien Niederthale et- 
was ausbuchtet und einen jener seitlichen Gletscherausgänge 
bildet, von denen wir oben sprachen. Da die Senkung des 
Eises mächtige Risse und Klüfte zeigt, so wird der Thalbach 
nicht aufgestaut, sondern verschwindet schnell unter dem 
Gletscher. An den Moränen desselben erkennt man deutlich, 
dass die Eismasse eine leise Schwenkung nach links macht. 

Beide Gletscher gehen vereinigt, fast eine Viertelstunde 
breit, noch eine grössere Strecke weiter. Das graublaue Eis, 
welches nur wenig ins Grünliche schimmert, wird bald von 
den überhandnehmenden Moränenkämmen mehr und mehr ver- 
deckt. Das steil abstürzende Ende erscheint dem Wandrer als ein 
schmutziger Schuttwall, unter dem er nicht ohne Weiteres 
Eis vermuthen würde. Die Spalten des Eises durchkreuzen 
sich nach allen Richtungen und zerklüften den Gletscherkör- 
per in eine wilde Masse von zerschrundenen Wellenzügen, SO 
dass ein Betreten des unsicheren Bodens immerhin mit Gefahr 
verknüpft ist. Das vielerwähnte Gletscherthor, welches frü- 
her den Ausgang schmückte, war heute nicht zu sehen. Ich 


160 


beobachtete nur ein steiles Abstürzen der spaltenreichen Stirn- 
wand. Die Annäherung würde bei dem häufigen Herabstürzen 
von Eis- und Felsklöcken gefährlich gewesen sein. 

Beide Gletscher vereinigen sich unter schwacher Senkung. 
Um aber alle Erscheinungen des Gletscherlebens zusammenzu- 
bringen, schickt die schroffe Eiswand der „Hinteren Schwärze“ 
an der Südseite des Mutimalkamms einen wild zerrissenen Eis- 
körper in treppenförmigen Absätzen steil hernieder. Derselbe 
mündet noch in den Marzellgletscher ein. 

So hat man hier fast Alles beisammen, was die Welt der 
Gletscher bieten kann. Der Besuch der höchst instructiven 
Stelle von Vent aus ist fast als ein leichter Spaziergang zu 
bezeichnen, den kein Tourist, der das Oetzthal bereist, ver- 
säumen sollte. Das Verweilen an derselben ist um so leich- 
ter, als sich dicht bei dem Ausgange des Gletschers am lin- 
ken Thalufer eine ‚Schafhütte‘“ befindet. Der hier wohnende 
Hirt kann dem Fremden nicht nur mit Milch und Brod, son- 
dern auch mit gutem Rothwein bewirthen. 

Um eine Vorstellung von der Grösse der beiden Eiskör- 
per zu geben, die sich hier in imposantester Weise präsen- 
tiren, seien ihre Dimensionen nach den Messungen Sonklars 
kurz angegeben. Die Gasammtlänge des Schalfgletschers be- 
trägt 27912‘, die des eigentlichen Gletschers 11912‘ während 
der Mazellferner 16464‘, der eigentliche Gletscher 9088‘ 
Länge hat. 

Auf felsigem Wege, der bald, wo das Thal breiter und 
sanfter wird, über grüne Alpenmatten führt, wanderten wir 
weiter. Hier weideten die Kühe des Schnalser Thals nicht 
fern von den Alphütten. An den Abhängen wucherte Rhodo- 
dendron in Fülle. Thalabwärts fiel in Masse das graue Laub 
der Salix glauca in die Augen, und als das mannichfaltige Ge- 
büsch üppiger und saftiger auftrat, erblickten wir oft die schö- 
nen Blüthen der kletternden Clematis Vitalba und seltener die 
der verwandten Atragene alpina. 

Noch eine Stunde lang gings am Fusse der Thalleitspitze 
hin, dann erreichten wir die Stelle, wo sich Nieder- und Ro- 
fenthal vereinigen, und wir erblickten den Kessel, auf dessen 
Wiesengrunde das Dörfchen Vent mit seiner freundlichen Kirche 
ruht. Die sonst so einsamen Bergpfade waren belebt, denn 


161 


von allen Seiten wanderten zerstreut die sonntäglich gekleide- 
ten Bauern zum Gottesdienst. Bald betrat ich das Pfarrhaus 
und wurde von Herrn Senn, dem bekannten Curaten der Ge- 
meinde, freundlich empfangen. So früh waren selten Fremde 
aus dem Schnalser Thale gekommen. 

Der Besuch des Touristenasyls, welches Herr Senn in 
Vent, dem höchsten Dorfe Tirols gegründet hat, war in die- 
sem Jahre noch nicht sehr stark, da die rauhe Witterung die 
Saison bedeutend verzögert hatte. Für alle Reisenden aber, 
die heute hier weilten, war allgemeiner Rasttag. Nur Spa- 
ziergänge wurden unternommen. Nach der Kirche bot das 
gastliche Pfarrhaus ein lebendiges Bild, da es nicht nur für 
Fremde, sondern auch für die Einheimischen ein Ort der Er- 
holung ist. Der Herr Pfarrer, der soeben in der Kirche ce- 
lebrirte, scheut sich durchaus nicht, mit seinen Bauern zu- 
sammen ein Glas Wein zu trinken. 

Herr Senn und sein Amtsbruder in Gurgl, der allerdings 
durch einen Bergwall von mehr als 10,000° Höhe von ihm 
getrennt ist, haben sich beide um das gesammte Oetzthal 
wohlverdient gemacht, indem sie den Fremden ein gastliches 
Haus öffneten. Welcher Strom von Touristen hat sich seitdem 
hierher ergossen, und wie sehr haben sich alle Communica- 
tionsmittel verbessert! Die Gasthäuser des unteren Thales 
ziehen von dem Reisenden denselben Nutzen, wie die im obe- 
ren Theile, und eine förmliche Colonie tüchtiger Bergführer 
ist entstanden, welche, da sie ein gutes Stück Geld verdie- 
nen, dasselbe auch wieder draufgehen lassen. Kurz, die ab- 
gelegenen, einsamen Hochthäler gehören jetzt zu den frequen- 
testen der deutschen Alpen. 

Der Curat von Vent ist nicht nur Seelsorger, sondern 
auch tüchtiger Berg- und Gletscherfahrer, der wohl alle Spit- 
zen seiner Umgebung erstiegen und die Hauptgipfel sogar öf- 
ter besucht hat. Er sowohl, wie seine gewählte Bibliothek, 
können dem Fremden mit den besten Rathschlägen an die 
Hand gehen. Es wäre zu wünschen, dass er, als die geeig- 
netste Persönlichkeit, nicht nur vereinzelte Aufsätze in den 
Zeitschriften, sondern eine vollständige Monographie der gan- 
zen Oetzthaler Berggruppe erscheinen liesse. — 

Was die Lage von Vent anbetrifft, so sind die Abhänge, 


162 


welche das Thal abschliessen, so steil, dass man von hier aus 
nur wenig von der grossartigeu Gletscherwelt sieht, die sich 
über die Hochkämme ausbreitet. Nur der Diemkogel blickt 
mit seinen Eiswänden imponirend herab. Will man mehr se- 
hen, so muss man die Thalwände ersteigen. Die schon sehr 
wasserreiche Ache hat sich ein enges, schroffes Erosionsbett 
in die Felsen gewühlt und nimmt zahlreiche Nebenbäche auf, 
die in continuirlichen Fällen von den Abhängen niederrauschen. 

Während meines Spazierganges, bei dem ich Punkte be. 
suchte, die sowohl die Aussicht ins Niederthal, wie den Blick 
in das Rofenthal öffneten, erinnerte ich mich aller Einzeln- 
heiten einer Bergwanderung, die mich vor 9 Jahren über das 
Hochjoch führte. 

Die Gesellschaft war ziemlich zahlreich. Es war eben- 
falls ein Sonntag gewesen, an dem die Führer der Messe we- 
gen verhindert waren, früher als nach 7 Uhr aufzubrechen, 
Wir waren von ihnen geradezu überlistet worden, denn vor- 
her hatten sie wohlweislich nichts davon verrathen. Diess 
sollte um so unangenehmer werden, als sich an jenem Tage 
eine ausserordentliche Hitze entwickelte, die das Ueberschrei- 
ten der ausgedehnten Firnfelder zu einer förmlichen Strapaze 
machte. 

Als wir die Rofener Höfe passirt hatten, betraten wir jene 
merkwürdige Stelle am Ausgange des Vernagtihales, von der 
aus sich schon häufig heilloses Unglück über das ganze Oetz- 
thal verbreitete. Von allen Schneefeldern und Gletschern ge- 
trennt, lag hier im Thale eine isolirte Eismasse, von Schutt 
und Getrümmer bedeckt, welche das Wasser der Rofener Ache 
noch hier und dort teichartig aufslaute. Dieser Gletscherrest 
war nicht bequem zu überschreiten, denn fast sämmtliche Mit- 
glieder der Gesellschaft glitten an steileren Stellen aus, und 
einer unserer Träger rutschte sogar ziemlich tief in das Eis- 
wasser. Die Thalwände ringsum waren Zeugen von der frü- 
heren Grösse des Gletschers, denn weithin erschienen sie ab- 
gescheuert, und überall hingen noch in bedeutender Höhe die 
Reste der Moränen. 

Die Eismassen waren von dem Vernagtferner, der sich in 
den Jahren 1843—48 zum letzten Male bis hierher erstreckte, 
zurückgelassen. Schon in alter Zeit war er hin und wieder 


163 


unruhig geworden, schob seine Stirn mit wachsender Geschwin- 
digkeit thalabwärts, bis er, nach einer Vergrösserung von un- 
“ gefähr 4000‘, das Rofenthal erreichte, sich am gegenüberlie- 
genden Thalhange, der Zwerchwand aufstaute und einen mäch- 
tigen Eiswall von mehreren hundert Fuss Höhe bildete. Das 
Gletscherende bog in das Rofenthal ein und schob sich dort 
keilförmig vor, jedoch auch nach dem oberen Thale buchtete 
sich der Gletscher etwas aus, So oft diess geschah, wurden 
die abwärts strebenden Wassermassen abgesperrt und bildeten 
einen tiefen See, der häufig den Eisdamm sprengte und sich 
mit entsetzlicher Gewalt in das Oetzthal entleerte, wo die 
Dörfer und Felder zerstört wurden. 

In dem v. Sonklarschen Werke finden sich interessante 
Notizen über diese Bewegungsperioden, und ausserdem hat 
Herr Curat Senn im Jahre 1866 eine kleinere Abhandlung über 
den Vernagtferner im Tiroler Boten erscheinen lassen, die als 
Separatabdruck von der Wagner’schen Universitätsbuchhandlung 
in Innsbruck bezogen werden kann. Wir begnügen uns mit 
einigen Notizen, die jenen Schriften entnommen sind. 

Im Jahre 1600 geschah der erste historisch bekannte Aus- 
bruch. Ein Document vom Jahre 1683 sagt: „Erstens ist zu 
wissen, dass anno 1600, wie man von unsern Vorältern ge- 
hört, so ist der grosse Ferner hinter Rofen, genaunt zu Vernagt, 
nachdem derselbe sich seiner natürlichen Gewohnheit nach in 
das Thal heruntergesetzt, am Pfinstage vor Jacobi obgemeldeten 
Jahres ausgebrochen, durch das Oetzthal in Feldern grossen 
Schaden gethan, die Wege und Strassen ruinirt und alle Brücken 
hinweggenommen, wie dann das Wasser dazumalen im Kirch- 
spiel Lengenfeld von Rötlstein bis an die Leerer Kohlstadt die 
Güter überschwemmt“. 

Eine Anmerkung sagt noch: ‚Der erste Priester, so all- 
dorten (in Vent) ist gesetzt worden, hat geheissen Mathias 
Gerstgrasser. Dieser hat mir Benediceten Khuen bedeitet, er 
hätte bei einem Thumbherren in einem Buche erlesen, dass 
die Ferner im dreizehnden Saeculi seinen Anfang genommen, 
weillen etliche Jar kalte Jare auf einandergefolgt. Ich lass es 
in seinem Werthe, aber zu einer solchen Grösse sind sie erst 
im letzten Saeculi erwachsen.“ 

Die folgenden Bewegungsperioden waren die von 1677 — 


164 


1681, von 1770 bis 1772, von 1820—1822 und endlich die 
letzte von 1843—-1848. Man suchte das Unglück auf alle 
Weise abzuwehren, und zur Zeit der dritten Periode wurden 
oft Processionen, zum Theil nach jenem Unglücksheerde selbst 
unternommen. ‚Nicht nur sind zu unterschiedlichen Orten an- 
dächtige Kreuzzüge angeordnet, auch absonderlich durch allei- 
nen Kinder klägliche Umgänge gehalten worden.“ Auch die 
Regierung wurde aufmerksam, hat aber nie etwas zum Schutze 
der Unterthanen bewerkstelligen können, die ohnmächtig Fel- 
der, Wiesen und Häuser zu Grunde gehen sahen. 

Die Eismassen also wanderten jedesmal mit ungewohnter 
Geschwindigkeit vorwärts und erreichten bei dem letzten, wis- 
senschaftlich beobachteten Ausbruche sogar eine Schnelligkeit 
von 6‘ für die Stunde, so dass die Bewegung mit blossem 
Auge wahrgenommen werden konnte. Dabei hatte der Glet- 
scher im Rofenthale eine Breite von 4000° und eine Mächtig- 
keit von mehr als 500“ Der körperliche Inhalt des herabge- 
schobenen Eiswalles ist zu 2,222,700,000 Kubikfuss berechnet 
worden. 

Ueber die muthmasslichen Ursachen dieser Bewegungspe- 
rioden zu sprechen, würde an dieser Stelle nicht gut möglich 
sein; vielleicht kann es zu gelegener Zeit geschehen. 

Nun zurück zu unserer Hochjochwanderung! Das Thal 
war bald wieder eisfrei, jedoch bedeutend rauher, als bei Ro- 
fen! In einer Schafhütte einkehrend, erquickten wir uns mit 
etwas Ziegenmilch und betraten dann den schönen Hintereis- 
gletscher, den eine mächtige Mittelmoräne scharf in zwei fast 
gleiche Theile schied. Die Erscheinung der Gletschertische 
und ebenso der Gletschermühlen in welche die Eisbäche hinab- 
rauschten, war hier prächtig zu beobachten. Bald war das 
untere Ende des Hochjochferners erreicht. Wir vermieden, ihn 
zu betreten, da die Mittagssonne den Firn stark erweicht hatte 
und kletterten an den Felsenhängen auf der Nordwestseite des 
Gletschers hin. Nach längerer Rast an geschützter Stelle be- 
gannen wir die eintönige Wanderung über das endlose Fim- 
plateau, sanken fusstief in den weichen Schnee und freuten 
uns, als endlich die Eisbäche anzeigten, dass die Wasser- 
scheide unbemerkt überschritten sei. Das Vorkommen des 
rothen Schnees war.nicht selten und bildete die einzige Ab- 


165 


wechslung in der Monotonie der öden Eiswüste. Der steile 
Abstieg in den Thalkessel von Kurzras wurde uns herzlich 
sauer, und nur mit Aufbietung aller Energie gelangten wir 
noch am Abend nach Unser Frau. 

Welcher von den beiden Uebergängen über das Hoch- 
und Niederjoch vorzuziehen sei, ist schwer zu sagen. Dass 
die erstere Tour durch grössere Eismassen führt, ist nicht 
entscheidend bei dieser Frage. — 

Was den Gletscherrest am Ausgange des Vernagtgletschers 
anbetrifft, so ist derselbe nach meinen Erkundigungen auch 
jetzt noch nicht ganz verschwunden. Jedenfalls hat die Trüm- 
mermasse, welche das Eis bedeckt, die Schmelzung stark ge- 
hemmt. — 

Mit reicher botanischer Ausbeute beladen, kehrte ich am 
Abend nach Vent zurück und erfreute mich in dem Hause des 
geistlichen Herrn des gewohnten Comforts. 

Der folgende Tag sollte zu einer Besteigung der Wild- 
spitze verwandt werden. Leider aber hüliten sich während 
des ganzen Nachmittags sämmtliche Berge tiefer und tiefer in 
die brauenden Nebelmassen, so dass es mit dem Wetter ganz 
unsicher stand. Ich berieth also mit Alois meinen Feldzugs- 
plan, und es kam zu folgendem Arrangement: Spätestens zwei 
Uhr Morgens wird aufgebrochen. Ist der Himmel ganz hell, 
so geht’s zur Wildspitze, sind noch Nebel vorhanden, so wird 
das Ramoljoch überstiegen und der grosse Gurgler Ferner be- 
sucht. Heitert sich aber während des Besteigens der Himmel 
auf, so erklimmen wir den hintern Ramolkogel (bei 11238‘ 
der höchste Gipfel des Venter Grates), einen aussichtsreichen 
Berg, der auf der v. Sonklarschen Karte als Anichspitze be- 
zeichnet ist. — Auf alle Fälle wurde von dem freundlichen 
Wirthe Abschied genommen, denn nur entschiedenes Re- 
genwetter hätte mich längere Zeit in Vent zurück halten 
können. — 


5. Besteigung desRamolkogels und Gletschergang 
ins Pfelderthal. 


Zwischen ein und zwei Uhr Morgens versammelten sich 
in der Fremdenstube mehrere schlaftrunkene Gesichter, Einige 
Schweizer brachen gleichzeitig mit uns auf, um über das Nie- 


166 


derjoch zu gehen, und, wenn der Himmel sich klärte, die 
Kreuzspitze zu besteigen. Ich aber musste leider, da noch 
tiefe Wolken um die Berge lagerten, auf den Besuch der Wild- 
spitze verzichten und konnte zunächst nur an das Ramoljoch 
denken. 

Mit Laternen ausgerüstet, nahmen beide Parteien Abschied 
von dem gastlichen Hause und trennten sich bei der Brücke 
über die Niederthaler Ache. Wir stiegen sofort steil aufwärts. 
Noch lange Zeit sahen wir das Lichtlein der Andern durch 
das dunkle Thal tanzen, und die Führer begrüssten sich ge- 
genseitig durch wilde Jodler und Juchzer, die weilhin durch 
das Thal schallten. 

Bald waren die letzten Zirbenstände hinter uns. Gegen 
drei Uhr graute der Tag. Aber noch lange dauerte es, bis 
die Wolken röthlich angehaucht wurden. Der heutige Sonnen- 
aufgang war mit den beiden letzten nicht zu vergleichen. Je- 
doch erhob sich mit ihm ein frischer Nordostwind, der Bewe- 
gung in das schwere Gewölk brachte. Langsam zogen die Ne- 
bel nach dem Niederthale hin, rissen sich allmählich von den 
Gipfeln los, und ein Berg nach dem andern glänzte mit seinen 
Firnfeldern im Sonnenschein. Auch der Ramolkogel, dessen 
Felsgebäude sich vor uns aufthürmte, wurde endlich frei, und 
obwohl Alois dem Wetter noch nicht trauen wollte, entschloss 
ich mich doch, diesen Berg zu besteigen. 

Wir betraten das sumpfige Hochthal, in welches sich der 
Spiegelgletscher herabsenkt und verliessen bald den Weg, der 
zum Joch führt. Hier breiteten sich die ersten durchweichten 
Schneefelder aus, hinter ihnen erhoben sich schmale Hänge, 
und nach kurzer Rast begann das eigentliche Steigen. 

Die Vegetation war dürftig. Alpenanemonen, Primeln und 
die unvermeidliche Soldanella, später auch Ranuneulus gla- 
cialis waren die einzigen Blumen, die uns begrüssten. 

Anfangs war das Gestein fest. Es bestand aus grossen 
Wacken von Glimmerschiefer. Man erkannte den vielgewun- 
denen Streifen, der den Pfad andeutete. Dann kamen lockere 
Schneehänge, die vorsichtig überschritten werden mussten, da 
der durchbrechende Fuss sich oft zwischen scharfe Steine 
klemmte. Später aber wurden die Wacken zu flachen Scher- 
ben, die steil übereinander gethürmt, oft unter dem Fusse 


167 


zusammenbrachen und klingend und klirrend in die Tiefe hin- 
abschurrten. Einige Gefahr trat erst auf, als die Region er- 
reicht wurde, in welcher es während der Nacht gefroren 
hatte. Hier waren die steilen Schneefluchten mit einer schim- 
mernden Eiskruste bedeckt. Losgestossene Steine und Eis- 
stückchen glitten pfeilgeeschwind mit pfeifendem Geräusch über 
die stark geneigte Fläche in die jähe Tiefe hinab und legten 
mit Gedankenschnelle viele hundert Fuss zurück. Hier konnte 
ein Straucheln leicht einen schweren Unfall herbeiführen. 
Nicht einmal der Gedanke an den Schwindel darf hier an den 
Wanderer herantreten. An solchen Stellen lernt man die Vor- 
züge des Alpenstockes am besten kennen. Auf ihm ruht 
das Hauptgewicht des Körpers. Oft musste ich bewundern, 
mit weicher Sicherheit Alois, über dem Abgrunde schwebend, 
vorwärts balancirte und ruhig tiefe Stapfen zu treten ver- 
suchte. 

Im Spätsommer und Herbste, wenn die Schneewände 
verschwunden sind, ist jedenfalls der Ramolkogel ohne alle 
Schwierigkeit und Gefahr zu ersteigen. Es giebt vielleicht 
keinen zweiten Berg von gleicher Höhe in den deutschen Al- 
pen, dessen Gipfel so bequem erreicht werden könnte. 


Der Ausblick wurde mit jedem Schritte bedeutender. Ich 
durfte ihn aber nicht geniessen, da Alois vorwärts drängte 
und ganz andere Herrlichkeiten in Aussicht stellte. So ging 
es denn in der morgenfrischen Bergluft stetig aufwärts. 


Wir verliessen endlich die letzten schwierigen Trümmer- 
felder. Zur Linken erhob sich ein Schneekamm, wulstig über- 
hängend, wie man es so häufig im Hochgebirge sieht. Er 
wurde ohne Schwierigkeit erstiegen, und sofort pfiff uns der 
schneidende Nordostwind voll und stark entgegen. Gleichzei- 
tig aber öffnete sich, wie mit einem Zauberschlage, der Blick 
über die nordöstlichen Eismassen des Venter Grates bis zu 
dem Gipfelmeere der Stubayer Gruppe. Vor uns senkte sich 
die abschüssige -Schneewand zum Latschgletscher hinab. Der 
Schnee trug fest und sicher, selbst dort, wo er übergequollen 
war, und so drohte bei der nöthigen Vorsicht keine Gefahr. 


Wir erreichten einen Vorgipfel, der mit der Hauptspitze 
durch einen scharfen Grat verbunden ist. Ueber den letzte- 


168 


ren wölbt sich eln Schneekamm, kaum einen Fuss breit und 
nach beiden Seiten furchtbar steil abstürzend. Diess ist viel- 
leicht die einzige Stelle, wo man bedenklich werden könnte. 
Alois wollte eine lange Rede von Furchtlosigkeit und Schwin- 
delfreiheit beginnen, aber jetzt drängte ich ungeduldig vorwärts. 
Er liess sich behutsam auf den Grat hinab, balaneirte wie ein 
Akrobat mit dem Alpenstocke und ging langsam und leise, 
aber sicher vorwärts. Es war mir ein eigenthümlicher An- 
blick, ihn so zwischen Himmel und Erde schweben zu sehen, 
ich folgte ihm aber entschlossen auf dem Fusse. 

Zur Rechten bricht der Kamm entsetzlich steil mehr als 
tausend Fuss tief hinab und zwar so senkrecht, dass fast nir- 
gends der Schnee haften kann und wie ein Schuttwall auf den 
Spiegelgletscher hinabgeschurrt ist. Wer an Schwindel leidet, 
hüte sich, dort hinunter zu blicken; für den Schwindelfreien 
ist es ein grausig wonniger Genuss, so nahe am Verderben 
in die blaue Tiefe, gleichsaın in das leere Nichts zu schauen. 

Zur Linken senkt sich die Schneewand wie eine schiefe 
Ebene von 509 Neigung bis zum Latschgletscher hinab. Die 
Gefahr ist hier ebenso gross, wie auf der anderen Seite, nur 
ist der Anblick nicht so schwindelerregend. 

Bald hob sich der Grat, er wurde breiter, und einige 
nackte Schieferklippen, die den Schnee überragten, zeigten 
den Hauptgipfel an.. Noch einige ungeduldige Schritte, und 
die Höhe von 11328‘ war erreicht. — 

Welcher Rundblick in Nähe und Ferne! Ein herrlicher 
Lohn der Arbeit. Unruhig schweift das berauschte Auge rings 
um den Horizont und überschaut mit einem Schlage fast alle 
Wellenzüge Tirols und eine Menge von Hochgipfeln der an- 
grenzenden Länder. Bald aber ordnet sich das verworrene 
Chaos wild zerrissener Kämme und kühner Gipfelbauten zu 
scharf gesonderten Gruppen, und wir erhalten einen seltenen 
Einblick in die Plastik des Hochgebirges. 

Wir befinden uns, wie schon erwähnt, auf der höchsten 
Spitze des Venter Grates und blicken weithin über alle Eis- 
gipfel dieses Höhenzuges, von dem nach beiden Seiten ab- 
schüssige Firnfelder und steilabsteigende Gletscher in das Ven- 
ter und Gurgler Thal hinabhängen. Besonders grossartig ist 
der Anblick dieses Zuges nach Südwesten, wo längs des zackig 


169 


gewundenen Kamms eine Reihe fast gleichberechtigter Gipfel 
sich dicht hintereinander aufbauen. Nie hätte ich, da die 
Abhänge des Thales gestern so muldenförmig und winterlich 
erschienen, eine solche Zerrissenheit erwartet. 

Von unserem Standpunkte aus senkt sich im Bogen der 
schartige Grat, dessen Felszacken wie Drachenzähne aus der 
Schneedecke brechen, zu dem Vorderen Ramolkogel hinüber, 
dessen Spitze über hundert Fuss unter uns liegt. Dann zieht 
sich der Schneekamm, breiter gewölbt, zum Einschnitt des 
Ramoljoches (10,160 nieder, um jenseit des eiserfüllten Spie- 
gelthales sich in ein wildes Höhenmeer zu verlieren, aus dem 
die übergletscherten Dome des steilen Firmisan, des schmal 
gefirsteten Schalfkogels, des eisstarrenden Spiegel- und Diem- 
kogels, der wilden Kleeleitenspitze und endlich der jäh ab- 
stürzenden „Hinteren Schwärze“ mächtig aufragen. 

Am Horizonte stösst unser Grat auf den einen Hauptzug 
der Gruppe, so dass rechts von dem herrlichen Gipfelbau des 
Similaun der Schnalser und links vom Schalfkogel der Gurgler 
Grat sich hinzieht. Von letzterem senken sich, durch einen 
beschneiten Felskamm getrennt, zwei breite Eismeere nieder, 
so massig und gewaltig, dass der Eindruck ein ganz ausser- 
ordentlicher werden muss. Zunächst sehen wir den Gurgler 
Gletscher, der auch als ‚Grosser Oetzthaler Ferner“ bezeich- 
net wird. Im oberen Theile ist er ein fast stundenbreites 
Firnplateau, welches bei geringer Neigung sich allmählich ver- 
schmälert und zu einem gewölbten Eiskörper wird, der sich 
in dem schluchtähnlichen Gurgler Thale unseren Augen ent- 
zieht. Der gleichfalls imposante, wenn auch nicht so mäch- 
tige Nachbar ist der Langthaler Ferner. Anfangs sind beide 
parallel, nähern sich jedoch zuletzt so weit, das nur noch der 
merkwürdige Eissee zwischen ihnen liegt. Deutlich erkennt 
man, wie der erste Gletscher den Abiluss des zweiten aufge- 
staut und in einen See verwandelt hat. Die Fluthen haben 
Eisblöcke, ja Eisberge von der Masse losgerissen, und diese 
schwimmen, wie im Polarmeere, langsam umher. Jetzt frei- 
lich, bei der grossen Entfernung, erscheint der Wasserspiegel 
so absolut ruhig, dass er den Eindruck einer graufarbigen, 
trübgeschliffenen Fläche macht, auf welcher Eisblöcke zerstreut 
umherzuliegen scheinen. 


170 


Beide Hauptgletscher nehmen von allen Seiten eine An- 
zahl von Eiszuflüssen auf, die ihnen von mächtigen Gipfeln, 
wie der Karles- und Hochwildspitze, zugesendet werden. Die 
ganze continuirliche und doch mannigfach gegliederte Firn- 
masse wirkt bei ihrer Ausdehnung überwältigend. 

Einige Wassertümpel auf dem Gurgler Gletscher schillern 
in merkwürdigem Azurblau und erscheinen auf dem hellgrauen 
ins Blaugrüne schimmernden Eisgrunde wie Farbentupfen eines 
Malerpinsels. 

Einen wunderbaren Reiz erhält dieser ganze Theil der 
Aussicht dadurch, dass weit hinter den Eisgraten des Gurgler 
Kammes in duftiger Ferne ein blauer scharfzackiger Bergzug 
förmlich im Aether zu schwimmen scheint. Die wilde Zerris- 
senheit und die wechselnde Gestaltung der Gipfel, die grau- 
sigen Abgründe zwischen den bizarren Nadeln, Pyramiden und 
Hörnern, Alles deutet darauf hin, dass es die Dolomitgebirge 
jenseit Bozen sind, die durch eine tiefe und breite Senkung 
der Kamınhöhe des Gebirges wie durch ein weites Thal von 
der Oetzthaler Gruppe getrennt erscheinen. Wie stark auclı 
hier auf dem Venter Grate die Verwilterung das Schieferge- 
stein zerklüftet, zerschnitten und zerfressen hat — , im Kalk- 
gebirge bringt die Erosion doch ganz andere Effecte hervor. 
So behaupteten wir schon oben und finden es hier bestätigt. 

Heute zieht sich ein rosenrother Lichtstreif über jenen 
interessanten Höhenzug und macht den Anblick nur noch fes- 
selnder. Kaum kann das Auge sich von ihm trennen; es ruht 
so gern auf jenen fernsten Bergen, an deren Fusse die deut- 
sche Sprache nicht mehr klingt. Dort geht der Weg nach den 
Gefilden Italiens hinab, den im Mittelalter so manche deutsche 
Manneskraft gezogen ist, um nicht wieder zurückzukehren. — 

Aber noch andere Gebirgswälle starren uns ringsum ent- 
gegen und verlangen den Tribut der Bewunderung. Westlich 
vom Venter Grate sehen wir, wie der Schnalser Kamm sich zur 
Eisfläche des Niederjochferners herabsenkt, um jenseit dessel- 
ben auf den vorher geschilderten Kreuzkamm zu stossen, der 
schliesslich in der Finailspitze endigt. Wir stehen bedeutend 
höher, als das Niederjoch, der Blick schweilt weit über diese 
Einsenkung hin und ruht endlich auf der uns schon bekannten 
Ortlergruppe, die heute wiederum in voller Klarheit thront. 


\ 171 


Aber auch rechts von der Finailspitze blickt aus weiter Ferne, 
vom Schweizer Gebiete, eine abgesonderte Gruppe herüber. 
Deutlich erkennen wir die eisigen Spitzen und Zacken, die 
sich dort um den Piz Bernina scharen. 

Nun kommt der wilde Aufbau des prachtvoll übergletscher- 
ten Weisskammes, der Gentralmasse des Oetzthaler Gebirges, 
an die Reihe. Er beginnt mit der prachtvollen Eiskugel, die 
über den Kreuzkamm ragt, zieht sich zur Weissseespitze hin- 
über, von der die breiten Firmmassen des Gepaatschgletschers 
herabhängen und bildet dann die ausgedehnten Eisplateaus 
mehrerer Gletscher erster Ordnung, die wir gestern als Vernagt- 
und Hintereisferner kennen gelernt haben. Einzelne Schnee- 
kuvpen starren aus ihnen auf. Wir nennen den Urkundkopf 
und den Plateikogel. Ein einzelner, schneefreier Kegel, der 
aus grosser Entfernung über die Eiskämme herüber blickt, 
wird vom Führer als der Piz Linard der Selvrettagruppe be- 
zeichnet. Endlich ruht das Auge auf dem höchsten Gipfelbau- 
des Weisskammes, auf der Wildspitze, die kühn über alle Oetz- 
thaler Berge emporragt. Ihr massiver Unterbau ist durch die 
tiefe Schlucht des Venter Thales von uns getrennt. Wir über- 
sehen also die gewaltige Höhe vom Fusse bis zur Spitze mit 
einem Schlage. Wild zerrissen heben sich die Steilwände, 
auf denen der Schnee nicht haften kann, aus breiten Eis- und 
Schneefeldern, und endlich läuft der schroffe Felsstock in zwei 
scharfe Spitzen aus, deren höchste 11,947‘ erreicht, so dass 
er unter allen Bergen Tirols, die ganz auf den Boden dieses 
Landes gegründet sind, als der höchste dasteht. Denn Gross- 
glockner und Ortlerspitze, die unsern Nachbar an Höhe über- 
treffen, bauen sich bekanntlich auf der Grenze mehrerer Län- 
der auf. 

Links von der Wildspitze können wir den Boden des Ro- 
fenthals erblicken. Ein scharfes Auge erkennt dort leicht die 
Rofenhöfe, die einzigen Wohnungen, die von hier oben aus 
sichtbar siud. 

Ueber das Taufkarjoch, zwischen Wildspitze und Weisskogel 
ragen einige zerklüftete Spitzen des Kaunser Grates, rechts 
vom Weisskogel sind mehrere Gipfel des Pitzkamms sichtbar, 
endlich, nordostwärt blickend, sehen wir jenseit der Zwiesel. 
steiner Thalschlucht die übergletscherten Höhen der Stubayer 

Zeitschr. f. d.ges. Naturwiss. Bd. XXXVIII, 1871. 12 


112 


Gruppe. Hier nehmen wir leider einen breiten Schatten, 
glücklicher Weise den einzigen, in dem lichtvo]len Gebirgs- 
panorama wahr. Eine Nebelwand hängt um den höchsten Gipfel. 
Sie ist von oben beleuchtet, und unserm Auge ist nur die 
obere Fläche derselben sichtbar, so dass sie den Eindruck 
eines glänzenden ruhigen Meeres gewährt. Allerdings verur- 
sacht sie in dem reichen Bilde einen charakteristischen Eflect, 
jedoch verhüllt sie uns die Zillerthaler Alpen und die östli- 
chen Marksteine der prächtigen Aussicht, den Gross- Venedi- 
ger und Gross-Glockner. 

Alois, der schon oft genug hier oben geweilt hatte, war 
schon längst ungeduldig geworden. Jetzt erst bemerkte auch 
ich, dass es bitter kalt auf dem eisstarrenden Gipfel war. 
Meine Hände und Füsse waren steif gefroren, und ich taxirte 
mindestsns 50 Kälte. Die Flasche Rothwein, welche nach al- 
tem Brauche dem Hochgebirge und dem ganzen Vaterlande 
gewidmet wurde, begeisterte nicht nur, sondern erwärmte 
auch. Alois holte darauf aus einer Felsenspalte eine fest ver- 
korkte Flasche hervor, in der sich eine Anzahl von Visiten- 
karten der früheren Besteiger vorfand. Auch die meinige 
wurde hineingelegt, nachdem ich mit steifen Fingern Tag und 
Stunde unseres Besuches (17. Juli, 6 Uhr) auf ihr bemerkt 
hatte. 

Noch ein Umblick, um den Gesammteindruck zum letzten 
Male voll und ganz zu geniessen, und dann entschlossen über 
den schmalen Grat zurück zu den Schnee - und Trümmerfeldern 
des westlichen Abhangs! 

Da bei der Steilheit des Berges alle Vorsicht angewendet 
werden musste, war der Abstieg ziemlich schwierig. Wir 
gelangten jedoch bald glücklich an die Stelle, an der wir das 
Gepäck zurückgelassen hatten und verliessen den am Morgen 
eingeschlagenen Weg, um den Spiegelgleischer zu erreichen. 
Alois behauptete, auf dem Gipfel der Kreuzspitze etwas Be- 
wegliches gesehen zu haben und meinte, dass die Schweizer 
denselben glücklich erreicht hätten. Mit Sicherheit konnte 
ich diess nicht constatiren. 

Den firnbedeckten Eiskörper des Spiegelgletschers umgrenzt 
eine wilde Randmoräne, aus flachen Schieferscherben beste- 
hend, die jedoch ohne Schwierigkeit zu überschreiten war. 


173 


Es folgte die scharf abgegrenzte Mittelmoräne, welche den 
von dem Kamme zwischen ‚Vorderen“ und „Hinteren Ramol- 
kogel“ herabhängenden Eiszufluss von dem Hauptkörper ab- 
trennt. Auf dieser Moräne wurde kurz gerastet und dann das 
lange feste Seil, welches aus englischer Fabrik stammte, auf- 
gewickelt. Jeder band es fest um die Hüften, und bald war 
das Leben des Einen an das Dasein des Anderen geknüpft. 
Diese Vorsicht war unbedingt nöthig, da die oberen Theile 
des Spiegelgletschers ihrer Steilheit wegen stark zerklüftet 
sind und heute der Firm alle Spalten. trügerisch verdeckte. 
Letzterer war durch die Einwirkung der Sonne so weich ge- 
worden, dass man auf die Tragfähigkeit der Schneebrücken 
durchaus nicht vertrauen durfte und ausserdem das Auf- 
wärtssteigen, so langsam es auch geschah, des ewigen Ein- 
sinkens wegen stark ermüdete. Wiederum war die Oberfläche 
des Eiskörpers des Schnees wegen kaum zu beobachten. Nur 
eine bedeutende Einsenkung in der Mitte des Gletschers fiel 
ınir auf, in der sich klares Wasser angesammelt hatte, wel- 
ches im schönsten Blaugrün schimmerte. Um so besser aber 
waren an dem senkrechten Treppenwerke der Zuflüsse zur 
Rechten deulliche Firnbänder zu sehen, die als parallele bläu- 
liche Streifen auf der hellen Eisımasse erschienen und an die 
Bänderstructur des Achats erinnerten. 

Gegen die eigentliche Gletscherpracht war ich nach der 
mächtigen Wirkung der Fernsicht etwas abgestumpft, und ich 
gestehe, dass mir das Schneewaten allmählich recht langwei- 
lig wurde. Eine Steigerung der Eindrücke war nicht mehr 
zu erwarten. Dabei lag die Jochhöhe schon lange Zeit schein- 
bar dicht vor uns, und eine Viertelstunde nach der andern 
verging, ohne dass sie sich nähern wollte. 

Plötzlich schallte es wie ein ferner Ruf durch die Ein- 
samkeit. Kleine, dunkle Punkte wurden auf dem Kamme 
sichtbar, sie stiegen allmählich nieder und bald begegneten 
wir einem Touristen — beiläufig gesagt einem der bedeutend- 
sten Preussisch-Deutschen Beamten — der sich in gleicher 
Weise über den Gletscher bugsiren liess. Er war mit zwei 
Führern vom Gurgl gekommen, wohin wir wollten, hatte aber 
auf der Jochhöhe den einen von beiden entlassen. Letzterer 
war aber oben geblieben, um uns zu erwarten. 

127 


174 


Die Führer nahmen ihren Vortheil wahr und baten um 
die Erlaubniss, tauschen zu dürfen. Wir wechselten auch die 
Alpenstöcke, welche nach den Ausgangspunkten unserer Glet- 
scherfahrten gehörten, und bald geleitete Alois seinen neuen 
Herrn nach Vent, während ich mit dem Gurgler Führer berg- 
auf stieg. Auf der Jochhöhe trafen wir Peter Paul Gstrein, 
einen der tüchtigsten Führer im Gurgler Thale, eine kralt- 
volle, schlanke Tirolergestalt, hielten kurze Rast und theilten 
brüderlich den letzten Schluck Wein. 

Die Aussicht ist auch hier, in der Höhe von 10,160‘, 
grossarlig zu nennen; sie muss sogar dem, der nicht schon 
durch den herrlichen Rundblick vom Ramolkogel übersättigt 
ist, gewaltig imponiren. Der Rückblick auf die Wildspitze, 
der Eindruck der beiden Eismeere des Gurgler und Langthaler 
Ferners, über denen die Gruppe der Dolomitgebirge schwebt, 
und endlich die steilen Zuflüsse zur Rechten und zur Linken 
machen entschieden die Tour über das Ramoljoch zu einem 
der prächtigsten Gletschergänge in den deutschen Alpen. 

Der stärkende Wein, die kurze Ruhe und die frische 
kräftige Bergluft stählten den Körper so, dass ich durch- 
aus keine Folgen der bedeutenden Anstrengungen wahr- 
nahm und, meme Kräfte vielleicht überschätzend, den Führer 
Gstrein aufforderte, mich nicht, wie ich anfangs wollte, nach 
Gurgl, sondern über den Gurgler und Langthaler Ferner nach 
der Jochhöhe zu bringen, über welche der Gletscherweg nach 
dem Pfelderthale führt. Es sollten auf diese Weise zwei Tage- 
märsche in einen verschmolzen werden. Der Plan war inso- 
fern gewagt, als unser Proviant, nur auf einen Vormittag be- 
rechnet, bis auf etwas trockenes Brod voliständig aufgezehrt 
war und ausserdem nur noch wenige Schlucke Branntwein, 
den Gstrein mit sich führte, zur Verfügung standen. 

Nach kurzer Ueberlegung wurden wir handelseinig. Pe- 
ter Paul schlug trotz aller Bedenken entschlossen ein, und der 
Abstieg begann. Der zweite Führer, dessen Weg nach Gurgl 
ging, musste uns noch ein Stück begleiten. Wir banden uns 
wieder mit Seilen zusammen. Zuerst ging es auf einer über- 
aus steilen Wand hinab, deren Schnee, fast senkrecht von den 
Sonnenstrahlen getroffen — es war ungefähr 10 Uhr Morgens — 
weich geuug war, um „den Rutsch“ zu erlauben. Jeder stützte 


175 


sich rückwärts auf deu in den Schnee gebohrten Alpenstock, 
der gleichzeitig als Steuer und Hemmschuh dienen musste. 
Zuerst glitten wir gleichmässig in mittlerer Geschwindigkeit 
abwärts, allmählig vergrösserte sich dieselbe, dann aber ging 
es in toller Schnelligkeit den Abhang hinunter, bis einzelne 
Klippen aus dem Schnee starrten und Vorsicht geboten. Dass 
der weiche Schnee sich loslöste und in mächtigen Ballen mit 
uns um die Wette den steilen Abhang niederglitt und nieder- 
rollte, ist wohl selbstverständlich. In wenigen Minuten waren 
mehr als tausend Fuss Höhendifferenz zurückgelegt. 

Hier trennte sich der zweite Fülırer von uns. Gefahr war 
kaum noch vorhanden und die Seile wurden losgebunden. Jetzt 
hatte ich die Freiheit wieder, und in vollen Jubel, in wahrer 
Gletscherlust folgte ich dem Peter Paul, der bereits thurm 
tief unter mir die Schneeflucht hinabsauste. Einzelne Klippen, 
denen wir nur mit voller Steuerkraft rudernd ausweichen konn- 
ten, flogen pfeilgeschwind an uns vorüber, wild spritzte und 
stäubte der Schnee unter unseren Füssen auf, die ganze Wand 
wollte sich in Bewegung setzen, aber glücklich wurde die 
- Grenze der Schneefläche erreicht. Der Gletscher lag noch 
ein gut Stück unter uns, und es musste noch ein jäher Ab- 
gıund überwunden werden. So begann denn nach der wilden 
„Rutschpartie‘“ ein waghalsiges Klettern mit vielfachen Schwin- 
delproben. Alle Turnkünste mussten an,ewendet werden. 
Gstrein wurde fast bedenklich. Er schien hier den Abstieg 
noch nicht versucht zu haben. Einige Mal musste ich ihn am 
Seile an dem Felsschroffen hinablassen und ihm ohne alle Hilfe 
folgen, wobei mir nichts übrig blieb, als darauf! zu hoffen, im 
Falle der Noth von ihm im Sturz aufgefangen zu werden. 
Einmal mussten wir sogar durch den dicht herabstäubenden 
Regen eines Wasserfalles hindurch springen, um bequemere 
Stellen zu erreichen. Endlich liessen wir uns in einer tiefge- 
höhlten Wasserrinne hinab und standen bald auf dem zerklüf- 
tetem Rande des vollständig firnfreien Gletschers. 

Noch nie hatte ich eine so wilde und halsbrechende Fahrt 
bestanden. Die Kleidung hatte nicht gelitten, jedoch war die 
Feldflasche zerbrochen und Kamm, Bürste, Tintenfass u. dgl. 
waren auf Nimmerwiedersehen verloren gegangen. Der Anzug 
des Führers hingegen hatte einige bedenkliche Defecte erhal- 


176 


ten. Kein Wunder, denn die Höhendifferenz von 10160‘ und 
ungefähr 7000° war in weniger als drei Viertelstunden zurück- 
gelegt worden. 

Vorsichtig erkleiterten wir jetzt die Höhe des graublauen 
Eiskörpers, dessen steiler Rand vielfach zerschrunden war. 
Wild durchkreuzten sich die Systeme der Rand- und Quer- 
spalten. In den Klüften schimmerte das Eis in intensivem 
Blaugrün. Zahlreich eilten kleinere Gletscherbäche in flachen 
Betten geschwind über die krustige Eisfläche, grössere rausch- 
ten in förmlichen 'Thälern die schiefe Ebene hinab, um sich 
später in tiefe Trichter zu verlieren. 

Trotz der starken Zerklüftung war keine Gefahr vorhan- 
den, und ohne uns anzubinden, steuerten wir quer über den 
Gletscher der Mündung des Langlhales zu. Nur selten ist bei 
günstigem Wetter die eigentliche Gleischerregion so gefähr- 
lich, als die untere Firnregion, denn alle Klüfte liegen klar 
zu Tage und können vermieden werden. Die Firnregion, welche 
sich häufig so leicht und glatt überschreiten lässt, hat schon 
manchen in verderbliche Sicherheit gewiegt. So brach im 
Jahre 1845 Dr. Bürstenbinder aus Berlin auf dem oberen Theile 
dieses Gleischers in eine verdeckte Kluft und verlor sein Le- 
ben. Auf dem Kirchhofe von Gurgl liegt er begraben. 

Als die Höhe der Eiswölbung erreicht war, machte die 
breite schwere Masse des Ferners einen bedeutenden Eindruck. 
Ringsum sah man nichts, als Schnee und Eis und einige 
schroffe, dunkle Abhänge. Kein Strauch, kein Baum, keine 
Spur von Menschen ist in dieser Einsamkeit zu sehen. 

Wie schon oben erwähnt, hat auch dieser gewaltige Glet- 
scher sich ähnliche Extravaganzen zu Schulden kommen las- 
sen, wie der früher besprochene Vernagt-Ferner. Bis zum 
Jahre 1717 reichte eı kaum bis zur Mündung des Langthales, 
Plötzlich wurde er unruhig, wuchs mächtig an und schob sich 
wie ein Riegel vor die Mündung jenes Thales, dessen Bach, 
der Abfluss des Laaglhaler Gletschers, zum See aufgestaut 
wurde. Bald konnte der Eiswall den Druck nicht mehr tra- 
gen und wurde durch denselben gesprengt, so dass der See 
ausbrach, in kurzer Zeit sich vollständig entleerte, und seine 
Fluthen, mit rapider Schnelligkeit dahin stürmend, Unheil und 
Verheerung in das Oetzthal trugen. 


177 


Damit war aber das Wachsthum des Gletschers nicht ge- 
hemmt. Obwohl die Thalbewohner in Processionen weit hin- 
auf in die Firnregion zogen, um durch Gebete die drohende 
Gefahr abzuwenden, schloss der Eiswall das Thal schon im 
nächsten Jahre, von Neuem, wurde mächtig genug, den 
Wasserdruck des neu entstehenden Sees zu ertragen und wan- 
derte sogar ınehrere tausend Fuss über die Thalmündung hin- 
aus abwärts, wo er endlich Stillstand machte Noch. heute 
trifft er keine Anstalten, sich bescheiden, wie es der Vernagt- 
ferner stets gethan, in seine frühere Wohnung zurückzuzie- 
hen. Die Gesammtlänge des Gletschers wurde von Sonklar zu 
31608/ gemessen, so dass er nach dem Gepaatschferner der 
längste in den deutschen Alpen ist. Die Breite in der Höhe 
des Langthalsees beträgt fast 5000‘, und diese haben wir zu über- 
schreiten. 

Bald wird jener merkwürdige See sichtbar, der, auf zwei 
Seiten von mächtigen Eiswällen umgeben, mit seinen schwim- 
menden Eisbergen dem Wanderer einen Begriff von der wil- 
den Grossarligkeit der Polarmeere giebt. Nicht immer reicht 
derselbe von einem Gletscher bis zum andern, er ist in den 
Reise-Monaten meist viel kleiner und oft ganz unscheinbar. 
Im Winter pflegt er am mächtigsten anzuschwellen, da der 
Frost die Eiskanäle, durch welche die Fluthen sich entleeren, 
schliesst. Im Juni und Juli erst beginnt die Sonne, nachdem 
die Eisdecke geschmolzen ist, das Wasser um einige Grad zu 
erwärmen, und da, wie von Sonklar richtig bemerkt wird, 
das Wasser von fast 4° R. die grösste Dichtigkeit besitzt, so 
wird am Grunde das Zermagen des Eises am kräftigsten vor 
sich gehen, und bald öffnen sich dort die Kanäle, durch welche 
die Fluth abfliessen kann. Die stolzen Eisberge liegen dann 
traurig auf festem Grunde und beginnen unter der Wirkung 
der Sonne morsch zusammenzubrechen. 

Die Eisberge stammen nicht vom Langthaler, sondern vom 
Gurgler Gletscher, der ähnlich, wie der auf Fig. 4 schema- 
tisch dargestellte, in das Laugthal hineinquillt. Das nagende 
Wasser hebt die Blöcke mächtig empor und reisst sie von 
dem Hauptkörper los. Man bekommt eine Vorstellung davon, 
wie die riesigen Gletscher Grönlands in den Ocean hinabwach- 
sen, der ihre losgebrochenen Fragmente südwärts trägt. 


118 


Heute, wo der See von einem Gletscher bis zum andern 
reicht, beträgt seine Länge mehr als 5000‘, seine Breite viel- 
leicht 2000°. Das Wasser ist trüb und schmutzig, die Eisberge 
erscheinen desto reiner und von ihren Spalten strahlt, wie aus 
allen Gleischerklüften, das schönste Blaugrün aus. 

Wir umkleiterten an steilen Felswänden den Eissee und 
mussten auf dünnen Schneebrücken einige Schluchten über- 
schreiten, in welchen kleine Nebenbäche munter herabrausch- 
ten. Hier oben trafen wir eine Schaflieerde an und bei ihr 
einen alten Hirten, der sie soeben besucht hatte. Wir betra- 
ten eine ziemlich starke Moräue, überstiegen dieselbe und 
wanderten, ohne zu rasten, auf der schwach geneigten Eis- 
fläche vorwärts. 

Der regelmässig gebaute Langthaler Feruer hat eine Länge 
von ungefähr 15000° und ist nur in den obersten Theilen et. 
was steil und zerklüftet. Der untere Theil ist der schwachen, 
gleichmässigen Senkung wegen durchaus ungefährlich. Wenig- 
stens nahm ich nur einige schmale Querspalten wahr. Wir 
hatten ihn fast der ganzen Länge nach zu überschreiten. Die 
Schneelinie lag jetzt fast am Ende des Gletschers. Die Sonne 
hatte den Vormittag über mächtig gearbeitet, und augenblick- 
lich mussten wir in breiähnlichen Schneemassen waten. Dabei 
entstand durch die Reflexion eine unerträgliche Hitze, welche, 
da sie von unten her wirkte, das Gesicht um so stärker affı- 
eirte. Da ich keinen mittäglichen Gletschermarsch in meinen 
ursprünglichen Plan aufgenommen hatte, waren wir weder ınit 
Schleier noch mit Schneebrillen versehen. Die Haut brannte 
bald entsetzlich und die geblendeten Augen schmerzten ausser- 
ordentlich. Dabei zwang uns heftiger Durst grosse Quantilä- 
ten Gletscherwasser zu geniessen, denen nur wenige Tropfen 
Branntwein beigemengt werden konuten. 

Trotz aller dieser Schwierigkeiten ging es unverdrossen 
vorwärts. Bei jedem Schritte sanken wir tiefer in den Schnee- 
brei ein, und jeder Tritt presste das Eiswasser wie aus einem 
Schwamme heraus. Nicht lange dauerte es, bis es uns bei- 
den in die Stiefel drang, und allmählich die Füsse zu erstar- 
ren begannen. Bald stellte sich eine entsetzliche En'kräftung 
und allgemeine Mattigkeit ein, und ich fühlte Anwandlungen 
von jener Energielosigkeit, welche dem Erfrieren voranzugehen 


ba 0 


le) 


pflegt. Wir hatten keinen Wein, der uns wärmen und stär- 
ken konnte, und das wenige Brod waren wir des Durstes we- 
gen nicht zu geniessen im Stande. 

Dabei war die Wanderung in der regelmässigen Firnmulde 
ohne alle Abwechslung, und von Anfang an war klar und deut- 
lich die Jochhöhe sichtvar gewesen, die trotz der Anstrengung 
nicht näher rücken wollte. Nur einmal beobachteten wir im 
Schnee die ganz frischen Spuren einer Gemse, die von dem 
Schwärzenkamm nach dem jenseitigen Ufer führten. An 
einer steilen Schneewand hatte das Thier eine ganz respec- 
table Rutschpartie von circa 500° gemacht, wie aus der tiefen 
Furche am Abhange zu schliessen war. 

Endlich schien doch die eintönige Wanderung zum gros- 
sen Theile überstanden zu sein. Durch einige Ruhe wollten 
wir uns zum letzten steilen Aufstieg stärken. Aber nicht lange 
blieben wir auf dem feuchten Schnee sitzen, denn die Füsse 
geriethen sofort in eine tödtliche Erstarrung. Durch gewalt- 
same Bewegung suchten wir sie wieder in Gang zu setzen. 
Ohne ein Wort zu sprechen, wickelte der Führer das Seil auf, 
und wir ketteten uns auf Leben und Tod zusammen. Denn 
wahrlich, ich bezweifle, dass ich jenen im Sturz hätte auf- 
halten können, wenn er eingebrochen wäre. Ihm wäre es 
vielleicht besser gelungen, da er eine bei weitem weniger 
erschöpfende Tagereise hinter sich hatte und wohl noch über 
einen grösseren Kraftvorrath verfügen konnte. 

Mühsam ging es vorwärts. Die steilere Schneedecke ver- 
barg drohende Klüfte. Oefter brachen wir durch, jedoch stets 
ohne schlimme Folgen. An einer steilen Wand hatte die Sonne 
den Schnee dermassen erweicht, dass er ohne äussere Veran- 
lassung ins Schurren und Rutschen gerieth und nicht weit von 
uns eine Lauine bildete, die einige hundert Fuss fast lautlos 
hinabglitt. 

Endlich wurde die Signalstange auf der 9300’ hohen Joch- 
höhe sichtbar. Dieser Anblick ermuthigte zur letzten Anstren- 
gung, und bald, nach Aufwand aller Kräfte, war die Scharte 
des Kammes erreicht. Eine schneefreie Stelle im Geklipp bot 
einen Ruheplatz. 

Der Rückblick wirkte grossartig. Eine unabsehbare, eintö- 
nige Schneewüste lag hinter uns, eine langgestreckte, eiser- 


180 


füllte Mulde, in welche sich von beiden Seiten Gletscherströme 
und Firnmassen niedersenkten. Um so wechselvoller war der 
Blick nach dem tief eingeschnittenen Pfelderthale. Das Gebirge 
bricht hier um fast 4000‘ furchtbar steil ab, so dass der Fuss 
des Abhanges von oben nicht sichtbar ist. Auf dem Thal- 
grunde liegen, unendlich klein erscheinend, die Hütten einer 
Alpe und die Häuser des Weilers Lazins. Auch ein kleiner 
See schimmert grün aus der Tiefe herauf. Von beiden Seiten 
engen schroffe Abhänge das Thal ein. Im Südwesten thronte 
wiederum, heute zum dritten Male sichtbar, die wild zerris- 
sene Kette der Dolomiten. 

Mein Führer wollte mich noch nicht verlassen, sondern 
mich erst über die gefährlich steilen Schneefluchten hinabbrin- 
gen. Bei der Weichheit des Schnees war an den jähen 
Hängen alle Vorsicht nöthig. Oft machten wir, da die erstarr- 
ten Glieder zu ungeschickt waren, unfreiwillige Rutschpartien, 
Bisweilen glaubte ich, wenn ich an einen Felsen anprallte, 
der erstarrte Fuss müsste brechen. Kurz der Abstieg war un- 
vergleichlich schwieriger und Did als unter gewöhn. 
lichen Umständen. 

Es mochte 3 Uhr sein, als die Grenze der Schneeregion, 
in der ich bereits 11 Stunden verweilt hatte, erreicht war, und 
ich den Führer, der ohne Proviant einen vier- bis fünfstündi- 
gen Marsch zurückzulegen hatte, entliess. Er hatte mir die 
Richtung des Weges im Wesentlichen angedeutet, und ich 
glaubte trotz der Steilheit ohne Schwierigkeit Lazins zu er- 
reichen. Aber wie schwer sollte ich mich täuschen! 

Beim Herabsteigen wurde die Schroffheit der Abhänge 
immer grösser, die zerklüfteten Wände brachen fast senkrecht 
ab, und oft musste ich mich, mit Händen und Füssen kletternd, 
von einer Felstreppe zur andern herablassen. Bald stand ich 
an einem Abgrunde, der alles weitere Vordringen unmöglich 
machte. Es blieb mir nichts übrig, als wieder empor zu 
klimmen und nach halbstündigem Steigen den Abstieg von 
Neuem zu versuchen. Ich bemerkte dabei, dass in den Rinn- 
salen der Giessbäche Fragmente vom schönsten weissen Mar- 
mor lagen. Später fand ich grosse Blöcke desselben zerstreut 
in den Schuttwällen oder isolirt auf dem Thalboden liegend. 
Es muss hier ähnlich, wie im Martellthale ein eingesprengter 


181 


Marmorstock im Glimmerschiefer lagern. Sofort waren auch kalk- 
liebende Pflanzen aufgetreten, Gnaphalien aller Art wucherten an 
den trocknen Felswänden, und endlich fand ich zum ersten 
Male auf dieser Reise das vielgesuchte Edelweiss in solcher 
Fülle, dass der Staudort trotz seiner Gefährlichkeit, jedem 
Freunde dieser lieblichen Bergpflanze zu empfehlen ist. 

Die Mannichfaltigkeit der Pflanzenwelt war eine über- 
raschende. Trotzdem verging mir die Lust zum Botanisiren 
bald, als auch der zweite Versuch, das Thal zu erreichen 
missglückte, und die Sonne bereits hinter den Bergen ver- 
schwand. Doch wozu soll ich die Gefahren, die ich überste- 
hen musste, noch weiter schildern! Es sei kurz erwähnt, dass 
ich nach stundenlangem Klettern in fieberhafter Aufregung endlich 
einen gangbaren Abhang ausfindig machte, in der Dämmerung 
den Thalboden erreichte und mich bis zu dem Dorfe Plan oder 
Pfelders schleppte, wo ich nach mehr als achtzehnstündiger 
Anstrengung dem Körper die ersehnte Ruhe gönnen durfte. 

Die Folgen der Ueberanstrengung blieben nicht aus. In 
fieberhaftem Zustande verbrachte ich eine unangenehme Nacht. 
Die Gesichtshaut brannte und die Augen schmerzten eniselz- 
lich. Schon am folgenden Tage schälte sich die Haut stück- 
weise los. Trotz der Erschöpfung setzte ich meine Reise ohne 
Aufenthalt fort. Ich ging durch das Passeierthal nach deın 
Jaufen, überstieg denselben und erreichte bei Sterzing die 
Brennerbahn. Ich übergehe die Schilderung der Wanderung, 
da schon die ersten Stunden derselben uns von dem Gebiete 
der Oetzthaler Gruppe entfernen würden. ii 
Gestalten wir uns schliesslich einen kurzen 


Rückblick 


über das durchwanderte Gebiet, so lässt sich der allgemeine 
geographische Charakter desselben folgendermassen kurz zu- 
sammenfassen: 

1) Die Oetzthaler Gruppe ist eine breite Massenerhebung 
von ausserordentlich bedeutender mittlerer Höhe. In die- 
ser Hinsicht kann kaum ein anderer Gebirgsstock Europas mit 
ihr rivalisiren. Daher muss das Gebirge trotz mächtiger Gip- 
felerhebungen von fast 12000‘, einen plateauähnlichen Charak- 
tar an sich tragen. Von den Alpenketten der Umgebung ist 


&) 


182 


es im Norden, Westen und Süden scharf getrennt. Im Osten 
macht der Brenner, resp. das Timbler Joch, die Abgrenzung 
nicht so entschieden. 

2) Wären die winterlichen Niederschläge hier so reich, 
wie in den Westalpen, so würde hier entschieden das bedeu- 
tendste Gletschergebiet Europas entstanden sein. Dennoch 
ist die Eisbildung fast ebenso stark, wie in den mächtigsten 
Stöcken der westlichen Alpen und übertrifft die der deutschen 
Alpenzüge bei Weitem. Nur wenige Gletscher reichen bis 
auf 6000’ herab. Da der grösste Theil des Gebirges nördlich 
von der Wasserscheide liegt, so ist die Gletscherbildung auf 
der Nordseite ausserordentlich imposant. Die Firnplateaus ha- 
ben zum Theil eine ungewöhnliche Ausdehnung. Einige Glet- 
scherindividuen treten in Bezug auf Länge und Mächtigkeit mit 
den grössten der westlichen Alpen in die Schranken. 

3) Die drei Hauptkämme haben starke Neigung zur 
Plateaubildung. Die secundären Züge sind schmale schroffe 
Grate und verdanken nur der bedeutenden Kammhöhe die Bil- 
dung zahlreicher steil herabhängender Gletscher. 

4) Die Thäler erheben sich als breite muldenförmige 
Spalten zu bedeutender Höhe und gestatten die Cultur bis zur 
Meereshöhe von 5 — 6000. IhrCharakter ist ernst und wild. 
Nicht selten unterbrechen enge Schluchten, durch die sich 
brausende Katarakte stürzen, die Eintönigkeit der Thalsen- 
kungen. 

5) Der Wasserreichthum des Gebirges ist bedeutend. 
Die grösseren Bäche sind fast ohne Ausnahme trüb und 
schmutzig und deuten an, dass sie Gletscherabflüsse sind. Die 
Wasserkraft wird wenig ausgenutzt. Ueberschwemmungen sind 
den ganzen Sommer hindurch häufig nnd erschweren oft die 
Passage. Einzelne Ereignisse, durch Gletscherbrüche herbei- 


geführt, sind einzig in ihrer Art. — Seen haben sich fast 
nur in Foige der Aufstauung der Bäche durch Gletschermassen 
gebildet. 


6) Der geologische Charakter des Gebirges ist höchst 
einförmig. Die Hauptmasse ist Glimmerschiefer; Gneiss und 
Hornblendeschiefer bilden die einzige Abwechslung. Nur an 
den Rändern der Gruppe treten vereinzelte Kalkmassen auf. 

7) In Folge dessen ist die Flora, wenn auch ziemlich 


183 


reichhaltig, so doch im Ganzen eintönig. Auf der Südseite 
erscheint selbstverständlich grössere Mannichfaltigkeit. Die 
Waldbestände der Thäler sind mässige; nur das Kaunser Thal 
ist hiervon ausgenommen. 

8) Da die Thäler hoch hinauf bewohnt sind, so giebt es 
zahlreiche Jochübergänge, die meist mehr als 9000’ Mee- 
reshöhe haben. Das Timbler Joch ist der einzige Saumpfad, 
der regelmässig schneefrei wird. Die Uebergänge über die 
Hauptkämme führen über breite Firnplateaus und pflegen nach 
Süden steiler abzubrechen. Die Joche der Nebenkämme sind 
schwerer zu erreichen und führen meist nach schmalen Scharten 
und über steilere Eis- und Schneeflächen. 

9) Die Bewohnerleben von Viehzucht, Wiesencultur und 
einigem Ackerbau, Sie sind im Ganzen kräftig gebaut, jedoch 
nicht mit den stattlichen Passeierthalern zu vergleichen. Die 
Gefahren und Anstrengungen des Gebirgslebens haben sie ernst, 
fromın und schweigsam gemacht. Oft erinnern die bekannten 
Marterbilder an die häufigen Unglücksfälle. Von musikalischen 
Neigungen nimmt man wenig wahr. Nie habe ich an den 
Häusern jene originellen Bilder und Verse gesehen, die in den 
östlicheren und nördlicheren Alpenzügen dem Wanderer eine 
willkommene Unterhaltung sind. In neuerer Zeit hat der zu- 
nehmende Touristenverkehr das Völkchen regsamer gemacht. 
Die Gasthäuser sind zahlreicher geworden, und es haben sich 
Vereine intelligenter Führer gebildet. Hoffentlich wird in Zu- 
kunft der Aufschwung noch bedeutender werden. 


Mittheilungen. 


Nachträge zum meteorvlogischen Jahresbericht auf das 
Jahr 1870. 
(Siehe Seite 382 dieses Bandes.) 

Wir sind in den Stand gesetzt, den Witterungsbericht vom 
vergangenen Jahre noch durch zwei Mittheilungen zu ergänzen. 
Es ist uns nämlich während des Drucks desselben eine Bespre- 
chung der Frostschäden des Winters 1870/71 zugegangen, welche 
aus der Feder des Herrn Lehrer Erfurth zu Weimar stammt und 
zunachst sich nur auf Weimarische Verhältnisse bezieht; sie ist 
aber zugleich von allgemeinen Interesse und wir wollen sie daher 


184 


unsren Leseru nicht vorenthalten. Zu bemerken ist, dass die Be- 
obachtıngen in Weimar nach dem hunderttheiligen Thermometer 
ausgeführt werden und dass Herr Erfurth ausser der Lufttempe- 
ratur auch noch die Bodenwärme beobachtet. 

Ferner verdanken wir der Güte des Herrn Professor Dove 
die kürzlich von ihm berechneten Stägigen Wärmemittel für den 
Zeitraum von 1848 bis 1867, welche für Halle durch Reduction 
der entsprechenden Mittelzahlen aus den Jahren 1851 bis 1867 
gefunden sind. Hiernach ergeben sich die auf S. 394 berechne- 
ten Abweichungen der diessjährigen Mittel etwas anders und wir 
wiederholen desshalb jene Tabelle mit diesen neuen Zahlen. 


Frostschäden des Winters 1870 — 1871. 


Wir zählen hier nicht ausführlich auf, was der Frost des 
strengen Winters getödtet hat; einige Beispiele werden erkennen 
lassen, wie viel dessen ist. Von Öbstbaumen sind Wallnüsse, 
Aprikosen, Pfirsiche und Quitten sämmtlich erfroren. Auch sehr 
viele Zwetschenbäume sind todt, namentlich die älteren. Pflau- 
men, Kirschen, Aepfel und Birnen sind ebenfalls vielfach ge- 
schädigt oder ganz erfroren. 

Hören wir bei der Frage nach der Zeit der Schädigung zu- 
nächst das Urtheil erfahrener Gärtner und Forstmänner, so tref- 
fen wir bei ihnen häufig die Ansicht, es habe hauptsächlich ge- 
schadet das Glatteis in der Nacht vom 19. zum 20. December, 
in welcher das Thermometer auf 50,3 C. Kälte fiel, während es 
am 19. Nachmittags 50,4 Wärme zeigte; und dann wieder und 
vielleicht noch mehr dieselbe Erscheinung in der Nacht vom 9. 
zum 10. Februar, in welcher das Thermometer von 09,6 auf 
— 120,5, fiel, und zwar nach starkem Regen, der Abends in 
Schnee überging. Wir räumen gern ein, dass in beiden Näch- 
ten mancher Baum und Strauch dem Froste erlegen sein mag, 
oder doch stark geschädigt worden ist, z. B. Steinbuche. Auch 
die grimmige Kälte von 260 am Morgen des 24. December hat 
gewiss noch manches Opfer unter den Holzgewächsen gefordert. 
Noch andere haben gelitten durch die Kälte von 5° am Morgen 
des 19. März, nachdem wir in den Mittagsstunden dieses Monats 
wiederholt über 100, ja am 8. und 13. sogar über 149 Wärme 
und Nachts vom 7. bis 15. keinen Frost gehabt hatten. Aber 
durch alles dies wird nicht erklärt, warum gerade gewisse Bäume 
und Sträucher, die als hart gelten, so viel gelitten haben, wäh- 
rend andere, weniger harte, oft ganz unversehrt geblieben sind. 
Gleditschie belaubi sich unter den bekannteren Bäumen zu- 
letzt und wirft das Laub wieder zeitig ab, ist also gewiss weni- 
ger hart als unsere Obst- und Waldbäume. Auch war in der 
That im Winter 1869/70 eine solche auf dem hiesigeu Jakobs- 
friedhofe erfroren; aber im letzten Winter sind die zahlreichen 
Gleditschien in unseren Parken und sonstigen Anlagen gıt ge- 

Fortsetzung Seite 186. 


Januar 
1-5 
6—10 

11—15 

16—20 
1—25 

26 — 30 
Fehr. 

31-4 
5—9 

10—14 

25—19 

20—24 

25—l. 
März 
2—5 
7—11 

12—16 

17—21 

23—2Ö 

27—31 

April 
1—5 

16—10 

11—15 

16 -20 

21—25 

25— 830 
Mai 
i—5 
6—10 

11—15 

16— 20 

21—25 

26— 30 

Juni 

31—4 

5—)9 

10—14 

15—19 

20—24 

25—29 

30—4 


Mittel 
1870 


2,22 
4,46 
2,08 

—10,54 

— 2,58 

1 


2166 
2072 
on) 
— 3,38 
— 1 

3,36 


2,84 
0,28 
0:16 
1,12 
0,94 
1,56 


4,16 
8,04 
5,94 
7,26 
10,24 
7,02 


7,24 

8,08 
13,14 
15,74 
13,32 
10,26 


11,52 
12,66 
13,32 
18,80 
14,86 
10,40 
11,50 


18 


h) 


Fünftägige Wär memittel. 
Mittel Abweichung 


1848-1867 


211,36 
1839 
— 1,50 
_.0,94 
0,33 
0,17 


0,55 
0,89 
0,08 
0,62 
0,63 
1,43 


1,55 
2,10 
2,02 
1,99 
2,99 
3,94 


5,76 
6,38 
5,99 
6,35 
7,05 
7,10 


7,64 
9,20 
10,38 
10,99 
11,50 
12,34 


13,06 
14,25 
14,01 
13,14 
13,92 
14,06 
13,67 


1870 


+ 3,58 
+5,85 
+ 3,58 
+ 0,40 
— 2,91 
— 1,89 


von 
—10,61 
— 8,30 
-- 4,00 
87 
+1,93 


+ 1,29 
282 
— 2,18 
0.87 
205 
2,38 


— 1,60 
+ 1,66 

0,05 
+0,91 
Ei ang 
— 0,08 


-— 0,40 
212 
+2,76 
+4,75 
+1,82 
— 2,08 


—_ 1,54 
1150 
—.0,69 
+5,66 
+ 0,04 
— 3,66 
2 


Juli 
5—9 
10—15 
15 - 19 
20—24 
25—29 

30—3 
Aug, 
d—3 
9—13 

14—18 

19—23 

24 —28 

29—2 

Septb. 
3—7 
8—12 

13—17 

18—22 

23— 27 

28-—2 

Octbr. 
3—7 
8—13 

13—17 

18—22 

23—27 

28—1 

Novbr. 
2—6 
7-11 

12—16 

17—21 

22—26 

27—1 

Decbr. 
2—6 
7-1 

12—16 

17-21 


Mittel 


1870 1848-1867 


15,96 
17,00 
16,16 
15,14 
16,98 
17,98 


17,62 
14,86 
13,06 
11,08 
10,56 
11,28 


13,82 
11,36 
9,20 
9,04 
8,74 
8,12 


7,00 
7,60 
6,66 
7,00 
6,54 
5,24 


2,86 
2,74 
3,08 
4,58 
6,76 
2,06 


22 


138 
2,94 
138 


Mittel Abweich. 


13,92 


"14,58 


15,29 
15,40 
14,91 
14,59 


14,45 
14,76 
14,46 
13,91 
13,61 
12,96 


12,38 
11,67 
11,08 
10,81 
10,52 
10,39 


9,21 
8,02 
7,88 
7,26 
6,52 
5,47 


4,64 
3,70 
2,29 
1,06 
1,55 
1,12 


0,69 
1. 
0,86 
0,17 


22—26 —11,68 — 0,14 
en 


1870 


+ 2,04 
+ 2,42 
+0,87 
— 0,26 
+ 2,07 
+3,39 


+3,17 
+ 0,10 
— 1,40 
2,83 
— 3,05 
— 1,68 


+1,44 
—0,31 
— 1,88 
7 
2178 
2] 


— 2,21 
— 0,42 
— 1,22 
2026 
+0,02 
0.23 


78 
—.0,96 
+0,79 
+3,52 
+5,21 
+ 0,94 


— 4,91 
ob 
+ 2,08 
— 1,55 
—11,24 
mel 


186 


blieben. Weisstanne und Taxus sind gewiss härter als Ta- 
xodium distichum, (Sumpfeypresse) und Salisburia adianti- 
folia (Ginkgo), die beide ihre Blätter verlieren, und zwar der 
letztere von beiden zuerst. Aber jene zwei sind vielfach geschä- 
digt, Sumpfeypresse hat bei uns wenig gelitten, Ginkgo gar 
nicht. Auch die Obstbäume liefern viele Beweise für das Ge- 
sagte. . 

Stellen wir einander gegenüber, was weniger oder gar nicht 
vom Froste gelitten hat, und was durch ihn vernichtet oder doch 
schwer heimgesucht worden ist, so ergeben sich nicht sowohl als 
Gegensätze hart und weich, sondern zeitig und spät. Es 
ist nämlich fast Alles erfroren, was bei Eintritt der Kälte zu An- 
fang December sein Laub noch nicht abgeworfen hatte oder über- 
haupt noch nicht zum Abschluss seiner jährlichen Vegetationspe- 
riode gekommen war. Und dessen war in dem abgelaufenen 
Jahre mehr als in den meisten Jahren, da, wie schon oben 
(in dem ersten, hier fehlenden Theile des Berichts) bemerkt 
wurde, nur Januar, Juli und November ihre vieljährigen 
Wärmemittel überschritten, alle anderen Monate aber zu kalt 
waren, ‘der Februar um 4,6, April um 0,3, Mai um 0,1, 
März und Juni um 1,4, August um 1,1, September um 2,0, Oc- 
tober um 1 Grad. In Folge dessen war die Vegetation noch weit 
zurück. Da nun October und November fast {rostfrei waren, 
und vom 19. bis 27. November die Temperatur das Wärmemit- 
tel des Octobers überstieg und dem der letzten Septemberwoche 
gleich kam, so grünte und wuchs mancher Zweig an Baum und 
Strauch noch wohlgemuth fort, um das im kalten Sommer Ver- 
säumte nachzuholen. Aber jählings brach die Verderben bringende 
Kälte ein und traf da am empfindlichsten, wo noch das meiste 
Leben vorhanden war. 

Zu dem folgenschweren schnellen Temperaturwechsel der 
Luft mit Ueberschreitung des Eispunktes tritt noch der grosse 
Gegensatz der Luft und Budenwärme, wie ihn folgende über- 
sichtliche Zusammenstellung zeigt: 

Luftwärme Bodenwärme in der Tiefe von 


Tag. Vorm. 7 .0,32M.2020,5 Mer ge Merten 
1. Dec. a ohye 209 €. 130,8. CHOR 
DR 298 1,7 3,2 5,0 
6. ” Sn 4,3 1,4 2,8 4,8 
Jar sry a 43,0 1,3 2,3 4,3 
oe a; — 9,6 2,1 2,6 3,8 
a, 05 1,8 2,6 3,8 
A ıı, —26,0 1,3 2,4 3 
a, 95 1,0 2,2 a 
lea — 8,6 0,9 2,0 3,4 


Die Zahlen sind zu sprechend, als dass es einer Erläuterung 
bedürfte. Ein Blick auf das Täfelchen zeigt, dass im Boden nir- 


187 


gends Frost war, und dass der Gegensatz zwischen Luft und Bo- 
denwärme mit der Tiefe wächst, dass also auch die Gefahr für 
den älteren Baum mit tiefer gehenden Wurzeln grösser war als 
für den jungen und den Strauch, Während die Wurzel des Bau- 
mes in ] Meter Tiefe am 4. December noch 50 Wärme geniesst, 
ist seine Krone einer Kälte von — 909,8 Preis gegeben und wäh- 
rend jene daselbst am 26. Dec. sich noch in einer Temperatur 
von 50,5 Wärme befindet, sind Stamm, Aeste und Zweige in die 
furchtbaren Fesseln von -- 260 C. gelegt. 

Dass die Bodentemperatur selbst noch im Deceiber, und im 
November auch die Lufttemperatur zur Vegetation genügte, wird 
durch folgende Wärme- und Vegetationsverhältnisse im April 
1870 bestätigt. 


1870 Luftwärme DBodenwärme in Tiefe von 
Tag. dtäg. Mitiel 0,3 M. 0,5 M. 1 Meter 
1. April 20,9 C. 10,031 LE3732 30 
Brsenos; 6,4 1,8 2,0 2,4 
Il:, nes Ds 4,5 3,7 2,9 
16. 5 6,6 4,6 4,4 3,9 
2l.siu5) 9,6 5,8 9,2 4,4 
26 5 Ayn) 1,6 6,5 9,2 


Am 1. April blühen Haselnuss, Zuckerahorn (Acer dasycar- 
pon), Märzenblume (Leucoium vernum), am 11. April haben Sta- 
chelbeere, türkischer Holurder (Syringa vulgaris), blaue und ta- 
tarische Heckenkirsche Blätter, Sahlweide, Espe, herzblättrige 
Balsampappel, Taxus, Frühlingsfingerkraut, Ehrenpreisarten u. a. 
Blüthen; am 16. blühen Purpuwirde, rother Ahorn, Ulme, Erie, 
Veilchen, Schlüsselblume, Aremonen etc. 

Aus dem Gesagten erhellt zur Genüge, dass die ersten De- 
cemhertage die grausamen Mörder so vielen Lebens der Pflanzen- 
welt waren. (Dieselbe Zeit, in welcher so mancher verwundete 
Krieger auf den Schlachtfeldern Frankreichs durch den Frost 
seinen Tod fand.) Nur einige Beispiele mögen als Belege für 
das Gesagte hier Platz finden. 

Feldahorn (Masholder) behält sein Laub länger als fol- 
gende Arten — ist mehrfach im hiesigen Park erfroren. 

Spitzahorn. Das Holz ist nicht ‚erfroren, aber er hat nir- 
gends geblüht. 

Zuckerahorn (Acer dasycarpon) war schon in der ersten 
Hälfte des October völlig kahl — hat 1871 reich geblüht. 

Blasenstrauch und Ranunkelstrauch (Keria) blühten 
noch im October, und Epheu sogar erst im November — sie sind 
erfroren, vielfach auch die klebrige Robinie (Fürsten- und 
Wielandsplatz), welche im August zum zweitenmal blühte. 

Traubenweichsel (Prunus Padus) wie Zuckerahorn. 

Steinweichsel (Prunus Mahaleb), meist noch schön grün 
belaubt bei Eintritt der Winterkälte — fast überall erfroren. 

Zeitschr. f.d. ges. Naturwiss. Bd. XXXYllı, 1871. 13 


188 


Rainweide, (Ligustrum vulgare), wie Steinweichsel. 

Castanea vesca (echte Kastanie) desgl. 

Castanea chinensis (chinesische Kastanie) verlor im 
hiesigen Park ihr Laub zeitig — ist gut geblieben. 

Crataegus Watsoniana wie Cast. vesca. 

Crataegus orientalis wie Cast. chinensis. 

Von Sambucus nigra (gem. Flieder), Syringa vulgaris (türk. 


Holunder), Corylus Avellana (Haselstrauch) u. a. sieht man im 
Herbste einzelne noch grün belaubt, während die meisten schon 
kahl sind. Jene sind gewiss unter denen, welche Anfangs De- 
cember dem Froste zum Opfer fielen. 

Sommerbirnen mit zeitig beendeter Vegetation haben we- 
niger gelitten als Winterbirnen. 

Aus dem Angeführten ersehen wir, wie zur Erklärung der 
in Rede stehenden Erscheinung einerseits genaue und umfassende 
meteorologische Beobachtungen unentbehrlich sind, andererseits 
aber auch die Eigenart und insbesondere die Vegetationszeit der 
Bäume und Sträucher in Betracht gezogen werden muss. . 

Wenn es uns gelungen sein sollte, zur Erklärung der so 
schmerzlich empfundenen Frostschäden des letzten Winters einen 
Beitrag geliefert zu haben, so ist der Zweck dieser Betrachtung 
nicht verfehlt. (FWeimarische Zeitung 1811 Nr. 169.) 


Literatur 


Physik. Aug. Kundt, über anomale Dispersion. In 
einer frühern Abhandlung zeigte Verf., dass gewisse Körper die Eigen- 
schaft haben, Licht, dem in der Luft eine kürzere Wellenlänge zugehört,- 
weniger zu brechen als solches von grösserer Wellenlänge und behauptete, 
dass diese anomale Dispersion wahrscheinlich allen Körpern zukömmt, die 
eine sogenannte Oberflächenfarbe besitzen, d. h. Strahlen gewisser Farben 
stärker reflekliren als andere, dass wahrscheinlich all diese Körper mit 
anomaler Dispersion dichroitisch sind. Jetzt bringt er nun weitere That- 
sachen hierfür unter Mittheilung der neuern Beobachtungsmethode, Gegen 
die frühere Methode machte v. Lang geltend, dass die anomale Dispersion 
nicht von einer stärkern Breehung der rothen Strahlen gegenüber den 
blauen herrührt, sondern von der mangelhaften Achromasie des menschli- 
chen Auges: man sieht mit Hilfe spitzer Prismen die anomale Dispersion 
nur, wenn das Auge gegen die brechende Kante zu exeentrisch gestellt 
ist, allein Verf. hat bereits darauf hingewiesen, dass die anomale Disper- 
sion auch beobachtet wird, wenn man das anomal dispergirende Prisma 
an die Stelle des Prismas eines Spectralapparates bringt, also mit dem 
Fernrohr beobachtet. Mit diesem und der Anwendung des Sonnenlichtes 
konnte Verf. eingehender untersuchen, zugleich waren die Hohlprismen 2 


189 


Prismen von 25°, die eine ziemlich scharfe Schneide hatten und aus ein- 
zelnen Glasplatten zusammengekittet waren. Eines dieser Prismen wurde 
an die Stelle des Prismas eines Spectralapparates gebracht und wurde 
benutzt ein kleiner Bunsenscher Spectralapparat, ein grosser Kirchhoff- 
scher für 4 Prismen eingerichtet und ein grosses Spektrometer von Bren- 
ner. Aus den Versuchen ergab sich: 1. Alle früher untersuchten Snb- 
stanzen zeigten anomale Dispersion und ist als solche nicht nur der Fall 
zu betrachten, wo die Anomalie so weit geht, dass das blaue Licht we- 
niger gebrochen wird als das rothe, sondern wenn überhaupt ein Strahl 
von kürzerer Wellenlänge stärker gebrochen wird als ein soleher von 
längerer, Die Anomalie der Dispersion in den Lösungen nimmt conti- 
nuiriich mit der Concentration der Lösungen zu.. Bei nicht zu concen- 
trirten Lösungen konnte das Sonnenlicht nicht blos nahe der Schneide des 
Prismas dureh die Lösung geschickt werden, sondern ganz entfernt von 
derselben, so dass jede unregelmässige Brechung, Reflexion oder Beu- 
gung, überhaupt jede Unregelmässigkeit von der Schneide und von der 
Coneentration der Flüssigkeit ausgeschlosseu war. 2. Bei stark concen- 
trirten Lösungen zeigten sich die Spektren an den Enden, wenn das Licht 
möglichst nahe der Schneide hindurch geschickt wurde, nicht so scharf 
abschneidend wie bei gewöhnlicher Dispersion, sondern sie verloren sich 
auf beiden Seiten in einen mehr minder langen Streifen, der lichtschwä- 
cher werdend noch weiterhin erkenntlich war. 3. In den lichtstarken 
Spektren fallen immer zwei oder mehrere Farben an dieselbe Stelle, man 
kann daher ohne Weiteres nur selten und dann nur die alleıstärksten 
Frauenhoferschen Linien in den Spektren erkennen. Dieselben treten aber 
alsogleich deutlich hervor, wenn man das Spectrum durch absorbirende 
Medien, z. B. farbige Gläser betrachtet und so kann man auch leicht er- 
mitteln, wo hauptsächlich verschiedene Farben und welche an den einzel- 
nen Stellen des anomalen Spektrums über einander fallen. 4. Durch die 
farbig absorbirenden Medien erkennt man ferner, dass einzelne Farben in 
dem anomalen Spectrum ausserordentlich verlängert, sind so roth in Fuch- 
sin und Cyanin. In.den durch Dispersion sehr auseinander gerissenen 
Theilen sind die Frauenhoferschen Linien gewöhnlich nicht mehr zu er- 
kennen. 5. Statt die Farben durch absorbirende Medien zu trennen, wäre 
es besser, einfarbiges Licht anzuwenden und dessen Brechung zu unter- 
suchen. Die Linien gefärbter Flammen oder Geisslerscher Röhren erwie- 
sen sich zu schwach und verfolgte Verf. diese Versuche nicht weiter. 
6. Es gelang objectiv in der Ausdehnung von mehren Zollen die anoma- 
len Spektren auf einen weissen Schirm zu projieiren. — Zur experimen- 
tellen Feststellung der Haupgeselze der anomalen Dispersion war vorher 
zu beweisen, dass der Brechungsapparat für die Strahlen, die stark an 
der Oberfläche reflektirt werden, entweder sehr gross oder sehr klein ist 
und es ergab sich, dass die Körper für die Strahlen, die sie stark re- 
flektiren, die also schon dadurch in geringer Intensität in den Körper ge- 
langen, einen ziemlich beträchtlichen Absorptionscoefficienten haben und 
zwar nur für diese Strahlen. Man wird daher, auch wenn die durchstrahl- 
ten Schichten nur eine geringe Dicke haben, die abweichenden Brechungs- 


155 


190 


exponenten nur schwierig ermitteln können, da die Strahlen, denen diese 
Brechungsexpouenten zugehören, zu stark absorbirt werden ; wohl aber 
wird man an Stellen, wo die Absorption beginnt, an den Rändern der 
Absorptionsbänder ein schnelles Zu- oder Abnehmen der Brechungsexpo- 
nenten erwarten können. Dabei bleibt nicht ausgeschlossen, dass ganze 
Partien des Spektrums die durch Absorptionsbänder getrennt sind, derarlig 
anomale Brechungsexponenten haben, dass ganze Partien kürzerer Wel- 
lenlängen weniger gebrochen sind als so.che läugerer. Zur Entscheidung 
dieser Frage wählte Verf. eine schr einfache Methode und gelangte zu 
dem Resultate: bei einer Reilıe von Körpern, welche die mittlen Strahlen 
des Spektrums stark reflektiren und gleichzeitig für diese Strahlen ein 
starkes Absorptionsvermögen haben, nimmt die Brechung, wenn man sich 
von Seiten der grössern Wellenlängen dem Absorptionsstreifen nähert, 
ausserordentlich schnell zu, nähert man sich von Seite der kürzern Wel- 
lenlöngen, so nimmt die Breehung ausserordentlich schnell ab. — Ueber- 
mangansaures Kali zeig! bei Verdünnung im Grün 5 Streifen, Carmin 2 
Streifen, die audern früher genannten Körper hat Verf. noch nicht genü- 
gend untersucht, sich vielmehr zu anderen gewandt. Anomalien in der 
Dispersion wurden constatirt bei Lösungen von Magdalaroth, Corallin, 
Alizarin in Kalilauge, Orselline, Lackmus, Jod in einer Mischung von 
Chloroform und Schwefelkohlenstoff, Blauholz, Rothholz, Sandellolz, 
Alcaunawurzel, Fernambukholz, Blut, Haematin, Chlorophyll. Bei denje- 
nigen Medien, welche mehre scharfe und starke Absorptionsbanden zeig- 
ten, wurde bei jedem Absorptionsstreifen eine Brechungsanomalie aufge- 
funden und zwar die oben angegebene d. h. gelit man vom rothen Ende 
aus: so nimmt der Brechungsexponent mit Annäherung an einen Absorp- 
tionsstreifen stark zu und ist hinter demselben merklich kleiner. Verf, 
fand bei k-inem Körper, dass der Brechungsexponent auf beiden Seiten 
sehr gross oder sehr klein würde oder vor demselben klein und hinter 
demselben gross wäre. Von festen Körpern untersuchle er nur Magnesium- 
platineyanür und oxalsaures Chromoxyd Ammoniak. Bei letztem wurde 
bei beiden Strahlen eine schwache Andeutung von Anomalie in der Bre- 
chung beobachtet, beim Platinsalz zeigte der eine Strahl eine kräftige Ab- 
sorptionsbande in der Mitte des Spektrums, in dem anderı Strahl war 
alles Blau uud Grün bis in das Gelb absorbirt, daher zeigte sich in die- 
sem Strahl eine sehr starke Zunahme der Brechung vom Roth zum Gelb; 
in dem erst erwähnten Strahl kounte nur mit Mühe eine Andeutung von 
Breehungsanomalien erkannt werden. Die Lösung von Magnesiumplatin- 
eyanür zeigt keine Absorption und keine anomale Brechung, die Lösung 
des Chromsalzes nur Spuren von Anomalien. Aus allen Versuchen geht 
hervor eine gemeinsame Abhängigkeit der drei Eisenschaften, starkes Re 
flexionsvermögen, Absorption und Anomalien in der Breehung. Von 
sämmtlichen das Licht anomal brechenden Körpern lässt sich annelımen, 
dass sie im lesten Zustande bestimmte Strahleupartien slark reflektiren, 
also Oberflächenfarbe zeigen. Aber es giebt noclı viele Medien, die zwar 
Absorptionserscheinungen zeigen, aber eine merkliche Oberflächenfarbe 
nicht erkennen lassen, die farbigen Gläser, die meisten farbigen Salze 


191 


u. a. Verf. beabsichtigt diese Uutersuchungen fortzusetzen. — (Würz- 
burger phys. medicin. Verhdigen 187). II. 270 — 178.) 

Chemie. F. W. Kreke, die Erscheinungen der Zerset- 
zung wässriger Lösungen in Eisenchlorid. — Zur Aufklärung 
der Zersetzung von Eisenchlorid in wässriger Lösung unterwarf K. ver- 
schieden concentrirte Lösungen von Eisenchlorid, welche vollständig salz- 
säurefrei waren, theils offen, tleils in zugeschmolzenem Rohre der Hitze. 
Es resultirten folgende Erscheinungen. Eine 32procentige Lösung zersetzt 
sich bei 1400 theilweise unter Abscheidung von braunem oder schwarzem, 
chlorfreien Eisenoxyd. Die Lösung ist bei 100° viel dunkler, als bei ge- 
wöhnlicher Temperatur. Eine 16procentige Lösung zersetzt sich bei 120, 
eine Sprocentige bei 110°, beide anfangs unter Abscheidung von hellgel- 
bem Oxychlorid und Dunkelfärbung der Lösung. Das Oxychlorid geht 
bei den angegebenen Temperaturen in Oxyd über. Dasselbe thut eine 
Lösung von 4°, bei 90% Auch eine 2procentige Lösung färbt sich dun- 
kel, und lässt auf Zusatz von einigen Kochsalzkrystallen Oxydhydrat fal- 
len und zwar bei 860,3. Die Lösung von 1°, färbt sich dunkel beim Er- 
wärmen und giebt im zugeschmolzenen Rohr erhitzt ein tiefviolettrothes 
Eisenoxydhydrat. Die noch niedrigeren Lösungen färben sich alle in der 
Wärme dunkel und lassen bei schon ziemlich niederen Temperatureu hell 
ziegelrothes Eisenoxydhydrat fallen. — Der Vorgang zerfällt bei diesen 
Zersetzungen in drei Abschnitte: Zunächst zerfällt durch Einfluss der 
Wärme das Eisenchlorid in Eisenoxyd und Salzsäure nach der Formel 
Fe2Cl6 + 3H20 — Fe?0? + 6HCI. Dieser Vorgang zeigt sich durch das 
Dunkelwerden der Lösung an. In concentrirteren Lösungen (32 —8°/,) 
verbindet sich beim Erkalten die Salzsäure wieder mit dem Eisenoxyd und 
erst bei höherer Temperatur setzt sich Eisenoxyd ab. In schwächeren 
Lösungen (8—1°/,), welche auch beim Erhitzen Salzsäure entweichen las- 
sen, ist die Zersetzung eine beständige, es bildet sich Grahams lösliches 
Eisenoxyd, welches aufZusatz eines neutralen Salzes z. B. NaCl in Eisen- 
oxydhydrat übergeht. Auch im Dialysator behandelt geben diese Lösun- 
gen nach 7 Tagen Oxydhydrat. Als Zwischenstufe zwischen der Bildung 
von Eisenoxyd und Grahams Oxydhydrat findet vorübergehend Bildung von 
gelbem Oxychlorid statt. Ganz schwache l.ösungen unter 1°/, geben unter 
1000 ebenfalls Grahams lösliches Oxyd, über 100° aber scheidet sich das 
rothe Eisenoxydhydrat von Pe&au-Saint-Gilles ab. Bei ganz schwachen Lö- 
sungen geht die Bildung von Grahams Oxyd schon bei gewöhnlicher Tem- 
peratur vor sich. — Durch diese Erscheinungen erklärt K. verschiedene 
noch nicht recht aufgeklärte Thatsachen, z. B. das Reinigen verdorbenen 
Fluss- und Trinkwassers durch Eisenchlorid. Es bildet sich hierbei zu- 
nächst Grahams lösliches Oxyd, welches durch die stete Gegenwart von 
neutralen Salzen an seinem Bestehen gehindert wird, in Eisenoxydhydrat 
übergeht, und dieses reisst die im Wasser suspendirten fremden Substan- 
zen mit nieder, Die freie Salzsäure wird durch die vorhandenen kohlen- 
sauren Alkalien neutralisiri. — Ferner die Trennung des Eisenoxyds von 
andern Oxyden durch genaue Neutralisation der verdünnten salzsauren 
Lösungen und Erhitzen zum Sieden. — K. hat endlich noch bestimmt, wie 


192 


viel Eisenchlorid in verdünnter Lösung zu Oxyd reducirt wird. Die Menge 
des gebildeten Oxydes wächst mit der Verdünnung, der Zeitdauer und der 
augewendeten Temperatur. — (Archives Neerlandaises des sciences 
exactes et naturelles VI, 193.) 

E. H. Baumhauer, über die Trennung des Eisens vom 
Nickel und Kobalt. — Die bisher üblichen Methoden der Trennung 
des Eisens vom Nickel und Kobalt für unzureichend erkennend, stellte B. 
vergleichende Untersuchungen an mit Lösungen von bekanntem Gehalt. 
Er erhielt: durch Trennung des Eisens vom Nickel und Kobalt mittelst 
Ammoniak nur 730%, vom angewandten Nickel und 52°/, vom Kobalt; bei 
Anwendung bernsteinsanren Ammoniaks 75°, vom Gesammtnickel und 
69%), vom Gesammtkobalt; durch essigsaures Natron in neutraler Lösung 
820%/, Ni, 910%/, Co; endlich durch kohlensauren Baryt in der Kälte 92%), 
vom Co, während er in der Hitze nur 25%, vom Nickel und 44%, vom 
Kobalt erhielt. Von anderen noch geprüften Methoden ergab keine gute 
Resultate. Die einzige, allerdings ziemlich umständliche Methode, welche 
zum gewünschten Ziele und zugleich zur Trennung von Al?0°,Mg0, Erden 
uud Alkalien führte ist folgende: Fällen der salzsauren mit Salmiak ver- 
setzten Lösung in der Hitze mit Ammoniak im Ueberschuss. Man filtrirt 
und wäscht sehr lange mit Ammoniakwasser aus; das Filtrat wird bei 
Seite gesetzt und der Niederschlag vorsichtig mittelst eines Glasstabes so 
viel als möglich vom Filter genommen, in ein Becherglas gebracht und 
das Filter mit heisser verdünnter Salzsäure ausgewaschen. Die Salzsäure 
lässt man in das Becherglas mit dem Niederschlag laufen, und nachdem 
sich dieser gelöst, giebt man aufs Filter einmal Ammoniak auf und fällt 
dann im Becherglase mit Ammoniak mehrmals. Diese Operation wieder- 
holt man so oft immer unter Benutzung desselben Filters, bis das ammo- 
niakalische Filtrat mit Schwefelammonium keine Braunfärbung mehr zeigt. 
Dann verdampft man die zuletzt erhaltenen ammoniakalischen Flüssigkei- 
ten zur Trockne, vertreibt im Porzellantiegel den Salmiak, löst in Salz- 
säure oder Königswasser das zum Theil redueirte Niekel und Kobalt, so- 
wie die etwa vorhandene Magnesia und die Erden, und giebt nach dem 
Verdampfen der Säure im Wasserbade die Lösung zum ersten ammonia- 
kalischen Filtrate, aus welchen Nickel und Kobalt nach bekannten Me- 
thoden getrennt werden. B. erhielt auf diese Weise 99,7 — 100,5%/, vom 
angewandten Eisen, 99,4, 99,1 und 99,0%, vom Nickel und 99,8, 100,2 
und 99,0°/, von Kobalt. — (Ebenda VI, 41.) 

Geologie. H.Behrens, über mikroskopischeZusammen- 
setzung und Struktur der Grünsteine. — In Grünsteinschliffen 
bilden feldspäthige Substanzen den Hauptbestandtheil, aber in gewissen 
Grüusteinen fehlt deutlich ausgebildeter Feldspath ganz oder tritt nur in 
vereinzelten Individuen auf. So ist in dem bräunlichen Dioritaphanit von 
-Philipstad der Feldspath durch eine homogene Masse verlreten, die zwi- 
schen gekreuzten Nicols ganz dunkel wird also ein Feldspathglas ist, an 
andern Stellen wie Hyalith sich verhält. Darin liegen wenige Feldspath- 
prismen zwischen vieler Hornblende. Es giebt Aphanite mit guten Feld- 
spathen und deutlich körnige Diorite ohne solche wie der Diorit in den 


193 


Pyrenäen, von Freiburg u. a. Diese Diorite haben statt des Feldspathes 
eine zwischen gekreuzten Nicols z. Th. dunkle zum grösseren Theile hya- 
litisch polarisirende Masse von glasigem Ansehen, worin im Munkholmer 
Diorit Quarzflecke, Brocken von glasigem Feldspath nnd kurze Feldspath- 
mikrolithe liegen. Letzte sind in den Grünsteinen überhaupt nicht sel- 
ten, am schönsten im Aphanit von Arendal, wo sie als kurze monokline 
Krystalle mit röthlichem Staub erfüllt sternförmige Gruppen zwischen lan- 
gen Hornblendesäulen bilden. Auch grössere Feldspathkrystalle sind oft 
schwer sicher zu bestimmen, wenn sie wie im Diorit von Schirke, von 
Tyveholm durch feinen Staub getrübt sind. Zuweilen lässt sich dieser 
Staub mit heisser Salzsäure auflösen und dann die Streifung im polarisir- 
ten Licht erkennen. Gut gestreifte Feldspäthe erkannte Verf, im Diorit 
des Lahntunnels bel Weilburg und im Trapp bei Wenersborg, auch mo- 
noklinen Feldspath in Begleit des triklinen im Diorit, Diabas und Mela- 
phyr. Ob der trikline nun Oligoklas oder Labrador ist, lässt sich durch 
optische und mechanische Hilfsmittel nicht entscheiden. Einschlüsse von 
Dampfporen, Glas, Hornblende, Augit oder Magneteisen sind im Feldspath 
der Grünsteine selten, am zahlreichsten noch im Trapp von Hunnebjerg, 
im Aphanit von Weilburg und im Diorit des Lahntunnels. Untergeordnet 
erscheinen neben Feldspath Kalkspath, Apatit und Quarz. Erster tritt in 
trüben rissigen Flecken auf mit sehr starker Doppelbrechung. Verf. be- 
zweifelt, dass dieser kohlensaure Kalk ein Zersetzungsprodukt ist, da er 
sich in ganz frischen Grünsteinen findet, so im Diorit von Munkholm, wo 
in die klaren unregelmässigen Kalkspathhkörner schöne Hornblendekrystalle 
hineinragen. Apatit kömmt meist aber nur in sehr geringer Menge vor, 
in stets sehr kleinen Prismen ganz denen in den Basalten gleichend. (Quarz 
sehr spärlich und nur in Körnern. Der zweite Hauptbestandtheil der 
Grünsteine ist Hornblende oder Augit, zu denen die mikroskopische Un- 
tersuchung noch eine grüne Substanz bald Hornblende bald in Epidot ver- 
wandelten Augit, Chlorit, Delessit, Axinit hinzufügt. Die Hornblende ist 
in Schliffen meist grün, gelblichgrün bis blaugrün, auch gelblichgrau und 
bräunlich, röthlieh im Diorit des Lahntunnels. Sie ist stets dichroitisch, 
am stärksten die graubraune, am schwächsten die blassgrüne. Der Augit 
ıles Basaltes, der Lava vom Vesuv, vom Capo di Bove, von Melfi, vom 
Laacher See, des Diallag ist fast ganz frei von Dichroismus und ist es 
bei dichroskopischer Untersuchung sehr wohl möglich eine blassgrüne 
Hornblende als Augit zu bezeichnen. Freilich werden neben der Horn- 
blende noch andere dichroitische Mineralien in,Grünstein angeführt, zu- 
nächst der Magnesiaglimmer und der Epidot, Den Glimmer lässt die un- 
gemeine Stärke des Dichroismus, die eigenthümliche Farbe und das wellig- 
faserige Gefüge von der Hornblende unterscheiden. Die Hornblende kommt 
vor in homogenen Säulen und Brocken, in schilfähnlichen Säulen, paral- 
lelstreifig, in Form von dünnen Spiessen, Stäbchen und Haaren, in plat- 
ten Lappen und in Tropfen. Besonders interessant sind die langen schilf- 
ähnlichen Hornblendekrystalle, da sich an ihnen sehr gut die Fluctuation 
der Gesteinsmasse und die Bildung von Krystallen durch parallele Aggre- 
gation von Mikrolithen erkennen lässt. Im Diorit von Munkholm sieht man 


194 


tausende von schön blaugrünen Hornblendekrystallen, Mikrolithen und Trop- 
fen in parallelen Zügen; im Trapp von Langsbahyttan sind die lichtbräun- 
liehgraueu Hornblendekrystalle in halbweichen: Zustande gegen einander 
getrieben und ähnlich wie gebogene Fischbeinstäbe geborsten und zer- 
spalten; im Diorit von-Stolpe sieht man lange spitz zulaufende grüne 
schilfige Hornblendestäbe, die aus lauter Mikrolithen bestehen, welehe von 
der noch flüssigen Feldspathsubstanz abgebogen wurden, um fortgeführt 
vor einem andern Krystall aufs Neue angelıäuft zu werden. In der Hom- 
blende finden sich als Einschlüsse Dampfporen, Asbestropfen, Feldspath- 
und Hornblendemikrolithe, Körner von Magneleisen und feiner Staub. 
Augit ist in den Grünsteinen so häufig wie Hornblende, augitfrei fand 
Verf. unter seinen Schliffen nur 4, hornblendefrei 2, Dieser Angit weicht 
von dem basaltischen erheblich ab, ist blass, gelblich oder bräunlich, arm 
an Einschlüssen, selten gut krystallisirt,, meist annähernd rhombisch mit 
abgerundeten Ecken, rissig. Endlich die häufige grüne Substanz in den 
Grünsteinen, gewöhnlich als Umwandlung des Augit betrachtet, von Zir- 
kel als Epidot, Hornblende, faseriger Uralit gedeutet, beschreibt Verf. 
nach einigen Präparaten speciell. Im Diorit von Schirke liegen in einer 
grauen felsitischen Masse lange gestreifte Feldspathleisten, rhombische 
gelbliche Augitbrocken, grosse titaneisenhaltige Stücke von Magneteisen, 
dazwischen ein gelblicher Axinit als hellgrüne klare, etwas faserige Masse, 
Die ganz klaren Flecke sind frei von Doppelbrechung und Dichroismus, 
die faserigen zeigen beides und müssen also grünes Glas sein; sie enthal- 
ten felsitische Kügelchen, einzelne Augitkörner und schöne Prismen und 
Sterne von blaugrüner und bräunlicher Hornbleude.e Wo die Ränder der 
Augitbrocken in die grünen Flecke hineinragen, siud sie von blaugrüner 
dioritiscker Hornblende inkrustirt. Die grüne Substanz zieht sich zwi- 
schen die Feldspathleisten und reisst die Mikrolithe mit sich fort. Der 
Diorit von Bösenbrunn besteht aus grüner faseriger Substanz weder di- 
chroitisch noch polarisirend, farbloser polarisirender Feldspathmasse, 
Magneteisen mit felsitischer Hülle, Brocken und Kryställchen von diallag- 
ähnlichem Augit und aus viel Apatit. Durch das grüne Glas sind lange 
blassgrüne Spiesse und Kämme hindurchgewachsen, vielleicht Hornblende. 
An den ins Feldspathglas hinausragenden Zähnen der Kämme sind Nadeln 
und dünne Haare von Hornblende hervorgewachsen,, die vielfach gestauht, 
zerknickt, von der strömenden Masse fortgeführt wie die darin treibenden 
Augitkörner und die zwischen gekreuzten Nicols ganz dunkel werdenden 
Stückehen grünen Glases, das offenbar vor dem farblosen Glase erstarrt 
sein muss, da man zersprengte Stückchen desselben findet. Höchst wahr- 
scheinlich ist der Chloritstaub, dessen Anwesenheit die Diabasaphanite 
charakterisirt, eben solches zertrümmertes Glas. Auch das Magneteisen 
des Bösenbrunner Diorites ist häufig zerbrochen und die Trümmer fortge- 
rissen. Das dunkle Eisenerz fehlt in manchen Grünsteinen ganz, ist oft 
schlackig und führt Schwefelkies und andere Kiese, daneben liegen Trop- 
fen und Schlieren von braunem Glase. — (Neues Juhrb. f. Mineral. 
460 — 468.) 

C.v. Marschall, Erklärung und Bestimmung der Eiszeit. 


195 


— Die neuern Untersuchungen haben die Existenz des Menschen bis in 
die Eiszeit zurückversetzt und deren Ursachen und Zeitbestimmung sucht 
Verf. in seinem in Karlsruhe gehaltenen Vortrage näher zu bestimmen. 
Er erklärt sich entschieden dagegen, dass die Eiszeit nur durch eine vor- 
übergehende Temperaturerniedrigung veranlasst sei; sie ist vielmehr einer 
eigenthümlichen von der heutigen merklich abweichenden Vertheilung der 
Sonnenwärme über die Erdoberfläche zuzuschreiben, während die mittle 
Jahrestemperatur der Erdatmosphäre sich im Ganzen seit der Pliocänpe- 
riode nicht mehr wesentlich änderte. Die für die Eisperiode günstigen 
Verhältnisse waren hohes schroffes Gebirge, andauernde ungewöhnliche 
Ekkliptikschiefe und zweimaliges Zusammentreffen des Wintersolstitiums 
mit dem Aphelium, die Dauer der Eiszeit lässt sich auf 27000 Jahre be- 
rechnen, wobei es sich um die Frage handelt, ob dieser Zeitraum die bei- 
den Abschnitie der Eiszeit umfasst, was wahrscheinlicher, da er in Ueber- 
einstimmung mit den geologischen Thatsachen eine milde zwischen zwei 
kalten Perioden aufzuweisen hat, oder nur deu jüngern. Erstenfalls wür- 
den die g.schichteten Ablagerungen, die am Genfer See zwischen beiden 
Gletscherschuttlagern nachgewiesen sind, den mittlen milden Zeitraume 
vom Jahr 44000 bis 38000 v. Chr. angehören, im andern Falle aber die 
Zeit, welche dem Beginne der kalten Periode im 54000 v. Chr. etwa un- 
mittelbar voranging und in diesem Falle bleibt die Zeit des frühern kal- 
ten Abschnittes, die erste Eiszeit noch näher zu bestimmen, wobei nicht 
zu vergssen, welch grossen Einfluss die ungewöhnliche Ekkliptikschiefe auf 
die Vertheilung der Sonnenwärme übt. Dafür fehlt es aber noch an einer 
verlässigen Berechnung der Schiefe der Ekliptik während des den letzten 
100,000 Jahren vorangehenden Zeitraumes. Welche der beiden Modalitä- 
ten der Wahrheit entspricht, haben künftige Forschungen zu entscheiden. 
Sobald nämlich nachgewiesen wird, dass die geschichteten Massen zwi- 
schen den erratischen Blöcken zu ihrer Bildung einen längeren Zeitraum 
als höchstens 6000 Jahre in Anspruch nahmen, kann die Zeit von 54000 
bis 37000 nicht beide Abschnitte der Eisperiode umfassen, da sie keinen 
längern milden Zeitraum aufzuweisen vermag. 
Oryktognosie. H. Wieser, AnalyseeinesKieselzinkerzes. 
— Das Kieselzinkerz von Scharley in Oberschlesien besteht aus aufge- 
wachsenen, fächerförmig vereinigten Krystallaggregaten von weisser Farbe 
und 3,36 Dicht» und enthält 24,36 Kieselsäure, 0,51 Phosphorsäure, 64,33 
Zinkoxyd, 0,72 Eisenoxyd, 0,73 Natron mit Spuren ven Kali, 8,46 Wasser, 
Schnabel fand in dem Kieselgalmei von Cumillas bei Santander in Spa- 
nien gleichfalls geringe Mengen von Phosphorsäure, doch liess sich das- 
selbe mit Salzsäure nur wenig zersetzen, wogegen der Galmei von Scharley 
beim Behandeln mit Salzsäure unter Abscheidung von Kieselgallerte leicht 


und vollständig aufgeschlossen wird. — (Verhundl. Geol. Reichsanst. 
Nr. 7, S. 112.) 
A. Bauer, über den steierischen Graphit. — Der Graphit 


von Lorenzen bei Rottenmann in Steiermark, dessen Analyse Stingl in 
Dinglers polyt. Journ. CXIX,. 115 milgetheilt hat, sollte nicht reiner Gra- 
phit, sondern eine schr weit vorgeschrittene Uebergangsstufe von Antlıra- 


196 


eit zum ächten Graphit sein, welche Ansicht zu einer erneuten Untersu- 
chung Veranlassung gab. Petrographisch schliesst sich derselbe entschie- 
den dem Graphit an, Eigengewicht, Farbe, Glanz, starke Abfärbung, 
Härte stimmen vollkommen überein. Beim Erhitzen an der Luft verbrennt 
er ohne Verglimmung, schwierig und viel langsamer als der beste Anthra- 
eit. Da Berthelot gezeigt hat, dass in der von Brodie beobachteten Bil- 
dung von Graphonsäure nicht nur ein sicheres Erkennungsmittel für äch- 
ten Graphit, sondern auch eine Methode gegeben ist, um die verschiedenen 
Graphitsorten, natürlichen Graphit, Hochofengraphit, elektrischen Graphit 
von einander zu unterscheiden: so wurden vom steierschen Graphit 8 
Gramm des nach einander mit Salzsäure, Flusssäure, Königswasser und 
Schwefelsäure behandelten mit 40 Gramm chlorsauren Kalis innig ge- 
mengt und nach Zusetzen concentrirter Salpetersäure nach der von Brodie 
angegebenen Methode behandelt, Man erhielt fein pulverige, beim Erhit- 
zen sich heftig zersetzende Graphonsäure ganz wie aus böhmischem Gra- 
phit und keine Spur von braunfärbenden Humussubstanzen, welche nord- 
amerikanischer Anthraeit schon nach einigen Stunden reichlich lieferte. 
Demnach ist dieser steiersche Graphit ein ächter und kein anthraeitischer, 
Er lagert nach H. Wolf in den silurischen Schiefern und nicht in krystal- 
linischen, da jedoch diese Schiefer keine Petrefakteu liefern, so müssen 
sie vorläufig noch zu den krystallinischen gestellt werden, Miller in 
Leoben hat nun die Begräuzung der anthracitführenden silurischen Grau- 
wacke und der graphitführenden krystallinischen Schiefer ermittelt und da- 
mit die Frage auch vom geognostischen Standpunkte entschieden. — 
(Ebda 114— 117.) 

V. R,v. Zepharovich, der Diaphorit von Pribram und der 
Freieslebenit. — Das seither als Freieslebenit bestimmte Mineral von 
Pribram stimmt in chemischer Zusammensetzung, Härte, Glanz und Farbe 
ganz mit dem Freieslebenit von Freiberg in Sachsen überein und konnte 
die krystallographische Untersuchung bisher wegen Unvollkommenheit der 
Krystalle nieht ausgeführt werden. Verf. unternahm dieselbe an 20 Kry- 
stallen der Prager und Wiener Museen und fand, dass das Pribramer Mi- 
neral rhombisch ist, während der Freiberger Freieslebenit entschieden 
monoklinisch ist. Es liegt also ein Fall von Dimorphie vor und erhielt 
das Pribramer Mineral mit 5,90 spec. Gew. (der Freieslebenit hat 6,53 
spec. Gew.) den Namen Diaphorit. An den gemessenen Krystallen, welche 
durch ähnliche Flächenneigungen eine Formverwandtschaft mit Freieslebe- 
nit zeigen und oft mit monoklinem Habitus erscheinen, wurden 23 Flä- 
chen beobachtet und für die nicht ausgebildete Grundpyramide das Ach- 
senverhältniss a:b:c=1:0,4919: 0,7344 ermittelt. — (Ebda 124.) 

J. Niedzwiedzki, Trinkerit von Gams bei Hieflau in 
Steiermark, — Dieses Harz aus den Kohlenablagerungen der Gosau- 
formation bildet" ovale und gestreckte Knollen bis 2 Kubikzoll Grösse in 
einem schwarzgrauen Mergel, der ganz von kohligen Theilen imprägnirt 
ist und sich blätitrig absondert. Die Knollen sind lederbraun, matt, mit 
einer dünnen, scharf geschiedenen Rinde überzogen. Das Harz selbst ist 
gelblich- oder vöthlichbraun, an den Kanten stark durchscheinend, hat 


197 


Fettglanz und flachmuschligen Bruch, Härte des Steinsalzes und 1,052 
spec. Gew. Die Analyse stimmt mit der des Trinkerit von Carpano in 
Indien überein, nämlich 81,9 C, 10,9 H, 4,15 und 3,10, also eine Ueber- 
einstimmung wie sie bei Harzen nur selten beobachtet wird. Dass er bei 
Gams im Mergel, bei Carpano in der Kohle vorkömmt, hebt den Unter- 
schied des Vorkommens zwischen Trinkerit und Tasmanit theilweise auf, 
so dass nur das Verhalten gegen das Benzol als Unterscheidungsmerk- 
mal in dieser kleinen Gruppe schwefelhaltiger Harze bleibt. — (Ebda 132.) 

Palaeoniologie. H. Woodward, neuer Eurypterus von 
Perton in Herefordshire. — Von den Exemplaren dieser neuen Art 
ist eines fast vollständig erhalten 23/, lang und 10° im Thorax breit. 
Der Kopf ist halbkreisförmig 4 lang und 9 breit, die Augen subcen- 
tral, die Ocellen dazwischen. Die ersten Brustringe haben noch die Breite 
des Kopfes, die hinteren werden schmäler und länger, in den 6 Abdo- 
minalringen spitzt sich der Körper zu, ein 7° langer Schwanzstachel 
bildet das Ende. Das erste Paar Schwimmfüsse ist erhalten, gegliederte 
Taster finden sich zahlreich isolirt und nicht ansitzend. Die Art soll Eu. 
Brodiei heissen. — (Quarterl. Journ. Geolog. 1871. XXVII. 261—263 


u. Fig.) 
Em. Cornalia, Mammiferes fossiles de Lombardie. (ar- 
nivores, Rongeurs, Ruminants. Milan 1858—71 Fol. 28 pll. — Diese 


schätzenswerthe Monographie beginnt die zweite Serie von Stoppanis Pa- 
leontologie Lombarde und wird dieselbe die fossilen Wirbelthiere der Lom- 
bardei behandeln. Der Inhalt dieses ersten Theiles beschäftigt sich ein- 
gehend mit den drei auf dem Titel genannten Säugethiergruppen. Fossil- 
reste vom Menschen und Affen wurden in der Lombardei noch nicht 
gefunden, Chiropterenknochen nur von noch jetzt lebenden Arten in der 
Höhle bei Rovenna am Comersee und bei Laglio, von Insektivoren kom- 
men in erster Höhle Erinaceus fossilis, Sorex fodiens und Talpa europaea 
vor. Anders mit den Carnivoren, sie waren während der Diluvialepoche 
zahlreicher vertreten als gegenwärtig. Verf, schildert zunächst ihre wich- 
tigsten Lagerstätten, nämlich die Knochenhöhlen von Laglio und Lev- 
rauche. Sehr häufig sind darin die Reste von Ursus spelaeus, welche 
Verf. speciell beschreibt. Die früher auf einen Kieferast sich stütlzende 
Angabe von dem Vorkommen des Ursus arctoideus wird jetzt als fraglich 
hingestellt. Meles Taxus die lebende Art findet sich nur in der Höhle 
von Levrange, ebenso Canis lupus fossilis, von €. familiaris fossilis wird 
nur ein Eckzahn von Varese angeführt, C. vulpes fossilis in der Höhle 
von Legrange, Mustela martes bei Rovenna, ferner Putorius antiquus, 
Die Nager sind vertreten durch Arctomys marmotta, in Deutschland be- 
kanntlich auch wiederholt gefunden, durch Mus rattus fossilis, M. muscu- 
lus, Arvicola agrestis, Lepus diluvianus, Castor fiber fossilis im Torflager 
von Leffe uud in den Höhlen. Die Wiederkäuer geben Veranlassung zu 
umfassenderen Untersuchungen, Reste von Hirschen kommen vor in den 
Torflagern und Alluvionen, in den Sanden des Po und dessen Zuflüssen. 
Cervus alces, Cervus euryceros, C, elaphus, C. dama, C. capreolus wer- 
den ausführlich besprochen, ihnen als neue Arten hinzugefügt: €. oro- 


198 


bius (C. Breislacki) Bals. in den Ligniten von Leffe auf einen Schädel, 
C. affınis nach einem rechten Unterkieferaste von ebenda, C, pachyceros 
nach einem fragmentären Geweih von S. Colombano in der lombardischen 
Ebene und sehr fraglich. Ziegenknochen kommen vereinzelt hier und da 
vor. Häufiger und ungleich interessanter sind die Vorkommnisse von Bos, 
welche Verf. vertheilt an B. priseus, B. primigenius, B, brachyceros, B. 
trochoceros. — Wir müssen unserer besonderen Freude über den Fortgang 
der Stoppanischen Paläoutologie und der Theilnahme Cornalias an dersel- 
ben Ausdruck geben, indem durch dieselbe die lange Zeit vernachlässigte 
Paläontologie Italiens in nachdrücklicher Weise gefördert wird. 

Botanik. G. Maas, Rubus glaucovirens neue Magde 
burgische Brombeere. — Diese durch ihre auffallend schmalen und 
langen Blumenblätter von den andern Arten der Magdeburger Flora leicht 
zu unterscheidende Brombeere steht in dem Waldbezirke des Alvensleben- 
schen Höhenzuges und steht R. Schleicheri zunächst, die ebenfalls in der 
Magdeburger Flora vorkömmt. Verf, charakterisirt die Art also: Schöss- 
ling bogenförmig niederliegend, rundlich stumpfkantig mit gleichförmigen 
graden wenig geneigten, etwas schwachen zerstreuten Stacheln, zahlrei- 
chen Stieldrüsen und mit Borstenhaaren, Blätter desselben 3 bis özählig, 
oberseits fast kahl, schmutzig dunkelgrün, unterseits schimmernd kurz- 
haarig, graugrün. Endblätter verkehrt eiförmig, mit aufgeselzter kurz 
lanzettlicher Spitze und schwach herzförmiger Basis. Seitenblättchen kurz 
gestielt. Nebenblätter schmal lineal, ziemlich hoch am Blattstiel entsprin- 
gend. Rispe zusammengesetzt, an der Spitze fast ebensträussig, die 3—4 
untern Aeste achselständig, aufrecht abstehend. Rispenachse hin und her- 
gebogen ebenso wie die die Blühtenstiele dicht kurzhaarig mit zerstreu- 
ten geraden dünnen Stacheln und zahlreichen Stieldrüsen besetzt. Blätter 
der Blühtenzweige und untere Deckblätter dreizählig. Kelche von dichten 
Sternhaaren graufilzig, zurückgeschlagen , drüsig und kurzstachelig. Blu- 
menblätter aufgerichtet, schmallänglich, weiss mit röthlichem Anfluge, aus- 
sen behaart. Staubgefässe ausgebreitet, nach der Blühte aufrecht, etwas 
länger als die Griffel. Fruchtknoten kahl. Früchte schwarz, klein, wenig 
fleischig; Einzelfrüchte zahlreich, oft ungleich reifend. — (Verhandl. 
Brandenburger bolan. Verein XIII. 162—163.) 

A. Braun, abnorme Bildung von Adventivknospen am 
krautartigen Stengel von Calliopsis tinctoria DC. — Zweige 
dieser einjährigen Zierpflanze aus Arkansas waren reichlich mit Knöspchen 
in verschiedenen Entwicklungsstadien besetzt. Sie gehörten der gewöhn- 
lichen Spielart mit zweifarbigen Zungenblümchen und einer andern mit 
fast einförmig braunen an. Die Samen beider waren von Erfurt als Co- 
reopsis bicolor pyramidalis und C. brunnea compacta bezogen. Eine alte 
im Berliner Garten eultivirte Calliopsis zeigt keine Spur von abnormer Bil- 
dung, aber auf andern Beeten fand Br. zahlreiehe Exemplare mit Adven- 
tivknospen und scheint hier eine neue erblich gewordene Monstrosität vor- 
zuliegen. Calliopsis tinctoria ist schon im normalen Zustande eine spross- 
reiche Pflanze. Bis zum letzten Blattpaare unter den Blühtenköopfchen 
erzeugt sie in jeder Blattachsel ein bis drei Sprosse, bei zweien steht der 


199 


accessorische bald über bald unter dem primären, bei dreien steht ein 
aceessorischer über und einer unter dem primären. Die accessorischen 
Sprosse sind dem primären gleichwerthig und endigen wie dieser mit 
einem Blühtenköpfchen, doch entwickeln sie sich später und verkümmern 
oft. Alle achselständigen Zweige haben eine aufrecht abstehende Rich- 
tung zur relativen Hauptachse. Ganz anders verhalten sich die Adventiv- 
sprosse, sie trelen an allen Theilen der Internodien auf, bisweilen in der 
obern Hälfte des Internodiums zahlreicher, zeigen auch keine regelmäs- 
sige Anordnung, keine bestimmte Zeitfolge ihrer Entfaltung. Bei zweig- 
artiger Verlängerung stehen sie meist rechtwinklig von der Stammachse 
ab oder sind srIbst rückwärts abgebogen. Zuweilen finden sich an einem 
Internodium nur 10— 12, meist jedoch viel mehr, an einem 7° langen 
Gliede zählt Br. 300, in einzelnen Fällen über 1000, wobei freilich die 
meisten unentwickelt, nur braune Warzen bleiben. Bei geringer Anzahl 
zeigt der Stengel keine merkliche Veränderung, die Blühten entwickeln 
sich und die Früchte reifen, aber bei sehr grosser Anzahl der Adventiv- 
knospen und dichter Zusammendrängung derselben wird das Läugenwachs- 
thum der Internodien gehemmt und die Dicke nimmt zu. Sie schwellen 
dann an, verkrümmen sich, oft hakenförmig, Schnörkel bildend, schlangen- 
oder knäuelförmig. Solch monströse Spitzen werden zuweilen vor der 
Zeit braun und sterben ab. Auffallend erscheint die Verkürzung des letz- 
ten Stengelgliedes unter dem Blühtenköpfehen, wenn dasselbe stark mit 
Adventivknospen besetzt ist. Solch starke Entwicklung ist krankhaft, eine 
wahre Knospensucht, welche Blühten - und Fruchtbildung stört, die zun- 
genförmigen Kronen der Strahlenblühten sind kürzer, die Achenen in ge- 
ringer Zahl vorhanden. Die Blätter solcher Exemplare sind meist frei von 
derartigen Gebilden, doch kommen auch an ihnen Adventivknöspchen vor. 
Die aus Adventivknospen entwickelten Sprosse wiederholen die abnorme 
Producetivität dr Mutterpflanze gewöhnlich nicht. Die Knospen selbst 
zeigen eine erstaunliche Manichfaltigkeit schon an ein und derselben 
Pflanze. Ihre ersten Anfäuge sind kreisrunde oder ovale, wenig erhabene 
braune Höckerchen, vereinzelte oder in Längsreihen geordnete, bald auf 
den gelblichen Streifen des Stengels. Zuweilen tragen sie in der Mitte 
einen nabelartigen Höcker oder wachsen in pfriemenförmige Fortsätze aus, 
die Stacheln und Ranken gleichen. Andere Höcker sind mit kleinen Wärz- 
chen den Anfängen der Blatibildung besetzt, sehen fast wie Sphärien ans. 
Die Höcker werden zu deutlichen Knöspchen und lassen zahlreiche schup- 
penartige Blattgebilde erkennen, die meist braun mit hellröthlichen Rän- 
dern oder schmutziggrün mit weisslichen Rände:n sind. Man könnte diese 
Blätter für Niederblätter halten, in Wahrheit aber sind sie Hüllblätter von 
Blühtenköpfehen. In diesem Zustande erhalten die Knöspchen fast kuge- 
lige Gestalt, gleichen kurzzackigen Rosetten. schuppigen Zwiebelchen oder 
kammartigen Wülsten. Bei manchen Knöspchen entwickelt sich das erste 
Blatt seltner 2 bis 3 laubartig in eine ungetheilte Spreite. Solche Laub- 
blätter schienen oft unmittelbar aus dem Stengel der Mutterpflanze her- 
vorzuwachsen, gehören aber einem wenig bemerkbaren Höcker an. Wenn 
viele Knöspchen solche Laubblätter entwickeln, erscheint das ganze Inter- 


200 


nodium wie mit einem dichten grünen Rasen überzogen. Die sich weiter 
ausbildenden Sprösschen stellen meist nur ein gestieltes Blühtenköpfehen 
dar, dem wenige kleine Blätter vorausgehen, Diese ersten Hochblätter 
sind meist schmäler und länger als die folgenden, welche die äussere 
Hülle des Köpfchens bilden. Im einfachsten Falle gehen den Köpfchen 
nur 2 Blätter voraus in medianer Stellung am Grunde des Stieles, ihnen 
gesellen sich roch ein Paar seitlicher oft grundständiger Blätter bei. In 
solehen Fällen erscheint der Stiel des Köpfchens fast völlig nackt, in an- 
dern treten melhrre Blätter auf. Im Anfange sehen diese senkrecht auf 
dem Mutterstamme aufsitzenden Sprösschen fast wie kleine Hutpilze aus. 
Das entwickelte Blühtenköpfehen zeigt oft ganz normal 8 innere und 8 
äussere Hüllblätter und 8 Strahlblümchen, ist aber meist in allen Theilen 
kleiner als die Köpfchen der Mutterpflanze. Oft giebt es 2 und mehrköp- 
fire Stiele durch Zusammenfliessen. Die vollkommene, aber seltenste Aus- 
bildung der Adventivknospen zeigt kräftige mit zahlreichen Laubblättern 
besetzte Sprosse, von denen bisweilen achselständige Zweige erscheinen, 
welehe Blühtenköpfehen tragen. Die Entwicklung der Blühten beginnt 
meist erst, wenn die Köpfchen der Mutterpflauze abgeblüht haben oder 
gleichzeitig mit deren Abblühen. Verf. kennt keinen Fall im Pflanzen- 
reiche, der diesem von Calliopsis völlig entspräche. Zunächst ist das von 
Bernhardi eultivirte Chelidonium majus laciniatum zu vergleichen, an dem 
jedoch die Sprossbildung auf die Blätter beschränkt schien und bei Wei- 
tem nicht die Manichfaltigkeit von Calliopsis vorkam. Ferner erinnert 
er an die von Martins beschriebene Begonia phyllomaniaca, deren angeb- 
liche adventive Blattbildung vielleicht in einer adventiven Sprossbildung 
ihre Erklärung findet, aber die Pflanze ist weder einjährig noch krautartig 
sondern schliesst sich den Saft- und Holzgewächsen an. Bei Holzgewäch- 
sen werden adventive Knospenbildungen durch äussere Verletzung und so- 
genannte Stockausschläge veranlasst, an einjährigen noch beblätterten 
Trieben sind sie nicht bekannt, nur von Lonicera beobachtete Br. selbst 
Adventivknospen, an einem Schösslinge in der ganzen Länge mehrer In- 
ternodien wohl 300, aber der Schössling hatte die Blätter bereits verloren, 
die Knöspchen sind alle unentwickelt, es ist also ein einjähriger im Win- 
ter nach seiner Bildung gebrochener Tıieb, der ein krankhaftes Ansehen 
hat. Er hat 5 Internodien, darunter ein Knoten mit Ueberresten entwickel- 
ter Zweige als Gränze des Jahrestriebes. Die beiden untern Internodien 
sind von ungewöhnlicher Dieke nnd zwischen beiden findet sich eine knie- 
arlige Biegung. Die Quirle sind vierzählig, nur der oberste dreizählig, 
die vier Glieder des zweiten Quirls von oben etwas verschoben und zei- 
gen je 2 Knospen übereinander, am dritten Quirl von oben zeigen sich 
ausser den achselständigen Knospenpaaren noch weitere Knospen, am 
vierten Quirl ist die Menge der zwischenligenden Knospen sehr gross, noch 
grösser am fünften Quirl. Verf. empfiehlt diese Fälle der aufmerksamen 
Beobachtung, wegen der Wichtigkeit für die Theorie der Sprossbildung. 
Die ana'omischen Verhältnisse der Adventivknospen von Calliopsis 
tinetoria untersuchte P. Magnus. Er bestältigt, dass dieselben völlig 
oberflächliche Sprossungen sind, dass sie nicht im Innern der Gewebe in 


201 


der Nähe der Gefässbündel sich bilden. Die Epidermis des Stammes setzt 
sich ununterbrochen in der Adventivsprosse fort, Gefässbündel treten zu- 
nächst iu der primären Rinde ausserhalb der den Gefässbündelring von 
Calliopsis aussen umgebenden Schutzscheide auf, aus Längstheilungen des 
Rindenparenchyms hervorgehend. Diese verlaufen in der primären Rinde 
parallel den Längslinien, in welchen die adventiven Sprosse auftreten. Von 
ihnen aus bildet sieh das Gefässbündelsystem des einzelnen Adventivspros- 
ses aus. Diesen oberflächlichen Adventivsprossen sind an die Seite zu 
stellen die Knospenbildungen welche Pringsheim an Utriceulavia beschrieb, 
worüber wir berichteten, besonders sind die Ranken mitten am Interno- 
dium analog. Während die meisten Sprossen bei Calliopsis bald Blühten- 
köpfehen anlegen oder seltener Laubblätter tragende Zweige bilden, zei- 
gen sich an den .obern Theilen vieler Stöcke zweierlei andere blattlose 
Formen, die einen als lange oder kurze, kammförmige scharfkantige 
Längsleisten , die andern mit spreublattartiger Ausbildung. Sie haben die 
Gestalt langer pfriemlicher Zipfel unten rund, oben platt gedrückt, beide 
Theile continuirlich in einander übergehend. Einzelne Adventivknospen 
entwickeln nur ein einziges grosses Blatt, an dessen Grunde deutlich die 
Kuospe steht, welcher es angehört. Magnus zieht noch analoge Fälle 
zur Vergleichung. — (Ebda 151—161.) 

J.E.Dubus beschreibt neue oder wenig bekannte exotische 
Cryptogamen WAfrikas: Sphagnum africanum D, Polytrichum ango- 
lense, P. elegans, Bryum viridescens, Br. spongiosum, Br. angolense, Br. 
Welwitschi, Br. huilense, Campylopus seincoideus, C. montanus, C. aethiops, 
C. horridus, Fissidens Welwitschi, F. macrophyllus, F. glaueissimus, F. 
Jasyphus, F. longidens, F. angolensis, Pottia compacta, P. gymnostomoi- 
des, Trematodon intermedium, Tr. angolense. Alle wurden von Welwitsch 
in den portugiesischen Besitzungen an der WKüste Afrikas gesammelt und 
wird Verf. später, auch die neuen pleurocarpischen Moose noch beschrei- 


ben. Besonders in Angola und Benguela hielt sich der Reisende von 
1854—1860 auf und sammelte von der Küste bis ins Innere, wo theils 
bewaldete theils rauhe felsige Gebirge herrschen. — (Mem. soc. phys. 


Geneve XXI. 215—223. 4 Tbb.) 

BZioologie. K. Moebius, wo kommt die Nahrung für die 
Tiefseethiere her? — Die seit 1%18 durch J. Ross in der Baffinsbai 
begonnenen und in neuer Zeit besonders ausgedehnten Tiefseeforschungen 
haben ergeben, dass der Meeresgrund bis 3000 Faden Tiefe aus feinem 
klebrigen Schlamme besteht, in welchem zahllose Thiere verschiedeuer 
Klassen leben, während Pflanzen darin fehlen. Deshalb nimmt Wallich 
an, dass die Rhizopoden der Tiefsee die Fähigkeit haben aus dem umge- 
benden Medium die elementaren Bestandiheile ihres Körpers abscheiden 
zu können. Diese Fähigkeit besitzen aber nur die chlorophyllhaltigen Or- 
ganismen und Thompson, Carpenter und Jeffreys nehmen daher an, dass 
das von den Pflanzen und Thieren an der Oberfläche des Meeres erzeugte 
Protoplasma durch die ganze Masse des Meerwassers sich verbreite und 
den Tiefseethieren zur Nahrung diene. Bis 700 Faden Tiefe sind stick- 
stoffhaltige organische Massen im Meerwasser noch durch chemische Rea- 


202 


gentien nachgewiesen, aber mikroskopisch noch nicht bestättigt worden. 
Jeffgeys lässt die zersetzte organische Masse am Grunde von niederge- 
sunkenen Thieren herrühren, ebenso Maury, nach dem der Meeresgrund 
erfüllt ist von aufgelösten organischen Stoffen. Diese Thatsache bestättigte 
Wallich, indem er an Stellen, wo keine Foraminiferen leben, eine bis 1’ 
starke Schieht organischen Absatzes fand. Verf. führt noch einen andern 
Weg an, auf welchem Massen organischer besonders pflanzlicher Nahrungs- 
stoffe in die Tiefe gelangen. Er theilt die Regionen der Kieler Bucht in 
die Regionen des sandigen Strandes, des grünen Sergrases, des abge- 
storbenen vermodernden Seegrases, der rothen Algen und des schwarzen 
Schlammes. Die Regionen der lebenden und vermodernden Pflanzen nehmen 
die schmalen Böschungen ein, die von beiden Ufern nach der Tiefe ein- 
fallen. Der schwarze Schlamm ist eine breiige Masse, die den breiten 
Tieftheil des Buchtthales als mächtige Schicht erfüllt. Die Oberfläche der 
Schlammmasse ist eine gegen die Oeffnung der Bucht schwach geneigte 
Ebene, sie sinkt von 6 Faden bei der Stadt allmählig auf 2 Meilen Länge 
in 10 Faden Tiefe. Die Regelmässigkeit der Ebene dieser Schicht entsteht 
dadurch, dass fortwährend von den beiderseitigen Böschungen Sinkstoffe 
herabkommen. Die in höhern Regionen wachsenden Pflanzen sinken ab- 
sterbend zu Boden, zerfallen und gleiten fort und fort in die grösste Tiefe 
hinab. Diese organische Masse, in der das Mikroskop die Zellen, Jod und 
Schwefelsäure die Cellulose erkennen lassen, macht die Schlammasse für 
eine grosse Anzahl von Thieren bewohnbar. Aehnliches muss sich in allen 
Meeren wiederholen. In den flachen Regionen au den Continenten und 
Inseln wachsen überall Massen von Algen; in warmen Meeren giebt es 
ungeheure schwimmende Sargassowiesen, nur ein kleiner Theil dieser 
‚Pflanzen wird direct von Thieren verzehrt oder ans Land geworfen, die 
meisten sterben ab, sinken nieder und zerfallen in eine weiche Masse, 
welche Wallich noch in 500 Faden Tiefe nachwies. Mit den sinkenden 
organischen Stoffen mischen sich natürlich Reste von Schalthieren und feine 
unorganische Bodenbestandtheile der höhern Regionen. Dieses Schlamm- 
gemisch muss sich auf dem abhängigen Meeresboden in der Nähe der 
Küste so lange aus rein mechanischen Ursachen nach der Tiefe hinab- 
bewegen, bis die Schwere und Adhäsion der einzelnen Theile unter ein- 
ander dem Drucke der von oben her nachfolgenden Massen so viel Wider- 
stand leisten, dass Gleichgewicht eintritt. Verf. prüfte diese Verhältnisse 
in zwei rechteckigen Aquarien und erkannte, dass mechanische, thermische 
und lebendige Kräfte zusammenwirken, um die Fortbewegung organischer 
Stoffe aus höhern Regionen nach den tiefern auszuführen. Wenn in höhern 
Regionen der Grund erwärmt wird, nimmt das Volumen der Bodenbestand- 
theile zu und in Folge dieser Ausdehnung wird die Masse nach unten 
geschoben. Tritt obere Abkühlung ein, so erfolgt Verdichtung und in 
Folge dieser drängt das schwere Wasser nach unten und bringt das dor- 
tigere leichtere in Bewegung , wobei der Strom organische Theile mit sich 
führt. Schwankungen im Gleichgewicht des Wassers und die Thätigkeit 
der lebenden Thiere erhält die Bestandtheile der cberflächlichen Boden- 
schicht locker und in steter Bewegung. Wie im Aquarium, so auch im 


203 


Meere und der Ausdehnung dieses entsprechend ist auch die Summe ‚der 
Kräfte ins Ungeheure gesteigert. Klafterhoch werden todte Pflanzen, Scha- 
lentrümmer und Sand angehäuft. Fluth und Ebbe und Winde erhalten 
die obern Wasserschichten in steler Bewegung und versetzen die Tiefen 
in Schwankungen. Der Temperaturwechsel zwischen Tag und Nacht, der 
Witterungs- und Jahreszeitenwechsel verursachen Ausdehnungen und Ver- 
sehiebungen der Bodenbestandtheile. Messungen in der Emsmündung bei 
Bockum ergaben am 10. Septbr. 1869 bis 13 Faden Tiefe 130 R., vom 
13. Septbr. sank die Temperatur so, dass fast an jedem folgenden Tage 
die Oberfläche !/,° kälter war als die Grundschicht, bis am 25. Deebr, in 
7 Faden Tiefe nur noch 1°, an der Oberfläche 1/,0 Wärme war. Gefriert 
das Meerwasser, so steht seine Temperatur auf — 2° R. Mit Abnahme 
der Temperatur wächst die Dichte des Meerwassers und es tritt Sinkung 
ein bis alle Wasserschichten eine gleich niedrige Temperatur haben. Die 
neuern Beobachtungen des Golfstromes haben die Grösse und den Einfluss 
des Temperaturwechsels besonders klar gemacht. So ist die Anwesenheit 
der organischen und besonders der vegetabilischen Stoffe zur Erhaltung 
eines reichen thierischen Lebens in der Meerestiefe kein Räthsel mehr, 
sondern giebt sich ganz natürlich. — (Zeitschr. f. wiss. Zool. XXI. 
294 : 304.) 

K. Sumpf, über eine neue Bomolochidengattung nebst 
Bemerkungen über die Mundwerkzeuge der sogenannten Poecilostomen. 
(Inauguraldissert. Hildesheim 1871. 8%. 32 S. 2 Tff.) — Verf, untersuchte 
einige Spiritusexemplare dieser neuen Form von den Kiemen des Carcha- 
rias lamia und nennt dieselbe Taeniacanthus Carchariae. Sie erinnert zu- 
nächst an Pagodina durch Grösse des Kopfes und Thorax bei fast rudi- 
mentärem Hinterleibe, aber die Mundtheile und andere Verhältnisse ent- 
fernen sie von den Siphonostomen und verweisen sie zu den Ergasiliden 
neben Bomolochus und Eucanthus. Der Körper besteht aus 10 Abschnit- 
ten, der erste ist aus Kopf und erstem Brustring verschmolzen, ihm fol- 
gen 4 Brust- und dann 5 Abdominalsegmente. Der Kopf ist der grösste 
Körpertheil, vorn flach abgerundet, die 3 ersten Brustringe stark aufge- 
trieben, der letzte rudimentär, das erste Abdominalsegment des Weibchens 
grösser als die folgenden, welche schnell an Grösse abnehmen, das letzte 
sehr schmal und lang mit Gabelglied und 2 langen Borsten. Körperlänge 
2,4 Mm. An der Unterseite des Kopfes die vordern Fühler neben einem 
Vorsprunge, 4Agliedrig, die hintern Fühler dreigliedrige Klammerorgane, 
Der Mund ist mit einer zurückschlagbaren Oberlippe versehen, die Man- 
dibeln mit ovalem Basalstück und zwei Zähne Iragendem Fortsatz, die ru- 
dimentäre Maxille mit 2 langen, dicht grannlirten Borsten. Das 1. Paar 
Kaufüsse stielelförmig, die beiden hinteren Paare vierseitige Platten mit 
Sichelhaken. Das 1. Fusspaar am breiten Basalstück mit zwei zweiglied- 
rigen Aesten und mit Hebel- und Netzapparat, den Verf. näher beschreibt. 
Augen scheinen zu fehlen. Die Brustfüsse sind zweiästige Ruderfüsse, 
deren innere Aeste mit 3 starken Krallen enden, alle Glieder mit befieder- 
ten Borsten. Der letzie Brustring mit rudimentären Füssen. — Thorell 
trennt als Poeeilostomen von den übrigen Copepoden die Gattungen ohne 

Zeitschr. f. d. ges. Naturwiss. Bd. XXXVIII, 1871. 14 


204 


Mandibeln und mit 3—1 Paar Maxillen oder ohne solche und sondert diese 
Gruppe in 8 Familien. Nach Claus sind jedoch die Mandibeln als spitze 
sichelförmige Stechhaken oder als gerade von einer Saugröhre umschlos- 
sene Stilete vorhanden. Thorells erste Maxille ist nach Claus ein der 
Mandibel homologes Organ und Thorells Maxillartaster die Maxillen Claus ! 
Clapartde glaubt, dass die Mundtheile in ein Stück verschmolzen seien, 
indem er irrthümlich die Oberlippe für die verwachsenen Mandibeln hält. 
Gegen Thorell trat auch Gerstäcker auf und Verf. giebt nähere Widerle- 
gung. Monstrilla hat keine Mandibeln und überhaupt keine Mundtheile, 
von Miraeia und Doridicola sind dieselben noch unbekannt, von den übri- 
gen Formen hat sie Claus beschrieben; Verf. untersuchte sie von Cory- 
caeus germanus, Sapphirina fulgens, Lichomolgus albens und Ergasilus 
esocis beschreibt und bildet sie ab, womit die Thorellsche Auffassung 
als irrthümlich widerlegt ist. A 

C. Heller, Untersuchungen über dieCrustaceen Tyrols. 
— Von den Decapoden kommen vor Astacus fluviatilis, A. saxatilis und 
Palaemonetes varians letzte nur im Gardasee, von Amphipoden nur Gam- 
marus pulex bis 5000° Meereshöhe, von Isopoden: Asellus aquatieus, Li- 
gidium Persooni, Trichoniseus riparius, Tr. Mengei, Philoscia muscorum, 
Oniscus murarius, Porcellio scaber, P. pietus, P. trivittatus, P: nemo- 
rensis, P. armadilloides, P. frontalis, Plathyarthrus Hofmannseggi, Arma- 
dillidium vulgare, von Branchiopoden nur Apus cancriformis bei Brixen, 
reicher sind die Copepoden und Ostracoden vertreten, obwohl Verf. erst 
die Umgegend von Innsbruck aufmerksam durchforschte, Für beide giebt 
er eine specielle Uebersicht mit Charakteristik der neuen und der minder 
bekannten Formen: Sie sind Cyelops elongatus, C, coronatus, C. tenui- 
eoruis, C. brevicaudatus, C. brevicornis, C. bieuspidatus, C. serratulatus, 
C. minutus, und ‘die beiden neuen Arten C. Clausi, C. Gredleri, ferner 
Canihoeamptus minutus and Diaptomus Castor. Von den Ostracoden führt 
er auf Notodromas monachus, Cypris pubera, €, fuscata, C. scutigera, 
C. punctata, C. ovum, C. vidua, ©. fasciata, C. ornata, Candona brachyura 
n. sp., C. eandida. Diese Ostracoden sind im einzelnen beschrieben, die 
neuen auf 2 Tff. abgebildet worden. 

K. Koch, AtypusSulzeri eine Würgspinne in Europa, — 
Während die Jagd- und Webespinnen über die ganze Erdoberfläche ver- 
breitet sind, beschränken die Würg- oder Tapezierspinnen ihr Vaterland 
auf die Tropen und angränzenden warmen Länder, nur vereinzelte kleine 
Formen gehen weiter nach Norden und höher im Gebirge hinauf. Allbe- 
kannt in den Sammlungen ist die riesige Vogelspinne aus tropischen Län- 
dern und an sie schliesst sich die europäische Würgspinne, die unter al- 
len Arten am weitesten nach Norden vorkömmt, aber wegen ihrer ver- 
steekten Lebensweise diesseits der Alpen nur von wenigen Forschern 
beobachtet wurde. Obwohl die Männchen viel seltner als die Weibehen 
sind, wurden doch gerade sie öfter gesehen, weil die Weibehen sich 
strenger verborgen halten, die Männehen aber während der Paarungszeit 
ihre nächtlichen Streifzüge nach den Weibchen weit ausdehnen. Hahn führt 
1831 die Art als Mordspinne auf, nachdem sie Sulzer schon als Aranea 


205 


picea, Walkenaer als Olietra picea und Latreille als Atypus Sulzeri be- 
schrieben hatte. Sie sollte sich an feuchten Orten aufhalten und über 
Italien, Frankreich, Schweiz und Deutschland verbreitet sein, K. fand sie 
jedoch nur an ganz trocknen sonnigen Grasrainen und auf sonnigen Berg- 
wiesen. Sie erreicht 23 Mm. Länge und 8 Mm. Dicke, hat relativ kurze 
Beine, ein breites schildförmiges Bruststück mit flachen Gruben: einen 
hohen Kopf mit starken langen Fresszangen, 8 kleine Augen und zwar 2 
grössere vorn dicht beisammen, und jederseits 3 kleine. Der dunkle Hin- 
terleib ist eiförmig, kurz sammetartig behaart mit erhabenem Längsfleck 
auf dem Rücken. Die beiden obern Spinnwarzen lang und dünn, die un- 
tern klein. Die Färbung ändert ab, einförmig dunkel schwarzbraun, an- 
dere mit dunklem Hinterleib und rothbraunem Thorax, noch andere rost- 
gelb, auch olivengrün mit Flecken und sogar mit fast weissem Vorderleibe; 
im Allgemeinen sind die Südländer grösser und dunkler, die des Nordens 
und Hochgebirges klein und hellfarbig — das Männchen erreicht höch- 
stens 16 Mm, Länge, hat einen schmalen kümmerlichen Hinterleib, längere 
Beine und Palpen als das Weib und ist stets dunkelbraun bis schwarz. 
Junge Thiere sind stets hell, vor der ersten Häutung weiss, später braun 
oder olivengrün mit violett schimmerndem Hinterleibe und zuletzt dunkel- 
braun. Beide Geschlechter bewohnen selbst gegrabene Erdgänge, horizon- 
tale an Grasrainen, die sie hinten senkrecht in die Tiefe fortführen, Die- 
selben werden mit einem dichten filzigen Gewebe austapeziert, das bei 
seiner Festigkeit sich ganz herausziehen lässt ohne zu zerreissen. An der 
Oefinung verlängert sich das Rohr horizontal oder schief über der Erde 
zwischen Gras und Moos oder aufgerichtet an Stengeln und Steinen, aber 
am Eingange durch diehte Gespinnstfäden verschlossen. Die Dimensionen 
der unterirdischen Röhre sind je nach Alter und Grösse der Spinnen ver- 
schieden, erreichen ausnahmsweise bis 42 Centim. Länge, meist jedoch nur 
18—24 Cm. Die Jungen bewohnen im Herbst die Röhre der?Mutter und 
wandern erst im Frühjahr aus, um eine eigene Röhre zu graben, die nur 
3 Cm. lang whd nicht weiter als eine Strieknadel dick ist. Nur unge- 
wöhnliche Störungen vermögen die Spinne ihre Wohnung zu verlassen und 
eine neue zu graben. — (Zoolog. Garten Oktob. 2839— 294.) 

W. Peters, Amphibien im Hochlande vonPeru. — Die von 
R. Abendroth gesammelten Amphibien sind 2 Schildkröten: Podocnemis 
unifilis und Chelys fimbriata, ferner Echsen: Hemidaetylus mabula, Gym- 
nodaetylus incertus n. sp., Polychrus marmoratus, Centropyx calcarata, 
Ameiva bifrontata n. sp., Chalcides Abendrothi n. sp. zugleich Typus 
eines neuen Subgenus Hapalolepis, Euprepes einetus, dann an Schlangen: 
Typhlops retieulatus, Stenostoma albifrons, Epierates cenchria, Homalo- 
eranion melanocephalum, Dromicus brevirostris (Dr. viperinus Günth), 
Liophis cobella, Herpetodryas oceipitalis, Ahaetulla nigromarginata, He* 
licops angulatus, Oxyrhopus petolarius, 0. trigeminus, O0. submarginatus 
n. sp., Leptognathus Catesbyi, Dipsas eenchon, D. annulata, Elaps annel- 
latus, endlich an Batrachiern: Siphonops annulatus, Rana affinis, Cysti- 
gnathus fuseus, Bufo marinus, Otilophus typhonius, .Hyla punctata (H. 
rhodoporus Gth), H. marmorata, H,. conirostris, H. aurantiaca und 


14* 


206 


Phyllomedusa bypochondrialis. — (Berliner Monatsberichte August. 
397—404.) 

W. Flemming, über die neue Gray’sche Hornschwamm- 
gattung Janthella — Fächerförmige Hornschwämme bestehend aus 
einem Fasergeflecht dicker Längs- und dünner Querrippen ohne Löcher 
überzogen mit einer die Maschen «rfüllenden Sarkode bilden die Gattung 
Janthella mit, J. flabelliformis, J. basta und J. Homei. Semper sammelte 
an deu Philippinen die J. basta, welche Verf. speciell untersuchte. Die 
Längsrippen bestehen wieder aus dünnen Fasern und wo von ihnen Quer- 
rippen abgehen, starren senkrechte spitzige Dornen hervor. Die schwarz- 
braune, die Fasern überrindende Sarkode setzt in Form einer dünnen 
Membran über die Maschıen hinweg und sind die Maschen mehr minder re- 
gelmässig viereckig. In Kalilauge gekocht wird die Färbung violet, die 
Fasern langsam erweicht und angegriffen, Membranen und Rindenmasse 
gelöst. Die von Gray nicht untersuchte mikroskopische Struktur ist höchst 
eigenthümlich. Schon unter mässiger Vergrösserung sehen die Horufa- 
sern wie geliegert aus und unter starker erkennt man viele violettrothe 
Zellen in der Substanz der Faserzellen eingebettet. Im Querschnitt er- 
scheint die Faser braungelblich, concentrisch geschichtet und zwischen 
den Schichten liegen die platt linsenförmigen Zellen, deren Natur unzwei- 
felhaft ist. Im Centrum der Faser liegt eine rosenrothe bis gelbröthliche 
körnige Masse als Achsenstrang, der nur an Knotenstellen hohl ist, aber 
in die Doruen hineintritt und bis zu deren Spitze fortsetz. Die Zellen 
sind so vertheilt, dass um das körnige Centrum zunächst ein dichter 
Haufen liegt und ein zweiter solcher wieder in der Peripherie der Faser 
und in der dunkeln Rindenmasse aber nicht in den Dornen. Zellen als 
Bestandtheile der Horufasern eines Schwammes waren seither nicht be- 
kannt und es frägt sich ob dieselben nicht wie A. Schmidt bei Spongia 
adriatica erkannte, parasitische einzellige Algen sind. Dagegen spricht 
zunächst ihre ungeheuerliche Menge, ihre eigenthümliche Lage zwischen 
den Lamellen, ihre gleichmässige Verbreitung durch affe Partien des 
Schwammes, von der dicken strunkigen Wurzel bis zum freien Rande, 
noch entschiedener aber das constante Fehlen in dem körnigen Achsen- 
gebilde und in den Dornen. Wie können auch fremde weiche Zellgebilde 
durch die äusserst harten Hornfasern hindurch (dafür sind Analoga vor- 
handen). Wie bei J. basta fand Fl. diese Struktur auch bei J. flabelli- 
formis des Leidener Museums aus australischen Gewässern. Die Struktur 
beider Arten ist zum Verwechseln ähnlich, nur sind die Zellen: der J. fla- 
helliformis mehr braunröthlich, gegen die Achse hin sehr blass, Rinden- 
masse und Membranen stark und diffus röthlich und enthalten als fremde 
Einscehlüsse Bruchstücke von Kieselnadeln, die innerhalb der Hornfasern 
ganz fehlen. — Die von Esper heschriebene Spongia basta, auf welche Gray 
sich bezieht, gehört jedenfalls einer andern Formengruppe an, Esper selbst 
unterscheidet sie schon von der Rumph’schen, Bruchstücke derselben im 
Würzburger und Amsterdamer Museum zeigen keine Analogie mit jenen 
seltsamen Fächerformen, sondern einen lockern Filz starrer unregelmässig 
verflochtener Hornfasern, von denen eine früher aufsitzende Zellenmasse 


207 


abmarcerirt ist und deutliche auf der Oberfläche mündende Kanäle, die 
Fasern sind concentrisch geschichtet aber ohne Zellen. Somit darf die 
Espersche Spongia basta nicht unter Janthella versetzt werden, sondern 
muss einen neuen Namen erhalten. Ueberhaupt aber weicht auch Jan- 
thella so sehr von allen Hornschwämmen in der mikroskopischen Struktur 
ab, dass sie nicht unter denselben verbleiben kann. Wohin? vermag Verf. 
nicht zu entscheiden. Mit den Gorgonien stimmt nur die Fächerform über- 
ein und schlägt Verf. vor, sie vorläufig noch als isolirte Gruppe bei den 
Spongien zu belassen, bis vollständigere Kenntniss der Schwammformen 
die Verwandtschaft aufklären. — (Würzburger Phys. medic. Verhandl. 
II. 1—7. Tf. 1.) 


1871. Correspondenzblatt VIII. 
des 


Naturwissenschaftlichen Vereines 
für die 
Provinz Sachsen und Thüringen 


Halle. 


Sitzung am 2. August. 


Anwesend 13 Mitglieder. 


Eingegangene Schriften: 

1. Noll, Dr., der Zoolog. Garten XII. Nr. 6. Frankfurt alM. 1871. 8°, 

R. Comitato geologico. d’Italia. Bolletino 5. 6. 1871. 8. 

3. Jahresbericht des Frankfurter Physikal. Vereins 1869— 1870. Frankf. 
1871. 

4. Stadelmann, Zeitschr. des landwirthschaftl. Centralvereins der Prov. 
Sachsen XXVIII. 7. 8°. 

5. Lan’gkavel Dr., Beschreibung der Südsee-Conchylien des Donum 
Bismarkianum. Berliner Schulprogramm 1871. 4%. Geschenk des Herrn 
Schubring. 


> 


Als neues Mitglied wird proclamirt: 

Herr Grul, Grubenbesitzer in Ober-Röblingen. 

Es wurde beschlossen mit der nächsten Sitzung die Verhandlungen 
des Sommersemesters zu schliessen. 

Herr Dr. Teuchert spricht über die eigenthümliche Erscheinung, 
dass, wenn man Dampf von 100° C. in Salzlösungen leitet, dieselben bis 
auf ihren Siedepunkt erhitzt werden, also weit über 100%. Dieselbe Er- 
scheinung tritt ein, wenn man statt Wasserdampf andere Dämpfe anwen- 
det, als Alkohol, Aether, Schwefelkohlenstoff etc. und müssen dann die 
Salze in demselben Lösungsmittel gelöst sein, dessen Dampf man anwen- 
det. Die Erscheinung erklärt sich leicht durch die latente Wärme der 
Dämpfe. Redner führt den Versuch vor, indem er mit Wasserdampf von 
100° C. Chlorealeiumlösung auf 120° und Salmiaklösung auf 110° erhitzt. 

Weiter legt derselbe eine neue Art von Photographien vor, sogenannte 
Emaille Photographien, wie dieselben bis jetzt nur vom Hofphotograph 
Haas in Berlin gefertigt werden. Dieselben fanden allgemeinen Beifall 
Die Art ihrer Verfertigung ist noch Geheimniss. b 

Herr Prof. Giebel berichtet Brandts Untersuchung über die Natur- 
geschichte des Elens s. S. 75. 


Ww 


20. 


209 


Sitzung am 9. August. 
Anwesend 17. Mitglieder. 
Eingegangene Schriften: 
Smithsonian Contributions to Knowledge. vol XVII. Washington 
1871. 2, 
Annual report of the board of regents of Smithsonian Institution for 


1869. Washington 1871. 8°. 

Report of the Commissioner of Agriculture for the year 1869. Wa- 
shington 1870. 89, 

The Water-Power of Maine by W. Wells, superintendent hydrogra- 
phie survey of Maine. Augusta 1869. 8°, 

F. V. Hayden, preliminary report of the United States geological 
Survey of Whoming and portions of contiguous territories. Washing- 
ton 1871. 8°, 


. E. T. Cox, first annual report of the geological survey of Indiana. 


Indianopolis 1869. 8°. Maps and colored section. 
Transactions of the Connecticut Academy of arts and sciences. Vol.l. 
2. vol. II. 1. Newhafen 1867—71. 8°. 


. The american naturalist, a popular illustrated magazine of natural 


history. IV. 3—12; V. 1. Salem 1870. 71. 8°. 
Fourth report of the Commissioner of Fisheries of the State of Maine 
fo the year 1870. Augusta 1870. 8, 


. Proceedings of the Academy of natural sciences of Philadelphia. 1870 


nro. 1—3. Philadelphia 1870. 8°. 


. Proceedings and Communications of the Essex Institute VI, 2. 1868 


1871. Salem 1871. 8°. 


. Bulletin of the Essex Institute 1870. II. 1—12. Saleın 1870. 8°, 
. Second and third annual reports of the Trustes of the Peaboedy 


Academy of sciences for the years 1869. 70. Salem 1871. 8°. 


. To—Day: a paper printed during the fair of the Essex Institute and 


Oratorio Society at Salem 1870 October— November 4°, 

A. S. Packard, record of american Entomologie for the year 1869. 
Salem 1870. 8°. 

Ed. W. Blyden, Appendix to B. Andersons Journey to Musadu. New 
York 1870. 8°. 


. W. T. Brigham, historical notice on the earthquakes of New England 


(Memoirs Boston Soc. II) 4°. 
Annals of the Lyceum of Natural History. New York 1870. Fol, 
21— 25. 


. Proceedings of the Boston Society of Natural History XIll. Boston 


1869. 70. 8°. 
M. Stransky, Grundzüge zur Analyse der Molecularbewegung 1. II. 
Brünn 1867. 71. 8°. 


Der Vorsitzende theilt mit, dass vom bernburger Geschäfts-Comite der 


7. und 8. Oktober für die diesjährige Generalversammlung in Bernburg in 


210 


Aussicht genommen sei und dass das nähere Programm seiner Zeit den 
Vereinsmitgliedern zur Kenntniss gebracht werden würde. 

Herr Prof. Taschenberg legt die zweite Hälfte von Mayr, „die 
mitteldeutschen Eichengallen in Wort und Bild‘ vor s. Bd. XXXVIl. 416. 

Herr Oberbergrath Dunker theilt Liebigs Ansicht über die Entste- 
hung verschiedener Krankheiten, besonders der Muscardine bei den Sei- 
denraupen in Italien und Frankreicli mit. Einige von Dr. Reichenbach ana. 
lysirte Blätter des Maulbeerbaumes aus Turkesian ergeben 3,4 — 3°/, Stick- 
stoff. Dort ist noch nie eine Krankheit unter den Raupen ausgebrochen, 
ebensowenig in Japan und China, wo die Blätter zwar weniger nahrungs- 
haltig sind, wie in Turkestan, wo man aber die Bäume hegt und pflegt, 
gleich den Obstbäumen bei uns. Ganz anders sind die Verhältnisse in 
Frankreich und Italien. Da werden die Maulbeerbäume wie Waldbäume 
ohne weitere Pflege gelassen, alljährlich das Laub ihnen entzogen und an 
die Seidenzüchter verkauft; das lassen sich die jungen, kräftigen Bäume 
wohl einige Zeit gefallen und ihr Laub bietet den Raupen gesunde Nalı- 
rung, die alten erzeugen aber ein ungesundes Futler und gehen schliess- 
lich ein. Die erste Generation aus importirten Grains war gesund, bei der 
zweilen stellten sich schon Krankheitserscheinungen ein und die Degene- 
ration wuchs mehr und mehr wie die Erfahrung gelehrt hat. Somit ent- 
stehen also jene Krankheitserscheinungen nach Liebig aus dem nicht hin- 
reichend nahrhaften Futter und dieses wieder ist eine Folge der schlecht 
gehaltenen Maulbeerbäume, 

Herr Dr. Köhler referirt zum Schluss die Untersuchungen Sonnen- 
scheins über die Verbindung des Arsens in der Natur und hebt daraus 
besonders hervor, dass die Stellvertreiung dieses Giftes für Phosphor, 
wichtiger noch in praktischer Hinsicht für Schwefel in Betracht käme. Er 
gelangt dadurch in das Wasser und manche Mineralwässer verdanken ihre 
Heilkräfte dem Arsenikgehalt, der in vielen Beziehungen wie Eisen wirkt. 
Ferner findet sich Arsen in den Knochen von Leichen doch nur dann, wie 
S. meint, wenn derselbe im Leben den Individuen beigebracht worden ist, 
namentlich hat es sich herausgestellt, dass ihn nur diejenigen Kuochen 
enthalten, welche in der nächsten Umgebung der Eingeweide liegen, also 
besonders die Beckenknochen, die oberen Enden der Oberschenkel, niemals 
die entfernteren. Weiter findet sich Arsen in derErde der Kirchhöfe, wie 
schon früher bekannt, S. hat jedoch die iuteressante Beobachtung ge- 
macht, dass hierzu das Bestreichen des Rauches und gasartiger Ausströ- 
mungen von benachbarten technischen Etablissemeuts von wesentlicher Be- 
einflussung sei. 


* Gebauer- Schwetschke’sche Buchdruckerei in Halle. 


Ueber den Einfluss der Windrichtung auf die 
Feuchtigkeit der Luft 


von 
Professor Suhle 
in Bernburg. 


Die Abhängigkeit der Feuchtigkeit der Atmosphäre von 
der Windrichtung ist durch Berechnung der hygrometrischen 
Werthe für die verschiedenen Windrichtungen bisher nur für 
wenige Orte festgestellt worden und Ja mir eine solche Be- 
rechnung für Bernburg vorliegt, so erlaube ich mir Ihre Auf- 
merksamkeit einige Augenblicke auf diesen Gegenstand zu 
lenken in der Absicht, die Resultate darzulegen, welche zum 
Theil abweichend von den bisherigen Ergebnissen aus den 
Beobachtungen der hiesigen Station gewonnen worden sind. 

Der Feuchtigkeitsgehalt der Atmosphäre ist seinen nume- 
rischen Werthen nach für die verschiedenen Windrichtungen 
in der atmischen Windrose zusammengestellt, welche zuerst 
durch Dove und zwar für London berechnet wurde. Das Re- 
sultat dieser Berechnung war, dass die Dampfspanunung sowohl 
im Mittel des Jahres als auch der Jahreszeiten am geringsten 
ist zwischen N und O, d. h. bei den der Entwickelung des 
Polarstromes entsprechenden Richtungen, bei S und SW dage- 
gen, d. h. bei den den ersten und mittleren Entwickelungen 
des Aequatorialstromes entsprechenden Richtungen, aın gröss- 
ten ist. Die Uebereinstimmung der Mittel der Jahreszeiten 
mit denen des Jahres war nach Kämtz’s Berechnung der atmi- 
schen Windrose für Halle so vollständig, dass dieser selbst 
deren Mittheilung für überflüssig hielt. Während das Resul- 
iat im Allgemeinen der Annahme über den Ursprung jener 
entgegengesetzten Luftströme entsprach und dem Doveschen 
Drehungsgesetze sonach als neuer Beleg diente, führte schon 

Zeitschr. f. d.ges. Naturwiss. Bd. XXXVIII, 1871. 15 


212 


die Berechnung der atmischen Windrose von Paris Kämtz zu 
der Annahme, dass das Maximum des Dampfgehaltes während 
des Sommers bedeutend östlich von Süden liege. Eine gleiche 
Verschiebung des Maximums nach Osten zeigte sich in der 
aus 15jährigen Mitteln berechneten Windrose für Arnstadt, in 
welcher der Dunstdruck für S Winde 5,44 beträgt und bei 
SO auf 5,59“ steigt, ebenso in der Windrose für Arys, in 
der der Dunstdruck von 4,72“ bei S auf 4,80“ bei SO und 
4,86 bei OWinden steigt und ein gleiches Resultat ergab die 
Berechnung für Bernburg. Bei WWinden beträgt die Dampf- 
spannung 4,25, wächst bei SW auf 4,35‘ bei S auf 4,53‘ und 
erreicht bei SOWinden mit 4,72“ das Maximum. Die Berech- 
nung der Curve ergiebt ein Verschieben des Maximums um 
360 nach O und diesem gegenüber nahe bei W ein Minimum. 
Wie wenig auch dies Ergebniss mit der anerkannten Thatsache 
übereinstimmte, dass bei SWWinden der Feuchtigkeitsgehalt 
der Luft am grössten sei, so nimmt doch Dove nicht Anstand, 
die Thatsacke, dass im Sommer das Minimum der atmischen 
Windrose auf W fällt, dass also die in der Luft als Dampf 
enthaltene Wassermenge bei westlichen Winden im Sommer 
die geringste ist, als eine zwar auffallende aber doch auf 
unserem Beobachlungsgebiet bestimmt hervortretende That- 
sache zu bezeichnen. In Uebereinstimmung befindet sich diese 
Verschiebung der atmischen Windrose für den Sommer mit 
derjenigen, welche die thermische Windrose für die gleiche 
Jahreszeit erfährt. Auch die Wärme ist im Sommer bei WWin- 
den die geringste und erreicht ihr Maximum bei SO und O- 
Winden. Für Bernburg wird das Maximum um 530 von S nach 
O verschoben, während das Minimum genau nach W fällt. Der 
Grund dieser Erscheinung wurde in dem verschiedenen Was- 
sergehalt der entgegengesetzten Luftströme gesucht. Die mit 
der Entwickelung des Aequatorialstromes im Sommer zuneh- 
mende Trübung des Himmels hindert die Sonnenstrahlung, so 
dass bei bedecktem Himmel die Wärme abnimmt, während 
mit der Entwickelung des Polarstromes der Himmel an Klar- 
heit gewinnt und mit der Intensität der Sonnenstrahlung bei 
heiterem Himmel die Wärme steigt. Der vorwiegende Dampf- 
gehalt der WWinde erklärte einfach das Herabdrücken der 
Temperatur für diese Windrichtung und gleichwohl ergab die 


213 


Berechnung der atınischen Windrose für dieselbe Windrichtung 
statt eines Maximums ein Minimum, 

Die hygrometrischen Werthe der Windrose lassen also 
den eigenen Charakter des Aequatorial- sowie des Polarstro- 
mes nicht hervorireten, vielmehr ist in dem Anschluss der 
atmischen Windrose an die thermische der Einfluss nicht zu 
verkennen, welchen die Temperatur der Atmosphäre auf de- 
ren Gehalt an Wasserdampf ausübt. Dieser Einfluss ist aber 
nicht der einzige, vielmehr ist der Feuchtigkeitsgehalt der 
Luft zugleich dadurch bestimmt, ob dieselbe auf ihrem Wege 
über einen flüssigen oder festen Boden zum Beobachtungsorte 
gelangt ist und dieser verschiedene Charakter des Aequatorial- 
und Polarstromes müsste auch in der atmischen Windrose des 
Sominers zum Ausdruck gelangen. In der That ergiebt nun 
die Berechnung der atmischen Windrose eine zweite Einbie- 
gung der Curve, welcher ein Minimum bei N 390 44° O 
entspricht, ein Maximum dagegen bei N 23059'W zugehört. 
Die Berechnungen der Station Bernburg, welche nur über Be- 
obachtungen von 5 Jahren ausgedehnt sind, möchten allein 
nicht genügen, diese Behauptung allgemein zu rechtfertigen, 
indessen lassen eine gleiche Einsenkung bei NO auch die Be- 
rechnungen anderer Stationen hervortrelen. Nach einem Stei- 
gen von W mit 4,34 auf NW mit 4,57 folgt in Arys ein 
Herabgehen der Curve auf 4,46; nachdem in Zechen der 
Dampfgehalt von W bis N von 4,55‘ auf 4,87 gestiegen ist, 
fällt derselbe auch hier bei NO auf 4,80‘ um dann wieder 
zu steigen. Auch die Beobachtungen der Station Mühlhausen 
lassen eine Einbiegung der Curve bei NO erkennen, so dass 
dieselbe doch nicht zufällig der Station Bernburg oder den 
berechneten Jahrgängen eigenthümlich sein dürfte. Jedenfalls 
wird also der ursprünglich verschiedene Charakter der beiden 
entgegengesetzten Luftströme durch die Verschiebung der ther- 
mischen Windrose verdeckt und soll daher die Vertheilung 
des Dunstdrucks auf die verschiedenen Windrichtungen durch 
die atmische Windrose Klar gelegt werden, so muss der Ein- 
Huss eliminirt werden, welchen die Temperatur auf den Feuch- 
tigkeitsgehalt der Luft ausübt. Diese Elimination lässt sich 
auf doppeltem Wege ausführen, 

Da einerseits die Temperaturen bekannt sind, welche den 
15% 


214 


einzelnen Windrichtungen im Mittel zukommen, so liess sich 
leicht der Werth feststellen, um weichen die Temperatur je- 
der Windrichtung von dem allgemeinen Wärmemittel abweicht. 
So ist bei SOWinden im Sommer die Temperatur um 1,510 
höher, bei WWinden um 1,570 niedriger als die mittlere Tem- 
peratur der Jahreszeit und konnte es sich daher nur darum 
handeln, denjenigen Betrag zu bestimmen, um welchen die 
Dampfspannung wächst, wenn die Temperatur um 19 zunimmt, 
da hiernach die geringern Werthe der Dampfspannung sich 
berechnen liessen, welche allein durch die Erfahrung resp. 
Erniedrigung der Temperatur bedingt waren. Zur Feststellung 
dieser Grösse erschien besonders die jährliche Veränderung 
des Dampfdrucks geeignet, da die Zunahme des Dampfdruckes 
nit der grösseren Wärme der letzteren vorwiegend zuzuschrei- 
ben sein dürfte. Berechnet ınan aus den mehrjährigen Mitteln 
die Zunahme des Dampfdrucks im Verhältniss zur Zunahme 
der Temperatur beim Uebergange von einem Sommermonat 
zum andern, so ergab sich hieraus, dass der Zunahme der 
Temperatur um 10 im Sommer eine Erhöhung der Dampispan- 
nung um 0,323 entspricht. Aus diesem Werthe und den 
Temperaturdifferenzen der einzelnen Windrichtungen wurden 
die Werthe berechnet, welche von der beobachteten Dampf- 
spannung in Abzug resp. derselben in Zurechnung zu bringen 
waren, um den Einfluss der Temperatur zu eliminiren. Die 
reducirte atmische Windrose, welche sich hieraus für den Som- 
mer ergab, zeigte ein Minimum des Dunstdrucks für O, ein 
Maximum desselben zwischen W und NW und zwar steigen 
die Werthe von 4,13 tür O auf 4,79 bei W um über N 
und NO wieder auf ersteren Werth abzunehmen. 

Ein zweiter Weg, den Wassergehalt für die verschiedenen 
Windrichtungen unter der Voraussetzung gleicher Temperatur 
zu e'mitteln war durch Benutzung der Windrose für die vela- 
tive Feuchtigkeit geboten. Da diese den Werth des Wasser- 
gehalts der Luft nach Procenten des ihrer Temperatur ent- 
sprechenden Maximalgehaltes angiebt, so war es nur nöthig, 
bei allen Windrichtungen die mittlere Temperatur zu Grunde 
zu lesen und nach dem Procentgehalt den absoluten Gehalt 
an Wasserdampf für diese Temperatur zu bestimmen. Die 
Werthe beider reducirter Windrosen stimmen fast vollkommen 


215 


überein, so dass die Annahme dadurch eine weitere Stütze 
fand, dass in der That die reducirten Werthe den eigentlichen 
Dampfgehait der einzelnen Winde früher nach Elimination des 
Einflusses der Temperatur richtig angeben. Auch für die übri- 
gen Jahreszeiten wurden die hygrometrischen Angaben der 
Windrose redueirt und ergeben im Frühling ein Minimum des 
Dampfgehaltes zwischen SO und O, ein Maximum zwischen W 
und NW; für den Herbst ein Minimum für den OWind ein 
Maximum zwischen NW und N. 

Wesentlich abweichend war jedoch das Resultat bei Be- 
rechnung der reducirten atmischen Windrose des Winters. 
Der Dampfgehalt war nahezu der gleiche für alle Windrich- 
tungen, zeigte doch aber mit 1,75“ ein Maximum bei O, mit 
1,65‘ ein Mmimum bei S. Um so auffälliger musste dies 
Resultat erscheinen, da der thermische Gegensatz der süd- 
westlichen und nordöstlichen Winde grade im Winter auffäl- 
liger als in den übrigen Jahreszeiten hervortritt und dennoch 
zu erwarten war, dass grade in dieser Jahreszeit der Gegen- 
satz in ihrem Feuchtigkeitsgehalte in gleicher Entschiedenheit 
sich geltend machen werde. Es bedurfte also einer Bestäti- 
gung dieses Resultates und um eine solche zu gewinnen, 
wnrde das gesammte Material der hiesigen Station einen Zeit- 
raum von nahe 2 Jahren umfassend einer neuen Berechnung 
unterzogen in der Art, dass für die einzelnen Windrichtungen 
jeder besonderen Temperatur gerade entsprechend der zuge- 
hörige Feuchtigkeitsgehalt besonders aufgezeichnet und so 
das jedem einzelnen Temperaturgrade bei einer bestimmten 
Windrichtung entsprechende hygrometrische Mittel berechnet 
werden konnte. Um die Berechnung übersichtlich zu ma- 
chen wurde die nordöstiiche und östliche Richtung ebenso die 
südwestliche und westliche Richtung zusamınengelasst, da beide 
in jedem Falle nur verschiedenen Entwicklungsphasen des Po- 
lar- resp. Aequatorialstromes entsprechen, und in gleicher Art 
wurde die S und Südöstliche ferner die NW und westliche 
Windrichtung zusammengestellt. Um ausserdem den Einfluss 
ur Anschauung zu bringen, welchen der unter Einwirkung 
der Sonnenstrahlung zur Mittagszeit aufsteigende sogenannte 
Courant ascendant auf den Feuchtigkeitszustand der Luft aus- 
übt, wurden die Morgen- und Abendbeobachtungen von den 


216 


zur Mittagszeit angestellten Beobachtungen getrennt berechnet 
und schliesslich aus den gesammten Beobachtungen die mitt- 
leren Werthe zusammengestellt. 

Diese Berechnungen führten nun zu demselben Resultat, 
welches schon die reducirte atmische Windrose hervortreten 
liess. Für die Temperaturen unter 00 war der Feuchtigkeits- 
gehalt für die verschiedenen Windrichtungen derselbe, erreich- 
ten eher die nördlichen, westlichen und nordwestlichen mit 
1,51“ ein Uebergewicht über die einem Dampfgehalt von 
von 1,48% entsprechenden südlichen und südöstlichen und 
südwestlichen Winde. Fragen wir nach dem Grunde dieser 
Erscheinung, so müsste derselbe dem Einfluss zuzuschreiben 
sein, welchen die Gleichförmigkeit des im Winter mit Schnee 
und Eis bedeckten Bodens auf den Feuchtigkeitsgehalt der 
Luft ausübt. Für alle höheren Temperaturen blieb der Feuch- 
tigkeitsgehalt ganz entschieden im Minimum für die NO und 
östlichen Winde und erreicht ein Maximum für NW und 
Nordwinde. 

Für 109 stieg der Dampfgehalt von 3,17“ bei NO und O 

auf 3,54% bei SO und S 
» 3,57% bei SW und W 
» 3,59% bei NW und N 
Während der Unterschied des nordöstlichen und südöstlichen 
hygrometrischen Werthes 0,37‘ beträgt, erreicht diese Diffe- 
renz für die südöstlichen, südwestlichen und nordwestlichen 
Winde nur den geringen Betrag von 0,025‘. 
Bei 150 steigt der Dampfgehalt von 4,08% bei NO und O 
auf 4,35 bei SO und S 
„» 4,40 bei SW und W 
„ 4,55“ bei NW und N. 
Auch hier tritt der Unterschied des Dampfgehaltes der nord- 
östlichen Winde von dem der übrigen Windrichtungen mit 
Entschiedenheit hervor, bei höherer Temperatur wächst aber 
zugleich das Uebergewicht der nordwestlichen Winde, deren 
Dampfgehalt im letztern Falle auf 0,15 gestiegen war. Die 
Annahme, dass die südwestlichen und westlichen Winde, also 
der aus der Höhe der Atmosphäre herabgelangte Aequatorial- 
strom den grössten Dampigehalt besitzt, bestätigt sich hier- 
nach nicht. Da dieser Strom zur Zeit der Frühlings- und 


217 


Herbstnachtgleiche in der Gegend der nördlichen Küstenländer 
des mittelländischen Meeres den Boden erreicht, bei südlicher 
Declination der Sonne selbst südlich von den Azoren herunter 
kommt, so ist es wohl erklärlich, dass derselbe bei seinem 
Vordringen bis zu unseren Breiten seinen überwiegenden 
Dampfgehalt verliert; selbst aber bei westlicher Declination 
der Sonne, wo jene oberen Ströme in grösster Mächtigkeit 
den Boden erst im mittleren Europa berühren, ist ihre Feuch- 
tigkeit unter der Voraussetzung gleicher Temperatur nicht so 
hoch als diejenige der nordwestlichen Winde, welche die Luft 
von den nördlicher uns am nächsten gelegenen NMeeren unse- 
rem Beobachtungsgebiet zuführen. 


Was endlich die zur Mittagszeit angestellten Beobachtun- 
gen betrifft, so bleiben deren numerische Werthe wesentlich 
hinter denjenigen der Morgens und Abends angestellten Beob- 
achtungen zurück. Der Dampfgehalt war zur Mittagszeit ge- 

ringer bei 0° um 0,12 
bei 10 2.0.19. 
Dee 90 700559... 
pen 202 0.085 
betonen 22. 
Die Einwirkung des Courant ascendant auf den Feuchtigkeits- 
gehalt der Luft wächst also mit steigender Wärme, indem mit 
wachsender Intensität desselben das Quantum des Wasser- 
dampfes wächst, welches durch denselben den untern Schich- 
ten der Atınosphäre entzogen und nach oben geführt wird. 


Näher auf die Zahlen einzugehen, welche die Berechnung 
des vorliegenden Materiales ergab, dazu möchte hier die Zeit 
fehlen und werde ich nicht unterlassen, dies Material selbst 
an anderem Orte Ihnen ausführlich vorzulegen. Vielleicht 
aber gestatten sie mir, die Resultate kurz noch einmal zu- 
sammenzufassen, zu welchen dieselben geführt haben. 

1. Der Dampfgehalt der verschiedenen Windrichtungen ist 
vorwiegend durch ihre Temperatur bedingt; selbst die nordöst- 
lichen Winde sind feuchter als die südwestlichen, wenn de- 
ren Temperatur die der letztern um 1 oder 20 übertrifft. 

2. Demzufolge ist in der atmischen Windrose die beson- 
dere Natur der Ströme durch den Einfluss der Temperatur ver- 


218 


deckt und gelangt nur als geringe Einbiegung der hygrome- 
trischen Curve des Herbst und Sommers zur Geltung. 

3. Der Feuchtigkeitsgehalt der Luft bei verschiedenen 
Windrichtungen ist in Folge der Gleichförmigkeit des Bodens 
zur Winterzeit nahezu derselbe. Der Gegensatz des Polar- und 
Aequatorialstromes, soweit derselbe an der atmischen Wind- 
rose zur Erscheinung kommt, beschränkt sich also ausschliess- 
lich auf deren thermischen Gegensatz. 

4. In den übrigen Jahreszeiten macht sich ein entschie- 
denes Minimum des Dampfgehaltes für NO und Ostwinde gel- 
tend. Das Maximum fällt auf die westlichen, nordwestlichen 
und nördlichen Winde. Der Ursprung der südwestlichen Winde 
hat auf ihren Feuchtigkeitsgehalt unter unseren Breiten kei- 
nen überwiegenden Einfluss, während die Feuchtigkeit derje- 
nigen Luftströme besonders hervortritt, welche von NW und 
N her die feuchte Meeresluft über das Festland hinführen. 

5. Der Einfluss des Courant ascendant macht sich auf den 
Feuchtigkeitsgehalt der Luft in vorwiegender Weise geltend 
und zwar in starker Zunahme mit wachsender Temperatur. 

Inwieweit diese Resultate, welche aus den hiesigen Be- 
obachtungen gewonnen sind, allgemeine Gültigkeit in Anspruch 
nehmen können, in wie weit dieselbe durch locale Einflüsse 
bedingt, insbesondere durch die Nähe des Harzes, der als 
mächtiger Condensator Bernburg zur Seite liegt, darüber wird 
die Berechnung anderweitigen Materials entscheiden müssen, 
welches mir aber für die Bearbeitung nicht zur Verfügung 
stand. 


Verbreitung und Lebensweise des Bartgeiers 
in der Schweiz 


Dr. A. Girtanner. 


[Aus des Verf.'s Abhandlung in dem St. Gullischen Naturwissenschaftlichen Bericht 1870 8. 147—244.] 


Die nördlichen bedeutendern Ausläufer der Schweizer- 
alpen sind vielleicht bei uns zu allen Zeiten die nördlichsten 
Standorte des Bartgeiers gewesen. Die Kantone Thurgau, 
Schaffhausen, Zürich, Aargau, Solothurn und Basel, welche 


219 


von ihrem Fusse schon ziemlich entfernt liegen, viel Tiefland 
und keine bedeutenden Erhebungen im Vergleich zu den Al- 
pengebieten enthalten, sind sehr wahrscheinlich nie ständig 
von ihm bewohnt worden, wenn er sich überhaupt je so weit 
von denselben entfernte, und es sind auch nicht einmal irgend 
welche Andeutungen über sein früheres Vorkommen aufzubrin- 
gen gewesen. — Bei Ortsbezeichnungen u. s. w., in denen 
sich das Wort ‚,„Gir« findet, das jedenfalls Geier bedeuten soll 
(wie auch in dem Wappen des Schreibers dieser Zeilen selbst 
ein zwischen Tannen stehender geierartiger Vogel zu sehen 
ist), wie bei Girenbad, den in Mehrzahl vorhandenen Giren- 
spitz, Giregg und Gireggli, Girtanne, Girtannen (Weiler un- 
weit St. Gallen), Girsperg u. s. w. ist dasselbe kaum anders 
aufzufassen, als irgend ein anderer Raubvogelname und möchte 
ich also hierauf mit Bezug auf die frühere Verbreitung des 
Gypaötos alpinus nicht den geringsten Werth legen. — Nach 
Coulon in Neuenburg, Vouga in Cortaillod und Fatio in Genf 
scheinen aber auch die zum Theil bedeutenden Erhebungen 
weder des Jura noch des Jorat Bartgeier ständig bewohnt zu 
haben, wenigstens waren keine bezüglichen andern Nachrich- 
ten zu erhalten, weiss sich in jenem ganzen Gebiete Niemand 
seines auch nur momentanen Erscheinens zu erinnern und be- 
sitzt keine Sammlung ein dorther stammendes Exemplar. Es 
würden demnach auch der Kanton Neuenburg, das jurassische 
Bern, das westliche Waadt und der Kanton Genf ausserhalb 
seines frühern und jetzigen Verbreitungsbezirkes liegen. Alle 
die schönen ausgestopften Exemplare, welche die Sammlungen 
der meisten jener Kantone enthalten, stammen entweder zus 
den Alpen, oder dann sind es Ausländer. In Winterthur, Zü- 
rich, Arau, Basel, Neuenburg, Cortaillod, Genf und Chambesy 
finden wir prachtvolle Exemplare des schweizerischen Bart- 
geiers aufgestellt, in Winterthur deren 8, in Neuenburg 7 — 
zwei Collectionen dieses seltenen Vogels, die für Verglei- 
chungen und sonstige wissenschaftliche Studien von grossem 
Werthe sind. Thurgau, Schaffhausen, Solothurn besitzen hin- 
gegen weder in öffentlichen noch Privatsammlungen solche, 
mit Ausnahme eines ausgezeichnet schönen Exemplars, das Im 
Besitz von Challande in Frauenfeld ist. Diese Kantone sollten 
daher darauf bedacht sein, sich bei gehotener Gelegenheit je 


220 


wenigstens eines Exeinplares zu versichern, um nicht später wis- 
sentlich oder unwissentlich ınit einem Ausländer vorlieb nehmen 
zu müssen, da unsere Inländer vom Ausland her sehr gesucht 
werden, und sofort namhafte Angehote erfolgen, sobald von 
einem glücklichen Fang oder Schuss gehört wird. Diejenigen Mu- 
seen aber, welche deren besitzen, sollten sie als einen rein 
unveräusserlichen Besitz betrachten, der, jetzt schon von be- 
deutendem Werth, mit steigender Seltenheit des Vogels daran 
gewinnen wird. 

Die Schweiz zählt in zweiter Linie eine Anzahl Kantone, 
in deren Gebirgsstöcken der Bartgeier, zum Theil vor gar nicht 
langer Zeit ständig gehaust hat, jetzt aber als Standvogel man- 
gelt und nur noch als seltener Gast auftritt. Sie liegen sämmt- 
lich im Alpen- oder im Voralpengebiet, weisen aber sehr be- 
deutende Höhen, wilde, zerrissene Gebirgsstöcke, einsame 
Bergreviere auf. Aber auch aus ihnen hat sich der Bartgeier 
nach den ödesten, unzugänglichsten, aber auch wildreichsten 
und für ihn sichersten Alpenwildnissen zurückgezogen, wie sie 
besonders um die Hauptknotenpurkte der gewaltigen Kette 
der Schweizeralpen, in den Tessiner-, Walliser- und Berneral- 
pen, vorzüglich aber in den ungeheuren Alpengebieten des 
Bündnerlandes zu finden sind. — Zu dieser zweiten Reihe ge- 
hört Appenzell mit dem Säntisstock. Es kann als sicher an- 
genommen werden, dass Gypa6tos alpinus dort in unserm Jahr- 
hundert nicht mehr als Standvogel gehaust hat. Seitdem das 
in der Dr. Schläpfer’schen Sammlung in Trogen vorhanden ge- 
wesene Exemplar, weil von Motten angefressen, tale quale 
fortgeschmissen worden ist, besitzt dieser Kanton meines Wis- 
sens auch kein ausgestopftes Exemplar mehr. — Länger hielt 
sich unser Riese in den südlichen Bergreihen des Kantons St. 
Gallen, besonders lange in der Kurfirstenkette auf, die einige 
mit grosser Zähigkeit behauptete Horststätten enthalten hat. 
Steinmüller bezog manches Exemplar dorther. Heute kennt 
Niemand mehr auch nur jene Horstplätze; ihre letzten Bewoh- 
ner sind längst verschwunden, Laut mir vorliegendem Corre- 
spondenzprotocoll des Statthalters Bernold von Wallenstadt 
wurde aber noch im Jahre 1825 das Schussgeld für einen 
Bartgeier, das letzte dort verzeichnete, an einen Jäger von 
Sax ausbezahlt. Das zu Weihnachten des Jahres 1810 am 


221 


Gungelspass lebend gefangene, von Professor Scheitlin wäh. 
vend längerer Zeit lebend unterhaltene erste seiner zwei Exem- 
plare, das ihm das Material zu seinen schönen Beobachtungen 
geliefert hat, stammt noch aus einer Zeit nur relativer Selten- 
heit des Bartgeiers in unserm Kanton. Wohl mag auch jetzt 
noch hie und da, besonders zur Winterszeit, der eine oder 
andere von Menschen ungesehen aus den Bündneralpen her- 
überfliegen, die einsamen Gebiete des Kalfeuser - und Weiss- 
tannenthales besuchen und sogar den prachtvollen Felswänden 
der Kurfirsten entlang dahin rauschen, aber eine Heimat hat 
er in unserm Kantone nicht mehr. St. Gallen besitzt in dem 
hübschen städtischen Naturalienkabinet (ausser einem sehr 
schönen Exemplar vom Kapland, einem griechischen und einem 
kleinasiatischen Bartgeier) Professor Scheitlins zweites Exem- 
plar als werthvolles Andenken an seinen hochverehrten ehe- 
maligen Besitzer, und das letzte bis heute in der Schweiz er- 
beutete und bereits besprochene Exemplar. 

Trotz der mächtigen Gebirgskolosse, welche der Kanton 
Glarus umschliesst,, bewohnt der Bartgeier auch diesen nicht 
mehr. Das zu Ende der Zwanziger-Jahre geschossene, seither 
im Basler Museum stehende alte Thier dürfte einer der letzten, 
wo nicht der allerletzte Bartgeier aus den Glarneralpen sein. 
Von früher dort erlegten finden sich mehrere da und dort ge- 
legentlich eitirt, und könnten vielleicht ausländische Museen 
über den gegenwärtigen Aufenthalt vieler der „unbekannt wo 
abwesenden‘‘ schweizerischen Bartgeier früherer Zeiten Auf- 
schluss geben, den wir hier selbst zu ertheilen nicht im Stande 
sind. „Seit 40 Jahren aber“ — schreibt Hptm. Schindler in 
Glarus, ein sehr zuverlässiger und fleissiger Beobachter — 
„seitdem ich unsere kantonale Fauna studire und die in ihr 
sich vollziehenden Veränderungen verfolge, ist kein Bartgeier 
im Glarnerlande erlegt und auch von keines Anwesenheit ge- 
hört worden. Alle gegentheiligen Angaben beruhen auf Irr- 
thum und beziehen sich sammt und sonders auf den Steinadler, 
wovon ich mich, immer in der Hoffnung doch noch einen Bart- 
geier aus unsern Alpen zu erhalten, wiederholt selbst über- 
zeugt habe. Nicht einmal das Naturalienkabinet in Glarus be- 
sitzt ein Exemplar, weder von hier noch sonst woher.“ — 
In dem Mangel auch nur eines einzigen Exemplares in man- 


222 


chen Sammlungen der jetzt zunächst in Frage liegenden Kan- 
tonen glaube ich einen weitern Beweis für die von einem 
gewissen Zeitpunkt an rasch zunehmende Seltenheit des Bart- 
geiers in jenen Gebirgskantonen in Handen zu haben. Zwar 
sind manche jener Sammlungen noch nicht alt; aber doch 
scheint zu Anfang unseres Jahrhunderts noch kein Grund vor- 
gelegen zu haben, sich je schneller je sicherer ein solches 
Kabinetstück zu verschaffen, und gerade in den Glarneralpen 
war der Bartgeier damals noch nicht selten, wie aus manchen 
Citaten hervorgeht. 

Im Kanton Schwyz ist ebenfalls seit Langem kein Stück 
erbeutet worden. Es findet sich auch nirgends, weder in der 
Sammlung des Stiftes Einsiedeln noch in der Privatsammlung 
von Kälin zu St. Idda, ein ausgestopftes Exemplar. — Wie 
lange Gypaötos schon aus den Zugerbergen verschwunden ist, 
lässt sich nicht mehr bestimmen. Niemand weiss dort mehr 
etwas von ihm und Dr. Siddler in Zug, der sich bei uralten 
ehemaligen Kapitaljägern darnach erkundigte, „die sich mit 
Freuden noch an Luchs- und Bärenjagden in den Zugerbergen 
erinnerten, sprachen kopfschüttelnd vom Bartgeier als von 
einem längst Verschollenen,‘“ womit natürlich nicht gesagt sein 
soll, dass er sich seit gar so langer Zeit nicht mehr zeitweise 
dort aufhalte. Das Zuger Kabinet besitzt kein Exemplar. — 
In den Gebirgen Luzerns ist er gleichfalls schon langn nicht 
mehr gesehen worden. Das im Kabinet Luzerns stehende Thier 
ist laut Bericht von dort sehr warscheinlich ein Ausländer. 
Die zwei schönen Bartgeier in Stauffer’s Thiergruppen hinge- 
gen stammen aus Graubünden. — In Unterwalden bemerkte 
Stauffer vor zwei Jahren noch, und zwar im Melchthal, einen 
alten Bartgeier, der in sicherer Entfernung von jeder Stutzen- 
kugel aut einer isolirten Felsspitze sass. Das letzte in die- 
sem Kanton erbeutete Exemplar ist wahrscheinlich jenes anno 
1851 am Alzellerberge erlegte und von Tschudi eitirte. „In 
Nidwalden wenigstens“ —- schreibt mir Jann in Stans — „muss 
der Bartgeier jedenfalls als ausgerottet betrachtet werden. Ich 
erinnere mich eines einzigen Stückes, das im Jahr 1822 in 
der Alp Luttersee von einem Kuhhirten geschossen wurde; 
ein junges Thier, das im Lande herum sezeigt und, als es 
stiukend und seiner besten Federn beraubt war, weggeworfen 


223 


wurde.“ Wie manches schöne Exemplar, mit dem man jetzt 
die Museen bereichern könnte, mag das nämliche Schicksal 
gehabt haben! Dr. Deschwanden in Stans meldet, dass selbst 
die gewiegtesten Engelberger Gemsjäger an Begegnungen mit 
diesem Vogel sich nicht mehr erinnern. Auch Unterwalden 
besitzt kein ausgestopfites Exemplar. — Nicht einmal mehr 
im Urnerland, das doch an grossartigen Gebirgswildnissen ge- 
rade keinen Mangel leidet, ist er jetzt noch Standvogel. Zur 
Seltenheit fliegt einer aus Bünden, Tessin oder Wallis herü- 
ber. Nager in Andermatt berichtet mir, dass er in der langen 
Reihe von Jahren, da ihm doch wohl das meiste im Gotthard- 
gebiet erlegte bedeutendere oder seltenere Wild irgend wel- 
cher Art durch die Hände gegangen oder doch wenigstens be- 
kannt geworden sei, nur 8 oder 9 schweizerische Bartgeier 
erhalten, dass er aber selbst nie, obwohl zu allen Jahreszei- 
ten und unter allen Witterungsverhältnissen unterwegs, einen 
solchen lebend in der Freiheit beobachtet habe. — Dr. Lus- 
ser in Altdorf erhielt dieselben Versicherungen seiner Selten- 
heit von anderer Seite. Uri besitzt kein ausgestopftes Exem- 
plar, wohl aber das lebensgrosse Bild des Königs von Baiern 
als Gegengeschenk für einen sehr schönen Bartgeier, der anno 
1862 in Wallis geschossen wurde und eine Zeit lang in Alt- 
dorf aufgestellt war. 

Ueber das Vorkommen unseres Vogels in den Alpen der 
Waadt habe ich keine sichere Nachricht erhalten. Er scheint 
auch dort zu den seltenen Erscheinungen zu gehören, doch 
weiss ich nicht, ob das 1841 oberhalb Grion erlegte Thier 
das letzte im Kanton erbeuteie gewesen ist. Das Lausanner 
Museuin besitzt zwei alte, seit langer Zeit dort aufgestellte 
Exemplare, die laut Bericht von Professor Chavannes aller 
Wahrscheinlichkeit nach aus den Schweizeralpen stammen. — 
In den Gebirgen Freiburgs, das in seinem südlichen Theile 
noch bedeutende Alpengebiete besitzt, dürfte er früher Stand- 
vogel gewesen sein. In der Gegend von Charmey soll er sich 
noch kürzlich gezeigt haben. Freiburgs Museum enthält kein 
Exemplar. — In Bezug auf die Alpen des Wallis, die früher 
vom Bartgeier mit Vorliebe bewohnt wurden, schreibt Cropt 
in Sitten, dass er ein einziges Thal kenne, auf der Seite von 
Lötschen, wo er sich noch zeige. Weitere Berichte fehlen 


224 


noch, und steht es unterdessen dahin, ob in den gewaltigen, 
zum Theil nur selten oder gar nie von Menschen besuchten 
Gebirgsmassen nicht doch noch einige Paare horsten. Nach 
Cropt besitzt das Museum in Sitten ein einziges, altes Exem- 
plar, das wohl in jenen Gebirgen erlegt wurde. Es hatte noch 
die Ehre, von den Jesuiten ausgestopft zu werden, ehe diese 
den Laufpass erhielten. Einzelne Erlegungen (von Bartgeiern 
nämlich) in den Walliseralpen sind auch aus neuerer Zeit be- 
kannt, aber jedenfalls gehört Gypa&ötos auch dort zu den ver- 
schwindenden Alpenbewohnern. 

Von allen Kantonen bleiben uns schliesslich drei, die als 
seine letzten Wohnstätten anzunehmen sind. Es sind (ausser 
Wallis) jene drei, welche die massigsten, einsamsten und für 
unsern Räuber ergiebigsten und sichersten Gebirgsgegenden 
einschliessen :- Bern, Tessin, Graubünden; aber nur aus dem 
letztgenannten Kanton ist mir Kunde von sicher noch bewohn- 
ten Horsten, womit Gypaötos alpinus doch wohl einzig den 
vollgültigen Bürgerrechtsbeweis leisten kann, geworden. Ohne 
Zweifel gehört ihm dasselbe aber auch in Bern und Tessin 
noch. In den Gebirgen dieser beiden letztern Kantone ist er 
im laufenden Jahre noch paarweise und zwar in der Fortpflan- 
zungsperiode, während der er sich wohl nie weit vom Horst- 
platz entferut, beobachtet worden. Beide Alpengebiete um- 
schliessen so abgelegene, sterile, schwer zugängliche Partien, 
dass sie ganz wohl Horste beherbergen können, die gar nicht 
bekannt sind. — Nach Berichten aus Tessin wird der Bart- 
geier in den Bergen von Naggia im Spätwinter fast immer zu 
zweien beobachtet, zu einer Zeit also, wo die Wahl der Nist- 
stätte getroffen, überhaupt die Fortpflanzung vorbereitet wird. 
Die letzten in diesem Kanton erbeuteten Exemplare sind fol- 
gende: ein altes Männchen wurde im Winter 1860—61 nicht 
weit vom Maggia in den sogenannten Covoi di Ajarlo, 3000‘ 
üb. Meer, lebend gefangen, musste aber, so gerne der Fänger 
es am Leben erhalten hätte, von ihm in der Falle erschlagen 
werden, da er ihm allein nicht Meister werden konnte. Ein 
junger Vogel wurde in den Bergen von Lugano und ein an- 
derer bei Bellinzona gefangen. Von diesen zwei kam der er- 
stere nach Mailand, der zweite steht im Museum von Lugano. 
Den 21. December 1864 wurde am Monte Coroni ein nach 


225 


Professor Riva’s Schätzung 2—3 Jahre altes Thier ebenfalls 
lebend erbeutet und ein zweites etwas jüngeres zwei Tage 
später an der nämlichen Stelle, nachdem die beiden Vögel 
schon vorher mit einander fliegend beobachtet und von dem 
Jäger deshalb schon damals als ein zusammengehörendes Paar 
betrachtet worden waren. Beide kamen lebend nach Lugano, 
wo sie leider, da sie Niemand unterhalten mociıte, nach eini- 
gen Tagen getödtet wurden. Der eine steht jetzt ebenfalls 
zu Lugano im Museum, der andere in der grossen Privatsamm- 
lung Riva’s. Die durch ihn vorgenommene Sektion wies die 
Annahme des Jägers als richtig aus. Das Weibchen, wenn 
auch noch nicht alt, musste immerhin ein mehrjähriger, jeden- 
falls kein ganz junger, allfällig in Gesellschaft und unter dem 
Schutze seiner Mutter fliegender Vogel sein. — Bis Ende 
Mai 1869 gelang von da an kein Fang oder glücklicher Schuss 
mehr; dann wurde unser Exemplar erbeutet. Der Fänger 
konnte mir zwar die Horststätte nicht bezeichnen, hat aber 
Bartgeier auch seither wieder zu zweien fliegen gesehen. — 
Wahrscheinlich gilt auch für Gypaötos, der, wie andere Raubvö- 
gel an einem einmal gewählten Horste mit grosser Zähigkeit 
festhält, das Gesetz, dass ein von dem Paar abgeschossenes 
Exemplar ohne Aufgebung des Horstes womöglich wieder er- 
setzt, und dass ein vorhandener Horst, auch wenn beide Be- 
sitzer erlegt oder weggezogen sind, durch ein neu in das 
frei gewordene Jagdzebiet einwanderndes Paar in Beschlag ge- 
nommen wird, so lange Zuzuz von andern Gegenden her ge- 
boten werden kann. — In den Berneralpen wurde das letzte 
Exemplar 1863 oder 1864 bei Frutigen geschossen. Seither 
ist der Bartgeier mehrfach da und dort gesehen und auch letz- 
tes Jahr während der Fortpflanzungsperiode zu zweien beob- 
achtet worden, ohne dass indessen ein Horst aufgefunden 
worden wäre. Auf das im Juni laufenden Jahres durch seinen 
Ueberflall auf einen Knaben bekannt gewordene Exemplar habe 
ich zurückzukommen. Das Museum in Bern enthält 4 schwei- 
zerische Bartgeier, und zwar 1 aus dem Kanton Bern (s. Ver- 
zeichniss und 1 durch Salis-Marschlins aus Graubünden. Von 
den 2 andern ist die Herkunft nicht zu erfahren gewesen. — 
Zwei schöne in Zahnd’s Thiergruppen aufgestellte Bartgeier 
sind ebenfalls Berner- — Am sichersten ist aber unser Vogel 


226 


in den Bündneralpen zu finden, und alle Berichte meiner dor- 
tigen Freunde stimmen darin überein, dass der Bartgeier noch 
in den Dreissiger Jahren nicht gerade selten gewesen, und 
dass jährlich welche geschossen oder gelangen worden seien. 
Ein Händler in Chur besass zu jener Zeit nicht selten gleich- 
zeitig mehrere Exeıinplare lebend. Seit jener Zeit aber habe 
er sich auffallend rasch vermindert. Ein ganz altes Thier be- 
obachtete Regierungsrath Hold, wie er mir meldet, diesen 
Sommer, wie es, langsamen Fluges nahe über den Boden da- 
hinsegelnd, aus dem Sulsana-Thal bei Capelle hervor geflogen 
kam. Das einzige sehr schöne Exemplar der Churer Samm- 
lung wurde 1863 bei Fettan lebend gefangen. Ein zweites 
befindet sich in den Thiergruppen von Menn. In den Jahren 
1863, 1867 und 1868 wurde nochmals wie Manni meldet, je 
ein Exemplar im Münsterthal erlegt. Leider gingen sie sämmt- 
lich direct aus den Händen der heimkehrenden Jäger an Fremde 
über und kamen nach Meran. 

Nach Berichten von Saratz finden sich im Oberengadin nur 
zwei Horste, der eine im Camogasker- Thal in einer Felswand, 
selbst Stutzerkugeln unerreichbar. Innert den letzten fünfzehn 
Jahren brüteten Bartgeier nur drei Mal darin. Der zweite Horst 
ist bei Sils ebenfalls in einer steilen Felswand angebracht. 
Eine gleichfalls nur zeitweise besetzte Niststätte liegt in den 
Felsen ob Guardaval, und Manni meldet noch zwei weitere 
Horste an. In den tief eingeschnittenen Thälern von Calanca 
und Misox dürfte, wie Saratz glaubt, mit grosser Wahrschein- 
lichkeit auch noch der eine oder andere Horst zu finden sein. 
Doch stehen alle oft mehrere Jahre nach einander leer, was, 
wie mir scheint, auf ein allmähliges Verlassenwerden auch 
dieser Plätze deutet, sei es, dass ihre Besitzer weggeschos- 
sen wurden, sonstwie zu Grunde gingen, oder aber, dass sie 
nach anderen Gegenden der Alpenkette auswanderten, die ih- 
nen die Verschaffung der nöthigen Nahrungsmittel u. Ss. w. 
leichter gestatten. 

Dies sind die sparsamen, von Seite meiner freundlichen 
Berichterstatter mit grosser Bereitwilligkeit und meinerseits 
mit Mühe aufzutreiben gewesenen Nachrichten über die frü- 
here und gegenwärtige Verbreitung des Bartgeiers über das 
schweizerische Alpenland. Es darf angenommen werden, dass 


227 


seit dem Seltenwerden des Bartgeiers und seinem steigenden 
Werthe so zu sagen jedes gelangene oder geschossene Exem- 
plar bekannt wird, die Thatsache sich also konstatiren oder 
die Nachricht davon als falsch ergründen lässt, sowie dass 
fast jede Beobachtung eines längere Zeit in einem von ihm 
sonst nicht mehr getroffenen Bartgeiers zu den Ohren eines 
Sachverständigen gelangen dürfte. 

Einen Beweis mehr, wie selten Erlegungen seit den letz- 
ten Decennien überhaupt geworden sind, dürfte wohl auch die 
'Thatsache leisten, dass Präparator Widmer in Zürich während 
seiner langjährigen Wirksamkeit daselbst nur 7 Exemplare auf- 
gestellt hat, Schneider in Basel in den letzten zwölf Jahren 
nur 2, Stauffer in Luzern in achtzehn Jahren nur 3, und dass 
Nager in Andermatt in dreissig Jahren nur 8 und 9 Exemplare 
zugekommen sind. — Es liegen mir noch Originalberichte aus 
Wallis, Graubünden, Bern, Tessin über manche solche Stücke 
vor, die lebend oder todt ins Ausland abgegeben wurden, nach 
dem Schuss in Abgründen sich verloren und unbenützt zu 
Grunde gingen, oder die herumgeschleppt wurden, bis sie un-. 
brauchbar geworden. Ich bedaure lebhaft, das mir von allen 
Seiten zugegangene Material bei weitem nicht in dem Masse 
ausnützen zu können, wie es dasselbe wohl verdiente, wie es 
Raum und Zeit aber nicht gestatteten. — Oft sind den Noti- 
zen über Erlegungen, Beobachtungen u.s. w. die betreffenden 
Jahrgänge beigegeben und geht in Kürze gesagt aus Allem 
hervor, dass die im Verzeichniss angeführten 48 Exemplare 
doch wohl die grösste Zahl der seit 1820 in der Schweiz er- 
beuteten Bartgeier sein werden. Es dürfte deshalb das auf- 
gestellte Verzeichniss aller in den schweizerischen Museen und 
in Privatbesitz befindlichen ausgestopfien Exemplare sammt 
den erhältlich gewesenen Angaben über Jahrgang der Erbeu- 
tung, Herkunft, ungefähres Alter, Geschlecht und die Art ihrer 
Habhaftwerdung nicht ohne Interesse sein, um so weniger als 
in den Sammlungen selbst vielen der darin aufgeführten 
Exemplare leider keine Notiz darüber beigelegt ist, und ich 
also viele derselben nur der Güte der betreffenden Direktoren 
und Besitzer oder Conservatoren zu verdanken habe, und spä- 
ter demnach jede Nachricht darüber vergeblich zu erhalten 


gesucht würde, wie sie es leider bei manchen Exemplaren, 
Zeitschr. f.d. ges. Naturwiss. Bd. XXXVIll, 1871. 16 


228 


wie die zahlreichen Fragezeichen nachweisen, schon jetzt ge- 
worden ist. 

Nur eines der angeführten Exemplare wurde auf einem 
Grenzgebirg, aım Mont-Cenis, erlegt, unterscheidet sich aber 
natürlich in niehts von einem schweizerischen. Dasselbe war, 
zu Beobachtungen bestimmt, lebend gefangen und nach Genf 
versendet worden, kam auch glücklich bis in den dortigen 
Bahnhof, wo es sich aber zum Unglück für den Gefangenen 
und seinen spätern Besitzer aus seinem Behälter befreien 
konnte, zum Entsetzen des Bahnhofpersonales. Da Niemand 
den Heldenmuth in sich fühlte, das junge Thier wieder ge- 
fangen zu nehmen, wurde es einfach mit Stangen niederge- 
schlagen und als Leiche an seine Adresse befördert. 

Laut Verzeichniss besitzen dreizehn Kantone zusammen 
48 ausgestopfte Exemplare; neun Kantone haben keines, ob- 
wohl erfreulicherweise bald alle Kantonshauptstädte wenigstens 
kleinere oder grössere Naturaliensammlungen, zum grossen 
Nutzen für Jugend- und Volksbildung, beherbergen. — In Be- 
zug auf jene Kantone, in denen der Bartgeier früher gehaust 
hat und jetzt ausgestorben ist, sehen wir, dass aus allen nur 
noch ein Exemplar (aus den Glarneralpen) in unsern Samm- 
lungen nachweisbar vorhanden ist. Wohin die gegen Ende 
des vorigen und ganz zu Anfang unseres Jahrhunderts erleg- 
ten Exemplare aus St. Gallen, Appenzell, Uri, Unterwalden 
u. s. w. hingekommen, wenn sie überhaupt der Aufbewahrung 
würdig erachtet wurden, ist nicht zu erfahren gewesen. Frei- 
lich bestanden damals noch wenige Sammlungen, und arbei- 
tete zudem in jener Zeit noch die Mangelhaftigkeit der Prä- 
parir- und der Conservirungskunst an rascher Verderbniss des 
vorhandenen Materials, 

Ob gegenwärtig in einem zoologischen Garten, in Mena- 
gerien oder bei einem einzelnen Beobachter ein schweizeri- 
scher, Bartgeier ein kümmerliches Dasein friste, ist mir nicht 
bekannt geworden: ich glaube es aber kaum. Zoologische 
Gärten und Menagerien suchen den Bartgeier eher aus dem 
Süden zu bekommen, woher er leichter zu beziehen sein soll. 
Aus einem Angebot von diesem Frühjahr, das sich auf einen 
jungen, in Spanien unmittelbar vorher dem Horst enthobenen 
Bartgeier bezog, und welches ich via London erhielt, habe 


v 


229 


ich aber zu ersehen Gelegenheit gehabt, dass dieser Vogel 
auch dort hoch im Preise steht. Das junge Thier soll dann 
nach London gekommen sein. — Unser Bartgeier scheint zu- 
dem in Gefangenschaft nicht gut auszudauern. Die mir be- 
kannten, ziemlich zahlreichen, in der Schweiz gefangen ge- 
haltenen Exemplare ertrugen dieselbe zwischen wenigen Mo- 
naten und wenigen Jahren, während der Steinadler in Gefan- 
genschaft fast unsterblich ist, und auch die ächten Geierarten 
des Südens als sehr hartleibig bezeichnet werden. — Ein 
Blick in das Verzeichniss zeigt ausserdem noch, dass beinahe 
die Hälfte aller in unserm Lande aufgestellten Bartgeier aus 
den Bündneralpen stammt, die in ihrer ungeheuren Ausdeh- 
nung wohl auch bis zuletzt die Zuiluchtsstätte des aussterben- 
den Riesen bleiben werden. 

Mit unserer Kenntniss über die Lebensweise des schwei- 
zerischen Bartgeiers in der Freiheit steht es auch heute noch 
in mehr als einer Hinsicht schlimm, da sich unser Räuber in 
den unendlichen Räumen des Luftmeeres und in den fast un- 
zugänglichen Alpenwildnissen bei seiner Seltenheit gar sehr 
einer einlässlichen Beobachtung entzieht. So herrscht schon 
über sein Fortpflanzungsgeschäft noch manche Unklarheit, und 
es muss als fraglich bezeichnet werden, ob es gelingt, volle 
Kenntniss davon zu erhalten, oder ob er vorher ausstirbt. Der 
Beginn der Fortpflanzungsperiode ist von jeher als sehr früh 
im Jahr eintretend angegeben worden, und der Fang des schon 
gegen Ende Dezembers zusammenfliegenden und lebenden Paa- 
res im Tessin ist geeignet, diese Annahme zu unterstützen. 
Es is ferner bekannt, dass Meissner in Bern einem frisch ge- 
schossenen Exemplar bereits im Februar ein zum Legen reifes 
Ei entnommen hat, und so fanden auch Dr. Stölker und ich 
Ende gleichen Monats in Entwicklung begriffene Eier bei der 
Sektion unseres Ausstellungsexemplares. Baldenstein traf bei 
der Sektion seines im April zu Grunde gegangenen einjähri- 
gen Vogels die Testikel sehr bedeutend geschwellt und nimmt 
deshalb mit vollem Recht an, dass auch Gypaetos sich als 
einjähriger Vogel fortpflanze. Steinmüller sah sie bei zwei 
ebenfalls noch braunen, frisch getödteten Exemplaren gleich- 
alls schon früh im Frühjahr sehr gross. Immerhin dürfte die 


Fortpflanzungsperiode des schweizerischen Bartgeiers etwas 
16* 


230 


später beginnen, als bei den südlichen Varietäten, da hiezu 
die klimatischen Verhältnisse, die Lage der Horststätte u.s.w, 
jedenfalls in bedingenden Beziehungen stehen. 

Wann unser Vogel mit dem Bau seines Horstes beginnt, 
ist nicht bekannt; auch ist er meines Wissens nie dabei be- 
obachtet worden; doch baut er nach den meisten Berichten » 
überhaupt einen solchen, falls er nicht einen bereits vorhan- 
denen, entweder von ihm schon früher benützten oder von 
einem andern Besitzerpaar wegen Todesfall oder Auswande- 
rung nicht mehr besetzten beziehen kann. Nach Berichten aus 
Tessin findet er aber die Ausführung dieser für ihn jedenfalls 
lästigen Arbeit, auch wenn er keinen Horst finden kann, nicht 
immer für unumgänglich nothwendig und soll sich unter Um- 
ständen mit einer geschützten Felsaushöhlung an einer Wand 
begnügen und dort die Eier auf Steinmoder legen, Auch Bal- 
denstein schreibt, es sei durchaus noch nicht ausgemacht, dass 
der Bartgeier immer einen Horst für die Erziehung seiner Brut 
besitze und ob er sich nicht im Nothfall ohne einen solchen 

in einer geschützten Felsnische behelfen dürfte, ähnlich wie 

"andere Raubvögel, welche in der Regel einen Horst zusam- 
menfügen, unter Umständen jedoch ihre Eier in nackte Fels- 
vertiefungen, Mauerrisse u. s. w. absetzen und die Brut auch 
so glücklich aufbringen. Wenn auch, wie gesagt, bestimmte 
Daten hierüber fehlen, so wäre es jedenfalls ungerechtfertigt, 
die Möglichkeit dieses ausnahmsweisen Verfahrens striete von 
der Hand zu weisen oder stillschweigend zu übergehen. 

Denselben Anspruch auf Notiznahme hat die mir gewor- 
dene Nachricht von den Horsten des Bartgeiers auf Bäumen. 
So erhielt Challande in den dreissiger Jahren ein Ei aus 
einem grossen Horst, der, wie ihm gemeldet wurde, auf einer 
starken Wettertanne gestanden und einem Bartgeier angehört 
habe. -— Aehnliches berichtet mir, mit Bezug auf den sardi- 
nischen Bartgeier, Nanetti von der südwestlichen Küste der 
Insel Sardinien, wo er während zwei Jahren am Bergstocke 
Corona Murvoni zwei Paare dieser Vögel sehr häufig beobach- 
tet hat, deren Horstplätze er dort vermuthete. Auf Dr. Stöl- 
kers Ansuchen verlegte er sich auf die Auffindung derselben 
und entdeckte den einen in einer Felsnische, nachdem er ihn 
lange Zeit vergeblich auf den jener Felspartie benachbarten 


231 


grossen Bäumen gesucht hatte. Den andern Horst hingegen 
fand ein Sarde auf drei nahe beisammen stehenden verstüm- 
melten Eichen placirt zunächst einem grossen Felsblock. Na- 
netti erkletterte denselben und sah nun in einem grossen, aus 
starken Prügeln und feinern Reisern construirten Horst mit 
Körperfedern des Bartgeiers in der Mulde. Bei diesem ersten 
Besuch im Mai war er leer, doch hielt sich das Paar in der 
Luft kreisend nahe dabei auf. Bei dem zweiten Besuch im 
Juni war der Horst ebenfalls ohne Zeichen seines Bewohnt- 
seins. — Nach meinem Dafürhalten bleibt es in diesem Falle 
wahrscheinlich, dass der Horst entweder kein Bartgeierhorst 
gewesen und derselbe sich doch irgendwo an der nahen Fels- 
wand befunden habe, oder aber dass er ursprünglich von Bart- 
geiern gebaut, jedoch als unbenutzbar wieder aufgegeben und 
ein solcher nach der Väter Weise im Felsen bezogen worden 
sei. —- Wir dürfen indessen die Thatsache nicht ausser Acht 
lassen, dass der Steinadler z. B. bei uns nur in den Alpen 
und dort ausschliesslich in Felsen horstet, während er in 
Deutschlands flachen Gegenden auf Bäume baut, sich also nach 
den gegebenen Verhältnissen richtet. — Durch die Repro- 
duzirung derartiger unsicherer Annahmen wird zwar unsere 
Kenntniss von deın Freileben des Bartgeiers allerdings nicht 
direct vermehrt, aber es wird dadurch zur Nachforschung auf- 
gefordert, die ihre Richtigkeit nachweisen oder deren Grund- 
losigkeit darthun sollen. Angenommen nun auch, unser Räu- 
ber baue wohl ausnahmsweise gar nicht, ein anderes Mal auf 
Bäume, so ist doch als sicher constatirt anzunehmen, dass er 
in der Regel ein eigentliches Nest und zwar in einer Felswand 
anlegt. Dies ist mehrfach für den Bartgeier der Centralalpen 
nachgewiesen, sowie für die andern Varietäten. — Der unse- 
rige wählt sich zu seiner Wohnstätte eine Stelle an einer 
möglichst kahlen, unnahbaren Felswand, ziemlich hoch, doch 
unterhalb der obern Holzgrenze aus, an einer Partie des Ab- 
sturzes, wo überhängendes Gestein ein schützendes Dach über 
einer geräumigen Nische bildet. „So“, schreibt Saratz, „sind 
die Horste im Camogaskerthal und bei Sils placirt“ also ähn- 
lich wie derjenige von Aquila fulva in unsern Alpen. — Nach- 
richten über Besuche von Bartgeier-Horsten bei uns durch 
competente Naturforscher liegen nicht vor, wohl aber mögen 


232 


Hirten solche bei gebotener Gelegenheit ausführen, ohne dass 
Kunde davon in die Aussenwelt dringt. Unsere Kenntniss be- 
steht also auch jetzt noch in den Angaben über die von Stein- 
müller in der Alpina angeführten Besuche dureh Bündnerjäger 
im Anfang unseres Jahrhunderts. Die Aussagen jener Aelpler, 
die sich an Stricken zu den Horsten hinunterlassen mussten, 
haben sehr bedeutend an Glaubwürdigkeit gewonnen, nachdem 
Dr. med. Brehm in Spanien uns die Beschreibung eines von 
ihm selbst in den spanischen Gebirgen an Ort und Stelle un- 
tersuchten Horstes gegeben hat, welche mit der von unsern 
Jägern schon fast ein halbes Jahrhundert früher gegebenen 
Schilderung durchaus übereinstimmt. Derselbe ist nach Be- 
richten eines jener Bündner einem Adlerhorst sehr ähnlich, 
aber viel grösser. Der Unterbau bestand bei dem von ihm 
untersuchten Bartgeierhorst aus einigen Lagen kreuzweise 
über einander geschichteter Bengel, dann folgte viel Heu. Auf 
dieser Zwischenschichte stand erst der aus feinen Reisern 
kranzartig aufgeführte Oberbau mit der Mulde. Die letztere 
wird von ihm als mit Moos und Heu, zu innerst aber haupt- 
sächlich mit Thierhaaren und Federn des Vogels selbst aus- 
gekleidet beschrieben. Das ganze Nest sei so geräumig ge- 
wesen, dass jedenfalls beide Alten sammt den Jungen darin 
Platz fanden. Ein anderer Bergjäger, welcher im Jahre 1815 
an Steinmüller einen jungen von ihm selbst dem Horst ent- 
hobenen Bartgeier übergab, bezeichnete ihm den Umfang des 
Baues ebenfalls als sehr bedeutend. 

Ueber die Zeit des Eierlegens herrscht Unkenntniss; doch 
dürfen wir dieselbe in den März verlegen, ohne Gefahr uns 
stark "zu irren. — In Bezug auf die Eierzahl eines vollen Ge- 
leges herrschte früher grosse Confusion. Von sieben nach 
frühern Angaben ist jetzt bis auf zwei und eines herunterge- 
marktet. Bei nur einem Ei hörte das Markten von selbst auf, 
da es sonst kein Wunder, wenn der Bartgeier schon längst 
ausgestorben wäre. Ob sich mehr Eier im Horste befinden, 
als die ausgebrüteten, deren Zahl ein Mal eines, das andere 
Mal zwei, aber nie mehr beträgt, ist nicht zu erfahren gewe- 
sen, und hat wohl Baldenstein recht, wenn er hierüber schreibt, 
dass das Herumsuchen des zitternd am Seile hängenden und 
den flüggen Vogel bindenden Aelplers nach allfällig noch vor- 


233 


handenen Eiern das letzte sein dürfte, was ihm in seiner kri- 
tischen Lage einfallen könnte. — Vom Camogasker Horst, mel- 
det Saratz, dass bald ein, bald zwei Junge von der gegenüber- 
liegenden Felswand aus in demselben bemerkt wurden. Im 
Horste im Schallfikk sass nur eines. Baldensteins Vogel war 
ebenfalls wackerer Leute einziges Kind in jenein Jahr, und mit 
diesen Befunden stimmen die Berichte zuverlässiger Forscher 
aus andern Alpenketten überein. So war Brehms Exemplar 
allein im spanischen Nest; so fand sich nach unseres St. Gal- 
lers Guido von Gonzenbach’s „Bemerkungen über die Säuge- 
thiere und Vögel Kleinasiens“ (Jahresbericht unserer Gesell- 
schaft 1860), welche neben andern werthvollen Notizen auch 
solche über den kleinasiatischen Gypaetos enthalten, zwei 
Jahre nach einander in einem ihm bekannten Horst nur je 


ein junger Vogel u. s. w. — Es ist demnach die Vermehrung 
des Bartgeiers auch bei ungestörter Fortpflanzung, als eine je- 
denfalls schwache zu bezeichnen. — Nach mir eingegangenen 


Berichten soll der unsere sogar nur alle zwei Jahre brüten; 
doch wüsste ich hiezu keinen Grund bei der sonst schwachen 
Vermehrung und auch so viel mir bekannt keine Analogie. 
Gonzenbach’s Beobachtung spricht wenigstens für die klein- 
asiatische Varietät deutlich dagegen. Aus dem zeitweisen 
Nichtbewohntsein der Horste in unsern Alpen darf wenigstens 
keinesfalls ein derartiger Schluss gezogen werden. 

Ein Ei des schweizerischen Bartgeiers hat mir leider bei 
der Arbeit nicht vorgelegen. Vogel in Zürich schickte mir 
mit gewohnter Bereitwilligkeit zwei sehr schöne des griechi- 
schen, von Krüper gesammelte mit der Bemerkung zu, er wisse 
von keinem Ei des schweizerischen Bartgeiers, das sich irgend- 
wo in einer Sammlung befinde, und auch dem Bar. König- 
Warthhausen, der in seiner berühmten Eiersammlung 8 Gy- 
paötos-Bier aus den verschiedensten Gebirgsketten besitze, sei 
es bis jetzt nicht gelungen, ein solches aus den Centralalpen 
zu erhalten. Das von Meisner ausgeschnittene, welches aber 
ebenfalls verloren gegangen zu sein scheint, war, im Legdarım 
wenigstens, noch vollkommen weiss. Die griechischen, die ich 
gesehen, sind auf weissem Grundton gelbbräunlich und braun 
gefleckt, besitzen ein eigenthümliches warziges Korn und 
schimmern, was, wie Vogel schreibt, für das Bartgeier-Ei im 


234 


Gegensatz zu den Geiereiern charakteristisch ist, gegen das 
Licht gehalten gelb durch und nicht grün, wie diejenigen von 
Vultur einereus und fulvus. 

Wie lange die Brütezeit bei unserer Varietät dauere, 
weiss ich nicht, aber auch sonst leider Niemaud. — Geben wir 
der alten Räuberin, die vielleicht mit dem alten Sünder sich 
in das Brutgeschäft theilt, vier Wochen Zeit dazu, womit nach 
Analogie nicht weit gefehlt sein dürfte, so kriecht der kleine 
Mörder im April aus und zwar, wie Baldenstein an den Res- 
ten des Dunenkleides seines Exemplares sehen konnte, ein- 
gehüllt m grauen Flaum. — Seine Entwicklung geht langsam 
voran. So wurde Baldensteins Vogel, allerdings ziemlich 
flügge, erst Anfangs Juli dem an steiler, unersteiglicher Fels- 
wand über Novata am Comersee befindlichen Horste entnom- 
men; ein anderer in Bünden in gleichem Entwicklungsstadium 
ganz zur nämlichen Zeit des Jahres. — Brehm erhielt zwar 
sein Exemplar schon Anfangs März; er bemerkt aber selbst, 
der Vogel sei damals noch so jung gewesen, dass er sich 
nicht auf den Beinen halten konnte. — Der von Gonzenbach 
citirte Horst, welcher 21/, Stunden von Smyrna entfernt an 
den „zwei Brüdern“ gelegen hatte, wurde das erste Mal An- 
fangs Juni besucht. Der Nestvogel sass zwar noch im Horst, 
war aber bereits so flügge, dass er sich retten konnte. Das 
nächste Jahr wurde die Expedition drei Wochen früher aus- 
geführt, der Vogel ausgehoben und der grosse Horst vom Fel- 
sen geworfen. — Vor Anfang Juni dürfte wohl auch Brehm’s 
Vogel den Horst freiwillig nicht verlassen haben. In unsern 
Alpen tritt, nach Baldenstein’s Beobachtung, die Ausflugszeit 
der jungen Bartgeier jedenfalls nicht vor Ende Juli ein und 
fällt also so ziemlich mit der der jungen Steinadler zusammen. 
— Gar zu früh im Jahr würden sich in jenen hohen, rauhen 
Regionen der glücklichen Bebrütung der Eier und der Auf- 
zucht der Brut wohl unüberwindliche Hindernisse in den Weg 
stellen, und wie sollte zu jener Zeit das eine der beiden El- 
tern, während das andere das Ei vor dem Erkalten beschützt 
oder den jungen Vogel vor dem Erfrieren bewahrt, Nahrung 
für die ganze Familie herholen ? 

In der ersten Zeit versorgt unser Bartgeier seine Brut mit 
aus dem Schlund ausgewürgtem Fleisch, und Brehm hat die 


235 


Beobachtung gemacht, dass der junge Vogel Knochen erst sehr 
spät zu fressen beginnt. Während der anfänglich sehr unbe- 
holfene, mit seinem grossen Schnabel und Kropf hässlich aus- 
sehende Nestvogel Gestalt zu gewinnen beginnt und mehr 
Nahrung bedarf, ist der Frühling auch in jene Regionen hin- 
aufgedrungen. Die Murmelthiere, geweckt durch die Wärme 
der Erde, haben ihre Schlupfwinkel verlassen; bald folgt die 
Wurizeit der Gemsen, die ebenfalls wieder in den höhern 
Regionen weiden können, und die Ziegen- und Schafheerden 
haben die obersten Alpenweiden bereits bezogen. 

In südlichen Ländern beginnt ohne Zweifel das Fortpflan- 
zungsgeschäft früher als in den rauhen Alpen unserer Breite, 
aber auch dort wird, wie überall, die Entwicklung des jungen 
Bartgeiers, analog derjenigen aller anderer Raubvögel, langsam 
vor sich gehen, und gewiss wird derselbe da wie dort seinen 
Horst erst mit völliger Flugkraft ausgerüstet verlassen. Bis 
dies geschehen kann, tragen die alten Vögel besonders frisch 
geworfene Zickelchen, Lämmer, dann Murmelthiere u. s. w. 
ihrer heranwachsenden Brut zu. — An künstlich aufgefütter- 
ten Raubvögeln verlieren wir jeden Massstab für die Bemes- 
sung der Entwicklungsschnelligkeit des freien Nestvogels, da 
ein solcher in Gefangenschaft, ohne Ausnahme viel reichlicher 
gefüttert, auch viel rascher sich ausbildet als dort. Gerade 
in Bezug auf Gypa@tos alpinus ist beobachtet worden, dass er 
seine Brut oft sehr lange auf Atzung warten lässt, und dass 
es dieser nicht zu schaden scheint, wenn sie tageweise nichts 
erhält. — Vielleicht thun es die Raubvögel allen andern Vö- 
geln in Verträglichkeit gegen einen leeren Magen zuvor. So 
erhielt ein gefangen gehaltener Gypaötos aus Versehen neun 
Tage lang gar keine Nahrung ohne den mindesten Nachtheil, 
und Baldenstein bezeugt, dass er einst drei junge ausgewach- 
sene Uhu’s, nachdem sie probehalber während drei Wochen 
nicht gefüttert worden waren, gesehen habe, die dann zwar 
Hunger gehabt, aber noch vollkommen gesund gewesen seien. 
Aehnliche Beispiele sind viele bekannt. 

Ist endlich die Brut im Hochsommer (in unsern Alpen) 
flügge, d. h. fast ausgewachsen und vollständig flugkräftig ge- 
worden und ausgeflogen, so hat der Alpengeier wohl seine 
beste Zeit. Er kann jetzt seine Exkursionen, die er während 


236 


der Brüte- und Atzungszeit auf die nöthigste Entfernung be- 
schränkte, wieder nach Belieben, wenigstens über sein ganzes 
weites Jagdgebiet, ausdehnen. — Die Jungen fliegen noch 
lange mit den Alten, in deren Unterricht sie ihre Flugkünste - 
und die eigenthümliche Jagdmethode erlernen, hier auf grosse 
und kleine lebende, dort auf todte Beute. Waren die Alten 
Aasjäger, so werden es auch die Jungen; suchen aber jene 
ihre Beute unter den lebenden Alpenthieren, so wird sie auch 
ihre Nachkommenschaft auf ihren Jagdzügen begleiten, beim 
Raube beobachten und später in ihre Fussstapfen treten. 

Der Alpenbartgeier bringt den grössten Theil des Jahres 
in den hohen und höchsten Regionen zu, wird aber wie be- 
merkt hie und da auch im Sommer die Hochthäler durchstrei- 
fend getroffen. Im Winter lässt er sich so weit herunter, als 
ihn die Beschaffung der Nahrung oder gar zu wildes Schnee- 
weiter dazu zwingt. So kam er früher von den Kurfirsten bis 
an die Ufer des Wallensee’s, bis Quinten und Bethlis herab, 
suchte sich ein: Opfer und erhob sich nach gelungener Sätti- 
gung sofort wieder zu bedeutender Höhe. So schwebt er, 
nach Bericht von Reg.-Rath Brunner in Meiringen, jetzt noch 
zu den Bergdörfern des Oberhasli, sowie nach Kandersbers, 
Lauterbrunnen, Grindelwald hinunter, in Graubünden nach 
Pontresina, wo er bis vor die Häuser kommt, nach Lawin, 
Süss herab, und in Malans wurde ein Exemplar unmittelbar 
hinter einem Hause auf ebener Wiese erlegt. Im Tessin wird 
er dann tief im Maggia- und Liviner- Thal während längerer 
Zeit gesehen. Von überall her aber wird die Dreistigkeit bei 
solchen Besuchen und das vollständige Ignoriren des Menschen 
als ein Charakterzug unseres Bartgeiers gemeldet. 

Auch gegen Kälte, so lange dieselbe nicht von Nahrungs- 
losigkeit begleitet ist, zeigt er bedeutende Widerstandsfähig- 
keit. Baldenstein’s Exemplar hauste den ganzen, langen, kal- 
ten Graubündner-Winter hindurch zu oberst im Schlossthurm, 
dessen Fensteröffnungen nur durch Gitter verschlossen waren, 
durch welche Wind und Schnee lustig hineinpfiffen. Auch 
Scheitlins Vogel war der Kälte ausgesetzt. Beide erfreuten 
sich dabei des besten Befindens, und wahrscheinlich wäre dies 
auch unserm Gefangenen besser bekommen, als die zwar sehr 
bescheidene Wärme in seinem Lokal. 


237 


In Bezug auf die Entwicklung der Sinne ist hinreichend 
bewiesen, dass wenigstens Gesicht und Geruch sehr ausgebil- 
det sind. — Eine Stimme lässt er selten hören, am ehesten 
wenn er in bedeutender Höhe kreist. Unser Tessiner Jäger 
gibt sie so wieder: ku-iii-ku-iii. In Gefangenschaft hörte ich 
von ihm ein leises Piepen in sehr hohem Ton aus geschlos- 
senem Schnabel bei gutem Humor, ein schnell auf einander 
folgendes: iiii beim Spielen, ein scharfes: ki-ki-ki bei weit 
aufgerissenem Schnabel im höchsten Zorn. 

Aus Bünden und Tessin wird mir übereinstimmend be- 
richtet, dass er seine Thätigkeit erst längere Zeit nach Son- 
nenaufgang, „wenn die Sonne an die Berge scheint,‘ beginne. 
Im Sommer vom Horst oder von einer hohen etwas geschützt 
und sicher gelegenen Felswarte aus, wo er die Nacht zu- 
brachte, im Winter aus der wärmeren, waldigen Schlucht auf- 
steigend, unternimmt er wieder, je nach der Jahreszeit, allein 
oder mit der Ehehälfte zuerst einen Jagdzug in die von Gem- 
sen, oder von Ziegen- und Schafheerden bewohnten Alpenge- 
genden, oder fliegt nach den Murmelthiercolonien, sucht den 
Alpenhasen aufzustöbern und sich auf irgend eine Weise zu 
sättigen. Ist ihm dies gelungen, so zieht er sich für einen 
Theil des Tages auf seinen Lieblingssitz, gewöhnlich eine iso- 
lirte Felsspitze, zurück, wo er der Verdauung obliegt und der 
Ruhe pflegt, um später noch einen Vergnügungsflug auszufüh- 
ren und nach den Resten einer Beute zurückzustreichen, Län- 
gere Zeit nach Sonnenuntergang erst sah ihn unser Tessiner 
Gewährsmann seinem Schlafplatze zusegeln. 

Zuverlässige Augenzeugen berichten mir über seinen Flug, 
dass derselbe je nach seinem Zweck sehr grosser Verschie- 
denheit fähig sei. Einem bestimmten Ziele zuführend sei er 
‚wahrhaft reissend, saussend, lange Zeit ohne Flügelschlag und 
ungemein fördernd, wie er auch der Flügelform am meisten 
entspricht; dabei ziehe der Vogel in möglichst gerader Rich- 
tung und gleicher Höhe hoch über Thäler und dicht über Ge- 
birgskämme oder in unabsehbare Ferne längs den Bergreihen 
dahin. Hiebei lässt er sich nach allen Berichten nicht gerne, 
selbst nicht durch menschliche Wohnungen und Menschen, aus 
der einmal eingeschlagenen Richtung und Höhe bringen. Ueber 
Personen rausche er oft so niedrig und dabei se langsam und 


238 


sorglos dahin, dass man unter Umständen nicht wisse, ob man 
es dabei mit einem durch die Einsamkeit seines gewöhnlichen 
Aufenthaltes durchaus furchtlos gewordenen, d. h. die Gefahr 
nicht kennenden Vogel zu thun habe oder mit einem solchen, 
der sich an die Gefahr nicht kehre, oder aber der gar Angriffs- 
pläne im Kopfe habe. Der Fänger unseres Exemplars erlegte 
den einzigen Bartgeier, den er überhaupt zu Schuss bekam, 
als er auf einer Felsbank von der Jagd ruhend lag, einen 
grossen Schatten neben sich auf dem Boden bemerkte :und 
aufblickend den Vogel in immer enger gezogenen Kreisen sich 
auf ihn herabsenkend nahe über sich sah. 

Der Vergnügungsflug wird von Allen, die denselben selbst 
zu beobachten Gelegenheit hatten, übereinstimmend als leicht, 
schwebend, schwimmend, in weiten Schneckentouren auf- und 
abwärts kreisend beschrieben. 

Ganz anders nimmt sich unser Vogel beim Absuchen eines 
Revieres aus; „dann“, schreibt Hold, „sah ich ihn schein- 
bar schwerfällig mit langsamen, weit ausholenden, rauschenden 
Flügelschlägen dicht über der Erde daherfahren ; sehr erstaunt 
aber war ich, ihn gleich nachher in scharfen Schwenkungen 
auf’s zierlichste um einzelne Felsblöcke fliegen und sich schlän- 
geln zu sehen.“ — So vollkommen er seiner Situation Meister 
ist, sowie er erst Luft unter seine Fittige gefasst, so mühsam 
erhebt er sich wegen der Länge der Flügel und Kürze der 
Beine vom Boden weg. Auf ebene Flächen setzt er sich ohne 
absolute Nothwendigkeit schon gar nicht, und im Tessin sah 
ihn unser Jäger, unter solchen fatalen Umständen von ihm 
überrascht, eiligst einer Erhöhung zulaufen und erst von dort 
aus zum Abfluge sich rüsten. Jenes Exemplar, welches Salis 
am Calanda plötzlich zu beidseitigem Erstaunen etwa 50 Fuss 
über sich am Abhang sitzen sah, „schob sich“, so schreibt er 
mir, „mit einigen komischen Sprüngen förmlich in die Luft 
hinaus, um dann leicht und stolz dicht über meinem Kopfe 
abzuziehen.“ — So wird sein Aufstehen von allen Beobach- 
tern beschrieben. 

Dieselbe Verlegenheit konnte ich auch bei unserm Ge- 
fangenen beobachten, der immer, wenn er sich auf den Sitz 
schwang, zuerst sich tief duckte, dann die Flügel ausbreitete 
und endlich mit einem heftigen Sprung und Anlauf aufkam. 


239 


— Kommt er aus der Luft herab, so lässt er schon ziemlich 
hoch über dem Boden die Ständer herunterhängen, sucht den 
Fall durch Hochstelien der Flügel zu mässigen, ohne sich da- 
bei um sich selbst drehen zu müssen, und berührt nun so die 
Erde, muss jedoch auf ebenem Boden, wo er nicht sofort fest 
einfassen kann, gewöhnlich noch einige rasche Schritte aus- 
führen, bis Ruhe eintritt. 

Mit dem Steinadler verträgt er sich in der Freiheit gut, 
und scheinen sich diese zwei verschiedenen Genera in ihren 
Horstbezirken nicht auszuschliessen, viel eher ist dies unter 
einzelnen Adler- und Falkenarten selbst der Fall. So schrieb 
ınir Preissig in Burgdorf, dass, sobald der Wanderfalke in sei- 
ner Gegend horste, kein Thurmfalke sich daselbst ansiedle. 
Wie sich der Alpenbartgeier den ächten Geiern gegenüber in 
dieser Hinsicht verhaite, haben wir bei uns nicht Gelegenheit 
zu beobachten. Nur der südliche Schmutzgeier zeigt sich nach 
einzelnen Berichten in den Gebirgen Tessins nicht ganz sel- 
ten. Ob er aber dorl wie wenigstens zeitweise am Mont-Sa- 
leve bei Genf niste, ist bis jetzt nicht ergründet worden. 

Mit der Frage nach der Ernährung des Alpenbartgeiers 
sind wir, sowohl in Bezug auf die Qualität des Nährstoffes 
als auf die Arl und Weise, wie er sich desselben bemächtigt, 
bei dem streitigsten Kapitel seiner Naturgeschichte angelangt. 
— Dass er das Aas frisst, steht fest; hierin stimmen alle Be- 
richte überein. Am deutlichsten beweist dies, wenn wir noch 
vermeiden wollen, aus seinem bezüglichen Verhalten in Ge- 
fangenschaft auf sein Freileben zu schliessen, der Umstand, dass 
die Falle stets mit solchen geködert wird, und dass er oft auf 
Aas angetroffen worden ist. Ein Bündner Jäger schoss ein 
altes Thier auf einem todten jungen Rind, welches am Fuss 
eines steilen Felsens lag und dem der Vogel bereits die Augen 
ausgefressen hatte. Er war im Begriffe, mit aller Kraft seines 
Reisshakens die Leibeshöhle des Rindes aufzubrechen, als ihn 
die Kugel todt über das todte Thier hinstreckte. Das Rind 
war kurze Zeit vorher auf der Fläche jenes Felsens weidend 
beobachtet worden. Auf todten Gemsen wurden schon meh- 
rere erlegt und die frischtodte Gemse sammt dem darauf er- 
legten Bartgeier als gute Prise zur Hütte geschleppt. — Beim 
Verzehren eines kleinen Säugethieres scheint er auch in der 


240 


Freiheit im Genick zu beginnen und mit dem Haken die Beute 
stückweise zu zerfleischen, indem er sie mit einem Fusse, 


wohl auch mit beiden festhält. — Bei grossen Thieren befolgt 
er immer die angedeutete Zerreissungsmethode. — Auch sein 


oft angezweifeltes Auifliegen mit grossen Knochen, um sie in 
der Höhe fallen und auf den Felsen zerschellen zu lassen und 
verschlingbar zu machen, wird mir von Graubünden her als 
vielfach und über alle Zweifel sicher constatirt gemeldet; das- 
selbe höre ich auch durch Nanetti von der kleinern sardini- 
schen Varietät, während der Tessiner dies nie beobachtet hat. 
— 7u von ihm getödteten oder schon todt gefundenen Thie- 
ren kehrt der Alpenbartgeier nur zurück, um sie vollends zu 
verschlingen, wenn es ihm bis zur Wiederkehr des Hungers 
nicht gelungen ist, lebende Beute zu machen. Nach mehr. als 
8 Tagen sah ihn unser Tessiner Jäger im Winter zu einem 
für ihn als Lockspeise hingelegten todten Thiere zurückkeh- 
ren, in gerader Linie aus weiter Ferne daherschiessend, sei 
es, dass ihn hiebei mehr der Geruchs- oder der Ortssinn ge- 
leitet. Auf dem Aase angelangt, dem er sich jedoch stets nur 
unter Beobachtung gewisser Vorsichismassregeln nähert, frisst 
er sich, von der Sicherheit seiner Person überzeugt, so voll, 
als er eben kann. — So vorsichtig er sich im Allgemeinen 
vor dem Aase benimmt, so dreist macht ihn Hunger und Noth 
angesichts eines Frasses. „So erhob sich“, schreibt mir Manni, 
„einst bei heftigem Schneesturne ein altes Exemplar vor mir 
von der Landstrasse weg erst, als ich ihm etwa 15 Schritte 
nahe gerückt war. Dasselbe befand sich zudem unmittelbar 
hinter eineın Hause, in welchem nämlichen Tages geschlach- 
tet worden war, und wo es wohl einen Knochen, Eingeweide 
oder sonst ein Ueberbleibsel eines Schlachtthieres gefunden 
haben mochte, dass es sonst verachtet hätte, in seiner Be- 
drängniss aber schätzen lernte.“ — Hatte sich unser Gefange- 
ner so recht angefüllt, so sass er oft lange mit geöffnetem 
Schnabel, mühsam Athem holend, da, weil ihm der gefüllte 
Sack die Luftröhre zusammendrückte. Bei dem regen Stoff- 
wechsel dürfte jedoch die Verdauung in der Freiheit viel ra- 
scher vor sich gehen. — Von ihm selbst getödtete kleinere 
Vierfüssler: Berghasen, Murmelthiere, frischgeworfene, über- 
haupt junge Gems- und Ziegenkitzen, Lämmer, Ferkel u. s. w. 


241 


zieht er bei uns jeder andern Nährung vor, und die wildle- 
benden den Hausthieren. Vom Vogelfrasse wird mir nirgends 
her Wesentliches berichtet, von manchem Beobachter wird 
derselbe sogar gänzlich bestritten. — Findet er solche seiner- 
seits ohne Anstrengung und Gefährde zu erbeutende Säuger 
in genügender Anzahl so ist er gewiss zufrieden, seinen Hun- 
ger auf die müheloseste Weise stillen zu können. Gelingt ihm 
dies aber nicht und ist auch kein Aas zu haben, dann zwingt 
ihn der Hunger, dann führt ihn der Selbsterhaltungstrieb da- 
zu, grössere lebende Thiere zu überfallen und zu bezwingen: 
Schafe, Ziegen, Gemsen, Füchse, Kälber u. s. w. Hierüber 
sind alle Berichte, die mir seitens gewissenhafter Beobachter 
eingegangen sind, zu sehr einig, als dass für mich die 
vollständige Sicherheit der Thatsache noch im geringsten frag- 
lich sein könnte. Dieselben Berichterstatter sind auch alle 
darin einig, dass sich der Alpenbartgeier von Aas und kleinen 
Säugern allein gar nicht zu erhalten im Stande wäre. — Berg- 
hasen sucht er aus dem Gestrüpp und Krummholz herauszu- 
Jagen, ganz auf die nämliche, bereits angedeutete Weise, wie 
der sardinische den Landhasen, um sie dann auf offener Ge- 
gend entweder ohne weiteres zu fassen oder vorher durch 
einen Flügelhieb zu betäuben. Je nach der Sicherheit der 
Stelle frisst er die Beute sofort an oder trägt sie nach dem 
Horst oder seinem gewöhnlichen Standplatz. — Bei der Jagd 
auf erwachsene Gemsen, Schafe u. s. w. bedient er sich zu 
deren Bewältigung in erster Linie seiner Flügel und nicht, 
wie der Adler, der Fänge, in denen der letztern Macht liegt, 
während sich der Bartgeier des Schnabels wie der Krallen nur 
in untergeordneter Weise bedient. — Während der Adler aber 
fast immer mit angezogenen Flügeln wie eine Bombe aus der 
Luft auf die Beute herabfährt, ihr die Fänge einschlägt und 
sie durch Ersticken, verbunden mit Beibringung von Wunden 
durch den Schnabel, mordet, so geschieht der Angriff des 
Bartgeiers nach allen Berichten, die mir vorliegen, meist erst 
aus ziemlicher Nähe. Unser. Tessiner Beobachter berichtet 
nach mehrfacher eigener Anschauung: „Wenn der Avoltojo 
barbaeco mit seinen scharfen Augen auf dem Boden unter 
sich ein Thier sieht, welches er fressen will, so fällt er nicht 
wie ein Stein aus der Luft herab, gleich der Aquila reale, 


242 


sondern er kommt in weiten Kreisen herabgeflogen. Oft setzt 
er sich zuerst auf einen Baum oder einen Felsen ab und be- 
ginnt den Angriff erst, nachdem er sich nochmals, jedoch nicht 
hoch, erhoben hat. Sieht er Leute in der Nähe, so schreit 
er laut und fliegt fort. Nie greift er Thiere an, welche weit 
von Abhängen im flachen Thale weiden. Bemerkt er aber 
eine Gemse z. B., die nahe am Abgrunde graset, so beginnt 
er, von hinten heranschiessend, mit wuchtigen Flügelschlägen 
das aufgeschreckte Thier mit grosser Beharrlichkeit hin und 
her zu jagen und zu schleppen, bis es, völlig verwirrt und 
betäubt, nach dem Abhange hinflieht. Erst wenn der Avol- 
tojo barbacco diesen seinen Zweck erreicht hat, legt er seine 
ganze Kraft in die starken Flügel. Von beiden Seiten fahren 
mit betäubendem Zischen und Brausen die harten Schwingen 
klatschend auf das tödtlich geängstigte, halb geblendete Opfer. 
Wohl sucht dieses noch, zeitweise sich zusammenraffend, mit 
den Hörnern den Mörder abzuwehren — vergeblich. Zuletzt 
wagt es einen Sprung oder macht einen Fehltritt; es springt 
oder stürzt in die Tiefe, oder aber es bricht sonst todesmatt 
zusammen und kollert sterbend über die Felsbänke. Langsam 
senkt sich der Bartgeier seinem Opfer nach, tödtet es nöthi- 
genfalls noch vollständig mit Flügeln und Schnabel und begimnt 
ungesäumt das warme Thier zu zerfleischen. — Steht ein 
Schaf oder ein ähnliches Thier, ein Jagdhund, an sehr stei- 
ler Stelle am Abhang, und er wird nicht von ihm bemerkt, 
bis er, von hinten kommend, ihm sehr nahe gekommen, so 
dauert der Kampf oft nur sehr kurze Zeit. Er fährt mit schar- 
fem Flügelschlage direct an das überraschte Opfer an und wirft 
es durch den ersten Anprall glücklich hinunter, oder er reisst 
dasselbe fliegend mit Schnabel und Krallen über die Felskante 
hinaus und lässt es stürzen, im Abgrunde zerschellen.« — 
Hiermit übereistimmend schreibt mir Baldenstein; ‚Als ich 
einst auf einer meiner Gebirgsjagden gegen Abend in gemüth- 
lichem Gespräch bei einem Hirten sass, schnobberte dessen 
Hund am nahen Abhang herum. Plötzlich erreicht ein Schrei 
des Hundes unser Ohr. Im selben Augenblick sahen wir den 
treuen Heerdenbewacher über dem Abgrund in der Luft schwe. 
ben, während sein Mörder, ein alter Bartgeier, triumphirend 
über ihm hinschwamm. Wir hatten unmittelbar vorher nicht 


243 


auf den Hund geachtet und auch von dem Geier nichts be- 
merkt, bis uns der sonderbare Schrei des armen Thieres nach 
jener Stelle sehen liess. Ohne jenen Schreckenslaut wäre der 
Hund auf eine räthselhaft Weise verschwunden und wir hät- 
ten uns sein Verschwinden nie erklären können, wenn auch 
sicher der Verdacht auf diese Todesart in uns sofort aufge- 
taucht wäre. Schnell liess sich auch der Geier auf seine 
Beute hinunter und verschwand wie diese vor unsern Augen. 
Es wickelte sich Alles sehr rasch ab, rascher, als es erzählt 
werden kann. — Ob der Vogel diese Beute mehr durch die 
Gewalt seines Flügelschlages oder durch einen Riss mit dem 
Schnabelhaken über den Felsen hinaus geworfen, bin ich des- 
halb zu entscheiden nicht im Stande, weil, wie gesagt, bei 
unserm Aufblicken der Hund schon frei in der Luft schwebte. 
Sicher aber weiss ich, dass der Bartgeier nie auf einen mei- 
ner jagenden Hunde stiess, so lange sie, entfernt vom Ab- 
grund, auf ebenem Boden suchten, so oft er auch allein oder 
zu zweien nahe über ihnen kreiste. Der Bartgeier ist nicht 
ein Stossvogel im Sinne des Adlers.“ — Von einem andern, 
die Jagdmethode unseres Riesenvogels in ähnlicher Weise 
zeichnenden Falle berichtet mir Hold: „Eine bemerkenswerthe 
Thatsache will ich anzuführen nicht unterlassen, wie sie mir 
ein durchaus glaubwürdiger Forstmann und Jäger mitgetheilt. 
Derselbe war am Calanda ob den Felsrücken auf der Hasen- 
jagd und bemerkte, wie ein „ungeheurer goldgelber Goldadler“ 
auf seinen jagenden Hund zu wiederholten Malen stiess und 
nach vergeblichem Angriffe sich auf eine nahe Föhre zurück- 
208g, von wo aus er denselben wiederholte. Es gelang dem 
Jäger sich heranzuschleichen und das Thier mit zwei Schüs- 
sen zu Fall zu bringen, das sich aber nochmals erhob und sich 
in den Abhängen, wohin ich ihm nicht folgen konnte, verlor. 
Die zahlreichen Federn, die mir mein Gewährsmann vorwies, 
waren unzweifelhaft Brustfedern eines ausgefärbten Bartgeiers. 
— Derselbe Jäger beharrte aber darauf, dass Hasen, die ihm 
vor dem Hund weggetragen worden seien, nicht von einem 
solchen „Goldadler“, sondern von einem gewöhnlichen klei- 
nern, braunen „Bergadler“ gestohlen worden seien.““ — Dass 
und in welcher Weise der Bartgeier auch erwachsene Geıin- 


sen angreift und bewältigt, hatte Saratz mit eigenen Augen 
Zeitschr. f. d ges. Naturwiss. Bd, XXXVIIl, 1571. 17 


244 


Augen anzusehen Gelegenheit: „Als ich einst,“ schreibt er, 
„von meinem Haus aus Gemsen auf ihrem Marsche zuschaute, 
sah ich plötzlich, wie ein gewaltiger Bartgeier von hinten 
auf eine derselben niederstürzte, ihr einige rasche Flügel- 
schläge versetzie, dann auf die am Boden liegende Beute sich 
warf und sie sofort mit dem Schnabel zu bearbeiten begann.“ 
__ „Mit Bezug auf die Unzulässigkeit, den Bartgeier in Ge- 
fangenschaft dem freilebenden an die Seite stellen zu wollen,“ 
schreibt er ferner — „diesen Unterschied klar vor Augen zu 
sehen, hatte ich mehrfach Gelegenheit: Bei meinen Jagdstrei- 
fereien zuf Gemsen sah ich einmal ein kleines Rudel dersel- 
ben an einem schmalen Gletscher dahinziehen und ruhig, die 
Gais voran, dem Berggrat sich zuwenden. Plötzlich stutzi die 
Gais, die andern halten bestürzt an und im Nu haben alle 
einen Kreis gebildet, die Köpfe sämmtlich nach innen gekehrt. 
Was mochte diese Unruhe, diesen plötzlichen Halt bewirkt 
haben? Hierüber gab mir ein der Höhe zugewandter Blick 
Aufschluss; denn ich wurde bald gewahr, dass sich über ihnen 
in der Luft etwas schaukelte, was mir mein Glas sogleich als 
Bartgeier, der sich auch in ziemlicher Entfernung im Fluge 
an Flügel- und Schwanzform vom Adler unterscheiden lässt, 
zu erkennen gab. Plötzlich stürzte er sich von hinten den 
Gemsen in schräger Richtung nach, welche jedoch den Raub- 
vogel mit energischem Emporwerfen der Hörmer empfingen, 
und ihn zwangen, von ihnen abzulassen. Der Bartgeier erhob 
sich, um vier Mal denselben Angriff zu wiederholen. Noch- 
mals erhob er sich, diesmal aber immer höher und höher, 
und als er nur noch als Punkt am Horizont sichtbar war, da 
plötzlich stäubten meine geängstigten Thiere auseinander, um 
sich im  gestreckten Lauf einer überhängenden Felswand zu 
nähern, der sie sich anschmiegten und nun das Auge unver- 
wandt der Höhe zuwandten. In dieser Position verblieben sie, 
bis ihnen die einbrechende Nacht Beruhigung über ihre Si- 
cherheit brachte.“ — Um noch eine Thalsache ähnlicher Art 
anzuführen, die gleichzeitig die Jagdmanier des schweizeri- 
schen Bartgeiers und die Vertheidigung der Gemse diesem 
Räuber gegenüber kennzeichnet, berichtet mir ein anderer 
bündnerischer Beobachter und Jäger, wie er einst einen Bart- 
geier, nicht weit von seinem Standpunkt entfernt, auf eine 


245 


Gemse habe stürzen sehen, vergeblich bemüht, sie mit Flü- 
gelschlägen in den Abgrund zu stürzen. Sein gewöhnliches 
Manoeuvre misslang diesmal, da die gescheidte Gemse, an- 
statt nach dem Abgrund hin zu fliehen, sich mit einigen küh- 
nen Sätzen noch rechtzeitig in eine Felsennische retirirt hatte, 
dort mit den Hörnern muthig die Angriffe abwies und sich 
um keinen Preis aus ihrer geduckten Stellung hinaustreiben 
liess. Ein ganz ähnlicher Fall wird mir gleichzeitig aus dem 
Tessin gemeldet. — Diese Berichte stammen direct aus dem 
Munde von Gebirgsbewohnern und alle aus Alpenrevieren, wo 
der Bartgeier noch Standvogel ist, von Männern, welche ihn 
vollkommen sicher vom Steinadler zu unterscheiden wissen, 
weiche die eine Räuberei mit Bestimmtheit dem einen, die 
andere dem andern aufbürden, und die sich mit vollkomme- 
nem Keeht das nicht ausreden lassen wollen, was sie am hell- 
lichten Tage mit den ihnen eigenthümlich zugehörenden, äus- 
serst scharfen Augen gesehen haben. — So schieben alle 
übereinstimmend das Stossen aus grosser Höhe herab direct 
auf die Beute, gefolgt von dein Wegtragen schwererer Thiere, 
dem Steinadler zu, während Gypaetos alpinus kleinere Säu- 
ger entweder wegträgt oder auf der Stelle verzehrt, grössere 
aber womöglich in den Abgrund jagt, stösst, schleppt, oder 
reisst, wenn ihm aber ein solcher Raub ohne Hinabstürzen 
gelingt, die Beute stets an der Stelle anfrisst. 

Dass der Bartgeier sich auch an Menschen wage mit der 
Absicht sie zu tödten, ist seit langer Zeit vielmal geglaubt 
und als Märchen verlacht, dann wieder für eine Thatsache oder 
doch wenigstens für vielleicht möglich gehalten worden. — 
Beispiele vom Raube kleiner Kinder durch grosse Raubvögel, 
bei denen es sich in unserer Alpenkette jedenfalls nur um 
den Steinadler und den Bartgeier handeln kann, sind zu sicher 
eonstatirt, als dass hierüber noch zu debattirer wäre. Warum 
nun der Verbrecher immer durchaus der Steinadler sein soll, 
ist nicht a priori klar, wenigstens mir und vielen Andern 
nicht. Was den Bartgeier, der sich constatirtermassen an er- 
wachsene Gemsen wagt, die doch gewiss im Vergleich mit 
einem kleinen Kinde sehr wehrhaft zu nennen sind und die 
dennoch meist besiegt werden, abhalten sollte, bei gebotener 
Gelegenheit ein solches hülfloses Wesen, in welchem er wohl 

15 


246 


noch nicht den Herrn der Erde respectiren zu müssen glaubt, 
wegzuschleppen, über einen Felsen hinunter zu werfen — an 
denen man sie in den Bergen oft genug in der Nähe der Hüt- 
ten herumkrabbeln lässt —, will auch mir nicht einleuchten. 
Man vertheile hier ruhig die Schuldenlast auf beide Räuber; 
denn auch der Bartgeier versucht die Beute wegzulragen, wenn 
er sie aus irgend einem Grunde an Ort und Stelle nicht ver- 
zehren kann. Uebersteigt ihr Gewicht seine Kraft, die man 
sich jedoch nur nicht gar zu gering vorstellen möge, so kann 
er sie immer noch fallen lassen, wie dies bei allen Arien 
von Dieben vielfach beobachtet worden ist. Anderseits träg 
auch der Adler selbst leichte Beute nicht immer fort. — Dr. 
Schläpfer’s Bartgeier besass wenigstens die Kraft in seinen 
Krallen und in seiner Muskulatur, dass wenn man dem auf 
Rücken liegenden Vogel einen dicken Prügel an die Füsse 
hielt, er sich sofort so in denselben einkrallte, dass er an 
dem Stocke frei emporgehoben und lange in dieser Situation 
erhalten werden konnte. — Es hält überhaupt der südliche 
Bartgeier aus Sardinien, Nord- und Südafrika in Bezug auf 
Grösse, Entwicklung von Schnabel und Krallen keinen Ver- 
gleich mit dem Alpenbartgeier aus. 

Begründeter und begreiflicher ist der Zweifel darüber, 
dass sich unser Bartgeier auch an halberwachsene Menschen 
wage mit der Absicht, sie auf irgend eine Weise zu vernichten. 
Beispiele von solchen Ueberfüllen ınit oder ohne Erlolg, au 
denen nicht die gerechtesten Zweifel haften, sind sehr we- 
nige bekannt; doch gewinnt die Glaubwürdigkeit jenes Falles 
an der Silberalp, wo ein Hirtenbube durch einen Bartgeier 
von einem Felskopf in den Abgrund gestossen und am Fusse 
der Felswand von ihm angefressen worden sein soll, durch 
die Constatirung der Wahrheit der neuesten ähnlichen Bege- 
benheit im Berneroberland eine kräftige Stütze. Der Vogel 
wurde damals, wie die Tradition belehrt, dureh Sennen von der 
Leiche des Knaben verscheucht. An der Wahrheit dieses Un- 
glücksfalls wird in jener Gegend des Kantons Schwyz noch 
festgehalten, während sie andern Orts ohne gehörige Motivi- 
rung stetsfort angezweifelt wird. Mathematisch lässt sie sich 
allerdings nicht beweisen. — Der neueste Fall eines Angriffs 
seitens eines schweizerischen Bartgeiers auf einen halber- 


247 


wachsenen Menschen, dessen Wahrheit aber wieder bezwei- 
felt werden kann, wie überhaupt Alles, was man nicht mit 
seinen eigenen Augen gesehen hat, und wobei ausserdem 
jede Selbsttäuschung mit absoluter Gewissheit ausgeschlossen 
werden kann, trug sich im laufenden Jahre zu, ist also keine 
veraltete Geschichte und habe ich mich sehr bemüht, die 
Constatirung der Thatsache oder die Grundlosigkeit des Ge- 
rüchts sicher zu stellen. — Im Laufe des Juni 1870 war in 
mehreren schweizerischen Zeitungen zu lesen, dass bei Rei- 
chenbach im Kanton Bern ein Knabe von einem „Lämmergeier“ 
überfallen worden sei und dem Angriff sicher erlegen wäre, 
wenn der Vogel nicht noch rechtzeitig hätte verscheucht wer- 
den können. Zuerst schenkte ich der Notiz wenig Aufmerk- 
samkeit und erwartete, der Lämmergeier werde sich wohl 
baldigst in einen Adler, wo nicht gar in einen Habicht, und 
der überfallene Knabe in ein Hühnchen, die ganze Historie 
aber in eine fette Zeitungsente verwandeln, durch deren mas- 
senhafte Vertilgung sich unsere Raubvögel grosses Verdienst 
erwerben und mit denen sie sich längere Zeit vergnüglich er- 
halten könnten. Doch der Widerruf blieb dies Mal aus, und 
da die Sache für mich Interesse genug darbot, um verfolgt 
zu werden, so wandte ich mich an Herrn Pfarrer Haller in 
Kandergrund, dessen Freundlichkeit mir von früher her schon 
bekannt war. Er schrieb mir, es müsse an der Sache. doch 
etwas sein, da auch in seiner Gegend viel davon gesprochen 
werde, wies mich aber behufs genauerer Nachfrage an Herrn 
Pfarrer Blaser in Reichenbach, in dessen Kirchsprengel der 
damals noch sehr fragliche Knabe sammt der Stelle, wo der 
Ueberfall stattgehabt haben sollte, gehörte. — Wenn nun auch 
durch die Constatirung dieser Begebenheit oder deren Zurück- 
weisung in’s Märchenreich das schwankende Gleichgewicht in 
Europa weder wieder hergestellt noch auch noch tiefer er- 
schüttert wird, so ist die Ergründung desselben um so wich- 
tiger für die Feststellung eines stets bezweifelten Zuges aus 
der Naturgeschichte des schweizerischen Bartgeiers. — Auch 
Herr Pfarrer Blaser nahm sich nun der Sache aufs Bereitwil- 
ligste an. Nach Empfang eines Briefes von ihm, in welchem 
er die Begebenheit als Thatsache constatirte, widmete ich de- 
ren Verfolgung mehr Aufmerksamkeit. Nachdem ich ihn nun 


248 


nochmals um möglichst genaue Eruirung derselben nach allen 
Richtungen und in ihren Einzelnheiten ersucht, meine Gründe, 
warum mir so viel an ganz zuverlässiger Auskunft liege, aus- 
einandergesetzt und ihn gebeten hatte, nöthigenfalls mit dem 
Knaben nach Bern ins naturbistorische Museum zu reisen, um 
dort die Identität des Vogels vollends sicher zu stellen, er- 
hielt ich folgendes Schreiben von ihm, das ich jedoch nur 
auszugsweise mittheilen und dessen Inhalt auch den Zweiller 
befriedigen kann: — ‚Schon mein erster Brief beruhte auf 
eigener Mittheilung des Knaben, wiewohl ich damals eben 
durchaus nicht so inquisitorisch verfuhr, da ich nicht wissen 
konnte, wie genau sie informirt sein wollen. Es geschah dies 
kurz nach dem Angriff selbst. Der Knabe war noch matt und 
hatte den Kopf verbunden, um die ziemlich bedeutenden Wun- 
den heilen zu lassen. Ich frug damals überhaupt nur, um den 
Fall als einen merkwürdigen constatiren zu können. Nach 
Ihrem zweiten Brief aber nahm ich den Jungen nunmehr in 
Gegenwart seiner mir sehr befreundeten Familie unter Zu- 
grundelegung Ihres Briefes, scharf in’s Verhör, liess mich von 
ihm an Ort und Stelle führen, verhörte gleichfalls jene Frau, 
die damals rettend herbeieilte, und nahm auf diese Weise den 
Thatbestand möglichst genau auf. — Es war am 2. Juni 1870, 
Nachmittags 4 Uhr, da ging jener Knabe, Joh. Betschen, ein 
munterer, aufgeweckter Bursche von 14 Jahren, mein Unter- 
weisungskind, noch Klein von Statur, aber kräftig gebaut, von 
Kien nach Aris. Kien liegt im Thalgrunde bei Reichenbach 
im Winkel, welchen der Zusammenfluss der Kander und der 
Kien aus dem Kienthal bildet. Aris liegt circa 500 Fuss hö- 
her auf einer Terrasse des Bergabhanges. Sein Weg führte 
ihn ziemlich steil über frischgemähte Wiesen hinauf, und wie 
er eben oben auf einer kleinen Bergweide noch ungefähr 1000 
Schritte von den Häusern entfernt, angelangt war, ganz nahe 
bei einem kleinen Heuschober, erfolgte der Angriff. Plötzlich 
und ganz unvermuthet (der Knabe hatte nie vorher solche Vö- 
gel gesehen oder von ihnen gehört) stürzte der Vogel mit 
furchtbarer Gewalt von hinten auf den Knaben nieder, schlug 
ihm beide Flügel um den Kopf, so dass ihm, nach seiner Be- 
zeichnung gerade war, als ob man zwei Sensen zusammen- 
schlüge und warf ihn sogleich beim ersten Hiebe taumelnd 


249 


über den Boden hin. Stürzend und sich drehend, um sehen 
zu können, wer ihm auf so unliebsame Weise einen Sack um 
den Kopf geschlagen, erfolgte auch schon der zweite Angriff 
und Schlag mit beiden Flügeln, die fast mit einander links 
und rechts ihm um den Kopf sausten und der ihm beinahe die 
Besinnung raubte, so „sturm“ sei er davon geworden. Jetzt 
erkannte aber auch der Knabe einen ungeheuren Vogel, der 
eben zum dritten Mal auf ihn herniederfuhr, ihn, der etwas 
seitwärts auf dem Rücken lag, mit den Krallen in der Flanke. 
und auf der Brust packte, nochmals mit den Flügeln auf ihn 
einhieb, ihn beinahe des Athems beraubte und sogleich mit 
dem Schnabel auf den Kopf einzuhauen begann. Jetzt fing 
der Knabe an sich mit aller Macht zu wehren. Trotz alles 
Strampelns mit den Beinen und Wenden des Körpers ver- 
mochte er aber nicht, den Vogel von seinem Leibe zu bringen, 
der ihn mit den Krallen niederhielt, wozu einzig er dieselben 
gebrauchte und nicht zum Verwunden. Um so energischer be- 
nutzte der Junge seine Fäuste, mit deren einer er die Hiebe 
zu pariren suchte, während er mit der andern auf den Feind 
losschlug. Dies Losdreschen muss gewirkt haben; der Vogel 
erhob sich plötzlich etwas über den Knaben, vielleicht um 
den Angriff zu wiederholen. Da erst fing dieser mörderisch 
zu schreien an. Ob dies Geschrei das Thier abgehalten habe, 
den Angriff wirklich zu erneuern, dem der Ueberfallene übri- 
gens unfehlbar erlegen wäre, oder ob er bei seinem Aufflie- 
gen die auf das Geschrei des Burschen herbeieilende Frau ge- 
sehen und er ihn deshalb unterliess, bleibt unausgemacht. 
Anstatt wieder niederzustürzen, verlor er sich rasch hinter 
Abhang. Der Knabe war jetzt so schwach, von Angst und 
Schreck gelähmt, dass er sich kaum vom Boden zu erheben 
vermochte. — Etwa 200 Schritte jenseits der Scheuer, die in 
gerader Linie zwischen jener Frau und der Stelle des Ueber- 
falles lag, arbeitete dieselbe im Felde und kam in der Be- 
glaubigung, es sei in der Scheune etwas passirt, direct auf 
jene losgerannt, bewaffnet.mit der Kartoffelhacke. Ihren Irr- 
thum erkennend, umging sie die Hütte und fand nun den Kna- 
ben, der sich eben taumelnd und blutend vom Boden aufraffte, 
und von dem sie jetzt das eigenthümliche Begebniss erfuhr. 
Gesehen hat die Frau, die nur die Scheune im Auge hatte 


250 


und nachher beim Anblick des Verwundeten nur auf diesen 
achtete, den Vogel nicht mehr, und so also Alles auf der 
Aussage des Knaben. Diese kann nun richtig, trotz Allem be- 
zweifelt werden. Ich selbst bezweifle aber dieselbe nicht im 
geringsten. Joh. Betschen, der von solchen Vögeln vorher 
nie gehört hatte, konnte auch einen solchen Vogelkampf nicht 
sofort erfinden und detaillirt beschreiben, während er doch, 
wie bemerkt, seiner Retterin sofort den Hergang der Sache 
erzählte, sowie nachher andern Leuten, als man ihn bei den 
Häusern wusch und verband. Ich kenne zudem ihn und seine 
Familie als sehr wahrheitsliebend.. — Die Wunden, welche 
ich bald nachher selbst besichtigte, bestanden in drei bedeu- 
tenden bis auf den Schädel gehenden Aufschürfungen am Hin- 
terkopf. Auf Brust und Flanken sah man deutlich die Kral- 
lengriffe als blaue Flecken, zum Theil blutig, und der Blut- 
verlust war bedeutend. Der Knabe blieb acht Tage lang sehr 
schwach. An seinen Aussagen und an der Wirklichkeit der 
Thatsache ist nach meiner Ansicht kein Zweifel zu hegen. 
— Wie sollte ich nun aber von dem Jungen, der nie sonst 
solche Vögel gesehen, nach der Angst eines solchen Kampfes 
erfahren, ob er es mit einem Steinadler oder mit einem Bart- 
geier zu thun gehabt habe, was Sie jedoch gerade durchaus 
wissen wollen? — Item — ich nahm ihn in’s Verhör; und er 
berichtete mir, so gut er konnte. Namentlich war ihm der 
fürchterliche gekrümmte Schnabel im Gedächtniss geblieben, 
an dem er beim Aufsteigen des Vogels noch seine Haare und 
Blut sah; ferner ein Ring um den Hals und die „weiss grie- 
seten Flecken“ (mit weissen Tupfen besprengte Fittige) und 
endlich, was mich am meisten stutzig machte, dass er unter 
dem Schnabel ‚so ’was wüstes G’strüpp“ gehabt habe. Nun 
erst zeigte ich dem Knaben Ihre Zeichnungen von Bartgeier- 
und Adlerköpfen u. s. w., und hier bezeichnete er sofort, 
ohne dass ich ihm im mindesten darauf verhalf, den Bartgeier- 
schnabel als den seinem Gegner angehörigen, fand auch den 
Bart in Ordnung, nur etwas zu schwach angedeutet. — Obwohl 
ich für mich schon jetzt nicht mehr daran zweifelte, dass die 
Sache ihre Richtigkeit habe, resp. dass der Vogel ein Bart- 
geier gewesen sei, fragte ich ihn doch, ob er wohl glaube, 
seinen Feind unter andern ähnlichen Raubvögeln herauszutin- 


251 


den, wenn er solche neben einander sähe, wessen mich der 
Knabe sofort versicherte und zwar wiederholt und mit solcher 
Bestimmtheit, dass ich mich entschloss, Ihrem Wunsche zu 
entsprechen und mit dem intelligenten Burschen nach Bern 
zu ziehen, um kein Mittel unterlassen zu haben, entweder die 


Wahrheit der Thatsache sicher zu stellen, oder aber — die 
ganze Geschichte als erfunden erklären zu können. — Den 


25. Juli, nachdem seine Wunden geheilt waren, wurde jener 
Entschluss ausgeführt und zur grossen Freude des aufgeweck- 
ten Burschen nach Bern verreist.“ 

Das nun im dortigen Museum seitens des gefälligen Pfarr- 
herın mit dem Knaben vorgenommene, sehr geschickt und 
sorgfältig geleitete Examen ist im Briefe in verdankenswerthe- 
ster Weise so detaillirt beschrieben, dass ich abkürzend be- 
merken kann: dass der Knabe zum Steinadler zuerst geführt, 
von diesem als von seinem Gegner absolut nichts wissen wollte; 
dass er beim Anblick eines Bartgeiers im dunkeln Jugendkleid 
in die grösste Verlegenheit gerieth, weil ihm der Vogel zwar 
in Bezug auf die Form und Grösse des Schnabels und das Ge- 
strüpp unter demselben seinem Feinde ähnlich im Gefieder 
aber durchaus unähnlich vorkam. Der dunkelbraune Hals und 
das im Ganzen dunkle Gefieder war ihm mit der Aehnlich- 
keit in Schnabel und Bart nicht vereinbar und brachte ihn in 
schwierige Lage. „Da plötzlich stand er vor einem alten, gel- 
ben Bartgeier: „Der ist’s jitzt!““ rief der Bursche aus, kaum 
hatte er ihn erblickt; „das isch jitzt dä Schnabel, grad däwäg 
sy d’Fecke grieset gsi und so dä Ring um e Hals, und das 
isch Jitzt s’Gestüpp!“ Immer wieder kehrte der Knabe zu 
diesem Exemplar mit hellgelbem Hals, Brust und Bauch zu- 
rück und anerkannte ihn als seinen Gegner. Immer wieder 
trat er erregt vor dasselbe hin mit der Erklärung: ‚das isch 
e, grad so isch er gsi!“ — „So können wir denn, nach des 
Knaben Erklärungen und Aussagen — und ich für mich habe, 
wie gesagt, za den Aussagen desselben, zu seiner Intelligenz 
und zu seinem Urtheil das vollste Zutrauen — auf den Bart- 
geier als den Uebelthäter, was ich selbst nie geglaubt hätte.“ 
— Und nun — nach all dem Interesse und der vielen Mühe, 
die Herr Pfarrer Blaser der Angelegenheit zugewendet hat, 
kann ich, nachdem er selbst uns den betreffenden Knaben und 


252 


dieser wieder den fraglichen Vogel so genau charakterisirt 
hat, nicht unterlassen, auch noch den wackern Pfarrherrm selbst 
durch einen kurzen Passus in seinem Briefe zu charakterisi- 
ren, obwohl ich weiss, dass eben jene Stelle nicht für die 


Oeffentlichkeit bestimmt war. — Möge mir die Indiskretion 
dereinst verziehen werden! — „Und nun“ — so sagt er näm- 
lich am Schlusse seines ausführlichen Schreibens — ‚‚habe 


ich Ihnen ‚dienen können, so freut es mich herzlich. Wegen 
der Reisekosten, die ich für den Knaben und für mich hatte, 
so lassen sie das nur gesorgt sein; ich nehme dieselben auf 
mich als ein kleines Opfer im Dienste der Wissenschaft, der 
auch ich lebe und für die auch ich arbeite, wenn auch auf 
einem andern Gebiete derselben.“ — Wie sehr förderlich wäre 
es für die Erweiterung der naturkundlichen Kenntnisse unse- 
res Vaterlandes, wenn wir recht zahlreiche solche wackere 
Stationen im ganzen Lande zerstreut besitzen würden! 

So vereinzelt glücklicherweise Augriffe des Bartgeiers 
auf Menschen überhaupt sind — auf Personen in der Grösse 
des angeführten Knaben dastehen, zweifle ich wenigstens Jetzt 
nicht mehr daran, dass sie vorkommen, überlasse es jedoch 
natürlich Jedem, selbst davon zu halten, was er imner möge! 
— Dass unser Bartgeier aber auch erwachsene Menschen, in 
der Hoffnung sie zu bewältigen, mörderisch überfallen, vom 
Felsenrand gestürzt, oder auf eine andere Art umgebracht 
habe — ist hingegen nie constatirt worden. — Ich habe frü- 
her bemerkt, dass er nicht’ selten, ohne Miene zu einem An- 
griffe zu machen, unmittelbar über dem Menschen hinsegelt, 
sich sehr nahe vor ihn hinsetzt, mit betäubendem Brausen 
über ihn wegfährt, oder sich kreisend über seinem Haupt in 
nächster Nähe aufhält; und wir wollen also, so lange wir 
nichts Bestimmteres in dieser Beziehung wissen, zur Ehre des 
Vogelkönigs, dass er sich hiebei niemals mit bösen, mensch- 
lichen Gedanken trage und das Menschenmorden Andern über- 
lasse. Ebenso wenig wollen sich solche Jäger, Alpenwande- 
rer, Hirten, welche an gefährlicher Stelle im Gebirge verwei- 
lend, plötzlich den knarrenden, sausenden Flügelschlag des 
unmittelbar über ihrem Körper pfeilschnell am Felskopf hin 
und in den gähnenden Abgrund hinaus schiessenden mächti- 
Sen Vogels in beängstigendster Weise selbst gespürt zu haben, 


253 


einreden lassen, dass der reine Zufall den Weg desselben just 
an jener Stelle durch und genau über die Länge ihres Leibes 
weggeführt habe. — Ich könnte hiezu Belege geben, wie sie 
mir Männer wie Baldenstein, ein ächter ehemaliger rhätischer 
Bergjäger, aber auch ein gebildeter und zuverlässiger Beob- 
achter und Berichterstatter, und auch andere nach ihren eige- 
nen Erfahrungen mitgetheilt haben, und welche übereinstim- 
mend das sehr Unheimliche solcher Situalionen in den einsa- 
men Wildnissen beschreiben; indessen fehlen, wie bemerkt, 
sicher constatirte Beispiele von hierdurch wirklich herbeige- 
führten Unglücksfällen. Nichtsdestoweniger möchte es in Wirk- 
lichkeit auch den grössten Zweillern gewagt erscheinen, das 
Nichtgelingen ernsthafter wiederholter Angriffe von seiner 
Dummheit und Schwäche zu erwarten! Für meine Person er- 
innere ich mich nun an meine missliche Lage sogar einem 
gefangenen Exemplar gegenüber. 

Bezüglich des Benehmens des Alpenbartgeiers vis-a-vis 
dem Kühnen, der ihm seine Brut raubt, lauten die Angaben 
seit jeher sehr verschieden, und es können hier sowohl Die- 
jenigen Recht haben, welche ihn einen tapfern Vertheidiger 
derselben nennen, als Jene, die ihn als feigen Zuschauer da- 
bei bezeichnen. — Während sich das eine Individuum, ange- 
schossen oder in der Falle erwischt, muthig zur Wehre setzt, 
was mehrfach constatirt ist, lässt sich ein anderes, ebenso 
kräftiges, ohne Miene zur Vertheidigung zu machen, vollends 
todtschlagen oder aus dem Eisen lösen, und wie das eine 
Exemplar auch in Gefangenschaft noch eine gewisse Selbst- 
ständigkeit und Wehrhaftigkeit beibehält, wartet das andere, 
„den Kopf in’s Heu gesteckt“, mehr als geduldig genug die 
Erfüllung seines Geschickes ab. Ebenso verschieden wird er 
sich auch bei der Beraubung seines Horstes zeigen. Hier re- 
giert die Individualität; hier wäre es wirklich nicht am Platze 
zu generalisiren! Begegnen wir doch bei jeder Species der 
gesammten Wirbelthierwelt bis zur Eidechse und noch weiter 
hinab muthigen und feigen, gescheidten und dummen, gutar- 
tigen und bösartigen Individuen. Es ist nicht wahrscheinlich, 
dass der Bartgeier hiervon allein eine Ausnahme bilde. — Es 
sind übrigens für die Anhänger jeder der beiden Behauptun- 
gen Beispiele da und dort gedruckt zu lesen; es würde zu 


254 


nichts dienen, sie hier zu vermehren, da jeder Leser nach- 
her wahrscheinlich auf der von ihm bereits adoptirten Mei- 
nung beharren würde. — Was aber trotzdem den gewaltigen 
Vogel abhalten sollte, wenn er seinen grössten Feind bei der 
Plünderung seines Horstes überrascht, die kreischende Brut 
nach Kräften und unter Verwendung aller Waffen dem Plün- 
derer streitig zu machen, ist nicht so leicht zu begreifen. 
Hat man doch bei viel kleinern Vögeln hie und da recht hand- 
greifliche Einsprache gegen die Beraubung ihrer Nester zu er- 
fahren. — Den Aasfressern des Südens wird allerdings ein 
Angriff auf lebende Menschen auch unter solchen Verhältnis- 
sen ferner liegen. 

Die Gewohnheit des Alpenbartgeiers, während eines gros- 
sen Theiles des Tages hoch in den Lüften oder still und ver- 
steckt auf dem Horst oder in beschaulicher Ruhe seine Mahl- 
zeit verdauend auf einer kugelsichern Felsspitze zuzubringen, 
das Ueberraschende seines plötzlichen Auffahrens, die Rasch- 
heit des Fluges entziehen ihn oft glücklich dem ihm zugedach- 
ten Geschoss selbst kaltblütiger und bewährter Schützen. — 
Eigens mit der Büchse auf seine Verfolgung auszuziehen, lohnt 
sich bei seiner Seltenheit und Unstätigkeit ohnehin nicht, da 
der Jäger hier auch mit der längsten Geduld zu kurz kommen 
dürfte. Wenn ein Exemplar geschossen wird, so führte fast 
immer ein glückliches Ungefähr den Vogel vor die Flinte. Am 
sichersten noch soll die nicht dem Zufall anheimgestellte Er- 
legung gelingen, wenn es sich der Jäger nicht verdriessen 
lässt, ihm tageweise bei einem ausgelegten Aas selbst oder 
an einer solchen Stelle im Gebirge aufzulauern, welche er, 
nach jenem streichend, gewöhnlich passirt. — Das Ausheben 
der Brut ist in unsern Alpen, abgesehen von der Gefahr, von 
den Alten dabei „hart angefahren“ zu werden, durch die ganz 
oder beinahe unnahbare Anlage des Horstes immer eine le- 
bensgefährliche Geschichte, da kaum anders als durch Herab- 
lassen an Stricken zu demselben zu gelangen ist. — Eher 
bringt ihm der Hunger Verderben, der ihn in Fallen lockt. 
So bemerken wir unter den im Verzeichniss aufgeführten Exem- 
plaren viele, nämlich unter 35, bei denen die Art ihrer Br- 
beutung noch mit Sicherheit zu eruiren war, 13, welche le- 
bend gefangen wurden. Die hier zu Land einzig praktizirte 


259 


Fangmethode ist die bei Gelegenheil der Gefangennahme des 
Ausstellungsexemplares erläuterte mit dem Fuchseisen, doch 
muss dasselbe sehr wohl befestigt werden, da es der Gefan- 
gene sonst wohl mit der Kraft der Verzweillung losreisst und 
damit wegfliegt. Dies gelang auch einem der von unserem 
Tessiner Jäger gefangenen Exemplare, welches erst lange Zeit 
nachher 2 Stunden weit vom Fangplatze entfernt in einem an- 
dern Thale mit dem schweren Eisen am Fusse gefunden wurde. 
— Der Fang gelingt meist im Winter in stillen, wenig betre- 
lenen Gebirgsgegenden, welche der Bartgeier Nahrung suchend 
durehstreift, wo er das verrätherische Aas im wohlverdeckten 
Eisen bemerkt, immer enger es umkreisend sich endlich nie- 
derlässt, einfällt, aber anstatt der gehofften Sättigung — Ge- 
fangenschaft findet. Unser Exemplar büsste hingegen, wie be- 
merkt, seine Freiheit Ende Mai ein. Ob es eigener Hunger 
zwang, sogar in der sogenannten guten Jahreszeit nach sol- 
chem Nothbehelf zu greifen, oder ob es galt, der hungrigen 
Brut Nahrung um jeden Preis zu verschaffen, darüber war von 
ihm nie ein umfassendes Geständniss zu erreichen gewesen, 
und wer sollte es sonst wissen? Für die letztere Annahme 
spricht ein wenig der ganz in die Zeit jenes Fanges fallende 
Angriff auf den Knaben im Berner Oberland im laufenden Jahre, 
dem sehr wahrscheinlich grosser häuslicher Nothstand zu Grunde 
lag, obwohl ich den Alpenbartgeier, vollständig einverstanden 
mit Tschudi’s bezüglicher Bemerkung keine gar zu grosse 
Pielät gegen den Menschen „andichten® möchte; denn von 
desselben Weisheit und Herzensgüle dürfte der geflügelte 
Bergfürst in seiner Freiheit nur einen sehr schwachen Begriff 
haben und seine Unantastbarkeit ihm deswegen auch nicht 
selbstverständlich erscheinen. 

Einen nützlichen Zweck des Daseins des Alpenbartgeiers 
herauszufinden, wenn wir ihn nach seinen Werken beurthei- 
len müssen, ist in der That etwas schwierig. Wenn er ur- 
sprünglich, wie die Aasvögel Aegyptens in jenen heissen Him- 
melsstrichen die Gesundheitspolizei auf unsern Alpenhöhen zu 
verwalten beauftragt gewesen sein sollte — aus Rücksicht 
vielleicht für die auf den freien Bergen der Schweiz nach rei- 
ner Luft schnappenden Städtebewohner aus allen Gegenden der 
Windrose — indem er mit mächtigem Haken die grossen 


256 


Aeser aufzubrechen,, den kleinern Abdeckern so ihr Essen zu 
tranchiren und durch Wegräumen faulender thierischer Körper 
die berühmte Alpenluft chemisch rein zu erhalten hätte — so 
dürfte er als heutzutage hiezu nicht mehr erforderlich und 
seine Mission als erfüllt erklärt werden. Ist er doch bereits 
gezwungen, sein tägliches Brod durch Vergiessen unschuldi- 
gen Blutes zu erkämpfen. Den Geierdienst au den verfalle- 
nen Heerdenthieren versieht in immer ausgedehnterem Masse 
der Speeculationsgeist des Aelplers selbst, und was diesem 
rein unverwerthbar erscheint, gibt kaum Futter für die viel- 
köpfige Armee der untergeordneten Alpenpolizisten, welche 
sich vielmehr lebhaft gratuliren mögen, wenn der grosse Riese 
unter ihnen eine fette Gemse über die (Fels-) Klinge springen 
lässt. Ermöglichen es ihnen deren Ueberbleibsel doch, eine 
alte Rechnung mit ihrem Hungermagen endlich einmal auszu- 
gleichen. 

Der Schaden ist ersichtlicher, doch verringert sich seine 
Bedeutung in gleichem Verhältniss mit der raschen Abnahme 
des Bartgeiers, Kann jedenfalls jetzt schon nicht mehr hoclı 
angeschlagen und kaum als Vorwand zu seiner systematischen 
Ausrottung benützt werden. — Seit dem allerdings bedenkli- 
chen Fall dort an der Silbernalp ist es schon sehr lange her. 
Der Berneroberländer Knabe ist, wie wir gehört, Dauk der 
Solidität seines Schädels und den energischen Schwingungen 
der Kartoffelhacke jener biedern Bernerin glücklich davonge- 
kommen und hat zudem dadurch, dass er sich gerade zur Zeit 
der Entstehung dieser Abhandlung von einem Bartgeier über- 
haupt überfallen liess, Gelegenheit gehabt, der Wissenschaft 
einen Dienst zu leisten. — Von dem Verdacht geschehener 
Ermordungen erwachsener Menschen durch den Bartgeier hat 
dieser sich zwar nicht rein zu waschen vermocht; eben so 
wenig hat der Angeklagte aber einer einzigen derartigen 
Schandthat überwiesen werden können. 

Dass seine Vertilgung aus dem ganzen grossen Gebiete 
der Centralalpen und besonders aus den Schweizeralpen den- 
noch beinahe schon zur Thatsache geworden ist, halte ich übri- 
zens nit meinen Bündnerfreunden durchaus nicht etwa für die 
alleinige Folge der Nachstellungen ‚von Seite des Menschen, 
sondern für die Summe und das Resultat verschiedener an 


seiner Ausroltung arbeitender Factoren, von denen die haupt- 
sächlichsten sind: stetige Verminderung des Wildes überhaupt 
und daraus resultirender Mangel daran auch für ihn; Mangel 
an Aas durch’s ganze Jahr, der besonders bitter von ihm em- 
pfunden wird zu der Zeit, wo die zahmen Thiere in den Stäl- 
len leben und die wilden sich in ihre Verstecke zurückgezo- 
sen haben, sowie in den Monaten, wo Nachkommenschaft zu 
erziehen ist; Beunrubigung in seinen Jagdgebieten und in der 
Nähe der Horstplätze durch die immer ausgedehntere Benutzung 
auch der obern Alpengürtel durch den Menschen, wieder ge- 
folgt von der Verminderung des dort heimisch gewesenen Wildes. 

Der Alpenbartgeier ist im Aussterben begriffen, gleichviel, 
ob er sich noch einige Jahrzehnte länger oder weniger lang in 
immer wenigern Exemplaren zu erhalten wisse. 

Der Steinbock, sein bärtiges Pendant, jene Kräftige Er- 
scheinung in der Thierwelt des Hochgebirges, ist ihm langsamen, 
würdevollen Schrittes in das Reich der erloschenen Geschlechter 
der Schweizeralpen vorangegangen, weil er, der immer höher 
an den Bergwänden sich hinaufwindenden Kultur, der rück- 
sichtslosen Verfolgung und der ihm durchaus unerträglichen 
3erührung mit dem Menschen und den Spuren seiner T'hätigkeit 
aus dem Wege gehend, in den Regionen des Todes — in Schnee 
und Eis — sein Dasein nicht finden konnte. 

Steinadler und Gemse, diese zwei andern Gegenstücke in 
der Alpenthierwelt, zäher in ihrer Körperbeschaffenheit, scheuer, 
intelligenter und lebhafter, als jene zwei ernsthaften, reservirten 
Bergfürsten, aber den unvermeidlichen Unannehmlichkeiten, 
welche die Veränderungen in den Verhältnissen um sie her mit 
sich brachten, mit Widerstreben sich anpassend, erfreuen sich 
eben deswegen auch jetzt noch einer erträglichen Existenz, und 
sie werden voraussichtlich ihr gutes und uraltes Anrecht auf die 
Mitbewohnung des doch so unendlich grossen für alle seine Ge- 
schöpfe genügenden Raum bietenden Alpengebäudes selbst dann 
noch mit Erfolg behaupten, wenn schon längst, aufzuckend 
unter dem tödtlichen Blei, der letzte Bartgeier im Todeskampfe 
zitternd noch einmal die gewaltigen Fittige entfaltet und dann 
sein Dasein geendet haben wird. 


258 


Mittheilungen. 


Reine oder temperirte Stimmung? 


Das ‚‚Centralblatt für die gesammte Unterrichtsverwaltung in 
Preussen“ enthält in seinem diesjährigen Märzhefte ein von der 
Akademie der Künste abgefasstes Gutachten, welches an alle Se- 
minar-Musiklehrer versandt ist. Unter andern findet sich darin 
auch folgende sehr beachtenswerthe Stelle: 

„Durch die Accordenlehre kann ein Schüler behufs des Ge- 
neralbassspieles einigermassen auf der Claviatur sich zurecht fin- 
den lernen, aber weder Sänger noch Spieler bekommen dadurch 
die mindeste Anleitung Zur eigenen Hervorbringung harmoniseher 
Verhältnisse und deren Gestalt zu musikalischem Sinn und Ge- 
danken, und das fortwährende Horen der Orgeln und Claviere 
dem Gesange gegenüber ist höchst gefährlich; denn die reinste 
Einstimmung aller dieser Instrnmente, welche sehr selten, streng 
genounmen niemals vorkommt, würde doch nur eine auf alle In- 
tervalle mit Ausnahme der Octave gleichmässig vertheilte Ver- 
stimmung und Unreinheit sein, die das Ohr verdirbt und die Ueber- 
zeußung gänzlich zurückdrängt, dass die Orgelclaviatur für die 
vom Sänger zu erstrebende, und, wie es auch der Königl. Dom- 
chor in den ersten Jahren seiner Existenz erwiesen hat, entschie- 
den erreichbare Reinheit der harmonischen Verhältnisse ein zwar 
sinnreiches aber doch höchst unvolkommenes Surrogat 
ist, indem statt der grossen Anzahl von Tönhohen, welche der 
Sänger innerhalb der Octave zu bilden hat, die Claviatur nur 12 
Tasten gewährt, wodurch z. B. die Verschiedenheit der beiden 
überaus wirkungsvollen und empfindlichen Verhältnisse (die sog. 
tons sensibles) gänzlich ignorirt also 16/,, und 2°/,, für ganz 
gleiche Grössen genommen wird, indem man durch ein unein- 
stimmbares Mittel das grössere Verhältniss zu klein, das kleinere 
zu gross ausführt. Wie man mit den Verhältnissen 15:16 und 
24:25 muss auch auf den Claviatur- Instrumenten mit den Ver- 
hältnissen 25:27 und 24:25 verfahren werden, demgemäss 27/34 
und 25/,4 nur als ein und dieselbe Grösse ausgeführt werden 
können, und zwar ebenfalls so, dass beide durch ein und das- 
selbe, weder berechen- noch einstimmbare Mittel ersetzt werden. 
Man denke sich solche Differenzen in den zeichnenden Künsten, 
etwa bei einzelnen Theilen eines Porträts oder eines Gebäudes 
durch ein angenommenes Mittel fortgeschafft.“ 

Ganz ähnliche Gedanken hat Helmholz in seiner „Lehre 
von den Tonempfindungen‘ schon vor 9 Jahren ausgesprochen, 
seine Stimme ist von den Musikern nicht beachtet worden, viel- 
leicht velinet es dieser von Fachmännern ausgehenden Auseinan- 
dersetzung gewisse Vorurtheile zu durchbrechen. Die gleichschwe- 


259 


bende Temperatur der Orgeln ü. 5. w. ist eben nur ein „‚höchst 
unvollkommenes Surrogat‘“ für die reingestimmten Intervalle und 
namentlich für den Gesangunterricht sollte man nur „‚reingestimmte 
Instrumente‘“ verwenden. Der alte Eiuwurf, dass dieselben sich 
nicht herstellen liessen, ist durch Helmholz längst widerlegt und 
der Orgelbauer Appun in Hanau liefert ganz vortreffliche Har- 
ınoniums nach der von Helmholz angegebenen Stimmungsmethode. 
Wer einmal das Glück gehabt hat auf‘ dem Harmonium des Herrn 
Prof. Helmholz eine Choralmelodie oder dergl. zu hören und den 
Unterschied zwischen reinen und temperirten Accorden kennen 
gelernt hat, wird der vorigen Behauptung ohne Zweifel beistim- 
men. — Wer sich für diese rein gestimmten Instrumente interes- 
sirt, findet eine Beschreibung derselben in dem 16. Abschnitt der 
„Lehre von den Tonempfindungen von Helmholz (Braunschweig 
hei Vieweg); ferner in der Zeitschrift für Mathematik und Phy- 
sik von Schlömileh, Kahl und Cantor 1868, Supplementband XIII, 
S.122 u. fle.) — und endlich in der Zeilschrift für die Gesamm- 
ten Naturwissenschaften von Giebel und Siewert 1868, Bd. 22, 
S. 451 u. fig. G. 8. 


Literatur. 


Allgemeines. G. Karsten, Mass und Gewicht inalten 
und neuen Systemen (aus der „Sammlung wissensch. Vorträge von 
Virchow und v. Holtzendorff“ VI, 126, Berlin 1871.) — Ueber Mass- und 
Gewicht speciell über das metrische System werden jetzt soviel Schriften 
und Broschüren geschrieben, dass es kaum möglich ist, sie alle kennen. 
zu lernen; glücklicherweise ist das auch kein Schade, denn die Herren 
Verfasser gehören meistens zu der bekannten Klasse von Menschen, von 
denen der Dichter sagt: „Ach was haben die Herren doch für ein kurzes 
Gedärm,“ Mit dieser Art von Machwerken hat das vorliegende Heftchen 
natürlich nichts gemein; der darin abgedruckte Vortrag ist von Herrn 
Prof. Karsten im vergangenen Winter im wissenschaft. Verein zu Berlin 
gehalten und enthält eine kurze Geschichte der Masse und Gewichte seit 
den ältesten Zeiten unserer Cultur. Danach haben wir eigentlich bis jetzt 
nur ein einziges Mass- und Gewichtssystem gehabt, nämlich das alte ba- 
bylonische; dasselbe war freilich auch in eine seinem Ursprung entspre- 
chende Verwirrung gerathen, Erst das gegen Ende des vorigen Jahrhun- 
derts in Frankreich entstandene metrische System ist unabhängig von je- 
nem alten. — Schon bei den Babyloniern fand wie im metrischen System 
ein ganz bestimniter Zusammenhang statt zwischen den verschiedenen 
Massen und Gewichten, es stand diess System sogar in Beziehung 
zur Messung der Zeit und diente auch zugleich zur Bestimmung der 

Zeitschr. f.d. ges. Naturwiss, Bd. XXXVIII, 1871. / 18 


260 


Münzeinheit; nach den durch Karsten bestätigten Untersuchungen 
Böckh’s war das babylonische Urmass ein Hohlmass (Würfel), welches 
durch die Abmessung der Zeit mittelst der Wasseruhren festgestellt war; 
der Inhalt dieses mit Wasser gefüllten Hohlmasses bildete ein bestimmtes 
Gewicht, die Seite des genannten Würfels gab die Bestimmung fürs Län- 
genmass; die Gewichtseinheit bildete wider die Grundlage fürs Geld. Man 
kann demnach mit grösster Genauigkeit aus dem Gewichte einer vollwich- 
tigen antiken Münze berechnen, wie gross die römische Amphora, wie 
lang der römische Fuss sein muss u. s. w. und diese Berechnung 
stimmt mit den wirklich erhaltenen Massen. Die Kenntniss vou 
dem Ursprung dieses grossarligen Systems ging freilich später verloren, 
die Masse und Gewichte erlitten überall kleinere und grössere Verände- 
rungen und waren namentlich im Mittelalter sehr unsicher. So heisst es 
sogar noch in einer am Ende des 16. Jahrhunderts erschienenen Schrift 
(Geometrey von Jacob Köbel, Frankfurt 1584) folgendermassen: Man 
soll 16 Mann gross und klein, wie die ungefehrlich nach einander aus 
der Kirche gehen, einen jeden vor den andern ein Schuh stellen lassen; 
dieselbige Länge werde und solle seyn ein gerecht und gemein Messrute, 
damit man das Feld messen soll. Dergleichen Vorschläge sind aber noch 
jetzt wiederholt aufgetaucht. — Die Entstehungsgeschichte des Meters ist 
bekannt, der Verf. beschreibt sie kurz und spricht dann über die Vor- 
theile und Nachtheile des metrischen Systems, Er bemerkt, dass das Me- 
ter für uns jetzt weiter nichts ist, als ein gut bestimmter Normaltalon, 
und dass man mit Hilfe des Pendels ein sicheres Normalmass hätte finden 
können, er erkennt aber auch an, dass es 1868 dazu schon zu spät ge- 
wesen sei, ferner dass man dureh die grossartigen geodätischen Arbeiten 
der Gradmessung zu einem grossen Aufschwunge in den exaeten Natur- 
wissenschaften gelangt sei und endlich dass überhaupt die Herstellung 
eines wahren Naturmasses ein unerreichbares Ideal sei. Als Vortheile 
werden ferner hingestellt die deeimale Eintheilung und die rationelle von 
dem Holländer van Swinden erfundene Namenbezeichnung. Es wird da- 
bei das Bedauern ausgesprochen, dass man noch einige Nebenbezeichnun- 
gen wie Kanne, Scheffel u.s. w. eingeführt hat. Der Verf. sagt von den- 
selben: „Sie sind entweder niehtssagend, wenn man ihre verhältnissmässige 
Grösse wissen will, oder sie sind für manche Gebiete Deutschlands ebenso 
unbekannt und müssen ebensowol erlernt werden wie die neuen Namen; 
oder was das Schlimmste ist, sie sind irreleitend, weil sie jetzt eiwas 
anderes bedeuten sollen als. früher.“ Als Beispiel für den letztern Fall 
erlaubt sich der Referent anzuführen, dass im Königreich Sachsen der 
Scheffel bisber noch grösser war, als das Hektoliter,, welches jetzt in 2 
Scheffel getheilt werden soll. Als Unbequemlichkeiten, die freilich bei 
jeder Reorganisation des Mass- und Gewichtswesens verbunden gewesen 
wären, werden weiter noch angeführt erstens die Schwierigkeiten des Ueber- 
gangs, die damit verbundenen Arbeiten und endlich die ziemlich bedeu- 
tenden Kosten. In Bezug auf die Schwierigkeiten in der Zeit des Ueber- 
gangs wird gesagt, dass diese Zeit nur abgekürzt werden könne „wenn 
1) halbe Massregelu bei der Einführung des neuen Systems vermieden, 


261 


oder dieselben, wo sie leider schon getroffen sind schleuniest beseitigt 
werden, 2) wenn das Schulwesen und die Presse voll und nnablässig ihre 
Schuldigkeit thun.“ Die Kosten werden nach einem niedrigen Anschlag 
auf mindestens 7 Millionen Thaler berechnet, von denen freilich das meiste 
in Form von Arbeitsverdienst in die Tasche des Volkes zurückfliesst. Den 
Schluss des Vortrages bildet eine Zusammenfassung der Vortheile des 
neuern Systems, die allerdings erst durch die Einführung eines decimalen 
Münzsystems, und überhaupt durch eine ganz consequente Durchführung 
des Decimalsystems, vollständig zu Wahrheit werden können. Sbg. 
Physik. J. Bernstein, über elektrische Oseillationen 
in geradlinigen Leitern nach der Deffnung eines Ketten- 
stromes. — Die von Feddersen entdeckte oseillatorische elektrische Ent- 
ladung besteht darin, dass unter gewissen Bedingungen nicht ein einfa- 
cher Funke entsteht, sondern eine Reihe von Funken, welche in ihrer 
Richtung abwechseln und allmähligimmer kleiner werden, welche sich also 
wie ein Pendel verhalten. Bernstein hat früher (von uns nicht referirt) 
gezeigt, dass in einer Spirale alternirende Öseillationen entstehen, sobald 
der die Spirale durchfliessende Strom einer galvanischen Kette geöffnet 
ist; die Dauer der Osecillationen betrug 0,0001 bis 0,0002 Secunden. Statt 
der Spirale hat B. jetzt geradlinige Leiter, Kupferdraht und Kanäle mit 
llüssigen Leitern angewendet und den Apparat so angeordnet, dass kurz 
nach der Oeffnung des Hauptstromes eine Nebenleitung geschlossen werde, 
in der sich ein Galvanometer befand. Die Zeit welche zwischen der Oef- 
nung des Hauptstromes und dem Schluss der Nebenleitung verfliessen 
sollte, konnte bis auf 0,00001 Seeunde bestimint werden. Indem er nun 
eine Reise von Versuchen anstellte, bei denen diese Zeit immer grösser 
wurde, konnte er die Vorgänge die ganz ungemein schnell aufeinander 
folgen, einzeln untersuchen; er griff eben bei jedem Versuch einen einzi- 
gen aber genau bestimmten Moment heraus. Es zeigte sich, dass in einem 
Kupferdraht von 8—12 Meter Länge nur eine Oseillation entstand, we- 
nigstens konnte nicht mehr beobaehtet werden. In einem fiüssigen zer- 
setzbaren Leiter von prismatischer Gestalt liess sich ein mehrfaches Hin- 
und Herschwingun der Elektrieitäten deutlich erkennen. Dass dabei Vor- 
sichtsmassregeln wegen der Polarisation getroffen waren, versteht sich von 


selbst. — (Monatsber. d. Berl. Akad. 1371, 350 — 387.) Shg. 
E. Sarasin, von der Phosphorescenz verdünnter Gase 
nach dem Durchgang einer elektrischen Entladung. — Das 


Phänomen des Nachleuchtens wurde zuerst an Geisslerschen Röhren beob- 
achtet; der Verf. wandte statt derselben die Glocke einer Luftpumpe au 
und experimentirte mit verschiedenen Gasen; es zeigte sich 1) dass rei- 
ner Sauerstoff (mit verschiedenen Vorsichtsmassregeln durch galvanische 
Zersetzung gewonnen) das Nachleuchten nach Oeffnung des elektrischen 
Stromes zeigt. 2) Dass sauerstoffhaltige Gase (Schwefelsäure, schwellige 
Säure, Salpetersäure, Untersalpetersäure, Stickstoffoxydul, Kohlensäure und 
Kohlenoxyd) die Erscheinung ebenfalls zeigen, mögen sie nun rein sein 
oder gemengt mit anderu Gasen oder Dämpfen. 3) -Dass die Gegenwart 
von Sauerstoff für die Erzeugung dieses Phänomens unmöglich nothwen- 


18 


262 


dig ist. Verf. glaubt ferner durch seine Versuche gezeigt zu haben, dass 
die Erscheinung bewirkt wird durch eine chemische Action, die er sich 
so vorstellt: das Gas wird durch den Strom zersetzt, der darin enthal- 
tene Sauerstoff findet sich als Ozon in der ganzen Gasmasse verbreilet. 
Er hat also eine starke Tendenz sich mit den anwesenden Elementen zu 
verbinden und sobald der Strom aufhört, verbindet er sich wieder mit 
ihnen. Diese Rückverbindung geschieht mit grosser Energie, so dass eine 
beträchtliche Wärme- und Lichtentwickelung dabei statt findet, welche wir 
eben Phosphorescenz genannt haben. Diese Rückverbindung erfolgt z. Tlı. 
schon während der Strom durchgeht rings um denselben und daraus ent- 
springen die in der Glocke verbreiteten leuchtenden Nebel. — (Pogg. 
Ann. 140, 425—434.) Sbg. 
L. Pfaundler und H. Platter, über die Wärmecapacität 

des Wassers in der Nähe seines Dichtigkeitsmaximums. — 
Führt mau dem Wasser von 4°C. Wärme zu, so dient dieselbe theils zur 
Erwärmung, theils zur Ausdehnung desselben, die wirkliche (beobachtele) 
specifische Wärme ist daher bei Temperatur über 4° grösser als die eigent- 
liche spee. Wärme (bei constanten Volumen); umgekehrt ist es zwischen 
0° und 4°, wo mit der Erwärmung eine Zusammenziehung verbunden ist. 
Die Versuche, die in Folge dieser theoretischen Betrachtung angestellt 
wurden, führen zu dem Resultate, dass die Wärmecapacität von 0° an bis 
zu 10,25 sinkt, bis 60,75 wieder steigt, um dann auls neue abzunehmen; 
von den erhaltenen Zahlen seien beispielsweise erwähnt: 

09,00 1,0000000 4,00  1,0939781 79,00 1,1928436 

1°,25 0,2512117 9°,00 1,1512726 90,00 1,1263292 

20,75 1,0115595 60,75  1,1940268 11°,00 1,0298006 
Zu dem merkwürdigen Verhalten des Wassers bei 4° hinsichtlich des Bre- 
chungsvermögens, der Schmelzpunktsänderung und der Dichtigkeit kommt 
dies also jetzt noch hinzu. Es ist dies von Wichtigkeit für alle calori- 
metrischen Bestimmungen und auch für die Definition der Wärmeeinheit, 
welche nun auf eine bestimmte Temperatur bezogen werden muss, am 
besten wol auf 00%. Die Verf. betrachten die Resultate noch nicht als de- 
finitive und beabsichtigen die Untersuchungen noch weiter fortzuführen, 
um die Zahlen in der wünschenswerthen Genauigkeit zu erhalten. — (Ebda 
574—987.) Sbg. 

A. v. Waltenhofen, über die Anziehung einer Magneti- 
sirungsspirale auf einen beweglichen Eisenkern. — Eine 
Magnetisirungsspirale wurde vertikal aufgestellt, so dass der Eisenkern 
bei zu schwachem Strome herausfallen musste; um die Berühruug der 
Spirale und des Eisenkernes zu verhindern, war eine Glasröhre in die Spi- 
rale hineingeschoben. Mit Hilfe eines Rheostaten und einer Tangentbus- 
sole wurden die Stromstärken ermittelt, welche gerade hinreiehten, den 
Eisenkeru schwebend zu erhalten. Zwischen dieser Stromstärke und dem 
Gewicht des Eisenkernes werden dann gewisse mathematische Beziehungen 
entwickelt, die im Originale nachzulesen sind. — (Abh. d. k. böhm. 
Ges. d. Wiss. VI. Folge, Bd. 4. 1870.) 


Derselbe, ein einfacher Apparat zur Demonstration des 


263 


negativen Verhaltens eiserner Röhren. — Verf. hat früher theo- 
retisch gezeigt, dass weite Röhren aus dünnem Eisenblech bei nicht zu 
grosser Stromstärke viel stärker maenetisiren werden, als gleichlange mas- 
sive Stäbe von gleichem Gewichte, ja dass sie sogar bedeutend schwerern 
massiven Stäben überlegen sind; bei grössern Stromstärken tritt aber die 
Ueberhitzung der letztern hervor, weil der Grenzwerth des erreichbaren 
Magnetismus dem Gewicht proportional und von der Form unabhängig 
ist. Zur Demonstration dieses Verhaltens hat W. eine Wage construirt, 
au deren Armen ein massiver eylindrischer Eisenstab und eine hohle Röhre 
aufgehängt sind; die letztere ist durch Tara mit dem Stab ins Gleichge- 
wicht gebracht. Unter beiden Cylindern befindet sich je eine Magnetisi- 
rungsspirale, durch welche man einen elektrischen Strom gehen lässt : ist 
der Strom stark, so sinkt der massive Cylinder in seine Spirale ein, wird 
der Strom schwächer gemacht, so zieht die andere Spirale den hohlen Cy- 
linder stärker an. — (Ebenda, als Anhang zum vorigen Aufsatz.) 

KR. W. Zenger, eine neue Thermosäule. — Verf. hat eine 
Reihe von Legirungen in Bezug auf ihre Thermoelektrieität untersucht, 
dieselben bestanden aus Antimon und Zink, denen eniweder Blei oder Cad- 
mium oder Antimonium oder Wismuth beigemischt war. Er empfiehlt na- 
mentlich Zink (1 Th.), Antimon (1Th.) und Blei (1/, Th.) und gibt an wie 
man aus diesem Metall und Messingdraht resp. Messingstreifen sehr wirk- 
same thermoelektrische Elemente und Kette herstellen könne. Ein einzel- 
nes Element hat die Stärke von c. 1/.o Daniell eine Kette aus 50 Elemen- 
ten war gleich ce. ?/,; Grove — 1!/;o Danielle Die Elemeute einer Kette 
stehen in einem Gefäss voll Wasser, die herausragenden Enden werden 
auf eine eigenthümliche durch einen Bunsenschen Brenner erhitzt; der er- 
haltene Strom ist ziemlich constant. Die Legirung aus Wimuth (1/1o) 
Zink (3) und Antimon (1) gibt nur halb so kräftige Elemente und die 


Stromstärke nimmt sehr schnell ab. — Die oben genannte Bleilegirung 
empfiehlt sich auch dadurch, dass sie nicht so brüchig ist wie die andern. 
(Ebenda.) 


Derselbe, das Differentialphotometer. — Die Ungenauigkeit 
des Bunsenschen Photometers ist bekannt, Zenger sucht ihren Grund da- 
rin, dass die durchsichtigen und undurchsichtigen Partien des Schirmes 
unter verschiedenen Winkeln beleuchtet werden und dass daher die Hel- 
ligkeit von der Mitte bis zum Rande ungleichförmig abnimmt und zwar 
für beide Papierseiten in andern Verhältnissen, je nach der Entfernung bei- 
der Lichtquellen. Er sucht diesen Uebelstand durch eine Modification des 
Apparates zu heben, er stellt nämlich erstens den Schirm so auf, dass sein 
Mittelpunkt von beiden Lichtquellen unter Winkeln von 45° getroffen wird, 
_ ferner schwärzt er den Schirm fast ganz, so dass nur 3 oder 5 kleine 
Felder frei bleiben, eins im Centrum die andern zu beiden Seiten dessel- 
ben in gleichen Abständen. Auf jedem dieser Felder wird ein durchsich- 
tiger Streifen hergestellt, der dann verschwindet, wenn das Feld von bei- 
den Seiten gleich stark beleuchtet wird. Da nun in jedem Felde der Strei- 
fen bei auderer Beleuchtung verschwinden wird (wegen der verschiedenen 
Winkel unter denen die Strahlen auffallen) so sind resp. 5 Beobachtungen 


264 


nöthig, aus denen dann das wahre Verhältniss der beiden Lichtintensitä- 
ten berechnet wird. Die mathematische Theorie dieses Differentialphoto- 
meter können wir hier nicht auseinandersetzen und bemerken nur noch, 
dass der Verf. seinen Apparat als sehr sicher bezeichnet ; er hält ihn für 
geeignet, die Schärfe des Auges in der Beurtheilung von Lichtintensitäten 


zu prüfen und zu verbessern. — (Ebenda.) Sbg. 
Chemie. :A. W. Hofmann, Darstellung der Aethylen- 
basen im Grossen, — Bei Einwirkung des Ammoniaks auf das Chlo- 


rid und Bromid des Aethylens entstehen so viele Körper und deren Ab- 
kömmlinge verzweigen sich nach so verschiedenen Richtungen, dass Verf. 
die Untersuchungen noch nicht zum Abschluss bringen konnte, zumal das 
nöthige Material nicht zu beschaffen war. Neuerdings hat er dieselben 
wieder aufgenommen und theilt zuvörderst die Quelle zu reichlichen Aethy- 
lenbasen mit. In Scherings Fabrik hatten sich grosse Mengen eines viel 
Chloräthyl enthaltenden Ueberproduktes angesammelt, das trefflich zur 
Darstellung der Aethylamine sich eignete. Seitdem sind’ nun die höher 
siedenden Fraktionon dieses Ueberproduktes mehr untersucht und darin 
grosse Mengen von Aethylidenchlorid gefunden. Da nun das Aethyliden- 
chlorid erst bei 160° von Ammoniak uuter Bildung von Collidin angegriffen 
wird, so lag nahe, dass sich das Gemenge der höher siedenden Chloride 
in ähnlicher Weise für die Darstellung der Aethylenbasen eigenen möchte, 
wie sich die niedrig siedenden Fraktionen als eine unerschöpfliche Quelle 
der Aethylenbasen erwiesen halten. Verf, erhielt ausjener Fabrik 30 Kilogr. 
einer zwischen 70 und 100° siedenden Flüssigkeit. Bei den Versuchen im 
Kleinen erhitzt man das Gemisch der Choride mit einem Ueberschuss von 
Ammoniak auf 100—120° und dieses Verhältniss wurde auch bei den Ver- 
suchen im Grossen genommen. Die nach 8S—10 stündigem Erhitzen auf 1100 
erhaltene braune Flüssigkeit wurde zunächst von dem ausgeschiedenen Sal- 
miak abfiltrirt und dann durch Destillation von dem Alkohol und den nicht 
angegriffenen Chloriden befreit. Aus den zurückbleibenden Syrup schossen 
kleine Nadeln an, die durch mehrfaches Umkrystallisiren aus Wasser und 
Waschen mit Alkohol gereinigt wurde. Diese Krystalle sind das Chlor- 
hydrat des Aethylendiamins C,N,nCNz0l, = (C;N,) H,N,, 2HCI, dessen 
Reinheit durch die Analyse festgestellt wurde. Durch directe Krystalli- 
sation wurde 1!/, Kilogr.fdes schönen Salzes gewonnen, das in silber- 
glänzenden Nadeln bis 15 Centim. Länge ansehiesst. Weun sich keine 
Krystalle mehr absetzen, wird die braune Mutterlauge mit Natriumhydrat 
destillirt, die ersten Destillate liefern wieder mit Salzsäure Krystalle des 
genannten Salzes, die spätern Fraktionen erhalten die höhern Aetlıylen- 
basen Diamine und Triamine, Mit Hilfe dieses Materials hofft nun Verf, 


die frühen Arbeiten zum Abschlusse zu bringen. — (Berliner Monats- 
bericht Juli 389—335). 


Aug. Husemann, das Cytisin, neuesAlkaloid im Genus 
Cytisus. — Der Goldregen, Üytisus laburnum ist in Rinde, Wurzel, 
Blühte, bekanntlich aber in Schoten sehr giftig und veranlasst mindestens 
gefährliche Zustände. Nach Bonnay reicht bei Kindern ein einziges Samen- 
korn hin, um heftige Erscheinungen zu veranlassen. Verf. zählt einige 


265 


specielle Fälle auf. Bisher gelang es nieht den eigentlich giftigen Stoff 
zu isoliren. Chevallier und Lassaigne zogen den amorphen Bitterstoff, das 
Cytisin sehon 1818 aus den reifen Samen aus, halten aber nur ein ge- 
wöhnliehes Extract. Verf. hat in Gemeinschaft mit Marme in Göltingen 
1862— 1864 mehre Alkaloide der Leguminosen untersucht und es gelang 
ihnen aus den reifen Saınen ein neues äusserst giftiges Alkaloid zu isoliren. 
Die genaue Untersuchung desselben unterblieb damals und ist neuerlichst 
wieder aufgenommen. Zur Darstellung wurden grob zerkleinerte Samen 
48 Stunden mit kaltem, mit etwas Schwefelsäure angesäuertem Wasser 
macerirt, die Flüssigkeit durch Coliren und Abpressen getrennt und die 
Extraction mit kaltem angesäuertem Wasser noch dreimal wiederholt ; 
dann diese Auszüge mit Kalk beinah neutralisirt, nach dem Absetzen colirt 
und durch Ausfällen mit Bleiessig gereinigt, das Filtrat durch Schwefel- 
säure vom überschüssigen Blei befreit, darauf mit Soda vollständig neu- 
tralisirt und endlich durch Eindampfen auf ein kleines Volumen gebracht. 
Jetzt wurde Tamninlösung zugesetzt, so lange ein Niederschlag erfolgte, 
der entstandene weisse, flockige, bei längerem Aufbewahren im halbtrockenen 
Zustande harzige Niederschlag wurde rasch ausgewaschen, abgepresst und 
wieder mit Wasser zu einem dünnen Brei angerieben. Da das gerbsaure 
Cytisin nicht sehr schwer löslich ist, so wurde das noch viel Cytisin ent- 
haltende, aber durch Einwirkung der Luft auf das gerbsaure Kali sehr 
dunkel gefärbte Filtrat vom Gerbsäureniederschlage durch Ausfällen mit 
Bleiessig wieder entfärbt, nach Beseitigung des Bleies mittelst Schwefel- 
säure eingedampft, nach Zusatz vou Soda bis zur alkalischen Reaktion 
nochmals mit Tanninlösung ausgefällt. Dieses Filtrat wurde noch einmal 
der gleichen Behandlung unterworfen und dann die Niederschläge mit 
Ueberschuss geschlämmter Bleiglätte vermischt, dann unter stetem Um- 
rühren und Ersetzung des verdunstenden Wassers ‚so lange im Wasser- 
bade erhitzt, bis eine Probe ein Filtrat lieferte, das mit Eisenchlorid keine dunkle 
Färbung mehr lieferte, also sämmtliche Gerbsäure vom Bleioxyd gebunden 
war, Hierauf wurde vollständig eingetrocknet, der Rückstand gepulvert 
und durch wiederholtes Auskochen mit viel S5proc. Weingeist alles Cyti- 
sin in Lösung gebracht. Die Auszüge wurden zunächst durch Abdestil- 
lation des meisten Weingeistes, dann durch Eindampfen bis zur Syrups- 
consistenz concentrirt, der Rückstand mit Salpetersäure versetzt, erwärmt 
mit Alkohol und dann erkaltet. Dabei setzte sich eine zähe harzige Masse 
ab, von der nach einigen Stunden klar abgegossen wurde. Die Lösung 
setzte nach einigen Tagen reiche Krystalle von salpetersaurem Cytisin ab. 
Dureh 12 maliges Umkrystallisiren aus kochendem Wasser wurden blendend 
weisse grosse Krystalle gewonnen. Zur Isolirung des Cytisins aus dem 
salpetersauren ‚Salze war dieses in wässriger Lösung mit geschlämmter 
Bleiglätte zum Trocknen gebracht und der Rückstand mit absolutem Wein- 
geist ausgekocht, der Auszug hinterliess beim Verdunsten eine farblose, 
strahliskrystallinische, alkoholiseh reagirende, im Wasser und Weingeist 
lösliche Masse, das reine Cytisin, dieselbe ergab stets einen geringen Kohlen- 
stoff- und grössern Stickstolfgehalt als dem Cytisin nach Analyse des 
chlorwasserstoflsauren Cytisinplatinchlorid zukommt. Dies rührte von 


266 


noch vorhandener Salpetersäure her, das angeblich reine Cytisin war also 
basischsalpetersaures Cytisin. Die Reindarstellung gelang nur miltelst 
Kalihydrat, Das entwässerte und gepulverte salpetersaure Salz wurde mit 
einer heiss bereiteten Lösung von Kalihydrat von solcher Concentration, 
dass sie nur in der Hitze flüssig blieb, so lange gekocht, bis sich eine 
vollkommen klare dickölige Schicht von geschmolzenem Cytisin obenauf 
abgeschieden hatte. Diese erstarrte krystallinisch und liess sich vom an- 
hängenden Kalihydrat und Kalinitrat trennen. Dieses Cytisin wurde in 
völlig wasserfreiem Weingeist gelöst, filtrirt, verdampft bis zur Syrupsdicke 
und gab beim Abkühlen eine blendend weisse, strahlig krystallinische 
Masse, die bei 110° getrocknet wurde, Sie verbrannte auf Platinblech 
ohne jeglichen Rückstand und erwies sich auch unter der Brucinprobe als 
völlig reines Cytisin. Es hat einen bitterlichen und schwach kauslischen 
Geschmack, lässt sich auf einem Platinschiffehen im.Glasrobr im Wasser- 
stoffstrome langsam sublimiren und in äusserst dünnen. biegsamen Nadeln 
und Blättchen erhalten. Vor dem Verdampfen schmilzt es zu einer schwach- 
gelblichen, beim Erkalten krystallinischen, öligen Flüssigkeit. Der Schmelz- 
punkt liegt bei 154° C. Es löst sich in Wasser und Weingeist leicht, 
wenig oder gar nicht in Aether, Chloroform, Benzol und Schwefelkohlen- 
stoff. Es fällt die Erden und aile Oxyde der schweren Metalle aus ihren 
Salzlösungen und macht schon in der Kälte das Ammoniak aus seinen 
Verbindungen frei und hat nach verschiedenen Analysen die Formel: C?0 
H?’N40. Von den einfachen Salzen der Base kann nur das salpetersaure 
Cytisin gut krystallisirt erhalten werden, beim Zusammentreifen der freien 
Base mit überschüssiger Salzsäure und krystallisirt in klinorhombischen 
Prismen, löst sich in kochendem Wasser, wässrigem Weingeist, nicht in 
Aether. Es hat die Formel C?0H?”N30, „NHO3® + 2H?0. Die Verbindung 
des Cytisins mit Schwefelsäure, Phosphorsäure, Ameisen-, Essig-, Propion-, 
Butter-, Valerian-, Oxal- und Weinsäure sind sämmtlich zerfliesslich und 
kaum krystallisirt zu erhalten. Nachdem Verf. noch die andern VerblIn- 
dungen besprochen theilt er noch mit, dass das Cytisin in allen Theilen 
der Pflanze mit Ausnahme des Holzes vorkommt, am reichsten aberin den 
reifen Samen, sehr wenig in den Blättern und mehr in den Blühten. Alle 
Arten der Gattung Cytisus scheinen es zu führen. Das Cytisin ist ein 
sehr energisch wirkendes Gift. Da es sehr leicht und schnell Erbrechen 
erregt: so läst sich die Dosis lethalis für den Fall der Einführung des 
Alkaloides in den Magen mit Sicherheit nicht feststellen. Bei subeutaner 
Application genügen für grosse Hunde eiuige Decigrm. des salpetersauren 
Salzes, für Katzen 3 Ceutigrm. um den Tod herbeizuführen, Bei Injection 
in die Blutbahn gehen Katzen bei 1, Hunde bei 3 Centigrm. zu Grunde. 
Der Tod erfolgt asphyetisch und kann durch rechtzeitig eingeleitete und 
consequent bis 2 Stunden fortgesetzte künstliche Respiration abgewendet 
werden. — (Graubündener Jahresbericht XIV. 197—220.) 

K. Preiss, quantitative Bestimmung der Doppeleyanide. 
— Das auf Zersetzung mittelst schwefelsaurem Quecksilberoxyd beruhende 
Verfahren entspricht nur theilweise den Anforderungen und fand Verf. 
die Anwendung der Oxalsäure vortheilhafter. Die Eiseneyanüre werden 


267 


beim Erhitzen mit Oxalsäure derart zersetzt, dass sich oxalsaure Salze 
bilden, welche beim Glühen in Kohlensäuresalze resp. Oxyde oder Metalle 
übergehen, die vollkommen cyanfrei sind. Enthalten die untersuchten Ver- 
bindungen Alkalien, so können sie nur in Form löslicher Kohlensänresalze 
durch einfaches Auskochen mit Wasser von dem Eisenoxyde getrennt 
werden. Dass sich die Anwendung der Oxalsäure nicht blos auf die Zer- 
setzung der alkalischen Cyaneisenbildungen beschränkt, wird Verf. später 
darthun. Als Ausgangspunkt für diese diente ganz reines Ferrocyankalium 
und reine Oxalsäure, -Bei der Analyse selbst mischt man eine abge- 
wogene Menge der zu untersuchenden Substanz im gepulverten Zustande 
mit dem 6fachen Gewicht der ebenfalls gepulverten Oxalsäure in einem 
Porzellantiegel mittelst eines Platindrahtes unter Zusatz von wenig Wasser 
zu einem dünnen Brei, setzt den Deckel auf, erhitzt hoch über der Flamme 
gelinde bis zum Eintrocknen, doch ist grosse Vorsicht dabei nöthig. Nach 
dem Eintrocken steigert man bis zur Rothgluht eine Viertelstunde laug. 
Der geglühte Rückstand ist schwärzlichbraun, im Falle zu schwachen Er- 
hitzens schwarz; die Zeretzung ist unvollständig, der Rückstand noch eyan- 
haltig. Bei zu starker Erhitzung ist ein Theil des gebildeten Eisenoxydes so 
feinpulvrig, dass beim nachfolgenden Filtriren des wässrigen Auszuges 
dasselbe mit durch das Filter läuft. Im geglühten Rückstande kann man 
nun entweder Eisen und Alkali gewichtsanalytisch bestimmen oder nur 
das Eisenoxyd wägen und das Alkali titriren. In letztem Falle kocht man 
die Masse mit Wasser aus, filtrirt die wässrige Lösung ab, wäscht mit 
heissem Wasser nach und titrirt die Flüssigkeit nach der Methode kohlen- 
saure Alkalien maasanalytisch zu bestimmen. Am Porzellantiegel bleibt 
meist etwas Eisenoxyd haften, das man in wenig Salzsäure auflöst, mit 
Ammoniak fällt und den Niederschlag zur Hauptmasse zusetzt. Bei diesem 
Verfahren fällt gewöhnlich der Kaligehalt etwas zu klein, der Eisengehalt 
zu gross aus. Ebenso vollständig wie bei den Eiseneyaniden gelingt die 
Zersetzung der Platineyanide mit Oxalsäure.. Beim Behandeln des Platin- 
eyankaliums nach diesem Verfahren mit dem Ö6fachen Gewicht Oxalsäure 
hinterbleibt ein Gemisch von Kohleisäurealkali und metallischem Platin, 
nur ist hier das Gemisch länger in Rothgluht zu erhalten. Kobalteyanver- 
bindungen hat Verf. noch nicht geprüft, hofft aber dass auch deren Zer- 
setzung durch Oxalsäure gelingen wird. — (Prager Sitzungsberichte 
1870 LI, 78—81.) 

Geologie. Alb. Müller, die Cornbrashschichten im 
Basler Jura. — Unter den jurassischen Schichten um Basel nimmt der 
Hauptroggenstein in horizontaler und verticaler Mächtigkeit die erste Stelle 
ein und bestimmt das Bodenrelief, leider bietet er dem Paläontologen nur 
sehr wenig Ausbeute, desto mehr aber die über ihm liegenden thonigen 
und eisenreichen Kalkschichten oder der Cornbrash und Bradford, die an 
vielen Orten zu Tage treten, daher auch oft untersucht worden sind. Neue 
Aufschlüsse nöthigen Verf. seine frühern Ansichten über die Gliederung, 
zu modifieiren. Die obersten Schichten des Hauptroggensteines sind dünne 
weisse Oolithplatten mit Avicula tegulata. Darüber folgt der Cornbrash: 
l. dichte gelbliche Kalksteine mit Terebratula maxillata und Nerinea 


268 


Brückneri in 3° starken Bänken, Der Kalkstein ist dieht, bisweilen etwas 
oolithisch mit klelnen bis grossen, von Eisenocker ausgekleideten Löchern, 
mit einzelnen Lagen von Muschelbreecien. Dazu gehören die Bänke mit 
Nerinea Bruckneri am NEnde des Westenberges. 2. Grobkörniger Oolith 
mit Clypeus patella und Ammonites Parkinsoni, l,ima gibbosa, Nucleoli- 
tes ete. Die Schichten sind dünnplattig, mit weichem gelben oder braunen 
thonigen Caement, bis 2 Meter mächtig. Dieser grobkörnige Oovlith ist 
überall unverkennbar derselbe, so dass er auch ohne Versteineruugen zu 
erkennen ist. Seine Körner sind kugelig oder flach gedrückt, oft unregel- 
mässig meist 1°’ gross. Stellenweise wittern die Petrefakten schön her- 
aus z. B. auf der Hochfläche von Munien bei Liestal so Pleuromya elon- 
gata in Unzahl, Clypeus patella nur hier, Amm. Parkinsoni sonst tiefer 
nämlich im Bajocien, sehr spärlich die erste Rhynchonella varians und 
Terebratula intermedia. 3. Gelbbraunes, unrein oolithisches Gestein mit 
Discoidea depressa, Clypeus Hugii, Dysaster analis, Hyboelypus gibberu- 
lus ete., wenige Fuss mächtig. Die Versteinerungen sind auf den Feldern 
mit denen der vorigen Abtheilung gemengt, doch enthalten diese im Innern 
einen kleinkörnigen eisenreichen Kalkstein. Diese Schichten entsprechen 
zunächst den Marnes vesuliennes und den Niscoideenmergeln. 4. Graulich 
gelbe und braune raulıe Kalke mit Gervillia Andreae, Trigonia costalta, 
Lima proboscidea und andern Bivalven mit dicken krystallinischen Schalen. 
Ner stellenweise sind diese Kalke noch oolithisch, selbst sandig, bilden 
dünne Bänke und erreichen bis 2 Meter Mächtigkeit. Die Seeigel der 
vorigen Abtheilung kommen hier wieder spärlich vor. Sehr eharakterisch 
ist. die genannte bis 9° lange Gervillia; Trigonia costata hat hier ihr Haupt- 
lager, Lima proboseidea wird 1° gross, erscheint klein schon im Bajocien, Am- 
moniten selten, Rhynchonella varians bildet Nester und Bänke. 5. Graue oder 
gelbe Ihonige Kalke mit Ostraea Knorri, Mytilus bipartitus, M. striolaris, Tere- 
bratula emarginata, Lueina jurensis ete. und Rhynchonella varians in ihrem 
Hauptlager, nicht höher hinaufgehend, hier aber die häufigste aller Arten’ im 
Jura überhaupt, viel seltener ist die grössere kugelige Rh. coneinna und 
Rh. spinosa; häufigund nur hier Terebratula emarginata. Diese Schichten 
sind sehr verbreitet und bis 5 Meter mächtig und bilden den eigentlichen 
Bradford mit vortreffliehen Versteinerungen, worunter aber gar keine See- 
igel. 6. Gelbbraune oft oolithische eisenreiche Kalksteine mit Amm. ma- 
erocephalus und triplieatus als oberster Bradford. — Die untern Abtheilungen 
zumal 3 und 4 scheinen am nächsten dem Calcaire roux sableux und 5 
der Dalle nacrde im WJura zu entsprechen, obwohl die Petrefakten nicht 
völlig identiseh sind. Die meisten Arten von 2—5 finden sich in diesen 
beiden Abtheilungen. Die von Fromherz und Sandberger beschriebenen 
Bradfordschichten des badischen Oberlandes scheinen den Basler sehr 
nahzustehen , wogegen sie in Schwaben nicht wieder zu finden sind, nur 
im Allgemeinen entspricht das braune & dem basler Bradford. Auch die 
Oppelsche Eintheilung, eine untre Zone mit Terebratela digona und eine 
obere mit T. lagenalis passen nicht gut auf die Basler, letzte Art ist sehr 
selten bei Basel und die erste fehlt ganz, auch der Ammonites aspidioides 
ist sehr selten, Apiocrinus Parkinsoni in England und Frankreich ist wichtig. 


269 


Die Bezeichnung Variansschichten hält Verf. für ganz treffend, da diese 
Art durch alle Schichten hindurch geht. Die Trennung des braunen & 
vom braunen d oder die des Bradford vom untern Eisenoolith ist in 
Schwaben schwierig, weil dort wie im östlichen Aargau der Hauptroggen- 
stein fehlt, der doch im Basler eine mächtige Scheidewand bildet. Bei 
allen Abweichungen fernstehender Localitäten bilden wieder die Macroce- 
phalusschichten einen bestimmten Horizont, der sich zum Abschluss des 
Cornbrash oder Bradford eignet. Manche Geognosten bringen dieselben 
schon in die folgende Eiage des Kellowayrock oder die Örnatenthone, 
Verf. lässt sie wegen des Auftretens des A. triplieatus bei dem Bradford 
und weil die sonst folgenden eisenoolithischen Callovienschichten bei Basel 
fehlen. Dagegen kommen über Nro. 5 mit Mytilus bipartitus noch die 
gelben Eisenoolithe mit A. macrocephalus und darüber die hellgrauen 
schiefrigen Mergel des Oxford vor. Die Basler 6 Abtheilungen des Corn- 
brash sind also petrographisch und paläontologisch gut geschieden, aber 
doch durch wichtige Arten als zusammengehörig charakterisirt. Die ganze 
Mächtigkeit steigt nicht über 20 Meter. Es folgen diesem Cornbrash nach 
unten dünnplattige hellgelbe Schichten des obersten Hauptroggensteines, 
die dureh Avicula tegulata charakterisirt sind. Der Great oder Bathoolith 
der Engländer ist etwas jünger als der Basler Hauptroggenstein, der sich 
an steilen Ufern mit heftiger Brandung bildete. Schwierig zu erklären ist 
die Entstehung der Eisenoolithe über und unter den Hanptroggensteinen, 
und spricht Verf. einige Vermutbungen darüber aus. Schon früher hat er 
auf die Uebereinstimmung des untern Eisenoolith und des Cornbrash also 
der Schichten unter und über dem Hauptroggensteine hingewiesen, die 
Mehrzahl der Art ist beiden identisch mit Ausnahme der Seeigel, ja mehere 
Arten lassen sich bis in den Lias hinab verfolgen, andrerseits bis in den 
weissen Jura hinauf, das weist auf eine ganz allmählige Umwandlung der 
Arten im Sinne der Darwinschen Theorie hin. Als solche identische 
Arten beider Schiehtengruppen führt er auf Terebratula Meriani und T. 
perovalis, Rhynchonella spinosa, Tıigonia costata, Mytilus euneatus, Avi- 
eula tegulata, Lima proboscidea, Pecten disciformis, Ostraea Marsli, 
Pholadomya media, Lyonsia abducta, Pleuromya elongata, Belemnites 
canalieulatus nnd Serpula soeialis und deutet die Uebergangsreihen einzeln 
an. Zu den Arten früherer Schichten treten in jeder Abtheilunz neue hinzu 
und einige der frühern erlöschen, doch wollen wir den Betrachtungen des 
Verf. in dieser Richtung nicht weiter folgen. — (Basl. Verhdlgn.V. 392-419.) 

Ad.Gurlt,Hebungsphänomenederdiluvial-undjüngern 
ZeitimsüdliehenNorwegen. — Bekanntlich war Norwegen’während 
der Diluvialzeit von Gletschern bedeckt wie nech heute Grönland, wie die 
polirten und gefurchten Gesteine, die Moränen, der erhärtete glaeiale 
Schlamm beweisen. Diese glacialen Phänomene erstrecken sich über das 
ganze Land, die Scheuerstreifen aus 5000° Meereshöhe bis unter das Niveau 
der See, wo sie bei ruhigem Wetter längs der ganzen Küste zu verfolgen 
sind. Schon daraus folgt, dass damals das Land ein höheres Niveau hatte, 
obwohl angenommen werden darf, dass die Gletscher auch bis unter den 
Meeresspiegel wie bei Grönland und Spitzbergen hinabgehen. Das aber 


270 


am Ende der Glacialzeit eine tiefe Senkung Norwegens zugleich mit der 
Abschmelzung des Eises stattgehabt hat, beweisen die zahlreichen gla- 
cialen Muschelbänke, die jetzt weit in das Land hinein zwischen 200 bis 
600° Meereshöhe, den polirten und gerieften Steinen aufliegen und nur 
eine aretische Fauna enthalten. Diese wurden unstreitig gebildet in 
Meerestiefen von wenigstens einigen Faden auf den zuvor polirten Gesteinen, 
sind also nach Einsenkung derselben entstanden und sind seitdem wieder 
bis zur gegeuwärtigen Höhe über dem Meere gehoben. Für eine starke 
Hebung in der postglacialen Zeit finden wir die Beweise in der gleich- 
mässigen Verbreitung bis zu 600° Meereshöhe eines blauen postglacialen 
Meeresthones, ähnlich dem noch heute in der Nordsee gebildeten Schlick, 
der als Ziegelthon vielfache Verwendung findet. Er ist stets bituminös 
und enthält die noch jetzt in der Nordsee lebenden Thiere. Mit ihm ver- 
bunden in 250° Meereshöhe liegen postglaciale Muschelbänke, die keine 
arklischen Formen mehr, sondern nur die Arten der heutigen Nordsee 
führen. Endlich dienen als Beweis die zahlreichen Terrassen oder erhöhten 
Seestranden an vielen Stellen der Küste und in den meisten Thälern mit 
detritusreichen Flüssen. Verf. fand selbst als Beweis für eine bedeutende 
postglaciale Hebung eine schöne Koralle der Nordsee in einer postglacialen 
Muschelbank im Thale des Drammenflusses. Diese Oculina prolifera lebt 
jetzt an der S. und WKüste Norwegens in grossen Bänken auf felsigem Beden 
in 100 Faden Tiefe, Sie liegt jetzt 12° über dem Meeresspiegel schön erhalten 
und in grosser Menge, ist also in situ gewachsen. Der Fundort liegt dicht 
hinter einer alten Endmoräne, die einst das Drammenthal quer abschloss 
und später vom Finsse durchbrochen wurde. Das würde beweisen, dass die 
Localität nach Bildung der Moräne und Wegschmelzung ihres Gletschers 
sieh etwa 600° unter das Meeresniveau gesenkt hat, worauf die postglaciale 
Muschelbank mit Ostraea, Mytilus, Mya, Cardium, Tellina und der Ocu- 
lina prolifera entstand ; dass dann wieder eine Hebung erfolgte bis zur 
heutigen Höhe. Diese Thatsachen haben auch ein Interesse für Nord- 
deutschland, das sich augenblicklich in einer Senkung befindet, obgleich 
zwischen diesen säcularen Niveauschwankungen in Scandinavien und Nord- 
deutschland kein Zusammenhang nachweisbar ist, da beide verschiedenen 
Senkungsfeldern angehören, deren Gränzlinie muthmasslich in der Ostsee 
liest östlich von Gothland. — (Rostocker Tageblatt S. 44—45.) 
Möhl, Beziehungen zwischen Tachylyt, Basalt und 
Dolerit. — Der Tachylyt von Ostheim, Budesheim und Rüdigheim stellt 
das reine basische Basaltglas, der von Bobenhausen in 3 Varietäten und 
der von Gelhürms das durch Ausscheidung des Magneteisens zu Borsten- 
haufen mit farren- und keulenförmigen Ausfranzungen, des Angits, Nephe- 
lins, Apalits ete. entglaste und sofort nach der Entglasung nur noch schwer 
bewegliche oder plötzlich erstarrte Glas, der von Sababurg in 3 Varietäten 
das .ebenwohl dnrch Ausscheidung von Titan und Magneteisen sowie vor- 
her des triklinen Feldspathes melır weniger entglaste, nach der Entglasung 
und Klärung noch lange flüssig gebliebene Glas, der von Böddiger, Sase- 
bul und Schwarzenfels endlich einen Zustand von Halbglas mit Ausschei- 
dungen von Augit, Olivin, triklinem Feldspath, Nephelin, Apatit, Eisen- 


aut 


glauz, Titaneisen ele. vor. Eine Reihe halbglasiger und mehr entglaster 
Verkommnisse vermittelt den Uebergang durch die Basalte zu deu Ana- 
mesiten und endlich den Doleriten, welche letzte Titaneisen überwiegend 
enthalten. Der Fundort Sababurg weist die complete Reihenfolge der 
Entglasungszustände auf. Speeifische Gewichtsbestimmungen, mikro- 
chemische Untersuchungen und Analysen erläutern übersichtlich die Dichtig- 
keitszustände sowie die chemische Beschaffenheit und nahe Beziehung der 
basischen Glieder der tertiären Eruptivgesteine vom liomogenen Glase bis 
zum grobkrystallinischen Dolerit. Die Localuntersuchungen weisen darauf 
hin, den Taclıylyt als das rasch erstarrte Produet in der Tiefe eines Lava- 
schlundes zu betrachten, das entweder mit vulkanischer Asche und Rapillis 
ausgeworfen und in den aus letzten entstandenen Tuffen eingebettet sich 
findet oder wie am Schiffenberg in einem später zu Bol gewordenen Süss- 
wasserthonschlamm geschleudert und hiervon umhüllt wurde oder endlich 
die glasige Kruste eines directen Lavastromes wie am Hopfenberg bei 
Schwarzenfels bildet, deren tiefe Schalen, weil langsamer abgekühlt in 
rascher Folge sich als Basalt ete., im Korn als Dolerit erweisen. Künst- 
liche Gläser, gewisse Hohofenschlacken, namentlich aber der in grossen 
Blöcken vom Mount Sorell entnommene, im Porzellanfeuer umgeschmolzene 
Syenit zeigen eine der tachylytischen frappant ähnliche Entglasung. Er- 
wähnt wurde bei Böddiger, dass in bestimmten Zonen der hessischen Ba- 
saltreviere, da wo Nephelinbasalte auftreten sowohl in diesen wie in den 
begleitenden Tuffen neben grossen Biotitkrystallen die manganhaltige leicht 
schmelzbare Thonerdehornblende der Arfvedsonit in grossen mikroskopisch 
sehr reinen Stücken und Knollen von körniger oder späthiger Struktur sich 
findet. — (Ebdu- 43—44.) 

0. Gillieron, Kreideformation in den vordern Alpen- 
ketten am Genfersee. — Die Resultäte des Verf. s Untersuchungen 
sind folgende: 1. Von den Umgebungen des Stockhornes erstrecken sich 
in grosser Mächtigkeit Kreideschichten bis in die nördlichen Berge des 
Chablais jenseits der Rhone. 2. In einer und derselben Kette von der Aare 
bis in das Chablais hinein bleiben die Charaktere der Kreide- und Jura- 
bildungen unverändert. Wenn man dagegen eine Profilreise durch die 
drei Hauptketten ausführt; so sieht man jede Schichtenabtheilung mit nanı- 
haften Unterschieden auftreten. 3. Die Gliederung der Kreide ist nicht 
.so manichfaltig wie in andern Theilen der Alpen. Man kann zunächst 
nur zwei Stufen unterscheiden: alpines Neocom und eine obere Gruppe, 
die auelı die bekannten rothen Kalksteine von Wimmis umfasst. 4. Das 
alpine Neocom ist nur in den Stockhorn-, Berra-, und Bouryketten vorhan- 
den d. h. am äussern Rande des untersuchten Gebietes ; die obere Kreide 
dagegen tritt in allen Ketten auf. 5. Nur in der Berrakette finden sich Eix- 
lagerungen mit einer dem alpinen Neocom fremden Fauna. 6. Der Flyseclı 
scheint fast überall unmittelbar auf die obere Kreide zu folgen. Num- 
muliten werden nur in der Berrakette gefunden. — (Basler Verhandlg. 
v. 455—456.) 

B. Studer, zur Geologie desRalligergebirges. — Der Ral- 
ligenstock oder die Sigriswylergräte hat durch neu aufgefundene Ver- 


272 


steinerungen wieder die Aufmerksamkeit auf sich gelenkt. Von Süden 
sich nähernd wird man auf keine Schichtenstörungen vorbereitet. Auf 
beiden Seiten des Justithales liegt von uuten her anhaltend bis in beträcht» 
liche Höhe Neocom, auf diesem Rudistenkalk und auf, dem Gebirgskamme 
Nummulitenkalk. Die Schichtung ist antiklinal, vom Thal abfallend wie 
in einem gebrochenen Gewölbe. Fallrichtung und Schichtenstellung zeigt 
sich jedoch auf der NWThalseite weniger regelmässig als auf der gegen- 
überliegenden, man stösst mehrfach auf Wellenbiegungen, auf senkrechte 
Stellungen und je weiter man längs dem Absturze der Ralligstöcke nach 
dem Thunersee aus dem Justithal gegen Sigriswyl vorrückt, desto schwie- 
viger wird esin der Waldbedeekung den Zusammenhang der isolirt steheu- 
den Felsriffe zu beurtheilen. An freien Standpunkten und vom See her 
überzeugt man sich jedoch, dass der Gebirgsstock synklinal zusammenge- 
drückt ist, wie ein auf dem Rücken stehendes Buch. Dass auf der Sigris- 
wyl zugekehrten Seite die Schichten wie auf der dem Justithal zugekehrten 
in den Berg hineinfallen und wo die zwei entgegengesetzten Richtungen 
sich schneiden, beinah vertikal stehen. Eine Einbiegung des Abhanges 
im untern Theile Opetengraben genannt, bezeichnet diese Stelle vom See 
her bis auf die oberste Höhe und ist auf dieses in der Muldenform der 
Berlialp zu erkennen. Verfolgt man den Weg vom Justithal nach Sigris- 
wyl, so durchschneidet man erst Neocom, dann Rudistenkalk und gelangt 
in Nummulitensandstein. Tiefer abwärts im Opetengraben sieht flysch- 
ähnlicher Schiefer, dessen Petrefacten als der weissen Kreide angehörig 
bestimmt wurden. Es müssen diese Felsen zwischen Rudistenkalk und 
Nummulitenbildung liegen und noch der rechten Seite des Schichtenfächers 
angehören. Es scheint, das früher horizontal liegende Schichtensystem 
sei über dem Justithal zu einem Gewölbe gefaltet worden, dass in der 
Mitte zusammengebrochen und eingestürzt ist, es habe sieh später ein 
Spalten- oder Circusthal gebildet, wie solche im Jura vorkommen. Der 
rechtseitige Schenkel des Gewölbes fällt mit flacher Neigung nach dem 
Habkerenthal ab, dem linken fehlte der Raum sich auszubreiten, er brach 
an der NSeite ab und wurde zu einer zweiten Falte zusammengedrückt. 
An der Grundlage dieses Schenkels stösst man auf ein ganz verschiedenes 
Gebirgssystem und auf unlösbare Räthsel. Die Dallenfluh ist Tavigliana- 
sandstein. In dem abwärts gegen Merligen sich erstreckendem Walde 
treten mit SO fallen noch mehrmals Felsen dieser Steinart auf und das 
an der Dallenfluh wohl 25 M. mächtige Felsband lässt sich unter der Falte 
der Neocom, Kreide- und Nummulitenbildungen oder in der Tiefe dieselben 
abschneidend in siels gleicher Richtung fortsetzend bis nach Merligen 
verfolgen. Seine Fauna und Flora findet Ooster der rhätischen gleich. 
Blickt man endlich von der Höhe über Ralligen auf das jenseitige Ufer 
Jes Thunersees : so überzeugt man sich, dass die grossen Querthäler der 
Schweizeralpen eine tiefere Bedeutung haben, als man ihnen einräumt, 
dass es nicht einfache Spaltenthäler und noch weniger Erosionsthäler sind. 
Der Thunersee scheidet mehre nach ihrer Steinart, ihrem Alter und Ur- 
sprung wesentlich ungleiche Gebirgssysteme wie etwa die Niederung von 
Aix und Chambery die Alpen vom Jura oder das Flachland zwischen Salz- 


273 


burg und Linz die Alpen von den bölmiselen Gebirgen trennt, — (Berner 
Mittheilungen Nro. 708. 
H. Trautschold, der klin’sche Sandstein, — Dieses Gebilde 


des Gvt. Moscou ist durch die technische Verwendung erschöpft und will 
Verf. es noch für die Geologie und Paläontologie verwerthen. Der Klin’- 
sche Sandstein, nach Stadt Klin benannt, wurde lange für lertiär gehalten 
bis Auerbach Pflanzen darin sammelte, die sich als jurassisch ergaben, 
aber von Auerbach, Göppert und Eichwald sehr verschieden bestimmt wurden, 
Der Sandstein verbreitet sich im hügeligen Lande um Klin auf 30 QWerst 
unter einer lehmigen Sanddecke, ganz wie der Sandstein von Tatarowa, 
der auf oberem Jura lagert. Als drittes Vorkommen wird das linke Ufer 
der Oka zwischen Kaluga und Alexin angeführt, wo Bergkalk das liegende 
bildet. Der Sandstein selbst erscheint in nierenförmigen Blöcken in lockern 
Sand gebettet oder ausgewaschen, grau mit schwarzen Pünktchen, stellen- 
weise zerreiblich oder aber sehr hart und dicht. Er bestelıt aus kleinen 
klaren Quarzkörnern, verkittet durch eine helle Kieselmasse , zufällig mit 
wenig weissem Glimmer und ohne Eisenoxyd. Die darin vorkommenden 
Versteinerungen sind folgende : Calamites unbestimmbare Stengel, Equise- 
tites ebenfalls unbestimmbare Stengelstücke, Odontopteris dubia nach einem 
nieht ganz sichern Blattabdrucke, Sphenopteris Auerbachi sehr ähnlich der 
Sph. triehomanoides aus der Steinkohle, Reussia pectinata Goepp, Asple- 
nites desertorum sehr ähnlich dem Aspl. nodosus der Kohlenformation, 
Aspl. Klinensis (Pterophyllum Murchisonanum, Pt. filieinum, Pecopteris 
Auerbachana, Weichselia ludovicae) mehrfach, Alethopteris Reichana Brongn 
nur ein Abdruck, A. metrica ebenfalls nur ein Fragment, Pecopteris Whit- 
biensisBrgn in zwei Abdrücken, P, Althausi Dkr. mehrfach, P. nigrescens, 
P, deeipiens, P, explanata alle neu, Polypodites in unbestimmbarer Art, 
Glossopteris solitaria in einem Blattabdrucke, Cycadites acaciaelormis in 
einem Blatt, Thuytes ecarinatus (Cupressites obtusifolius Eichw.) in zwei 
Abdrücken, Araucarites hamatus (Geinitzia cretacia Eichw.) in mehren 
Astfragmenten, Pinus elliptica in drei Zapfenabdrücken, Auerbachia echi- 
nata fragliche Blätter, Phyllites regularis. Diese Pflanzen weisen auf obern 
Jura, untere und mittlere Kreide. — (Nouv. Mem. Moscou XII. 3. 
p2 1912327161822 

ÖOryktognesie. G. Rose, Bildung des mit dem Stein- 
salz vorkommenden Anhydrits. — Volger zählt in seinen Stein- 
salzgebirge von Lüneburg als dort vorkommend auf Moderstoffe, Eisen- 
glimmer, Eisenkies, Borazit und Quarz und sucht deren Alter festzustellen. 
Die Moderstoffe durchziehen in Schweifen und Wölkehen den Gyps, An- 
hydrit, Borazit and die Bergkrystalle und müssen älter als diese sein. 
Die Schwefelkieskrystalle sind Erzeugnisse der Moderung selbst und kom- 
men auch in Borazitkrystallen vor. Die Wölkchen des Eisenglanzes lau- 
fen auch durch die Bergkrystalle, nicht aber dureh die Boraeite, sind also 
älter als jene und jünger als diese. Eisenglanz und Eisenkies meiden sich 
gegenseitig, ebenso die Bergkrystalle und Boraeite und ist der Eisenglanz 
Jünger als der Boracit, die Eisenglanz einschliessenden Bergkrystalle sind 
älter als jener, Ferner ist unzweifelhaft der Gyps jünger als die Berg- 


274 


krystalle und Boraeite. Beweis für die Entstehung des Gypses aus 
Anhıydrit sind die Uebergänge und die Anhydritkerne im Gyps. Die 
graue und rothe Färbung tritt in beiden ganz gleich auf. Aber Berg- 
krystalle und Boracit sind entschieden älter als Auhydrit. Es ist klar, 
dass die Moderwölkchen, die in Boracilen und Bergkrystallen einge- 
schlossene Schwefelkieskrystalle und die in den Bergkrystallen einge- 
betteten Eisenglanzplättchen vor der Bildung ihrer Umhüllungen nicht frei 
in der Luft oder in einer andern Flüssigkeit schwebten, sondern dass eine 
sie umhüllende Masse vorhanden gewesen sein muss und diese Masse war 
das Steinsalz, das später durch Anhydrit verdrängt wurde Theilchen für 
Theilchen. Als Beweis der frühern Steinsalzumgebung dient: die vielen 
an den Boraciten beobachteten Vertiefungen, die bestimmt Abformung von 
Salzwürfeln sind, das Vorkommen deutlicher Salzreste in der Nähe der 
 Boraeite und in jenen Vertiefungen, endlich das Verhalten der Anhydrit- 
krystalle gegen die stellenweisen Salznester und Einsprenglinge, das Auf- 
treten desselben rothen Eisenglanzes in diesem Salze un. der Schwefelkies- 
krystalle in demselben. Diese Beobachtungen Volgers sind jedoch unvoll- 
ständig, es treten noch andere Verhältnisse der Vorkommnisse auf, welche 
jene Folgerungen wesentlich modifieiren. Es sollen alle Eindrücke und 
Höhlungen am Borazite von Steinsalz herrühren, allein es ist doch nur 
sehr selten, dass sich anhaftende Salztheilchen finden. R. fand dagegen 
im Innern von Borazitwürfeln ausgebildete Anhydritkrystalle, auch ragte 
aus einem Borazit ohne alles Steinsalz ein von Eisenglimmer roth gefärb- 
ter Anhydrit hervor. Noch häufiger als am Kalkberge bei Lüneburg ent- 
halten die tetraedrischen Borazite vom Schildstein daselbst Anhydrite. 
Dieser kommt in grosser Menge neben demselben vor und ragt in den 
Borazit hinein, ist also der ältere. In dem Sprunge eines Borazites sah 
R. Gyps, also auch dieser älter als Borazit. Wie rother Anhydrit im Bo- 
racit eingeschlossen zeigt, dass Eisenoxyd auch im Borazit vorkommt: 
so finden sich auch rothe Eisenoxydtäfelehen ohne Anhydrit in völlig 
klaren Boraeitkrystallen. Auch in zwei Boraziten beobachtete R. Quarz- 
krystalle, ingleichen im blättrigen Anhydrit und im Gyps. Bei Tiede im 
Braunschweigischen erscheint der Anhydrit als grobkörnige Masse, deren 
erbsengrosse rauhe Körner kurzstrahlig um einen dichten Kern sind, in 
dem Kern liegen Anhydritkrystalle und Steinsalzkörner. Geglüht wird die- 
ser Anhydrit schneeweiss, ist aber aueh unter dem Mikroskope noch An- 
hydrit, dann unter Wasser gebracht bilden sich neben dem Anhydrit Gyps- 
krystalle. Der Anhydrlt von Segeberg in Holstein besteht aus 3 dicken 
Lagen dünner Stengel, die auf der Oberfläche der Lagen rechtwinklig ste- 
hen. Im Querbruch der Lagen sieht man die Gränze der obern und un- 
tern Stengel, welehe oft von einer dünnen Schieht körnigen Anhydrits ge- 
bildet wird. Der Querbruch der Lagen hat das Ansehen gegossenen 
Zuckers oder Bonbons, die nach langem Liegen auch faserig werden. 
Zwischen diesen faserigen Anhydritlagen liegen bis ?/, grosse klare An- 
hıydritprismen, die sich leicht herauslösen nnd dann reetangnläre Eindrücke 
hinterlassen. Der faserige Anhıydrit giebt im Kolben steis etwas Wasser, 
wird schneeweiss und zerreiblich, bleibt aber unter dem Mikroskop pris- 


2715 


matisch, ist also etwas in Gyps nmgeändert. Borazitkrystalle fehlen da- 
rin, während in Handstücken desselben Fundortes solelie vorkommen aber 
bei fehlenden Anhydritkrystallen. Dickstengliger Anhydrit von Stassfurt 
noch ganz frisch ohne Spur von Wasser umschliesst körnigen Anhydrit 
und Hchlräume mit nadelförmigem Anhydrit und Eisenglimmer und mit 
Steinsalz. Andrer Anhydrit von Stassfurt besteht aus Körnern mit radial- 
faseriger Struktur und umschliesst Blätter von rothem Gyps. In diese 
Gypstafeln sind Anhydritnadeln hineingewachsen. Ein Lüneburger Anhy- 
dritstück enthält 4’ dicke faserige Lagen, deren Fasern stark seidenglän- 
zend und frisch zusammengestossen und keinen körnigen Anhydrit zwi- 
schen sich haben. Solche Lagen häufen sich, haben körnigen Anhydrit 
von schwarzen Adern durchzogen zwischen sich, auch blättrigen rothen 
Gyps, oder wasserhelle Anhydritkrystalle. Borazite liegen in den Faser- 
lagen einzelu oder gruppirt, zugleich auch im blättrigen Anhydrit und 
Gyps; ‘in und neben den schwarzen kohligen Adern Schwefelkieswürfel. 
In andern Handstücken desselben Fundortes fehlt Eisenglimmer und Gyps, 
die Hohlräume der Faserlagen sind mit Anhydritkugeln und Krystallen 
besetzt; noch andere führen sehr viel rothen Gyps auch in Kıystallen. 
Die Baorazite sitzen im Anhydrit und Gyps und schliessen selbst Quarz- 
krystalle ein. Der Gyps vom Kalkberge bei Lüneburg ist feinkörnig und 
hat porphyrartig eingeschlossene Anhydritkrystalle, auch auf den Rissen, 
aber nirgends lange prismatische, sondern kurze würfelähnliche. Die ein- 
geschlossenen Boraeite fallen durch ihre Grösse auf und haben auch grosse 
Eindrücke auf ihrer Oberfläche, die von Anhydrit herrühren, führen zu- 
gleich auch Eisenglimmer und Steinsalz. Einzelne Borazite sind in Pseu- 
domorphosen von Stassfurtit umgewandelt. — Aus all diesen Beobachtun- 
gen ergiebt sich, dass der faserige Anhydrit von Tiede, Segeberg, Stass- 
furt und Lüneburg eine secundäre Bildung und aus Gyps entstanden ist. 
Künstlich verwandelte Hoppe Seiler den Gyps in Anhydrit (Poggendorffs 
Annal, 1868 Bd. 127 S. 160.) Er erhitzte Gypskrystalle in einer Glas- 
röhre mit Wasser in Oel bis 1400, der Gyps verlor die Durchsichtigkeit, 
zerklüftete zu seidenglänzenden Fasern und war in schwefelsauren Kalk 
mit !/, At. Wasser umgewandelt. Als die Gypskrystalle in einer gesättig- 
ten Steinsalzlösung bis 1300 erhitzt wurden, zerklüfteten sie ebenso, gin- 
gen dann aber in eine porcellanartige Masse über, die nur Spuren von 
Wasser enthielt und unter dem Mikroskop aus rechtwinkligen Prismen 
bestand, also Anhydrit war. R. wiederholte diese Versuche und bestättigte 
die Umwandlung. Der Gyps kann sich also mit Hilfe von Chlornatrium 
in Anhydrit umwandeln und es ist auffällig, dass noch keine Pseudomor- 
phosen von Auhydrit nach Gyps beobachtet sind. R. erkannte dieselben 
bei Salz am Neckar. Hier ist der Anhydrit smalteblau, dicht splittrig im 
‘Bruch oft auch verworrenfaserig, die dicht gedrängten Pseudomorphosen 
sind niedrige rhombische Prismen von 111° 14° mit abgestumpften schar- 
fen Seitenkanten. Diese Entstehung des Anhydrits aus Gyps kann jedoch 
für die grossen Anhydritkrystalle nicht gelten, welche im faserigen Anhy- 
drit in Segeberg und am Schildstein vorkommen, Zwei so verschiedene 
Formen derselben Substanz können nicht zu gleicher Zeit entstanden sein, 
Zeitschr. f. d. ges. Naturwiss. Bd. XXXVII, 1871, 19 


276 


die Krystalle waren schon da als der Gyps sich bildeie uud später in 
Anhydrit verwandelte. Im Kalkberge bei Lüneburg fehlt der faserige An. 
hydrit, die Masse ist hier ein Gemenge von Gyps mit Anlıydrit und in 
solchem Zustande haben sich wohl auch die Berge bei Tiede, Segeberg 
und der Schildstein befunden, bei ihnen ist der Gyps in Anhydrit umge- 
ändert, am Kalkberge aber nicht. Mit den Anhydritkrystallen gleichzeitig 
oder vor ihnen habe sich Eiseukies, Eisenglimmer, Quarz und Borazit aus- 
geschieden. Da vielleicht nur geringe Temperaturunterschiede bestimmen, 
ob Anhydrit oder Gyps sich bildet: so mögen an jenen Orten beide wohl 
an der Grenze für die Bildung des einen und des andern entstanden sein; 
geringes Sinken der Temperatur mag die weitere Anhydritbildung gehemmt 
und die Gypsbildung veranlasst haben, die dann wieder die Steigerung der 


Temperatur zum Anlhydrit führte. — (Berliner Monatsberichte Juli 
S. 863 379.) 
J. Rumpf, Mineralogisches aus Steiermarek. — 1. Ara- 


gonit, Magnetit und Chromit von der Gulsen bei Kraubak. In dem hier 
auftretenden, sehr geklüfteten Serpentinstocke finden ‘sich Chromit, Mag- 
netit, Dolomit, Bronzit, Pickrosmin, Marmolith, Gympit, Kerolith,, ‚Bruzit, 
Talkglimmer und gewöhnlicher Glimmer. Dazu ist neuerdings noch Ava- 
gonit gefunden und zwar auf den Chromit führenden Klüften in spiessigen 
und tafelförmigen Krystallen, meist in Drusen verwachsen, doch auch 
dentlich als „P.PG „P&, wiewohl die Pyramide vorherrscht oder zwei 
gegenüberliegende Flächen von „P schneidige Keile bildend. Die Gulsen 
sind die einzige Fundstelle für Magnetitkrystalle in reiner Würfelform und 
der Combination g0%„ :0. Yon isolirten Oktaedern sind keine Beispiele 
bekannt und doch kommen sie vor eingebeltet in der steinmarkartigen 
Masse im Serpentin, doch nur bis 1 Mm. gross, mil gläuzend glatter Ober- 
fläche. Die Chromitoktaeder erreichen bis 4 Mm. und sind an die Serpen- 
tinmasse gebunden oder von Glimmer umhüllt. Ein Magnetit ist in der 
Hauptmasse körnig mit wenig cehloritischen und talkartigen Beimengungen 
bildet er einerseits kaum zu ®/, freie Dodekaeder mit sammetartig gestreiften 
Flächen und ist in dieser Form noch nicht bekannt. — 2. Baryt von Drau- 
wald als Druse auf glimmerhaltigem Quarzschiefer. Die Krystalle haben 
tafelförmigen Habitus, sind 10 Mm. hoch, 4 Mm. dick, wasserhell, milch- 
weiss und gebändert und bilden OP.PG.P&:P.mPm. „Ps. „P%, ein- 
zelne noch mit „P&- Die stark gebogenen und gefurchten Flächen mPm 
sind eine constaute Abnormität der Krystallausbildung, welche auf eiu- 
getretenen Stoffmangel der Art schliessen lässt, dass sich im günstigsten 
Falle nur noch die für „P5 wirkenden Kräfte geltend machen konnten. — 
3. Vivianit von Köflach und Voitsberg. Im Hangendthon des Köflacher 
Kohlenflötzes fanden sich stark poröse Röhren- und Schulterknochenfrag- 
mente von Säugethieren und in denselben krystallinische Schuppen und 
deutliche Krystalle von Vivianit, die Tafeln mit der gewöhnlichen Combi- 
nation +P.+Po.oP.: ©. Po sind im. Aeussern tief indigblau, im 
Innern jedoch völlig wasserhell. Hellblauer erdiger Vivianit findet sich 
im gelblich grauen Hangendthon der Voitsberger Kohle und ist derselbe 
im ‚frischen Bruch gelblichweiss. In letzter Kohle kommen auch zierliche 


Bl 


Gypsrosen vor. — 4. Rutil von Modriach und Ligist. In den kıystallini- 
schen Schiefern dieses Gebietes kommen mächtige Aussckeidungen von 
Quarz und halbzersetztem Feldspath vor und in dem Quarze Rutilkrystalle 
in der Combination P.P„- „P: oP »- »P3; darin erscheinen die gewöhn- 
lichen Streifungen der Prismenflächen weniger auffällig wie jene von P „, 
welehe zu dem noch merklich gekrümmt sind und damit eine diletrago- 
nale Pyramide Pn andeuten. — 5. Bergkrystall von Pack und Rauchquarz 
von der Hoch-Masse in eigenthümlichen Krystallformen. — (Steiermärker 
Mittheilungen Ti. 490—406.) 

How, Wickworthit neues Mineral, — Der Gyps- und Anhy- 
dritdistriet von Hants in Neusehottland führt Nieren und Knollen von 3 
Härte, farblos und durchsichtig und besteht aus 31,66—31,14 Kalkerde, 
36,70—31,51 Schwefelsänre, 3,31—4,98 Kieselsäure, 10,17 —14,37 Bor- 
säure, 18,80—18,00 Wasser und steht demnach das neue Mineral zwischen 
Gyps und Silicoborocaleit. Es finden sich mit demselben der Ulexit oder 
Natroborocaleit, der Cryptomorphit und der Howlit oder Silicoborocaleit. 
Der Name Wickworthit ist von dem Fundorte ;Wickworth gebildet. — 
(Philos. Magaz. no. 275 p. 270—274.) 

Noellner, Lünenurgit entspricht im Lüneburger Steinsalzlager 
dem Stassfurtit bei Stassfurt und ist eine Verbindung von [(2Mg0,HO) 
PO, +Mg0,B0,] + 7HO. — (Rostocker Tageblatt 45.) 

Palaeontologie. A.E. Reuss, die Foraminiferen des 
Septarienthones vonPietzpuhl. — Herr v. Schlicht hat in einem 
von uns berichteten schön ausgestatteten Werke die mit grossem Fleisse 
gesammelten und sorgfältig präpärirten Foraminiferen von Pietzpuhl ab- 
gebildet ohne dieselben systematisch zu bestiinmen. Der gründlichste Kenner 
der terliären Forminiferen Deutschlands giebt nun in vorliegender Abhand- 
lung die Gattungs- und Artnamen zu den Abbildungen und bietet :ich 
dieselbe damit als ganz unentbehrlicher und zugleich sehätzenswerther 
Theil zu dem v. Schicht’schen Werke. , Einzelne Arten werden specieller 
charakterisirt oder besprochen und die beiden dort als neu eingeführten 
Gattungen Atractolina und Rotholina als nicht genügend begründet wieder 
eingezogen. Mehre Abbildungen stellen monströse Entwickel'ingszustände 
dar und konnten nicht systematisch bestimmt werden. Die Zahl der neuen 
Arten ist eine sehr geringe und unter dieser noch einzelne, welche Verf. 
als fraglich bezeichnet. Nach dieser kritischen Revision stellt sich die 
Anzahl der Foraminiferen bei Pietzpuhl auf 164 Arten mit 20 Varietäten, 
von welchen R. früher schon 78 Arten aufgezählt hat. Ueberhaupt aus 
dem Septarienthon kennt Verf. 227 Arten, so dass nunmehr diese Localität 
die reichste von allen ist, da Offenbach nur 92, Hermsdorf 87, Söllingen 
67 Species ete. geliefert haben. Die Arten vertheilen sich auf folgende 
26 Gattungen: Gaudryina 1, Cornuspira 4, Biloculina 3, Spiroloeulina 2, 
Triloeulina 1, Quinqueloeulina 4, Lagena 20, Fissurina 7, Nodosaria 43, 
Glandulina 6, Psecadium 1. Lingulina 1, Cristellaria 29, Pullenia 2, Buli- 
mina 3, Uvigerina 1, Polymorphina 18, Sphaeroidina 1, Chilostomella 2, 
Bolivina 2, Textilaria 2, Orbulina 1, Truncatulina 4, Pulvinulina 4, Sipho- 
nina 1, Rotalia ?. Wie überhaupt im Septarienthon überwiegen auch hier 


19* 


278 


die Rhabdoideen, Cristellarideen und Polymorphiniden an Zahl der Arten 
und Individuen uud Lagena, Fissurina und Glandulina haben nirgends im 
Septarienthon eine solche Artenfülle wie bei Pietzpull geliefert. Nur 16 
Arten bezeichnet Verf. als neu, konnte aber die Mehrzahl dieser nur 
nach den Abbildungen charakterisiren. Die Gesammtzahl der 244 Arten 
des Septarienthones, glaubt er, wird sich durch fortgesetzte sorgfältige 
Untersuchungen noch beträchtlich vermehren. — (Wiener Sitzungsbe- 
richte 1870. Novbr. Bd. LXII.) 

0. Böttger, über den Mergel vom Gokwe in SAfrika und 
seine Fossilien. — Das Flüsschen Gokwe mündet in den Limpopo 
und wechselt seinen Wasserstand um 15°. Der Thon mit Fossilien an 
demselben bildet ein nur wenig ausgedehntes Lager und wurde sonst in 
SAfrika nicht wieder gefunden, constituirt mit 10° Mächtigkeit die Ufer. Die 
zunächst anstehenden Gesteine sind Granit, Gneiss, Gmelssgranulit und 
Hornblendenfels. Der Gokwe fliesst unter 20% Breite und 28% OL. Das 
Gestein ähnelt graulichweissem kalkigen Löss und ist mil vielen Wuızel- 
fasern durchzogen, braust mit Säuren heftig, zerfällt im Wasser nicht, 
enthält Glimmerschüppchen und Quarzkörner. Das eiuzige eingesendete 
Handstück enthält drei Conchylienarten, einen nicht bestimmbaren Limnaeus 
und Pupa tetrodus und Cionella Gokweana, die Verf. beide beschreibt und 
abbildet. Die Pupa steht isolirt und nähert sich nur der Gruppe der P. 
angustior, die Cionella schliesst sich Acieula zunächst an. Beide ver- 
wandte Formen sind in den deutschen Flussanschwemmungen und dem 
mitteleuropäischen Löss die gemeinsten und dürfte diese Beziehung ein 
besonderes Interesse erwecken. Zugleich unterstützt diese Beobachtung 
die Ansicht, dass der Löss ein Kosmopolitisches Gebilde unabhängig von 
der geologischen Beschaffenheit der Umgebungen ist. — (Offenbacher 
Bericht XI. Tf. I.) 

H. Trautschold, Erhaltungszustände russischer Am- 
moniten. — Waagen vermuthete, dass an den russischen Juraammoniten 
wegen ihrer vorzüglichen Erhaltung noch am ehesten Muskeleindrücke zu 
erkennen sein würden. Darauf hin musterte Tr. seine reichen Vorrälhe, 
fand aber keine Spur solcher Eindrücke. Selbst ein grosser schöner Am- 
monites Tchefkiui mit abgelöstem Theil der Wohnkammerschale liess nichts 
bezügliches erkeunen. Die Karaschower Ammoniten mit irisirender Schale 
pflegen keine oder doch nur eine völlig verdickte Wohnkammer zu haben, 
Auch die Ammoniten von Kaschpur lassen nichts von Eindrücken erkennen. 
Die russischen Ammoniten haben also nur eine bestechende Aussenseite 
und ibr Inneres entspricht nicht dem äussern Glanze. Anders die russi- 
schen Kreideammoniten, von denen A. bicurvatus und A. Deshayesi an 
der Wolga vorzüglich erhalten sind, schöner als irgend andere. Die Wohn- 
kammer ist mit dunklem Kalk, die Lufikammer mit hellgelbem Kslkspath 
erfüllt, Aber auch diese Ammoniten geben keinen Aufschluss über die 
Muskelanheftung, nur ein Exemplar bietet auf der einen Seite der Wolhn- 
kammer einen ganz schwachen Eindruck, dessen Bedeutung also nicht 
sicher ist. Ist doch iu Russland noch nicht ein einziger Ammonit mit 
Ohren gefunden! — (Bullet. Natur. Moscou 1370. no.3. 8. 301—306.) 


279 


K.F, Peters, miocäneDinotheriumreste ausdersüdlichen 
Steiermark. — Das einförmige Hügelland zwischen der Mur- und Raab- 
niederung wird von Congerienschiehten eonstituirt, welche im NO Graz 
vom Rand® des krystallinischen Gebirges beginnen in 2400° Meereshöhe 
und längs der Murlinie am Nulliporenkalk angestaut sind. Sie bedecken 
die sarmatischen Schichten und bestehen aus einer veränderlichen Folge 
von Lehm, Sand und Schotter, im Allgemeinen liegt jedoch der Lehm 
unten, der sehr mächtige Sand darüber und oben der Schotter. Der Lehm 
galt früher für älteres Diluvinm, dem er in der That täuschend ähnlich ist, 
aber ein Zahn von Mastodon longirostris, Kiefer von Aceratherium und 
Zähne des riesigen Dinotherium verweisen ihn entschieden ins Miocän zu 
den Congerienschichten. Im J. 1870 wurde ein Unterkiefer von Dinothe- 
rium gefunden und zwar bei Hausmannsstetten SSO von Graz in einem 
glimmerreichen grauen Sande. An andern Orten wurden einzelne Zähne 
gefunden so bei Ilz östlich von Graz, bei Feldbach, Kapellen, St. Georgen 
an der Stiefing, bei Klöch. Verf. beschreibt nun diese Ueberreste ganz 
speciell. Der untere und hintere Rand des Unterkiefers gleicht vollkommen 
dem Eppelsheimer. Der Kronfortsatz ist mehr nach vorn gestreckt und 
am Vorderrande minder wulstig, die Spitze niedriger und nicht hakig. 
Die Länge beträgt 0,886|, die Höhe vom Alveolarrande des I. Backzahnes 
bis zu der des Stosszahnes 0,400, die Kieferhöhe unter dem vordersten 
Backzahne 0,182, die senkrechte Höhe im Kronfortsatz 0,358. Diese 
Grösse kommt dem Eppelsheimer Dinotherium medium zunächst, mit dem 
auch die Zähne die meiste Aehnlichkeit haben, doch sind die Alveolen 
der Stosszähne länger, weil das Thier älter war. Am 3. Prämolar fehlt 
der innere und hintere Höcker. Die vollständige Backzahnreihe weist auf 
ein reifes Alter des Thieres, die Zähne haben an der Rückseite der Prismen 
abgeriebene Kauflächen. Die Zahnreihe misst 0,345, der I. Backzahn ist 
vollkommen normal, stark abgekaut, der II. ist der abnorme, der III. wieder 
normal, ebenso der IV., der V. stimmt mit demselben in der Beschaffen- 
heit der Prismen überein und auch in dem Parallelismus der Seitenflächen, 
während in andern Exemplaren das vordere Prisma breiter als das hintere 
ist. Die Alveolarrinne zwischen den Stosszähnen stimmt mit dem Kaup- 
schen weiblichen Kiefer nicht ganz überein, indem ihre engste Stelle höher 
liegt. Die Stosszähne selbst gleichen in Form, Krümmung und Drehung 
den Eppelsheimern von mittler Grösse, sind jedoch länger in grader Linie 
0,456, beide von ungleicher Dieke. Beide haben innen und aussen je zwei 
sehr seichte Furchen, die sich nach der Spitze hin in einer Abflachung 
verlieren, während näher der Spitze der Umfang siumpfdreikantig wird. 
— Der Zahn von Ilz entspricht dem linken I. Molar des Kiefers, ein Zahn 
von Edelsbach ist der vorletzte rechte obere des Eppelsheimer D. gigan- 
teum, der Zahn von Kapellen ist der II. linke untere Molar, Die beiden 
letzten untern Mahlzähne entsprechen auf dem ersten Blick D. Cuvieri 
und D. Bavaricum, aber beide werden vermittelt durch den entsprechenden 
Zahn im Hausmannsstettenschen Kiefer, wie Verf. durch specielle Ver- 
gleichung darthut. Dieser Kiefer ist also D. medium d. h. das Weibchen 
des miocänen D. giganteum. — (Grazer Mitthlgen. II. 367—9S. > T/f.) 


280 


Botanik. Wlad.Koeppen, Wärme und Pflanzenwachs- 
thum. — Die erste experimentelle Untersuchung über die Abhängigkeit 
der Keimungsgeschwindigkeit von der Temperatur gab Sachs, der ermittelte, 
dass es für jede Art 3 ausgezeichnete Punkte der Temperaturskala giebt, 
ein Minimum, Optimum und Maximum, unter erstem keine Keimung, über 
dem zweiten Abnahme des Processes, oberhalb des Maximums keine 
Keimung. Verf. suchte diese Resultate zu vervollständigen und den noch 
unbekannten Einfluss der Temperaturschwankung auf dieKeimung zu prüfen. 
Als Versuchsboden dienten 4 Theile Sägespäne und 1 Theil Sand, bei 
Beginn des Versuches mit Wasser gesättigt und die Verdunstung während 
des Versuches auf ein Minimum redueirt. Der Blumentopf wurde in einen 
Blechtopf gestellt und dieser in ein grosses Gefäss, der Zwischenraum 
mit Stroh oder Wasser gefüllt. Die höhere Temperatur wurde dureh 
uutergesetzte Flammen erzielt. Die Thermometerkugel in gleiche Höhe 
mit dem keimenden Samen eingesenkt. Gleich die ersten Versuche stellten 
einen sehr starken verzögernden Einfluss der Temperaturschwankung auf 
die Keimung heraus, und doch sind dieselben in der Natur sehr erheblich, 
und die Unregelmässigkeiten häuften sich mit der Vermehrung der Ver- 
suche. Aueh individuelle Abweichungen stellen sich heraus, die geringsten 
bei der Lupine, andere bei dem Mais und der Erbse. Verf. versuchte 
den Eiufluss der Temperaturschwankungen auf die Wachstliumsgeschwin- 
digkeit der Keimtheile zu ermitteln und theilt die bezüglichen Beobachtungs- 
tabellen über verschiedene Pflanzenarten mit, kann aber keine klare Vor- 
stellung aus denselben gewinnen, fest steht jedoch, dass die Temperatur- 
veränderung einen verzögernden Einfluss auf die Streckung der Keimtheile 
ausübt, vielleicht sind es die plötzlichen Volumveränderungen in den ver- 
schiedenen Theilen des Keimlinges, welche das Wachsthum stören. Er 
theilt mehere bezügliche Versuche ausführlich mit und zieht auch die 
Beobachtungen anderer Physiologen zur Vergleiehung, ohne ein befriedigen- 
des Resultat zu gewinnen. Dann wendet er sich zur Abhängigkeit der 
Keimung von der Höhe der constanten Temperatur des Mediums. Die an- 
gestellten Beobachtungen während 48 Stunden an Lupinus albus, Pisum 
sativum, Vicia faba, Zea mais und Triticum vulgare werden tabellarisch 
mitgetheilt, der Gang der Zahlen ist unregelmässig, beweist aber doch, 
dass nur bis zu einem gewissen Wärmegrade die höhere Temperatur auch 
die für die Keimung günstigere ist und oberhalb dieser Gränze die Kei- 
mungsgeschwindigkeit abnimmt. Er ermittelt das Optimum und Minimum 
für jene Pflanzenarten und geht dann noch auf die Darlegung und Be- 
leuchtung der einzelnen Versuche ein, aus denen wir befriedigende positive 
Resultate nicht berichten können. und also dem Leser, der diese Unter- 
suchungen aufnehmen möchte, auf das Original verweisen müssen, — 
(Bullet. Natur. Urscou 1870. no. 3. 4. p. 71—110.) 

Hildebrand, Verbreitungsmittel derCompositenfrüchte, 
— Dieselben sind der Wind und die Thiere. Das einfachste und häufigste 
Mittel scheint die Federkrone am Achaenium zu sein, doch kommen ausser- 
dem die verschiedensten Einrichtungen zu Hilfe. Die Verbreitung durch 
den Wind wird bewirkt durch die Kleinheit der Achaenien, durch den 


281 


Federklech, die Haare des ganzen Achaeniums, den Flügelpappus mit 
Fallschirm, des Achaeniums mit Flügelrand, den Flügelpappus und zu- 
gleich Haarrand am Grunde des Achaeniums und die bleibende flügelartige 
Blumenkrone, In diesen Fällen befindet sich die Flügeleinrichtung am 
Achaenium selbst, in folgenden sind sie durch die Spreu- oder Hüllkelch- 
blätter hervorgebracht: die Achaenien an ihrem Grunde mit einem flügel- 
artigen Spreublatt verbunden oder mit je einem Hüllkelchblatt verwachsen 
und mit diesem vereint abfallend. Einrichtungen für die Thiere bestehen 
theils in Widerhaken theils in Klebstoffen. Erste kommen vor am Pappus, 
am Rücken der Achaenien, als Rauhigkeit des ganzen Achaeniums, der 
Hüllkelehblätter; Klebrigkeit tritt auf am Ende der Pappusgrannen, an den 
Jnvolucralblättern und den Früchten. — (Rostocker Tageblatt 52.) 

Magnus, über Uredineen. — Die Spermogonien entstehen meist 
unter der Epidermis und sind eine durch das Ostiolum geöffnete kugel- 
runde Höhlung, von deren innerer Fläche die Sterigmen und weiter oben 
die Paraphysen entspringen, an Aeceidium elatinum und leucospermum sind 
jedoch die Verhältnisse andere. Hier liegen die Spermogonien zwischen 
der emporgehobenen Cuticula und der Epidermis und entspringen Sterigmen 
und Paraphysen nur vom Boden und biegen sich die an der äussern Peri- 
pherie stehenden Paraphysen unter fast rechtem Winkel, um in der Mitte 
das Ostiolum zu bilden. Bei Triphagmium ulmariae und bei Phragmium 
sind die die Spermatien abschnürenden Sterigmen gar nicht mehr in einem 
Gehäuse eingeschlossen, die senkrecht gegen die Oberfläche gerichteten 
Sterigmen schnüren unter der emporgehobenen Cuticula die Spermatien 
ab. Dieser Charakter begründet eine natürliche Abtheilung der Uredineen, 
Bei Puceinia Chondrillae ist das Aeeidium durch den Mangel der Peridie 
ausgezeichnet, so dass es dem Foriganus Caeoma gleicht. Fuckel zog 
zu dieser Puceinia das Aecidium auf Taraxicum, das aber den gewöhn- 
lichen Bau hat. Die Uredosporen der P. Chondrillae sind dadurch aus- 
gezeichnet, dass ihr Exosporium sich nach mehren unregelmässig über 
die Sporen verlaufenden Furchen. verflacht. — (Ebda. 97.) 

Russow, Entwieklung der Sporen bei den Leitbündel- 
kryptogamen. — Theilung des Zellkernes bei der Entstehung von Toch- 
terzellen wurde niemals beobachtet. Eigenthümlich sind allen Leitbündel- 
kryptogamen die Stäbchenplatten, welche aus den Zellkernen der Sporen- 
mutterzellen bei bevorstehender Theilung sich bilden und auffallend von 
Chlorzinkjod gelöst werden, auch von Carminlösung ohne sich zu färben. 
Die secundären Zellkerne bilden auch secundäre Stäbehenplalten. In Be- 
zug auf das Verhalten der Specialmntterzellenwände stimmen die Farren 
und Rhizocarpeen überein, insofern die genannte Membran viel Wasser 
aufnehmen und eine dünne Gallerte bilden kann. Bei den Lycopodiaceen 
sehwillt die Specialmutterzellhaut durch Kali und Chlorzinkjod auf, wäh- 
rend bei den Farren die Membran durch diese Mittel schrumpft. — 
(Edda 97.) 

Al. Braun, Verhältniss der Zygomorphie der Blühten 
zur Sympodienbildun g- — Nach Erläuterung der Entstehung der 
Sympodien sprach sich Br. gegen den Ausdruck Monopodium aus, der 


282 


weder im Gegensatz zum Sympodium noch im Gegensatz zu Dichotomia 
treffend und in der Zusammensetzung monopodiales Sympodium verwir- 
rend erscheint. Sympodien werden durch die Aneinanderreiliung der Un- 
terstücke von Blühtenstielen gebildet und stellen in ihrer Verbindung 
scheinbar fortlaufende Achsen dar, an welchen die in einer Verzwei- 
gungsfolge aus einander hervorgehenden Blühten wie in ährenförmigen 
Blühtenständen auf einander zu folgen scheinen. Vier verschiedene For- 
men eymöser Blühtenstände bedingen Sympodien: Die Sichel, der Fächel, 
die Schraube und die Wickel. Diese 4 Verzweigungsformen kommen 
übrigens sämmtlich auch am vegetativen Pflanzenstock vor. Als zy- 
gomorphe Blühten betrachtet Br. nur solche, welche durch einen einzigen 
Schnitt in gleiche Hälften getheilt werden können und eine Verschieden- 
heit nach den beiden Enden dieser Theilungslinie bin sich zeigen. Die 
symmetrische Theilungslinie fällt bei seitlichen Blühten in ährenförmiger 
Anerdnung gewöhnlich mit der Mediane zusammen, doch nicht immer, 
weshalb für die symmetrisch theilende Linie eine besondere Bezeichnung 
nöthig wird. Die Symmetrale weicht nun namentlich in den Sympodien 
erzeugenden Blühtenverkettungen sehr häufig von der Mediane ab, was 
sich aus der gegenseitigen Beziehung der auf einander folgenden Blühten 
und der ganzen Kette zur Hauptachse, aus der sie entspringt, erklären 
lässt. — (Ebda 97.) 

Ad. Weiss, zum Bau und der Natur der Diatomaceen. 
— Nach Rabenhorst’s Bericht in der Dresdener Isis S. 98 sind die Re- 
sultate dieser äusserst exacten Untersuchungen folgende: die Grundlage 
des Diatomeenkörpers ist Cellulose, welche mehr minder dicht mit Kiesel- 
säure infiltrirt den Kieselpanzer darstellt. Die Kieselsäure der Diatomeen- 
frustel polarisirt das Licht ausnahmslos und meist in ausgezeichneter 
Weise. Das Eisen kömmt als unlösliche Oxydverbindung in der Membran 
und dem Inhalt der der Diatomeen vor. Die Diatomeen sind keineswegs 
wie bisher allgemein angenommen, einzellige Organismen. Die Frustel ist 
im Gegentheil zusammengesetzt aus zahllosen minntiösen aber völlig in- 
dividualisirten Zellchen. Die Configuration der Wandlungen dieser zalıl- 
losen Zellchen keineswegs aber Areolenbildung, Rippen, Leisten etc. eines 
einzelligen Pflänzchens ist es, welche die Streifung des Kieselpanzers her- 
vorbringt. Die Grösse dieser Zellchen schwankt von 0,0: 8 bis 0,00025 
Mm. Jedes einzelne dieser kleinen Zellchen ist gewölbt und in der Re- 
gel in seiner Mittelpartie papillenartig verlängert. Die Papillen erschei- 
nen bei schwacher Vergrösserung als Striche, bei starker als Perlschnüre, 
Der verhältnissmässig gigantische Hohlraum zwischen den zwei Frustel- 
schalen ist dem Embryosacke höhrer Pflanzen vergleichbar und beobach- 
tete W. in demselben die Neubildung neuer Individuen. Die Producte die- 
ser Neubildung weisen deutlich auf einen Generationswechsel bei den Dia- 
tomeen hin. 

Zoologie. F.E. Schulze, Conservirung des Üoelente- 
raten. — Die in wenig Wasser zu völliger Entfaltung und Ausdehnung 
aller Fortsätze gelangten Thiere werden so plötzlich mit einem grossen 
Schwall von Osmiumsäure (im Verhältniss von 1:800—1:1000 gelöst) 


[aY] 


55 


übergossen, dass sie in ausgedehntem Zustand erstarren und nicht Zeit 
haben die Arme ete. einzuziehen. Die Lösung darf nur wenige Minuten 
einwirken. Das erhärtete Thier wird mit destillirtem Wasser absespült, 
mit Carmin leicht rosa gefärbt, dann in Spiritus von 52° gebracht. Sch. 
hat verschiedene Quallen und Hydra in dieser Methode schön präparirt 
und dauerhaft erhalten. v. Wittich erzielte ein ähnliches Resultat, als er 
den Medusen die Osmiumsäure mittelst der Pipette in den Mund brachte. 
(Rostocker Tageblatt 53.) 

Chr. Lütken beschreibl Anthipates arctica n. sp. als erste 
Art der Gattung von der Küste Grönlands. Sie bewohnt wie die andern 
Arten sehr bedeutende Tiefen. Ihr Stock theilt sich in Aeste verschiede- 
ner Ördnunngen aber von gleicher Dicke. Der Stock ist glänzend schwarz, 
gegen die Spitze hin bräunlich, hat am Stamme 10—13 Hauptäste alter- 
nirend rechts und links rechtwinklig abgehend, in ihrer ganzen Länge von 
gleicher Dicke und sind mit Stacheln besetzt. Die von ihnen abgehenden 
secundären Aeste sind dünner und schief gerichtet, braun, aber ebenfalls 
stachlie. Das einzige Fxemplar wurde im Bauche eines Sceymnus miero- 
eephalus entdeckt, — (Bullet. Soc. roy. Dan. sc. 1871 p. 6 —S8.) 

Chr.Lütken veröffentlicht einedritte Abhandlung kritischer 
Untersuchungen der Seesterne, welche meist sehr eingehend fol- 
gende Arten behandelt: Luidia brevispina von Mazatlan, Astropecten 
euryacanthus von den Nikobaren, A.javanicus von Java, A. velitaris Mart, 
Ctenodiseus australis Lov von Patagonien, Achaster tenuispinus Düb von 
Grönland, Asterina cabbalistica, Choriaster nov. gen. mit Ch. granulatus 
von Viti Insel, Goniaster equestris (Stellaster equestris und Childreni Mtr) 
G. Incei Gray (Stellaster gracilis Möb), G. tubereulosus Mart., G. Belcheri 
Gray, G. Mülleri Mart (Dorigona Reevesi Gray), G. Dübeni Gray, Oreaster 
australis von Neuholland, 0. Hedemanni, 0. Westermanni von Bengalen, 
0. graeilis von Australien, Linkia nicobarica, Oreaster asperulus von den 
Vitiinseln, O. granifer von Tonga, 0. eribarius ebenda, Scytaster subtilis 
von China, Eehinaster graeilis Mtr, Labidiaster nov. gen. mit L. radiosus, 
Asterias amurensis. — (Vidensk. Meddels. nat. Foren. Kjöbenhavn 
1871. no. 15— 19. 2 Tb.) 

Derselbe, zur Kenntniss der Echinodermer Spitzber- 
gens. — Die v. Heuglinsche Expedition lieferte folgende Arten: Cucu- 
maria frondosa, Thyonidium hyalinum‘, Myiotrochus Rinki, Toxopneustes 
Drobachensis, Erhinus esculentus, Asterias problema (A. albulus Stimps), 
A. stellionura, A. groenlandica, Cribella sanguinolenta, Ophiopholis acu- 
leata, Ophiacantha spinulosa, Ophiocten Kroyeri, Ophioglypha nodosa, O. 
squamosa, dazu kommen nun noch von den hochnordischen Polarlandskü- 
sten Solaster papposus, Pteraster militaris, Ctenodiscus erispatus, Ophio- 
glypha Sarsi, Ophiopus arctieus, Amphiura Sundevalli, Ophioscolex gla- 


eialis, Asterophyton euenemis und Alecto Eschrichti. — (IJbidem 1371 
no 15—19, 9. 305 — 308.) 
W. His, Bau des Eies einiger Salmoniden. — Die Eier in 


der Bauchböhle des Lachses sind gelbröthlich, durchscheinend, 6 Mm. 
Durchmesser, in einer alkalisch reagirenden Flüssigkeit suspendirt, quel- 
Zeitschr. f. d. ges. Naturwiss. Bd. XXX VIII, 1871. 20 


2834 


len im Wasser prall auf und bestehen aus der Eikapsei, dem Keim oder 
Hauptdotter, der Rindenschicht nebst Dotterflüssigkeit und der intrakap- 
sulären Flüssigkeit. Die Eikapsel 33—35 w dick ist glatt, am Dureh- 
schnitt radiär gestreift, die Mikropyle ist eng cylindrisch, ihr Eingang 
flachgrubig,, ihre innere Oefinung mit kurz konischem Vorsprunge. Bei 
der Forelle ist diese Kapsel dicker und die Mikropyle aussen weiter. Die 
Lachsspermatozoen haben einen glatten glockenfürmigen Kopf, fast grös- 
ser als Mikropyle, so dass stets nur ein Spermatozoon eindringen kann. 
Vor dem Austritt der Eier ins Wasser liegt die Mikropyle über dem Keim, 
nach Einwirkung des Wassers bewegt sich die Dotterkugel nebst Keim 
und kann jede Lage einnehmen. Der Keim ist eine der Rindenschicht 
fest anhaftende Protoplasmascheibe von 2 Mm., vor Einwirkung des Was- 
sers sehr durehscheinend, nachher weiss, hat trübe Innensubstanz und 
hyaline Aussenlage eingefasst durch eine Verdichtungsschicht. Nach Ein- 
bruch der letztern ergiesst sich das Protoplasma durch die Oeffnuug und 
zieht sich in lange feine Fäden aus. Die Rindenschicht enthält viel gelb- 
lichrothe Tropfen, zahlreich besonders um den Keim herum. Wird das 
Ei angestochen: so tritt die Rindenschicht in Fetzen hervor; jeder Trop- 
fen ist von einer dünnen Hülle umgeben, welche noch kernarlige Körper 
umschliesst. Später platzt die Hülle, der Tropfen dehnt sich plötzlich 
auf das dreifache aus, kann also trotz aller sonstigen Uebereinstimmung 
kaum für Fett gehalten werden. Jene Kerne in der Hülle der Tropfen 
finden sich auch zahlreich im Rindenprotoplasma zerstreut und bestehen 
aus einer weichen Substanz, in Alkohol und Aether uulöslichen Substanz. 
Die Doiterflüssigkeit ist klar, klebrig, stark lichtbrechend,, wird durch Was-- 
ser ganz trübe und von weichen netzartigen Fäden durchzogen; so lange 
jedoch die Rindenschicht intact ist, bleibt auch die Dotterflüssigkeit Klar. 
Das Forellenei ist kleiner als das Lachsei, die Färbung seiner Rinden- 
tropfen hellgelb, seine Kapsel dicker, aber Keim, Rindenschicht und Dot- 
terflüssigket wesentlich dieselbe. Die Aescheneier messen 4,2 Mm. haben 
eine dünne Kapsel, einen citrongelben oder oraugenen Keim und eine sehr 
ausgeprägte Rotation der Dotierkugel, welehen Contractionen der Dotter- 
vinde parallel gehen. Solche Rotationen sind auch am Hecht- und am 
Forellenei beobachtei, aber nicht am Lachsei. -— (Baseler Verhdigen V. 
457—461.) 

Eimer, über das Ei der Reptilien. — Verf. untersuchte das 
Ei von Schildkröten, der Eidechse und Natter. In den jüngsten Eierstocks- 
eiern der Natter liegen im Centrum des feinkörnigen Protoplasmas, das 
den Inhalt des Keimbläschens bildet, mehre Keimflecke, weiche Bläschen 
darstellen, in denen je ein Keimpunkt liegt und in diesem wieder zahl- 
reiche Körnchen oder Keimpünktehen. Um diese Bläschen herum trifft 
man sehr zahlreiche kleine Keimflecke mit zahllosen Uebergängen zu Körn- 
chen, deren feinste keinen Unterschied mehr von den Körnchen des Pro- 
toplasmas des Keimbläschens zeigen. Bei der Schildkröte liegen umge- 
kehrt die grössten Keimbläschen peripherisch, die kleinsten bilden oft eine 
scharf umgränzte centrale Markschicht im Gegensatz zu einer hellen Rin- 
denschicht., Die Keimflecke sind also offenbar ein Niederschlag aus dem 


255 


Protoplasma des Keimbläschens. Die Membran dieses ist im Natterei eine 
Zeit lang ungemein verdickt und zeigt dann eine radiäre Streifung, wohl 
der Ausdruck der Poren. Der Dotter entwickelt sich 1. durch direete Um- 
wandlung des ursprünglichen Eiprotoplasmas. In diesem treten zuersi 
glänzende Körnchen auf, die grösser und grösser werden, um sie herum 
ein heller Hof, eine Lücke. In ältern Eierstockseiern findet man ein Netz 
feiner Fäden, in dessen Maschen ausgebildete Dotterplättchen liegen, de- 
ren Eltern jene Körnchen, die also auf Kosten des Protoplasmas entstan- 
den sind. Auch das Netz wird später vom Dotter aufgezehrt. Die Um- 
wandlung des Protoplasmas im Dotter beginnt central und schreitet nach der 
Peripherie zu fort. Der von dieser Umwandlung noch nicht ergriffene pe- 
ripherische Theil des Protoplasmas ist die Rindenschicht (Zonoidsehicht, 
Randschicht), die also nicht vom Granulosaepithel abgeschieden wird, 
Während sich jenes Maschennetz von Protoplasmafäden bildet, entsteht 
im peripherischen Theil eine auf Durchschnitten des Eies als Ring er- 
scheinende Gewebsbildung ganz ähnlich dem Bindegewebe. Mit ihren 
Elementen und mit dem Maschennetz stehen die Epithelzellen der Granu- 
losa dureh ungemein feine Ausläufer in Verbindung, welche der Zonoid- 
schieht ein sehr schön radiär gestreiftes Aussehn geben. Auch die innere 
Rinde schwindet schliesslich. 2. Treten im Eiinhalt zur Zeit, wo sich Dot- 
ter durch Differenzirung aus dem Eiprotoplasma gebildet hat, zunächst 
um das Keimbläschen herum grosse weisse regelmässige Körper (Dotter- 
schorfe) auf, die sich vom Centrum nach der Peripherie verbreiten, in 
grossen Eiern schon in der inneren Rinde, dann in der Rindenschicht, in 
‘der Zona, endlich in der Granulosa und jenseits derselben gefunden wer- 
den. Dabei zerbröckeln sie sich und ihre Theile mischen sich mit dem 
aus dem Protoplasma enistandenen Dotterelementen. Die Zoua pellucida 
wird in ihrer Hauptmasse ebenfalls jnicht vom Epithel abgeschieden, sie 
tritt aus zwei feinen Häutchen bestehend auf mit einem Zwischenraume 
zwischen sich. Das äussere Häutchen wird von der Basis der aufliegen- 
den Epithelzellen abgeschieden, bleibt aber in der ersten Dicke zeitlebens 
bestehen. Das innere Häutchen entsteht aus dem Protoplasma der Rin- 
denschicht. Schon früh findet man Auflagerungei dieses Protoplasmas 
auf seiner äussern Seite, die bald die Form feiner Stäbehen annehmen, 
Diese Stäbchen werden länger und der Zwischenraum zwischen beiden 
Häutchen grösser. Später füllen sich die Räume zwischen dem untern 
Theile der Stäbchen durch weitere Subsianzausscheidung aus, so dass 
nur Poren übrig bleiben, von welchen dann die Zona ganz durchzogen 
ist. Nur die obern Enden der Stäbchen bleiben stets frei, zwischen ihnen 
beginnen die Poren. Durch ungleichmässiges Wachsthum der Stäbchen 
entstehen durch Leisten getrennte Buchten, welche in der Flächenansicht 
der Zona als schön sechsseilige Felder sich darstellen. Diese überbrückt 
jetzt noeh das feine von der Granulosa abgeschiedene Häutchen aber so, 
dass es über jeder Bucht ein feines Loch hat, ‘durcli welches man häufig 
Dotter nach aussen treten sieht. Das Eiepithel besteht schon früh aus 
zahlreichen Lagen von Zellen, wächst in der Breite durch Vergrösserung 
der Zellen der mittlen Lage, welche dadurch, dass ihr Kern nach oben 


286 


austritt, zu hohlen Trichtern werden. Der Kern platzt, wenn er in der 
Mündung der Epithelzellen angekommen ist, wirft sein Kernkörperchen aus 
oder lässt es im Grunde eines Körpers liegen, der nun als Deckel auf der 
Basis der entleerten Zellen aufsitzt und nichts anderes ist als die inva- 
sinirte Membran des geplatzten Kernes oder der untere zerrissene Theil 
von dieser. Später schwindet die Granulosa. Ihr Wachsen und Schwin- 
den steht in keinerlei Beziehung zum Wachsen der Zona. An den Ker- 
nen der Granulosazellen des Nattereies erkennt man besonders schön je- 
nen eigenthümlichen Bau, den Verf. zuerst aus der Haut der Maulwurfs- 
schnauze beschrieben und den er jetzt als einen allen Zellenkernen zu- 
kommenden erkannt hat. Die Schale des gelegten Eis besteht aus Fäden 
von ungleicher Dicke, von denen besonders die peripherischen zahlreich 
zu eigenthümlichen Kolben angeschwollen sind. Die Fäden liegen in zahl- 
reichen Schichten übereinander, sind elastische Substanz und entstehen 
dadurch, dass sich die zu der vorhin beschriebenen Form entwickelte Dot- 
terhaut in sie auflöst. Da die Dotterhaut aus dem Dotter entsteht, so wird 
also hier elastische Substanz unmittelbar aus Dotter gebildet und da das 
ganze Ei von innen heraus wächst, da sogar die Schale aus Dotter her- 
vorgeht, so ist das ganze Reptilienei sammt der Schale mit Aus- 
nahme des wenigen vom Eileiter gelieferten Kalkes eine Zelle. — (Ro- 
stocker Tayeblatt 55 — 57.) 

de Chaudoir giebt eineMonographie der Lebiidae, in der 
er folgende Gattungen mit ihren Arten charakterisirt und beschreibt: Ca- 
maroptera, Orthobasis, Dietya, Rhopalostyla, Lionedya, Lamprias, Loxo- 
peza, Liopeza, Nematopeza, Grammica, Promecochila, Metabola, Lebia. 
Der letzten sind noch die meisten Arten belassen uud jenen neuen meist 
nur wenige zuertheilt worden. Doch ist die Arbeit noch nicht abgeschlos- 
sen und ihre Fortsetzung in die nächste Aussicht gestellt. — (Bullet. 
Natur. Moscou 1870. no. 3. 4. p. 111— 255.) 

W. Peters, Liehanotus mitratus neuer Indri aus Mada- 
gaskar. — Diese im Norden der Insel entdeckte Art steht dem bekann- 
ten L. indri oder brevicaudatus zunächst, unterscheidet sich jedoch durch 
Färbung, Gebiss und Schädel. Sie ist braunschwarz, der Scheitel weiss, 
mit schwarzer Binde zwischen den Ohren; Unterbauch und Weichen grau, 
Steiss mit grossem weissen Fleck, Aussenseite der Schenkel grau, Fuss- 
wurzel weiss. Die Kronen der obern Schneidezähne sind gleich lang, der 
obre Eekzahn ohne vordern Absatz, der erste Lückzahn grösser, der Or- 
bitalring schmäler, die Schläfengrube kürzer und breiter als beim Indri 
etc. — (Berliner Monatsberichte Juli Ss. 60-62.) 


Gebauer- Schwetschke’sche Buchdruckerei in Halle. 


Ueber die Sebacin- Weinsäure (Dioxysebaeinsäure) 
eine Homologe der Weinsäure 


von 


Ludwig Salle. 


Seitdem es Kekul& und gleichzeitig Perkin und Duppa 
gelungen ist, aus Bernsteinsäure durch indirecte Oxydation die 
Weinsäure wie auch Aepfelsäure darzustellen, haben die Säu- 
ren der Oxalsäure-Reihe, die Homologen der Berusteinsäure, 
deren allgemeine Formel durch EnH,n- 20, ausgedrückt wird, 
ein erhöhtes Interesse gewonnen. 

Iım Vorliegenden habe ich versucht, das Endglied dieser 
Reihe, die Sebaeinsäure S,9HısC„ durch ähnliche Reactionen 
erst in ein intermediäres Substitutionsprodukt und schliesslich 
in ein Homologes der Weinsäure zu verwandeln; wodurch die 
Stellung der Sebacinsäure in der Oxalsäurereihe wiederum et- 
was fester, und ein offener Platz im System der zahlreichen 
organischen Verbindungen ausgefüllt wird. Die Sebacin-Wein- 


(ORPA = Frte ? ; 
10 m ©, wird aus der Sebacinsäure oder Fettsäure 
4 


SH 169 © 

et ae 
recte Oxydation erhalten, auf dieselbe Weise, wie aus Bern- 
steinsäure durch Bromsubstitution und Beliandeln mit Silber- 
oxyd die Weinsäure erhalten wird. 

SjoHis$a + Br; = SrolisBr2©4 + 2HBr. 
Sebaecinsäure Dibromsebaeinsäure 
SjoHısBr94 + Ag2H, 9, = Sollis9e + 2AgBr 

Dibromsebac. S. Sebaein - Weins. 

Die Sebacinsäure oder Fettsäure, auch Brenzölsäure ge- 
nannt, ist zweibasisch. Sie hat die oben genannte Formel, 
welche von Dumas nnd Peligot aufgestellt ist, nachdem The- 

Zeitschr. f. d. ges. Naturwiss. Bd. XXXVIII, 1871. PAIN 


säure 


einer zweiatomigen Dicarbonsäure durch indi- 


288 


nard die Säure bei der Destillation von Oelsäurehaltigen Fet- 
ten gefunden hatte, er nannte sie acide sebacique. 

Das Aequivalent derselben ist aus dem Silbersalz herge- 
leitet, welches durch Fällung von neutralem fettsauren Aın- 
mon erhalten war.!) 

Bedtenbacher ist es nicht gelungen, ein saures Salz der 
Sebacinsäure darzustellen, er hielt deshalb die Säure für 
einbasisch. 

Er wie auch Andere stellten die Säure aus dem Destil- 
late der Fette durch mehrmaliges Umkrystallisiren und Reini- 
gen mit Thierkohle dar. Will man diese Säure jedoch in 
grösseren Mengen erhalten, so ist die Methode von Bouis vor- 
zuziehen. Er sagt?): „Wenn man Rieinusöl und concentrirte Kali- 
lauge in einer Retorte schnell über 230 Grad erhitzt, so destillirt 
bei der Zersetzung der entstandenen Seife Caprylalkohol: 

C1sH349; +2KOH = SoNjoN294 + EgH,sO + 2H. 

Rieinölsäure Fettsaures Kali Caprylalkohol. 

Erhitzt man hingegen langsam und nicht bis 230 Grad: so ent- 
steht auch Caprylaldehyd; und in dem Maasse, als solcher 
entsteht, findet sich weniger Fettsäure im Rückstand; anstatt 
welcher eine andere Säure vorhanden ist.“ Diese Destillations- 
produkte sind von mehreren namhaften Chemikern untersucht, 
welche sehr verschiedene Resultate erhalten haben. Ausser 
Bouis haben Städeler, Dachauer, Petersen, Limpricht u. A. 
das Destillat analysirt; und sind ausser den beiden Caprylver- 
bindungen sowohl Oenanthylalkohol als Methylönanthol darin 
gefunden worden. Gerhardt erwähnt eine der Sebacinsäure 
isomere Säure, die Ipomsäure, welche von W. Mayer in Mün- 
chen beschrieben ist. Der Schmelzpunkt dieser Säure liegt 
bei 104 Grad, sie ist also deutlich von der Sebaeinsäure un- 
terschieden, welche bei 129 Grad schmilzt. Die Sebacinsäure 
ist nach verschiedenen Richtungen untersucht worden. Riche 
hat den Kohlenwasserstoff €;H,, durch Destillation von Se- 
bacinsäure und Baryt erhalten?). Von Carlet sind Chlor-Sub- 
stitutionsversuche im Sonnenlicht mit derselben angestellt. 


1) Annal. d. Chem. u. Pharm. 14. Bd. 73. Origin. Ablı. Ann. d. Chem. 
u. Phys. 57, 305. 

2) Compt. rend. 33. 14. 

®) Ann, Chem. Pharm. 115, 111. 


289 


Die Sebacinsäure zu meinen Versuchen habe ich nach der 
oben genannten Vorschrift von Bouis dargestellt. 40 Gramm 
Kalihydrat, welches ungefähr 70 Procent Kali enthielt, 10 Gramm 
Wasser und 65 Gramm Rieinusöl wurden in einer nur %/, da- 
von angefüllten Retorle erhitzt. Die zerschlagenen Kalistän- 
gelchen wurden vorsichtig in die schräg gehaltene Retorte 
durch den Tubulus geschoben, darauf das Wasser und schliess- 
lich das Oel hinzugegossen. Die Vorlage muss gut gekühlt 
werden, wenn man die flüchtigen Produkte gewinnen will, 
weil die Erhitzung schnell geschehen soll. Das Kali schmilzt 
bald in dem Wasser; es bildet sich dann eine gelbliche, ziem- 
lich feste Seife. Bei zunehmender Temperatur wird diese zer- 
setzt, die Masse schäumt stark, es ist deshalb besonders im 
Anfang der Zersetzung grössere Vorsicht nöthig, um das Ueber- 
steigen zu verhüten. Wenn die Masse wiederholt niedersinkt 
und fester wird, ist die Operation beendet, die Entwicktung 
von Gasen hört auf, und die condensirbaren Dämpfe sind fast 
gänzlich in der Vorlage gesammelt. Bei den ersten Darstel- 
lungen hatte ich ein Thermometer im Kork des Tubulus be- 
festigt, um mich ungefähr nach der vorgeschriebenen Tem- 
peratur zu richten; da dieselbe (2300) aber kaum erreicht 
wurde und man an den äusseren Erscheinungen der schmel- 
zenden Masse sehr gut den Gang der Zersetzung verfolgen 
kann, habe ich ‘es nachher ganz fortgelassen; auch ist mit 
Ausnahme der ersten Darstellungen jedesmal das doppelte 
Quantum oben genannter Ingredienzien in einer verhältniss- 
mässig grösseren Retorte erhitzt worden. Die beste Ausbeute 
wurde dann gewonnen, wenn das Erhitzen fortgesetzt wurde, 
bis ein kleiner Theil der untersten Schicht verbrennt, denn 
dann erst werden die letzten Theile der oberen Schichten so 
heiss, dass sie Zersetzung erleiden und aus der gelben Farbe 
in eine braune übergehen. Die Theile von gelber Farbe ge- 
ben nämlich gelöst und mit Salzsäure versetzt, keinen gela- 
tinösen Niederschlag, wie er bei Anwesenheit grösserer Men- 
gen von Sebacinsäure entsteht, sondern eine dünne ölige Ab- 
scheidung; sie sind also jedenfalls noch zum grössten Theil 
unzersetzte Seife. Wenn die Retorte mit der Masse noch 
warm ist, wird warmes Wasser hineingegossen, in welchen 
sich die Substanz ziemlich schnell löst. Die Lösungen von 

2%: 


290 


mehreren Portionen zusammengegossen, liess ich absetzen; 
die abgegossene, klare braune Flüssigkeit wurde verdünnt 
zum ca. sechsfachen Gewicht des angewandten Oeles, dieselbe 
reagirte stark alkalisch. Durch fraktionirte Fällung mit Salz- 
säure gelingt es, zuerst eine gelbbraune, ölige Säure, viel- 
leicht auch ein Gemenge mit etwas Sebacinsäure abzuschei- 
den. Diese ölige Masse geht durch Umrühren zusammen an 
die Oberfläche. Die unterstehende Flüssigkeit, welche in dün- 
nen Schichten ziemlich klar aussieht und eine gelbliche Farbe 
besitzt, wird durch einen Heber abgezogen, mit Wasser zum 
ca. vierfachen Gewichte verdünnt und dann mit Salzsäure im 
Ueberschuss verseizt, wodurch die ganze Flüssigkeit von 
einem weissen, gelatinösen Niederschlage angefüllt wird. Der 
Niederschlag setzt sieh nicht ab; die ganze Masse muss durch 
Filtriren getrennt werden. Da das Auswaschen ebenfalls we- 
gen der gelatinösen Beschaffenheit nicht anwendbar ist, so 
wird die Säure durch Auflösen in heissem Wasser, Filtriren 
der noch heissen Lösung und Umkrystallisiren gereinigt. Beim 
Auflösen und Filtriren der ersten Krystallisationen bleibt etwas 
gelbe ölige Säure auf dem Filter zurück, während ein ande- 
rer Theil derselben neben Salzsäure und Chlorkalium in Lö- 
sung geht. Die aus dieser Lösung beim Erkalten ausgeschie- 
dene krystallinische Säure lässt sich sehr gut mit kaltem Was- 
ser auswaschen, wodurch wohl Salzsäure und Chlorkalium nicht 
aber die beigemengte ölige Säure entfernt werden. Die voll- 
ständige Trennung dieser beiden Säuren ist umständlich. Man 
kann beide in Kalilauge lösen und wieder durch fraktionirte 
Fällung die ölige zuerst abscheiden; oder man kann, da die 
ölige Säure schwerer löslich ist als die Sebacinsäure, aus 
einer concentrirten, heissen, wässrigen Lösung durch geringes 
Abkühlen die ölige zuerst abscheiden und die noch heisse Lö- 
sung der Sebacinsäure von der gut abgesetzten Säure abgies- 
sen. Beim Trocknen der in der Kälte auskrystallisirten, auf 
einem Filter gesammelten Sebacinsäure in einer Porcellanschale 
auf dem Wasserbade zieht sich am Rande der blendend weis- 
sen Sebacinsäure eine schmale gelbliche Schicht derselben 
bin, die mit den letzten Theilen der öligen Säure verunrei- 
nigt ist. Diese Schicht wird sehr leicht entfernt und mit un- 


reiner Säure zusammen mehrere Male umkrystallisirt. Die auf 


291 


beschriebene Weise erhaltene Sebaeinsäure hat ganz die Eigen- 
schaften, welche ihr in Kekule’s Lehrbuch beigelegt werden. 
Sie bildet weisse Blättchen oder Nadeln von Perlmutterglanz, sie 
schmilzt bei 1280 bis 1290. Kekule giebt an 1270. Die Verschie- 
denheit der Thermometer wird wohl diese Differenz bedingen. 
Die Schmelzpunkts- Bestimmungen wurden im Schwefelsäure- 
bade vorgenommen, in welches die mit Sebacinsäure ange- 
füllten Capillarröhrchen eingetaucht waren. Die Sebacinsäure 
sublimirt bei vorsichtigem Erhitzen unzersetzt. Die geschmol- 
zene Säure erstarrt krystallinisch, das specifische Gewicht der- 
selben ist —= 1,12, es ist gefunden durch Schwimmen der 
Säure in einer Chlorcaleiumlösung von derselben Dichtigkeit. 
Gerhardt giebt das specifische Gewicht der geschmolzenen Se- 
bacinsäure zu 1,13 an. Die Sebacinsäure ist in Alkohol und 
Aether sehr leicht löslich, nach meinen Versuchen löst sich 
ein Theil der Säure in ca. 7Y/, Theilen, genauer 7,6 Theilen 
kalten Alkohols von 95 Procent, in S0procenligen ist sie fast 
ebenso leicht löslich. In heissem, kochenden Wasser ist sie 
ziemlich leicht löslich, nämlich in dem dreissigfachen, rich- 
tiger 31!/,fachen ihres Gewichts; während 950 Theile kalten 
Wassers zur Lösung derselben erforderlich sind. Die Ausbeute 
an Sebacinsäure betrug im Mittel aus mehreren Versuchen 
15 bis 16°), des angewandten Ricinusöls. 

. Um auch durch die Elementaranalyse diese Säure als Se- 
hacinsäure zu erkeunen, wurde sie mit Kupferoxyd verbrannt 
und zwar im Luft- und Sauerstoff-Strom. Folgende Zahlen sind 
auf diese Weise erhalten worden: 1) 0,2543 Gramm der Säure 
gaben: 0,5620 Gramm Kohlensäure entsprechend 0,15327 Gramm 
Kohlenstoff, ferner 0,2055 Gramm Wasser, entsprechend 0,02283 
Gramm Wasserstoff. 

2) 0,2360 Gramm der Säure gaben 0,5165 Gramm Koh- 
lensäure, entsprechend 0,14086 Gramm Kohlenstoff, ferner: 
0,1863 Gramm Wasser, entsprechend 0,0207 Gramm Wasserstoff. 


berechnet: . gefunden: 

1. I 

So = 120 59.40 60.27 59.68 
Ins Sleerzergı SS 
9 = 64 31.68 = — 


202. 99.99. 


292 


Die Zusammensetzung des Bariumsalzes dieser Säure entsprach 
{ © 9 
der Formel des neutralen fettsauren Bariums un fe) 
2 
1,0917 Gramm des bei 100 Grad getrockneten Salzes gaben: 
0,7545 Gramm schwefelsauren Baryt, entsprechend 0,44387 
Gramm Barium. 


2 


Berechnet gefunden 
€ zodıs94 = 2W.59,31 — 
Ba, = 137,2.40,68 40.65 
337,2.99,99. 


Dieses Salz ist sehr schwer in kaltem Wasser löslich, in Ko- 
chendem etwas leichter. Es ist erhalten worden in weissen 
blättrigen Stücken, welche durch diclites Anlagern an die Ab- 
dampfschale gebildet sind. Es wurde dargestellt durch Fällen 
von fettsaurem Alkali mit Chlorbarium. Nach dem Auswaschen 
des Niederschlags und Auflösen desselben in kochendem Was- 
ser wurde es noch heiss filtrirt und durch Eindampfen des 
Filtrats bis auf einen kleinen Rest der fettsaure Baryt abge- 
schieden. Es gelingt nicht, ein saures Salz der Sebacinsäure 
auf die Weise darzustellen, dass man zwei gleiche Quantitäten 
der Säure abwägt, und nachdem der eine. Theil mit einem 
Alkali neutralisirt ist, das zweite Quantum hinzufügt, da das- 
selbe sich in dem neutralen Salze nicht löst, oder doch nur 
zum allerkleinsten Theil. Redtenbacher fand dasselbe Verhalten 
dieser Säure. Es siud überhaupt von dieser wie auch von 
der ihr homologen Korksäure keine sauren Salze bekannt. 

Nach Arppe’s Untersuchungen über Säuren der Oxalsäure- 
reihet) sollen einige von diesen keine reinen Säuren, Keine 
sogenannten chemischen Individuen sein, sondern Gemenge ver- 
schiedener Säuren; so z. B. Pimelin-, Adipin - und Lipin - Säure. 
Die von Wirz entdeckte Lepargylsäure, ebenfalls eine homo- 
loge der Vorigen, wird von Arppe auch als ein Gemenge 
mehrerer Säuren angesehen, was schon daraus abzunehmen, 
dass dieselbe bei 115° bis 1240 schmilzt. Von der Sebacin- 
säure führt Arppe hinsichtlich ihrer Individuität Nichts an; 
verschiedene Oxydationsprodukte, mit Salpetersäure aus der- 
selben erhalten, z. B. die Oxypyrolsäure, werden von ihm 


1) Annal. Chem. Pharm. 115, 143. 


/ 


293 


beschrieben, hieraus aber nicht geschlossen, dass deshalb 
die Sebacinsäure ein Gemisch sei. Es lassen auch die Ueber- 
einstimmungen der Schmelzpunkte, die ich bei verschiedenen 
Portionen der durch fraktionirte Fällung getheilten Sebacin- 
säure gefunden habe, wie die übrigen Eigenschaften derselben, 
wohl keinen Zweifel an der Existenz dieser Säure. 


Die völlig reine Sebacinsäure wurde mit Brom in zuge- 
schmolzenen Glasröhren erhitzt, und zwar im Verhältniss von 
1 Molecül Säure: 2 Mol. Brom, um möglicherweise eine Di- 
brom- Verbindung zu erhalten neben Bromwasserstofl. Die 
Bromirung geht ohne Gegenwart von Wasser vor sich; und 
da nach vielfachen Versuchen die Anwesenheit von Wasser 
eine Oxydation der Substanz bewirkt, so habe ich die letztere 
„Methode gar nicht versucht, welche indess bei Bromirung der 
Bernsteinsäure, nach Kekul& ausnahmsweise viel zweckınässiger 
ist. Bei einer Temperatur von 100 Grad, im Wasserbade, 
dauert die Einwirkung ungefähr 24 Stunden; schneller, und 
ohne ein Zerspringen der Röhre befürchten zu müssen, geht 
die Bromirung bei 1150 bis 1200, in 3 bis A Stunden vor 
sich. Bei höherer Temperatur, 1300 bis 1400, zerplatzten 
ein paar Röhren. Das Erhitzen geschah in einem Luftbad 
nach Erlenmeyers Construction. Die fünf eingesetzten eisernen 
Röhren hatten nicht gleiche Teınperatur, die unteren etwas 
höhere als die oberen; die mittlere von den unteren, die 
sich in senkrechter Richtung über der Gaslampe befand, hatte 
sogar eine um 10 Grad höhere Temperatur als die beiden 
oberen. Wenn der über dem flüssigen Bromprodukt befind- 
liche Raum der Glasröhren vom Bromdämpfen frei geworden 
war, wurden die Röhren herausgenommen; der flüssige Inhalt 
war klar und von etwas überschüssigem Brom tief braun ge- 
färbt; welche Farbe aber beim Erstarren sehr verblasste, eine 
leicht erklärbare Erscheinung. 


Nachdem die Röhren abgekühlt waren, wurde eine Spitze 
derselben erhitzt. Die Röhren waren eingeklemmt und mit 
einem Tuche umwickelt, damit bei einer Explosion, wie sie 
einmal vorkam, man ohne Gefahr in der Nähe bleiben konnte. 
Sobald die erhitzte Spitze erweicht war, trieb die compri- 
mirte Bromwasserstoffsäure dieselbe auseinander und entströmte 


294 


mit dem noch weichen, schaumig werdenden Inhalt in eine 
untergestellte Porcellanschale. 

Eine Säure mit mehr als zwei Atomen Brom wird auf 
diese Weise nicht gebildet, indem das überschüssig zugesetzte 
Brom unverbunden bleibt. Ueberschüssiges Brom und beige- 
mengte Bromwasserstoffsäure liessen sich durch Erhitzen im 
Wasserbade fast vollständig entfernen von der bromirten Säure. 

Dieses von Brom und Bromwasserstoff befreite Bromsub- 
stitutionsprodukt der Sebacinsäure ist nach dem Erkalten pfla- 
sterhart, löst sich in Alkohol und Aether sehr leicht; in Was- 
ser ist es sehr schwer löslich. Es scheidet sich aus einer 
heiss gesättigten wässrigen Lösung beim Erkalten in Form 
ölartiger Tropfen aus. „Wenn man dies Bromsubstitutionspro- 
dukt, welches sich (siehe unten) als unreine Dibromsebaein- 
säure erwies, mit Aether zu einem Brei anreibt und den 
gelblich gefärbten, flüssigeren Antheil zwischen Fliesspapier 
abpresst, so bleibt fast reine weisse Dibromsebacinsäure zu- 
rück, deren Schmelzpunkt bei 107 Grad liegt. In dünnen 
Schichten geschmolzen, krystallisirt dieselbe in strahligen Stern- 
chen, die deutlich von einander getrennt sind; aber eine be- 
stimmte Krystallform nicht erkennen lassen.. Diese Säure ist 
zufolge der Elementaranalyse reine Dibromsebacinsäure: 


6 .H..©, &.f 1 
Ta lin 1014B72©, ©, + 2HBr. 
H,1 ° H, 
Sebaeinsäure Dibromsebacinsäure. 


1) 0,1746 Gramm der geschmolzenen Säure gaben mit 
Kupfer- und Blei-Oxyd verbrannt: 0,073 Gramm Wasser, 
entsprechend 0,00811 Gramm Wasserstoff, ferner: 0,2142 
Gramm Kohlensäure, entsprechend 0,0584 Kohlenstoff. 

2) 0,1370 Gramm der Säure gaben: 0,1670 Gramm Koh- 
lensäure und 0,058 Gramm Wasser. 

3) 0,1665 Gramm derselben lieferten 0,1745 Gramm Brom- 


silber. . 
berechnet: gefunden 


Rn, I 8 
So = 120 3333 33.45 33.24 — 
Be — 6 au mo aa, = 
Br, = 160 44.44 ee BE Dana 
S%, = 64 11m ge Arshu 


se 


295 


Die gelbliche, mit Aether entfernte Säure, welche vielleicht 
nur einige Procente Nichtdibromsebacinsäure neben obiger 
Säure enthielt, hatte einen etwas höheren Bromgehalt. Auch 
einige Salze dieser Säure, die ich darstellte und analysirte, 
hatten die Zusammensetzung, welche von einer zweibasischen 
Dibromsebaeinsäure gefordert wird. Die Säure wie auch ihre 
Salze zersetzen sich beim Erhitzen ihrer wässrigen Lösungen. 
Die Alkalisalze sind sehr leicht in Wasser wie Alkohol lös- 
lich; die übrigen schwer- oder unlöslich. \ 


Neutrales dibromsebacinsaures Natron 
So j4Br,9, B 
Nam = 
wurde bereitet durch Neutralisation der Säure mit kohlensau- 
rein Natron und Austrocknen im Exsiccator. Eine einigermas- 
sen deutliche Krystallisation wurde nicht wahrgenommen. Der 
Natron- respective Natriumgehalt wurde bestimmt aus dem 
schwefelsauren Natron, welches zurückbleibt, wenn eine bei 
100 Grad getrocknete Quantität des Salzes im Platintiegel mit 
concentrirter Schwefelsäure erhitzt wird, bis der Rückstand 
weiss ist und keine freie Schwefelsäure mehr enthält. 0,2530 
Gramm des trocknen dibromsebaeinsauren Natrons gaben: 0,0915 
schwefelsaures Natron entsprechend 0,0296 Gramm Natrium. 


berechnet: gefunden 
EoHuBn9, = 3585 8861 — 


Na, = 46 11,38 11,70 
A04.,,99,00, 
Neutraler dibromsebacinsaurer Baryt. 
S 
10 1s2Br,0, = 
Br, 


Derselbe kann erhalten werden durch Fällen von einem neu- 
tralen, löslichen Dibromsebaecinsäure -Salz mit essigsaurem Ba- 
rtyum; der entstehende Niederschlag ist nicht bedeutend, das 
Salz ist nicht schwerlöslich in Wasser, wohl aber in Alkohol, 
durch welchen es also ausgefällt werden kann. Will man das 
Auswaschen umgehen, so kann man die in ziemlich verdünn- 
tem Alkohol gelöste Dibromsebacinsäure direct mit Barythy- 
drat neutralisiren und durch Zusatz von Alkohol das entstan- 
dene Salz abscheiden. Der weissliche Niederschlag nahm beim 


296 


Trocknen eine gelblichgraue Farbe au. Die Analyse gab fol. 
gendes Resultat: 

0,1410 Gramm des getrockneten Salzes gaben 0,0830 
Gramm schwefelsauren Baryt. 

berechnet: gefunden: 
SoHaBtr,0, 1358 65,28 -- 
Ba, )137,2 34,71 34,60 
495,2 99,99. 
Neutrales dibromsebacinsaures Kupfer. 
€ 041,81, 
1014 2 ho, 
Es ist erhalten worden durch Fällung des neutralen Ammon- 
salzes derselben Säure mit schwefelsaureım Kupferoxyd. Der 
erhaltene Niederschlag gab mit Alkohol behandelt eine dun- 
kelgrüne, harzartig glänzende, zähe Masse, die getrocknet 
ein schön dunkelgrünes Pulver liefert. 

Ohne Anwendung von Alkohol ist der ausgewaschene und 
getrocknete Niederschlag ein lockeres Pulver und nicht so 
dunkel wie voriges. Von Schwefelsäure und Ammon, den bei- 
den Verbindungen, welche bei der Bildung des Salzes bethei- 
ligt waren, ist dasselbe völlig frei. 

1) 0,1500 Gramm des trocknen Salzes gaben: 0,0273 
Halbschwefelkupfer, entsprechend 0,0217 Kupfer. 

2) 0,1660 Gramm, mit concentrirter Schwefelsäure erhitzt, 
hinterliessen 0,0635 schwefelsaures Kupfer. 

berechnet: gefunden: 
r 11. 
S,0H14B1204 358 85.03 
Cu, . 63,4,.0.14.96 014,46. 1515,15 
421,4 99.99 
Neutrales dibromsebacinsaures Blei. 
SjoH14Br29, 
Pb, 
Dieses Salz ist durch Fällung von dibromsebacinsaurem Am- 
mon mit essigsaurem Blei erhalten. Der weisse Niederschlag, 
nachdem er ausgewaschen und bei 100 Grad getrocknet ist, 
bis sein Gewicht constant bleibt, giebt folgendes analytisches 
Resultat: 0,2238 Gramm der Substanz gaben mit Schwefel- 
säure erhitzt, bis alle organische Substanz zerstört und auch 


9 


297 


das Brom entfernt war: 0,1205 Gramm schwefelsaures 
Blei. 


berechnet: gefunden: 

SuHluBr94 = 358 63.30 — 

Pb, 207 36.69 36.78 
565 99.99. 


Ein Silbersalz dieser Säure dazustellen, ist mir nicht ge- 
lungen. Wenn man ein in Wasser leicht lösliches Alkalisalz 
der Dibromsebacinsäure mit salpetersaurem Silber in der Kälte 
zersetzt, so entsteht ein weisser Niederschlag. Das von dem- 
selben ablaufende Filtrat aber reagirt sauer. Das Salz zersetzt 
sich im feuchten Zustande also schon theilweise bei gewöhn- 
licher Temperatur in Bromsilber und Oxysäure ganz ähnlich 
dem von Kekul& beschriebenen dibrombernsteinsauren Silber!) 
und isodibrombernsteinsaurem Silber?) bei dessen Zersetzung 
derselbe das saure Filtrat mit Ammon neutralisirt und durch 
Chlorealeium gefällt hat. Der erhaltene Niederschlag hat die 
Eigenschaften des weinsauren Kalks besessen. Im Wider- 
spruch hiermit steht in Kekule’s „Untersuchungen über orga- 
nische Säuren“ die kurze Notiz 3): 


„Bibrombernsteinsaures Silber. Weisser Niederschlag 
0,6840 Gr. gaben 0,3866 AgCl und 0,0108 Ag 
£4H,Br,9,. 274. 55,92. 
Ag,. 216. 44,08. 44,12 
490. 
Perkin und Duppa, welche gleichzeitig mit Kekule denselben 
Gegenstand bearbeitet haben, scheinen der Analyse nach zu 


urtheilen, mehr Glück mit der Reindarstellung des genannten 
Silbersalzes gehabt zu haben. Das bibrombernsteinsaure Sil- 


SallzBrz0, ©, 44,080, Silber, 
Ag E 
2 


ber enthält nach der Formel 


während 43,71 Procent von ihnen gefunden wurden®). In der 
Abhandlung steht an der citirten Stelle: 


1) Annal. Chem. Pharm. 117. 124. 
®) Ibid. Supplem. Bd. 1. 90. 
IR; > I. 357. 
*) Annal. Chem. Pharm, 117. 132. 


298 


„berdehnet: gefunden: 
Bro Dot 9,63 
H, . 0,40 0,60 
Br, . 44,08 43,711 
Agg - 32,65 32,64 
20 _ 


Hier liegt jedenfalls ein Druckfehler vor, indem die Zahlen 
für Silber und Brom verwechselt sind. 

Ein von mir dargestellter Niederschlag von oben erwähn- 
tem, zersetetzten dibromsebacinsauren Silber lieferte nach län- 
gerem Auswaschen und Trocknen folgende Analyse: 0,2265 
Gramm der Substanz gaben im Wasserstoffstrom und an der 
Luft geglüht 0,0980 Gramm metaällisches Silber, entsprechend 
43,3 p. c. statt 37,65 p. c. Eine andere Fällung auf dieselbe 
Weise behandelt, gab 41,88 p. c. Silbergehalt. Ein Versuch, 
die Fällung in alkoholischer Lösung zu bewerkstelligen, um 
eventuell die Zersetzung zu vermeiden oder zu vermindern, 
gab im Gegentheil einen noch mehr zersetzten Niederschlag. 
0,2765 Gramm des ausgewaschenen, trockenen Niederschlags 
gaben: 0,1332 Gr. Silber, einen Gehalt von 48,5 pC. entspre- 
chend. 


S 
ES 358 62936. pre er ee 
274 
Ag, = 216 37,63 43,3 41,8 48,5 
a, 574 99,99. 


Darstellung der Dioxysebacinsäure. 


Als Perkin und Duppa zum ersten Male aus Dibrombern- 
steinsäure die Weinsäure künstlich darstellten, haben diesel- 
ben sich des Silberoxyds bedient; oder vielmehr das Silber- 
salz obiger Säure durch Kochen zersetzt, nach folgender Glei- 
chung: 


[6 <4H,9, 
rer °,+2H,9 = Ha ©, + 2AgBr. 
Ag! ° H, 
Dibrombernsteins. Silber Weinsäure. 


Kekule, welcher anfangs dieseibe Methode befolgte, hat 
später die Zersetzung respect. Umwandlung der Dibrombern- 
steinsäure mit verschieden anderen Basen untersucht, z. B. 


299 


mit Natron, Baryt, Kalk. Die Reaktionen waren indess nicht 
neit; denn beim Kochen des Natronsalzes resultirte ein brom- 
haltiges Salz, dessen Analyse es als monobrombernsteinsaures 
Natron erkennen liess. Das auf gleiche Weise entstandene 
Barytsalz ist von anhängenden Nebenprodukten begleitet und 
giebt keine guten analytischen Resultate. Bei der Zersetzung 
durch Kalk entstehen ebenfalls zwei Salze, die sich jedoch 
leichter trennen lassen. 

Ich habe zuerst versucht, meine Dibromsebaeinsäure durch 
Baryt in die entsprechende Oxysäure umzuwandeln. Eine 
Probe der Säure mit Baryt im Ueberschuss versetzt, und einige 
Zeit gekocht, liess erkennen, dass das ausgeschiedene Salz, 
nachdem es von anhängendem Brombarium durch Auswaschen 
mit Alkohol befreit war, kein Brom mehr enthielt. Ich vermu- 
thete nun eine indirekte Oxydation und verfuhr mit einer 
grösseren Portion der Dibromsebacinsäure auf dieselbe Weise. 
Nach halbstündigem Kochen mit Baryt wurde das schwerlös- 
liche Salz ausgewaschen, bis es von Brom frei war, dann ge- 
trocknet und gewogen. Zu diesem vermeintlichen Barytsalz 
der Oxysebaeinsäure wurde eine äquivalente Menge mit Was- 
ser stark verdünnter Schwefelsäure gesetzt und unter Umrüh- 
ren erwärmt. Der ausgeschiedene schwefelsaure Baryt wurde 
heiss abfiltrirt, und das eingeengte Filtrat darauf mit Aether 
geschüttelt. Die ätherische Lösung hinterliess beim Verdun- 
sten nicht Oxysäure, sondern Sebacinsäure, welche also durch 
Kochen der Dibromsebacinsäure mit Baryt aus letzterer rege- 
nerirt war. Der Schmelzpunkt sowie die Schwerlöslichkeit in 
kaltem Wasser; auch die höchst charakteristische Form der 
krystallinischen Masse liessen eine besondere Analyse über- 
flüssig erscheinen. Von der Sebacin- Weinsäure erwartete ich 
eine Leichtlöslichkeit in kaltem Wasser, was sich später auch 
bestätigte. 

Der folgende Versuch zur Oxydation mittelst Silberoxyd 
gab ein besseres Resultat. Da die Bibromsebacinsäure sehr 
schwer in Wasser löslich ist, wurde sie in verdünntem Alko- 
hol gelöst und die erwärmte Lösung mit frisch gefälltem, so- 
genannten molecularen Silberoxyd geschüttelt. Die Reaktion 
trat sehr bald ein; die graue Farbe, die an Stelle der schwar- 
zen trat, zeigte auf’s Deutlichste, dass fast alles Silberoxyd 


300 


in Bromsilber verwandelt war. Zwischen diesem ausgeschie- 
denen Bromsilber befanden sich jedenfalls noch kleine Mengen 
von dem schwerlöslichen Silbersalz der neu entstandenen Säure; 
und in Lösung neben freier Oxysäure vielleicht noch etwas 
unzersetzte Dibromsebacinsäure sowie auch etwa entstandene 
Aether dieser beiden Säuren. Dieses Ganze wurde mit koh- 
lensaurem Natron zersetzt, mehreremale ausgekocht und die 
vereinigten Filtrate eingedampft, wodurch ein rohes sebacin- 
weinsaures Natron erhalten wurde, welches noch ein wenig 
dibromsebaeinsaures Natron enthielt. Durch Zersetzen dieses 
Natronsalzes mit salpetersaurem Silber, Auswaschen des ent- 
standenen Niederschlages von sebacinsaurem Silber und Ein- 
leiten von Schwefelwasserstoff in den in heissem Wasser zer- 
theilten Niederschlag wurde die Oxysäure frei in wässriger 
Lösung erhalten. Beim Eindampfen dieser filtrirten Lösung 
blieb die in kaltem Wasser sehr leicht lösliche Sebacin-Wein- 
säure zurück. Sie hatte eine etwas gelbliche Farbe, schmeckte 
ziemlich sauer und stellte nach dem Trocknen über Schwefel- 
säure eine körnigkrystallinische Masse dar; an der Luft zer- 
fliesst. sie und istin Alkohol und Aether ebenfalls leicht löslich. 
Hinsichtlich des optischen Verhaltens habe ich gefunden, dass 
die Lösung der Dioxysebacinsänre auf die Schwingungsebene 
des polarisirten Lichtes keine drehende Wirkung ausübt. Die 
Säure kann also entweder wie die Traubensäure optisch neu 
tral oder überhaupt inactiv sein. Im ersten Falle müsste sich 
die Säure unter geeigneten Umständen in zwei Componenten 
spalten lassen, zu welchem Versuch jedoch grössere Mengen 
derselben erforderlich sein dürften, als mir zu Gebote standen. 
Beigemengte Dibromsebacinsäure liess sich entfernen durch 
Auflösen der Säure in wenig warmem Wassser und filtriren der 
erkalteten, trüblichen Lösung; eine dünne ölige Schichte blieb 
alsdann auf dem Filter zurück. Das Resultat der Elementar- 
analyse ist Folgendes: 

1) 0,1232 Gramm der trocknen Sebacin-Weinsäure gaben 
mit Kupferoxyd verbrannt: 0,0874 Gr. Wasser, entsprechend 
0,00971 Gr. Wasserstoff, ferner: 0,2302 Gr. Kohlensäure — 
0,06278 Gramm Kohlenstoff 

2) 0,1567 Gramm gaben: 0,1090 Gramm Wasser = 
0,01211 Gr. H., 0,2925 Gr. Kohlensäure = 0,07977 Gr. C. 


berechnet: gefunden: 

I. o 

ein >= 1205128 Se 

Hs — 0 182207069 7,58@ 2 

0007290721502 — _ 
234. 99,99. 


Die Ausbeute war gering im Verhältniss zu derjenigen, welche 
die Theorie erwarten lässt. Eine andere Methode der Um- 
wandlung der Dibromsebacinsäure in Sebacin-Weinsäure durch 
Erhitzen mit concentrirter Kalilauge auf ca. 150 Grad gab 
gleichfalls ein ziemlich günstiges Resultat. Wenn man das Ge- 
menge von Dibromsebacinsäure und concentrirter Kalilauge im 
Ueberschuss eine Stunde lang der betreffenden Temperatur 
aussetzt, so ist die Dibromsebacinsäure bis auf einen kleinen 
Rest vollständig zersetzt, von Brom befreit. Bei längerem Er- 
hitzen gelingt es wahrscheinlich, dieselbe vollständig in Oxy- 
säure umzuwandeln. Durch Zersetzen des entstandenen oxy- 
sebacinsauren Kali’s mit einem löslichen Barytsalz erhält man als 
Niederschlag oxysebacinsauren Baryt, welcher mit verdünntem 
Alkohol ausgewaschen und vom Brombarium befreit wie auch 
vom Kali, mit salpetersaurem Silber ein in Wasser schwerlös- 
liches Salz liefert, aus welchem dann durch Fällen mit Schwe- 
felwasserstoff die Sebacin-Weinsäure frei erhalten wird. Fol- 
gende Salze der Sebacin-Weinsäure habe ich dargestellt: 
Neutrales sebacinsaures Natron, 
SH O4 

e h,Na, 
Durch Neutralisation von Sebacinsäure mit kohlensaurem Na- 
tron und Verdunsten der Lösung über Schwefelsäure erhalten. 
Es zeigt Neigung zur Krystallisation, welche aber durch die 
Kleinheit des Quantums beeinträchtigt wird. 

1) 0,2695 Gramm des getrockneten Salzes gaben 0,1348 
schwefelsaures Natron. 

2) 0,2140 Gramm desselben gaben: 0,1077 Gramm schwe- 
felsaures Natron. 


berechnet: gefunden: 
ir II. 
CoHieds = 232 83,45 — 
Na, = 46 16,54 16,20 16,31 
REIN. 


302 


Neutrales dioxysebacinsaures Barium. 
Col 149 
h,Bay1 * 

Man bekommt dasselbe durch Zusatz von essigsaurem Ba- 
rium zu einer Lösung von dioxysebacinsaurem Ammon und 
Ausfällen mit nicht sehr starkem Alkohol. Der entstandene 
Niederschlag wird mit verdünntem Alkohol ausgewaschen, da 
in starkem Alkohol essigsaures Ammon schwer löslich ist. 
0,2010 Gramm des trockenen Salzes lieferten 0,1248 Gramm 
schwefelsauren.Baryt oder 36,5 pC. Ba statt der theoretischen 
37,12 pC. 

Sebacinweinsaurer Kalk. 
SzoH149a 
h,Ca, 

Derselbe entsteht beim Vermischen einer neutralen Lö- 
sung des sebacinweinsauren Ammons mit Chlorcaleiumlösung 
als weisser, lockerer Niederschlag, welcher mit verdünntem 
Alkohol ausgewaschen wurde. Eine Lösung dieses Salzes in 
Salzsäure wird durch Ammon nicht gefällt, verhält sich dem- 
nach wie der weinsaure Kalk. 0,2115 Gramm dieses Salzes 
gaben 0,1038 Gramm schwefelsauren Kalk, 0,03053 Euueı Ca 
entsprechend. 


9% 


berechnet: gefunden: 
S ,0Hı695 = 232 85,29 TTe 
0.69 = 40 14,70 14,43 
road go1gg. 
Neutrales sebacinweinsaures Bleioxyd, 
©0149 oO 
h,Pb,| *? 


entsteht ein weisser Niederschlag beim Vermischen der Lö- 
sungen von neutralem essigesauren Blei und einem Alkali-Salz 
der Sebacinweinsäure. Nach dem Auswaschen und Trocknen 
gaben; 0,1470 Gramm des Salzes: 0,1013 Gramm schwefel- 
saures Blei. 

berechnet: gefunden: 

SjoHısOe = 232 . 92,81 2 

bbz = 20073913 7371, 
439 99,99. 


303 


Basisch sebacinweinsaures Bleioxyd. Halbsebacinweinsaures 
Bleioxyd. 
Cz0H14®2 [a 
Bor) en 
Das Salz wird erhalten, indem man zu sebacinweinsaurem 
Ammon eine klare Lösung von basisch essigsaurem Blei setzt. 
Um die Bildung von kohlensaurem Blei zu verhülten, geschieht 
das Vermischen, sowie das Auswäaschen des entstandenen Nie- 
derschlages durch Decantation, in einer Wasserstoff-Atinosphäre. 
Als Waschwasser diente ausgekochles, heisses Wasser. Die 
Fällung geschah in erhitzter Lösung. Folgende Zahlen sind 
durch die Analyse erhalten: 
1) 0,0948 Gramm des trocknen Salzes lieferten: 0,0372 
Gramm schwefelsaures Blei. 
2) 0,2310 Gramm gaben: 0,2137 Gramm schwefelsaures 
Blei. 
berechnet: gefunden: 
l. I. 
S0H1s9s = 230 35,799 — — 
Pb, 414 64,20 62,97 63,2 
644 99,99. 
Durch das Entstehen dieses Salzes ist abermals die Analogie 
respective Homologie dieser neuen Säure mit der Weinsäure 
dargethan. Die Verschiedenheit der vier substituirbaren Was- 
serstoff-Atome ist in der Formel durch h, angedeutet; der 
nächste Grund dieser Thatsache kann veranschaulicht werden, 
wenn man in der Formel: 


s 


£@.CcH 

c0.CH 

die zwei schwierigen vertretbaren Wasserstofli Atome zum la- 
dikal schseibt. 


SH 14(CH) 2 


Sebacinweinsaures Silber. 

Sjof149, 

h,Ag, 

Dies Salz erhält man als weissen Niederschlag durch 

Zersetzung von sebacinweinsaurem Ammon mit salpetersaurem 

Silber, Das von dem Niederschlage ablaufende Filtrat reagirt 

neutral. Der Niederschlag wird, dem Lichte ausgesetzt, all- 

mälig dunkel, besonders in feuchtem Zustande. Die Analyse ergab: 
Zeitschr. f. d. ges. Naturwiss. Bd. XXXVIIL, 1871. 22 


1% 


304 


1) 0,1128 Gramm des Salzes lieferten 0,0533 Gramm 
Silber. 

2) 0,1213 Gramm gaben 0,0766 Gramm. 

berechnet: gefunden: 
1. 1. 
Sjolıs9s = ?3? 51,179 — — 
Ag, — 216 48,20 4T,2 47,48 
448 99,99. 
Sebacinweinsäure = Aethyläther. 
Sj0H1492 
(S2H,)2b, 

Eine Quantität des trocknen, sebacinweinsauren Silbers 
wurde mit etwas mehr als der äquivalenten Menge Jodäthyls 
und entwässertem Aether im Wasserbade am aufsteigenden 
Kühler erhitzt. Die Umsetzung dauerte mehrere Stunden. Die 
abfiltrirte ätherische Lösung hinterliess beim Verdunsten ein 
gelbes dickflüssiges Liquidum von schwach saurer Reaction 
und bitterem Geschmacke. Im Wasser ist dasselbe unlöslich 
oder sehr schwer löslich; der Geruch des Aethers ist unbe- 
deutend. Es ergab folgende Analyse: 

1) 0,1250 Gramm der unter der Luftpumpe getrockneten 
Substanz gaben mit Kupferoxyd verbrannt: 0,1030 Gramm Was- 
ser und 0,2626 Gramm Kohlensäure. 

2) 0,1345 Gramm gaben 0,1107 Gramm Wasser und 0,2820 
Gramm Kohlensäure. 

berechnet: gefunden: 
1. II. 
4 = 168 57,93 57,28 57,18 
26. 0.8,90 9,15 9,08 
en el —— — 
KT 290 99,99. Tdig 

Nach vorhergehenden Untersuchungen ist anzunehmen, 
dass die Individuität der Sebacinsäure nicht in Frage zu stel- 
len ist. Der Name Sebacin- Weinsäure ist in sofern passend 
für diese neue Säure, als die chemischen Eigenschaften und 
Reactionen derselben sowohl als auch der Sebacinsäure denen 
der Weinsäure und Bernsteinsäure analog sind. Die Existenz 
eines vierbasischen Bleisalzes dieser Säure ist besonders cha- 
rakteristisch für dieselbe, als Homologe der Weinsäure. In 


% 


me} 
NS 
=) 

| 


305 


Folge ihres optischen Verhaltens wird man die Sebacin-Wein- 
säure wohl im Besondern als eine Honologe der Para - Wein- 
säure Kekules, als optisch inactiv zu betrachten haben und 
nicht etwa der optisch neutralen Traubensäure homolog. 

Wenn in manchen der vorliegenden Analysen die gefun- 
denen Werthe mit den theoretischen nicht in dem Grade über- 
einstimmen, wie man es bei guten Analysen erwarten kann, 
so liegt der Grund hiervon zum grössten Theil wohl in der 
der Schwierigkeit, mit welcher die Reindarstellung von klei- 
neren Quantitäten chemischer Verbindungen meistens verknüpft 
ist. 

Diese Arbeit ist in dem chemischen Laboratorium des 
Herrn Prof. M. Siewert zu Halle angefertigt, dem ich zu gros- 
sem Dank verpflichtet bin. 


Einige neue südeuropäische Hyinenoptera 
beschrieben von 


Prof. Taschenberg. 


Zwei Zusendungen von Hymenopteren, welche theils in 
der Umgegend von Innsbruck, theils auf der Insel Lesina ge- 
sammelt worden waren und von mir revidirt, bezüglich be- 
stimmt werden sollten, ergaben einige Formen, die ich nach 
Vergleich der Literatur für neu halten muss und daher im 
Folgenden beschreibe: 

1. Cephus Helleri2 Niger nitidus, mandibularum 
basi, punctis capitis maculisque 3 abdominis lateralibus 
sordide albis, tibüis tarsisque fulvis; alis Jlavescentibus. 
Long. 15, Exp. alar. 24 mill. — Patria: Insula Lesina. 

Diese Art ist noch kräftiger gebaut als C. trogolodytus. 
Der fein, aber etwas runzelig punktirte Kopf ist entschieden 
breiter als lang, indem er hinter die Augen viel weniger weit 
zurückreicht als bei der genannten Art; die an sich schmalen 
Backen verschmälern sich nach dem Munde hin immer mehr 
und sind an dem Hinterrande scharfkantig begrenzt. Scheitel 
gleichfalls schmäler als dort. Innenrand der Fühlengrube und 

22° 


306 


je ein Pünktchen am obern innern Augenrande sind weiss, 
etwas schmutziger weiss die grössere Wurzelhälfte der kurz- 
behaarten Kinnbacken. Die Fühler sind kräftig, 25 gliedrig und 
erscheinen darum weniger keulenfärmig, weil die Verdickung 
und Verkürzung der Geiselglieder bereits vom vierten ab be- 
ginnt. Pronotum lang, fein lederartig gerunzelt, in der Mitte 
des Vorder- und Hinterrandes bogig ausgeschnitten, am Vor- 
derrande am stärksten, gleichzeitig wulstig gerandet. Mittel- 
rücken und Schildchen wie bei C. troglodytus gebildet, nur 
die Seiten des Mittelrückens weniger polsterartig gewölbt. 
Der stark comprimirte Hinterleib ist sehr fein lederarlig ge- 
runzelt und anliegend kurz greishaarig. In der Hinterecke 
der zweiten Rückenschuppe steht ein rundlicher, an derselben 
Stelle der dritten Schuppe ein dem Hinterrande entlang aus- 
gezogener, länglicher und in der gerundeten Hinterecke der 
fünften Rückenschuppe ein annähernd nierenförmiger Fleck 
von weisser Farbe. Die Mittelschienen tragen einen Dorn in 
ihrer Mitte, die Hinterschienen einen solchen hinter der Mitte, 
sie sind sammt ihren Tarsen, den gleichen Theilen der Vor- 
derbeine und wenigstens der Innenseite aller Kniee rothgelb. 
Die Flügel haben einen starken gelben Schein, dunkelbraunes 
Geäder und Mal. Die erste rücklaufende Ader mündet genau 
in die Hinterecke der ersten, die zweite eben da in die zweite 
Unterraudzelle. 

Ich habe diese Art nach dem Herrn Prof. Heller in Inns- 
bruck benannt, welcher sie auf Lesina sammelte. 

2. Cephus tabidus. F. SQ Niger, nitidissimus, 
mandibularum basi, pedibus antieis partim, vitta abdominis 
laterali flavis; alis subhyalinis. Long. 9, Exp. alar. 16 
mill. — Patria: Insula Lesina. 

Auf die 4 mir vorliegenden Exemplare passt sehr oil 
die Diagnose des Fabricius: „Sirex niger, obdoininis lateri- 
bus flavo-punctatis, tibiis antieis testaceis“ und mit unbedeuten- 
den Farbenabweichungen auch die kurze Beschreibung, welche 
Hartig von der Art giebt; ich trage daher um so weniger 
Bedenken, sie für die genannte zu halten, weil die gelbe Fär_ 
bung am Thorax in den vorliegenden Exemplaren nicht con- 
stant ist und bespreche sie hier ausführlicher, weil die ge- 
nannten Auctoren nur das Weibchen erwähnen. 


307 


Kopf quer rechteckig, ungefähr um die Breite der Augen 
hinter dieselben fortgesetzt, Scheitel breit, weil der Kopf 
hinten nur schwach ausgeschnitten erscheint, sehr fein und 
dicht punrktirt. Die Stirn vom vordern Nebenauge bis zum 
Vorderrande mit einer tiefen Längslinie. Fühler deutlich 
keulenförmig, die Verdickung vom neunten Geiselgliede be- 
ginnend. Grössere Wurzelhälfte der Kinnbacken blassgelb, 
Taster schwarz, nur die Spitze des dritten Kiefertastergliedes 
und bisweilen beim M. die Wurzel des folgenden bleich gelb. 
Pronotum mit sehr schwach ausgeschweifteın Vorder- und Hinter- 
rande, vorn schwach geleistet; in seiner Mitte sanft einge- 
schnürt und in der Hinterhälfte der Länge nach mit seichtem 
Linieneindrucke, welcher sich über den gerundeten Mittellap- 
pen des Mittelrückens noch deutlicher fortsetzt, so dass dieser 
vierlappig erscheint. Unter den Flügelschuppchen kann ein 
lichtes Fleckchen vorkommen. Der Hinterleib ist stark com- 
primirt,, sehr fein runzelig punktirt und unmerklich behaart. 
Die Seitenränder der Rückenschuppen sind gelb gefärbt, so 
dass sie in ihrer Gesammtheit eine Seitenstrieme bilden; bei 
einem Stück sind einige gelbe Flecke etwas winkelhakig, 
während sie bei den andern viereckig erscheinen und somit 
den Seitenrand gleichmässig treffen. Beim W. ist ausserdem 
die Hinterecke der vorletzten Bauchschuppe gelb gefärbt, 
welcher Fleck sich an den vorletzten der Reihe anschliesst, 
und die Bohrerspalte fein gelb besäumt. Die Mittelschienen 
haben einen Mitteldorn, die hintersten ein Dornenpaar hinter 
der Mitte. Die Vorderschienen, Innenseite der Vorderknie 
und zum Theil die Tarsen sind lichtgelb, beim M. an der Innen- 
seite der Schenkel etwas ausgedehnter; die lichten Stellen 
an der Wurzel der Beine rühren von den grossen, weisshäu- 
tigen Gelenkflächen her. Die Flügel sind etwas getrübt, ihr 
Mal und Geäder braun. Die erste rücklaufende Ader ist in- 
terstitial oder trifft die zweite Unterrandzelle unmittelbar hinter 
der ersten, die zweite rücklaufende Ader mündet in die dritte 
Cubitalzelle bald hinter der zweiten Zelle. Br 

Ein anderer Unterschied in den Farben, als die ange- 
gebenen findet zwischen beiden Geschlechtern nicht statt. 

3. Tehneumon opulentus ® n. sp. Scutello, post- 
scutello, lineis ad alarum radicem picturis thoracis coxa- 


308 


rnmque, genis, palpis orbitis internis verticisque, annulo 
antennarum , tibiarum tarsorumque posteriorum eborinis; 
abdomine cyanescente. Stigmate fusco. 147“ 
Hinsichtlich der reichen, elfenbeinweissen d.h. in Gelb zie- 
henden Zeichnung steht diese Art dem I. multiguttatus Ws = 
eentummaculatus Christ am nächsten, nur hat hier der Hinter- 
leib keine Spur von weissen Flecken, sondern ist durchaus 
blauschwarz. Weiss sind: die Taster, ein Wurzelfleck der 
Kinnbacken, die Backen bis zu einem Viertheil der äussern 
Augenränder hinauf, die Gesichtsränder der Augen breit, an 
den Fühlern schmäler, dannam Scheitel wieder breiter, an den 
zugespitzten Fühlern Glied 10—17 fast ringsum. Am Mittel- 
leibe sind ferner weiss: eine breite Linie vor und ein Fleck 
unter der Flügelwurzel, 2 Längsstriche auf dem Mittelrücken, 
das Schildehen, Hinterschildchen, 3 Flecke am abschüssigen 
Theile des Hinterrückens, ein rundes Fleckchen über den Vor- 
derhüften und in gleicher Höhe ein zweites zwischen diesen 
und den Mittelhüften. Ferner sind an den Beinen von dieser 
Farbe: Flecke an den Spitzen aller Hüften, die Innenseite der 
Knie und Schienen an den vordern Beinen, ein Ring hinter der 
Wurzel an den Schienen der hintern Beine, sowie die zu diesen 
gehörigen Tarsenglieder mit Ausnahme ihrer schwarzen Spitzen. 
Das Kopfschild ist vorn gerade abgestutzt, stark glänzend, 
einzeln grob punktirt, das Gesicht allmählig nach oben dichter 
punktirt. Mittelrücken grob punktirt, auf der Scheibe einzelner 
als an den Seiten. Schildchen desgleichen, gross, mässig ge- 
wölbt, hinten geradlinig gestutzt. Hinterrücken mit stumpfen 
Leisten, sein Vordertheil durch starke Wölbung in den ab- 
schüssigen Theil übergehend. Die beiden vordern Seitenfelder 
mit einzelnen tiefen Punkteindrücken, das obere Mittelfeld 
länger als breit, vorn und hinten gerundet und nach vorn all- 
mälig verschmälert, mit runzeliger Oberfläche; die sämmtlichen 
folgenden Felder grobrunzelig, die zahntragenden dabei deut- 
lich punktirt, aber ohne Spur eines Zahnes. Das erste Hinter- 
leibssegment ist deutlich nadelrissig, an seiner Spitze, beson- 
ders in den Seitentheilen vorherrschend punktirt. Das zweite 
t diehbt und grob punktirt, hat tiefe Gastrocölen und auf 
ı gleichbreiten Zwischenraume Längsrisse; auf den folgen- 
Seginenten ist die Sculptur dieselbe, wird aber, wie ge- 


309 


wöhnlich, nach der Spitze hin immer schwächer. Die Hinter- 
hüften sind grob punktirt und ohne Auszeichnung. — Bei Inns- 
bruck. 

Diese Art würde m der analytischen Tabelle (Bnd. XXXVI) 
einzureihen sein auf S. 223 unter h. zwischen »zvatus und 
pistorius nachdem vorher unter gg. der Zusatz: Flügelmal 
bleich „ausser bei opulentus“ zu erweitern wäre. -—— Weiter 
hinten auf S. 377 wäre die Art zwischen Z/. designatorius 
und comitator einzuschalten. 

4. ISchneumon Kastneri 2 9 Scutelli apice rheni- 
Formi, lineis ad alarum radicem, orbitis frontalibus puncto- 
que verticis albis ; femoribus tibüisque rufis; stigmate fusco. 
Mas orbitis externis partim, facie antennarumque arti- 
culo primo subtus, fem. annulo antennarum albis T— U), 

Dem 7. ferreus nahe stehend in der Färbung, aber in 
ihr, in Sculptur und kräftigerem Bau unterschieden. 

W. Das breite Kopfschild ist vorn sehr schwach zwei- 
buchtig, glänzend und einzeln grob punktirt. Die Backen sind 
breit, gleich in ihrer Ausdehnung und fast breiter als der 
Querdurchmesser des Auges, wegen des tiefen Ausschnittes 
am Hinterhaupte der Scheitel schmal. Fühler zugespitzt. 
Mittelrücken grob punktirt, auf der Scheibe einzelner, Schild- 
chen desgleichen, hinten ausgebuchtet, so dass seine weisse 
Spitze nierenförmig erscheint. Oberes Mittelfeld breiter als 
lang, vorn breit gerundet, hinten gleichfalls bogig begrenzt, 
seine Fläche fast polirt und glänzender als der übrige, grob 
runzelig punktirte Hinterrücken, welcher gewölbt aus dem 
vordern in den abschüssigen Theil übergeht und keine Spur 
von einem Seitenzahne zeigt. Segınent 1 längsrissig, an der 
Spitze der Seitentheile vorherrschend grob punktirt. Gastro- 
cölen tiefgrubig, ihr Zwischenraum breiter als eine dieser 
Gruben, längsrissig fast bis zum Hinterrande des zweiten Seg- 
ments, dessen Rücken etwas platt und matt erscheint; an den 
Seiten ist es wie das folgende Segment dicht und grob punktirt, 
während vom vierten ab die Oberfläche fast polirt ist. Der 
Hinterrand des zweiten und dritten Segments schimmert ganz 
schmal roth und die Furche hinter einem jeden ist tief. Die 
kräftigen Beine sind von den Schenkelringen an roth, nur 
die Tarsen der hintersten etwas dunkler. Dunkelroth sind 


310 


ferner die Flügelschüppchen, Flügelwurzel, die Kinnbacken, 
das Kopfschild und die Fühler bis zum weissen Sattel ; dieser 
umfasst Glied 12—19, die alle sehr gedrungen sind. Weiss 
sind die Stirnränder der Augen schmal, ein grosser dreieckiger 
Fleck an ihrem Scheitelrande, eine Linie vor, eine unter der 
Flügelwurzel und der bereits erwähnte Nierenfleck auf der 
Schildchenspitze. Die Taster sind bleich gelb. 

M. stimmt in der Sceulptur mit dem W. überein, seine 
kräftigen Fühler sind wunterwärts stumpfzähnig, das obere 
Mittelfeld etwas rauher auf seiner Oberfläche. Die Beine sind 
von den Schenkelringen an gleichlalls roth, die Spitze der 
Hinterschienen und die zugehörigen Tarsen braun, entschieden 
dunkler als beim W. Flügelschüppehen uud Flügelwurzel sind 
gleichfalls roth, letztere aber bedeutend lichter, eben so licht 
die Kinnbacken bis aufihre dunkle Spitze, die Taster schmutzig 
weiss, so wie die Oberseite der Vorderhüften. Rein weiss 
sind das ganze Gesicht mit der Unterseite des Fühlerschaftes, 
die Stirnränder der Augen, die Aussenränder derselben in der 
srössern untern Hälfte und ein kleines Fleckchen an ihrem 
Scheitelrande. Die weisse Färbung am Thorax wie beim W. 

Die Art gehört in der Tabelle unter gg auf Seite 215, 
etwa vor Z. ferreus und dem entsprechend auf S. 373 zwischen 
No. 4 und 5. 

5. Hoplismenusseptemguttatus 92. Scutello, spi= 
nis metathoracis supra, punctis apicalibus in latere segmen- 
torum 1. et 2., antennarum annulo albis; tLibiis anteriori- 
bus antice plus minusve et stigmate rubescentibus. 62]3' 

Der Kopf ist fast mehr als um die Breite der Augen 
hinter diese fortgesetzt, beginnt sich aber sofort von dem 
Hinterrande dieser an zu verengen, so dass sein Umriss von 
der Oberseite her den vordern Theil eines hinten bogig ab- 
geschnittenen Herzens darstellt. Auch die Mundpartie ist 
weit hinabgezogen, das Kopfschild vorn gradlinig, auf seiner 
Oberfläche eben so dicht punktirt wie das nicht davon abge- 
setzte Gesicht. Fühler zugespitzt, Glied 10-15 ringsum 
weiss. Mittelrücken matt, durchaus lederartig. Hinterrücken 
sehr grob gerunzelt, im hintern Mittelfelde deutlich in die 
Quere; oberes Mittelfeld einen reichlichen Halbkreis bildend. 
Die Luftlöcher sehr lang und knopflochförmig. Die Ecken des 


sll 


Hinterrückens als kräftige Zähne (kegelförmige Zapfen) her- 
austretend. Segment 1 sehr rauh, vorherrschend querrunzelig, 
die Stigmenumgebung den Seitenrand wenig beeinflussend, die 
Hinterecken gerundet. Gastrocölen flach, aber deutlich, der 
Zwischenraum so breit wie jede cinzelne, gröber punktirt als 
der übrige Theil des dicht punktirten Segments. Segment 3 
bildet ein queres, fast vollkommenes Rechteck, erst vom 
vierten Gliede an beginnt die Verschmälerung nach hinten. 
Das sehr buckelige, hinten bogig ausgeschnittene Schildchen, 
die Rückendornen oben und die Hinterecken der beiden ersten 
Hinterleibssegmente sind weiss, der übrige Körper schwarz, 
nur die vordern Beine haben von den Knien an auf der Vor- 
derseite einen rothen Anflug, eben so das Mal und das Ge- 
äder derschwach getrübten Flügel. — Umgegend von Innsbruck. 


Literatur. 


Allgemeines. J. Frischauf, Grundriss der theoreti- 
schen Astronomie und der Planetentheorie. Graz, Leuschner 
& Lubensky 1871. 159 S. Oct. — Das Werk enthält eine Mechanik des 
Sonnensystems in dem Umfange eines Universitätscollegs; die Darstellung 
ist musterhaft klar und die mathematischen Entwicklungen durch die hi- 
storischen Entdeckungen belebt. Von besonderm Interesse werden vielen 
Lesern die Berichte über Keplers Entdeckungen sein, von denen man sonst 
meist nur die Resultate findet, nicht aber den Weg, auf dem er zu den- 
selben gelaugt ist. Man hält die verfehlten Versuche gewöhnlich nicht 
der Mittheilung werth. Der Verf. aber berichtet sowol die Beziehungen, die 
Kepler zwischen den Planetensphären und den regelmässigen Körpern, als 
auch zwischen den Planetenbewegungen und den musikalischen Intervallen 
auffand. Wir empfehlen das Buch allen Mathematikern, die sich für Astro- 
nomie interessiren, namentlich solehen, die auf der Universität nicht Ge- 
legenheit gehabt haben, ein Collegium über diesen Gegenstand zu hören. 


Shg. 
Hessel, Uebersicht der gleicheckigenPolyeder. Marburg, 
0. Ehrhardt 1871. 30 S. 8%. — Diese Schrift dürfte für Krystallo- 


graphen desshalb von Interesse sein, weil sie die gleicheckigen Polye- 
der mit dem gleichflächigen, d. h. mit den Krystallen in Zusammenhang 
bringt. Die Zusammenstellung beruht auf dem bekannten mathematischen 
Prineip deı Reciprocität: dem 8-flächigen Sechseck entspricht ein S-ecki- 
ger 6-Flächner u. s. w. Die Gestalten sind einfach beschrieben, auf ihre 


312 


mathematischen Eigenschaften ist der Verfasser nicht eingegangen, so 
dass die Schrift den Krystallographen verständlich bleibt. Sbg. 
J. Rosanes, über die neuestcn Untersuchungen in Be- 
treff unserer Anschauung vom Raume. Breslau, Maruschke u. 
Behrendt 1871. 20 S. Oct. — Der vorliegende Vortrag behandelt eigent- 
lich einen mathematischen Gegenstand und wird hier von uns nur deshalb 
angezeigt, weil er die Sache ganz allgemein und so zu sagen in natur- 
wissenschaftlicher Weise behandelt. Es haudelt sich bekanntlich in der 
Geometrie bei den grundlegenden Betrachtungen hauptsächlich um die 
Theorie der Parallelen, welche, so oft man es auch versucht hat, bis jetzt 
nie streng bewiesen ist; der Satz von den correspondirenden Winkeln, 
oder ein anderer gleichwerthiger muss immer mit Hilfe der Anschauung 
bewiesen werden. Diese Angelegenheit ist, oft discutirt, Bolyai und Lo- 
batschewsky haben auch eine „imaginäre nenn entwickelt ohne je- 
nen Satz, resp. ohne den gleichwerthigen Satz von der Summe der Win- 
kel im Dreieck zu benutzen. In neuester Zeit sind über diesen Gegen- 
stand zwei Arbeiten, eine von Riemann, die andere von Helmholtz 
erschienen, welche die ganze Angelegenheit viel allgemeiner fassen: Der 
Raum ist nach Riemann eine „dreifach ausgedehnte Mannichfaltigkeit“, 
unterscheidet sich aber von andern, ebenfalls dreifach ausgedehnten Man- 
nichfaltigkeiten, z. B. von dem System der Farben durch ganz besondere 
Eigenthümlichkeiten. Der Verf. hat in seinem Vortrag den ziemlich sprö- 
den Stoff möglichst fasslich dargestellt, so dass wir die Leetüre desselben 
unsern Lesern, die ihre mathemaiische Anschauungen erweitern wollen, 
aufs Angelegentlichste empfehlen ; besondere mathematische Vorkenntnisse 
sind zum Verständnisse nicht erforderlich. Sbg. 
K. Kühn, die elektromagnetische Materie in ihrer kos- 
mischen Existenz. Consequente Schlussfolgerungen über die Son- 
nen-Photosphäre und deren Erscheinung, die Kometen und das Ringsystem 
des Saturn. — Als Manuseript gedruckt zu St. Johann a. d. Saar bei 
Boryszewski u. Kühn. — Die Schrift enthält auf 18 Octavseiten in 49 Pa- 
ragraphen eine Fülle haarsträubenden Unsinns z.B. Nr. 3: die Sonnen- 
Photosphäre besteht aus einer electromagnetischen Materie, welche... 
Nr. 4 Die Farbe dieser Materie ist braunviolett, in den Sonnenflecken er- 
scheint sie uns dunkelbraun auch braunviolett, in den Protuberanzen ro- 
saroth. 5. In einer nicht bestimmbaren Höhe über dieser electromagneti- 
schen Materie befindet sich als Produet derselben und sie rings umge- 
bend ein Lichtfluidum. Uebrigens müssen wir anerkennen, dass der Un- 
sinn noch nicht ganz so gross ist, als in einer andern Schrift, die wir 
neulich durchzusehen Gelegenheit hatten, in der alle möglichen naturwis- 
senschaftliche und andere Stoffe besprochen wurden und zwar, wie au[ dem 
Titel zu lesen: „alles mit Bezug auf die Unsterblichkeit der Metalle.“ 


Sbg. 
Physik. K.H Schellbach, über einen Apparat zur Er- 
mittelung der Gesetze des Luftwiderstandes. — Der vom 


Verf. construirte Apparat lässt sich kurz bezeichnen als einen Windfang, 
dessen Drehungsaxe auf einem grossen Aräomelter angebracht ist; die 


313 


Scheiben des Windfangs, welche den Widerstand der Luft bewirken sol- 
len, sind drehbar und können unter verschiedenen Winkeln gegen die Be- 
wegungsrichtung gestellt werden. Der Apparat wird durch regulirbare 
Gewichte und eine Schnur ohne Ende in Rotation versetzt und besitzt auch 
noch ein Zählerwerk, um die Zahl der Umdrehungen zu zählen. Wenn die 
Widerstandsscheiben nicht senkrecht gegen die Bewegungsrichtung gestellt 
waren, so bewirkte die senkrechte Componente des Luftwiderstandes ein 
Sinken des Aräeumeters, welches mit Hilfe eines Fernrohres ‘bestimmt 
werden konnte. Hieraus und aus der Zahl der Windrichtungen liessen 
sieh Werthe für den J,uftwiderstand berechnen, die zu ziemlich sichern 
Resultaten führten ; es zeigte sich, dass der Luftwiderstand abweichend 
von der bisherigen Annahme auch bei kleinen Geschwindigkeiten 
dem Quadrate der Geschwindigkeit ziemlich genau proportional ist 
(nicht der Geschwindigkeit selbst). Dle Versuche können in der verschie- 
densten Weise abgeändert werden undgzeigen, dass selbst kleine Aende- 
rungen in Luftdruck und Luftwärme eine merkliche Veränderung der Um- 
drehungsgeschwindigkeit bewirken: steigendes Barometer bewirkt eine 
Vergrösserung der Umluufszeit, steigendes Thermometer dagegen eine Ver- 
minderung. Die Versuche sind noch nicht abgeschlossen. — (Poyg. Ann. 
153, 1—14.) Sbg. 
E. Villari, über die Elasticität des Kautschuks. — 
Verf. versteht unter dem ERlasticitätscoefflieienten € die Verlängerung, welche 
ein elastischer Stab von der Länge 1 und dem Querschnitt 1 erleidet, wenn 
er durch das Gewicht 1 gedehnt wird, als Einheiten benutzt er Millime- 
ter und Kilogramm. (Der umgekehrte Werth 1/e gibt das Gewicht an, bei 
welchem der Stab — wenn es möglich wäre — auf die doppelte Länge 
gedehnt würde). Die äusserst sorgfältigen Versuche des Verf. zeigen, dass 
das Kautschuk, je nach der erlittenen Dehnung, drei verschiedene ERlasti- 
eitätscoefficienten hat: einen grossen constanten: 13—14, einen kleineren, 
ebenfalls ziemlich constanten (0,0034) und einen mittlern verändlerlichen, 
der rasclı abnimmt und die beiden vorigen verknüpft. Der grosse hält 
an, bis das Kautschuk die doppelte Länge erreicht hat, der mittlere 
bis es eine vierfache Länge angenommen hat, dann beginnt der kleine. 
Weitere Versuche beziehen sich auf die Veränderung, die das Kautschuk 
erleidet: es wurde das spee. Gewicht von ausgedehntem Kautschuk be- 
stimmt und bei wachsender Spannung immer kleiner gefunden, woraus 
sich ergiebt, dass das Kautschuk beim-Spannen eine Volumvergrösserung 
erleidet. Zum Schluss bespricbt der Verf. die Versuche von P.: Thomas, 
wonach das Kautschuk sich in der Wärme, wie die andern Körper aus- 
dehne — während Tyndall und Joule das Gegentheil gefunden haben. — 


(Ebda 88—100; 290—305.) Sbg. 
H. Schneebeli, über den Stoss elastischer Körper und 
eine numerische Bestimmung der Stosszeit. — Pouillet hat 


1845 ein Mittel angegeben, die Zeit zu messeu, während der zwei auf ein- 
ander stossende elastische Kugeln sich berühren. Er liess nämlich durch 
ein feines Galvanometer einen starken Strom gehen, welcher durch die Ku- 
geln geschlossen wurde: der Ausschlag des Galvanometers wächst danu 


314 


je nach der Dauer des Stromes, und man hat nur nöthig, den jeder Ab- 
lenkung entsprechenden Zeitwerth ausfindig zu machen. Zu diesem Zwecke 
wendet Schneebeli eine eiwas andere Methode als Pouillet an und findet bei 
Kugeln und Cylindern von Stahl folgende Resultate: Die Stosszeit nimmt 
zu mit der Masse des stossenden Körpers (ungefähr proportional). Bei 
zunehmender Fallhöhe wird die Stosszeit kleiner, Die Stosszeit nimmt ab, 
wenn der Krümmungsradius der Ausschlagfläche zunimmt, sie nimmt zu 
mit der Länge der Cylinder. Beim Stoss von ungleich grossen Kugeln, 
welche frei hängen, ist es für die Dauer der Berührung gleichgültig, welcher 
derselben der gestassene oder der stossende Körper ist. Für einen Fall 
wird die absolute Dauer des Stosses angegeben: Ein Cylinder von 695 
Gramm fällt 33mm tief gegen einen festen Stahlstab, die Stosszeit beträgt 
0,00019 Secunden. — (Ebda 135, 239 - 250.) Sbg. 
A.v.Waltenhofen, Bericht über eine neneThermosäule 
von grosser Wirksamkeit. — Herr F.No& in Wien (Fünfhaus Tell- 
gasse 12) hat eine neue thermoelektrische Säule von sehr starker Wirkung 
consiruirt, die bei vielen elektrischen Versuchen mit Vortheil statt der 
hydroelektrischen Kelten angewendet werden kann. Die beiden Metallge- 
menge scheinen Geheimniss des Erfinders zu sein. Eine aus 72 Elemen- 
ten bestehende Säule, welche in drei Combinationen angewendet werden 
kann, zeigt in der Combination I (vier einfache Gruppen) lebhafte Was- 
serzersetzung, Comb, Il (zwei doppelte Gr.) setzt Ruhmkorffsche Appa- 
rate von mittlerer Grösse in Thätigkeit und Comb, IV. (eine vierfache Gr.) 
endlich erzeugt bei Spiralen aus dieckem Draht sehr starke Elektromagnete. 
Diese Säule kostet 40 Gulden. Es gehört dazu eine Heizvorrichtung für 
Spiritus oder Gas und ferner eine Kühlvorrichtung, um die Lothstellen 
permanent in verschiedener Temperatur zuerhalten. — (Ebda 153, 
113—125.) Sbg. 
P.Secchi, eine neueMethode dieSonne spectroskopisch 
zu betrachten. — Ein Prismensystem @ vission directe wird in ge- 
eigneter Entfernung so vor dem Spalt des gewöhnlichen Spectroskops auf- 
gestellt, dass ein unreines, weit ausgedehntes Spectrum der Sonne auf 
den Spalt fällt; man sieht dann bei richtiger Einstellung im Sehfelde des 
letztern Spectroskopes ein sehr scharfes Bild der Sonne, die Flecke Er- 
scheinen darin deutlicher als bei Anwendung eines farbigen Glases. Die 
Ränder sind sehr scharf und selbst frei von der störenden Einwirkung der 
bewegten Luft. Die Protuberanzen geben sich durch ihre glänzenden Li- 
nien sofort zu erkennen. Stellt man die Linse C' an den Sonnenrand, so 
sieht man die Conturen der Pretuberanzen rings um die Flecke sehr schön, 
und die kraterförmige Gestalt der letztern tritt mit einer überraschenden 
Deutlichkeit hervor, ebenso zeigen sich die Fackeln sehr klar; nur darf 
man den Spalt nicht zu weit öffnen. — Behufs der Erklärung braucht 
man wol nur an die Helmholtzsche Methode zur Gewinnung reiner Spec- 
tralfarben zu erinnern. — (Ebda B. 153; S. 154—155.) Sbg. 
Chemie. Schulze, über Anthrakonsäure. — Bei Einwir- 
kung der Uebermangansäure in alkalischer Lösung auf Holzkohle entsteht 
neben Oxalsäure und andern organischen Säuren die Anthrakonsäure. In 


315 


Zusammensetzung und ehemischem Verhalten ähnelt dieselbe der Mellith- 
säure, unterscheidet sich aber durch die Unkrystallieität des Alaunnieder- 
schlages und dadurch, dass nascirender Wasserstoff in saurer Lösung nicht 
einwirkt. Ihre wahrscheinliche Forml ist &°H208 + 3H?0, die des Blei- 
salzes E°Pb208 + 3H?0, des krystallisirten Kalksalzes E8Ca?0° + H?0 
+ 5829. — (Rostocker Tageblatt 21.) 

B. Tollens, Versuche über die Allylgruppe.— Da es seit- 
her nicht gelungen, aus Allylalkohol direet Acrylsäure darzustellen, indem 
unter Bildung von Ameisensäure, dessen Molekül zersprengt wird, ver- 
wandte T. Allylalkoholbromid, oxy(irte dasselbe aus der bromhaltigen 
Säure, entfernte das Brom und gelangte so zur Acrylsäure. Als Oxyda- 
tionsmittel diente starke Salpetersäure und neben andern Produkten ent- 
steht eine krystallisirende Säure C3H?Br?02, welche nach dem Schmelzpunkt 
65 — 66° identisch mit Friedels Bibrompropionsäure ist. Diese giebt mit 
Zinkstaub unter heftiger Erhitzung eine durch Destillation mit Schwefel- 
säure und Behandeln mit Bleiglätte als Bleisalz zu erhaltende Säure. Das 
Bleisalz krystallisirt in den für das aery!saure Blei charakteristischen Na- 
deln und liefert entsprechende analytische Daten. Die freie Säure entfärbt 
Brom, mit Natron gesättigt giebt sie mit Silbersalpeter ein Silbersalz von 
den Eigenschaften und den Zalılen des acrylsauren Silbers. Hierdurch 


glaubt T. die Formeln CH? CH? CH? 
CH CH CH \ 


CHOR COH COOH 
Allylalkohol Acrolein Acrylsäure 

entgegen der nach den Resultaten der von Kekul€ ausgeführten Schmel- 
zung der Crotonsäure mit Kali ausgesprochenen Ansicht, sicher gestellt 
zu haben. Während schon nach einer frühern Untersuchun;; die Nicht- 
bildung von Essigsäure bei der Oxydation gegen die Formel CH?,CH,CH OH 
des Allylalkohols sprach, wird die Bildung der Friedelschen Bibrompro- 
pionsäure aus Allylalkoholbromid nach dieser Formel unverständlich. Ob 
Acrylsäuro sich in Propionsäure umwandeln lässt und ob sich geringe 
Mengen Propionsäure in den Versuchen gebildet haben, wird die weitere 
Untersuchung ergeben. — (Ebda 93.) 

Carstanjen, neueMethodeOÖxymonocarbonsäurenindie 
zugehörigen Dicarbonsäuren umzuwandeln. — Man erhitze 
die Aether der Oxylsäuren mit Ameisensäureäther und Phosphorsäurean- 
hydrid, wobei dann die Hydroxylgruppe mit Oxysäure mit dem an Koh- 
lenstoff gebundenen Wasserstoffatum der Ameisensäure zusammen als Was- 
ser auftritt. So gelang es, Milchsäure in Isobernsteinsäure überzuführen, 
welche durch die Analyse und durch das Verhalten ihres neutralen Am- 
moniumsalzes gegen Eisenchlorid identifieirt wurde. Verf. macht noch 
darauf aufmerksam, dass, wenn die Reaction in der aromatischen Reihe 
gelingt, wir dadurch ein Mittel erhalten, die Stellung der Seitenketten in 
den Oxybenzoesäuren mit Sicherheit zu bestimmen, für die Salicylsäure 
werde sich z. B. durch Ueberführung in Phtalsäure wahrscheinlich die von 
W. Meyer angenommene Stellung 1:2 ergeben. Als wasserentziehendes 


316 


Mittel für diese Reaction schlägt C. Borsäureanhydrid vor, da Phosphor- 
säure zu leicht die Phenvläther liefere. — V. Meyer hat bei ähnlichen 
Versuchen nur negative Resultate erhallen und hebt namentlich die von 
dem des Phosphorsäureanhydrids verschiedene Wirkung des Chlorzinks 
hervor, welches in der Hitze auf Aethyläther von Oxysäuren der Fettreihe 
unter Bildung von Chloräthyl totalen Zerfall des Moleküls herbeiführe. 
Bei dem Versuche Salicylsäureäther durch Erhitzen mit Ameisensäureäther 
und Phosphorsäureanhydrid in Phtalsäure überzuführen bemerkt M., dass 
er bei seinem Versuche salicylsaures Kalium durch Erhitzen mit ameisen- 
saurem Natrium in phtalsaures Salz überzuführen statt dessen nur die 
Bildung von Salieylaldehyd beobachtet habe. — (Ebda 95.) 

Fr. Goppelsröder, schnell ausführbare und genaue Me- 
thode der Bestimmung derSalpetersäure und über deren Menge 
in den Wasserquellen Basels. — Marx gab in Fresenius Zeitschr. f. anal. 
Chemie VII. 412 eine neue Bestimmung der Salpetersäure in Brunnenwas- 
ser. Er versetzt 50 Ce. Wasser in einem Kochkolben mit 100 Ce. con- 
centrirter reiner Schwefelsäure, wobei der Inhalt sich auf 1200 erhitzt. 
Dann wird unter Bewegung des Kolbens aus einer Bürette eine mit Was- 
ser sehr verdünnte Lösung von Indigoschwefelsäure zugegossen. Bei An- 
wesenheit von Nitraten wird diese sofort zersetzt und die Flüssigkeit gelb. 
Beim ersten Tropfen zuviel zugesetzter Indigolösung erscheint die Flüssig- 
keit grün. Die Indigolösung ist mit Hilfe einer Lösung chemischreinen 
Salpetersauren Kalis empirisch titrirt worden, man kann daher aus der 
verbrauchten Menge von Cc. der Indigolösung die Menge der Salpeter- 
säure in dem untersuchten Wasser bestimmen. Das Wasser darf freilich 
nicht andere leicht oxydirbare Stoffe enthalten, weil diese durch die bei 
Einwirkung der Schwefelsäure auf die Nitrate frei werdende Salpetersäure 
oxydirt wurden, somit weniger Indigolösung zerstört wurde. Dies ist zu- 
mal der Fall, wenn das Wasser in solchem Masse verunreinigt ist, dass 
sich die Verunreinigung schon der Nase zu erkennen giebt. Die Titration 
muss unter Umschütteln rasch ausgeführt werden. Die Temperatur darf 
nicht unter 100° C. sinken. Anwesenheit von Chloriden stört nicht. Diese 
Marx’sche Methode verbesserte Verf. wie folgt. Zur Titerstellung der 
Indigoschwefelsäurelösung wurde 2,0258 Gr. chemischreines salpetersaures 
Kali in 2 Liter destillirten Wassers gelöst, so dass 1 CC. der Lösung - 
0,C01013 Gr. sa!petersauren Kalis, also 0,00054 Gr. Salpetersäure ent- 
spricht. Andrerseits wurde eine verdünnte Indigosäurelösung bereitet und 
filtrirt, dann die Salpeterlösung titrirt und theilt Verf. nun die erhaltenen 
Resultate tabellarisch mit. Sichere Resultate aber erzielte er durch fol- 
gende Abänderung der Methode. Nach einem Versuche mit der Marx’- 
schen Methode wurde eine gleichgrosse Menge der Salpeterlösung zuerst 
mit der bei dem Vorversuche gefundenen Menge CCentim. Indigolösung 
versetzt und hierauf erst durch Umschütteln die Schwefelsäure zugefügt. 
Gegen Ende des Zusatzes der nöthigen Säuremenge entfärbte sich die In- 
digolösung ins gelbe, ein Beweis, dass nach Marx’ Methode zu wenig In- 
digolösung verbraucht wird. Jetzt wurde mit Indigolösung bis zur grü- 
nen Färbung nachtitrirt. Die erhaltenen Zahlen speciell mitgetheilt erge- 


31% 


ben im Mittel aus 10 Versuchen, dass 1 CCentim. Indigolösung 0,0002767 
Gramm N?O? entspricht. Nach Ermittelung dieser Methode bestimmte 
Verf. nun den Gehalt der Basler Wasser und zwar 18. Es ist nicht gleich- 
gültig, ob das Wasser lange an der Luft gestanden, da die Einwirkung 
des Sauerstoffs der Luft auf stickstoffhaltige organische Substanzen deren 
Stickstoff zuerst in salpetrige Säure, dann in Salpetersäure verwandelt. 
Umgekehrt kann durch Stehen des Wassers in verschlossener Flasche der 
Gehalt an Salpetersäure durch Reduction derselben durch die im Wasser 
enthaltenen organischen Stoffe abnehmen. Bei der Titration der verschie- 
denen Wasser mit Indigolösung blieb die Flüssigkeit vor Zusatz eines 
Ueberschusses derselben nur in wenigen Fällen farblos und wurde dann 
durch den überschüssig zugesetzten Tropfen Iudigolösung blau; in den 
meisten Fällen aber färbte sich die Flüssigkeit gelb und durch den Ueber- 
schuss der Indigolösung grün. Bei Berechnung des Salpetersäuregehaltes 
ist aber wohl zu beachten, dass das destillirie Wasser oft noch salpeter- 
saures Ammoniak und die natürlichen Wasser neben den Nitraten auch 
viel Nitrite enthalten. Die salpetrige Säure des zu untersuchenden Was- 
sers wirkt auf die mit Schwefelsäure vermischte Indigolösung ebenfalls 
oxydirend ein. Die für 1 Liter des untersuchten Wassers verbrauchte 
Menge der Indigolösung entspricht dann nicht nur der in dem Liter Was- 
ser enthaltenen Salpetersäure sondern auch der vorhandenen salpetrigen 
Säure. Bei blossen Spuren kommt der Fehler nicht in Betracht, aber bei 
reichlicher Menge muss diese besonders bestimmt werden, am schnellsten 
durch Ansäuern einer abgemessenen Menge Wassers mit Schwefelsäure 
durch Titration mit Kalipermanganatlösung,, nachdem vorher ohne Schwe- 
felsäurezusatz die etwa vorhandenen leicht oxydirbaren Stoffe mit dersel- 
ben Permanganatlösung titrirt wurden. Die Differenz der bei der zweiten 
und ersten Operation gefundenen Zahlen entspricht dem übermangansau- 
rem Kali, das zur Oxydation der salpetrigen Säure nöthig war. Diese 
aber entspricht einer bestimmten Menge der Indigolösung, welche von der 
Titration des Wassers mit Indigolösung gefundenen abgezogen werden 
muss, um die Menge von Indigolösung zu erhalten, welche wirklich blos 
der Salpetersäure entspricht. Während Scheurer Kestner Verf.s Methode 
vollkommen bestättigte, behauptet Trommsdorf in Zeitschr. anal. Chemie 
IX, 157, dass die Nitrite die Indigolösung nicht zerslören, was Verf. nicht 
ganz zugiebt. Bei den ökonomisch und industriell verwendeten Wassern 
kann man in fast allen Fällen die besondere quantitative Bestimmung der 
salpetrigen Säure weglassen. In guten Quellwassern finden sich nur Spu- 
ren von salpetriger Säure, während Salpetersäure ein normaler Bestand- 
theil. Erhält man mehr als spurenweise Reaction auf Nitrit: so ist das 
Wasser zum Genusse untauglich. Die in dem zur Verdünnung der Indi- 
golösung in Schwefelsäure verwendeten destillirten Wasser enthaltene Schwe- 
felsäure sowohl wie die salpetrige Säure wirken natürlich auch auf den ge- 
lösten Indigo oxydirend ein, sobald sich die Lösung durch Vermischen 
mit Schwefelsäure erwärmt, was jedoch gleichgültig, weil das Verhältniss 
der Indigolösung zu Kalinitrat unter den gleichen Umständen ermittelt 
wurde und sowohl bei der Ttrirstellung als auch bei der Titration von 


318 


Brunnenwassern die Indigolösung dadurch um denselben Grad verdünnter 
erscheint. Die Menge von salpetriger uud Salpetersäure aber, die in dem 
zum Auflösen des Kalisalpeters angewendeten destillirten Wassern enthal- 
ten ist darf nicht unbeachtet bleiben. Man braucht nur die Menge der 
Indigolösung zu bestimmen, welche durch die in 1 Liter destillirten Was- 
sers enthaltene Menge der beiden Säuren zerstört wird, um die Menge 
der Indigolösung zu kennen, welche für die in 1 Liter Salpeterlösung 
enthaltene Menge reinen salpetersauren Kalis nöthig wäre. Verf. be- 
schreibt seine bezüglichen Versuche näher und giebt die periodischen Be- 
stimmungen des Gehaltes verschiedener Basler Quellen an Salpetersäure, 
den Minimal- und Maximalgehalt in 5 verschiedenen Monaten. Nirgends 
fehlen die Nitrate, selbst in den besten Quellwassern nicht; die Nitrite 
sind oft gar nicht, doch auch in geringer und grosser Menge vorhanden. 
Reines Quellwasser giebt höchstens nur eine schwache Reaction auf Ni- 
trite. Immer beweist ein Gehalt an Nitraten und Nitriten eine Verunrei- 
nigung durch locale Einflüsse, durch Abtritte, Kloaken, Ställe, Fabrikwas- 
ser etc. Die Anwesenheit der Nitrite ist ein Zeichen der chemischen Thä 
tigkeit der Beweglichkeit der organischen Stoffe; die Nitrite sind stets als 
Zwischenstufen eines pro - oder regressiven Umwandlungsprocesses zu be- 
trachten. Wasser mit grössern Mengen Nitrit sollte nicht getrunken wer- 
den, ebensowenig solches mit mehr als normaler Menge der Nitrate. Ueber 
die Gränzen dieser Mengen können die Ansichten getheilt sein. Verf. 
theilt noch eine neue Operation zur Bestimmung der Salpetersäure in 
Grundwassern mit, in welchen die Zersetzung der organischen Stoffe leb- 
hafter ist. — (Basler Werhdigen V, 462—484.) 

Derselbe, Chemie der atmosphärischen Niederschläge. 
— Das Wasser nimmt bei dem Aufsteigen von der Erde und auch in der 
Luft gewisse Stoffe auf und wird durch diese zum Träger chemischer Ver- 
bindungen, die z. Th. wichtige Nährstoffe für die Pflanzen sind. In Dunst- 
und Dampfform schwängert es sich noch weiter mit Produeten der Föul- 
niss und Verwesung. Die chemische Untersuchung der atmosphärischen 
Wasser hat daher ein mehrfaches sehr hohes Interesse. Im Regenwasser 
und Schnee wurden bisher als hauptsächliche Bestandtheile aufgefunden 
Wasserstoffsuperoxyd, salpetrige Säure, Salpetersäureund Ammoniak, viele 
andere aufgelöste und blos suspendirte Stoffe sind zufällige, blos lokale 
Beimengungen so von Sümpfen, Leichenfeldern, den Schornsteinen der 
Fabriken etc. Das Vorkommen des Wasserstoffsuperoxydes erinnert an 
Schönbeins Thatsache, dass bei jedem Oxydationsprozesse Minus und Plus 
Ozon auftreten. Bei dem gewöhnlichen Verwesungsprozesse. wird Sauer- 
stoff. theils ozonisirt theils antozonisirt. Das Minusozon wirft sich auf den 
Sauerstoffgierigen Kohlenstoff und Wasserstoff der organischen Stoffe, bil- 
det Kohlensäure und Wasser; das Antozon tritt zum Wasser und bildet 
Wasserstoffsuperoxyd, das zum geringsten Theile in die Atmosphäre ge- 
langt. Bei allen andern Oxydationsprocessen findet dasselbe statt, auch 
im Luftmeere noch wird Wasserstoffsuperoxyd neben Ozon, besonders bei 
elektrischen Entladungen gebildet. Die Reste des gebildeten Ozons wei- 
sen wir in der Luft selbst, die Reste des Wasserstoffsuperoxyds aber im 


319 


atmosphärischen Wasser nach. Dass von letztem doch nnr Spuren in der 
Luft und deren Wasser gefunden wird hat seinen Grund einmal darin, 
dass sich stets das freie Ozon, und das im Wasserstoffsuperoxyde enthal- 
tene Antozon zu gewöhnlichem Sauerstoff und Wasser ausgleichen und 
zweitens zerlegen gewisse Binflüsse das Wasserstoffsuperoxyd in Wasser 
und in Sauerstofl. Erst in seinem letzten Jahre 1868 fand Sehönbein das 
längst vermuthete Wasserstoffsuperoxyd wirklich im Regenwasser und in 
der Luft dureh ein sicheres Reagens. Der spätere Niederschlag reagirt 
stets schwächer als der erste und frisch gefallenes Wasser mit auffälliger 
Reaction verliert dieselbe nach zwölfstündigem Stehen, weil gewisse or- 
ganische und unorganische Substanzen das Wasserstoffsuperoxyd zu ka- 
talysiren vermögen. Schönbein gab mehrere Miltel zum Nachweise an. 
Struve wies gleichzeitig das Wasserstolisuperoxyd nach durch Jodkalium- 
stärkekleister mit Beihilfe einer Bleilösung, geeignet erscheint seine Au- 
wendung des Doppelsalzes Fisenoxydulammonsulfat und dann statt der 
Bleiaeetatlösung eine alkalische Bleilösung. Der Niederschlag wird gesam- 
melt und mit Wasser ausgewaschen, bei geringsten Spuren von Wasser- 
stoffsuperoxyd enthält er Bleisuperoxyd und giebt daher mit Jodkalium- 
stärkekleister und etwas verdünnter Essigsäure rasch die blaue Färbung. 
Die vier wichtigsten Reactionen auf Wasserstoffsuperoxyd in atmosphäri- 
schen Niederschlägen sind 1. Bläuung von Guajaetinetur bei Zusatz von 
Malzauszug; 2. Herstellung eines Niederschlages von Bleisuperoxyd mit 
Hilfe alkalischer Bleilösung und Reaction auf das Bleisuperoxyd mit Jod- 
kaliumstärkekleister und verdünnter Essigsäure; 3. Blänung von Jodka- 
liumstärkekleister bei Zusatz von Bleiacetatlösung und verdünnter Essig- 
säure; 4. Bläuung von Jodkaliumstärkekleister bei Zusatz von etwas 
Eisenvitriollösung, welche die am wenigsten empfindliche Reaction ist. — 
Das Ammoniak, bei Fäulniss stiekstoffhaltiger organischer Stoffe sich bil- 
dend, gelangt fort und fort in die Atmosphäre, verweilt aber nicht in die- 
ser Menge, da es erstens mit Kohlensäure, salpetriger Säure und Salpe- 
tersäure zusammentrifft und Carbonat, Nitrit und Nitrat bildet und da es 
zweitens durch das in der Atmosphäre stets thätige Ozon sich in salpe- 
trige Säure und schliesslich in Salpetersäure und anderseits in Wasser 
verwandelt. Zum Nachweise des Ammoniaks wendet Reuling mit Haema- 
toxylin und Chloraluminium imprägnirtes Papier an, es bildet sich ein Lack 
aus Thonerde und Haematoxylin. Diese Reaction ist sehr empfindlich. 
Bohl schlägt ein Sublimat vor, dem man jedoch noch einige Tropfen Kali- 
careonatlösung zufügen muss. Allbekannt ist das Nesslersche Reagenz, 
die alkalische Quecksilberjodid-Jodkalinmlösung. — Die salpetrige Säure 
findet sich nicht frei, sondern als Ammonsalz vor, Sie bildet sich auch 
durch langsame Oxydation des Ammoniaks, wobei gleichfalls Ammonsalz 
resultirt, die aber nur eine Zwisehenstufe zwischen Aınmoniak und Nitrat 
ist. Nach Schönbein besitzt die salpelrige Säure mit Wasser gemischt 
ein viel grösseres oxydirendes Vermögen wie eine gleich wasserfreie Sal- 
petersäure, ja Salpetersäurelösung kann auf manche oxydirbaren Substan- 
zen gar nicht mehr einwirken, welche von gleich verdünnter salpetriger 
Säure noch auf das lebhafteste oxydirt werden. Die wichligsten Reagen- 
Zeitechr. f. d. ges. Naturwiss. Bd. XXXVIIl, 1871. 23 


320 


tien sind 1. Jodkaliumstärkekleister nach Ansäuerung, 2. durch Wasser- 
stoffschwefel entfärbte Indigotinetur, 3. Diamidobenzoesänre, — Die Sal- 
petersäure in den atmosphärischen Niederschlägen ist das Produet der 
vollendeten Oxydation des Stickstoffes, entstanden entweder aus dem Fäul- 
nissproducte Ammoniak oder aus dem Stickstoffe organischer Substanzen 
oder auch aus dem atmosphärischen freien Stickstoffe durch Einwirkung 
des Ozons. Wie schon bemerkt geht neben der Bildung des Ozons die 
des Antozons her, nebei den Oxydationen durch Ozon, neben der Bildung 
von salpetriger Säure und Salpetersäure geschieht stets auch die Oxyda- 
tion durch Antozon, die Bildung des Wasserstoflsuperoxyds, dieses ist 
aber noch labiler als die Salpetersäure, deshalb treffen wir Nitrat in je- 
dem atmosphärischen Niederschlage viel reichlicher als Wasserstoffsuper- 
oxyd an. Zu ihrer quantitativen Bestimmung wandte Verf. die im vori- 
gen Referat angegebene Methode an und giebt die seit Oktober 1870 aus- 
geführten Bestimmungen der Salpetersäuremenge im Regenwasser und 
Schnee an und zwar von 98 Niederschlägen. Es stellen sich die Minimal- 
und Maximalgehalte einer Milliontheile der atmosphärischen Niederschläge 
an Salpetersäure N303 resp. Ammonnitrat N2H203 also heraus, wobei in 
erster Rubrik die Gesammtmenge der atmosphärischen Niederschläge in 
Mm. angegeben: 
Minimum Maximum 
N20, N?2H403 N?0° N2H403 
Oktober 1870 102,2 Spur Spur 13,6 20,1 


Novemb.  , 123,9 0,5 0,7 1,2 1,8 
Decembr. ,„ 91,2 0,4 0,5 9,3078 
Januar 1871 37,4 3,1 4,6 9,378 
Februar ,„ 38,5 2,2 3,2 4,4 (0,5 
März ss 27,5 2,6 3,8 121882 
April % 107 12 456,8 
Mai 55 41,3 242 3,2 10,0 14,3 
Juni „ 114,5 2,3 3,2 06,2 


Es ergab sich als Minimalgehalt einer Milliontheile eine Spur von Salpe- 
tersäure resp. Ammonnitrat als Maximalgehalt 13,6 Salpetersäure vesp. 
20,1 Ammonnitrat, worin 7,03 Stickstoff enthalten sind. Frühere Beobach- 
ter fanden in einem Milliontheile atmosphärischer Niederschläge 0,1 — 16 
Salpetersäure. Nach des Verf’s Methode ist es nun jedem Forscher auch 
Nichtchemiker leicht den bezüglichen Gehalt der Niederschläge auf seineu 
Reisen und Exkursionen zu bestimmen und werden daher die Bestimmun- 
gen nunmehr auch zahlreicher werden, Er schlägt folgende einfache Ope- 
rationen vor: 1. Nachweis des Wasserstoffsuperoxyds mit Guajaktinetur 
und Eisenvitriol, 2. Nachweis salpetriger Säure mit Jodkaliumstärkeklei- 
ster in angesäuerter Flüssigkeit, 3. Nachweis des Ammoniaks resp, der 
Ammonsalze mit Sublimat- und Kali- oder Kalicarbonatlösung, 4. Titra- 
tion der Salpetersäure mit Indigolösung. — Schliesslich weist Verf. noch 
auf die Bedeutung der in der Luft enthaltenen Stickstoffverbindungen für 
die Pflanzenwelt hin. Bekanntlich sind für die Aneignung der organi- 
schen Stoffe durch die Pflanze anorganische Materialien nöthig und die 


321 


stiekstoffhaltigen organischen Stoffe, welche für die Bestandtheile,des Pro- 
toplasmas der Zellen unentbehrlich sind, können in der Pflanze aus stick- 
stofffreien organischen Stoffen entstehen. Nach Boussingault sind die Pflan- 
zen darauf angewiesen sich ihren Stickstoff in gebundener Form anzueig- 
nen. Als mögliche Quellen des Stickstofis haben wir zunächst Ammoniak, 
Nitrate und Nitrite. Die in einem bis dahin vegetationslosen, völlig un- 
organischen Boden wurzelnde Pflanze erhält ihren Stickstoff erstens durch 
die atmosphärischen Niederschläge als Ammonnitrat und Ammonnitrit und 
durch das Ammoniak der Atmosphäre, zweitens durch die im Boden fest- 
gehaltenen Mengen dieser Stoffe von frühern Niederschlägen, drittens durch 
die fortwährend im Boden erzeugten Mengen Ammoniak, Nitrite und Ni- 
trate. Besondere Beachtung verdient Schönbeins Nachweis der Bildung 
von Ammonnitrit beim langsamen Verdampfen des Wassers. Die Menge 
der atmosphärischen Stickstoffverbindungen ist noch nicht ermittelt. Verf. 
beabsichtigt diese wichtigen Untersuchungen noch fortzusetzen und schliesst 
mit einer Notiz für die, welche sich der verbesserten Methode der Salpe- 


tersäurebestimmung bedienen wollen. — (Basler Verhdigen V, 485 - 502, 
Geologie. Alb. Müller, die Gesteine des Geschenen-, 
Gomern- und Maienthales. — Das westlich vom Reussthal zwischen 


Amsläg und Andermatt gelegene aus Granit und krystallinischen Schiefern 
bestehende Hochgebirge ist die Fortsetzung des Centralmassivs des Finster- 
aarhornes, dessen fächerförmiger Schiehtenbau ein econstantes Streichen von 
NO nach SW entsprechend dem Hauptstreichen der Alpen zeigt. Die Ge- 
steine entsprechen in der That auch denen der Ostseite, fallen gleichfalls 
70-850 SO ein. Während in OÖ des Etzli und Fellithal den Schichten- 
fächer quer durchschneiden und die fast vertikale Schichtung blos legen, 
thun das die westlichen Thäler weniger, am wenigsten das von SW nach 
NO ziehende Geschenenthal. Maien- und Gomernyhal durchschneiden den 
Fächer zwar nicht senkrecht, aber nur wenig schief, so dass das Einfallen der 
steilen Gneistafeln deutlich zu beobachten. In beiden Thälern treten Stöcke 
eines grobkörnigen massigen Granites auf, welche die westliche Fortsetzung 
der Granitstöcke des Fellithales bilden. Thaleinwärts folgen diesem Gra- 
nite steile Gneis- und Schiefertafeln, dann wieder Granit und abermals 
solehe Tafeln. Die Granite sind meist horizontal zwar geklüftet, die Klüfte 
von beiden Seiten gegen das Thal geneigt, die vertikale Zuklüftung tritt 
zurück. Es herrscht also in diesen Thälern ein mehrmaliger Wechsel 
von senkrechten Gneistafeln und massigen horizontal geklüfteten Graniten, 
die hinten im Thal fehlen. Im Geschenenthal fehlen diese Wechsel, nur 
ein mächtiger Granitstock steht auf der SSeite gleich beim Eintritt ins 
Thal, weiterhin folgen noch einige granitähnliche Stöcke, die bei den Bieg- 
ungen des Thales auch auf die linke Seite überspringen. Solche granit- 
artige Gneisse kommen auch im Maien- und Gomernthal vor. Verf. be- 
schreibt zunächst die in allen drei Thälern auftretenden Gesteine. 1. Mas- 
siger Granit, protoginähnlich, grobkörnig, Orthoklas vorherrschend oft in 
deutlichen Zwillingen, bisweilen auch Oligoklas mit feiner Zwillingsstrei- 
fung; grauer Quarz, dunkelgrüner bis schwarzer Glimmer feinschuppig und 
spärlich, bisweilen hellgrüner grobschuppiger Talk (kein eigentlicher Talk 


22* 


322 


sondern ein eigenthümlicher Glimmer) oder vielmehr Talkglimmer, wahr- 
scheinlich aus der Umwandlung des Oligoklas entstanden. Zufällig er- 
scheinen auf Klüften grüner Epidot, selten Bergkıystall. Die massigen 
Stöcke sind eruptive Granite, die Fortsetzung derer des Fellithales. 2. 
Gneiss schiefrig und bankförmig, mit 80—85° SO Einfallen, stellenweise 
senkrecht und mit NW Einfallen, mit vielfachem Wechsel der Varietäten. 
Eigentlicher Urgneis mit regelmässig flasiger Struktur fehlt. Unreine 
Gneisse mit flasriger oder granitartiger Struktur je nacıı der Vertheilung 
des Glimmers, führt oft Zwillinge von Orthoklas, die Knotenstruktur und 
Augengneis verursachen. Auch der graue Glasquarz bildet bisweilen Knoten; 
Albitkrystalle vertreten die Oligoklaskrystalle; feinkömiger Quarz fehlt 
bisweilen ganz; der Glimmer meist in Lagen und Flasern. Ganz eigen- 
thümliche Gneisvarietäten verdienen keinen Namen. (uarzitgneis mit 
flasrigen Partien feinkörnigen Quarzes und Abwesenheit grössern Glas- 
quarzes, mit feinschuppigem oder schuppig fasrigem Glimmer , aber ohne 
Talkglimmer. Stellenweise ist dieser Gneis ganz schiefrig, an andern 
Stellen dem ächten Gneiss ähnlicher, oft bilden grosse Orthoklaszwillinge 
grobknotige Struktur und schönen Augengneis. Die dünnschiefrigen Va- 
rietäten nähren sich dem Glimmerschiefer, die grobschiefrigen werden bis- 
weilen Quarzgranit, alle Varietäten aber gehen durch zahlreiche Ueber- 
gänge in einander, haben also auch gleichen Ursprung, sind durch chemisch 
krystallinische Umwandlung früherer dünn und grobgeschichteler sedi- 
mentärer Gesteine entstanden. Quarz und Quarziigranite kommen 
überall vor, sehr schön im Geschenenthal hier fast dem Gotthard-Granit 
gleich. Die Quarzitgneisse hält Verf. für Umwandlungsprodukte sedimen- 
tärer Sandsteine durch Infiltration der zur Feldspath- und Glimmerbildung 
nöthigen Stoffe und erklärt alle krystallinischen Schiefergesteine zu beiden 
Seiten des Reussthales für paläozoische melamorphische Sedimentgesteine 
einer einzigen Gruppe, die wahrscheinlich mit den Casannaschiefern zu- 
sammen fallen. Eingelagert in den Gneis finden sich scharf jumgränzt 
rundlich oder eckige Stücke eines flaserigen Gemenges von dunkelgrünem 
Glimmer und dichtem oder körnigen Feldspath, sie sind häufig und sehr 
räthselhafter Entstehung, vielleicht waren sie Thongallen im ursprünglichen 
Sandstein. Da solehe Einschlüsse auch im Centralmassivgranit des Finster- 
aarhornes vorkommen : so möchte Verf. auch diesen als metamorphosirtes 
Sedimentgestein deuten, doch dürften manche derselben emporgerissene 
Gneisstücke im eruptiven Granit sein. An Mineraleinschlüssen sind die 
Gneisse und Granite der drei Thäler sehr arm: Adular und“Albit selten 
deutlich krystallisirt, auch Chlorit nicht häufig, Bergkrystall sehr gemein 
in Klüften und reich am Trapezoederflächen; ein Eisenkieswürfel mit 
Bröckehen eines grobkörnigen Granits an der Geschenenalp gefunden. 3. 
Die Schiefer sind dünnblättrige Thon-- und Talkglimmerschiefer, grau und 
grün, aber keine ächten Chlorit- und Glimmerschiefer, wohl aber eigen- 
thümliche Felsitschiefer sehr hart, dicht, feinsplittrig, hornsteinähnlich, 
bisweilen aus Feldspathkryställehen. — Ausser diesen 3 beschriebenen Ge- 
steinen treten noch folgende untergeordnet auf. 4. Diorite, gleichartig 
grobkörnig dunkelgrün oder weissgrün mit ungleicher Vertheilung beider 


323 


Bestandtheile, und reines Hornblendegestein, eine se pentinartige Felsart 
mit glänzenden Diallag-Einschlüssen. 5. Mineralien aus der Zone der Horn- 
blendegesteine hie und da, grüne Chloritgneisse mit kreuzförmigen Har- 
motomzwillingen, hellgrünen Specksteinschiefer, grasgrüner Fuchsit. 6. 
Quarzporphyr grau dieht splittrig, mit Glassquarz in weissen Orthoklas- 
krystallen in einem Block im mittlern Maienthal beobachtet, andrer Por- 
phyr mit Glimmer im Gomernthal, 7. Kalksteine dicht dunkelgrau schiefrig 
und plattig mit oolithischen Bänken wechselnd nur im Maienthal mitten 
im kıystallinischen Schiefer, dem Verf. eine nähere Beschreibung widmet. 
An der Gränze zum Gneis Sehritt für Schritt alle Uebergangsstufen vom 
wahren Kalk vis zum Gneis. Nachdem Verf. noch die Hebungen und 
Spaltungen, die Verwitterung und Erosion beleuchtet fasst er die Resul- 
tate seiner Untersuchungen kurz zusammen. Wie im O so besteht auch 
im W. des Reusstlhales das Gebirge vorherrschend aus krystallinischen 
Schiefern und gneisartigen metamorphischen Gesteinen mit steilem Schich- 
tenfall. Ausser dieser walıren Schichtung tritt noch vertikale nnd hori- 
zontale Zerklüftung auf. Zwischen den Schiefern und Gneissen sind Stöcke 
eines eruptiven Granit eingeschaltet. Unter der schiefrigen und gneis- 
artigen Gesteinen herrschen solche mit feinkörnigem Quarz vor, die aus 
sedimentären Sandsteinen und sandigen Mergelschiefern entstauden sind. 
Auch bei den?Graniten und Syeniten haben einzelne Bestandtheile spätere 
Umwandlungen erlitten, ist z. B. Hornblende häufig in dunkelgrüneu fein 
sehuppigen Glimmer oder in Chlorit umgewandelt. Die schwach umg ränz- 
ten «dunkelgrünen Einlagerungen in den Granit-Gneissen sind keine ge- 
mischten Ausscheidungen sondern eingefüllte Bruchstücke benachbarter 
Gesteine. Untergeordnet treten Diorite und andere Hornblendgesteine auf. 
Zwischen der steilen Gneismasse des Maienthales steht bei Fernigen ein 
mächtiger Stock Jurakalk mit zikzakförmigen Schichten, ein zweiter Kalk- 
stock bei der Grossalp. Zwischen Gneis und Kalkstein finden sich alle 
Uebergangsstufen. Die Seitenthäler der O und W Gebirgsgruppe und das 
Reussthal sind nieht reine Erosionsthäler, sondern Spaltenthäler, durch 
spätere Erosion vertieft oder erweitert. Das Hauptagens der Erosion ist 
nicht die mechanische Abreibung in den Flussbetten und der Gletscher, 
sondern die Zerklüftung und Verwitterung 'an den Thülwänden durch die 
Atmosphärilien. In der östlichen Gebirgsgruppe herrschen die schiefrigen 
in der westlichen die mehr massigen und gneisartigen Gesteine, deren 
chemischkrystallinische Umbildung weiter vorgeschritten ist. — (Basler 
Verhandlign. V, 419—451.) 

Bäumler, Vorkommen der Eisensteine im westphä- 
lischen Steinkohlengebirge. — Die technische Wichtigkeit und das 
hohe geognostische Interesse der niederrheinischwestphälischen Steinkohlen- 
beeken haben bereits viele wichtige Arbeiten über dieselben veranlasst, so 
besonders von v. Deehen und Lottner, und ist in den letzten Jahren dort 
in ungeahnter Weise auch die Eisenindustrie aufgeblüht, die sich bereits 
auf 8 Millionen Centner im Jahre gesteigert hat. Ihre Bearbeitung macht 
Verf. zum Gegenstande seiner beachtenswerthen Abhandlung. — a. Die 
Vorkommen der Eisensteine in Westphalen sind meist erst seit 


324 


15 Jahren entdeckt und sind sehr ausgedehnt. Als älteste oder mittel- 
devonische sind die Roth- und Brauneisensteine von Sundwich oder Iser- 
lohn und an einigen andern Orten zu betrachten, ferner der Brauneisen- 
stein im Kramenzel bei Wülfrath, dessen kleine Mulden im devonischen 
Kalk, aber vielleicht tertiär sind. Zwischen Kohlenkalk und Culm liegen 
N von Velbest Brauneiseusteine 1/,—14/;, Lachter mächtig in !/, Meile Er- 
streckung. lm productiven Kohlengebirge treten Flötze von Eisenstein 
und Spatheisenstein, Thoneisensteine und Sphärosideritnieren auf. Der Zech- 
steindolomit bei Ibbenbüren führt bis 11 Lachter mächtige Brauneisen- 
steine. Der Trias fehlen die Eisensteine, aber der Jura führt viele. Der 
Lias bei Altenbecken iund Willebadessen 7-14‘ mächtigen oolithischen 
Rotheisenstein und Sphärosiderit, der braune Jura der Porta ein 47 
starkes, 2 Meilen langes Oolitheisenstein Flötz und mehre Schichten Sphä- 
rosideriten, bei Pr. Adendorf reinen krystallinischen Spatheisenstein aus 
Klüften. Auf der Gränze zwischen Muschelkalk und Hilssandstein bei 
Altenbecken liegt ein Lettenflötz mit derbem Brauneisenstein von vorzüg- 
licher Güte. Ebenda tritt auch im untern Hils ein Bohnerzlager auf, bei Och- 
truft im mittlern Neocomthone zahlreiche Flötze von glatten Sphärosiderit- 
nieren auf 14/, Meile Länge und 1 Meile Breite. Wo der Grünsand un- 
mittelbar auf dem Kohlengebirge lagert findet sich häufig als unterste 
Schicht ein Bohnerzlager. Endlich führt der Pläner bei Sperane auf 
Klüften dichten Brauneisenstein. Raseneisenerze wurden auf mehreren 
Hütten verarbeitet. —b. ArtenderEisensteineimKohlengebirge, 
Es sind deren drei, welche das Eisen als kohlensaures Oxydul führen und 
nur am Ausgehenden als Oxydhydrat: 1. körniger Spatlieisenstein, gelb- 
lich bis schwärzlich grün, krystallinisch, weiss ungeschichtet, fast reines 
kohlensaures Eisenoxydul. 2. Kohleneisenstein als Blackband, ein Gemenge 
von kohlensaurem Eisenoxydul mit etwas Kieselthon und Kohle. 2, Thoniger 
Sphärosiderit im Schieferthon, technisch von untergeordneter Bedeutung. 
1. Spatheisenstein wurde zuerst bei Hattingen erkannt auf beiden 
Flügeln des Hauptsattels, der die südlichste Sprockhövel Hörder von der 
mittlen Werden-Bochumer Mulde trennt, und ist im SFlügel weithin aufge- 
schlossen. Hier im Hangenden zeigt sich eine ganz andere Spathpartie 
als im NFlügel. Verf. legt die weite Verbreitung specielldar. Das eigent- 
liche Spatheisensteinflötz besteht aus einem Packen von wenigen Zoll 
bis 41/,° Mächtigkeit, meist ohne Schichtung und sehr fest, aus dicht ge- 
drängten krystallinischen Körnchen gebildet, die Körnchen meist fein 
krummblättrig, der Bruch feinkörnig schimmernd, im Grossen muschlig und 
splittrig. Das derbe Erz ist stellenweis porös und die Hohlräume im In- 
nern traubig. Farbe licht bis schwärzlich grau, schwarzfleckig von ein- 
gemengter Kohle, auf feinen Klüften mit Schwefelkies, auch Arsenikkies, 
Bleiglanz und Blende, Schieferthon in feinen weissen Adern. Am Aus- 
gehenden ist der Spatheisenstein durch Einwirckung der Atmosphärilien in 
Brauneisenstein verwandell. Im Allgemeinen ist das Vorkommen ein 
nieren- oder linsenförmiges, die einzelnen Linsen von Zoll bis mehre 100 
Lachtergrösse, durch unbauwürdige Mittel getrennt. Auf Müsen III sind 
4 solche Erzmittel aufgeschlossen , das östliche 450 Lachter lang, dann 


325 


100 Lachter Länge unbauwürdig, wieder 120 Lachter Erz, nach 150 Tachter 
abermals 150 Lachter Erz, nach 20 Lachıter Verdrückung wieder 30 Lachter 
bauwürdig. Alle Hauptmittel senken sich von NO nach SW ein. Aehn- 
lich verhalten sich die Mittel im liegenden Flötze des Davidschachtes. Im 
Bau von Müsen IV ist das Flötz auf 130 Lachter aufgeschlossen. Die 
tiefste III. Sohle am Davidschachte liegt 861/, Lachter, am Adolphschachte 
die IV. Sohle 107 Lachter tief. Unter dem Flötz liegt meist ein Packen 
Kohle von 1—12‘ auf sandigem Schiefer. Ein anderes Verhalten wurde 
auf Ferro IV bei Blankenstein beobachtet, nämlich in kleineren Sätteln 
und Mulden ; zuweilen als Mittel im Kohlenflötz, mit Kohlen- und Schwefel- 
kies innig gemengt. An einer andern Stelle sind die Eisennieren zu 
Schnüren gereiht oder einzeln in Schieferthon zerstreut. Trotz der grossen 
Unregelmässigkeit im Auftreten lassen sich zwei zusammenhängende Flötze 
erkennen, beide mit Sphärosideritnieren im hangenden und dem Kohlenflötz 
im Liegenden. VonRegina bis Müsen III und von Müsen IV bei Dilldorf 
liegt 90 Lachter über dem Eisensteinflötze eine Conglomerätbank, zwischen 
Beiden sind die Flötze schmal. Andrerseits entsprechen sich aber die 
Schichten auf beiden Flügeln gar nicht, der SFlügel hat gar keine nor- 
male Schichtenfolge. Die Analysen des Spatheisensteines ergaben 


l. ungeröstet Il. geröstet. 

Si 03 070 3,13 0,79 1,85 4,45 | as 
AC203 0,61 327 0,9 066 3,506 ” 5,88 
Fe203 4,14 3,05 0,91 3,00 85,27 68,0 73,47 
FeO 54,80 49,90 51,85 51,94 — ag; — 
MnO 0,98 0,25 146 0,62 0,385 — —_ 
Ca0 0,77 2310 2,82 1,291 0,52 
MgO 0,45 2,50 351 2,72! 94 200 \o56 
ZnO Spur 0,1040 — — — 
co? 34,93 34,55 37,91 36,31 — 

Po5 0,30 0,68 1,19 Spur 2 19,9 0,96 
FeS2 0,30 021° 0,08 0,29 0,44 
HO 0,70 050 011 049 — = = 


Organ-Substz. 0,52 0,27 0,21 056 — — 841 
Summa 99,20 100,41 101,83 100,89 99,65 9%,5 99,07 
Eisen in I, 45,66 41,04 41,02 42,64 — — — 

Eisen in Il. 65,30 53,50 59,60 62,1 —_ 586,0 51,43 
Der Eisenstein ist also ein sehr reiner Spatheisenstein. Die Kiesel- 
und Thonerde scheinen von mechanischanhaftenden fremden Bestandthei- 
len herzurühren. Schwefel scheint in Form von Doppeltschwefeleisen nie 
ganz zu fehlen, durchschnittlich 0,4 Proc. Schwefel, Phosphor 0,2 im 
rohen Erze oder 0,5 Proc. im metall. Eisen. Der Durchschnittsgehalt des 
rohen Erzes stellt sich auf 40 Proc. Die Menge der Schlackengebenden 
Bestandtheile beträgt etwas über !/, des Eisengehaltes. Die Austreibung 
der fası die Hälfte des Erzes betragenden flüchtigen Bestandtheile lockert 
dasselbe bedeutend auf und begünstigt daher das Eindringen der redu- 
eirenden und kohlenden Gase. Der Gehalt an Schwefel und Phosphor ist 
zu gering, um die Qualität des Eisens zu beeinträchtigen. -—- 2. Das Black- 


326 


band ist in verschiedenen Lagerstätlten nachgewiesen, in W., O., S. und 
N. und wird meist da abgebaut, wo Mergel im Hangenden fehlt. Verf. 
beschreibt die einzelnen Vorkommnisse nämlich als Blackbandflötze der 
liegenden Partie in der Sprockhöveler Gegend, bei Holdhausen-Hattingen, 
Kirchhörde bis Aplerbeck, bei Hattingen, von Steele bis Werden, bei Mül- 
heim, dann als Blackbandflötze der mittlern Partie die Gegend von Bochum, 
Altendorf und zuletzt noch anderweitige Vorkommen von Kohleneisenstein. 
Wegen des reichen Details dieser Absslınitte müssen wir auf das Original 
verweisen. Die Kohleneisensteine sind schwarze graue und braune schief- 
rige Gesteine, matt bis schimmernd auf dem sehr feinkörnigen, in armen 
Varietäten fast erdigen Bruche. Die reichen Varietäten haben 2, S—3 
spec. Gew., 3—4 Härte. Der Bruch im Grossen ist schiefrig oder flach- 
muschlig, quer gegen die Schichtungsflächen gebrochen oft gebändert. In 
armen Varietäten sinkt das sp. Gew. auf 2,1, der Kohlengehalt steigt. 
Die reichen Varietäten bilden meist die untern Bänke der Flötze und nimmt 
der Metallgehalt nach oben ab. Bisweilen geht der Eisenstein aber in eisen- 
haltigen Schiefer über. Die Phosphorschichten sind an kein bestimmtes 
Niveau gebunden, in den obern Partien aber scheint derselbe zu fehlen. 
Als zufällig ist am häufigsten Schwefelkies in Knollen, krystallinischen 
Partien und Krystallen auf feinen Klüften. Seltener ist Zinkblende, Bleiglanz- 
krystalle und blättriger Bleiglanz, Kalkspath in dünnen Blättehen. An orga- 
nischen Resten finden sieh die Unionen meistin den oben Schichten der Flötze, 
auch Pflanzen. Die meisten Kohleneisensteine lagern auf Kohle, einzelne auf 
deren Liegendem. Das Hangende besteht seltener aus Kohle. Uebrigens 
tritt Sandstein, sandiger Schiefer, Schiefer und Brandschiefer sowohl im 
Liegenden wie im Hangenden auf. Hinsichtlich des Aushaltens der Flötze 
sind dieselben noch nicht überall durchfahren und sind häufig nur nega- 
tive Beweise für das Aufhören des Flötzes bei dem Abbau massgebend 
gewesen. Das Auslaufen der Eisensteinflötze im Streichen und in der 
Teufe ist sehr verschieden, im Allgemeinen zwar zeigt sich allmählige 
Abnahme, doch kömmt auch plötzliches und rasches Auskeilen vor, Auch 
gehen bisweilen die Flötze oder Packen in Kohle, Brandschiefer oder 
eisenschüssigen Schiefer über. Die Behauptung, dass Eisensteinflötze an 
Verwerfungeu abschneiden und jenseits als Kohlenflötze fortsetzen, beruht 
anf Irrthuam; zahlreiche Ausrichtungen haben gezeigt, dass Eisensteinfiötze 
in Mächtigkeit und Gehalt auf beiden Seiten einer Verwerfung sich gleich 
erhalten und war also die Bildung des Eisensteines vor Eintritt der Ver- 
werfungen beendet. Verf. erklärt ferner diese Flötze für gleichaltrig mit 
den andern Schichten des Kohlengebirges und mag nur eine Veränderung 
z. B. des Eisenoxyds in kohlensaures Eisenoxydul stattgefunden haben. 
Die Kohleneisensteine entsprechen chemisch vollkommen den englischen 
und* schottischen Blackband; die kohlensaures Eisenoxydul verunreinigt 
durch Thon, Mergel oder Sand mit 10 Proc. und mehr Kohlengehalt sind. 
Die innig eingemengten Erdsalze sind kohlensaurer Kalk, kolılensaure 
Magnesia, kieselsaure Thonerde, ferner kohlensaures Manganoxydul, Kali, 
Phosphorsäure, Schwefel, Kohle und etwas chemischgebundenes Wasser. 
Der Koblengehalt schwankt beträchtlich, steigt bis 36,25 Proc., hält sich 


327 


aber meist auf 20 Proc. der durch das Rösten vertriebene Gehalt an Kohlen- 
säure, Wasser und Schwefel schwankt zwischen 30—40 Proec., steigt aber 
bis auf 60 Proc. Der Eisengehalt beträgt im rohen Stein bis über 39 
Proc. , in den gerösteten 40—50 und von reinsten Erzen bis 64 wie im 
Haupt- und Nebenflötz von freie Vogel, im Unter- und Mittelpacken von 
Hasenwinkel. Schon aus diesen Angaben ergibt sich ein auffallend ver- 
schiedener Schlackengehalt. Darin treten Kalk- uud Talkerde quantitativ 
gegen Thonerde und Kieselsäure zurück. — 3. Die Entstehung der Kohlen- 
eisensteine erklärt Bischof in seiner Geologie aus einem Eisenoxyd und 
Eivenoxydhydrat sehr reichen und mit vegetabilischem Detritus gemengten 
Absatz. Diese Ansicht theilt Verf. nicht, ihm scheint eine so lange Zeit 
ausgedehnte mechanische Zerstörung grösserer Eisenerzlager nicht wahr- 
scheinlich und glaubt er vielmehr an eine Zuführung der Eisensolulion 
in Gestalt von Eisenoxydulbikarbonat, Niederschlag desselben;durch Ent- 
weichen eines Atoms Kohlensäure und Verhinderung der Oxydation durch 
die in Menge vorhandenen pflanzlichen Reste sowie durch Entweichen von 
Kohlenwasserstoffgasen. Angenommen, dass bei Ablagerung vegetabilischer 
Massen und dadurch erfolgter Bildung eines Steinkohlenflötzes an ver- 
schiedenen Punkten des damaligen Ufers eisenreiche Säuerlinge in das 
Meer strömten: so werden wir an diesen Stellen das Flötz allmählig in 
Eisenstein übergehend finden und es erklärt sich, weshalb die Uebergänge 
sich so häufig und so wenig regelmässig finden. Die,Auskeilungen von 
Packen erläutern sich aus der damaligen Configuration des Ufers. Die 
nahe horizontale Ablagerung der Schichten erfolgte am Rande von Buchten, 
deren Ufer durch die Auskeilungslinie des Eisensteines markirt werden 
und die also mit dem später gebildeten Sätteln und Mulden ausser Zu- 
sammenhang stehen. Die Undulationen des Bodens bewirkten dann, dass 
auch die verschiedenen Packen eines Flötzes nach einer Seite hin mehr 
und mehr in Eisenstein übergingen. Ergossen sich eisenhaltige Quellen 
über eine bereits verkohlte und zum Flötze umgebildete Schicht, in die 
sie wegen der bereits erlangten Consistenz nicht mehr eindringen konnte: 
so bildet sich reiner Spatheisenstein, da die mechanisch von diesem Flötze 
durch das Wasser losgerissenen Kohlentheilchen und die fortwährend ent- 
weichenden Kohlenwasserstoffe hinreichende Reductionsmittel boten, um 
das durch Verlust der überschüssigen Kohlensäure }niedergeschlagene 
kohlensaure Eisenoxydul nicht zu Eisenoxyd oxydiren zu lassen. Wo diese 
Quellen hervorbrachen, bildete sich die Schicht am stärksten, nach allen 
Seiten allmählig an Dieke abnehmend. Daraus erklärt sich das linsen- 
förmige, den Erzfällen auf Gängen entsprechende Vorkommea des Spath- 
eisensteinflölzes. In weiten Entfernungen von den Zuflusspunkten cirku- 
lirten nur noch geringe Mengen jener Lösung in den zuletzt abgelagerten 
Schlammschichten und bildeten dort nur kleine lagenweise Nieren. Drangen 
die eisenführenden (uellen in Schlammschichten ein: so bildete sich eisen- 
haltigen Schieferthon. Waren die Schichten bereits erhärtet, so folgten die 
Wasser den Klüften und bildeten die häufig der Schichtung parallel .an- 
gehäuften Eisennieren. Zuweilen gaben zur Entstehung dieser Nieren or- 
ganische Körper Veranlassung, die sich häufig beim Zerschlagen derselben 


328 


finden und die den höhern Phosphorgehalt erklären. — In den Kohleneisen 
steinflötzen kömmt in Schichten und Nieren P hosphovit vor, so reich- 
lich, dass er zur Darstellung von Superphosphat dient, so im Herzkämper 
Eisensteinflötz und im Kirchhörder bis 2° stark und in andern. Er ähnelt 
dem Blackbande im rohen Zustande so sehr und ist häufig so fest mit 
demselben verwachsen, dass eine Trennung vielfach erst nach dem Rösten 
möglich ist, wo derselbe um so weisser erscheint, je ärmer er an Eisen 
ist. Frisch ist er schwärzlich, matt, diekschiefrig mit unebenem bis 
muschligen Bruchen, bräunlichgrauem bis schwarzbraune Strich, hat 3—4 
Härte und }, 4-2, 73 spec. Gew., durch ein mehr feinkörniges Ansehen 
im Bruche unterscheiden ihn die Bergleute vom Kohleneisenstein. Ver- 
wittert zeigen die parallelepipedischen Stücke nierenförmige Absonderung. 
Chemisch ist das Gestein sehr unrein, der Phosphorgehalt gering. Verf, 
theill mehre Analysen mit, und ist das Gestein nach denselbenfein eisen- 
haltiger Schieferthon oder armer Kohleneisenstein mit ungewöhnlich hohem 
Gehalt an phosphorsaurem Kalk, den sonst der Schieferthon und Eisen- 
stein nur in sehr geringen Mengen führt. Woher dieser hohe Phosphor- 
gehalt stammt, ist schwer zu ermitteln. — (Rheinische Verhandlgn. 
XXVII. 158—251.) 

R. v. Dreske, über Serpeutine und serpentinähnliche 
Gesteine. — Die chemisch mikroskopische Untersuchung nöthigt die 
Serpentine in zwei Gruppen zu sondern, die jedoch durch Uebergänge ver- 
bunden sind. Die Serpentine der ersten Gruppe entsprechen chemisch der 
Formel 3Mg0, 28i0, + 2H,0 und nach der Mikroskopie sind sie aus 
Olivingesteinen entstanden, oft ist Olivin noch deutlich zu erkennen, meist 
aber schon umgewandelt. Stete Begleiter dieser Serpentine sind Bronzit, 
Bastit oder Diallag. Der Geschiebeserpentin von Brixlegg in Tirol zeigt 
mikroskopisch ein dichtes Netz von Magneteisenadern, im polarisirten Licht 
biäuliche Bänder eines senkrecht auf seine Längsrichtung gefaserten Mine- 
rals. In der Mitte der Maschen liegt oft das Korn eines völlig zersetzten 
Minerals, wohl die letzten Reste der zersetzten Olivinkrysialle, in deren 
Blättergängen sich das Magneteisen abgesetzt hatte und deren Substanz 
sich in das gefaserte Mineral verwandelte. Den Diallag erkennt man schon 
mit blossem Auge. Unzweifelhafı verdankt dieser Serpentin seinen Ur- 
sprung einem Olivin und Diallag enthaltenden Gestein. Ganz ähnlich ist 
der Serpentin von Malrey am Brenner, nur fehlen ihm die Reste von 
Olivin. Ferner gehört hierher der Serpentin von Brünn. An dem Serpen- 
tin von Kraubat in Steier kann man die ganze Zersetzung des Olivins 
studiren. Der Serpentin von Easten in Pennsylvanien besteht nur aus 
umgewandelten Olivinkrystallen. Andre Serpentine, chemisch gleich, weichen 
mikroskopisch völlig ab. So der in Kalkglimmerschiefer eingelagerte von 
Windisch Matrey in NTirol, der von Kalk-, Asbest- und Chrysotiladern 
durchzogen, licht bis tiefgrün und braun ist. Tu einem Handstück 
sieht man grüne Blättchen, die Diallag, Bronzit oder Hornblende sein 
können und sich als Diallag ergeben. Gelbbraune Flecke darin bestehen 
aus Ankerit. Unter dem Mikroskop erscheint die olivengrüne Grundmasse 
ganz durchspiekt mit einem weissen schuppigen Mineral. Die Analyse 


329 


ergab 43,84 Kieselsäure, 4,37 Eisenoxydul, 0,61 Kalk, 38.66 Magnesia, 
12,51 Glühverlust. Dünnschliffe zeigen bei gekreuzten Nicols ein dichtes 
Gefiecht von länglichen Durchschnitteu, breiten bis fast nadelförmigen, 
parallel ihrer Längsrisse gestreift, im polarisirten Licht gewöhnlich grau. 
Dabei kommen noch unregelmässig begränzte Durchschnitte vor, Körner 
von Magneteisen und ein braunes Mineral mit rechtwinklig sich kreuzen- 
der Streifung, also Diallag. Das Gestein besteht nach allem aus zwei 
rhombischen Mineralien, eineın harten und einem weichen, aus Ankerit, 
Magneteisen und Diallag. Verf. beschreibt noch einige andre Serpentine 
und fasst dann die Resultate zusammen, Diese Gesteine sind von den 
Serpentinen zu trennen. Sie bestehen aus Magneteisen, etwas Diallag und 
zwei mikrokrystallinischen Mineralien, deren sichere Bestimmung nicht ge- 
lang. Das eine derselben krystallisirt rhombisch in Blättchen und hat 
geringe Härte und möchte Bastit sein, das andere härtere dürfte Bronzit 
sein. Erster ist ein Umwandlungsprodukt des letzten und da auch dieser 
rbombisch ist und ausgezeichnete Theilbarkeit besitzt, so sind beide unter 
dem Mikroskop nicht zu unterscheiden. Die prüfende Vergleichung der 
Analysen führt zu der Ansicht, dass diese Gesteine grösstentheils als in 
Bastit umgewandelter Bronzitfels anzusehen sind. — (Mineraloy. Mit- 
theilgn. 1. 1—12.) 

Orykitognosie. Schrauf, Kupferlasur von Nertschinsk. 
— An vielen Orten Russlands werden die oxydirten Kupfererze gewonnen 
und unterscheidet sich die Paragenese naheliegender Lagerstätten zwar 
wenig, aber dennoch lassen sich die Vorkommnisse vom Ural, Altai und 
Nertschinsk trennen. Am Ural ist die Kupferlasur von Malachit begleitet, 
am Altai nur von Quarz und Schwerspath, auch von Cerussit, bei Nert- 
schinsk aber herrscht silberhaltiges Bleierz, das nur selten Kupfererz führt. 
Ein Handstück von Nertschinsk gleicht dem Weissbleierzvorkommen von 
Rezbanya, nur dass statt Malachit als Begleiter Azurit auftritt; das Mut- 
tergestein ist dolomilischer Kalk mit eingesprengtem Cerussit, Malachit, 
und Bleiglanz. Auf der obern Seite sitzen prachtvoller Cerussit und Azu- 
rit. Die Cerussite halbdurchsichtig, grauweiss bis lichtgelb bilden säulen- 
förmige Zwillinge, aragonitähnliche. Die Kupferlusur ist schön krystalli- 
sirt in zwei Generationen, der ältern, dem Cerussit gleichaltrigen gehören 
die 2° grossen Kıystalle, die jüngern 1/,‘ grossen sitzen wie blauglän- 
zende Thautropfen auf dem weissen Cerussit. Die Flächen des Azurits 
sind eben und glänzend und werden vom Verf. mathematiseh bestimmt. 
Weder diese noch der Fundort Nertschinsk überhaupt werden bisher in 
der Literatur aufgeführt, während die dortigen Lagerstälten bereits von 
Georgi und Pallas, später von Ermann und Wersilow besprochen worden 
sind. Das Muttergestein der Erze ist Kalk und Dolomit unmittelbar an 
Granit angränzend. Der ganze Erzstock ist auf 2000° Länge und 295‘ 
Mächtigkeit aufgeschlossen. Georgi kannte noch keine Kupfergrube da- 
selbst, während 10 Jahre später Pallas schon staubiges und kıystallisirtes 
Bergblau, gediegen Kupfer mit Kupfergrün und Lasur anführt. — (Mine- 
raloy. Mitthlgn. I. 13 — 16.) 

G. Tsehermak, über Pyroxen und Amphibol. — 1. Bron- 


330 


zitreihe umfassend als eisenreiche Glieder den Hypersthen, als eisen- 
arme den Enstatit, Bronzit und Protobastit. Die Krystallform dieser Mi- 
neralien ist erst jüngst erkannt, dem rhombischen System angehörig mit 
Winkeln fast denen des monoklinen Diopsid gleich, wie denn auch die 
chemische Verwandischaft eine sehr grosse ist. Bei allen Mineralien der 
Bronzitreihe herrscht Spaltbarkeit nach 100, 110, 010, beim Bronzit und 
Hypersthen nach 100 überwiegend. Das scheint bedingt zu sein durch 
die vielen dünnen Blättchen, die parallel 100 eingelagert sind und auch 
den Schiller auf dieser Fläche hervorrufen. Bringt man ein solches Blätt- 
chen in den Polarisationsapparat, so sieht man beim Drehen des Objects 
nur den Wechsel von hell und dunkel, keine Achsenbilder. Sehleift man 
aber das Blättchen parallel der Fläche 010 so kommen nach dem Eintau- 
chen in Oel die beiden Achsenbilder zum Vorschein und ihre Verbindungs- 
linie ist parallel der Kante zwischen 100 und 010, die Mittellinie ist ne- 
galiv. Der so erhaltene Aclsenwinkel variirt in der Bronzitreihe iedeu- 
tend und zwar je nach dem Eisengehalte, wofür Verf. die Zahlenbelege 
anführt. Mit Zunahme des Eisengehaltes nimmt der Winkel ab. Der in- 
nere Winkel der optischen Achsen scheint 90° zu sein, wolern der schein- 
bire Winkel im Oele etwa 1070 giebt. Danach findet Verf. den Enstatit 
und drei Bronzite positiv, die andern Mineralien negativ. In der Bronzit- 
veihe sind 2 Silikate in isomorpher Mischung anzunehmen: Mg,Si,0, und 
Fe,Si,0,, und käme dem zweiten ein sehr stumpfer posiver Achsenwinkel zu. 
Der Pleochroismus der Bronzite ist gering. Am Bronzit von Kraubat be- 
obachtete Verf. bei den auf die vollkommene Spaltung senkrecht, paral- 
lel 010 eingeschnittenen Platten für Schwingungen parallel d einen unrei- 
nen grasgrünen Ton, für Schwingungen parallel ce einen bläulichgrünen, 
bei Platten parallel der Hauptspaltung geschnitten parallel e einen grünen, 
parallel « einen grüngelben Ton. Das Mineral enthält viel braune Nadeln 
parallel dem Spaltungsprisma eingeschlossen und diese veranlassen den 
tombackfarbigen Schiller auf 100. Der Hypersthen zeigt einen starken 
Pleochroismus. Zum Bronzit gehört auch der Protobastit oder Enstatit, er 
bat dieselben Spaltwinkel, dasselbe Aussehen, dieselbe chemische Zusam- 
mensetzung, der Winkel von 100 : 110 ist 46°, die vollkommenste Spalt- 
barkeit parallel 100, optisch aber weicht er ab. Ein durch Spaltung pa- 
vallel der vollkommensten Spaltbarkeit gewonnenes Blättehen zeigt im Po- 
larisationsapparat Farben und in Oel getaucht zwei Achsenbilder symme- 
trisch zur Normale aufjener Fläche liegend, während ihre Verbindungslinie 
parallel der Kante des Prismas 110 ist. Demnach steht die Ebene der 
optischen Achsen senkrecht auf 100 und ist parallel 010. Die Körner die- 
ses Minerales haben oft eine Rinde, die auf der vollkommenen Spaltung 
messinggelb ist, kleine Körner sind oft ganz messinggelb. Dies ist ein 
Zwischenstadium der Umwandlung identisch mit Hausmanns Diaklasit, der 
sich auch optisch ganz gleich verhält. Der negativee Achsenwinkel des 
Bastits ist kleiner als der des Protobastits. Für den Bastit nahe Wiener 
Neustadt bestimmte T. den scheinbaren Winkel in Oel auf 831, Websky 
fand ihn bei dem Harzer Bastit 74% 10%, Descloizeaux bei Bastit von Cor- 
siea 700—20°. Der Pleochroismus der Splitterspathe ist gering, die Far- 


331 


bentöne bräunlichgrün bis braun. Protobastit fand T. auch mit Bastit und 
Diallag unregelmässig verwachsen an Stücken von Neuseeland aus dem 
Gebiete des Olivinfels, ferner im Olivingabbro bei Reps in Siebenbürgen. 
Also nur bei sehr scharfer Unterscheidung sind die Namen Bronzit, Pro- 
vobastit, Diaklasit und Bastit beizubehalten. — 2. Diopsidreihe umfasst 
Diopsid, Baikalit, Sahlit, Malakolith, Omphaeit, Kokkolithh und Heden- 
bergit. Diopsid begreift die frei krystallisirten Individuen, Hedenbergit die 
eisenreichsten. Die Krystalle für alle Glieder fast gleich. Einige Glieder 
wurden optisch geprüft und führt Verf. die Beobachtungen speciell an. 
Viele Minerale dieser Reihe zeigen eine schalige Zusammensetzung paral- 
lel 001 und lassen sich leicht in Platten trennen. Diese Structur rührt 
von sehr dünnen eingeschobenen Zwillingslamellen her, wie die mikrosko- 
pische Untersuchung ergiebt. Platten des pistazgrünen Kokkoliths von 
Arendal durch Ablösung parallel 001 dargestellt zeigen am Apparat ein 
Achsenbild, das vom Mittelpunkte des Gesichtsfeldes wenig entferut ist. 
Der Charakter der Doppelbrechung ist an letztem Punkte positiv. Verf. 
fand 0— 825° roth 800°. Ein Prisma parallel der Orthodiagonale ge- 
schnitten gab = 1,690 roth, eine Platte annäherud parallel der Symme- 
trieebene geschnitten, lieferte für die Lage der Elasticitätsachsen « (001) 
—=41°15‘, a (001)= 115010‘, endlich eine Platte senkrecht zu ce genom- 
men 2E=11 40° roth. Der Pleochroismus ist nicht stark. Der Heden- 
bergit von Tunaberg liefert schöne Platten parallel 001, durchsichtig, sie 
zeigen gegen eine weisse Fläche gehalten eine epoptische Figur bestehend 
aus zwei schwarzen Büscheln senkreeht auf der Klinodiagonale. Solche 
Platte lässt im Apparate ein Achsenbild fast mitten im Gesichtsfelde er- 
scheinen: 0=2919’ roth, = 1,710 roth und a (100) =45°46’, a (001) = 
119955° woraus sich berechnet 2 V—=62032‘, die Farbentöne c grasgrün, 
b lauchgrün, a olivengrün. Von dem fast farblosen Diopsid von Ala bis 
zu dem schwarzgrünen Hedendbergit mit 27,01 Eisenoxydul nimmt der 
Eisengehalt zu, zugleich vergrössert sich der posilive \Winkel der opti- 
schen Achsen ähnlich wie bei der Bronzitreihe. Ausserdem ändert sich 
der Winkel 1005.c., er nimmt bei Zunahme des Eisengehaltes ab. So- 
wohl durch diese Abnahme als auch durch die Vergrösserung des Win- 
kels der optischen Achsen erfolgt eine Abnahme des Winkels u. Che- 
misch erscheinen die Minerale der Diopsidreihe als isomorphe Mischungen 
zweier Minerale OaMgSi,0, Diopsid und CaFeSi,0, Hedenbergit, ausser- 
dem erscheint zuweilen das dem letzten entsprechende Mangansilikat in 
geringer Menge beigemischt. Letztes Lritt nur selten wie im Schefferit 
reichlich auf. Verf. vergleicht an Beispielen noch Rechnung und Beob- 
achtung, die besonders im Kalkgehalt differiren. — 3. Diallag umfasst 
alle Mineralien der Augitgruppe mit ausgezeichneter lamellarer Zusammen- 
setzung nach 100. Eine scharfe Gränze lässt sich freilich nicht ziehen, 
auch in chemischer Hinsicht nicht, da viele Diallage chemisch der Diop- 
sidreihe entsprechen, andere enthalten so viel Thonerde, dass man sie 
recht gut zum Augit stellen könnte. Die Lamellenstruktur ist jedoch so 
ausgezeichnet, dass sie als bestimmender Charakter betrachtet werden kann. 
Krystallform ist sehr selten. Am Diallag des Gabbro vom Olymp auf Cy- 


332 


pern erkannte Verf. zwei Flächen nach den Winkeln und der optischen 
Orientirung als Hemipyramide s—=111. Im Gabbro bei Prato erkannte er 
die dem Diopsid sich nähernde Hemipyramide 323. Neben der Theilbar- 
keit parallel 100 findet sich noch unvollkommene nach 010, oft auch nach 
110. Durch mikroskopische Prüfung der nach Fläche 010 geschnittenen 
Blättchen überzeugt man sich, dass die Theilbarkeit parallel 100 einer 
sehaligen Zusammensetzung entspricht. Zwischen den einzelnen Blättern 
schieben sieh oft fremde krystallinische Partikelchen ein, meist mit Cal- 
cit als spätere Bildung. Die schalige Zusammensetzung nach 100 scheint 
von eingeschobenen dünnen Zwillingslamellen herzurühren. Im Diallag von 
Neuseeland zeigen sich unter dem Mikroskop auf den parallel 010 ge- 
sehnittenen Platten Stellen mit schmalen hellen Streifen zwischen gekreuz- 
ten Nicols in umgebendem dunkeln Felde. Die Drehung des Präparates 
betrug nach einer Seite 12%, nach der enigegengesetzien 78°, wonach jene 
schmalen Streifen von eingeschalteten Zwillingslamellen herrühren. Der- 
gleiehen bis zu Liniendünne mögen häufig vorkommen. Die schalige 
Textur könnte auch von eingelagerten Blättchen eines fremden Minerales 
herrühren z. B. von Hornblende wie sie Verf, im Diallag von Neurode und 
von Tirano erkannte. Mancher Diallag von Nenrode und Prato zeigt feine 
Parallellinien, welche bei Blätichen nach 010 geschnitten Wiukel 15° mit 
der Oberfläche der Lamellen bilden, dieselben würden also einer zweiten 
Art von lamellarer Absonderung entsprechen. Der Diallag ist grün, wirkt 
aber bei einfallendem Lichte der Reflex von den Lamellen mit: so mischt 
sich gelb und braun bei und es entsteht metallartiger Schiller. Dabei 
wirkt die Absonderung der Lamellen zugleich mit den parallel 100 gela- 
serten Einschlüssen mit. Fällt das Licht senkrecht zur Kante 100 : 010 
ein: so entsteht ein bläulieher milchiger Ton. Die Untersuchung des Dial- 
lag von Volpersdorf und Prato ergab, dass parallel einer steilen Pyrami- 
denfläche feine Risse vorkommen, die von feinen Blättehen erfüllt sind, 
welche durch totale Reflexion einen Schiller hervorrufen, die Blättchen 
scheinen Caleit zu sein, der sich auch in diekeru Lagen desselben Dial- 
lag findet. Als lamelläres Aggregat mit Veränderung und Verschiebung 
seiner Theilchen und Einschaltungen fremder Theilchen bildet der Diallag 
auch in den übrigen optischen Eigenschaften manche Uuregelmässigkeit. 
In der Orientirung der optischen Hauptschnitte verhält er sieh wesentlich 
wie der Diopsid, nur die Blättchen parallel 100 zeigten die Unregelmäs- 
sigkeit in den erhaltenen Winkeln für w sehr merklich. Der Pleochrois- 
mus ist wenig merklich, auch die dunkeln Abänderungen zeigen keine 
sehr verschiedenen Farbentöne. Die chemische Zusammensetzung zeigt in 
Folge der blättrigen Struktur sehr häufig eine begonnene Umwandlung. 
Stets ist Wassergehalt vorhanden. Die Menge der Kalkerde erscheint oft 
geringer als die Rechnung verlangt. — 4. Augit unterscheidet sich von 
vorigen durch minder vollkommene Spaltbarkeit, jeglichen Mangel schali- 
liger Zusammensetzung und durch Gehalt an Thonerde. Die Krystalle 
stehen denen des Diopsides sehr nah und führt Verf. einige Messungen 
zum Vergleiche an. Auch die optischen Verhältnisse ähneln dem Diopsid. 
Augit aus böhmischem Basalttuff bildet disomatische Krystalle. Innen zeigt 


333 


sich ein gras- bis olivengrüner Kern umgeben von einer lichtolivengrünen 
Hülle. Bei Platten parallel 100 ist die Hülle dicker; Verf. fand für den 
Kern u 24930° voll, «(VOL )= 119930, = 1,70, woraus sich ergiebt 
297 —=61°% Für die lichte Hülle ist „=29035‘° roth also ein grösserer 
Winkel als für den Kern wie in der Diopsidreihe. In diesem Augit sind 
Hornblendetheilchen parallel zum umgebenden Krystall eingeschlossen, sie 
verrathen sich durch ihr mehr faseriges Aussehen und durch die dichros- 
kopische I,upe. Verf. untersuchte noch Augite vom Vesuv und Frascali 
und fand dieselbe Erscheinung wie in der Diopsidreihe: eine Zunahme 
des positiven Winkels der optischen Achsen und eine Abnahme des Win- 
kels 100.6.c zugleich mit der Zunahme der Färbung, also des Eisenge- 
haltes. Woher der Thonerdegehalt der Augite kömmt, ist nicht zu er- 
mitteln. Einige vermuthen eine Verunreinigung durch Grundmasse oder 
dureh eingesprengten Spinell, andere nehmen die Thonerde isomorph bei- 
gemischt an. Gegen erste Annahme spricht sich Verf. mit Beobachtun- 
gen aus, die zweile lässt er fraglich. Die Vergleichung mehrer Analysen 
zeigt, dass Magnesia, Eisenoxydul und Kalkerde zusammen der Kiesel- 
säure gleichkommen wie auch in der Diopsidreihe und scheint also die 
Thonerde keinen Einfluss zu haben, also beigemengt zu sein, Indess gilt 
für die Diopsidreihe die Regel, dass die Zahl für Kalkerde gleich ist der 
für Magnesia und Eisenoxydul zusammen, bei Augit aber ist die Kalk- 
erde geringer und das scheint wirklich dureh die beigemischte Thonerde 
bedingt zu sein. Die Zahl für Kalk- und Thonerde zusammen ist gleich 
der für Magnesia und Eisenoxydul und es ergiebt sich für die Augite ab- 
gesehen von Eisenoxyd die Formel (n-+0o)Mg0:n.Ca0 :0.Al,0,:2n + 
+0o)Si0,. Die einfachste Deutung dieser Mischungsregel ist, das ausser 


- dem Diopsid noch ein Thonerdemagnesiasilicat beigemischt ist, die Formel 


also sich in zwei: Diopsid n[MgO Ca02SiV,]) und Magnesiathonerdesilicat 
o[MgOA1,0,Si0,] auflöst, wobei vorausgesetzt wird, dass jede Magnesiaver- 
bindung einer Eisenoxydul- und Manganoxydulverbindung entspreche. Die 
beiden als isomorph anzunehmenden Silicate hätten auch in atomistischer 
Hinsicht eine Aelhnlichkeit nämlich MgCaSiSiO, und MgAISiO,. Verf, 
führı die Vergleichung der Analysen noch weiter. — 5. Akmit und 
Aegirin unterscheiden sich nur sehr wenig. Erster steht in der Kry- 
stallform dem Anugit sehr nah, seine Zwillinge weisen aber mehrere Hemi- 
pyramiden auf, die dem Augit fehlen: es kommen vor: spitze Krystalle 
mit herrschenden Flächen z und o, stumpfe Krystalle, an denen s meist 
die Endigung bildet, z und o zurücktreten oder verschwinden. Der Aegi- 
rin von Brewig zeigt ebenfalls Augitformen und oft auch die Endigungen 
der stumpfen Akmite, ausserdem die von Kenngott beschriebene Form , 
Im ersten Falle hat man Zwillinge mit 100 als Berührungsfläche. Verf. 
bestimmt einige Winkel und ist. ein wesentlicher Unterschied zwischen 
Akmit und Aegirin nicht vorhanden. Dieselbe Aehnlichkeit zeigt das op- 
tische Verhalten beider. Am Akmit ist der Winkel von ce mit der Nor- 
malen auf 100=97°, und ein grosser negativer Achsenwinkel vorhanden, 
die Farbentöne olivengrün und grüngelb; beim Aegirin ist jener Winkel 
von € zu 100=983°, der negative Achsenwinkel stumpf und die Farben- 


334 


töne kastanienbraun, olivengrün und grasgrün. Die Volumgewichte beider 
Mineralien sind gleich, auch die chemische Analyse bietet keine wesent- 
lieben Unterschiede. Diese aber liess bei dem Akmit eine starke Zerset- 
zung, bei dem Aegirin eine grosse Verunreinigung mit fremden Snbstan- 
zen vermuthen, aber die Prüfung dünner Blättehen beider bestättigt solche 
Vermuthung nicht. Der Aegirin lässt Einmengungen vielleicht von Feld- 
spath erkennen, doch so wenige, dass sie die Analyse nicht entwerthen. 
Verf. sichtet die Angaben in den Analysen und gelangt dadurch zu fol- 
genden Verbindungen: 


Na,0 Fe0 F&,0,+Al0, Si0, 
4,11 1,64 3,53 17,49 Akmit 
3,20 1,33 3,00 12,39 Aecirin 
3,98 1,60 3,33 15,5 lies 
3,90 1,12 3,83 16:01.4 45 
3,93 1,13 3.70n80a215,94 

; 3,81 1,36 3,48 15,4) Mittel 


Diese Zahlen beziehen sieh auf ein Siliecat, das etwa zu ?/, aus Risenoxyd 
besteht und möchten die ursprünglichen Zahlen für Eisenoxyd zu niedrig 
sein. Verf. zieht noch die Analysen von Arfverdsonit zur kritischen Ver- 
gleichung herbei und gelangt dann zu 3,81 Na,0, 0,68 FeO, 3,32 Fe,0, 
und 15,49 SiO, und leitet daraus die Formel her Na,0.Fe,0,.4Si0,. — 
6. Anthophyllit stimmt chemisch mit dem Bronzit überein, besitzt 
auch vollkommene Theilbarkeit nach 100 und eine Spaltbarkeit, welche 
den Prismenwinkel der Hornblende liefert. Das optische Verhalten weist 
auf das rhombische System. Nach ihm ist der rhombische Anthophyllit 
eine Parallele des Broneits und verhält sich zum Tremolit wie der Bron- 
zit zum Diopsid, also ohne Rücksicht auf den Eisengehalt: 
rhombisch: MgMsSi,0, Bronzit, Mg4Si40,. Anthophyllit, 
monoklin: CaMgSi,0, Diopsid, CaMe,Si,0,, Tremolit. 

Diese einfachen Beziehungen störte die Entdeckung eines Minerales bei 
Kongsberg und in Grönland, das nach dem optischen Verhalten monoklin 
ist und dieselbe Orientirung der Hauptschnitte zeigt wie ein Tremolit, 
die Analyse aber stimmt mit Anthophyllit. Hier wäre also eine Dimorphie 
oder eigentlich Trimorphie, zwei rhombische Formen als Bronzit und An- 
thophyllit nnd die letzte monoklin. — 7. Tremolitreihe erhielt ihr 
Mischungsgesetz durch Rammelsberg. Der reine Tremolit ist CaO.3Mg0. 
4SiQ,, im Strahlstein erscheinen wechselnde Mengen von Magnesia durch 
Eisenoxydul ersetzt, was zu einer isomorphen Verbindung Ca0,3Fe0. 
4SiO, als Beimischung führt. In der Tremolitreihe zeigt sich nicht jene 
Manichfaltigkeit der Mischung wie in der Diopsidreihe, man kennt keine 
eisenreichen und dunkeln Glieder. — 8. Hornblendegruppe. Der 
Pargasit, die gemeine und basaltische Hornblende stimmen in der Kry- 
stallform überein und sind mit dem Tremolit isomorph, zeigen aber op- 
tisch und ehemisch eine solche Manichfaltigkeit, dass sie keine Reihe 
sondern einzelne Fälle darstellen. Verf. prüft sie wie vorige krystallo- 
graphisch, optisch und ehemisch und bespricht schliesslich 9. die re- 
gelmässigen Verwachsungen. Eine viel chemische und physikalische 


335 


Abnormitäten erklärende Erscheinung ist die häufige Zusammenfügung 
verschiedener Mineralien in bestimmter krystallographischer Orientirung. 
So lange die verbundenen Mineralien chemisch -krystallographisch sehr 
verschieden sind wie Quarz und Orthoklas, Magnetit und Augit sind sie 
auch leicht neben einander zu erkennen. In andern Fällen aber findet 
eine feine parallele Durchwachsung statt, die Mineralien sind chemisch 
verwandt und haben in einer Zone nahe gleiche Winkel wie Orthoklas und 
Albit. Solche Gemenge werden leicht als homogen betrachtet und geben 
durch ihre Analyse falsche Vorstellungen. Die oben besprochenen Mine- 
ralien zeigen drei Formen: die Bronzit-, Augit- und Hornblendeform. 
Erste beiden haben ein nahezu gleiches Spaltungsprisma von 919 44° und 
92054, die Hornblende 55049’ aber dieses Prisma nähert sich einem das 
am Bronzit und Augit in derselben Lage mit 54%12° und 55030° auftritt. 
Chemisch sind alle drei nah verwandt, daher die Verwachsungen ein be- 
sonderes Interesse beanspruchen. Am Bronzit aus dem Ultenthal sah Verf. 
eine Verwachsung mit einem starkglänzenden grünen Mineral, das nach 
56% spaltet und Hornblende sein möchte. Manche Körner von Protobastit 
im Serpentin des Radauthales sind mit einem graugrünen Mineral ver- 
wachsen , dessen Spaltbarkeit ebenfalls nach 100 ist und eine Fortsetzung 
des Protobastit bildet. Es scheint ein Gemisch dieses mit Diallag zu sein. 
Bei Canaan in Connecticut kömmt ein weisser Sahlit vor von der Form 
110,100,001 und mit schaliger Absonderung parallel 001 in körnigem Kalk 
eingeschlossen, an der Oberfläche mit parallelen Tremolitnadeln bekleidet, 
im Innern mit solchen verwachsen. Eine Stufe aus Grönland besteht aus 
langen Säulen von Sahlit und Aktinolit, die in paralleler Stellung mit ein- 
ander ‘verwachsen sind. ÖOmphaeit und Smaragdit kommen im Eklogit 
theils unregelmässig verbunden theils regelmässig verwachsen vor, ent- 
weder liegt der Smaragdit mit einer Prismenfläche 110 auf der Grund- 
fläche 100 des Omphaeits oder beide sind vollkommen parallel verbunden. 
Der Omphacit vom Bachergebirge zeigt beide Erscheinungen gleichzeitig. 
Dünne Blättchen von Smaragdit von einem Flächenpaar des Spaltungs- 
prisma begränzt erscheinen zwischen die parallel 100 abgesonderten Platten 
des Omphaeit eingeschoben, die Spaltungskante der Smaragditblättchen 
macht mit jener des Omphacits sehr verschiedene Winkel. Am Ompha- 
eit der Saualpe sah T. Sprünge parallel 010 durch Smaragdit erfüllt, 
während in den Absonderungen parallel 100 Smaragditblättehen einge- 
schoben erscheinen. Der Eklogit von Karlstetten enthält einen lauchgrünen 
Omphacit, dessen Körner oft eine Rinde von olivengrünen Smaragdit haben, 
welche mit dem Omphaeit in paralleler Stellung verbunden ist. Solcher 
Omphaceit zeigt Diallaglextur, die vollkommene Absonderung nach 100 
deutlich und auf den Absonderungsflächen oft ungemein dünne Blättchen 
von Smaragdit. Im Gabbro am Olymp auf Cypern kommt lichigrüner 
Diallag vor mit eingeschlossenem muschlig brechenden Augit in paralleler 
Stellung. Hier verhält sich Diallag und Augit wie zwei ganz verschiedene 
Mineralien und doch sind es nur Texturunterschiede. Hornblende bildet 
sehr oft eine Rinde um Diallagkörner; Hornblendeblättehen mit der Längs- 
masse gegen Diallag verschieden orientirt zwischen dessen Lamellen. Ebenso 
Zeitschr. f. d. ges. Naturwiss. Bd. XXX VIII, 1871, 34 


336 


häufig sind Hornblendeprismen an Augitkrystalle in paralleler Stellung 
angefügt. Im Augit von Borislan und von Frascati sind Hornblende- 
prismen in paralleler Stellung eingeschlossen. Gemische von Augit und 
Hornblende finden sich unter Contactprodueten am Monzoni, wo. auch 
grüner Augit, schwarze Hornblende, Biotit, Plagioklas und Magnetit mit 
einander vorkommen, Der Augit ist zuweilen mit einer Rinde von Horn- 
blende umgeben; es giebt Krystalle die unten aus Augit bestehen, darauf 
folgt Hornblende und oben Asbest. — Die Mineralien der Bronzitreihe 
enthalten oft kleine Mengen von Kalkerde, obgleich ihre Verbindungen 
Mg»Si,0, und Fe,Si,0, kalkfrei sind. Dieser Kalkgehalt weist auf einen 
Uebergang von Bronzit zum Augit. Jetzt ist es wahrscheinlicher, dass der 
Kalkgehalt von parallel gelagerten Einschlüssen herrührt. In den Mine- 
ralien der Diopsidreihe uud Tremolitreihe sind solche Einsehlüsse nicht 
häufig, wenigstens nicht in Krystallen wohl aber in derben Stücken, auf 
die sich die bezüglichen Analysen beziehen. Der Omphaeit ist stets ein 
Gemenge von einem Diopsid mit Smaragdit, daraus erklärt sich der Ge- 
halt von Thonerde und Alkalien in manchen Analysen. Der Diallag macht 
sich durch die häufig vorkommende Umhüllung mit parallel gelagerter 
Hornblende sehr verdächtig. Bei dem Augit und der Hornblende beruhen 
vielleicht manche Abweichungen der Analysen auf den Beimengungen, 


die bei der dunklen Färbung schwierig zu erkennen sind. — (Ebendu 
17—46.) 
A, Streng, neues Vorkommeu von Tridymit. — Denselben 


wies G. v. Rath in trachytischen Gesteinen, Rose im Opal nach, Verf. er- 
kannte ihn im Orthoklasporpuyr oder Porphyrit bei Waldbökelheim. Die 
den Cuseler und Lebacher Schichten sowie dem Oberrothliegenden con- 
cordant eingelagerten krystalliuischen Gesteine gehören nach Laspeyres 
einer ausgezeichneten Reihe an, deren äusserstes Glied die quarzführenden 
Porphyre sind, welehe durch die quarzfreien Orthoklasporphyre und Por- 
phyrite in basische Gesteine übergehen, die als anderes Erdglied von Las- 
peyres Palatinite genannt wurden. Die sauren Glieder sind mehr minder 
an die Quarzporphyre gebunden und so finden sieh in jener Gegend 
mächtige Massen von quarzfreiem Orthoklasporphyr entwickelt, weiter nach 
W. treten die Porphyrite auf zumal am Bahnhofe von Waldbökelheim und 
bei: Bockenau, wo sie an die llfelder erinnern. Auch bei Waldbökelheim 
erkannte Str. ganz entschiedene Porphyrite. In einer feinkrystallinischen 
grauen und braunen Grundmasse liegen weisse und röthliche Krystalle von 
triklinem Fetdspath und breitere von weissem und röthlichen Orthoklas, 
ferner dunkelbraune matte Krystalle wahrscheinlich von zersetzter Horn- 
blende. Dieses Gestein steht also mitten zwischen Orthoklasporphyr und 
Porphyrit. Die Grundmasse führt zahlreiche Hohlräume und in. diesen 
viele. kleine Kryställehen von Tridymit, in sechseitigen Täfelehen ganz wie 
im Trachyt: des Drachenfels, meist zu Zwillingen, Drillingen ete. gruppirt 
und durcheinander gewachsen. Ihre Grösse ist 1 Mm., von Flächen wurden 
sicher erkannt nur die Säule und das basische Pinakoid. Vor dem Löth- 
rohre unschmelzbar. Auf den Tridymitkrystallen sitzen zuweilen schöne 
Oktaederdrusen von Magneteisen. Der Kieselerdegehalt der Porphyrite belrägt 


. 


337 


64,49, der der Tridymitführenden Trachyte 64—67, steht also dem des 
Orthoklas 'zunäelist. — (Ebda. 47—48.) 

Arist, Brezina, die SulzbacherEpidote. — Dieses schönste 
Epidotvorkommen liegt an der Knappenwand im obern Salzbachthal in 
Klüften des Epidotschiefers, und beschreibt Verf. die Krystalle nach Kok- 
scharows Bezeichnungsweise. Sie sind Säulen nach der Orthodiagonale; 
die Säulenzone wird gebildet durch die Hemidomen M Tr und einige unter‘ 
geordnete, M ist die glatteste und glänzendste Fläche dieser Zone, T und 
r häufig gestreift, die Endigung besteht vorherrschend aus den Flächen 
n, eine Zuschärfung von 109!/,0 oder 701/°, daran reihen sich unterge- 
ordnete Flächen. Die Neigung zur Zwillingsbildung nach dem Gesetze: 
Zwillings- und Zusammensetzungsfläche T — ist sehr bedeutend, bald sind 
die äussersten Individuen in Zwillingsstellung, bald trägt ein Individuum 
nur in verwendeter Stellung befindliche Lamellen. Auch zerbrochene 
Krystalle dureh faserige Epidotsubstanz wieder verkittet kommen vor. Spalt- 
barkeit nach M vollkommen, nach T minder vollkommen. Die Symmetrie- 
ebene ist zugleich Ebene der optischen Aclısen, die zweite Mittellinie fällt 
nahezu mit der Normalen Fläche r zusammen, die erste Mittellinie ist 
dieser Fläche parallel und fällt zwischen die Normalen T und M; die 
mittele Elastieitätsachse eoineidirt mit der Symmetrieachse. Von der op- 
tischen Achse liegt die eine nahezu senkrecht zur Fläche T, die andere 
nicht ganz senkrecht zu M. Der Dichroismus und die Absorption des 
verschiedenfarbigen Lichtes sind ausserordentlich stark, durch r betrachtet 
braun, durch T braun mit grünem Stich, durch M olivengrün bis sma- 
ragdgrün. In Folge der starken Absorption wirkt eine Epidotschicht wie 
eine Turmalinplatte, sie lässt von den zwei Strahlen, in welche das ein- 
fallende Licht zerfällt, den einen stark, den andern sehr wenig durch da- 
her kommt es, dass dureh die Fläche M auch ohne Apparat die eine 
optische Achse als rothbrauner Hyperbelast, in der Mitte unterbrochen 
erscheint und zwar auf dem grünen Grund, der dieser Richtung entspricht. 
Verf. beschreibt nun noch die einzelnen Krystalle, worüber das Original 
nach zusehen. — (Ebda. 49—52.) 

Palaeontologie. R.v.Reuss, Phymatocarcinus specio- 
sus, neue Krabbe aus dem Wiener Leithakalke. — Bei dem 
Reiechthum an Brachyuren im Eocän und Oligocän fällt deren Seltenheit 
im Miocän auf. Dieses hat in Oesterreich zwar Scheerenstücke nicht ge- 
vade selten, aber leider gestatten dieselben keine sichere Bestimmung. Aus 
dem Salzthon ven Wieliczka beschrieb R. ein Microdium nodulosum aus 
der Familie der Cancriden. Von Gamlitz in Steiermark erhielt R. einen 
Cephalothorax und eine Scheere, leider in unbestimmbarem Zustande, viel- 
leicht aus der Verwandtschaft des Harpactocareinus; dagegen lieferte der 
Wiener Leithakalk neuerlichst einen schönen Cephalothorax. Derselbe 
weist auf Aetaeon und Actaeodes also auf MEdwards Gruppe der Carpi- 
lides lobul&s, bei ler grossen Uebereinstimmung in der Abgränzung der 
einzelnen Regionen, der Zahl und Vertheilung der Knoten auf Dairia va- 
violosa von den Samoa Inseln. Da eine generische Identität mit lebenden 
nicht nachweisbar: so schlägt Verf. den neuen Namen Phymatocareinus 


24 * 


338 


vor.‘ Er beschreibt das Fossil ausführlich unter Bezugnahme auf sorgfäl- 
tige Abbildungen. — (Wiener Sitzgsberichte 1871. LXII. April Tf.) 

Weiss, Tylodendron speciosum, neue Conifere aus dem 
Rothliegenden. — Melırere Stammstücke aus einem Sandsteinbruche 
bei Otzenhausen am Birkenfeldschen erhielten durch verkieselte von Ott- 
weiler Aufschluss über,;ihre Structur. Die runden Zweige des einen 
Stammstückes zeigen in 12‘ Abständen knotige Anschwellungen, dicht 
gedrängt, spiral geordnete Blattpolster rhombische denen von Lepidoden- 
dron ähnlich, aber im obern Theile durch einen Schlitz gespalten und 
ohne besondere rhombische Narben. Constant erscheinen diese Polster 
an der untern Seite der Änschwellungen verkürzt, an der obern verlän- 
gert, von wenigem bis sehr viel, von 10—82 Mm. Unter den lebenden 
haben die Coniferen die ähnlichsten Blattpolster, Sequoia sempervirens 
hat auch die periodischen Verkürzungen und Verdickungen der Blätter 
und Polster, dem Jahreswachsthum entsprechend also auch wohl bei Ty- 
lodendron, obschon der Querschliff keine Jahresringe erkennen lässt. Der 
sonderbare Spalt oben an den Blattpolster erklärt sich. vielleicht durch 
Harzgänge. Die mikroskopische Untersuchung ergab poröse Gefässe mit 
1-, 2-, 3reibigen Tüpfeln, also Verwandtschaft mit Cycadeen und Arau- 
caria, Leider sind aber von letzter gar keine peripherischen Organe be- 
kannt, nur entrindete Stämme. Sehr ähnlich ist Brongniarts Tepidoden- 
dron elongatum aus dem Zechstein des Gouvt. Perm, auch die knorrien- 
ähnlichen Lepidodendren aus dem Culm und andern aus der Trias bieten 
eine gewisse Aehnlichkeit. — (Niederrhein. Sitzgsberichte Bonn XXV1J.) 

Derselbe, über Noeggerathia. — Alle zu den Noeggerathien 
verwiesenen Pflanzen sind baumartig, deren Blätter parallelnervige Struk- 
tur besitzen. Sie wurden sehr verschieden gedeutet. Die erste Art be- 
schrieb Sternberg 1825 als Noeggerathia foliosa, eine zweite als Flabel- 
laria borassifolia, die später zu Cottaites verwiesen worden ist. Unger 
und Göppert stellen sie zu den Farren, Corda aber die Flabellaria als 
eigene Familie zwischen Palmen und Lycopodiaceen, Brongniart vergleicht 
sie mit den Cycadeen und weist ihnen cycadeenähnliehe Früchte zu, Gol- 
denberg gleicher Ansicht bildet zuerst Inflorescenzen dazu ab, theils Kätz- 
chen männlicher Blühten theils weibliche Zapfen. Germar beschrieb sie 
wieder als Flabellaria und Brongniart theilt die Familie in Noegerathia 
und Pychnophyllum sie den Gymnospermen unterordnend. Unger dagegen 
unterschied Noeggerathia und Cordaites, letzte mit Pychnophyllum syno- 
nym, liess aber erste bei den Farren, letzte bei den Lycopodiaceen, Goep- 
pert zu den Monocotylen, Geinitz deutet sie auf Dicotylen nimmt aber 
später Brongniarts Deutung an. Neuerlichst hat nun Goldenberg neue 
Arten aufgestellt und neue Resultate ermittelt. 1. Der jetzt als entschie- 
den zu betrachtende Nachweis der Allgemeinheit der Spiralstellung der 
Blätter am Stengel der Cordaites, die nur an der Spitze schopfartig bis- 
weilen auch fächerförmig erscheinen. Diese Stellung ist auch aus den 
hinterlassenen Blattnarben am Stengel häufig ersichtlich, welche Narben 
meist querlineal, in einem Falle sogar querrhombisch wie bei gewissen 
Sigillarien gefunden worden sind. 2. Die Beschaffenheit "des Cordaites- 


339 


Blattgrundes, der nervenlos, zusammengezogen und halb stengelumfassend 
erscheint, wonach man es nur mit einfachen Blättern zu thun hat. 3. Der 
wichtige und. neue Nachweis der blattwinkelständigen Inflorescenz bei 
einem Cordaites. Dieselbe besteht aus an einem Stiele sitzenden zwei- 
zeiligen Kätzchen und können alle bisher gefundenen ähnlichen Kätzchen 
unbedenklich Noeggerathia zugewiesen werden. 4, Der Nachweis der Be- 
festigung der zu Noeggerathia bisher gezogenen Früchte (Trigonocarpus, 
Rhabdocarpus, Cyclocarpus, Cardiocarpus) in sitzender Stellung an einer 
Achse. Der Fruchtstand ist also eine einfache Aehre. Jedoch ist die un- 
mittelbare Verbindung der Früchte mit den Stengeln oder Blättern noch 
nicht gelungen, aber ihr Zusammenvorkommen mit Noeggerathien- und 
Cordaitesblättern bekannt. Aus diesen Thatsachen schliesst Verf. nun 
1. Die spiralige Blattstellung bei Cordaites und die zweizeilige bei Noeg- 
gerathia begründen vielleicht einen Gattungsunterschied, aber nieht eine 
Trennung in Familien. 2. Die beobachteten dünnen Zweige, die einfachen 
Blätter, deren Narben und ganz besonders und entschieden die Inflores- 
cenz entfernen die Noeggerathiae von den lebenden Cycadeen, bringen sie 
vielmehr in nähere Beziehung zu mehren monocotylischen Familien sowie 
zu einigen Coniferen. Nur die Früchte haben allerdings Aehnlichkeit mit 
denen von Cycas, man könnte aber ebensowohl mehrere Monocotylenfa- 
milien als Coniferengattungen zum Vergleich heranziehen. 3. Die Struk- 
tur des Stammes nach Corda lässt die Vereinigung der Noeggerathiae mit 
Coniferen nicht zu. Auch der Blühtenstand von zusammengesetzten ge- 
stielten Aehren in den Blattwinkeln ist den Coniferen fremd. Es bleibt 
zwar eine Annäherung an diese, aber doch nur bis zur Einreihung unter 
die Monocotylen. 4. Als Monocotylen betrachtet können die Noeggerathieae 
aus den unter 2. angegebenen Gründen nicht zu den Palmen gerechnet 
werden, sondern bilden eine eigene, schon in der paläozoischen Zeit aus- 
gestorbene Familie. — (Ebda 63—66.) 

Schlüter, neue Echiniden und Riesenammonitenin der 
Kreide. — Diplotagma nov. gen. ein dickschaliger apfelförmiger Echi- 
nus mit centralem Peristom, dessen Kiemeneinschnitte kaum sichtbar sind. 
Periproet in der Mitte des schmalen ringförmigen Scheitelschildes. Am- 
‚bulacralfelder breit. An der Aussenseite derselben zwei verticale gerad- 
linige Doppelreihen von Ambulacralporen. 5— 8 Porenpaare auf die Höhe 
einer Stachelwarze. Stachelwarzen sehr zahlreich, undurchbohrt, unge- 
kerbt auf beiderlei Feldern von gleicher Grösse. Die Gattung gehört dem- 
nach zu den polyporen latistellaten Cidariden und zwar zu den Seriaten, 
zunächst Pedinopsis nach den Stachelwarzen, zu Phymechinus nach den 
Ambulacralporen. Die einzige Art Diplotagma altum in der Mucronaten- 
kreide bei Coesfeld und Darup. — Die Gattung Brissopsis mit einer pe- 
ripetalen und einer subanalen Fasciole war seither nur lebend und tertiär 
bekannt, Verf. sammelte sie in der obern Kreide: Br. cretacea mit brei- 
ten und tiefen Petaloiden in der Mucronateukreide bei Köppinge in Schwe- 
den und bei Haldem und Lemförde; Br. brevistella verlängert mit sehr 
kurzen Petalen bei Darup und Br. minor bei Coesfeld. — Cardiaster sub- 
rotundus bei Köppinge ist halbkugelig, verlängert mit tiefer Vorderfurche 


340 


und verlängerten Ambulacralporen. — Die weiteste Verbreitung in der 
senonen Kreide hat Ananchytes ovatus, als Seltenheit erscheint daneben 
A. granulosus nur bei Coesfeld und Darup. A. sulcatus mit gewölbten 
Asseln und tiefen Nähten nur in der jüngsten Kreide Dänemarks und 
Schwedens, nicht bei Mastricht und Aachen wie Goldfuss angiebt. — Die 
Riesenammoniten der obern Kreide werden meist zu A. peramplus gezo- 
gen. Diese Art ist jedoch nur auf den Pläner beschränkt und reicht nicht 
in das Senon, sie trägt in der Jugend starke aussen nach vorn geneigte 
lange und kurze Rippen, erste werden von einer Einschnüruug in der 
Schale begleitet, was bei den verwandien Formen des Senon nicht vor- 
kömmt. Im Alter treten nur kurze wellige Rippen auf, welche die Sipho- 
nalseite nicht erreichen. Die Nahtlinie ist einfach, wenig zerschnitten, der 
Siphonallappen weniger tief als bei den verwandten, Die jüngern Arten 
zerfallen nach der Nahtlinie in zwei Gruppen. Die eine hat auf den Sei- 
ten vier Seitenlappen und noch einen tief eingesenkten Nahtlappen, das 
Gehäuse ohne oder nur mit undeutlichen Rippen, die Mündung höher als 
breit, das ist A. Stobaei Nils. bei Köppinge und Coesfeld. Die andern haben 
nur 3 Seitenlappen neben dem tiefen Nahtlappen, in der Jugend starke Rip- 
pen, später nur schwache bis zum Sipho reichende, Mündung/ breiter als 
hoch, dies ist A. robustus bei Haldem sehr häufig. — (Ebda 132 133.) 

F. Karrer, Foraminiferenfauna in der obern Kreide von 
Leitzersdorf beiStockerau.— Stockerau liegt NW von Wien nahe 
der Donau auf Alluvinum. Nach N gegen den Mannhart hin bildet Belve- 
dere Schotter und Löss wellige Hügel, von welchen der Waschberg, Mi- 
chelsberg und Rohrwald ansehnliche Höhe erreichen. Erste beide beste- 
hen aus geschichtetem fast krystallinischen Kalkstein mit viel Nummuliten 
und Orbituliden und mit Urgebirgsfragmenten. Die Schichten stehen sehr 
steil, fast senkrecht und sind eocänen Alters. Bei Leitzersdorf folgt unter 
dem Belvedereschotter Tegel, der durch mehrfache Brunnengrabungen 
aufgeschlossen wurde. In ihnen bestimmte Verf. 42 bekannte und 30 neue 
Foraminiferen, welche entschieden mit denen der obern Kreide überein- 
stimmen. Die Frondicularien sind darunter mit 21 Arten vertreten, wovon 
14 neu, ferner die Cristellarien und Uvelliden in enormer Menge. Die 
überwiegenden Arten stimmen mit dem Plänermergel oder Baeulitenthon 
überein, fast vollständig mit denen des westphälischen Senonien, einzelne 
mit den Gosaumergeln, dem obern Gault NDeutschlands, der weissen 
Kreide Englands und Frankreichs ete. Dagegen fehlt jede Spur der Num- 
muliten und Orbituliteen des Waschberges und der Foraminiferen des 
Wiener Sandsteins. So scheint (diese Kreidescholle eine Fortsetzung der 
böhmischen Kreideformation über Brünn hinaus zu sein. Die vorherr- 
schenden Arten sind Gaudryina rugosa und oxycorna, Frondieularia an- 
gusta, Flabellina rugosa, Cristellaria triangularis und rotulata , Polymor- 
phina globosa, Discorbina marginata und canaliculata, Rotalia umbilicata, 
ferner sind häufig Ataxophragmium Presli und obesum, Cristellaria ensis 
und ovalis, dann nicht gerade selten: Verneulina Münsteri, Lagena glo- 
bosa, Nodosaria Zippei, Frondieularia mierodisca, Cristellaria bullata und 
navicula und Polymorphina lacryma, dagegen blos selten Lagena apicu- 


341 


eulata, Frondicularia marginata, Allomorphina testacea und Discorbina 
Micheliniana, die 17 andern bereits bekannten Arten sind sehr selten. Zu 
diesen mit andern Localitäten gemeinschaftlichen Arten beschreibt Verf, 
nun noch folgende neue: Verneulina eretacea, Plecanium roscidum und 
foedum, Gaudryina erassa, Triloeulina vitrea, Lagena tuberculata, Fron- 
dieularia leitzendorfensis, pulchella, amoena, pala, Althi, sarissa, plana, 
Fuchsi, Stachei, fragilis, pyrum, tribus, speciosus, Cristellaria eylindracea, 
erassicosta, sinus, tumida, Polymorphina longicollis, gravis, ampla, Trun- 
catulina horrida, Discorbina danubia, Rotalia fontana. — (Jahrb. Geol. 
Reichsanst. 1870. 157—184. 2 Tff.) 

Probst, fossile Meeres- und Brakwasserconchylien der 
Gegend von Biberach. — Wenn auch den Wirbelthierresten an Zahl 
und Schönheit sehr nachstehend sind die Conchylien der oberschwäbischen 
Molasse zur Parallelisirung der Schichten mit andern Localitäten von In- 
teresse. 1. Brakwassermuscheln von Hüttisheim. Die von Krauss be- 
schriebenen Schichten von Kirchberg setzen sich nach SW fort, bieten bei 
Staig dieselben Arten mit Ausnahme der Paludina varicosa, kommen in 
Steinberg und Weinstetten wieder vor und sehr schöne bei Hüttisheim, 
wo über Sanden und grünblauen Mergeln dunkle jschiefrige Sandmergel 
und dann ein grauer Sand mit schneeweissen kleinen Muscheln lagert. 
Diese sind Congeria amygdaloides und spathulata, Cardium ‚solitarium, 
sociale, reconditum, Kraussi, Cyrena Suessi, Tapes Partschi, Lutaria du- 
bia und strangulata. Die Congerien und Cardium stellen die Verbindung 
mit Kirchberg her, die andern sind dieser Localität eigenthümlich. — 
2. Muscheln der Meeresmolasse von Baltringen und der Umgegend bieten 
keine localen Eigenthümlichkeiten, dagegen weicht Warthausen blos mit 
Balanus, Ostraea und Pecten ab, doch gehören nach C. Mayer alle diese 
Loealitäten in einen Horizont und führt derselbe folgende Arten: Ostraea 
longirostris, virginiana, argoviana, saccellus, batillum, tegulata, caudata, 
arenicola, emarginata, Dujardini, Meriani, Pecten scabrellus, palmatus, 
Hermanseni, ventilabrum, opereularis, Moeschi, Peeten Schilli, Mytilus 
aquitanicus, Arca turonica, A. Fichteli, Cytherea pedemontana, Tapes 
suevica, Cardium Parkinsoni, Cardita Probsti, Pholas rugosa, Jouanne- 
netia tenuicaudata, Gastrochaena intermedia, Turritella turris, Scalaria 
pumila, Balanus Holzeri und tintinnabulum. Die Molasse von Siessen bei 
Saulgau mit den Baltringer Wirbelthieren, führt zahlreichere Einschaler als 
Baltringen. Es wurden.bestimmt: Cardium Dujardini, Parkinsoni, commune, 
Pectunculus glyeymeris, Natica burdigalensis, Ficula condita, F. burdi- 
galensis, Pyrula rusticola. In den Schichteneomplexen_von Schemmerberg 
und Langenschemmer sind die dürftigen Fossilien so vertheilt, dass iu 
den Sanden die Fischzähne, in den mergligen Zwischenschichten Corbula 
gibba und Spatangus vorkommen. Diese Schichten sind die tiefern 
Lagen der Meeresmolasse. Verf. giebt noch die Arten von Ermingen und 
Jungingen auf der Alb und vergleicht dann die tertiären Schichten nörd- 
lich und südlieh der Donau. Nach Fraas gliedert sich das Tertiär der Alb 
in 1. ältestes Glied Bohnerze und Pisolithe mit Landschnecken, 2. Meeres- 
molasse, bisweilen durch Süsswasserkalk in eine obere und untere ge- 


342 


theilt, 3. Süsswasserkalk auch pisolitisch, jedes Glied führt charakte- 
ristische Leitarten. Hiernach ist nun der Landschneckenkalk von Ulm mit 
den zunächst südlich der Donau hinziehenden oberschwäbischen als älte- 
stes Glied festgestellt: Helix rugulosa, subvertieillus, depressa, Ramondi 
finden sich überall. Darüber folgt wie in Oberschwaben so auch im Alb- 
tertiär eine Meeresmolasse, daun auf beiden Seiten der Donau eine Süss- 
wassermolasse mit der leitenden Helix sylvestrina und H. inflexa. — 
(Würtemb. naturwiss. Jahreshefte XXVH. 111—118.) 

Osw. Heer, über die fossile Flora der Bäreninsel und 
Grönlands. — Gegen Heer meint Carruthers mit Goeppert, dass die 
Knorrien zu Lepidodendren und die Cyclostigmen mit Knorria und Stig- 
maria zusammengehören und Heer habe seine Ansichten über die Kildor- 
kanpflanzen auf die irrigen Bestimmungen der irischen Palaeoniologen ge- 
gründet. Allein Heer hat die reiche Sammlung von Baily und Seott selbst 
untersucht und auf wirkliche Beobachtungen gestützt widerlegt er Carru- 
thers weitere Opposition. Er erhielt auch die grosse Sammluug grönlän- 
der Pflanzen von der vorjährigen schwedischen Expedition zur Untersuchung. 
Darunter sind einige 1000 Stück Kreideversteiverungen, welche zwei Stu- 
fen angehören: die NSeite der Halbinsel Noursar ist untere Kreide wahr- 
scheinlich Urgonien. Zahlreiche Farren, vorherrschend zierliche Gleiche- 
nien, aber auch Asplenien, Adianten und Taeniopteris, denen Cycadeen 
mit 5 Arten darunter Zamiles arcticus am häufigsten, noch zahlreicher 
sind die Nadelhölzer meist neue und eigenthümliche Arten aber auch Se- 
quoia Geinitzi sehr verschieden von den Zapfen der Geinitzia formosa, Die 
zweite Kreideflora liegt in einem ganz ähnlichen schwarzen Schiefer auf 
der SSeite von Noursar und ist obere, hat nur wenige Arten mil der 
nördlichen gemein, weniger nur elf Farren, die Marattiaceen fehlen, die 
Gleichenien sind selten, von Cycadeen nur eine neue Art, von Coniferen 
mehre Sequoien, 1 Thuites, 1 Salisburia und dann Dicotylen in 22 Arten, 
darunter Populus, Ficus (Blätter und Feigen!), Myrica, Credneria, Chon- 
drophylium, Magnolia, Myrthophyllum u. a. Also auch in der arklischen 
Zone treten die Dicotylen wie in Europa in der obern Kreide auf und 
gleich in einer auflallenden Manichfaltigkeit der Formen. Die letzte 
schwedische Expedition hat also einen überaus wichligen Beitrag zur 
Kenntniss der frühern Epochen der Polarzone geliefert und wir sind nach 
diesen ersten Notizen sehr gespannt auf die Detailuntersuchungen Heers 
über diese Fossilreste. — (Neues Juhrb. f. Mineral. 857—859.) 

Botanik. Pfitzer Dr., Podochytrium elavatum n. gen. et 
n. Sp., parasitische Pilze auf Diatomaceen. — Auf todten Pin- 
nularien beobachtete Verf., und zwar bis zu 20 Fruchtträgern auf einer 
Zelle genannten Pilz aus der Familie der Chytridieen. Aus der obern Zelle 
des Fruchtträgers schwärmten zahlreiche Zoosporen aus, aber nicht durch 
Deckelöffnung der Zelle, sondern durch Aufquellen und Verflüssigung des 
Scheitels. Der Pilz ist durch den zweizelligen Fruchtträger von allen be- 
kannten Chitridieen verschieden, nur Rhigidium ausgenommen. Bei letzter 
Gattung entsteht die als Zoosporium fungirende Zelle als seitlicher Aus- 
wuchs uuter dem Scheitel der Stielzelle, bei dem neuen Pilze theilt sich 


343 


die ursprünglich einzige, den Fruchtträger darstellende Zelle durch eine 
Querwand in Stiel- und Fruchtzelle.. — (Naturh. Ver. d.preuss. Rheinl. 
XXFII Sitzungsber. p. 62.) 

Gust. Herpell, die Laub- und Lebermoose in der Umge- 
send von St. Goar. — Verf. stellt als Beitrag zur Flora der Rheinpro- 
vinz die von ihm seit 1862 in genannter Gegend gesammelten Moose zu- 
sammen und giebt die Fundorte genau an. DieLaubmoose schliessen mit 
192 Arten ab und sind vertreten die Bruchiaceae mit 2, Phascaceae mit 
5, Fissidenteae mit 4 Arten, die Leucobryazeae durch Leucobryum vul- 
gare, die Sphagnaceae durch Sph. acutifolium, die Funariaceae mit 4 Ar- 
ten, die Buxbaumiaceae mit B. aphylla, die Mniaceae mit 8, Polytricha- 
ceae mit 7, Bryaceae mit 17, Dieranaceae mit 8, Leptotrichaceae mit 6, 
Bartramiaceae mit 3, Calymperaceae mit 2, Poltiaceae mit 25, Ortothri- 
chaceae 31 Arten, die Diphyseiaceae durch Diphyseium foliosum, die 
Neckeraceae mit 9, Hypnaceae 57 Arten. — Die Lebermoose enthalten 
38 Arten. Riceia glauca, Marchantieae 2 Arten, Metzgerieae 2, Haplolae- 
neae 2, Fossombronia pusilla, Jubuleae 3, Platyphyllae 3, Trichocolea to 
mentella, Trichomanoideae3, Juugermanniaceae 18, Gymnomitria 2 Arten. R 
Einige noch unentwickelte, zur nähern Bestimmung noch nicht geeignete 
Formen werden für einen Nachtrag vorbehalten. — (Naturh. Ver. d. 
preuss. Rheinl. XXVII. 133 — 157.) 

Hanstein, ein eingewachsenes Forstzeichen in einem 
Rothbuchenstamme. — Dies häufig vorkommende Curiosum zeigt ein 
auf der glatten Korkrinde eingeschnittenes und längere Zeit mit derselben 
fortgewachsenes Zeichen; beim Spalten des Holzstückes war dasselbe auf 
derjenigen Holzlage, welche, als damals jüngste, vom Durchneiden der 
Rinde mit getroffen war, in ursprünglicher Grösse und schwarz von Farbe 
sichtbar. Jetzt ist es auf dem Holze von seinem mit der Rinde fortge- 
bildeten Abbilde durch eine c. 3 Zoll dicke, aus etwa 28 Jahresringen be- 
stehende Holzınasse getrennt, deren Schichten nur ein schwach convexes, 
sonst nicht unterschiedenes Mal des Zeichens sehen lassen. — (Naturh. 
Ver. d. preuss. Rheinl. XXVII. Sitzungsber. 142.) 

Derselbe, geweihförmig verästelte Fasciation eines 
Eschenzweiges. — Dieselbe entspringt aus cylindrischem Grunde, 
theilt sich in 2 grosse, dann in mehrere kleinere Zweige und läuft haupt- 
sächlich in 2, einige Zoll breite, schaufelförmige Enden aus. An allen 
Theilen mit unregelmässig zerstreuten Knospen besetzt, trägt der Zweig 
doch einige fast oder ganz normale Sprosse. Die Vegetationskante der 
Schaufelenden, auch ihrerseits mehrtheilig, verkrümmt, und im Begriff 
sich von neuem zu verzweigen, ist mit Zahlreichen Knospen besetzt, die 
theilweise normal aussehen. Dies und die regelrechten Sprosse werden 
dafür als Beleg angesehen, dass die specifische Gestaltungsregel der Pflan- 
zensprosse nicht von der geometrisch genauen Fig. der Vegetationsfläche 
der Gipfelknospe abhängt, sondern in allen Theilen der Pflanzen gleich- 
mässig zur Geltung kommt. — (Ebda.) 

H, Hüser, Keimfähigkeit des Roggens bei niedriger 
Temperatur. — In einem Eiskeller, wo die Blöcke schichtenweise auf- 


344 


gebaut waren, fanden sich von überdeckendem Stroh herrührende, aufge- 
laufene Roggenpflanzen. Die Wurzelfasern erreichten mehr als Fusslänge 
bei Fadendicke, gingen durch mehre Eisschichten hindurch und hatten sich 
jedenfalls beim Wachsen den Weg selbst gebohrt, das Eis schmelzend 
und das Wasser als Nahrung benutzend. — (Naturh. Verein d. preuss. 
Rheinl. XXVII. Corresp. 54.) 

Hanstein, vorläufige Mittheilung über Bewegungser- 
scheinungen des Zellkernesin ihren Beziehungen zumPro- 
toplasma. — Verf, giebt einen kurzen geschichtlichen Ueberblick über 
den von Mohl eingeführten Begriff des Protoplasma, welcher nach ihm er- 
weitert worden ist, indem man darunter nicht blos diejenige bildsame 
Masse verstelit. welehe zähflüssig und theilweisse fliessend mehr das Bil- 
dungsmaterial ausmachte, sondern sämmtliehe, den lebendigen und thä- 
tigen Theil des Zellinnern ausmachende Albuminate, namentlich auch 
die schon gestalteten und die Gestaltung fortbildenden Inhaltskörper, ein- 
schliesslich des Zellkernes und Primordialschlauches. Die Bewegungen 
des protoplasmatischen Körpers sind vielfach studirt worden und die 
scharfe Abgrenzung der Plasmaströme und ihre Zähigkeit und Eigenbe- 
weglichkeit liessen, wie besonders auch M. Schultze und Brücke in der 
thierischen Zelle nachgewiesen haben, die Annahme einer nur dünnflüssi- 
gen Stromsubstanz nicht bestehen. Im Wandprotoplasma wurde beson- 
ders auf pflanzenphysiologischer Seite der Mohlsche Primordialschlauch 
mehr als relativ fester und ruhender Theil von den Strömen als unter- 
scheidbar anerkannt. Man hat sich über diese Ansicht immer noch nicht 
einigen können, Verf. erklärt aber auf Grund eigener Beobachtungen, dass 
die von Brücke besonders klar dargestellte Anschauung von den strömen- 
den und einhüllenden Theilen des Protoplasma für die Pflanzenzellen die 
genaueste und die Bezeichnung „Zellleib“ für den protoplasmatischen 
Inhalt sehr charakteristisch ist. Zum Verständniss der Bewegung ist es we- 
sentlich, die strömende Bewegung einer körnchenführenden Flüssigkeit 
von der Bewegung der Bänder im Ganzen zu unterscheiden. Die Strömung 
selbst ist seit Treviranus, Meyen und Schleiden oft genug geschildert und 
als bekannt vorauszuseizen; diese Schilderungen erwecken aber meist im- 
mer noch die Vorstellung, als ob diese Binnenströme des Protoplasma 
frei aus dem Wandprotoplasma oder demjenigen, das den Kern umgiebt, 
herausträten, den Zellraum frei durchkreuzten, nach Art von Wasserläu- 
fen sich verzweigten und veränderten und hier und da in andere Ströme 
einmündeten. So aber verhält es sich in der Pflanzenzelle nicht. Viel- 
mehr treten in Gestalt von seitlichen Falten diese Strombänder aus der 
Fläche des Wandprotoplasma oder aus schon bestehenden andern Bän- 
dern heraus, trennen sich zum Theil von ihnen, bewegen sich seitlich in 
den Zellraum und durchsetzen ihn endlich in verschiedenen Richtungen, 
straff zwischen ihren mit dem Primordialschlauche oder dem Kernproto- 
plasma in Verbindung bleibenden Enden ausgespannt. Sie spalten sich, 
trennen’sich, verschieben sich in derselben Weise, verschmelzen mit ihren 
Kanten, wo sie sich treffen, wieder unter sich oder ganz oder theilweise 
mit dem die Wand bekleidenden Protoplasma. Nicht ein Flüssigkeitsstrom 


345 


bricht hier oder dort hervor, sondern eine zähe, gestaltete und sich selbst 
umgestaliende Masse. Das Ganze ist somit in steter Umgestaltung be- 
griffen, wenn auch örtlich verschieden schnell, kurz das Protoplasma be- 
steht neben einander aus flüssigen und weichfesten Theilen, Das Strömen 
dieser Theile ist nun eine von der Bewegung der Bänder verschiedene Er- 
scheinung. Eine weniger dichte, verschieden grosse Kürnchen mit sich 
führende Flüssigkeit bewegt sich in derselben, in verschiedenen Richtun- 
gen in dem Strombande, welches seinerseits davon unabhängig und an- 
ders gerichtet, oft rechtwinkelig dagegen sich bewegt. Oft scheinen zwar 
die ina Flusse fortgerissenen Körnchen längs der Oberfläche des Bandes 
zu gleiten, so dass man auch die zähe Substanz desselben mehr in dessen 
Innern vermuthet hat. Dagegen spricht aber der Umstand, dass die Theil- 
chen entgegengeseizter Ströme sieh innerhalb der Strombetten unmiltel- 
bar berühren und stören, ferner die Ansicht, welche ihre Umrisslinien selbst 
bieten, indem sie fast überall scharf gegen den weniger dichten Zellsaft 
abgegrenzt sind. Verf, nimmt nach allen optischen Wahrnehmungen an, 
dass für die normalen Verhältnisse im Pflanzenprotoplasma die Protoplas- 
maströme in einer, wenn auch noch so zarten und oft dem Auge nicht 
sichtbaren, so doch ihrem Gefüge nach membranartigen Umhüllung vor 
sich gehen, eine Umhüllung, welehe durch dichtere Lagerung der Mole- 
küle fester gestallete, die selbständige Form veranlassende Aussenschicht 
nach innen allmälig in weichere undichtere Schichten und endlich in den 
Flüssigkeitszustand des strömenden Plasma übergeht, zwischen dessen 
Bahnen innerhalb hier und da wieder festere Verbindungen angenommen 
werden können, Mit dieser Vorstellungsweise drängt sich aber auch die 
Annahme von einer vielleicht noch zarteren Hautschicht auf, welche gegen 
den Zellraum hin das auf der Innenseite des strömenden Schlauchs strö- 
mende Protoplasma begrenzt. Man käme somit zur Annahme einer dop- 
pelten zähmembranartigen Schicht und eines theilweise mit Flüssigkeit 
erfüllten Zwischenraumes, und hat sich das Protoplasma im Ganzen zu 
denken als mit einer doppelten hautartigen Schicht versehen, aus deren 
innerem Blatte schlaugähnliche Falten und Fortsätze heraustreten und den 
Zellraum durchziehen, während in allen Innenräumen dieser Theile, die 
auch wieder durch festere durchzogen sein können, die Ströme flüssiger 
protoplasmischer Substanz eireuliren — jene derben Ausdrücke, Blatt, Fal- 
ten ete. sind in möglichster Zartheit zu denken — Die weitere Untersu- 
ehung stellt sich nun die Aufgabe, die Rolle des Zellkernes bei der Be- 
wegung zu ermitteln. Dass derselbe seinen Ort wechselt und zum Zell- 
theilungsprozess in naher Beziehung steht, haben die frühern Beobachtun- 
gen zur Genüge dargethan, doch wurde seine Bewegungsfähigkeit meist 
nur aus den verschiedenen Entwicklungszuständen erschlossen, die der 
Beobachter neben und nacheinander vor sich hatte. Die Bewegungen des 
Zellkernes sind häufiger und dauernder als bieher angenommen wurde. 
Die Beobachtung der Zellen mancher Haare von Cueurbitaceen von Martyria, 
Cnieus, Tradescantia, die Parenchyms von Dahlia, Aster, Cucurbita, Pistica 
haben gelehrt, dass, nachdem die Zelle aus ihrem ersten Jugendzustande 
herausgetreten und in die Zeit des einfachen Ausdehnens und Wachsens 


346 


eingetreten ist, der Zellkern abwechselnd sich in Bewegung setzt und wie- 
der zur Ruhe kommt, ohne dass dies jetzt zu einer Theilung oder auffal- 
lenden Umgestaltung der Zelle führt. Bekanntlich ist er von einer sack- 
förmigen Protoplasmahülle umgeben, in welche die Bänder genau in der- 
selben Weise auslaufen wie in das Wandprotoplasma. Diese sind in leb- 
hafter Verschiebung und Umgestaltung begriffen und die strömende Substanz 
läuft hin und wieder zwischen Wand- und Kernhülle, umkreist in dieser 
den Kern in verschiedener Riehtung und durchläuft die Querverbindung 
der grössern Ströme. Von diesen verschiedenen Bewegungen lässt sich 
die Eigenbewegung des Kernes leicht unterscheiden. Derselbe rückt bald 
schneller bald langsamer im Zellraum fort, zuweilen fast geradeswegs die- 
sen durchkreuzend, dann wieder in verschlungener Bahn, erreicht irgend- 
wo die Wand, schmiegt sich derselben an und kriecht längere oder kür- 
zere Strecken daran hin, um sich endlich wieder in den Zellraum zu 
erheben und ihn von Neuem entweder in einer Richtung zu durchsegeln 
oder in ihn umherzukreuzen. Bald legt er dabei den ganzen Längsdurch- 
messer einer langen Zelle in wenigen Minuten zurück, bald vergehen Stun- 
den, während er sich von einer Seite derselben zur anderr begiebt oder 
wie ziellos im Raume derselben umherschleicht. Diese Bewegungen des 
Kerns und die Protoplasmaströme stehen in keinen unmittelbaren Bezie- 
hungen zu einander und letztere treiben erstere entschieden nicht. Wäh- 
rend der Kernbewegungen sind und bleiben die Plasmabänder, so viel 
deren dem Kern anhängen, stets straff gespannt, so dass die Kernhülle 
von denselben zu scharfen Ecken ausgezogen wird; es sieht aus, als 
werde der Kern wie ein Fahrzeug zwischen rings gespanntenr Tauen her- 
umbugsirt. Indem nun während dieses Bugsirens die Bänder selbst schnell 
ihre Richtung und Gestalt wechseln, muss es nicht nur die Kernhülle, sondern 
der Kern selbst. Er ist daher bei seiner Wanderung niemals kugelförmig und 
geben sich seine nicht immer leicht von der seiner Hülle zu unterscheidenden 
Formveränderungen namentlich auch durch die Verschiebung der Kernkörper- 
chen innerhalb der Kernmasse kund. Somit gewinnt der Zellkern durch die 
Wandelbarkeit seiner eigenen Form, durch die noch bedeutendere seiner 
Hülle und durch die ruhelose Umlagerung und Umbildung der Bänder, 
welche von ihm ausgehen und ihn schwellend erhalten, eine schla- 
gende Aehnlichkeit mit einem jungen Plasmodium oder einem amöbenar- 
tigen Organismus, ja er gleicht einem solchen während seines Umherkrie- 
chens so, dass ihn wesentlich nur die Verbindung mit dem Wandproto- 
plasma davon unterscheidet. Das amöbenartige Umherwandern scheint zu 
beginnen, wenn das Strömen in den Protoplasmabändern anfängt, wenn 
also der Inhalt der jungen, sich dehnenden Zellen durch Wasseraufnahme 
so viel an Dichtigeit verloren hat, dass er durch seinen Druck die Bewe- 
gung nicht mehr hemmen kann. — Wo kommen aber die Bewegungen 
her? Nicht die Ströme in den Bändern, nicht der Zellkern, nicht der 
Primordialschlauch für sich ist Sitz und Bewegungsursache. Der ganze 
Protoplasmaleib, der keine Substanz, sondern ein Organismus ist, 
bewegt sich in allen Theilen, bald zugleich, bald wechselnd, als einheit- 
liches amöbenartiges belebtes Eigenwesen. Die wechselnde Coutraction 


347 


und Expansion der festeren hüllartigen Protoplasmatheile wirken hier 
drückend und stossend, dort saugend und ziehend auf die flüssigen Theile, 
und man Könnte diese Erklärungsweise für die Strömungen gelten lassen, 
ohne freilich «die Erscheinung der Gegenströme innerhalb ein und dessel- 
ben Bettes, die sich gegenseitig nicht ausgleichen und combiniren, dabei 
mit zu begreifen, Es ist der stets bewegliche, contractile Zellleib auch das 
allein Active im Zellinnern. Zunächst sich selbst aus noch unbekannten 
Ursachen und zu unbekannten Wirkungen umbildend, stets neue von den 
flüssigen Theilen der eigenen Substanz zwischen die festeren aufnehmend 
und gestaltend, andere -aus dem festen Verbande wieder ausscheidend und 
der Strombewegung übergebend, nimmt dieser Körper auch die metaplas- 
matischen Substanzen des Zellinnern in sich auf, verändert ihre chemi- 
schen und giebt ihnen gleichzeitig neue mechanische Combinationen, in- 
dem er sie wieder hier ader dort, nach aussen (Cellulose), nach innen 
(Stärkemehl etc.) ausscheidet. — Ob und wie bei dieser chemischen und 
morphologischen Aktion der Zellkern eine bevorzugte Rolle zu spielen hat, 
ist nicht ermittelt, nur so viel steht fest, dass sich die Zelltheilung ir- 
gendwie auf seine Lage bezieht, wo er überhaupt vorhanden ist. Beson- 
ders im Parenchym höherer Pflanzen (Sambucus, Helianthus, Lysimachia, 
Polygonum, Silene u.a.) ist vom Verf. beobachtet worden, dass die Thei- 
lung der Zellen sich zugleich mit der Theilung des vorhandenen Mutter- 
zellkerns vollzieht. Vor Beginn der Theilung pflegt derselbe durch Ver- 
schiebung des Gesammtprotoplasma in die Mitte zu rücken; darauf bege- 
ben sich die ihn haltenden Bänder zu einer Plasmaanhäufung mitten in der- 
jenigen Fläche der Zelle zusammen, in welcher sich dieselbespalten soll. Jetzt 
oder schon früher treten im Kerne mindestens 2 Kernkörperchen auf, dann 
theilt eine zarte Halbirungsgrenze den Kern in 2 Hälften, gleichzeitig oder 
unmiltelbar darauf zeigt die ganze, ihn umgebende Plasmaschicht eine 
freje durchgehende Spaltungsfläche, in welcher allmälig die neue Cellulose- 
wand enisteht. Dies in vegetaliven Zellen höherer Pflanzen gegen Hof- 
meister die normale Bildung neuer Zellen. Nach Vollendung beider Toch- 
terzellen pflegen sich die Kerne derselben auf die Wanderschaft zu be- 
geben und zwar im Markparenchym der Dikotylen häufig in folgender Art: 
Beide Theilkerne kriechen in entgegengeselzter Richtung an der Scheide- 
wand hin und ziemlich schnell genau an die diametral ihrem Theilungs- 
orte gegenüberlingende, also ältere Querwand der neuen Zelle. Hier 
scheinen sie zunächst zur Ruhe zu kommen, dann aber die Bewegung auf 
längere Zeit zu beginnen. Wegen der grossen Schwierigkeit, lebendige 
Zellenkerne, zumalin dem Binnengewebe, längere Zeitbeobachten zu können. 
werden die vorgetragenen Erscheinungen noch angestrengter Thätigkeit 
bedürfen, um sie vollständig klar zu legen. (Naturf. Ver. der preuss. 
Rheinl. VII. Sitzungsbr. 217—233.) \ 

N. Kauffmann, die Bildung des Wickels bei den Asperi- 
folieen. — Verf. stellte seine Uutersuchungen über die Bildung der 
Wickel an Symphytum peregrinum in erster Linie, an Myosotis palustris 
und Anchusa offieinalis an, um die Rechtfertigung der Annahme zu er- 
mitteln, dass die Wickel nur Modification einer Trugdolde seien, die 


348 


aus einem System von Achsen besteht, welche abwechselnd nach rechts 
und links eine aus der andern entspringen und sich an ihrer Spitze in 
eine Blühte umwandeln. Bei den beiden ersten Pflanzen fehlen die Deck- 
blätter, bei der letzten sind sie verhanden. Was die Stellung der Wickel 
anlangt, so sitzen sie bei Symphytum peregrinum meist paarweise dicht 
unterhalb einer endständigen Blühte in gewisser Entfernung von 2 wechsel- 
ständigen Nachbarblättern. Auch bei Anchusa und Myosotis kommen eben 
so gestellte Wickel vor, doch fehlt bei Myosotis eben so häufig zwischen 
den paarizen Wickeln die Endblühte oder es steht an der Spitze einer 
Achse nur ein Wickel, letzter Fall auch bei Anchusa nicht selten, beide 
Fälle dagegen eine Seltenheit bei Symphytum. An nur 2 Blätter tragenden 
Nebenachsen von Symphytum und an Haupt- und Nebenachsen von Myo- 
sotis mit einer grössern Blätterzahl entstehen die Wickel aus Knospen- 
anlagen, welche in den Achsen zweier, einer Achse nächst älterer Ord- 
nung gehörender Blätter gebildet werden. Diese Blätter sind wechsel- 
ständig und bilden bei Symphyt. die ersten und einzigen Glieder ‘der Blatt- 
spirale, bei Myosotis die letzten Glieder derselben. Aeltere Zustände 
solcher zweiblättrigen Nebenachsen bei Symph. zeigen, dass der Vegeta- 
tionskegel sich in eine Blühte umbildet und dass die Anlagen ihrer Achsel- 
knospen durch 2 neue Vegetationskegel ersetzt werden, von denen der 
vordere gegen das die zweiblättrige Achse stützende Blatt gerichtet ist 
und sich wieder durch eine seichte Querfurche an der vordern Seite in 2 
neue Vegetationskegel theilt. Diese 3 Höcker bilden ein Ganzes. Der 
hintere Kegel bleibt ganz und geht direkt in eine Blühte über, indem der 
breiter gewordene obere Theil zu Kelchblättern, der nicht erweiterte untere 
zum Blühtenstiele wird. Diese Blühte wird zu der untersten des erwach- 
senen Wickels. "Um die Entwiekelung der folgenden Blühten zu beobachten, 
hat man sich zu einem 'entwickelteren Stadium des Wickels zu wenden, 
das eine grössere Anzahl von Blühtenanlagen enthält, um gleichzeitig die 
Entwicklungsfölge des ganzen Blühtenstandes beobachten zu können. Zu 
der Zeit, wo der'Wickel noch von den der Achsenspitze nächst gelegenen 
Blättern vollständig eingehüllt ist, sind die oben erwähnten 3 Höcker durch 
eine Gruppe von Höckern ersetzt, welche in der Achsel eines jeden Blattes 
in ? Reihen stehen und zwar so, dass der grösste Theil der Höcker auf 
der dem beide Höckergruppen stützenden Blatte zugekehrten Seite aus der 
Achsel der beiden Stützblätter in Form einer dichten Tranbe hervortritt. 
Am untern freien Ende dieser Gruppe, das dem Stengel zugewendet ist, 
geht die Anlage neuer Blihten vor sich; und davon aufwärts triffi man 
alle Entwickelungsstadien der Blühten an. Die Entwickelung ist folgende: 
Der die Spitze des Wiekels bildende und gegen den Stengel gerichtete 
Höcker theilt sich in 2 neue Höcker, von denen der obere allmälig grösser 
und zu neuer Blühte wird, während sich der untere abermals theilt. Die 
Blühtenanlage, wie sie vorher bereits. angegeben, findet also auch an der 
Spitze des Wickels und bei den übrigen Blühten des Wickels in gleicher 
Weise statt und zwar durch dichotomische Theilung des Vegetationskegels 
der Achse. Die Dichotomie wird besonders da recht deutlich, ‘wo, wie 
bei Anchusa offieinalis, der Wickel Deckblätter trägt. Abgeschen vom 


349 


Vorhandensein dieser ist die Entwickelung des Wickels auch hier dieselbe, 
Die zweireihige Anordnung der Deckblätier an der Spindel erscheint in 
den ersten Entwiekelungsstadien des Blühtenstandes, nur sitzen sie dicht 
beisammen und überdecken sich mit ihren gegen die Spitze des Wickels 
geriehteten Rändern. Die Deckblätter setzen sich abwechselnd an der 
rechten und linken Seite des Vegetationskegels an. Am Vegetalionskegel 
des Wickels wird nur ein Blatt angelegt und zwar von der Theilung jenes, 
Die Theilungsebene des Kegels bat stets eine senkrechte Stellung gegeu 
dieses Blatt und bleibt diese Stellung auch dann noch, wenn der eine 
Höcker sich in eine Blühte umzugestalten beginnt. Im Anfange der Thei- 
lung trifft die in Rede stehende Ebene selbst die Mittellinie des; jungen 
Blattes, später aber seheint sie näher gegen den obern Blattrand gerückt 
zu sein, was jedoch nur eine Folge des nachträglichen Breiterwachsthhums 
eines zum neuen Vegetationskegel werdenden Höckers ist. Die Lage der 
Theilungsebene oder die Furche, welche der sich in eine Blühte umbilden- 
den Höcker von dem neu entstandenen Vegetationskegel trennt, zeigt die 
diehotome Theilung der Höcker, sie sitzen nebeneinander, müssten, aber 
hinter einander stehen, wenn einer einer Achselknospe entsprechen sollte. 
Durch die diehotomische Theilung des Vegetationskegels erklärt sich auch 
in einem vollkommen ausgebildeten Wickel das Auftreten der Blühten 
seitlich nebeu dem Mittelnerven der Deckblätter und nicht über ihnen, 
Die Richtung, in welcher die Theilung des Vegetationskegels geschieht, 
ändert sich während seiner Eutwicklung indem sich die Theilungsebene 
abwechselnd nach mehr rechts oder liuks neigt.- Darum sind in diesem 
Blühtenstande die Blühten; nicht in einer, sondern in zwei Reihen gestellt. 
Die Wechselseitigkeit setzt sich auf paarige Wickel fort, indem von zwei 
Blühten gleicher Ordnung die des einen nach rechts, die des andern nach 
links gerichtet ist. Auch insofern /entsprechen sich bei normaler Ent- 
wickelung zwei paarige Wickel, als sie zu gleichen Momenten, auf gleicher 
Eutwicklungsstufe steben, gleichzeitig eine dichotomische Theiluug, gleich- 
zeitig Blühten gleicher Ordnung ansetzen. Selbst dann weun die paarigen 
Wickel aus Knospen entstehen, die. in den Achseln von Blättern ungleichen 
Alters angelegt worden und die Wickel mithin selbst ungleichen Alters 
sind, bleibt diese Gleichmässigkeit in der Eutwicklung bestehen. Jeden- 
falls müssen die frühesten Anlagen sehr schnell auf einander folgen. Durch 
die Lage der Theilungsebene des Vegetationskegels wird auch die Schnecken- 
forn des Wickels bedingt. Im Verlaufe seiner Entwickelung wird. die 
Stellung dieser Ebene in Bezug auf die Aclıse stets geändert; anfangs ist 
sie dieser fast parallel, schon bei der zweiten Theilung wird sie geneigt, 
Demnach erhalten die durch Theilung entstandenen Höcker eine Stellung 
über einander und wird die Spitze des jüngsten, untern Höckers zur Seite 
gerichtet, je weiter die Eutwickelung vor sich geht, desto stärker neigt 
sich die Ebene von der Achse ab, sie bildet anfangs mit ihr einen rechten 
Winkel, der in einen von 180° und endlich in einen noch grössern über- 
geht. Die Spitze des neu entstehenden Vegetationskegels senkt’ sich da- 
bei immer tiefer und hebt sieh nur dann allmälig wieder, wenn der Winkel 
zwischen Achse und Theilungsebene grösser als 180% geworden bis sie zu- 


350 


jetzt wieder gegen die Achse gerichtet ist. Die gemeinsame Basis, auf 
welcher die Blühten des Wickels sitzen, besteht aus den Basen oder den 
untern Internodien, wenn der Wickel Deckblätter trägt, von Achsen ver- 
schiedener Ordnung, die nach einander in ihrem obern Theile oder in 
ihrem obern Internodien gestreckt und bilden die Scheinspindel des Blühten- 
stands. Von den sympodial verzweigten Infloreszensen ist der Wickel 
wesentlich verschieden; denn während bei der erstern die Spindel aus den 
untern Theilen oder Indernodien derjenigen Achsen gebildet sind, welche 
in ihren obern Theilen in Blühten umgewandelt werden, besteht dieselbe 
im Wickel aus den untern Theile oder Internodien besonderer Achsen, 
an deren Spitze in Folge einer diehotomen Theilung neue, zu Blühten 
sich umbildende Achsen entstehen. Verf, meint, dass, nach Payer’s Ab- 
bilduugen zu schliessen, Nitroria Schoberi, Pavia macrostachys, Aristo- 
lochia Clematitis, Helianthemum vulgare, Tradescantia virginica ihre Blühten- 
stände in gleicher Weise entwickeln müssten. — Wie schon erwähnt, 
fehlt bei paarigen Wickeln bisweilen die endständige Blühte, dies ist der 
Fall, wenn der Vegetationskegel der Achse, an der sich die Wickel bilden, sieh 
nicht in eine Endblühte umbildet, sondern in 2 neue Vegetationskegel theilt. 
Diese theilen sich abermals in einer zur Achse geneigten Ebene, so dass 
die neu entstandenen Höcker über einander zu liegen kommen. Aus den 
2 in Folge der ersten Theilung entstandenen Vegetationskegeln bilden sich 
2 Wickel, wobei die Blühten in der bereits angegebenen Weise erscheinen. 
Die bei Myosotis und Anchusa bereits erwähnten einfachen (nicht paarigen) 
Wickel entstehen dann, wenn in der Achsel eines der beiden Blätter, welche 
dicht unterhalb des in eine Endblühte sich umbildenden Vegetationskegels 
sitzen, keine Knospe, d. h. kein Wickel angelegt wird. 

In Folge von Verschiebung bietet die Stellung der Blühtenstände wie 
der Blühten bei den Asperifolien, wie besonders Symphytum lehrt, mehr 
Eigenthümlichkeiten als bei andern Pflanzen. So kommen z. B. in Folge 
von Verschiebung die vollkommen ausgebildeten paarigen Wickel über 
der Achsel der beiden Blätter zu stehen, in der sie angelegt werden. 
Beide Wickel und die zwischen ihnen sitzende Blühte werden allmälig auf 
einer gemeinsamen Basis emporgehoben bis sie endlich in beträchtliche 
Entfernung von den sie stüzendan Blättern zu sitzen kommen. Diese 
Blätter rückten auch später nicht aus einander, sondern sitzen dicht bein 
sammen. Einmal wurde sogar nur ein Blatt beobachtet, von dem andern 
nicht die geringste Spur. Achsen, welche an ihrer Spitze paarige Wickel 
tragen, sind meist selbst paarweise verbunden und dabei so ähnlich ent- 
wickelt, dass es schwer zu entscheiden, welche einer Seitenachse ent- 
spricht und welche blos Fortsetzung der Hauptachse ist. Meist unter- 
scheiden sie sich jedoch dadurch, dass an der einen unterhalb der beiden 
den Wickeln entsprechenden Blättern eine Blühte sitzt, seltener fehlt sie 
beiden. An der Spitze einer Hauptachse z. B. beginnt sich der Vegeta- 
tionskegel sehr früh in eine Blühte umzubilden., Die sich an diesem Ve- 
getationskegel bildenden Blätter, die künftigen Kelchblätter, erscheinen in 
derselben Reihenfolge wie die Laubblätter und bilden blos die Fortsetzung 
der dem vegetativen Theile der Hauptachse gehörigen Blattspirale. In 


351 


den Achseln der der Endblühte zuvächst gestellten Blätter werden Knospen 
ersten, alsdann in den Achseln der diesen letzten gehörigen Blättern 
Knospen zweiten Grades angelegt. Aus jeder Gruppe von 3 Knospen ent- 
wickeln sich 2 Wickel und eine zwischenständige Endblühte. An ihrer 
Bildungsstätte verbleiben die Anlagen der Wickel nur so lange als ihre 
Blühten alle ausgebildet sind. Ungefähr um die Zeit, wo die Entfaltung 
der Endblühten eintritt, verlassen diese Blühten sammt den beiden Wickeln 
ihre bisherige Stelle. Jedes Wickelpaar sammt der Endblühte entfernt sich 
allmälig von dem Blatte, in dessen Achsel es sass, indem es mit dem über 
ihm gelegenen Internodium der Hauptachse auf einer gemeinsamen Basis 
emmporgehoben wird. Dass diese Basis nicht nur der Haupt-, sondern auch 
der Wickel tragenden Nebenachse gehört, ersieht man daraus, dass diese 
letzten längs der Basis, beinahe bis zu dem die Nebenachse stützenden 
Blatte herabläuft und der Hauptachse wie angewachsen erscheint. Erst 
dann, wenn die Basis eine beträchtliche Länge erreicht hat, trennt sich 
die Nebenachse von der Hauptachse und beginnt ein selbständiges Wachs- 
thum. Nach dieser Trennung verlängert sich die Nebenachse unterhalb 
der Ursprungsstelle der beiden Blühten so, dass die Endblühte der Haupt- 
achse auch unterhalb dieser Blätter zu entspringen scheint. In dem Falle, 
wo keiner der beiden Zweige eine Endblühte trägt, bilden sich beide Zweige 
durch dichotome Theilung. Statt 2 Vegetationskegel höheren Grades, die 
Anlagen künftiger Wickel zu bilden theilt sich hier der Vegetationskegel 
kurz nach seinem Erscheinen in 2 neue. An jedem dieser werden 2 
Blätter und in deren Achseln je eine Knospe angelegt. Jede auf diesem 
Wege gebildeie Gruppe von 3 Vegetationskegeln bietet nichts anderes 
als die Anlage eines paarigen Wicke!s mit zwischenständigen Endblühten. 
In der Regel sind diese Zweige gleichstark entwickelt, während im voran- 
gegangenen Falle sich der die Nebenachse darstellende Zweig nur stärker 
zu entwickeln scheint. Somit ist in der dichotomischen Inflorescenz bei 
den Asperifolien neben den beiden schon bekannten Inflorescenzen eine 
dritte nachgewiesen, welche als selbständige Form betrachtet werden muss. 
(Nouv. Mem. d. I. Soc. imp. de Moscou XII. 3 p. 237: 251. Taf. 


XX111.) 
W. Pfeffer, bryogeographische Studieu ans den rhä- 
tischen Alpen. — Am Schlusse seiner gehaltvollen Abhandlung, welche 


naclhı der historischen Einleitung und allgemeinen Betrachtungen die Laub- 
moose im einzelnen aufzählt, dann deren regionale Verbreitung und Ab- 
hängigkeit vom Boden beleuchtet, entwirft der Verf. Charaktervegetationen, 
deren wesentlichen: Inhalt wir mittheilen. Auf den Dächern der Häuser 
wachsen in Rhätien dieselben Moose wie überall im gemässigten Europa 
bis in die höchsten Regionen. Auch die Mauern aus Menschenhand ver- 
mählt die grüne Flora bald mit ihrer Geschichte und wesentlich wieder 
mit denselben Arten wie in den germanischen Gauen. Neben den gegen 
die Substrate iudifferenten Moosen treten Didymodon eordatus, Grimmia 
anodon und orbicularis nur auf kalkigen Manern nördlicher Thäler auf, 
während kalkfreie Substrate kaum einigen Ersatz durch Orthotrichum ru- 
pestre erhalten. Eiae andre Moosgruppirung bieten die südlichen Thäler. 
Zeitschr. f. d. ges. Naturwiss. Bd. XXXVIll, 1871. 25 


352 


Nur die den kalkigen Substraten eigenthümlichen Moose fallen hier weg, 
alle jene indifferenten Arten aber, besonders massenhaft Ceratodon und Ho- 
malotheeium kehren wieder und in grösster Menge gesellen sich Cylindrothe- 
cium eladorrhizans und Bryum Mildeanum bei, während in den Mauer- 
spalten die zierliche Febronia gedeiht, auch dem in den nördlichen Thälern 
nur die subalpine Region erreichenden Leptotrichum glaucescens begegnen 
wir hier als Massenvegetalion auf sonnverbrannten Mauern. Auch bei ver” 
tikaler Erhebung bleibt von den polyklinischen Moosen nur die Pottia lan- 
ceolata zurück und um die höchsten stets bewohnten Stätten der subal- 
pinen Regionen tragen jene noch einen ähnlichen Moosschmuck wie im 
Thale, der jedoch durch Grimmien und Hypnen der Trümmerfelder um so 
mehr verdrängt wird, je ähnlicher die Mauern durch ihre rohe Construc- 
tion diesen Stätten der Zerstörung werden. Auf der vom Pfluge durch- 
wühlten Scholle kommen kaum grössere Gemeinden kleiner Möslein zu 
Stande, beachtenswerth aber ist, dass selbst im tiefsten Thale die Pyg- 
mäen der Phascen in weit geringerer Zahl als im ebenen Lande auftreten. 
Auch die Mnien- und Hypnenflora an Hecken des Thales und die aus 
Hypnen, Weisien und Fissidenten gebildete Flora grasiger Raine haben zu 
viel Aehnlichkeit mit der Moosgruppirung an gleichen Localitäten des ge- 
mässigten Europa, als dass sie besonders beleuchtet zu werden brauchten. 
Wiesen sind kein Asyl für Moose, nur wo steiniger Boden den Graswuchs 
hindert, liegen Hypnen, auch wo reichliches Nass zufliesst, wuchern hy- 
srophile Moose. Wo diese Bedingungen in den rhätischen Thälern sich 
finden, entspricht ihr Vegetationscharakter wesentlich den Wiesenmooren 
Baierns: Gräser und Riedgräser dominiren und nur an nassen Stellen 
herrschen grosse Hypnen fast allein, den Lauf rieselnder Bäche schmücken 
die grossen Gestalten der Philonotis calcarea nnd des Hypnum commula- 
tum. Die Hochmoore Sendtners erreichen erst in der obern montanen und 
der subalpinen Region einige Ausdehnung: Sphagnen, Polytrichen, Hyp- 
nen, Aulacomnium verleihen den Mooren ihren Habitus. Den Spuren des 
Torfstechenden Spaten folgt hier wie in der Ebene der schöne Ueberzug 
von Dieranella cervieulata. In der alpineu Region sind die Moose der 
Moore nicht immer an diese gebunden, sondern gedeihen auch bei stetem 
Nass "auf sandigem und lehmigen Boden: ja selbst auf triefenden Felsen 
bilden die Hypnen und Aulacomnium zuweilen grosse Gemeinden. Noch 
bietet die zermalmende Thätigkeit des Gletschers und seiner Bäche den 
Moosen Anhalt. Ein Heer von Webern, Rhacomitrium ericoides, Bryum 
eirratum kämpfen mit wunderbarer Zähigkeit auf dem unsichern Boden, 
sie werden von den eisigen Armen des Gletschers erdrückt, von Sand 
überschüttet, wuchern aber von neuem empor. Wo dieser Boden ruht 
vollendet der Kampf der Moose bald seine Aufgabe. Schon der mit 
wenig Humus gemengte Boden gewährt andern Pflanzen eine geeignete 
Stätte und in wenigen Jahren entsteht eine Grasdecke oder Hypnen des 
Sumpfes beherrschen das Terrain. Fortwährend schaffen vor dem pul- 
sirenden Gletscher oder am ungleich schmelzenden Firne die genannten 
Moose an der Danaidenarbeit der Besiedlung der Scholle und ein ähnlicher 
Kampf wie jetzt mochte auch geführt werden als die eisigen Arme zurück- 


353 


wichen, welche vor Jahrtausenden die tiefsten Thäler der Alpen bedeckten, 
In rasender Eile jagt der Gletschersohn abwärts und in donnernden Cas- 
caden stürzt er über die steile Wand, welche ihn noch vom nahen Thale 
trennt. Von Millionen sprühender Wasserperlen genährt kleben üppigste 
Moospolster an den triefenden Felsen. Der grösste Theil dieser Moosarten 
ist gegen die Substrate indifferent und doch fehlt eine auf Kieselsteinen 
häufig wiederkehrende Massenvegelation hier ganz auf kalkhaltigen Felsen, 
während Barbula paludosa und Orthotheeium rufescens nur auf kalkhaltigen 
Substraten gedeihen und Grimmia gigantea und Gymnostomum eurvirostrum 
auf letztern ungleich massenhaft auftreten. Gewiss bieten doch beiderlei 
Felsarten bei fortwährend gleichförmiger Befeuchtung einen physisch gleich- 
artigen Comfort und die nicht nur auf einzelne Seltenheiten, sondern auf 
massenhaft auftretende Moose sich ausdehnende Differenz der Flora kann 
man wohl als ein wesentliches Argument für Bodenstetigkeit anführen. 
Der grosse und feine Detritus ist in diesen wasserbestäubten Lagen be- 
sonders von Hypnum stellatum, Distichum capillaceum und Barbatula 
tortuosa, denen sich in den südlichen Thälern noch eine Menge Anomo- 
bıyon beigesellt, besiedelt. Diese Moose treten aber meist zwischen Gras 
vertheilt auf, hier und noch mehr unter Gebüschen kehrt dann auch jene 
Vereinigung von Sphagnen und Hypnen wieder, die in feuchten Waldlagen 
herrschen. Nicht lange läuft der Bach in der breiten Thalsohle, da kämpft 
er wieder in grausiger Schlucht, die er im Lauf einer ewig langen Ge- 
schichte auswusch. Beschattung, verdampfende Feuchtigkeit und häufige 
Rieselwässer nähern triefende Felsenbänder und entlocken denselben eine 
ähnliche Vegetation wie am Catarract. So gelangt der Gletschersohn end- 
lich ins tiefe Thal und fliesst ruhig in breitem Bett, dessen sandiger Ufer- 
rand Gebüsche aus Erlen, Weiden und Sanddorn umgeben. An Felsen 
und Blöcken von Wasser bespült kleben Hypnum palustre und Grimmia 
apocarpa, während die langen Gestalten des Cinclidotus fontinaloides mas- 
senhaft nur auf Kalkgesteinen, sich in den Fluthen wiegen, deren Bran- 
dung eine ewige Melodie zum ewigen Tanze murmelt. Auf dem meist 
von struppigem Sanddorn bewachsenen Sandboden sind Bryen und Barbulen 
zu Gemeinden vereinigt, in welche oft auch Dieranella varija und Fumaria 
hygrometrica aufgenommen werden. Der noch nicht humusreiche Uferland- 
boden wird von einer typischen Vegetation aus Hypnum polymorphum und 
stellatum überdeckt, während die Abbrüche dieses und des begrasten 
Terrains Colonien von Distichum capillaceum, Didymodon rebellus und 
Barbula subulata aufweisen. Stimmt die Flora des Uferlandes in N und 
S’Thälern ziemlich überein: so treten ausserdem aber neue Gruppirungen 
im S auf, die in erster Instanz vom Clima abhängen zugleich aber auch 
an eigenthümliche Terraingestaltung gebunden scheinen. An den betrüm- 
merten Terrassen der schmalen Thäler wölben die Kronen stattlicher Ter- 
rassen lichte Wälder, in deren Schatten ein üppiges Moosleben sich ent- 
wickelt. Im rhätischen Gebiete kommen hier fast nur kalkfreie Gesteine 
in Betracht, die von Pterogonium, Hypnum Vaucheri und cupressiforme, 
Leueodon, Antitrichia, Hedwigia und einem Heere andrer Moose überdeckt 
werden. Den Waldboden überzieht die gewöhnliche Vegetation von Hypnen 


25* 


354 


und Polytrichen, während an den Stämmen neben Leucodon und Ortho- 
triehen noch Dieranum viride, Zygodon viridissimus und Patygyrium in 
Menge gedeihen. Den Trümmerfeldern sonnverbranuter Lagen fehlen Pte- 
rogonium und Leucodon, während sich die andern genannten Moose Bryum 
Mildeanum, Grimmien und Orthotrichum rupestre in Menge beigesellen. 
Auch auf anstehenden trocknen Felsen kehren diese letzten Moosgemeinden 
wieder, verschwinden aber sofort, wenn Feuchtigkeit hinzutrilt und werden 
durch eine an höhere Regionen erinnernde Vergesellschaftung von Blindia, 
Amphoridium Mougeoti und Bryum alpinum oft ersetzt. Den N Thälern 
fehlen die Kastanienwälder und auch die letztgenannten Moosgemeinden, 
von der untern montanen Stufe an ist aber in den Charaktervegetationen 
N und S Gehänge kein Unterschied mehr zu verzeichnen, ja selbst bis 
ans Ende der Waldregion finden nur geringe Variationen beiderseitig statt. 
Laubwälder treten nur im nördlichen Gebiete in nennenswerther Aus- 
dehnung auf, ihre Vegetationsdecke kommt ziemlich mit der der Nadel- 
wälder überein, nur sind in erster Polytrichum formosum und Dieranum 
scoparium zahlreicher, Hypnum splendens dürftiger vertreten. An den 
Buchenstämmen bilden Pterygynandrum, Amblystegium subtile und Neckera 
complanata eine schöne ÖOrnamentik, während diese an Coniferen nur 
spärlich auftreten, statt ihrer zahlreiche Orthotrichen die Aeste zieren. 
Als leitender Faden ziehen sich durch den Moosteppich des Nadelwaldes 
Hypnumformen mit nur quantitativ unterschiedener Gruppirung und je 
nach Ausmass von Licht und Feuchtigkeit und nach Höhenlage ausserdem 
noch mit weniger zahlreicher Beimengung anderer Arten. Auf trockenem 
Waldboden sind Hypnum Schreberi und triquelrum mit Polytrichum for- 
mosum und Dieranun) scoparium überwiegend, während in sehr schattigen 
Wäldern üppigst vegetirendes Hypnum splendens fast alle andern Arten 
verdrängt. Erstigenannter Gruppirung gesellt sich in der montanen Region 
häufig massenhaftes Eurhynchium striatum bei. Wird der Waldboden 
feuchter wie an Gehängen von Schluchten, so werden Hypnum Schreberi 
und triquetrum mehr und mehr durch Hypnum purum verdrängt, während 
zugleich H. splendens sich um so massenhafter behauptet, je schattiger 
die Station ist. In den Centralalpen treten an diesen feuchten Loecalitäten 
auch Sphagnen und Hypnum umbratum in grösster Menge auf. Diese 
Moosdecke der Wälder bezeichnet natürlich nur die allgemeinsten Züge, 
die den manichfachsten Schattierungen unterworfen sind. Nur das Quell- 
gebiet des Valser Rheines führt Verf. als eigenthümliche Schatlierung be- 
sonders au. Unter den überhaupt moosarmen Nadelslämmen haben die 
Weisstannen doch zuweilen eine zierliche Ornamentik aber weniger von 
Laub-, mehr von Lebermoosen. Mit den gewöhnlichen Orthotrichen an 
Nadelbäumen findet sich in den Wäldern des Bergells eine colossale Menge 
von Orthotrichum Lyelli. Reicher aber als am lebenden Baume gedeiht 
im Waldschatten die Mooswelt auf verwesenden Stämmen; Plagiotheeium 
Hypnen, Mnien, Dieranum und Tetraphis in vielen Arten, zwischen denen 
nicht selten die unförmigen Früchte der Buxbaumia hervorschauen. Auf 
kleinen im Walde liegenden Steinen siedelt sich irgend ein Hypnum an, 
auf grossen Blöcken absr bestimmt stets deren chemische Beschaffenheit 


355 


die Massenvegetation. Die Flora kalkhaltiger Gesteine ist namentlich durch 
sich anschmiegende Hypnumformen, Barbula tortuosa, Leptotrichum flexicaule 
und Grimmia apocarpa gegeben, nimmt aber auch viele andere Moose 
massenhaft auf. In besonders feuchter und schattiger Lage dominirt Grim- 
mia apocarpa, auf trocknen Blöcken dagegen namentlich ausserhalb des 
Waldes gewinnen Leptotrichum flexieaule und Barbula tortuosa die Ober- 
hand. Je grösser die Felsstücke werden, um so häufiger erscheinen 
Neckeren um endlich mit Hypnum cupressiforme und Bartramia Oederi 
vereint auch auf anstehenden Felsen die gewöhnlichsten Massenvegeta- 
tion zı bilden. Während auf Kalksteinen die Pleurocarpen am massen- 
haftesten auftreten, überwiegen auf Kieselgesteinen die Acrocarpen. Auf 
trocknen Blöcken bilden Dieranum longifolium, Grimmien, Pterygynandrium 
den Grundton, mehr minder partieipiren noch Hypnum Vaueheri und eu- 
pressiforme, Isothecium, Ptychodium, Orthotriehum rupestre, Rhacomitrium 
sudeticum, Weisia crispula und Pseudoleskea atrovirens an der Massen- 
vegetation. Diese Arten bekleiden auch am häufigsten die erratischen 
Kieselgesteine. In schattigen Wäldern an feuchten Lagen sind Amphori- 
dium Mougeoti, Rhacomitrium pratense, Leskuraea saxicola, Andreaea 
petrophila und die für trockue Blöcke genannten Moose die auf kalkfreiem 
Gesteine am massenhaftesten auftretenden Arten, während gewöhnlich die 
minder geneigten Flächen der Blöcke, wo sich etwas Humus ansammelt, 
von Dieranum flexicaule völlig bedeckt werden. Dieselbe Vegetation findet 
sich auch an anstehenden Felsen wieder. Auch in der alpinen Region ist 
an feuchten kalkfreien Felsen so ziemlich dieselbe Massenvegetation wie 
im Walde entwickelt, häufiger aber gesellt sich dazu Dieranum Starki und 
öfters schimmert in den Klüften das schöne Brachythecium trachypodium. 
An ganz trocknen Felsen kleben vereinzelte Pölsterchen von Grimmiaceae, 
Auf trocknen kalkhaltigen Felsen findet sich in der alpinen Region noch 
seltner als auf Kieselgesteinen ein kümmerlich gedeihendes Moos, wenn 
aber Feuchtigkeit hinzutritt, entwickelt sich oft eine üppige Vegetation, 
welche von der an gleichen Localiiäten der Waldregion gänzlich abweicht, 
denn schon gegen den obern Saum der subalpinen Stufe werden die be- 
sonders typischen Neckeren und Homalothecien spärlich. Die Moosdecke 
dieser alpinen Felsen ist übrigens so verschieden zusammen gesetzt, dass 
sich keine im Gebiete gewöhnlichst wiederkehrende Gruppirung angeben 
lässt, nur das ist fast durchgreifend, dass neben Barbula tortuosa und 
Leptotrichum flexicaule Hypnumformen den Teppich weben. Im Kampfe 
mit dem emporschiessenden Grase müssen die Moose stets entschieden - 
unterliegen, aber unterstützt vom nordischen Klima gewinnen sie auf 
alpinen Weiden wesentlich an Terrain, öfters bilden Dieranen ausgedehnte 
Polster. Auf erdigen Blössen dominiren wieder zierliche Formen, nament- 
lich kehren Dicranella subulata und Desmatidon latifolius am häufigsten 
wieder, führen aber meist andre in ihrer Gesellschaft, Unter den Vegeta- 
tionsformen der alpinen Gebüsche ist wieder die Hypnumdecke des Waldes 
entwickelt und oft wallen schwellende Polster von Sphagnen um die Ge- 
stränche, an deren Stämmchen Leskuraea und Brachythecien vegetiren. 
Erst wo der Schnee kaum alljährlich schmilzt, überzieht das nordische Poly- 


356 


trichum grosse Strecken mit schön dunkelgrünen Rasen. Am alpinen 
Bächlein, dessen Saum in den Centralalpen die Moose der Moore, in den - 
Kalkgebirgen fast nur Hypnum commutatum umgeben, webt Bryum turbi- 
natum seine schwellenden Rasen. An berieselten kalkfreien Gesteinen 
wuchern Limnobien und mit ihnen Grimmia mollis. Auf alpinen Trümmer- 
feldern weben Moose in zahlreicher Menge ihre Polster, weniger auf kalk- 
haltiger, mehr auf kieseliger, welche eine grosse Formenfülle bieten. Einen 
ähnlichen Artenreichthum bieten die Trümmerfelder des Bündener Schiefers. 
Die Schneeregion liefert keine neuen Charaktervegetationen, nur ein Theil 
der Trümmerfeldermoose dringt spärlicher werdend in die unwirthliche 
Region ängstlich hinauf, wo selbst Flechten nur in geringer Zahl fort- 
kommen. — (Allgem. schweizerische Denkschriften XXIV. Nro. 5. 
S. 133—142.) 

Zoologie. Greef, Prof. Untersuchungen über den Bau 
und die Naturgeschichte der Vorticellen. — Die Vorticellen 
haben eine dreifache Hautlage: die Cuticula, die Muskelschicht und die 
Rindenschicht. Die Rindenschicht füllt die ganze untere konische Basis 
aus und legt sich becherförmig an den obern glockenförmigen Theil an; 
sie ist übrigens ein festes Wandparenchym. Der Inhalt der Leibeshöhle 
ist eine breiartige, dünnflüssige Substanz und besteht aus aufgenommener 
Nahrung, welche durch Rotation verarbeitet und theils verdaut, theils als 
Nährsubstanz dem ganzen Körper mitgetheilt wird. Die Körperhöhle der 
Vorticellen ist somit ein Gastrovasceularraum, wie bei den Coelenteraten. 
In diese Körperhöhle führt der Nahrungskanal. Dieser nimmt seinen An- 
fang mit dem in der Wimperscheibe befindlichen Munde. Die Wimper- 
scheibe trägt die Wimpern in Spirallinien, welche sich bei einigen Arten 
auf eine Kreistour beschränken, bei den grössern Epistylisarten aber mehre 
Kreise beschreibt, bevor sie sich in das Vestibulum senkt. Unter Vesti- 
lum versteht man den ersten Theil des Nahrungskanals, welcher sich vom 
Munde bis zu einer knieartigen Biegung erstreckt. Im Grunde dieser 
Biegung liegt unter einer langen das ganze Vestibulum durchlaufenden 
und durch die Mundhöhle hervortretenden Borste die Afteröffnung. Die 
durch den Wimperstrom dem Munde zugetriebenen Nahrungstheile dringen 
in das Vestibulum ein, gehen bis an das Ende desselben und dann ent- 
weder wieder zurück und durch den Mund nach aussen oder in den folgen- 
den Abschnitt des Nahrungskanals. Bemerkenswerth ist, dass sich bei 
Epistylis flavicans zwei klappenartige Scheidewände in der hintern Höhlung 
des Vestibulums befinden, welche, durch entsprechende Wimperung unter- 
stützt, den beiden entgegen gehenden Strömungen die Richtung bestimmen, 
Von dem Vestibulum läuft nun der Nahrungskanal, nachdem er eine Um- 
biegung gemacht hat, gegen die Bauchseite zurück und wird seinem Ende 
zu immer enger. Man nennt diesen Abschnitt Pharynx, und von ihm 
fallen die Nahrungstheile direetin die Körperhöhle, Bei Epistylis flavicans 
jedoch setzt sich die Pharynx noch weiter fort in Gestalt eines deutlich 
abgesetzten Trichters, von welchem ein feiner Kanal in die Leibeshöhle 
übergeht, nachdem er im Grunde der Körperhöhle einen grossen Bogen 
beschrieben hat. Der ganze Nahrungskanal ist in der Rindenschicht auf- 


357 


gehängt, nur der Trichterfortsatz ragt in die Leibeshöhle hinein, So könnte 
man vielleicht in diesem Trichter den ersten Versuch einer eigenwandigen 
Magenbildung und in dem davon ausgehenden Kanale einen ebenfalls noch 
sehr primitiven Darmkanal erblicken. — Die contractilen Behälter der 
Vorticellen liegen in der Rindenschicht. Bei der Systolezeigen sie sich als 
perlartige Blasen, welche sich rosettenförmig gruppiren, bei der Diastole 
sich aber wieder zu einer Blase vereinigen. Bei Carchesium polypinum 
fand Greef eine kleine nicht contractile Blase, von welcher kurze Stäbchen 
ausstrahlen. Diese scheinen in tangentialer Richtung zur Oberfläche zu 
stehn und verschwinden bei zu starker Compression und nach dem Tode 
des Thieres. 

Die Vorticellen vermehren sich durch Theilung und zwar durch Längs- 
theilung. Hierbei zieht die Vorticelle zunächst das Wimperorgan ein und 
legt das Peristom fest darüber zusammen. In dieser kugeligen Gestalt 
verharrt sie einige Zeit, wobei die contractilstieligen sich wiederholt zu- 
rückschnellen. Dann platiet sich die Kugelform von vorn nach hinten ab 
unter Ausdehnung der Seitenflächen. Zu gleicher Zeit legt sich der Nuc- 
leus in die Quere, und der contractile Behälter wird in die mitlle Längs- 
achse gedrängt. Die Abschnürung beginnt nun mit einer auf der Mitte 
der vordern Körperfläche auftretenden Vertiefung, welcher bald eine Ein- 
kerbung der hintern folgt. Beide schreiten sodann auf einander zu, so 
dass bald der ganze Körper von einer mittlen Längsringfurche umzogen 
ist. Diese schneidet unter häufigem Zurückschnellen des Stielmuskels 
immer tiefer ein. Nucleus, contractiler Behälter, Wimperorgan und Peri- 
stom werden mitin den Theilungsact hineingezogen, und wenn die beiden 
Hälften vollständig von einander getrennt sind, hat jede Hälfte vollständig 
die Organisation des Mutterthieres und differirt auch in der Grösse nicht 
viel von demselben. — Ausser der Zweitheilung ist auch eine sogenannte 
„knospenförmige Conjugation“ bemerkt und von Greef Schritt vor Schritt 
beobachtet. Eine kleine Vorticelle naht sich einer grössern und bewegt 
sich tastend auf dem Körper derselben herum, indem sie ihren Wimper- 
kranz eingezogen und die spitze konische Basis vorgeschoben hat. Durch 
Zurückschnellen sucht die grössere sie abzuschütteln, aber diese schwimmt 
immer wieder an dasselbe Thier heran, zieht die vorgestreckte Basis ein 
und bildet so ein Grübchen , welches als Saugnapf benutzt wird. Dann 
schiebt sie die Basis wieder vor und bohrt das grössere Thier an, worauf 
nach einiger Zeit der ganze Körperinhalt der kleinern Vorticelle in den der 
grössern übergeht. Die leere Haut hängt oft nur durch einen dünnen 
Verbindungsfaden mit seinem Träger zusammen, bis sie durch wieder- 
holtes Zurückschnellen abgerissen wird. Ein Nucleus wurde in keinem 
der beiden Thierchen bemerkt, wohl aber in der Leibeshöhle des grössern 
eine Anzahl ovaler, scharfumschriebener Körper, in der Leibeshöhle des 
kleinern ovale dunkelglänzende Körperchen, welche in lebhaft tänzelnder 
Bewegung das Innere durchzogen. 

Die kleinen Vorticellen, welche die grössern zur Verbindung angehn, 
sind vorher in rosettenförmigen Gruppen von 4—8 Individuen beisammen, 
indem sie mit ihrer konischen Basis gegen einander convergiren und 


358 


durch beständige Undulation des hintern Wimperkranzes sich zusammen- 
halten. Weiter machte Greef.Beobachtungen über einige Eigenthümlichkeiten 
der Nuclei, deren Erklärung er sich vorbehält,; nur theilt er den Befund 
“mit und gibt weitern Untersuchungen die Entscheidung anheim. So sah 
er bei Carchesium polypinum helle, meist doppelt conturirte Kerne auf- 
ireten. Bei andern war der Nucleus in rundliche Segmente zerfallen, 
welche ähnliche Kerne trugen. Bei andern hatte sich der Nucleus geöffnet 
und hatte die Segmentscheiben, die jetzt mehr Kerne trugen, in die Leibes- 
höhle ergossen. Den Nucleus von Epistylis flavicans fand er oft sehr ver- 
dickt und mit dunklem Inhalt. Bei näherer Betrachtung fand er den In- 
halt aus zahlreichen haarförmigen Gebilden bestehend, welche. er nach 
Zerreissen des Nucleus als sichelförmige an dem einen Ende verdickte, 
an dem andern zugespitzte Stäbchen erkannte. Alle waren starr und 
dunkelglänzend, bewegten sich aber nicht. Ferner sah er an den Nucleis 
einiger Vorticellen beachtenswerthe Veränderungen, die eine gewisse Stufen- 
folge erkennen lassen, Zuerst tritt mitten im Nucleus eine helle, unregel- 
mässig gestaltete Längsachse auf, welche bald gleichmässiger wird und 
sich mit dunklen Kernen aufüllt. Ein weiteres Stadium zeigt den Achsen- 
strang von grössern, hellen, rundlichen Kernen umgeben, die anscheineud 
aus dem Achsenstrange hervor gegangen sind. Diese Kerne nehmen an 
Grösse immer zu, so dass sie fast den ganzen Nucleus einnehmen. Man 
sieht also, das sdie Organisation und Lebensgeschichte der Vorticellen ver- 
hältnissmässig reich und hoch entwickelt ist. (Wieym. Archiv XXXVI. 
185.) Weyhe. 
A, Schneider, zur Kenntniss der Radiolarien. — Acau- 
thoceystis viridis. In einer Spreeüberschwemmung fand Verf. im 
Mai eine grüne Actinophrys. Die kapsellose centrale Masse ist von einer 
alveolaren Rindensubstanz umgeben, von A. Eichhorni nur unterschieden 
durch viele grüne Bläschen, die einen Nucleus und Nucleolus enthalten - 
und auch nach chemischer Behandlung sich nicht als Chlorophyll ergeben, 
vielmehr völlig analog den gelben Zellen in den marinen Radiolarien sind, 
wie denn Greef schon rothe und gelbe Farbstoffkugeln bei Süsswasser- 
radiolarien beobachtete. Die alyeoläre Schicht aber verliert ihre Struktur 
und wird feinkörnig, der ganze Körper nimmt an Umfang ab, die grünen 
Zellen rücken näher zusammen, die centrale Masse umgiebt sich mit einer 
festen Haut, die zur Centralkapsel wird und auf dieser treten hohle Kiesel- 
stacheln auf, kurz die Actinophrys ist zur Acanthocyslis viridis geworden, 
welche Grenacher und Greef ausführlich beschrieben haben. Letzter stellt 
zwar die Kapselwand in Abrede, aber sie ist wirklich vorhanden. — Ac- 
tinophrysEichhorni fand Verf. den ganzen Sommer am Rande eines 
Grabens in unglaublicher Menge. Sie kriechen am Glase ganz wie Rhi- 
zopoden. Die feinen Strahlen, welche nach Schultze vom Centralkörper 
ausgehen und mit einer röhrigen Hülle der Rindensubstanz versehen sind, 
verschwinden und statt derselben finden sich dicke nur aus Rindensub- 
stanz bestehende. Der Centralkörper theilt sich in zwei und mehr Kugeln, 
dann verschwindet die alveoläre Rindensubstanz, die Kugeln umgeben sich 
mit einer glashellen Masse, die schliesslich um je zwei Kugeln eine feste 


359 


elliptische Cyste bildet. Innerhalb dieser entsteht weiter für jede Kugel 
eine aussen rauhe innen glatte diekwandige Cyste. Nach einiger Zeit zer- 
fällt dieselbe elliptische Cyste und die Kugeln liegen frei. Die dicken 
Cysten bestehen aus Kieselsäure, sind wie aus vielen Kieselstückchen zu- 
sammengesetzt. Die weiche innere Masse enthält viele feine milchweisse 
Körnchen und etwa 10 Kerne. Bis December blieben die gesammelten 
Körper in einem Glase mit Schlamm unverändert, dann sind plötzlich 
die Kerne verschwunden und in der Mitte jeder Kugel noch ein grosser 
Kern zu sehen, der aber solide und einen soliden Nucleus mit Höhlung 
enthält. So bleiben die Kugeln bis April, dann zerfallen die Cystenwände 
und aus jeder Cyste tritt eine Actinophrys Eichhorni hervor. Nach Häckel 
besteht die centrale Masse aus Sarkode mit vielen zwischenliegenden Zellen, 
wogegen Verf. die ganze centrale Masse nur für eine grosse viele Kerne 
enthaltende Zelle hält, womit die Aehnlichkeit mit andern Radiolarien her- 
gestellt ist. Was bedeutet nun das Verschwinden resp. Vereinigen der 
Kerne? Conjugation der Zellen ist oft beobachtet. Bei einzelligen Algen 
geht aus der Copulation zweier selten eine Zelle mit einem Kerne hervor, 
auch bei Actinophrys tritt an die Stelle vieler Kerne ein einziger. Wie 
im Pflanzenreiche muss auch im Thierreiche die Befruchtnng allgemein 
als Verschmelzung vou Zellen betrachtet werden. Jene Verschmelzung der 
Kerne bei Actinophrys ist eine Befruchtung, aber nicht Selbstbefruchtung, 
die Actinophryen conjugiren und trennen sich, nachdem ein Austausch 
von Protoplasma und Kernen statt gefunden. — Difflugia stellt Ehren- 
berg zu den Arcellinen, aber die grossen Arten derselben gehören zu den 
Radiolarien. D. proteiformis, oblonga und acuminata haben einen läng- 
lichen an einer Seite offenen Panzer, der Kieselstückchen enthält. Die 
Difflugien leben in Wiesengräben zahlreich in der oberflächlichen Schlamm- 
schicht, die aus Exkrementen von Schnecken und Würmern besteht. Jene 
drei Arten besitzen wie Radiolarien eine Centralkapsel und grüne Farb- 
zellen. Erste ist bei D, proteiformis kugelrund und enthält Zellen. Die 
Farbzellen liegen nurin dem extracapsulären Protoplasma, enthalten einen 
grossen Kern und finden sich oft in Zweitheilung. Doch viele Exemplare 
aller drei Species sind farblos, enthalten statt der Farbzellen farblose Zellen. 
Die Protoplasmafortsätze der Difflugien sind stets sehr breit wie Amoeba 
und charakterisiren die Eigenthümlichkeit der Familie. Glüht man den 
Kieselpanzer der Difflugien: so behält er nahezu seine Form, zerfällt im 
Wasser aber in feine unregelmässige Stücke; behält in Säuren seine Ge- 
stalt und erscheinen dann die Kieselstücke wie durch einen hyalinen Kitt 
verbunden. In einzelnen Stücken erkennt man sehr feine Kanäle und 
zweifelt Verf. nicht mehr, dass der Kieselpanzer ein organisches Gebilde 
der Difflugien ist und nicht ein mechanisch von aussen herangebildetes. 
Ein zufällig isolirtes nacktes Exemplar bildete sich einen neuen Panzer, 
was auch dafür spricht. — (Zeitschr. wiss. Zool. XXT. 505—512.) 

L. Koch, die Arachniden Australiens. Nach der Natur be- 
schrieben und abgebildet. Nürnberg 1871. 4° 1. Liefg. 48 SS. 1 Tfl. — 
Die Araneologie hat in neuester Zeit wie so manches Gebiet der Zoologie 
lebliaftere Pflege gefunden und schıeitet in erfreulicher Weise fort. Weun 


360 


nun auch die europäischen Spinnen noch auf lange Zeit hin viel Zeit und 
Arbeit erfordern, um so vollständig und gründlich wie die Insekten und 
Wirbelthiere erkannt zu sein: so dürfen doch neben ihnen die fernen 
Welittheile nicht vernachlässigt werden und wir begrüssen mit Freuden 
die vorliegende Monographie der australischen Spinnen, welche seither 
nur gelegentliche Berücksichtigung gefunden haben. Die nächste Veran- 
lassung zu dieser Monographie gaben dem Verf. die reichen Sammlungen 
der Herren Godeffroy in Hamburg, welche von der Ostküste des Festlandes 
und verschiedenen Inselgruppen stammen. Zu diesem werthvollen Material 
kamen die Spinnen des Wiener Museums besonders die Ergebnisse der 
Novara-Expedition, ferner Beiträge des Stuttgarter Museums, der Herren 
Cambridge und Thorell, so dass also des Neuen und Wich'igen sehr viel 
geboten wird. Der Umfang des Werkes ist auf eiwa 12 Hefte von je 4 
Tafeln und 6—7 Bogen Text bemessen und sollen dieselben in Zwischen- 
räumen von 2 Monateu und zum Preise von 2 Thlr. 20 Gr. ausgegeben 
werden. Die Arten werden lateinisch diagnosirt und deutsch ausführlich 
beschrieben, von bereits bekannten die Literatur berücksichtigt, die Tafeln 
sind sauber in Kupferstich ausgeführt. Zoologische Museen und öffentliche 
Bibliotheken mögen dem Unternehmen ihre Theilnahme nicht versagen, 

H. Zimmermann, die Spinnen der UmgegendvonNiesky 
in der Oberlausitz I. — Verf. sammelte seit 1866 und brachte ungefähr 
200 Arten zusammen. Er vergleicht diese Fauna mit der Danziger und 
Nürnberger, die als die bestbekannten Localfaunen zunächst liegen. Seine 
Exkursionen beschränkte er auf die unmittelbare Umgebung von Niesky 
und führte nur einige wenige meilenweite aus. Hinsichtlich der Systema- 
tik schliesst er sich für die Rad- und Netzspinnen Menge’s Monographie 
an, die eben noch nicht weiter erschienen ist, für die übrigen Familien 
nimmt er die Koch’schen Gattungen an. Die Arten werden mit der wich- 
tigen Literatur im einzelnen aufgeführt, ihr Vorkommen genau angegeben 
und mit gelegentlichen systematischen und biologischen Bemerkungen he- 
gleitet. Die Arbeit ist eine sehr verdienstliche. — (Görlitzer naturf. 
Abhdign. XIV. 69—137.) 

G. Canestrini e P. Pavesi, Catalego sistematico degli Araneidi 
italiani. — Die Verff. veröffentlichten bereits 1864 eine Abhandlung über 
die italienischen Spinnen (Atti soc. ital. sc. nat. Milano XI. 3) und haben 
seitdem ihre Sammlungen fortgesetzt, wobei sie sich der Unterstützung 
von Taechetti und Panceri in Neapel, Ninni in Venedig, Garbiglietti in 
Turin und E. Simon’s erfreuten. Das Verzeichniss ist streng systematisch 
geordnet, führt bei jeder Art das Vorkommen speciell an und bei den in 
dem früher veröffentlichten Cataloge noch nicht aufgeführten Arten auch 
die bezügliche Literatur und Synonymie. Am Schlusse werden die neuen 
Arten beschrieben und zwar Segestria Garbigliettii bei Genua, Dysdera 
tesselata im Tessin, Linyphia albimaculata im Tessin und der Aemilia, 
Amaurobius crassipalpis im Tessin. — (Archivio Zool. Anat. Fisiol. 
1870. II. 44 pp. 156.) 

O0. Bütschli, Entwicklung und Bau der Samenfäden bei 
Insectenund Crustaceen.— Nach Köllikers bekannten Untersuchungen 


361 


entwickeln sich die Samenfäden in verschiedener Weise und hebt Verf. 
daraus hervor die Entwicklung durch Auswachsen einer Zelle und die in 
einer Zelle und späteres Freiwerden durch Auflösung der Zellenmembran, 
Diese zweite Art ist bei Wirbelthieren die gewöhnliche, die Samenfäden 
entstehen durch Auswachsen des Kernes in der ursprünglichen Zelle. 
Hiergegen sprach nur Henle sich aus und jüngst wies Schweigger-Seidel 
nach, dass der Samenfaden kein blosses Kerngebilde, sondern eine auf 
eigenthümliche Weise modifieirte vollständige Zelle mit Kern und Proto- 
plasma sei. Diese Ansicht stützen des Verf. Untersuchungen an Coleop- 
teren, Orthopteren, Porcellio, Gammarus und Asellus, Vorweg bemerkt 
Verf. niemals einen spiraligen Samenfaden in seiner Zelle gefunden zu 
haben, dass solche vielmehr nur abnorm in Folge der Einwirkung von 
Wasser auf das Präparat entstehen, weshalb er als Zusatzflüssigkeit eine 
Auflösung von 1 Hühnereiweiss, 8 destillirt. Wasser und Kochsalzlösung 
wählte. Die Samenfäden zeigen ein radicales Ende ausgezeichnet durch 
starken Glanz und Undurehsichtigkeit, das sich durch Essigsäure nicht 
verändert, aber in Ammoniak stark aufquillt. Von veränderlicher Länge 
je nach den Arten ist dieser Theil doch stets sehr klein. Er ist der mo- 
difieirte Kern. Der ursprünglich sehr blasse ganz körnchenfreie Kern der 
Entwieklungszelle des Samenfadens streckt sich ınehr und mehr, während 
das Protoplasma der Zelle sich zum Schwanzfaden umgestaltet. Der Kern 
wird oval, dann spindelförmig, bleibt aber ganz hell, wird schliesslich 
aber stäbehenförmig und cylindrisch und dann stark glänzend und un- 
durchsichtig. Vom Faden aus zieht sich über diesen Theil nun eine sehr 
zarte protoplasmatische Hülle. Oft sah Verf. am vordern Ende noch ein 
sehr kurzes blasses Spitzchen oder eine kreisrunde helle Scheibe, die zu 
deuten sehr schwierig ist, wie denn auch Schweigger-Seidel drei Theile 
an den Samenfäden der Wirbelthiere unterschied. Wir sehen daher als 
eigentlichen Repräsentanten des Leibes die ursprüngliche Bildungszelle 
am Samenfaden den eigentlichen Faden an und verstehen hiernach voli- 
kommen die Erscheinung, dass nur der Schwanzfaden die eigenthümlichen 
Bewegungen des gesammten Fadens hervorruft durch seine schwingendeu 
Bewegungen. Das Mittelstück oder der modificirte Kern bewegt sich nur 
passiv. — Die Orthopteren haben einen aus vielen kleinen Schläuchen 
oder Bläschen gebildeten Hoden mit gemeinschaftlichem Vas deferens. 
Diese Schläuche sind mit Epithel ausgekleidet, das nach unten reichlicher 
wird, gegen das blinde Ende hin aber spärlichere Kerne hat. Diese Kerne 
sind sehr deutlich durch ihre stark körnige Beschaffenheit und ansehnliche 
Grösse. Im blinden Ende liegt ein deutlicher heller runder Kern. v. Sie- 
bold erwähnte Bündel von Samenfäden in den Hodenschläuchen der Insek- 
ten, die von einer besondern Membran umgeben. Verf. sah ebenfalls 
solche Bündel, aber uicht eine umhüllende Membran. In den Hoden- 
schläuchen aller untersuchten Insekten fand er eine kammartige Abthei- 
lung der dieselben erfüllenden Samenfadenbildungszellen und ist diese 
Erscheinung nicht als eine Nebeneinanderlagerung von Samenfadenbündeln 
zu betrachten, sondern als eine Abtheilung des Inhaltes durch ein Zwi- 
schenwachsen des Epithels. Zerreisst man einen Schlauch, so zerfallen 


362 


die Bündel in die sie zusammensetzenden Zellen oder Samenfäden. Bei 
Clythra octomaculata fand sich auf der Oberfläche der Bündel eine körnige 
protoplasmatische Masse, aber keine Membran. Das sich zwischen schie- 
bende Epithel wurde oft beobachtet und ist analog der Bildung der Ei- 
kammern der weiblichen Eischläuche,. Die Kammern des blinden Endes 
der Hodenschläuche sind die kleinsten und zellenärmsten, nach unten 
werden die Kammern und die in ihnen enthaltenen Keimzellen grösser, 
unterhalb der Mitte verkleinern sie sich durch Theilung rasch, während 
die Grösse der Kammern noch zunimmt. Durch fortgesetzte Theilung er- 
reichen die Keimzellen eine gewisse Minimalgrösse und nun beginnt ilıre 
weitere Entwicklung zu Samenfäden. Die Keimzellen haben in sämmt- 
lichen Stadien die Fähigkeit amöboider Bewegung. Die herausgenommenen 
und in geeignete Flüssigkeit gebrachten senden viele Fortsätze aus, die 
ganz blass, körnerfrei und sehr lang sind, ihre Gestalt ändern, verschwinden, 
neu erscheinen. Der Kern der Keimzellen der Samenfäden bleibt hell und 
ist in kleinen Zellen oft schwer wahrnehmbar, neben ihm liegt ein dunkles 
Körperchen, das wie es scheint mit den Zellen sich theilt. Selbiges ist 
ein steter Bestandtheil der Keimzellen der Samenfäden aller Insekten und 
erfährt bei weiterer Entwicklung eigene Umwandlungen. Haben die Keim- 
zellen ihre geringste Grösse erreicht: so senden sie von der dem Kern 
entgegengesetzten Stelle einen kurzen Schwanzfaden aus ganz ähnlich den 
Fortsätzen der Amöben, nur dass dieser ein dauernder ist. Gleichzeitig 
streckt sich das dunkle rundliche Körperchen in die J,änge, wird spindel- 
förmig, und theilt sich in zwei, diesich weiter strecken und dann an den 
Kern hinanreichen, andrerseits bis in den Anfang des Schwanzfadens. 
Täuschung in der Beobachtung dieses Verhältnisses führte Lavalette zu 
der irrigen Ansicht, dass der Schwanzfaden aus dem Kerne hervorwachse. 
Allmählig zieht sich das Protoplasma der Keimzelle in den Schwanzfaden 
hinein, dieser verlängert sich, erhält Anschwellungen von anklebendem 
Protoplasma, das zur Bildung des Fadens verbraucht wird. Jetzt erst be- 
ginnt der Kern seine Umwandlung, streckt sich bis zur schmalen Stabforn, 
wird undurchsichtig und stark glänzend. Nachdem das Protoplasma am 
Schwanzfaden völlig aufgezehrt ist, beginzt dieser erst seine Bewegungen. 
— Bei den Locustiden verläuft die Entwicklung etwas anders. Ihre Sper- 
mafäden tragen vorn einen rückwärts gerichteten zweizinkigen Anhang und 
einen scheibenförmigen Ansatz. Der gablige Anhang verdankt einem be- 
sondern kernartigen Gebilde seinen Ursprung. Dieses Kerngebilde reicht 
allmählig an den wirklichen Kern heran, legt sich innig an, wird dann 
halbmondförmig, glänzend und undurchsichtig, das ist die Anlage der 
Gabel. Nun streckt sich der Kern stabförmig, während jener Halbmond 
zur Gabel sich ausbildet. — Die Spermatozoen von Clythra octomaculata 
haben zwei Schwanzfäden, einen starren und einen beweglichen. — 
(Zeitschr. wiss. Zool. XXI. 402—415. 526—534. Tf. 40. 41.) 
Troschel, Pedicellariender Echinodermen. — Die kalkigen 
Organe kommen bekanntlich oft massenhaft auf der Oberfläche der See- 
igel und Seesterne vor und sind als modifieirte Stacheln aufzufassen. Bei 
Seesternen sind sie wirkliche zweiarmige Zangen, können sich öffnen und 


363 


schliessen und kleine Gegenstände ergreifen. Sie sind bald sitzend und 
dann langstreckig oder niedrig, breit, klappenartig. Bei den Seeigeln 
haben sie drei Klappen .und sitzen an einem weichen muskulösen Stiele, 
der sie befähigt sich nach allen Seiten hin zu wenden und sich zu strecken. 
Früher hielt man sie für eigene parasitische Thierchen, ja sogar für Echi- 
nodermenbrut. Erdl erklärte sie für Fang- und Greifapparate, da er Ne- 
reiden von ihnen erfasst sah, die zum Munde fortgeführt werden können. 
Duvernoy deutet sie als Waffen zur Vertheidigung und Al. Agassiz nimmt 
beiderlei Functionen für sie an. Sie als Lieferanten zu betrachteu scheint 
Tr. bedenklich, eher vergleicht er sie mit Gassenfegern, welche die feinen 
weichen Organe gegen feindliche Thiere schützen, zugleich auch Sand und 
Schlamm von der Oberfläche entfernen. Die Pedicellarien sind also Rei- 
nigungsorgane, wie solche unter verschiedenen Formen auch bei andern 
Thieren vorkommen. — (Rhein. Verhdign. Sitzgsbericht XXVL. 157.) 

Troschel, Ueber das Männchen von Cobitis taenia. 
— De Filippi machte bei einer naturwissenschaftlichen Versammlung dar- 
auf aufmerksam, dass bis jetzt weder vom Aal, noch vom Myxine glutinosa 
ein männliches Exemplar gefunden sei. Als er in den folgenden Jahren 
eine Menge Individuen von Cobitis taenia untersuchte, um ihre Entwick- 
lungsgeschichte zu studiren, faud er auch hier kein Männchen. Prof. 
Canestrini dagegen fand zwei männliche Exemplare der Cobitis — (, tae- 
nia und C. bilineata — und erkannte auch äussere Geschlechtsdifferenzen. 
Während nämlich beim Weibchen der zweite Brüstflossenstrahl nicht stärker 
ist als die andern Strahlen, und seine beiden Aeste divergiren, dieser 
Zwischenraum aber durch die membrana propria radiorum ausgekleidet 
ist, zeigt sich der zweite Brustflossenstrahl des Männchens an der Basis fast 
viermal stärker als die übrigen Strahlen, seine beiden Aeste divergiren 
auch, vereinigen sich aber wieder zur Spitze. Dies ist insofern noch von 
Interesse, weil die Brustflossen selten die Geschlechtsdifferenz anzudeuten 
pflegen. — (Rivista Sc. Indust. di G. Vimercati 1871. III.) Weyhe. 

P. Bleeker, Memoire sur les Cyprinoides de Chine — 
Der unermüdlich thätige Ichthyolog giebt in dieser Monographie nach einer 
kurzen Darlegung der bezüglichen Literatur eine Aufzählung und resp. 
Beschreibuig der Karpfenfamilie des grossen himmlischen Reiches. Als 
rüstiger Onomatopoet bewährt er sich auch hier wie in seinen übrigen. 
Arbeiten und bringt also der neuen Arten viele. Wir zählen die 71 Arten 
namentlich auf und lassen wie gewöhnlich des Verf. Autorschaft hinter 
denselben weg. Carpiodes asiatieus (Selerognathus Gth.), Carpio vulgaris 
Rapp (Cyprinus chinensis Bas. C. atrovirens, flammans, acuminatus, scul- 
poneatus Rich.), C. fossicola (Cyprinus fossiecola Gray), Carassius auratus 
(Cyprinus lineatus Val, C. langsdorfi Val, C. gibelioides Cant, C. abbre- 
viatus Rich, Carassius peckinensis, caeruleus, discolor Bal), Mrigula sinen- 
sis(Cirrbina sinensis Gth.), Gymnostomus macrolepis, G. molitorella (Leu- 
eiseus molitorella Val, Labeo molitorella Gth.) Saurogobio dabryi, L. du- 
merili, S. cetopsis (Labeo cetopsis Kner), J., heterodon, Pseudogobio 
rivularis (Tylognathus sinensis Kner), Rhinogobio typus, Sarcochilichtbys 
sinensis, Rhodeus ocellatus Gth., Rh. sinensis Gth. Parachilognathus im- 


364 


berbis (Achilognalhus Gth.), Acanthorhodeus maeropterus, A. hypsolonotus, 
Puntius deauratus, P. sinensis, P. Güntheri (Barbus faseiolatus Gth.), 
Hemibarbus maeulatus , H. dissimilis, Leuciscus aethiops Bas, E. idellus 
Val (Ctenopharyngodon laticeps Steind), L. fintella Val, L. rosetta Val, 
L. eupreus Val, L. aeneus Val. L. vandella Val, L. piceus Rich, Pseudo- 
rasbora parva (Leueiscus parvus und pusillus Schleg), Lnciobrama typus, 
Elopichthys bambusa, Aspius spilurus Gth., Ochetobius elongatus Gth., 
Squaliobarbus eurrieulus Gth. (Rasbora teretiuseula und eurricula Bleck), 
Aphiocystus chinensis Gth., Paracanthabrama Guichenoti, Pseudobrama 
Dumerili (Leueiscus chevanella Val), Xenocypris argentea Gth., X. simoni, 
X. macrolepis, X. taperinosoma (Leueiscus jesella Val), X. davidi, X. mi- 
crolepis, X. plena, X. homospilotus, Chanodichthys mongolieus, Culter 
recurvieeps, C. erythropterus Bas, C brevicauda Gth., C. ilhisaeformis, 
C. dabryi C. hypselonotus, C. Kneri , Pseudoculter peckinensis (Culter 
exiguus Bas.), Parabramis brimula (Leueiseus bramula und rhomboidalis 
Val, Abramis temnalis Rich., A. mantschuriceus Bas) P. pekinensis, 
Hemieulter leueiseulus, H. machaeroides, Barilius acutipinnis, Pseudolau- 
buca sinensis, Hypophthalmichthys molitrix (Leueiscus molitrix Val, L. 
hypophthalmus Gray), H.nobilis (Leueiseus nobilis Gray, Cephalus hypoph- 
thalmus Steind), H. microlepis (Abramocephalus microlepis Steind) — 
Die Beschreibungen sind mit 14 sehr schön ausgeführten Foliotafeln be- 
gleitet. — (Werhdi. Akad. Wetensch. Amsterdam 1871. XII. 90 pp.) 

G. von Koch, Synopsis der Vögel Deutschlands. Kurze 
Beschreibung aller in Deutschland vorkommenden Arten, Mit 236 
Abbildungen auf 8 Tfl. Heidelberg 1871. 12°. — Das Büchelehen will 
zur Bestimmung der deutschen Vögel dienen und führt von jeder Gattung 
und Art einige Merkmale kurz an, wobei die Abbildungen von Köpfen, 
Füssen, Flügelspitzen und Schwänzen notlıwendige Hülfe leisten. Leider 
sind einzelne Diagnosen zu kurz gefasst und es ist z. B. nicht möglich 
nach des Verf. Diagnosen Perdix und Coturnix zu unterscheiden, da von 
letzter nur der zwölffedrige Schwanz angeführt wird. Sehr viele andere 
Diagnosen enthalten ungenaue Bezeichnungen, z. B. wird von Falco ge- 
sagt: „Läufe kurz“ und doch haben einige Arten lange, d. h. längere 
als die Mittelzehe. Die Federbüschel der Ohreulen sollen über den Ohren 
stehen, muss doch heissen : über den Augen. Bei so überaus kurzen Diag- 
nosen wie Verf. sie giebt, war grade grösste Schärfe der Auswahl der 
auffälligsten und untrüglichsten Merkmale nöthig. Auch die Angaben über 
Vorkommen, die sich auf die Worte häufig, gemein, selten, beschränken 
sind in dieser Kürze werthlos.. So zweifeln wir deun sehr, dass das 
Büchlein von den allerersten Anfängern, denn für jeden Andern würde 
es zu wenig bieten, mit Erfolg benutzt werden kann. 

C. G. Giebel, Thesaurus Ornithologiae. Repertorium der 
gesammten ornithologischen Literatur und Nomenclator sämmtlicher Gat- 
tungen und Arten der Vögel nebst Synonymen und geographischer Ver- 
breitung. Erster Halbband. Leipzig. Brockhaus 1872. gr. 8° 25 Bogen. 
— Die Massenproduktion auf dem Webiete der systematischen Ornithologie 
hat bei den sehr verschiedenartigen systematischen Prineipien der Ono- 


365 


matopoeten schon längst eine Verwirrung erzeugt, die das gerade Gegen- 
theil von dem eigentlichen Ziele der systematischen Forschungen darstellt, 
nämlich statt Einheit unauflösbar verwirrte Vielheit. Die zahllosen ganz 
und theilweise synonymen Gattungen und Arten erschweren nun in der 
empfindlichsten Weise das Studium, allein schon ihr Aufsuchen in der 
weitzerstreuten Literatur und demnächst die Ermittelung ihrer verschiede- 
nen Auffassung bei den einzelnen Autoren erfordert, wenn die Arbeit mit 
nur einiger Gründlichkeit ausgeführt werden soll, einen ungcheuerlichen 
Zeitaufwand, der in keinem irgend befriedigenden Verhältniss zu den ge- 
wonnenen Resultaten steht. Ungemein erschwert wird dieses Zusammen- 
bringen des Materiales noch durch die mangelnden umfassenden Register 
der sehr reichen periodischen Literatur, in deren bändereichen Reihen 
einzelne ornithologische Abhandlungen versteckt sind. Diesen und den 
weitern allen Systematikern sattsam bekannten, lästigen Uebelständen Ab- 
hülfe zu leisten ist der vorliegende ornithologische Thesaurus bestimmt. 
Derselbe giebt im ersten Theile oder Repertorium S.1—252 eine über- 
sichtliche Zusammenstellung der ornithologischen Literatur, die Titel der 
selbständig und der in der periodischen Literatur zerstreuten grössern und 
kleinern Abhandlungen. Die Anorduung ist eine systematische in 38 
Abschnitte vertheilte, mit der allgemeinen Ornithologie, Systematik und 
Nomenclatur beginnend bis zur Literatur über die ornithologischen Samm- 
lungen und Taxidermie.. Nicht blos die die Systematik, geographische 
Verbreitung, Biologie etc. betreffenden Schriften, auch die anatomischen 
und physiologischen, palaeontologischen, land- und forstwirthschaftlichen 
ete. Arbeiten also die gesammte ornithologische Literatur ist aufgeführt. 
Innerhalb der einzelnen Abschnitte sind die Titel nach der alphabetischen 
Folge der Autoren aneinander gereiht, so dass die Uebersicht und das 
Aufsuchen einzelner Abhandlungen mit dem geringsten Zeitaufwande er- 
möglicht wird. — Der zweite Theil oder Nomenclator der hier auf S. 
255—400 noclı nicht den Buchstaben A zum Abschlusse bringt, zählt die 
sämmtlichen Gattungen in alphabetischer Reihenfolge auf, die synonymen 
in anderm Druck als die begründeten. Hinter jedem Namen ist die be- 
zügliche Familie, die Etymologie, der Autor mit der ersten Quelle und noch 
besonders wichtige Monographen angeführt , darunter in Petitsatz die Sy- 
nonyme der Gatiung und die Diagnose entweder des ersten Autors oder 
die bessere eines spätern Monographen. Unter jeder Gattung folgen dann 
wieder in eigener alphabetischer Anordnung die Arten abermals die an- 
erkannten durch andere Druckeinrichlung von den synonymen unterschie- 
den, letzte blos mit ihrer Quelle und dem Hinweis der Art, welcher sie 
zugehören. Bei den begründeten Arten sind ausser der ersten Quelle nur 
noch wichtige spätere Arbeiten und Abbildungen eitirt, die geographische 
Verbreitung angegeben und die sämmtlichen Synonyme mit ihrer Litera- 
tur meist in bistorischer Folge aufgeführt, schliesslich die Vulgärnamen 
aller Sprachen zusammengestellt. So kann man jeden systemalischen Na- 
men der Ornithologie sofort bequem auffinden und den Nachweis seiner 
Bedeutung mit einem Blick ersehen. Ein wesentliches Verdienst der Ar- 
beit beruht wohl noch in der Aufnahme der Gattungsdiagnosen, da doch 


366 


nur die wenigsten Ornithologen über einen befriedigend reichen literari- 
schen Apparat zu verfügen haben. Selbstverständlich sind auch die Dia- 
gnosen der synonymen Gattungen aufgenommen worden, damit Jeder seine 
eigene Kritik üben kann. Welche Galtung ist begründet und welche un- 
zulässig? Darüber gehen die Ansichten der Systematiker weit auseinan- 
der und werden sich auch niemals einigen können. Verf. ist ein ent- 
schiedener Gegner der herrschenden Zersplitterung und viele hunderte von 
Gattungen und Arten werden hier als Synonyme aufgeführt, welche die 
überwiegende Mehrzahl der heutigen Ornithologen als begründete aner- 
kennt. Die Balsgelehrten mögen dieser auf die specifischen und generi- 
schen Eigenthümlichkeiten des gesammten Organismus und seiner Daseins- 
bediugungen sich stützenden systematischen Auffassung ihren Beifall ver- 
sagen, aber die volle Berechtigung können sie ihr nicht absprechen. 
Uebrigens leidet die Brauchbarkeit und Nützlichkeit des Nomeneclators un- 
ter diesem Standpunkte des Verf.s in keiner Weise, sie würde es aber 
wenn die Anordnung des Materiales nicht die alphabetische sondern eine 
dem Verf. eigenthümliche systematische wäre. - Hinsichtlich der Beur- 
theilung der systematischen Auffassung der einzelnen Gattungen und Ar- 
ten ist wohl zu beachten, dass der Nomenclatur eben nur den Nachweis 
der Namen zu geben hat, nicht aber eine kritische Rechtfertigung jeder 
einzelnen Gattung und Art bringen kann, diese ist Aufgabe des Monogra: 
phen und die Klasse der Vögel hat längst einen so bedeutenden Umfang 
gewonnen, dass weder das Material zu einer solchen Riesenarbeit zusam- 
menzuschaffen noch die rüstigste Kraft eines Menschenlebens zu deren 
Ausführung ausreichen würde. Der Nomenclalor stützt sich dalıer in sei- 
ner Auffassung der Arten und Gattungen wo immer möglich auf die gründ- 
lichsten vorliegenden Arbeiten und übt eigene Kritik nur in einzelnen ge- 
legentlichen Fällen. — Hinsichtlich der Vollständigkeit kann Verf. nur 
versichern Alles aufgeboten zu haben, was seine Arbeitskraft und mate- 
riellen Hilfsmittel ermöglichten, dass also irgend beachtenswerthe Gat- 
tungs- und Artnamen ihn kaum entgangen sein werden, wenn er auch be- 
dauern muss, dass einzelne besonders seltene ornithologische Werke, sowie 
vereinzelte Jahrgänge periodischer Schriften ihm nicht zur unmittelbaren 
Benutzung vorgelegen haben. Das Material des gauzen Werkes ist voll- 
ständig beisammen und bedarf nur noch der Redaction uud der Aufnahme 
der während des Druckes erscheinenden Literatur, so dass die Fortset- 
zung so schnell gefördert wird, wie die schwierige Satzeinrichtung es ge- 
stattet. Mögen die Ornithologen sowie alle Zoologen und Analomen, die 
sich irgend für die Vögel interessiren, dieser mühevollen Arbeit ihre Theil- 
nahme nicht versagen. 

L. K. Schmarda, Zoologie. I. Bd. mit 289 Holzschnitten. 
Wien 1871. 8%, W. Braumüller. — Das Studium der Zoologie hat 
nicht blos den Zweck die einzelnen Thiere, deren Lebensweise und Bezie- 
hung zum Menschen kenuen zu lehren, sondern zugleich den höhern und 
für die geistige Bildung überhaupt besonders wichtigen die Einsicht in 
den Bau und die Gesetze des thierischen Organismus zu gewinnen. Die 
Förderung des zoologischen Studiums in dieser Richtung bezweckt Schmar- 


367 


das Lehrbuch. Dasselbe beschäftigt sich deshalb im ersten Abschnitt mit 
. der stofflichen Grundlage des thierischen Organismus, im zweiten mit 
der Statik und Dynamik des geformten Stoffes, dann mit der Thierpsy- 
chologie, der geographischen Verbreitung der Thiere endlich mit den Ge- 
setzen der Organisation oder dem System des Thierreiches, das hier von 
den Infusorien bis zu den Würmern behandelt ist und im zweiten Bande 
seinen Abschluss erhalten wird. Die Darstellung ist klar und bündig, 
auf der Höhe der Wissenschaft gehalten, die zahlreichen Holzschnitte 
zweckmässig ausgewählt und verzüglich ausgeführt. Wir empfehlen das 
Buch allen Lehrern, welche gründlichen und erfolgreichen zoologischen 
Unterricht ertheilen wollen, allen Studierenden, die mehr als eine blos ober- 
flächliche und einseitige zoologische Bildung erstreben. 

Tb. Holland, die Wirbelthiere Pommerns, systematisch ge- 
ordnet nebst Tabellen zur Bestimmung derselben nach der analytischen 
Methode. Selbstverlag des Verf.’s. Stolp 1871. 8%. 119 SS. — Eine 
kurze Zusammenstellung der in Pommern und der angränzenden Ostsee 
vorkommenden Wirbelthiere und zwar von 59 Säugethieren, unter denen 
der längst nicht mehr beobachtete Biber, die vielleicht 1816 einmal be- 
obachtete Wildkatze, die die Gränze bisweilen überschreitenden Wölfe und 
der Schädel eines Pterobalaena gryphus aufgeführt sind, ferner 293 Vögel, 
unter denen gleichfalls einige nicht auf sicherer Beobachtung ruhende ver- 
zeichnet sind, dann 6 Reptilien, 12 Amphibien und 92 Arten Fische. Je- 
der Abtheilung geht ein Clavis voraus, welcher auf die Art im nachfol- 
geuden systematischen Verzeichniss hinweist und ist derselbe für die Säu- 
gethiere und Vögel nach den bekannten Arbeiten von Blasius entworfen. 
Die Arten selbst sind sehr dürftig behandelt, mit ein- oder wenigen Merk- 
malen charakterisirt und dann die Art des Vorkommens kurz bezeichnet. 
Immerhin wird diese Zusammenstellung, denen, die in Pommern anfangen 
Wirbelthiere zu sammeln und systematisch zu bestimmen, einen ersten An- 
halt gewähren, aber nur einen ersten, da die Auskunft über die Ar- 
ten selbst zu dürftig ist und die Benutzung der einschlägigen ausführli- 
chern Literatur nothwendig macht, 


Zeitschr. f. d. ges. Naturwiss. Bd. XXXVII, 1871. 36 


1871. 


Correspoudenzblatt 


X. XI. 


Naturwissenschaftlichen Vereines 


für die 


Beim Sachsen und Thüringen 


Halle. 


Einunddreissigste Generalversammlung. 


Bernburg am 7. u. 8. October. 


In dem geräumigen und freundlichen Saale des Zimmermannschen Lo- 
cales fanden sich in Folge der öffentlichen Einladung durch das geschäfts- 
führende Comite folgende Herren zur Theilnahme an der Versammlung 


ein: 

Dr. Günther, Director, Bernburg. 

G. Schubriug, Lehrer, Erfurt. 

v. Röder, Rentier, Hoym. 

G.Jannasch, Commissionsrath, Bern- 
burg. 

G. Teichmüller, Apotheker,Bernburg. 

C. Giebel, Professor, Halle. 

B. Schwarzenauer, 
Salzgitter. 

Dr. H. Suhle, Professor, Bernburg. 

Dr. Fischer, Dir. d. höh. Bürgersch., 
Bernburg. 


Bergverwalter, 


J. Bennwitz, Gasanstalts - Director, 
Aschersleben. 

Fr. Hottelmann, Lehrer, Bernburg. 

Meite, Bergmeister, Bernburg. 

A. Schmidt, Archidiakon, Aschers- 
leben. 

Fr. Schiele, Rector, Bernburg. 

L. Witte, Lehrer, Aschersleben. 

H. Trenkel, Oberlehrer, Bernburg. 

F. Dübel, Lehrer, Bernburg. 

F. Wedlich, Lehrer, Bernburg. 

H. Reiter, Buchdr.-Bes., Bernburg. 

Fischer, Pfarrvikar, Coswig. 


Illmer, Lehrer, Bernburg. 

Suhle, Inspector, Weimar, 

Dr. Rey, Halle a/S. 

Graf, Merseburg. 

Dr. H. Credner, Professor, Leipzig. 

Dr. Taschenberg, Professor, Halle, 

A. Meyer, Buchdr.- Bes., Bernburg. 

M. Schönichen, Past. quiese. Bern- 
burg. 

A. Rienecker, Einfahrer a.D., Bern- 
burg. 

Emil Runge, Kreisdirector, Bernburg. 

Karl Schlosser, Apotheker, Magde- 
burg. 

L. Bockshammer, Apotheker, Bern- 
burg. 

C.Ruschke,Steinbruchsbesitzer,Ader- 
stedt. 

HB. Korn, Steinbruchsbesitzer, Bern- 
burg. 

A.Rindfleisch, Regier.-Rath, Dessau. 

F. Rindfleisch, Rechtsanwalt, Bern- 
burg. 

Dr.Schreiber, Oberlehrer,Magdeburg. 

H. Strube, Lehrer, Bernburg. 


369 


R. Klinkhardt, Lehrer, Bernburg. 

Dr. Carl Würzler, pract. Arzt, Bern- 
burg. 

Dr. Gründler, pract. Arzt, Aschers- 
leben, 


Dr. Eichler, praet. Arzt, Ascherleben. 
L. Bley, Apotheker, Aschersleben. 
J. Jannasch, Chemiker, Bernburg. 
Thiele, Ober-Steuer-Contr. Halle. 
0. Kessler, Oberamtmann, Beruburg. 


Preussing, Hofdecorationsmaler, 


Bernburg. 
E. W. Nebe, Agent, Bernburg. 
M. Wolff, Kaufmann, Bernburg. 
Gottschalk, Kaufmann, Bernburg. 
Credner, Geh. Bergrath, Halle. 
R. Credner, stud. geol., Halle. 
A. Potzelt, Mechaniker, Haile. 
Fr. Rockmann, Lehrer, Coswig a/B. 
C. Schetiler, 
Bernburg. 


Predigtamtscandidat 


L. Morgenstern, Bernburg. 

Rudolf Korn, Posteleve, Bernburg. 
Dr. Schütze, Oberlehrer, Bernburg. 
L. Kessler, Kaufmann, Bernburg. 
Hilmar Meyer, Kaufmann, Bernburg. 
D. F, Kielhorn, Professor, Poona. 
F. G. Kessler, eand. min., Bernburg. 
Maximilian Curtze, Thorn. 

Dr. G. Compter, Apolda, 
L.Morgenstern, Apotheker,Bernburg. 


Becker, Bauinspector, Bernburg. 

Temmi, Kaufmann, Bernburg. 

O0. Merkel, Steinmetzmeister, Bern- 
burg. 

Dr. med. Hammann, Bernburg, 

Dr. med: Schmidt, Bernburg. 

Dr. C.R. Teuchert, Handels-Chemi- 
ker, Halle. 

AlexisFlamandt, Rechtsanwalt, Bern- 
burg. 

E. Prenzler, 
burg. 

A.Schöne, Bergbeflissener, Stassfurt. 

A. Landgraf, Lehrer, Bernburg. 

Th. Müller, Conditor, Bernburg. 

W. Brandt, Buchhalter, Bernburg. - 

R. Brelnirth, Werkführer, Aderstedt. 

VietorLivowski, Fabrikant, Bernburg. 

Böckelmann, Kaufmann, Bernburg. 

Günther, stud. jur., Bernburg. 

W. Mette, Einfahrer, Bernburg. 

A. Marggraff, Copist, Bernburg. 

A. Ziegler, Kunstgärtner, Bernburg. 

Dr. Herre, Dr. med., Güsten. 

A. Görecke, Instrumentenmacher. 

Ad. Calm, Kaufmann, Bernburg. 


Kreisthierarzt, Bern- 


Paul Brumme, Bernburg. 

Ed. Schäffer, Bernburg. 

G. Handt, stud. jur., Bernburg. 
Herzog, Rector, Ballenstedt. 

L. Brandt, Kaufmann, Bernburg. 
R. Bosse, Lehrer, Bernburg. 


Um 10 Uhr Vormittags begrüsste Herr Director Günther im Auf- 
trage des Comites die Versammlung und eröffnete dieselbe mit einer war- 


men Ansprache, 


Darauf theilte Herr Einfahrer Rienecker die Tagesordnung für die 
heutige Sitzung mit und ersuchte zunächst den Vorsitzenden des Vereines 
Herrn Prof. Giebel den Rechenschaftsbericht des Vorstandes über die 


beiden letzten Jahre vorzulegen. 


Da die unser Vaterland tief erschütternden Ereignisse des vorigen 


Jahres nöthigten die Generalversammlung ausfallen zu lassen, so wurde 
die Verwaltung ohne Bericht an dieselbe fortgeführt und erstreckt sich 
daher der heutige Vorstandsbericht über die Jahre 1869 und 1870. 


Den Kassenbericht zunächst betreffend weist derselbe für beide Jahre 


nach 


26 * 


370 


Einnahme: 
Jahresbeiträge der Mitglieder 796 Thaler 
Eintritisgelder neuer Mitglieder DL er 
Verkaufder Zeitschrift an Mitglieder 8 „ 
858 Thaler 
Ausgabe: 


Defieit aus vorjähriger Rechnung und Ausfälle 87 Thaler 16Gr. 9YPf. 
Zum Druck der Zeitschrift und kleine Drucksachen 613 ,„ Sun, 
Für Lithographien und Buchbinderarbeiten 138,58 22210,, 
Miethe, Botenlöhne, Bureaukosten, Bibliothek 98 „ 95522166, 
Ausgabe der Redaction BIER en 


988 Thaler 20 Gr. 9Pf. 
Wonach sich das frühere Defieit auf 130 Thlr. 20 Gr. 9 Pf. erhöht, wel- 
ches der Vorstand, wenn nicht durch Eintritt neuer Mitglieder und Ver- 
kauf der Zeitschrift an dieselben die Einnahme sich steigern sollte, leider 
durch Beschränkung der Ausstattung der Zeitschrift zu decken genöthigt 
sein würde und bringt derselbe von Neuem in Erinnerung, dass den Mit- 
gliedern, welche die Zeitschrift nicht vollständig besitzen,, einzelne Jahr- 
gäuge zum halben Beitragspreise (zwei Bände für einen Thaler) und bei 
Abnahme von mehr als zehn Bänden eine noch weitere Ermässigung des 
Preises bewilligt wird. ; 

Im Stande der Mitglieder des Vereines sind seit der letzten General- 
versammlung erhebliche Veränderungen eingetreten. Zunächst ist der Ver- 
lust von 16 zumeist ältesten Mitgliedern durch den Tod zu beklagen, wo- 
gegen der frevelhaft heraufbeschworene Krieg, der eine nicht geringe An- 
zahl Mitglieder unter die Waffen in Feindesland fülırte, dem Vereine keine 
Opfer brachte. Ausgetreten z. Th. wegen Verlassen des Vereinsgebietes 
sind 30, neu aufgenommen dagegen 54, so dass sich gegenwärlig die 
Zahl der Mitglieder auf 264 stellt. 

Da in vielen und selbst grossen Städten des sächsischthüringischen 
Vereinsgebietes unser Verein trotz seiner achtzehnjährigen lebhaften Thä- 
tigkeit noch keine Mitglieder gewonnen hat und nach gelegentlichen Er- 
fahrungen weder der Verein noch die Zeitschrift hinlänglich bekannt ist: 
so sandte der Vorstand an 32 Gymnasien, Real- und höhere Lehranstal- 
ten je 6 bis 8 Bände der Zeitschrift mit dem Anerbieten auch diesen An- 
stalten die Zeitschrift zu dem sehr niedrigen Mitgliederpreise zu überlas- 
sen. Nur drei dieser Anstalten verlangten die Fortsetzung der Zeitschrift, 
fünf dankten für die Zusendung und 24 hielten die Sendung nicht einer 
Empfangsanzeige werth. So nehmen die Vorsteher unserer gelehrten 
Schulen freundliche Anerbieten zur Beförderung allgemein wissenschaft- 
licher Bildung auf! — Dass gerade unter den Lehrern die Zeitschrift un- 
seres Vereines, doch seit lange die einzige, welche regelmässig jeden 
Monat Bericht über die Fortschritte auf jedem einzelnen naturwissenschaft- 
lichem Gebiete bringt, die auffallend. geringe Theilnahne findet, ist eine 
wenig tröstliche Erscheinung für die wissenschaftlichen Bestrebungen un- 
seres Lehrerpersonals. Dass unsere Berichte und Mittheilungen vorwie- 
gend in der wissenschaltlichen Form und nur gelegentlich in die popu‘ 


371 


läre und unterhaltende Form sich kleiden, kann die Lehrer sowenig wie 
andere für Naturwissenschaften sich besonders interessirende Männer von 
der Theilnahme an unserm Vereine, an unserer Zeitschrift abhalten, da 
gerade die Lehrer in erster Linie die Aufgabe haben die Wissenschaft für 
Leben und Bildung zu verwerthen, sie zu popufarisiren ; nur wenn sie mit 
der Wissenschaft fortschreiten,, werden sie die zum freudigen Berufe noth- 
wendige Befriedigung ihrer Thätigkeit sich fort und fort erhalten. Unser 
Verein bietet durch seine rege Thätigkeit, durch seine monatlich erschei- 
nende Zeitschrift Jedem Gelegenheit den Fortschritten der Naturwissen- 
schaften auf dem bequemsten Wege zu folgen. 

Der Bericht berührte schliesslich noch die eingetretene Verzögerung 
in dem Erscheinen der Hefte der Zeitschrift, das erfreuliche Wachsthum 
der Vereinsbibliothek und die ununterbrochene Thätigkeit in den wöchent- 
lichen Vereinssitzungen in Halle, 

Die vorgelegten Kassenbelege wurden den Herren Rienecker und 
Schubring zur Prüfung und Berichterstatiuug in der nächsten Sitzung 
übergeben. 

Die wissenschaftlichen Verhandlungen eröffnete Herr Professor Suhle 
mit einem Vortage über die meteorologischen Verhältnisse von Bernbnrg 
(siehe S. 211—218). 

Herr Prof. Taschenberg legt einige, ihm im Laufe des Jahres als 
besonders zahlreich aufgefallene schädliche Insekten vor und verbreitet 
sich über die Naturgeschichte der einzelnen. Es gehören dahin die Raupe 
der Erbseneule Noctua pisi, welche sieh besonders in Schlesien an 
allen Pflanzen der Heerstrassen und in den Scheunen nach dem Einfahren 
der Erbsen ungewöhnlich zahlreich gezeigt hatten, ferner die Raupen der 
Gamma-Eule, Plusia gamma, die im laufenden Jahre in der Umgebung 
von Halle den Rübenfeldern in ähnlicher Weise verderblich wurden, wie 
vor einigen Jahren im Anhaltischen und in der Umgegend von Magdeburg. 
Der Vortragende hob hervor, dass ihm das Auftreten derselben Raupe an 
Weidengebüsch, wo sie von ihm zahlreich beobachtet worden, eine neue 
Erscheinung gewesen sei. Die dritte Mittheilung betraf einen Erdfloh, 
Halilica erucae, der sammt seiner Larve seit einiger Zeit das Laub der 
Eichenbüsche und namentlich des Eichenstangenholzes in der Dölauer 
Haide bei Halle vollständig skeletire und sich mit jedem Jahre weiter aus- 
breite. Hieran knüpfte der Herr Ministerialrath Rindfleisch die Be- 
merkung, dass nach seinen Erfahrungen auch die Raupe des Sägeran- 
des, Noctua persicariae in auffälligen Mengen aufgetreten und auch an 
Obstbäumen vorgekommen sei, woran man sie seines Wissens noch bis- 
her noch nicht gefunden habe. 

Herr Oberlehrer Schubring erläuterte an zahlreichen Exprimenten 
mehre anziehende Eigenschaften der Seifenblasen. 

Herr Professor Credner wies an einem Beispiele aus der Mansfel- 
der Gegend nach, dass nicht wie man früher allgemein annahm Eruptiv- 
gesteine stets die Ursache von Hebungen der Gebirgsschichten seien, son- 
dern in gewissen Fällen die Einwirkungen des Wassers Hebungen verur- 
sacht haben. Er erläuterte zunächst einen geognostischen Durchschnitt 


312 


von Eisleben nach Gerbstädt und schilderte die anffallenden Störungen, 
welche hier der Schichtenbau des Buntsandsteines erlitten. Als Ursache 
derselben betrachtet Redner die Gypse der Zechsteinformation, die ur- 
sprünglich Anhydrite gewesen sind und dann durch Wasseraufnahme in 
lösliche Gypse umgewandelt worden sind. Das durch diesen Process be- 
wirkte Aufschwellen der Massen und die später erfolgende Auflösung und 
Fortführung wirkte hebend und senkeud auf die darüber liegenden Schich- 
ten des Buntsandsteines, 


Herr Dr. Gründler legte schöne Exemplare des Kieselschwammes 
Euplectella vor und nahm Veranlassung sich über unsere heutige Kennt- 
niss der Organisation der Spongien auszusprechen. — Herr Prof, Gie- 
bel fügte einige historische und literarische Bemerkungen über die Gat- 
tung Euplectella hinzu. 


Herr Oberlehrer Schubring hielt einen längern erläuternden Vortrag 
über die Geschichte des Kalenders (siehe Decemberheft der Zeitschrift). 


Hiermit wurde die erste Sitzung geschlossen und die Anwesenden be- 
gaben sich in den Nebensaal zur Betrachtung der ausgestellten Sammlun- 
gen. Eine schöne Suite von Petrefakten aus dem Diluvium über der Braun- 
kolle bei Nachterstedt zwischen Aschersleben und Quedlinburg von Herrn 
Berginspector Seiffert eingesendet, fesselte die Aufmerksamkeit der an- 
wesenden Geognosten und Paläontologen in hohem Grade, nicht minder 
unter den Resten aus dem Bernburger Labyrinthodontensandsteine der 
erste Fisch dieses Buntensandsteines, den Herr Steinbruchsbesitzer Mer- 
kel zur Disposition stellte, Ueber beide Funde wird die Zeitschrift des 
Vereines nähere Mittheilungen bringen. — Eine an schönen Exemplaren 
reiche Suite von Petrefakten aus den Formationen um Salzgitter aus Hrn. 
Schlönbach’s Sammlung war von Hrn. Berginspector Schwarzenauer aus- 
gestellt. Hr. Sieinbruchsbesitzer C. Rusche hatte die verschiedenen Ab- 
änderungen des Roggensteines und daraus geschliffene Tisch- und Fen- 
sterplatten und andere Gegenstände ausgelegt. — Herr Jannasch in 
in Bernburg hatte von seinen festen Thonwaaren (Ascanialith) verschie- 
dene Kunstgegenstände ausgestellt, als die Fuchsgruppe nach Kaulbach, 
die Apostel nach Peter’ Vischer nur in Form eines Wandgemäldes in ein- 
zelnen Blättern zusammengestellt, die Nordische Heldensage von Ehr- 
hardt. Die Arbeiten waren sauber und künstlerisch ausgeführt, Für 
technische und chemische Zwecke hatte derselbe seine lang bekannten 
und so ausserordentlich bewährten Wasserleitungsröhren, aus derselben 
Ascanialith-Masse gefertigt, in den verschiedensten Dimensionen von 1 bis 
15 Zoll lichter Breite ausgestellt. Die Masse der Röhren ist durch und 
durch verglast und die Porzellanglasur, mit welcher die innere Fläche der 
Röhren glasurt ist, ist vollständig mit dem Röhrenkörper verbunden, der 
Körper, wie die Glasur ist vollständig indifferent gegen Säuren und Al- 
kalien und diese perennirende Eigenschaft hat den Fabrikant veranlasst 
ein lang gefühltes Bedürfniss der chemischen Labaratorien abzuhelfen, in- 
dem er Destillationsschlangen von 1 bis 2 Zoll Durchmesser und 30 Fuss 
Windungslänge darstellt. Die ausgestellten zwei Exemplare von 1 und 


313 


11/, Zoll Weite waren sauber gearbeitet und der schöne helle Klang 
zeigte wie fest der Körper war. In der chemischen Fabrik von Tromms- 
dorf in Erfurt finden dieselben zu Rectification von Säuren, bei Dr, 
Frank in Stassfurt zur Destillation von Brom schon längst zur grössten 
Zufriedenheit Anwendung. 

Ausserdem waren noch verschiedene zoologiscbe nnd botanische 
Sammlungen sowie technische z. B. Bleiröhren aus der Kesslerschen Fa- 
brik, vorzüglich aus Rohr gearbeitete Möbel ausgestellt. 

Nach diesen zu vielfachen Besprechungen Anlass gebenden Betrach- 
tungen vereinigte ein mit heitern und ernsten Trinsprüchen gewürztes 
gemeinschaftliches Mittagsmahl die Versammlung. 

Der Nachmittag wurde mit dem Besuche der Sammlungen des hıer- 
zoglichen Gymnasiums, der Bleirohrfabrik von Kessler und Sohn und 
einiger anderen Etablissements verbracht. Am Abend versammelten sich 
die Theilnehmer wieder im Sitzungssaale zur gemüthlichen Unterhaltung 
bei Bier und Musik und trennten sich erst in später Stunde. 

Der Sonntag Vormiltlag wurde von einer grossen Anzahl Tneilneh- 
mer zu einer sehr lehrreichen Excursion in die grossartigen Steinbrüche 
im Roggenstein und Bunten-Sandstein an beiden Seiten der Saale ver- 
wendet, 


Zweite Sitzung, 
Sonntag d, 8. October Vormittags 11 Uhr, 


Programmgemäss eröffnete Hr, Rienecker die Sitzung mit dem Be- 
richte über die Prüfung der Kassenbelege. Derselbe fand nur zu moni- 
ren, dass die bedeutende Höhe von 104 Thlr. restirenden Jahresbeiträgen 
der Mitglieder in einem unangenehmen Missverhältniss zur Gesammt-Ein- 
nahme des Vereines stehe und sowohl der Kassenführer wie die restiren- 
renden Mitglieder diesen Uebelstand zu beseitigen sich bestreben möchten. 
Da die Belege selbst in Ordnung befunden waren, ertheilte die Versamm- 
lung Decharge, 

Bei der Wahl der Orte für die nächstjährigen Versammlungen wurde für 
die eintägige wie früher Delitzsch, für die zweilägige Gera gewählt. 

Darauf meldete der Voisitzende im Auftrage des geschäftsführenden 
Comites folgende Herren zur Aufnahme in den Verein an: 


G. Teichmüller, Apotheker in Bernburg 


Dr. Fischer, Schuldireetor ” 
Fr.Hottelmann, Gymnasiallehrer ‚, 
Fr. Schiele, Rector a 
H. Trenkel, ÖOberlehrer ” 
F, Dübel, Lehrer A 
Dr. €. Würzler \ 
L. Morgenstern, Apotheker Ai 
Becker, Bauinspector ar 
J. Jannasch, Chemiker N 


C. Merkel, Steinbruchsbesitzer 5 
Fritsche, Bürgermeister „ 


374 


L. Boekshammer, Apotheker in Bernburg 
C. Busche, Steinbruchsbesitzer " 


Nach einer kurzen Pause, während welcher sich die eingeladenen 
Damen zahlreich einfanden und der geräumige Saal mit Zuhörern füllte, 
hielt Herr Director Dr. Fischer einen sehr anziehenden allgemeinen Vor- 
trag über die Darwinsche Theorie: 


Sind die Pflanzen und Thierarten veränderlich oder unveränderlich ? 
Letzteres wird von Cuvier, Linne, Agassiz etc. behauptet; ersteres von 
Lamarck, Geoffroy, St. Hilaire, Oken, Goethe, Darwin. Jene suchen das, 
was ist, immer schärfer zu sondern und zu systematisiren — sie verfah- 
ren analytisch: diese — die Synthetiker — wollen wissen, wie das, was 
verschieden ist, so wurde, Der Streit zwischen Cuvier einer- und Lamarck, 
Geoffroy andrerseits machte die Schule letzterer zunächst 20 Jahre lang 
lächerlich. Da aber Linne alle Thiere und Pflanzen vom Ararat aus- 
gehen liess, obwohl die der heissen Zene dort nicht ausdauern kön- 
nen, zuletzt selbst vermuthete, dass einige Arten von anderen abstammen 
möchten; da ferner Cuvier seine Lehre, dass mit jeder Umwälzung der 
Erdoberfläche die gesammte Thier- und Pflanzenschöpfung uutergegangen 
und durch eine neue Schöpfung ersetzt sei, später dahin änderte, dass 
dabei auch wohl nur einzelne Gegenden ent- und durch Einwanderung 
nen bevölkert wären und da endlich Linne’s und Cuviers Standpunkt 
durch die fortsehreitende Wissenschaft überholt wurde, so wurde die Wie- 
deraufnahme der Lamarck-Geoffroyschen Anschauungen immer dringende- 
res Bedürfniss. Dies geschah durch Darwin, der aber statt Lamarck’s 
Bedürfnisstheorie die der natürlichen Zuchtwahl setzte. Sein 1859 er- 
schienenes Buch hatte bei Männern der Wissenschaft wie bei Laien einen 
gewaltigen Erfolg. 


Als hauptsächlichste Gedanken Darwins werden am Beispiel einer 
deutschen Weide, welche nach Australien gebracht und dort in viele 
Stücke zerschnitten, an den verschiedensten Orten gepflanzt wurde, ge- 
nannt: 1) allgemeine Erblichkeit 2) innerhalb derselben Fähigkeit zu Ver- 
änderungen 3) Erblichkeit auch in diesen Abänderungen, 4) natürliche 
Auslese, indem einige Formen im Kampf ums Dasein bestehen, andere 
untergehen. In diesem Kampfe erhalten sie sich a) thätig, durch An- 
strengung ihrer Kräfte und Entwicklung neuer Eigenschaften b) leidend 
gegenüber den schädlichen Einwirkungen. N. 1 ist bekannt; auch N. 2, 
denn sie sind 2 Individuen einer Art congruent. Auch N. 3 wird von 
jedem zugegeben, der von Familienähnlichkeit spricht; denn diese ist ja 
Vererbung kleiner Besonderheiten innerhalb der allgemeinen Erblichkeit. 
Entscheidender als das Gesicht aber ist für Familienähnlichkeit die Bil- 
dung der Hände nnd Füsse, daher die ähnliche Handschrift und ähnliche 
Bewegungen in derselben Familie. Bei Thieren benutzt man die Familien- 
erblichkeit zur fast willkürlichen Ausbildung neuer Racen. Pflanzen ver- 
erben ihre Eigenthümlichkeiten 1) durch Senker (die feinen Obstarten, 
Blutbuche ete,), 2) durch Samen, der die ursprünglichen Eigenthümlich- 
keiten nur langsam aufgiebt; daher „der Rückschlag“ d. h. die Entste- 


375 


hung von Wildlingen aus Kernen feiner Obstsorten. Der Rückschlag bie- 
tet ein Mittel die Urform zu erkennen. Dies ist aber noch nicht gelun- 
gen bei den Getreidearten und den Kartoffeln, welche schon zu lange 
eultivirt sind; letztere schon zu Columbus Zeit in America und der Wai- 
zen angeblich 2000 v. Chr. in China. Ein Beispiel für erbliche Verände- 
rung der Blätter allein bietet der Kohl; Metzger zog aus demselben Sa- 
men alle Kohlarten vom Kohlrabi an bis zum Braunkohl, 

Voigt hielt seine Microcephalen für einen Rückschlag zum Uraffen; 
sie sind aber nur Missbildungen, die weder den Kampf um das Dasein 
aushalten, noch ihre Eigenschaften vererben können, was doch beim wah- 
ren Rückschlage statlfindet. Ebensogut wäre die von Geoffroy gekannte 
Missgeburt mit flossenartigen Händen und Füssen ein Rückschlag und der 
Mensch stammte vom Seehunde ab. 

In der Natur kann zu Aenderungen oder zur Unterdrückung von For- 
men Veranlassung gegeben werden durch örtliche oder ausgedehntere Ver- 
änderungen der Erdoberfläche, aber auch durch Wanderungen (Senecio 
vernalis, Elodea eanadensis, Wanderratte eic.). Jede Art hat ihren Ver- 
breitungsbezirk. Die am Umfange desselben befindlichen Individuen sind 
im Vorschreiten oder in der Abwehr ihnen entgegengesetzter Formen be- 
griffen und entwickeln im Kampf und unter neuen Umgebungen neue Fä- 
higkeiten; die im Mittelpuncte befindlichen nutzen ihre Lebensbedingun- 
gen aus — wie Waizen, der stets auf dasselbe Feld gesäet wurde — und 
sind stets widerstandsunfähig, wenn der Kampf ums Dasein an sie her- 
antritt. Die kräftigeren, aufstrebenden Formen sind jünger, die verkom- 
menden älter. Dass Thiere, deren Farbe mit der Umgebung überein- 
stimmt (weisse Thiere in Schneegegenden, braune Insecten an Rinde, grüne 
auf Blättern) im Kampfe ums Dasein im Vortheil sind, dass sie also 
häufiger als andere ihre Eigenschaften vererben können, dass auf Gebir- 
gen Kühe mit harten Hufen besser ausdauern als andere, ist leicht be- 
greiflich. Aber auch eine grössere Vollkommenheit kann schädlich sein; 
auf Inseln sind die schlechtfliegenden Insekten die zahlreichsten. 

Darwin erschloss nicht alle Räthsel, sondern stellte uns an den An- 
fang ihrer Lösung. Ob die von ihm gezeigten Ursachen die Aenderung 
von Arten bewirken können, das bleibt noch zu beweisen. Die orthodoxe 
Theologie befehdet ihn; aber hat sie nicht dieselben Probleme zu lösen ? 
Kann sie die Abstammung der Racen von Adam erweisen? Darwin soll 
die Allmacht Gottes herabsetzen! Aber ist die Vorstellung, dass ein 
einfachstes Geschöpf die Keime vie'!er wunderbar gebildeter Arten enthalte, 
geringer als die mosaische Vorstellung von ihrer Erschaffung? Begriffen 
wird beides nicht werden. — 

Archidiakonus Ad. Schmidt aus Aschersleben knüpfte an den vor- 
angegangenen Vortrag mit der Erklärung an, er sei ein entschiedener 
Gegner des Darwinismus; seine malakologischen Erfahrungen, im Gegen- 
satze zu Rossmässler, der lange vor dem Auftauchen des Darwinismus 
ein ausgeprägter Darwinianer gewesen, hätten ihn dazu gemacht. Ross- 
mässler hätte bei seinem Ausgehen von den Uebergangsformen zu seinen 
Resultaten gelangen müssen; die von Ref. eingeschlagene anatomische 


376 


Methode hätte Rossmässler’s Grundansicht als eine nur auf äusseren 
Schein beruhende, in Wahrheit jedoch irrige dargethan. Es sei äusserst 
wichtig, welchen Weg der Forscher, zumal auf einem Gebie’e, auf wel- 
chem die nächstverwandten Arten durch Uebergangsformen. vielfach in 
einander zu fliessen scheinen, einschlage. Linne und seine Nachfolger 
hätten sich an die Grundtypen gehalten. Seit Göthe wären die Ueber- 
gangsformen immer weiter in den Vordergrund gedrängt. Nach des Ref. 
Ueberzeugung mit Unrecht. Man könne von ausgeprägten Differenzen aus- 
gehend wohl zu einer kritischen, gerechten Würdigung der bis an die 
Grenzen der Unkenntlichkeit auslaufenden Modificationen jener gelangen, 
richt umgekehrt. 

Diese Bemerkung lenkte in das eigentliche Thema des gegenwärtigen 
Vortrages, Mittheilungen aus dem Gebiete der Diatomeen betreffend, ein. 
Die Diatomeen in ihrer Gesammtheit bildeten ein zur Zeit noch zweifel- 
haftes Grenzgebiet zwischen Thier und Pflanze. Die meisten Forscher 
rechneten sie zu den einzelligen Algen. Ehrenbergs Hauptgründe für die 
animalische Natur derselben hätten sich als Täuschungen herausgestellt. 
Aus dem Complex der Gründe, welche für dieselbe sprächen, sollte hier 
beiläufig nur auf einen hingewiesen werden. 

Zunächst ward hervorgehoben, dass die Diatomeen zwar einzellige 
Organismen wären, deren Inhalt von einem Kieselpanzer umschlossen sei, 
dass dieser aber stets aus zwei den beiden Theilen einer Schachtel zu 
vergleichenden Schalen bestehe; dass die Diatomeen sich nur durch Thei- 
lung vermehrten, so aber immer geringeres Volumen einnehmen und end- 
lich ganz verkümmern müssten, wenn nicht fürihre Regeneration gesorgt 
würde. Dies geschehe durch die sogenannte Conjugation, die aber z. B. 
von der der Spirogyren so verschieden sei, dass Referent es vorzieht, über- 
haupt nur von dem Regenerationsprocess der Diatomeen zu sprechen, und 
die Produkte desselben nicht Sporen, sondern regenerirte Individuen zu 
nennen. Zwei Beispiele der Regeneration wurden nun näher besprochen, 
welche bisher noch nicht genau beobachtet sind. 

1) Cymbella gastroides. Zwei Individuen legen sich mit ihren Bauch- 
seiten aneinander, umgeben sich mit einer dichten, scharf contourirten 
Schleimhülle, ausser dieser mit einem viel weiteren Schleimcocon. Die 
Centralorgane (vulgo Zellkern) drängen sich näher an die Bauchseite; un- 
ter starker Blasenentwickelung (Fetikügelchen) entsteht in der Mitte ein 
sonst nicht vorhandenes ovales Gebilde von scharfen Umrissen; ein häu- 
tiger Schlauch innerhalb der Wandungen des Kieselpanzers, der die Scha- 
len der alten Individuen auseinander treibt, dehnt sich allmählich bis zur 
doppelten Länge, in diesen bilden sich die regenerirten Individuen aus. 

2) Gomphonema dichotomum: die Individuen verlassen ihre Schleim- 
sliele, legen sich so aneinander, dass immer das Vorderende des einen 
Exemplars sich an das Hinterende des andern schmiegt. Die regene- 
rirten Individuen zeigen dieselbe Lage. Dieser auffallende Umstand ist 
in zahllosen Fällen beobachtet, ohne dass auch nur eine Ausnahme statt 
fand. Muss der allein nicht, bei der in so manichfacher Hinsicht her 
vertretenden Eigenartigkeit der Diatomeen, den Gedanken an deren pflanz- 


377 


liche Natur abschneiden? Ref. ist der Ansicht, dass die Diatomeeukunde 
sich in erster Linie an so stark accentuirte Eigenthümlichkeiten zu hal- 
ten hat, stalt, wie es jetzt Mode ist, immer nur nach allen möglichen 
Analogien mit pflanzlichen Erscheinungen zu haschen und dadurch den 
Blick für ihre Eigenarligkeit zu schwächen, 

Was hier nur kurz angedeutet werden konnte, soll demnächst an 
einem anderen Orte mit reichen Illustrationen ausführlich erörtert werden. 

Die vorgeschrittene Zeit nöthigte zum Schluss der Verhandlungen, 
den der Vorsitzende Herr Professor Giebel mit einem Danke an die Vor- 
tragenden, an die zahlreichen Theilnehmer und Gäste und für die freund- 
liche Aufnahme in Bernburg aussprach. 

Während die Anwesenden sich wieder mit den im Nebensaale ausge- 
stellten Sammlungen beschäftigten, wurde die gemeinschaftliche Mittags- 
tagstafel angerichtet. Während derselben nahm draussen das Wetter eine 
so unfreundliche Wendung, dass der Regen die für den Nachmittag noch 
beabsichtigten gemeinschaftlichen Ausflüge verhinderte. Die auswärtigen 
Theilnehmer reisten daher z. Th. gleich nach Tische z. Th. mit den Abend- 
zügen der Heimat wieder zu, alle befriedigt von den genussreich verleb- 
ten Tagen, durch welche der Versammlung in Bernburg die angenehmste 
Erinnerung gesichert ist. 


Sitzung am 18. October. 


Anwesend 9 Mitglieder. 
Eingegangene Schriften: 


1. Report of the Commissioner of Patents for the year 1868. Avoll. 80. 
Washington 1869. 

2. Memoires dela Societe des Sciences physiques et naturelles des Bor- 
deaux. Tom, I.— VII. Bordeaux 1855 — 1869. 8, 

3. Reale Comitato Geologico d’Italia. Bolletino no. 7.8. Juli August 1871. 

4. LXVI. Jahresbericht der Naturforschenden Gesellschaft in Emden 1870. 
Emden 1871. 8°. 

5. Der Zoologische Garten. Zeitschrift für Beobachtung etc. von Dr. FE. 
C. Noll. X1l. 9. Septbr. Frankfurt a. M. 1871. 8%, 

6. Zeitschrift des landwirthschaftlichen Centralvereius der Prov. Sachsen 
etc. von A, Delius. Halle 1871. 8°. 

7. Ch. Martins, observations sur l’origine glaciaire des tourbieres du Jura 
Neuchateois et dela vegetation speciale qui les caracterise. Mont- 
pellier 1871. 4°, 

8. J. Haltrich, die Macht und Herrschaft des Aberglaubens in seinen 
vielfachen Erscheinungsformen. 2. Aufl. Schüssburg 1871. 8°. 

9. Monatsbericht der kgl. preuss. Akademie der Wissenschaften zu Ber- 
lin. Juli. August 1871. 8°. 

10. Schriften des Vereines zur Verbreitung naturwissenschaftlicher Kennt- 
nisse in Wien. Bd. XI. Wien 1871. 8°, 

11, Bericht über die Thätigkeit der St. Gallischen Naturwissenschaftlichen 
Gesellschafi von 1369 — 70. St. Gallen 1870. 8°, 


12. 


13. 


17. 


18. 


378 


Verhandlungen des botanischen Vereins für die Prov. Brandenburg. 
Jahrgg. XI. XII. Berlın 1869. 70. 8%, 

Quarterly Journal of the Geological Society. XXVII. 3. August 1871. 
London 8°. 

Schriften des Vereines für Geschichte und Naturgeschiehte der Baar 
und der angränzenden Landestheile in Donaueschingen. 1. 1870. Karls- 
ruhe 1871. 8°, 

Oversigt over del kgl. danske Videnskabernes Selskabs Forhandlinger 
i aaret 1870. no. 3. 1871. no. I. Kjöbenhavn 1871. 

J. B. Osterbind, Beiträge zur Stöchiometrie der physikalischen Eigen- 
schaften der Körper. Adenburg 1871. 8°. 

J. Rosanes, über die neuesten Untersuchungen in Betreff unserer An- 
schauungen vom Raum. Habilitationsvortrag. Breslau 1871. 8°. 

J. B. Jack, die Lebermoose Badens. Freiburg i. Br. 1870. 8°. 


Als neue Mitglieder werden proclamirt die Herren: 
G. Teichmüller, Apotheker in Bernburg 
Dr. Fischer, Schuldirector Mn 
Fr. Hottelmann, Gymnasiallehrer „ 

Fr. Schiele, Rector 
H. Trenkel, Öberlehrer 
F. Dübel, Lehrer 

Dr. C. Würzler 

L. Morgenstern, Apotheker „ 
Becker, Bauinspector 

J. Jannasch, Chemiker 

C. Merkel, Steinbruchsbesilzer 
Fritsche, Bürgermeister nr 
L. Bockshammer, Apotheker 
C. Busche, Steinbruchsbesitzer 


Zur Aufnahme angemeldet werden die Herren: 
Stäger, Oberlehrer in Eisleben, 
Boltze, Bergamtscandidat in Salzmünde 


durch die Herren Giebel, Taschenberg und Teuchert. 


Sitzung am 25. October. 


Anwesend 17. Mitglieder. 
Eingegangene Schriften: 


. Memoires de la Societe de physique et d’histoire naturelle de Geneve 
XXI. Geneve 1871. 4°, 
Table de memoires I— XX Geneve 1871. 4%, 


Memorie della Accademia della Seienze dell Instituto di Bologna Ser. 
II. Tom. X. Bologna 1370. 4°. 

Rendiconte della sessioni ete. Anno acecademico 1870—71. Bologna 
1871. 8°. 


379 


5. L. R, Landau, Versuch einer neuen Theorie über die Bestandtheile 
der Materie und die Ableitung der Naturkräfte aus einer einzigen (uelle. 
Pest 1871. 8°. 

6. R. Haage, Mikroskopische Untersuchungen über Gabbro und ver- 
wandte Gesteine. Kiel 1871. 8°. 

7. Ferd. Bothe, Dr., Physikalisches Repetitorium 2. Aufl. Braunschweig 
1871. 8%. 5—7 Recensionsexemplar. 

Als neue Mitglieder werden proklamirt: 

Herr Staeger, Oberlehrer in Eisleben, 
Herr Boltze, Bergwerks-Candidat aus Salzmünde. 

Zur Aufnahme angemeldet wird: 

Herr Dr. Schultze, Chemiker in Stassfurt 

durch die Herren: Credner sen., Giebel, Taschenberg. 

Herr Prof. Giebel legt ein Stück in Schwefelkies verwandeltes Holz 
vor, welches Herr Heriınann aus Zeitz eingeschickt hatte mit dem Bemer- 
ken, dass es sich in der Schweelkohle gefunden hätte. Dieses Vorkommen, 
von welchem sich Herr Dr. Teuchert eines zweiten Falles erinnert, gab 
Veranlassung zu einer weitern Discussion über den Unterschied zwischen 
Schweel- und Braunkohle, namentlich hebt Herr Geh.-Rath Cred ner her- 
vor, dass die bisher angeführten Unterschiede zwischen beiden Kohlenar- 
ten nicht stichhaltig seien und dass es eine noch nicht gelöste Aufgabe 
für die Chemiker sei, einen durchgreifenden Unterschied zu ermitteln. 

Herr Dr. Köhler bespricht seine noch nicht abgeschlossenen, weil 
durch den Krieg unterbrochenen Versuche über das Verhalten der ver- 
schiedenen Terpentinöle zum Phosphor. 

Herr Dr. Rey, an das Referat (S. 81 dieses Bandes) „Droste, kri- 
tische Musterung der periodischen Wintergäste etc. unter den Vögeln“ 
anknüpfend, rügt einige Irrthümer, die aus andern Schriften, namentlich 
Naumanns in den vorliegenden Bericht übergegangen seien, u. a. das Brü- 
ten von Corythus enucleator in Anhalt. Vortragender bemerkt, dass Nest 
und Eier dieses Vogels selbst beschrieben seien und dass wohl hier eine 
Verwechselung mit dem Kreuzschnabel vorliegen möchte, indem er die 
Eier beider Vögel verglich. 

Derselbe legt ferner einen vermeintlichen, von Herrn Dr. Krüper 
aus Griechenland eingeschickten Anthus Richardi vor, der aber nur A. 
campestris sei, weil der Nagel der Hinterzehe nur so lang wie diese sei, 
während er bei ersterer Art doppelt so lang sein müsse. 

Schliesslich legt Herr Prof. Taschenberg einige neue Hymenopte- 
ren der Gattungen Cephus, Ichneumon und Hoplismenus vor, welche theils 
auf Lessina, theils in der Umgebung von Innsbruck gesammelt worden sind 
und nächstens in der Zeitschrift ausführlicher beschrieben werden sollen. 


Sitzung am 1, November. 


Anwesend 23 Mitglieder. 
Eingegangene Schriften: 
1. Bulletin de la Soc. imper. des naturalistes de Moscou no. 3. 4. Mos- 
cou 1871. 


380 
2. Nouveaux memoires de la Soc. imper. des naturalistes de Moscou III. 
Moscou 1871. 4°, 
3. Noll, Dr., der zool. Garten XII no. 10. Frankfurt a/M. 1871. 8°. 
4. J. H. Kawall, Notice de la fauna malacozoologique de la Courlande. 


Als neues Mitglied wird proklamirt: 
Herr Dr. Schultze, Chemiker in Stassfurt. 


Der Vorsitzende meldet den am 30. October erfolgten Tod eines un- 
serer ältesten Vereinsmitgliedes, des Kreisgerichtsratlis Herrn Winkler. 


Herr Dr. Rey legt den Balg der Cossypha gutturalis in beiden Ge- 
schlechtern und ein Ei dieses seltenen, von Dr. Krüper neuerdings in 
Kleinasien wieder aufgefundenen Vogels vor, spricht über dessen Stellung 
im System und entscheidet sich dahin, dass ihm dieselbe zwischen den 
Drosseln und Steinschmätzern anzuweisen sei; um diese Ansicht zu be- 
stätigen legt der Vortragende je eine Art der genannten Gattungen, nebst 
einem Gelege ihrer Eier vor. 


Herr Prof. Giebel erläutert den Bau der eigenthümlichen Spongien- 
gattung Janthella nach Gray’s und Fiemming’s Untersuchungen (vergl. 
Referate) und legt ein Exemplar des hiesigen Museums vor, als vierte Art 
zu den drei bis jetzt bekannten. Dasselbe ist wie bei J. flabeiliformis 
flach fächerförmig ausgebreitet, die starken senkrechten und die viel 
schwächeren Querbalken sind völlig comprimirt, die Maschen sehr unre- 
gelmässig, das ganze Hornfasergewebe von einer hellbraunen Sarkoderinde 
überzogen, die jedoch die Maschen nicht erfüllt. Spitze Warzen ragen 
überall mehr minder dicht gedrängt hervor und nach ihnen könnte die 
Art Janthella verrucosa genannt werden. Das Vaterland ist unbekannt, 
höchst wahrscheinlich der indische Ocean oder die Umgebung 'Neuhol- 
lands. 


Ferner legt derselbe ein eigenthümliches Fossil vor, dass Herr Gru- 
beninspektor Seiffert in Nachterstädt zwischen Aschersleben und Quedlin- 
burg nebst vielen andern interessanten Versteinerungen im dortigen Dilu- 
vium über der Braunkohle gesammelt und zur nähern Bestimmung ge- 
fälligst mitgetheilt hat. Es stimmt im wesentlichen mit Tettragonis Mur- 
chisoni Eichwald, Urwelt Russlands II. 81. Tb. 3 Fig. 18 überein, be- 
steht aber nicht wie das Eichwaldsche Exemplar aus Esthland aus kry- 
stallinischem Kalk, sondern aus erdigem Kalk, der die innere Struktur 
deutlicher erkennen lässt. Die Form ist dieselbe wie Eichwald sie ab- 
bildet, auch die linienförmigen Ringfurchen , wogegen die stärkern Längs- 
furchen nicht ununterbrochen fortlaufen, sondern alternirend in je einer 
Querreihe unterbrochen sind. Diese Furchen rühren nämlich von senk- 
rechten und ringförmigen Kanälen her, die durch Entfernung der Rinde 
geöffnet sind. Drehrunde Kanäle in regelmässiger Anordnung dringen in 
das Innere also senkrecht gegen jene gerichtet ein und die Substanz zwi- 
schen ihnen ist von feinen erst unter der Loupe erkennbaren Kanälen 
durchsetzt. Das Fossil ist also ein Schwammgewebe von feinen Kanälen 
und grössern in regelmässiger Anordnung durchsetzt, welche letzte der 
Oberfläche ein regelmässig gefeldertes Ansehen geben. An einer Stelle 


381 


liegt die bräunlichschwarze ursprüngliche Rinde noch auf. Sie erscheint 
dem blossen Auge mit dichten regelmässigen Spiralreihen von runden 
Grübchen, den Oeffnungen von Kanälen besetzt; die erhabenen feinwelli- 
gen Ränder, welche diese Oeffnungen umgeben, erscheinen unter der 
Loupe mit Poren besetzt. Diese Strukturverhältnisse lassen über die Ver- 
wandtschaft mit den Schwämmen keinen Zweifel. Eichwald weist zwar 
schon auf die grosse Aehnlichkeit seines Tettragonis mit Ischadites Koe- 
nigi in Murchisons Siluriansystem 2. Aufl. Tb. 12 Fig. 6 hin. Beide Gat- 
tungen aber lassen sich nicht von dem ältern weit verbreiteten Recepta- 
eulites trennen und ist die vorliegende Art als Receptaculites Murchi- 
soni aufzuführen, da die beachtenswerthen Unterschiede in Eichwalds 
Angaben lediglich auf dem verschiedenen Erhaltungszustande der Exem- 
plare beruhen. Murchisons J. Koenigi als fraglicher Cystidee aus dem 
untern Ludlow bezeichnet bietet in der Oberflächenstruktur bestimmt spe- 
eifische Eigenthümlichkeiten. Die devonischen Receptaculites weichen auch 
in der allgemeinen Gestalt von diesen beiden Arten charakteristisch ab. 


Schliesslich bespricht Herr Geh.-Rath Credner die beiden letzten 
Werke des Dr. Brauns über den Jura des nordwestl. Deutschlands, hebt 
die Gründlichkeit der Forschungen rühmlichst hervor, kann jedoch die 
Abweichung von der bisher gebräuchlichen Eintheilung dieser Formation 
nicht billigen, weil die Natur überhaupt keine sichere Grenze zwischen 
oberen, braunen und unteren Jura gezogen habe und durch diese neue 
Eintheilung kein Vortheil erreicht würde, vielmehr Verwirrungen bei der 
Aufnahme geognostischer Karten eutstehen könnten. Weiter gibt der Vor- 
tragende einige Ergänzungen zu den Lagerungsverhältnissen der Jurafor- 
mation zwischen Magdeburg und Helmstädt, die weder in Brauns Schrif- 
ten noch in der neuesten geognostischen Karte von Ewald Berücksichti- 
gung finden konnten, weil sie erst jüngst durch Eisenbahndurchstiche 
aufgeschlossen worden sind. 


Sitzung am 8, November. 


Anwesend 19 Mitglieder. 


Eingegangene Schriften : 


1. Verhandlungen der naturforschenden Gesellschaft in Basel V, 3. Ba- 
selals7 1. 3% 

2. Mittheilungen des naturwissensch. Vereins in Steiermark II. 3 Graz 
1871. 8°. 

3. A. Delius, Zeitschrift für den landwirthschaftlichen Centralverein der 
Prov. Sachsen ete. XXVIII no. 11 u. 12. Halle 1871 8°, 

4. Ludw. Schmarda, Zoologie 1. Th. Wien 1870 80% (Recensions- 
exemplar.) 

5. Karl Koppe, Anfangsgründe der Physik. 11. Aufl. Essen 1871 8°. 
(Desgl.) 

6. Paul Kummer, der Führer in der Pilzkunde Zerbst 1871 8° (Desgl.) 

7. Garthe Dr., die Absidenscheibe. Köln u. Lpz. 1871. 8°. 


382 


Unser Afrikareisende Herr Dr. Theoph. Hahn meldet d. d. Cap- 
stadt 19. Septbr., dass sich seine Ausrüstung zur Abreise ins Innere, Be- 
schaffung der Wagen u. s. w. verzögert habe, da alle Handwerker für 
die Bedürfnisse der Diamantensucher, deren Zahl sich schon auf 50000 
beläuft, beschäftigt sind. Er hat inzwischen mehre Exeursionen nach 
Osten ausgeführt und hofft die reichen geognostischen, paläontologischen, 
botanischen und zoologischen Sammlungen mit den Berichten in den näch- 
sten Tagen abzusenden. Auch zu sprachlichen und ethnographischen 
Studien besonders mit den Buschmännern und Koraunas hat er während 
dieser Zeit Gelegenheit gehabt und stellt ein sehr umfangreiches Material 
zumal in Betreff der erstern mit der angeführten Sendung in Aussicht. 
Mit der bevorstehenden Abreise ins Innere dürfte die nächste Nachricht 
bei der Schwierigkeit der Communication einige, vielleicht mehrere Mo- 
nate ausbleiben. 

Herr Direktor Marschner legt einen schön erhaltenen Mammuts- 
zahn mit 19 Platten vor, welcher in 4—5 Fuss Tiefe im Kiese, nordöst- 
lich vom Thüringer Bahnhofsgebäude bei Merseburg entdeckt worden ist. 

Herr Mechanikus Potzelt stellt einen von ihm angefertigten König’- 
schen Apparat auf, welcher auf rotirenden Spiegeln die Bilder der Schall- 
wellen verschieden hoher Töne vergegenwärtigt und experimentirt den- 
selben. 

Herr Prof. Giebel legt ein Orthoceras vulgare aus der von Herrn 
Berginspector Seiffert iu Nachterstedt eingesandten Suite diluvialer Vor- 
kommnisse vor und macht auf die Eigenthümlichkeiten von demselben auf- 
merksam. Das Exemplar besteht aus dem Steinkern von mehrfach ansit- 
zenden Scehalenresten und der ersten Lufikammer. Einen Zoll unterhalb 
des Mündungsrandes liegen symmetrisch vertheilt drei tiefe, fast !/, 
lange Gruben, auf deren Vorkommen zuerst Eichwald in seinem Silursy- 
stem Esthlands aufmerksam machte und die dann L. v. Buch im II. Bd. 
der Geolog. Zeitschrift S. 6 abbildete. Unser Exemplar zeigt ganz die- 
selben Verhältnisse, wie diese Abbildung sie darstellt, während Eichwald 
etwas abweichende Grössenverhältnisse angiebt. Die Schale kleidet unver- 
ändert die Gruben aus und rühren dieselben also nicht von innern als 
Muskelansätze zu deutenden Höckern her. Eine zweite Eigenthümlichkeit 
die der Redner noch nirgends erwähnt findet, besteht in einer seichten 
aber doch markirten Einschnürung am Grunde der Wohnkammer unmit- 
telbar über der ersten Scheidewand. Diese Einschnürung ist 2—5 Mm. 
hoch, also ihr oberer Rand unregelmässig, und zeigt senkrechte schwache 
Streifung. An der an einer Stelle noch aufliegenden Schale ist von ihr 
nichts zu erkennen, vielmehr ist hier die Schale um so viel dicker, als 
die Einschnürung auf dem Steinkern beträgt. Ohne Zweifel bezeichnet 
diese Ringfläche die Haftstelle des Mantels an der Schale. Einen Ring- 
muskel hier in der Tiefe der Wohnkammer anzunehmen bietet der leben- 
bende Nautilus keinen Anhalt. Die dritte Eigenthümlichkeit ist die schon 
von Quenstedt beobachtete Punktirung der Schale. Diese lässt deutlich 
eine äusserst dünne innere und eine krystallinische äussere Schicht un- 
terscheiden. Die innere Schicht zeigt nun dicht gedrängte Nadelstiche in 


383 


nicht ganz regelmässigen Reihen. Die äussere Schicht erscheint an den 
meisten Stellen wie zerfressen und nur an wenigen bemerkt man Grüb- 
chen wie von eingedrückten Sandkörnchen herrührend. Da die Schalen- 
substanz selbst krystallinisch ist: so vermag man nicht zu erkennen, ob 
diese Grübchen durchsetzen, Redner glaubt jedoch, dass dieselben nicht 
mit den feinen Stichporen der innern Schicht in unmittelbarer Communi- 
cation stehen und wagt diese eigenthümliche Struktur nicht auf die Weich- 
theile des Orthoceras zu deuten. Er erinnert schliesslich an die Kohlen- 
haut eines Orthoceratiten, die er in Bd. V11. 361. Tf. 2 unserer Zeitschrift 
beschrieben hat. 

Herr Gelı.-Rath Credner hieran auknüpfend, bemerkt, dass die or- 
ganischen Reste im Silurischen von Nachterstädt zum Theil andern Arten 
angehören als die in hiesiger Gegend sich findenden und dass umgekehrt 
die nordischen Geschiebe hiesiger Gegend Arten vor den dortigen voraus 
haben. Diese Erscheinung erkläre sich dadurch, dass die Fluthen, welche 
die Geschiebe aus Norden herbeigeführt, aus NNORichtung gekommen 
seien und daher diejenigen in unsern Gegenden aus andern Lagerstätten 
des nördlichen Europas stammten, als diejenigen bei den weiter westlich 
gelegenen Nachterstädt, so finde man dort auch keine Versteinerung aus 
dem Jura, während solche bei Potsdam und Berlin nieht selten seien und 
dem Jura angehören, welcher noch jetzt an den Odermündungen in der Ge- 
gend von Colberg etc. ansteht. 

Herr Prof, Taschenberg legt schliesslich den Apoderus coryli und 
und den Attelabus carculionoides nebst ihren Larven und den ganz gleichen 
von Eichenblättern bereiteten Wickeln beider Rüsselkäfer vor mit dem Be- 
merken, dass hier ein Fall vorliege, welcher bei Züchtungsversuchen zu 
der grössten Vorsicht mahne, um keine Beobachtungsfehler zu begehen. 
In den Versuchsgläsern waren die Larven des ersten Käfers zur Zeit noch 
in den Wickeln gefunden worden, während die der zweiten Art die ihri- 
gen verlassen hatten um die Erde aufzusuchen. 


Sitzung am 15. November, 
Anwesend 16 Mitglieder. 


Zur Aufnahme angemeldet wird: 


i Herr Walter Jani, Chemiker hier 
durch die HHrn. Teuchert, Giebel, Taschenberg. 


Das Augustheft der Zeitschrift liegt zur Vertheilung vor. 


Herr Professor Giebel legt ein von Herrn Bergmeister Erdmenger 
in Eisleben zur Bestimmung eingesendetes Fossil aus dem dortigen Kup- 
ferschiefer vor. Dasselbe besteht in dem völlig zerdrückten Gaumen eines 
Fisches aus der engsten Verwandtschaft mit Dictaea und Janassa. Die 
stark gewölbten Zähne haben einen elliptischen Umfang, völlig glatte Ober- 
fläche und röhrige Struktur. Sie scheinen in regelmässige Längsreihen 
geordnet gewesen zu sein. 

Ferner legt derselbe einige silurische Korallen aus dem Diluvium von 
Nachterstedt aus Herrn Seifferts Sammlung vor und erläutert dieselben, 

Zeitschr. f. d. ges. Naturwiss. Bd. XXXVIIL, 1871. OF 


384 


da ihre vorzügliche Erhaltung die Struktur besser erkennen lässt als de- 
ren sonstiges Vorkommniss. Die erste ist die Halysites catenularia (Ca- 
tenipora labyrinthica Gf) im Silurium des europäischen Nordens und Nord- 
amerikas allgemein verbreitet mit vollkommen erhaltenen Strahlenlamellen 
und Columella im Innern der Röhren. Dann eine kugelige Syringopora, 
deren 1 Mm. dicke drehrunde Röhren dicht und unregelmässig gedrängt 
durch feine Querröhren in ungleichen Abständen verbunden allseitig vom 
Ansatzpunkte des Stockes ausstrahlen, die innern tief trichterförmigen 
Böden und auch die verkümmerten Strahlenleisten deutlich zeigen, so dass 
von einer Verwandtschaft mit Tubipora nicht die Rede sein kann. End- 
lich Favosites gothlandieca (Calamopora gothlandica Gf) in einem frischen 
und einem stark verwitterten Exemplare, letztes mit den sehr deutlichen 
Porenreihen auf den Seiten der prismatischen Röhren. 

Darauf spricht sich derselbe noch über die systematische Stellung der 
Cestoden und Echinorhynchen aus und weist unter Darlegung des Orga- 
nisationsplanes und ihrer Entwicklungsgeschichte nach, dass diese Einge- 
weidewürmer ihre natürliche Stellung nur zwischen den Protozoen und Coe- 
lenteraten haben, wie sie denn auch von Linne schon an das Ende der 
Polypen gestellt worden sind. Ihre Unterordnung unter die Gliederthiere 
und im Besondern unter die Würmer beruht nur auf oberflächlichen Be- 
ziehungen, nicht auf einer Verwandtschaft der innern Organisation. 


Sitzung am 22. November. 

Anwesend 17 Mitglieder. 

Eingegangene Schriften: 

1. 2. Verslagen en Mededeelingen det kon. Akademie der Wetenschappen 
Letterkunde II. 1. Naturkunde II. 5. Amsterdam 1871. 8° — Abhand- 
lungen desgl. XII. Bd. 4°. 

3. A. Processen Verbaal und Jaarbook derselben Akademie. Amsterdam 
1870. 8°. 

5. Würtemberger Naturwissensch. Jahreshefte XXVII. 1. Stuttgart 1871 8°. 

6. Verhandl. des naturhist. medizinischen Vereins zu Heidelberg V. Hei- 

delberg 1871. 8°. 

Herr Dr. Teuchert berichtet (aus dem Naturforscher 1870) die Ar- 
beit der Herrn Engler und Nasse über das Antozon, welche nachweist, 
dass dieser von Schönbeiu, als dem Ozon gleichsaın eine negative der po- 
sitiven Elastieität entgegengesetzte Zustand des Sauerstoffs nicht halt- 
bar sei. 

Herr Prof. Giebel giebt einen geschichtlichen Ueberblick über un- 
sere Kenntnisse von der Entwickelung der Infusorien. Nachdem Leeuwen- 
hook im J.'1675 zuerst die Existenz eines unsichtbaren organischen Le- 
bens entdeckt und dann Ledermüller 1763 diesen mikroskopischen Thier- 
chen den bis heute beibehaltenen Namen Infusorien beigelegt hatte, 
machte doch erst 0. Müller 1786 einen Versuch dieselben nach Gattungen 
und Arten zu unterscheiden und zu bezeichnen. Die eigentliche Organi- 
sation derselben blieb unbekannt. Den ersten Schritt in der Erkenntniss 
dieser machte Dutrochet mit Charakteristik und Ausscheidung der Räder- 


389 


thiere im J. 1812 und diesem folgten nun seit 1830 Ehrenbergs epochema- 
chende Untersuchungen , welche die Infusorien als vollkommene Organis- 
men darstellten. Hiergegen erhoben sich Dujardin, der die Sarkode (an 
Stelle des Okenschen Urschleimes) einführte, nicht minder y. Siebold und 
Burmeister. Nachdem Ehrenberg’s Auffassung der inneren Organisation 
der Infusorien widerlegt war, eröffnete Fr. Stein dnrch seine Untersuchun- 
gen über die Entwickelungsgeschichte der Infusorien eine neue Richtung 
auf diesem Forschungsgebiete, welche seit 1856 auf eine erste Anregung 
von Joh. Müller die geschlechtliche Fortpflanzung ausser Steins noch Cla- 
parede, Lachmann, Balbiani u. v. A. zum hauptsächlichsten Ziele nahm, 
Unter Hinweis auf den augenblicklichen Stand unserer Kenntniss von dem 
innern Bau der Infusorien erläuterte Redner uoch näher die widersprechen- 
den Ansichten von der Art und Weise der geschlechtlichen Fortpflanzung. 
Herr Dr. Rey bespricht schliesslich die unsichern Angaben, welche die 
versehiedenen Schriften über die europäische Ornis liefern. Keyserling und 
Blasius nahmen an 490 Arten, Schlegel mit Einschluss der 28 Varietäten: 
516; Dubois 570, Gloger ausschliesslich der 25 Varietäten 586, Blasius 
(im Verzeichniss) 614 Arten mit Einschluss von 88 Varietäten, Bonaparte 
657, darunter 76 Var., Brehm 1631 mit 669 Subspecies. Der Vortragende, 
von 618 Arten ausgehend zieht hiervon ab 30 Var., 5 Aberrationen, 65 in 
Asien, 50 in Afrika, 5l in N.-Amerika, 4 in Südamerika und 6 in den 
südlichen Meeren beider Hemisphären heimatende Arten, so dass ihm 
für Europa nur 407 Arten Brutvögel übrig bleiben, von welchen noch die 
wahrscheinlich ausgestorbeue Alca impennis abgehen würde. 


Sitzung am 29. November. 
‘ Anwesend 14 Mitglieder. 


Eingegangen: Abhandl. der Naturf. Gesellsch. in Görlitz XIV. Gör- 
litz 1871 8°, 


Das Septemberheft der Zeitschrift liegt zur Vertheilung vor. 


Herr Elliessen legt aus dem Diluvium am Petersberge (Bloesberg) 
ein vereinzelies Exemplar von-Fusus vor... 


Herr Dr. Köhler berichtet ausführlicher a) die während des letzten 
Krieges ausgeführte Arbeit Duguerelle’s über das Aconitin, 

b) die künstliche Darstellung des Coniins durch trockne Destillation 
des Dibutyraldin von Schiff in Florenz und 

c) Hoppe-Seylers Darstellung der Milchsäure aus dem gewöhnlichen 
Traubenzucker. 

Herr Weyhe referirt eine Uebersetzung Troschels über das Männ- 
chen von Cobitis taenia (S. S. 363.) 

Sodann Greefe’s Untersuchungen über den Bau und die Naturge- 
schichte der Vorticellen (S. S. 356.) 

Zum Schlusse theilt Herr Prof. Taschenberg biologische Notizen 
über Synagriscalida, Atractodes Gueinzii, Megachile arundinacea mit 
(S. Januarheft der Zeitschrift). 


Berichtigungen zu den Beobachtungen der meteorologi- 


schen Station, 


(Bd. 37 S. 382 — 406.) 


und dem dazu gehörigen Nachtrage (Bd. 38 S. 183 — 188.) 


Bd. 37. 


S. 396 Z. 4 v, u. lies: 1870 statt 1877. 

Ss. 397 Z. 1 v. o. das Wort ‚‚den‘ ist zu streichen. 
Ss, 398 Z. 17 v. o. lies: Abd. 10 U, 

S. 405 Z. 22 v. u, lies: 9 Nordlichter statt 6. 


Z. 21 v. u. einzuschieben: am 3. 24. 26. Sept. 


Bd.38. S. 183 Z. S v. u. lies: S. 382 des 37. Bandes; statt dieses Bandes. 


S. 184 Z. 4 v. o. ist noch hinzuzusetzen, dass Herr Erfurth die 


von ihm beobachteten Celsiusgrade in Reaumur verwandelt 
hat. Demgemäss sind auf 


S. 184. 186. 187 sämmtliche ,C‘ zu streichen, mit Ausnahme 


derjenigen 3 welche auf S. 187 die Bodenwärme im April 
bezeichnen. Weimar hat also mit seinen — 26° R. am 
24. Dec. Morgens eine um ?—3° niedrigere Temperatur 
gehabt als die Minimaltemperaturen im December 1870 auf 
den Nachbarstationen: Erfurt (— 23°,5), Mühlhausen 
(— 230,8), Langensalza (— 23°,0), Gotha (— 239,2) 


S. 186 Z.7. v.u, Luftwärme am 16. Morgens + 99,6 R. statt — 99,6. 


Gebauer- Schwetschke’sehe Buchdructerei in Halle. 


Immerwährende Kalender, 
Studien und Kritiken im Gebiete des Kalenderwesens 
von 


Gustav Schubring. 


(Hierzu zwei Tafeln.) 


Zur Abmessung der Zeit sind uns von der Natur dieje- 
nigen Zeitabschnitte gegeben, in denen die Gestirne am Him- 
mel ihre scheinbaren Bahnen beschreiben; namentlich sind es 
die Bewegungen der Sonne und des Mondes, welche schon 
seit undenklichen Zeiten zu diesem Zwecke benutzt sind und 
den Menschen die Länge von Tag, Monat und Jahr angaben. 
Leider stehen diese 3 Zeitabschnitte: die Zeit der Umdrehung 
der Erde um sich selbst, die Umlaufszeit des Mondes um die 
Erde und die der Erde um die Sonne in sehr unbequemen 
Verhältnissen zu einander: keine von ihnen ist ein aliquoter 
Theil oder ein Vielfaches der andern. Ueber die kleinste die- 
ser 3 Einheiten, über den Tag war ja nun kein Zweifel (von 
der verschiedenen Länge der Tage im Sommer und Winter 
können wir hier füglich absehen), aber die nächstfolgende 
Einheit, der Monat (d.h. der Mondmonat) machte schon Schwie- 
rigkeiten, weil er sich nicht genau nach Tagen bestimmen 
liess: 29 Tage waren zu kurz, 30 zu lang; man half sich 
nothdürftig damit, dass man ihnen abwechselnd 29 und 30 
Tage gab (z. B. bei den Hebräerm). Andere Völker benutzten 
Sonnenmonate, d. h. die Zeit welche die Sonne braucht um 
von einem Himmelszeichen in das andere zu kommen, sie hat- 
ten daher Monate von 30 bis 31 Tagen. Noch schwieriger 
war die Bestimmung der grössten Einheit, des Jahres; von 
diesem verlangte man wo möglich, dass es eine ganze Zahl 
von (Mond-)Monaten umfasste und doch auch mit dem Son- 


nenlaufe übereinstimmte. Die Römer, von denen wir unsere 
Zeitschr. f.d. ges. Naturwiss. Bd. XXXVIl, 1871. 28 


388 


Kalendereinrichtung der Hauptsache nach erhalten haben, be- 
nutzten (angeblich seit Numa Pompilus 717 v. Chr.) ein 
Mondjahr, welches abwechselnd aus 12 und 13 Monaten bestand; 
aber die Einschaltung wurde durch die Pontifices in unregel- 
mässiger und willkürlicher Weise ausgeführt: abgeshen von 
ihren mangelhaften astronomischen Kenntnissen verfolgten sie 
noch besondere Zwecke bei der Bestimmung deı Schaltmonate, 
namentlich suchten sie zu verhindern, dass das Neujahrsfest 
auf einen Markttag fiel. Die römischen Wochen waren näm- 
lich un einen Tag länger als die unsrigen, und am letzten Tage 
einer jeden Woche war Markitag in der Stadt, zu dem die 
Bauern aus der Umgegend kamen; diese Markttage waren also 
nach unserer Ausdrucksweise jedesmal am achten Tage, nach 
römischer Zählungsart am neunten (daher der Name nundinae 
— novemdinae), und da der Schaltmonat 22 oder 23 Tage ha- 
ben konnte, so lag es in der Hand der Kalendermacher, den 
Neujahrstag vom Markttage wegzubringen. Dass dabei das 
Kalenderjahr sich immermehr vom wahren entfernte, kürnmerte 
die Herren Pontifices nicht. So gerieth der Kalender immermehr 
in Verwirrung und Julius Caesar musste ihn 46 v. Chr. 
mit Hilfe des ägyptischen Astronomen Sosigenes von Grund 
aus in Ordnung bringen. 


Der Julianische Kalender. 

Julius Caesar legte seinem Kalender das Sonnenjahr 
zu Grunde, dessen Länge er in runder Zahl gleich 365%/, Tag 
setzte; er bestimmte dass jedesmal auf 3 Gemeinjahre von 365 
Tagen ein viertes Jahr (annus bissextilis oder Schaltjahr ge- 
nannt) von 366 Tagen folgen sollte. Diese einfache Einrich- 
tung war zwar nicht ganz genau, aber der Fehler war doch 
sehr klein, denn das Jahr war noch nicht ganz um 4,00 Tag 
zu gross angenommen und es betrug daher der Fehler in 100 
Jahren noch nicht ganz einen Tag; gegen die alten Einrich- 
tungen war das offenbar ein grosser Fortschritt und doch fand 
dieser Kalender bei den römischen Priestern keinen Beifall, 
denn — der Neujahrstag konnte jetzt gelegentlich auf einen 
Markttag fallen, und das war gegen die Tradition. So lange 
Caesar lebte, kam es freilich nicht vor; aber Caesar wurde 


389 


schon 1'% Jahre nach Einführung seines Kalenders ermordet 
(am 15. März des Jahres 710 nach Erbauung der Stadt Rom 
oder 44 v. Chr.) und nach seinem Tode hatten die Priester 
vorläufig wieder freie Hand in der Bestimmung der Schalttage 
u. s. w. Das Jahr 45 v.Chr. war das erste Julianische Schalt- 
jahr gewesen, 41 war ganz regelmässig das zweite, das dritte 
hätte also anno 37 v. Chr. stattfinden müssen; die Priester 
schalteten aber schon anno 38 v. Chr. einen Tag ein und so 
fort in jedem dritten Jahre: 35, 32 u. s. f£e Dadurch erreich- 
ten sie dass sich der Neujahrstag fortwährend auf 3 bestimmten 
Tagen nämlich auf dem 1., 6. und 3 Tage der achttägigen rö- 
mischen Woche erhielt; niemals fiel er auf einen andern Wo- 
chentag, namentlich nicht auf den letzten, den Markttag. 

Diese Einrichtung behielt der Kalender etwa 30 Jahre, so 
dass in dieser Zeit etwa 3 Tage zu viel eingeschaltet wurden. 
Erst im Jahre 10 v. Chr. führte der Kaiser Augustus den 
Julianischen Kalender wieder ein, verordnete aber gleichzeitig 
dass die nächsten 3 Julianischen Schaltjahre,. welche auf die 
Jahre 9, 5 und 1 v. Chr. (745, 749 und 753 ad urbe) fallen 
mussten, Gemeinjahre bleiben sollten. Dadurch wurde der 
Fehler, der sich eingeschlichen hatte, wieder gut gemacht, und 
seit dem 1. März des Jahres 1 vor Christo (d. i. 753 ab urbe) 
war der Kalender wieder so beschaffen, als ob man seit Cae- 
sars Zeiten ununterbrochen dessen Einschaltungsregel benutzt 
hätte. 

Das nächste Schaltjahr fiel dann auf das Jahr A n. Chr. 
(757 a. v.) und seitdem sind alle durch 4 theilbaren Jahre 
unserer Zeitrechnung Julianische Schaltjahre gewesen. Dieses 
Zusammentreffen ist gewiss merkwürdig, — oder sollte Dio- 
nysius Exiguus, der im 6. Jahrhundert unter Papst Johann 
l. unsere Zeitrechnung (Aera vulgaris) einführte, die Epoche 
für Christi Geburt mit Rücksicht darauf bestimmt haben? Un- 
richtig ist sie bekanntlich jedenfalls, wenn auch die Gelehrten 
über das wahre Geburtsjahr Christi nicht einig sind. 

Obgleich nun Cäsar, oder vielmehr sein Astronom Sosi- 
genes dem Kalender das Sonnenjahr zu Grunde gelegt halte, 
so waren doch einige Anklänge an das alte Mondjahr bestehen 
geblieben; namentlich die merkwürdige Einrichtung, dass die 
Monate in ihrer Länge abwechselten — ferner dass der eine 

235 * 


390 


Monat (der Februar) mehrere Tage kürzer war als die andern, 
— sodann dass der Schalttag ebenso wie früher der Schalt- 
monat nicht am Jahresschluss, ja nicht einmal am Schluss eines 
Monats, sondern mitten im Februar eingeschoben wurde, Auch 
der Anfangstag des ersten Julianischen Jahres (709 a. u. = 
45 v. Chr.) wurde nach dem Monde bestimmt; derselbe sollte 
auf den ersten Neumond nach dem kürzesten Tage fallen und 
demgemäss wurde das vorhergehende Jahr, dass sogenannte 
Jahr der Verwirrung (708 a. x.) auf 445 Tage verlängert. Das 
Wintersolstitium selbst fiel acht Tage vor dem betreffenden Neu’ 
ınond, bei regelmässiger Rechnung wäre diess der 24. December 
gewesen, und so fielen denn alle Solstitien und Aequinoctien 
im Julianischen Kalender anfänglich auf die 24 sten der betref- 
fenden Monate, allmählich rückten sie aber wegen der Unge- 
nauigkeit des Julianischen Jahres immermehr vor. 

Endlich ist noch eine Beziehung des Julianischenr Jahres 
zum Monde zu erwähnen: da nämlich der Moudwnonat kein 
aliquoter Theil des Jahres ist, so verschieben sich die Mond- 
phasen in jedem folgenden Jahre um c. 19 Tage vorwärts oder 
um c. 11 Tage rückwärts; aber nach Verlauf von 19 Jahren 
fallen sie wieder ziemlich genau auf dieselben Monatstage, 
und zwar kommen auf diese Zeit 235 Monate. In der That, 
wenn man die Länge des Julianischen Jahres (365%/, Tag) mit 
19 multiplieirt und die Länge des (synodischen) Monats (unge- 
fähr 29!4/, Tag) mit 235, so erhält man dasselbe Resultat 
(69393), Tag); bei genauer Rechnung ergibt sich dass die 235 
Monate nur um circa 1%/, Stunde kürzer sind. Man bezeichnete 
desshalb die Zeit von 19 Jahren als einen Mondeirkel und nannte 
die Zahl welche angiebt , das wievielte Jahr eines Mondcirkels 
ein gegebenes Jahr ist, die goldene Zahl des Jahres. Nach 
den Bestimmungen von Dionysius Exiguus findet man die 
goldene Zahl eines gebenen Jahres wenn man die Jahreszahl 
um 1 vermehrt und dann mit 19 dividirt: Der Quotient gibt 
an wie viel Mondzirkel seit dem Jahre 1 vor Christo verflossen 
sind, der Rest aber ist die goldene Zahl; geht die Division auf, 
so ist die goldene Zahl gleich 19. 

Vor Einführung der christlichen Festrechnung hatte der 
Mondcirkel keine Bedeutung weiter, als dass er denen die 
sich für den Mondschein interessirten, ein einfaches Mittel an 


391 


die Hand gab zu bestimmen, ob an irgend einem Tage 
der volle Mond oder das erste Viertel oder eine andere Phase 
zu sehen sein würde; astrionomisch genau waren diese Be- 
stimmungen natürlich nicht, zumal da man den Fehler des 
Mondcirkels damals noch nicht beachtete. Erst als das Christen- 
thum und seine aus dem jüdischen Mondjahre herrülrende 
Festrechnung eingeführt worden war, erlangte der Begleiter der 
Erde wieder eine grössere Bedeutung für den Kalender. Es 
wurde nämlich neben dem gewöhnlichen bürgerlichen Sonnen- 
jahre (1. Januar — 1. December) noch ein von Ostern bis Ostern 
laufendes kirchliches Mondjahr eingeführt. Bei dem bekannten 
Abhängigkeitsverhältnis zwischen Kirche und Schule wurde 
diess veränderliche kirchliche Festjahr leider auch als Schul 
jahr benutzt und in dieser Beziehung übt es noch heutzulage 
einen höchst unbequemen Einfluss auf die meisten Schulen 
und in Folge dessen auch auf das bürgerliche Leben aus. Aber 
auch den Kalendermachern selbt hat es Schwierigkeiten genug 
bereitet, wie wir in den folgenden Abschnitten sehen werden. 


Der Julianische Kalender im Christenthum. 


Die Veränderungen und Zusätze die der Julianische Kalen- 
der in Folge der Einführung des Christenthuns erlitt waren 
verschiedener Art. Erstens wurde die achtlägige Woche der 
Römer abgeschafft und durch die siebentägige ersetzt welche 
die Christen aus dem Judenthum mit herübergebracht hatten. 
Uebrigens muss bemerkt werden, dass schon die Aegypter, 
Araber , Chinesen u. s. w, sogar auch die alten Deutschen 
eine siebentägige Woche gehabt haben. Die Länge dieser 
Woche hängt jedenfalls auch mit dem Lauf des Mondes zu- 
sammen, denn sie stellt den vierten Theil eines Monats, d.h. 
die Zeit zwischen zwei Hauptphasen des Monats dar, so gut 
es eben in ganzen Tagen möglich ist. — Ihre Einführung in 
den vömischen Kalender erfolgte durch Kaiser Constantin, 
als dieser das Christenthum zur Staatsreligion erhob; für die 
Beziehung zwischen Monatstagen und Wochenlagen brachte sie 
im Vergleich zu der römischen achttägigen Woche eine kleine 
Vereinfachung, denn während das Jahr früher 45 Wochen hatte 
und ausserdem 5 bis 6 Tage, blieben jetzt nach der 52sten 


392 


Woche nur 1 oder 2 Tage übrig. Während sich also die Markt- 
tage im römischen Kalender jährlich um 5 (in Schaltjahren um 
6) Tage verschoben hatten, Lrat jetzt für die Sonntage des 
christlichen Kalenders nur eine Verschiebung um einen Tag 
ein, in Schaltjahren freilich um zwei Tage. Wenn auch diese 
Verschiebung leichter zu übersehen ist, so wäre doch eine Woche 
deren Tage in jedem Jahre imıner wieder auf dieselben Datum- 
zahlen fielen noch bequemer; das ist aber nicht zu erreichen, 
denn wollte man z.B. das Jah: in 73 fünftägige Wochen ein- 
theilen, so würde doch in jedem Schaltjahr eine Verschie- 
bung um 1 Tag eintreten. Bekanntlich benutzen die Meteo- 
rologen eine solche fünftägige ‚„Woche“ (sit venia verbo), 
dieselbe wird aber durch ein einfaches Mittel immer auf den- 
selben Monatstagen erhalten: man fasst nämlich in Schaltjahren 
am Schluss des Februars 6 Tage zu einer Gruppe zusaınınen. 


In ganz ähnlicher Weise wurde schon im fünften Jahr- 
hundert eine feststehende siebentägige Woche eingeführt: ınan 
bezeichnete die ersten 7 Tage des Januars mit den Buchslaben 
A bis G und wiederholte diess 52 mal, so dass schliesslich 
der 31. December wieder den Buchstaben 4 erhielt; der Schalt- 
tag in jeden vierten Jahre erhielt Keinen besondern Buchstaben 
und störte daher die Reihenfolge nicht, sondern es hatte jedes 
Datum einen ganz bestimmten, ihm ein für alleınal zukommen- 
den Buchstaben. Daher gehörte in jedem Gemeinjahr zu 
jedem einzelnen Buchstaben ein bestimmter Wochentag und 
ebenso zu jedem Wochentage ein bestimmter Buchstabe; der- 
jenige Buchstabe welcher die Sonntage traf wurde als der 
Sonntagsbuchstabe des Jahres bezeichnet, und es ist leioht zu 
erkennen dass die Sonntagsbuchstaben in jedem folgenden 
Jahre um eine Stelle rückwärts rücken müssen In Schalt- 
jahren gibt es 2 Sonntagsbuchstaben, einer gilt für den 
Januar und Februar, der andere (nämlich der im Alphabet vor- 
angehende) für die folgenden 10 Monate. Früher rechnete 
man den ersten Sonntagsbuchstaben nur bis zum 24. Februar, 
weil der 25. als Schalttag galt; es ist jedoch jetzt bequemer, 
wenn man den 29. Februar als Schalttag ansieht und den Wechsel 
der Sonntagsbuchstaben mit dem Beginn des März eintreten lässt. 

Um nun für jedes Jahr den Sonntagsbuchstaben zu be- 


393 


stimmen benutzt man einen aus 28 Jahren bestehenden Cyklus 
nach dessen Verlauf die Sonntagshuchstaben genau in derselben 
Weise wiederkehren. Dieser Cyclus heisst der Sonnencirke] 
und man nimmt als Anfang des ersten Sonnencirkels das Jahr 
9 vor Christi Geburt an, dasselbe wäre nach dem Julianischen 
Kalender ein Schaltjahr gewesen und hätte die Sonntagsbuch- 
staben G@ und F gehabt. Danach ergibt sich nun folgende Tabelle: 


Chronologische Jahre im Sonntags- 
Jahre Sonnencirkel buchstaben 

[9 v. Chr.] [20 n. Chr. 1 GF 
[8 E) „ ] 21 „ „ 2 E 
Bee nen 3 D 
een 4 C 
Da] EAN, 5 BA 
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394 


Wenn man also eine gegebene Jahreszahl um 9 vermehrt, 
und dann mit 28 dividirt, so lehrt der Quotient wie viel 
Sonnencirkel seit anno 9 v. Chr. verflossen sind, der Rest aber 
gibt an welche Nummer das gegebene Jahr im laufenden Son- 
nencirkel hat; wenn die Division gerade aufgeht, so ist statt 
des Restes 0 die Zahl 28 zu nehmen. Aus diesen Nummern 
ergibt sich mit Hilfe der vorigen Tabelle der Sonntagsbuchstabe 
und danach kann man leicht abzählen, auf welchen Wochen- 
tag der Neujahrstag und alle übrigen Tage des Jahres fallen. 
Dabei sind folgende Tabellen von Nutzen: 


Sonntagsbuchstabe: Neujahrstag: 
A Sonntag 
B Sonnabend 
C Freitag 
D Donnerstag 
E Mittwoch 
F Dinstag 
G Montag 


Mit dem Neujahrstag fallen aber auf gleichen Wochentag 
folgende Tage, welche alle den Buchstaben 4 haben: 


1. Januar 2. April 2. Juli 1. October 
5. Februar 7. Mai 6. August 5. November 
5. März 4. Juni 3. September 3. December 


Hiernach können die Wochentage der andern Monatstage 
leicht bestimmt werden. 


Wir kommen nun zuder christlichenFestrechnung, 
welche sich, wie schon oben bemerkt, nach dem Monde richtet; 
das Osterfest der Christen trat nämlich an Stelle des Passah- 
festes der Juden, und da diese ein Mondjahr hatten, so be- 
stimmten auch die Christen, die sich ja besonders im Anfang 
noch ans Judenthum anschlossen, das Fest der Auferstehung 
Christi nicht nach dem Datum im Sonnenjahr, sondern nach 
dem Datum im Mondjahr. Diese Sitte verbreitete sich auch 
auf die aus dem Heidenthume stammenden Christen und man 
wich nur darin von den Juden ab, dass man das Fest stets an 
einem Sonntag feierte; derHass gegen die Juden führte später da- 
hin, dass man es womöglich nicht mit den Juden zugleich be- 
gehen wollte. Eine allgemeine Regel über die Bestimmung 


395 


des Osterfestes gab es aber nicht, sondern es entstanden ver- 
schiedene Gebräuche, deren Anhänger sich darüber in der hef- 
ligsten Weise befehdeten und sich mit Bann und Excommuni- 
eation bedrohten. Erst auf der Kirchenversammlung zu Nicaea 
(325 n. Chr.) einigte man sich: man adoptirte nämlich die 
Praxis der Alexandriner und traf folgende noch heute geltende 
Bestimmung: 

Ostern fällt auf den ersten Sonntag nach dem 
ersten Vollmonde im Frühling. 

Man nannte diesen Vollmond den ‚‚Ostervollmond‘“, und 
bestimmte dass derselbe nicht astronomisch, sondern nach der 
sogenannten cyklischen Festrechnung berechnet werden sollte. 
Demgemass wurde ein für allemal den 21. März als Anfangs- 
tag des Frühlings angesehen, weil sich damals die Aequinoctien 
fin Folge des im Julianischen Einschaltungsmodus enthaltenen 
Fehlers) seit Caesars Zeiten gerade um 3 Tage vorgeschoben 
hatten. Die Vollmonde selbst wurden nach dem 19;jährigen 
Mondeirkel berechnet; man entwarf zu diesem Zwecke für 
einen neunzehnjährigen Zeitraum eine Tabelle über sämmtliche 
Mondphasen, in derselben setzte man die Länge der Mond- 
monate, die ja eigentlich c. 294/, Tag beträgt, abwechselnd auf 
30 und 29 Tage, und zwar so dass der erste Monat des Jahres 
30, der zweite 29 Tage hatte u.s. f. Nun hat aber das Mond- 
jahr mitunter 13 Mondmonate (annus embolismicus) und es 
mussten daher zur Aufrechthaltung dieser Bestimmung einige 
Unregelmässigkeiten entstehen. Eine andere Unregelmässigkeit 
wurde hervorgerufen durch die Schalttage im Februar, diese 
musste man ignoriren, weil die 4jährige Einschaltungsperiode 
und der 19jährige Mondeirkel kein einfaches Verhältnis zu 
einander haben. — In dem grossen Kalenderwerke von Chri- 
stoph Clavius (wird weiter unten noch genauer besprochen 
werden) findet sich eine solche Tabelle über die Länge der 
einzelnen Mondmonate im Julianischen Kalender (cap. XVII, 
$ 15, S. 376 der römischen Ausgabe). Danach kann man zu- 
nächst die sämmtlichen Neumonde eines 19jährigen Mondcirkels 
bestimmen, jedes Datum kommt dabei natürlich nur einmal vor, 
denn der Neumond kehrt ja erst nach 19 Jahren wieder auf den- 
selben Tag zurück; man kann also ferner in einem Kalerder 
Jeden Tag auf den ein Neumond fällt mit der goldenen Zahl 


396 


desjenigen Jahres bezeichnen, in welchem dieser Tag eben ein 
Neumond ist. Da es nun in 19 Jahren stets 235 Mondmonate 
gibt, so werden im Kalender auch gerade 235 Tage mit goldenen 
Zahlen bezeichnet, die übrigen 130 Tage bleiben frei. Auch 
diese Tabelle findet man bei Clavius unter dem Titel: Calen- 
darium ecclesiasticum, quo ecclesia a Concilio Nicaeno usque 
ad anni correctionem usa est. (Cap. IX, 5. S. 108—111), 
danach hat z. B. der 23. März die goldene Zahl 1, daraus 
sieht man, dass in jedem Jahre mit der goldenen Zahl 1 der 
23. März ein Neumond ist. Für die Berechnung der Vollmonde 
galt die Regel, dass man zum Datum des Neumondes 13 ad- 
diren sollte. Die Neumonde waren nämlich (nach jüdischem 
Ritus) so bestimmt, dass sie den Tag angaben an dem man 
schon wieder eine schmale Sichel des Mondes („neues Licht‘‘) 
sah. Demnach ergibt sich z. B. für den Ostervollmond jedes 
Jahres mit der goldenen Zahl 1 der (23--13)te März d.i. der 
5. April, In gleicher Weise findet man aus der erwähnten 
Tabelle die Ostervollmonde sämmtlicher Jahre eines Mondeirkels 


wie folgt: 

Goldene Oster- Goldene - Oster- 

Zahlen. Vollmond. Zahlen. Vollinond. 
1 5. Apnil 11 15. A, 
2 25. März 12 4. A 
3 13,8 | 13 24. M. 
4 2. A. 14 12. A, 
B) 22. M. 15 1. A 
6 10. A. 16 21.M 
7 30. M. 17 9. A 
8 18. A. 18 29. M 
9 REN 19 17. A 
10 27. M. 1 5. A 


Man kann die übrigen Ostervollmonde aber auch dadurch 
finden, dass man vom ersten (5. April) immer um 11 Tage 
rückwärts oder um 19 Tage vorwärts geht; nur am Schluss 
des Mondcirkels muss man 12 Tage zurückgehen um wieder 
auf den ersten Ostervollinond zurück zu Kommen, was in dem 
oben angedeuteten Unregelmässigkeiten seinen Grund hat. 


Da man 'nun für jedes Jahr die goldene Zahl berechnen 


397 


kann (siehe Seite 390), so kann man nach dieser Tabelle für 
jedes Jahr den Ostervollmond finden; er fällt frühestens auf 
den 21. März, den Tag des Frühlingsanfangs selbst (goldene 
Zahl = 16), spätestens auf den 18. April (goldene Zahl=8). Mit 
Hilfe des Sonnencirkels und der Sonntagsbuchstaben (S. 393-394) 
lässt sich dann fests’ellen, was das für ein Wochentag ist und 
dann braucht man nur bis zum nächsten Sonntag weiter zu 
zählen, um den-Ostertag selbst zu finden. Derselbe fällt frühe- 
stens auf den 22, März, nämlich wenn der Ostervollmond auf 
den 21. März und einen Sonnabend fällt (Goldene Zahl = 16 
Sonnlagsbuchstabe D); der späteste Termin ist der 25. April, 
wenn der Ostervollmond auf den 18. April und einen Sonntag 
fällt. (Goldene Zahl = 8, Sonntagsbuchstabe C); demnach 
kann Ostern innerhalb eines Zeitraums von 35 Tagen hin und 
her schwanken. Eine periodische Wiederholung findet aber nur 
statt, wenn die goldenen Zahlen und zugleich die Sonnlags- 
buchstaben in gleicher Ordnung wiederkehren; diess geschieht 
natürlich erst nach 28><19 = 532 Jahren. 

Es hängt aber bekanntlich der ganze christliche Kalender 
von deın Datum des Osterfestes ab, folglich gibt es — abge- 
sehen von der Verschiedenheit zwischen Schaltjahr und Gewein- 
jahr — gerade 35 verschiedene Kalenderformen und es wieder- 
holen sich dieselben nach 532 Jahren genau in derselben 
Ordnung auch in Bezug auf die Schaltjahre. 

Diese grosse Periode ist jedoch in dem bei uns geltenden 
Gregorianischen Kalender verloren gegangen, weil in demselben 
eine säculare Verschiebung des Sonnen- und Mondeirkels ein- 
tritt, die wir im nächsten Abschnitt zu besprechen haben. 


Der gregorianische Kalender. 


Im julianischen Kalender waren zwei Fehler enthalten: man 
hatte erstens das Jahr zu 365%, Tag angenommen, zweitens 
den Monat (im Mondecirkel) zu "%/g3; Jahr; beides ist nicht ge- 
nau und wenn auch die Fehler nur klein sind, so mussten sie 
sich doch im Lauf der Jahrhunderte zu mehreren Tagen an- 
sammeln. Die Aequinoctien rückten immer weiter vor und die 
nach der cyklischen Festrechuung bestimmten Vollmonde ent- 
fernten sich immer mehr von den wahren. Der letztere Fehler 


398 


hätte nun wol an sich nicht so viel auf sich gehabt wie der 
erste, aber wegen der Bestimmung des Osterfestes war auch 
er nicht ohne Einfluss auf den Kalender. Es ist charakteri- 
stisch für die damalige Zeit, dass man die Verschiebung der Ae- 
quinoctien und der Jahreszeiten durch den ganzen Kalender 
hauptsächlich deshalb nicht ertragen wollte, weil auf diese 
Weise die christlichen Feste allmählich aus den ihnen zukom- 
menden Jahreszeiten gerückt wären; man hielt es für ein Er- 
fordernis der Religion, dass Ostern im Anfang des Frühlings, 
Weihnachten im Winter u. s.w. gefeiert wurden, und suchte dar- 
unter allerlei syinbolische Bedeutungen (siehe hierüber das 
schon erwähnte Werk von Clavius cap. II. $4, S. 71). 
Man hätte nun — und dieser Vorschlag ist wirklich gemacht 
— sich einfach dadurch helfen können, dass man den Früh- 
lingsanfang und den betreffenden Vollmond jedesmal astrono- 
misch berechnet und Ostern ohne Rücksicht auf das Kalender- 
datum am Sonntag nach dem ersten Vollmond nach Frühlings- 
anfang gefeiert hätte; dagegen wurde aber geltend gemacht 
dass das Concil zu Nicaea die Berechnung nach dem Mond- 
cirkel vorgeschrieben hätte, und dass auf diese Weise das Oster- 
fest aus dem April und März allmählich in den Februar und 
Januar vorgeschoben nnd schliesslich sogar mit Weihnachten 
zusammenfallen würde, was natürlich vom kirchlichen Stand- 
punkt aus ganz unangemessen gewesen wäre. Dass man das 
Osterfest, ebenso wie Weihnachten und andere Festtage auf 
einen bestimmten Tag oder wenigstens aufeinen bestimm- 
ten Sonntag verlegen könnte ist ebenfalls vorgeschlagen, aber 
auch aus Pietät fürs Nicänische Concil nicht genehmigt (Vgl. 
Kepler Dialogus de Calendario Gregoriano in Keplers ge- 
sammten Werken, Ausgabe von Frisch, Vol. IV und ferner 
das grosse Werk von Clavius cap. I, $ 3, S. 58). 

Man dachte daher fast nur aus kirchlichen Gründen an 
die Verbesserung des Kalenders; und zwar begann man schon 
im 13. Jahrhundert davon zu sprechen, man kam aber trotz 
verschiedener Versuche zu keinem Resultate, bis das tridentini- 
sche Concil (1545 —1563) dem Papste die Ausführung der Verbes- 
serung förmlich übertrug. In Folge dessen nahm Papst Gre- 
gor XIII (1572 - 1583) bald nach seinem Regierungsantrilt die 
Angelegenheit in die Hand; ein Arzt in Verona, Namens Aloy- 


399 


sius Lilius (Luigi Lilio) hatte ihm schon, als er noch 
Cardinal war einen Plan dazu ausgearbeitet. Dieser Plan wurde 
einer grossen internationalen Commission vorgelegt und mit 
einigen kleinen Abweichungen genehmigt, so dass im Jahre 
1582 die Kalenderverbesserung durch eine päpstliche Verord- 
nung eingeführt werden konnte. Ein ausführliehes und authen- 
tisches Werk erschien erst später unter dem Titel: Romani 
Calendarü a Gregorio XIII. P. M: restituti esrplicatio. 
Auctore Christophoro Clavio Bambergensi. Bomae 1603. 
Fol. 680 S. Es enthält zunächst (S. 3—12) den Entwurf des 
A. Lilius, wie er den europäischen Fürsten zugeschickt und 
jener Commission vorgelegt war; darauf folgen (S. 13—56) die 
„canones in Calendarium Gregorianum perpetuum‘“ nach den 
Beschlüssen genannter Commission. Dann erst kommt das 
eigentliche Werk des Clavius, welches in 28 Capiteln (S. 57 
—634) die Motive zu den Beschlüssen in ungeheurer Aus- 
führlichkeit enthält, ferner umfassende Tabellen u. s.w. End- 
lich ist noch ein Anhang beigegeben, der unter dem Titel 
„Computus ecclesiasticus per digitorum articulos et tabulas 
traditus‘‘ möglichst bequeme Regeln über die Berechnung des 
Kalenders geben soll. Dasselbe Werk findet sich auch in den 
mathematischen Werken des Claviusals Tom. V. (Moguntiae 
1612), allwo noch eine Vertheidigung der Verbesserungen gegen 
die Angriffe von Scaliger u.A. beigefügt ist. Diese Verthei- 
digung war [reilich leicht genug, denn bei den durch die Ver- 
hältnisse vorgeschriebenen Zwecken Konnte, bis auf einige 
Sonderbarkeiten, die !aber auch in kirchlichen Rücksichten 
ihren -Grund hatten, in der That nicht gut eine einfachere 
bessere Einrichtung getroffen worden. Die Einwürfe Scaligers 
waren daher ıneistentheils recht lahm gewesen. 


Die Verbesserung selbst bezog sich, wie Clavius (cap. 
II, 5 S. 72 der römischer Ausgabe) sagt, auf 3 Puncte: erstens 
musste das Aequinoctium auf den richtigen Tag zurückge- 
bracht und daselbst erhalten werden, zweitens mussten die 
Neu- und Vollmonde corrigirt und drittens der Sonnencirkel 
- erneuert werden; der letzte Punct hängt eng mit dem ersten 
zusammen und soll daher hier mit jenem zugleich betrachtet 
werden. 


400 


Die oben erwähnte Commission hatte zu Bologna mit 
einem Gnomon die Aequinoctien genau beobachten lassen, es 
hatte sich dabei herausgestellt, dass dieselben bis auf den 11. 
März vorausgeeilt waren. Nun wäre es natürlich bequemer 
gewesen, wenn man die Aequinoctien und Solstitien auf Mo- 
natsanfänge gelegt hätte, aber da man von der Bestimmung 
des Concils von Nicaea nicht abweichen wollte, so bestimmte 
man dass der Frühlingsanfang von nun an wieder auf den 21. 
März fallen sollte und beschloss zu diesem Zweck 10 Tage zu 
überspringen. Es wurden dazu die Tage vom 5. bis zum 11. 
October 1583 bestimmt, weil in diesem Monat sehr wenig 
kirchliche Feste stattfinden und daher der Cultus keine Stö- 
rung erlitt. Freilich folgten nicht alle Länder dem Befehle 
des Papstes; Frankreich und Holland warteten noch bis in den 
December desselbigen Jahres, das katholische Deutschland 
folgte erst im nächsten Jahre u. s. w. Die deutschen Prote- 
stanten behielten den Julianischen Kalender sogar bis zum Jahre 
1700, weil sie dem Papste und dem tridentinischen Coneile 
nicht gehorchen wollten; und auch dann nahmen sie nur die 
gregorianische Einschaltungsform,, nicht aber die verbesserte 
Festrechnung an, sondern berechneten Ostern nach den astro- 
nomischen Vollmonden, was natürlich öfter kleine Abweichun- 
gen gab. Erst Friedrich der Grosse konnte die Evange- 
lischen bewegen, auch die Gregorianische Osterbestimmung 
anzunehmen; er liess nämlich dem Corpus evangelicorum zu 
Regensburg vorstellen, dass sie nach ihrem Weigel’schen 
Kalender in den Jahren 1778 und 1798 das Osterfest mit 
den Juden zugleich feiern würden. Uebrigens ist zu be- 
merken, dass auch das gregorianische Osterfest mitunter 
mit dem jüdischen zusammenfällt, z. B. am 12. April 1903, 
am 1. April 1923, am 17. April 1927, am 13. April 1930 
u.s. w. Nun wusste man zur Zeit der Kalenderverbesse- 
rung schon so gut wie jetzt, dass das tropische Jahr 365 
Tage 5 Stunden 48 Minuten und 45 bis 49 Secunden lang ist 
und man konnte danach berechnen dass der Fehler des Julia- 
nischen Jahres von 365!/, Tag in 400 Jahren etwa 3 Tage 
ausmacht; demgemäss bestimmte man dass in 400 Jahren 3 
Schalttage ausfallen sollten und wählte dazu diejenigen Sae- 
cularjahre welche sich durch 400 nicht ohne Rest theilen las- 


401 


sen: es wurden also 1700, 1800, 1900 zu Gemeinjahren be- 
stimmt, während 1600 ein Schaltjahr blieb und ebenso 2000, 
2400 u. s. w. Diese Einrichtung ist in der That unübertreff- 
lich einfach, die Wechsel im Sonneneirkel, die wir nach- 
her besprechen werden, treten nämlich stets in Saecularjahren 
ein, was natürlich sehr bequem ist. Leider ist sie aber nicht 
ganz genau. Im Julianischen Kalender gab es nämlich in 400 
Jahren 100 Schaltjahre, im gregorianischen dagegen gibt es 
deren nur 97; es kommen also auf 400 Gregorianische Jahre 
365><400 + 97 Tage, woraus sich die Länge eines Grego- 
rianischen Jahres im Mittel auf 365,2425 Tage berechnet. 
Das ist nun freilich immer noch etwas zu lang, aber der Feh- 
ler wächst erst in 3600 oder 4000 Jahren auf 1 Tag an, je 
nach dem Werthe, den man für die Länge des tropischen Jah- 
res zu Grunde legt. — Vorschläge zur Beseitigung dieses Feh- 
lers sind schon mehrfach gemacht worden: so hat Prof. Mäd- 
ler in seiner „populären Astronomie“ (4. Aufl. S.571 8.291) 
einen Schalteyclus angegeben, der sich vom Julianischen nur 
dadurch unterscheidet, dass jedesmal nach 128 Jahren der 
Schalttag ausfallen sollte; dieser Cyclus ist unter der Annahme 
dass das tropische Jahr den kleinsten der oben angegebenen 
Werthe hat absolut genau; Mädler spricht daher ‘die Hoff- 
nung aus, dass diese Einschaltungsform geeignet sei, die Rus- 
sen und Griechen zu veranlassen, den Julianischen Kalender 
endlich zu beseitigen und so wieder einenallgemeinen Ka- 
lender herzustellen. Einen viel einfacheren Vorschlag hat Prof. 
Ferdinand vonSchmöger inseinem „Grundriss der christl. 
Zeit- und Festrechnung“ (Halle, Schmidt 1854) gemacht; er 
sagt (S. 28, 7. 28), wenn man die Jahre 2000, 6000.... als 
Gemeinjahre behandeln wollte, so würden von den Schlussjah- 
ren der Jahrtausende nur 4000, 8000... als Schaltjahre übrigblei- 
ben, denn 3000, 5000, 7000... sind schon nach dem Gregoria- 
nischen Kalender Gemeinjahre.e Es würden sich dann die 
Schlussjahre der Jahrtausende ganz ebenso verhalten wie die 
Schlussjahre der Jahrhunderte, es würden nämlich von ihnen 
nur die durch 4000 theilbaren Jahre Schaltjahre bleiben. — 
Wir wissen nicht, ob von den Centralstellen für das Kalender- 
wesen in dieser Beziehung schon irgend ein Vorschlag defini- 
tiv angenommen ist, wir werden daher in den folgenden Ta- 


402 


bellen das Jahr 2000 nach den Gregorianischen Bestimmun- 
gen als Schaltjahr betrachten; bis zum Jahre 3600 oder 4000, 
wo die Correction spätestens eintreten muss, werden wir un- 
sere Tabellen nicht ausdehnen. 


Als nun der Gregorianische Kalender oder, wie man ihn 
auch nannte, der Kalender des ‚‚neuen Stils“ eingeführt wurde, 
hatte man 10 Tage übersprungen, ferner fiel in den Saecular- 
jahren meistens noch je ein Tag aus und das wird künftig 
immer wieder geschehen. Dabei tritt natürlich jedesmal eine 
Verschiebung der Sonntagsbuchstaben im Sonneneirkel ein. Die 
erste Verschiebung betrug natürlich 10 Stufen, jede folgende 
immer nur eine; dabei ist aber zu beobachten, dass eine Ver- 
schiebung um 7 Buchstaben die ursprüngliche Reihenfolge wie- 
der herstellt. — Demnach ergeben sich im Vergleich zu dem 
ursprünglichen Sonneneirkel des Julianischen Kalenders. (s. S. 
393) folgende Verschiebungen der Sonntagsbuchstaben: 
vom October 1582 bis Februar 1700 um 10 oder um 3 Stufen 

„März 1100. „ 1800.55. 1 aan Ar 

5 7 1800 „ » 1900 5.11.12 Kasiaiae 
” 3 1900, 5 r 210,0, 9,0518 nom 
4 R 2100 „ 5 2200, 
” > 2200: ,, r 2300)a»54. Lönss James 
5 5 2300 ,„ Ir 2500, 16 Guss 
a 2500, 5 3 2600 1, Läuse 

Das Jahr 1871 z. B. ist nach den obigen Regeln das 4. 
Jahr eines Sonneneirkels (1871 +9 = 1880 = 67 >= 28 +4), 
folglich ist sein Julianischer Sonntagsbuchstabe C, eine Ver- 
schiebung um 12 oder was dasselbe ist um 12 — 7=5 Stu- 
fen gibt für den Gregorianischen Kalender den Sonntagsbuch- 
staben 4(1:D; 2:E; 3:F; 4:G; 5:4.) Wenn man für jeden 
der obigen Zeitabschnitte eine besondere Tabelle der Sonn- 
tagsbuchstaben entsprechend der auf S. 393 entwerfen wollte, 
so müsste dieselbe für das erste Jahr eines jeden Sonnencir- 
kels folgende Buchstaben enthalten 

zwischen 1583 und 1700; z.B. für 1616, 1644.... CB 
5 17100. 48005 2,0222 1728, 156.220 
% 1800: „1900... 2... 1812, 1840..226D 
er 1900; . 21005 0,20:1924, 1952... KR 


Deco co 
© 


403 


zwischen 2100 und 2200; z.B. für 2120, 2148.... GF 
110412200, 115.11. 2300519, 101 79:2204.42232.14..24G 


92300 2500... 23lol 2300 B4 
2500 2600... 25100 9,900 CR 
uU. S. W. u Ss W 


Es sind also 7 verschiedene Anordnungen der Sonntags- 
tagsbuchstaben im Sonnencirkel möglich ; eine Tabelle derselben 
findet sich z. B. bei Clavius (cap. XXI, 2, S. 407). 


Man kann aber die Sonntagsbuchstaben im Gregorianischen 
Kalender noch auf eine andere Weise finden; wenn ınan sie 
nämlich zunächt nur für die Saecularjahre aufsucht, so ergibt 
sich für 


Julianisch Gregorianisch 
1600 FE BA 
1700 GE C 
1800 AG E 
1900 BA G 
2000 CB BA 
2100 DE C 
2200 ED E 
2300 FE G 
3400 GF BA 
U. S. W. u. Ss. W. U.S. W. 


Während also in den Saecularjahren die Julianischen 
Sonntagsbuchstaben erst nach 7 Jahrhunderten wiederkehren, 
haben die Gregorianischen eine Periode von nur 4 Jahrhunderten ; 
man kann daher im Gregorianischen Kalender mit A Cirkeln 
von Sonntagsbuchstaben auskommen, wenn man, so zu sagen, 
in jedem Jahrhundert den Sonnencirkel von neuen beginnt. 
Ich habe mir zu diesem Zweck die auf folgender Seite be- 
findliche Tafel construirt. 


Aus derselben kann man ohne weiteres für jedes beliebige 
Jahr den Gregorianischen Sonntagsbuchstaben entnehmen; 
wollte man eine ähnliche Tabelle für den Julianischen Kalender 
entwerfen, so müsste sie 7 Spalten mit Buchstaben haben, 
nämlich dieselbigen 7 Spalten, welche bei der vorher beschrie- 
bepen Einrichtung in dem Gregorianischen Kalender nothwendig 
waren. — 

Zeitschr. f.d. ges. Naturwiss. Bd, XXXVIll, 1871. 29 


404 


Sonntagsbuchstaben im Gregorianischen Kalender. 


Jahre 


(Zehner und Einer) 


00 (Saecularjahre) 


01 

02 
03 
04 
05 
06 
07 
08 
09 
10 
11 

12 
13 
14 
15 
16 
17 
18 
19 
20 
21 
22 
23 
24 


29 
30 
31 
32 
33 
34 
35 
36 
37 
38 
39 
40 
41 
42 
43 
44 
45 
46 
47 
48 
49 
50 
ol 
52 
93 
54 
55 
56 


91 
58 
99 
60 
61 
62 
63 
64 
65 
66 
67 
68 
69 
70 
71 
72 
13 
74 
6) 
76 
77 
18 
79 
80 
81 
82 
83 
84 


83 
86 
87 
88 
89 
90 
91 
92 
93 
94 
95 
96 
97 
98 
99 


Jahrhunderte 


1700 
2100 


1800 
2200 
E 
D 


(1500) 
1900 
2300 

G 
F 
E 


Eu 


ED 


BA 


> 


DE 


Sun 


FE 


Bas 


AG 


405 


Clavius gibt in seinem oben erwähnten Werke noch. 
einige andere Tabellen zur Auffindung der Gregorianischen 
Sonntagsbuchstaben; die erste in Cap. XXL, S. 409—410, eine 
zweite in demselben Capitel S. 412—414, und endlich noch eine 
in dem Anhang: „Computus ecclesiasticus per digitorum ar- 
ticulos et tabulas traditus‘“ S. 675. Ich will aber auf die- 
selben ebensowenig eingehen, wie auf seine Methode, die Sonn- 
tagsbuchstaben an den Fingern abzuzählen, bei der gewisse 
versus memoriales das meiste thun. 

Bei allen diesen Veränderungen, die der Julianische Kalen- 
der erleiden musste, blieb aber, wie diess auch aus dem oben 
gesagten hervorgeht, die Reihenfolge der Wochentage ohne jede 
Unterbrechung; es haben also in ganz Europa alle Länder stets 
denselben Wochentag und auch ausserhalb unseres Erdtheils 
werden die Sonntage, so weit es überhaupt möglich ist, gleich- 
zeitig gefeiert. Dass in Amerika der Sonntag erst beginnt, 
wenn er in Asien schon zu drei viertel verflossen ist, versteht 
sich von selbst; dass aber zwischen beiden Erdtheilen Inseln 
existiren die in der Zählung der Wochentage gerade um einen 
Tag von einander entfernt sind, hat seinen Grund bekanntlich 
darin, dass sie von verschiedenen Seiten aus entdeckt und 
cultivirt sind. Sieht man hiervon ab, so feiert die gesammte 
Christenheit ihre Sonntage überall gleichzeitig. 


Nicht so ist es mit dem Osterfeste, denn die Gregorianische 
Kalenderverbesserung wurde ja hauptsächlich behufs einer 
richtigen Bestimmung dieses Festes vorgenommen. Zu der 
Verschiedenheit des Osterfestes im alten und neuen Kalender 
trägt aber nicht nur die Verschiedenheit der Frühlings-Tag- 
und Nachtgleiche bei, sondern auch die verschiedene Bestimmung 
der Ostervollmonde. Damit sind wir zu dem zweiten Puncte 
der Gregorianischen Kalenderverbesserung gekommen, nämlich 
zu der Correction des Mondcirkels. 

Die durch die goldenen Zahlen bestimmten cyklischen Voll. 
monde, speciell die Ostervollmonde (s. S. 396) hatten sich von 
den wahren um circa drei Tage entfernt, und zwar fielen sie 
sämmtlich üm drei Tage zu spät. Da nun die Datumzahl eines 
eden Tages um 10 vermindert war, so musste man die Datum- 
zahlen der eyklischen Vollmonde je um 7 vermehren, um sie 

29* 


406 


mit den astronomischen möglichst in Uebereinstimmung zu . 
bringen. Aber ebenso wie man bei der Correction des Sonnen- 
jahres nicht nur. 10 Tage auszulassen hatte, sondern auch da- 
für Sorge tragen musste, dass eine solche Unregelmässigkeit 
nicht wieder vorkäme, ebenso musste auch beim Mondjahr eine 
bleibende Correction vorgenommen werden. Die für diese Cor- 
rection gewählte Form beruht auf den sogenannten Epakten. 
Wenn man nämlich in einem Mondmonat die Tage von einem 
Neumond zum andern zählt, so nennt man die auf jeden Tag 
fallende Zahl: das ‚‚Alter des Mondes“ oder die „Epakte“ des 
Tages. Am Vollmondstage ist also das Alter des Mondes oder 
die Epakte gleich 14. Das Alter des Mondes am Neujahrstage 
aber nennt man dieEpakte desJahres. Damit stimmt auch 
die andere Erklärung dieses Ausdrucks, die Clavius (cap. X, 
13, S. 125) gibt, da heisst es nämlich, die Epakte eines Jahres 
sei die Zahl der Tage ‚„‚gwebus annus Solaris Lunarem an- 
tecedentem superat“. 

Die „Epakten der Jahre‘“ wiederholen sich also wie 
die „goldenen Zahlen der Jahre“ nach je 19 Jahren und schon 
Dionysius Exiguus hat einen vollständigen Epakten-Cyklus 
aufgestellt, welcher gewölinlich als der Julianische bezeichnet 
wird, weil er für den Julianischen Kalender gilt. 

Auch die „Epakten der Tage“ wiederholen sich nach 
19 Jahren und unterscheiden sich hierdurch von den oben 
(S. 395) besprochenen „goldenen Zahlen für die einzelnen 
Tage“. Jeder Tag hat eine Epakte, aber in jedem folgenden 
Jahr eine andere; dagegen hat nicht jeder Tag eine goldene 
Zahl, aber diejenigen Tage welche eine haben behalten sie 
(wenigstens im Julianischen Kalender) fest. 

Man konnte nun die Correction des Mondcirkels entweder 
durch die goldenen Zahlen oder durch die Epakten ausführen; 
wenn man nur die Correction der Ostervollmonde beabsichtigt 
hätte, so wäre das erstere viel einfacher gewesen, denn dann 
hätte man nur mit Vollmonden zu thun gehabt, und nicht auch 
noch mit den Neumonden. Man wollte aber zugleich sämmt- 
liche Neu- und Vollmonde des 19jährigen Mondeirkels durch 
eine cyklische Rechnung bestimmen, und zwar möglichst genau. 
Im Julianischen Kalender war diese Bestimmung durch die den 
einzelnen Tagen zugetheilten goldenen Zahlen sehr leicht ge- 


40% 


macht, wie diess schon oben erwähnt ist (s. S. 396 und das 
dort eitirte Calendarium ecclesiasticum des Clavius). Eine 
gleiche Einrichtung hätte man auch im Gregorianischen Kalender 
treffen können, ıman hätte aber die den einzelnen Tagen zu- 
koınmenden goldenen Zahlen nicht blos einmal verschieben 
müssen, sondern wegen der von Jahrhundert zu Jahrhundert 
sich wiederholenden Correctionen (die weiter unten angegeben 
werden sollen) hätte man solche Verschiebungen immer von 
neuen vornehmen müssen. Diese Verschiebungen wären aber 
wegen vieler dabei in Betracht kommenden Rücksichten nicht 
nur unbequem, sondern auch schwer zu übersehen; man zog 
daher vor, die Correctionen mit Hilfe der Epakten zu bewerk- 
stelligen, deren Schema an sich complieirter und daher zur 
Aufnahme complicirter Bestimmungen geeigneter ist. Nichts 
desto weniger gibt Clavius in seinem Buche erstens ein voll- 
ständig eiugerichteies „Ualendarium ecclesiasticum quo post 
anni correctionem Ecclesia uti deberet usg.ce ad annum 
1700 sö aurei numeri pro Epactis in eo descripti essent“ 
(cap. IX, 6, S. 113—116), welches sich in der Form genau 
an sein oben erwähntes Calend. eccl. für den Julianischen 
Kalender anschliesst. Ausserdem hat er eine 48 Folioseilen 
umfassende Tabelle (cap. XV, S. 286---333) entworfen, welche 
alle möglichen Verschiebungen der goldenen Zahlen für die 
einzelnen Tage des Jahres enthält. (Vgl. hierzu auch Kepler’s 
Dialogus de Calend. Greg.) 

Man sieht also, dass man mit den goldenen Zahlen schliess- 
lich ganz dasselbe erreichen kann wie mit den Epakten, und 
da es uns hier nur auf die Berechnung des Ostervollmondes und 
des Osterfestes ankommt, so wollen wir auf die complieirte 
Epaktentheorie gar nicht weiter eingehen, sondern die Theorie der 
Osterrechnung in möglichst einfacher Form mit Hilfe der goldenen 
Zahlen darstellen. Die dabei vorkommenden Regeln über die 
Veränderungen der Ostervollmonde sind einfache Consequen- 
zen der Epaktentheorie. 


Der Zweck den man bei der Reorganisation des Mond- 
eirkels verfolgte, war die ınöglichst vollständige Uebereinstimmung 
der eyklisch berechneten Mondphasen mit den wirklichen. Um 
diese augenblicklich hergestellte Uebereinstiminung (s. S. 405) 


408 


auch für künftige Zeiten zu erhalten, musste man zuerst die 
nach dem neuen Einschaltungsgesetz ausfallenden Schalttage 
berücksichtigen. Der Mondcirkel bezog sich ja ursprünglich auf 
das julianische Jahr von 365!/, Tag und nicht auf das Grego- 
rianische. In Folge dessen bestimmte man, dass die Ostervoll- 
monde jedesmal wenn ein Julianischer Schalttag ausfällt um 
einen Tag später angesetzt werden sollten. Nach den 1582 
getroffenen Bestimmungen würde (wie man leicht nachrechnen 
kann) im Jahre 1700 der Ostervollmond auf den 3. April ge- 
fallen sein, da aber der Februar dieses Jahres nach dem Gre- 
gorianischen Kalender einen Tag weniger hatte, als er nach 
dem Julianischen gehabt haben würde, so musste man, um mit 
dem wirklichen Mondlauf im Einklang zu bleiben, das Oster- 
vollmondsdatum auf den 4. April verschieben. Da diese Cor- 
rection in Folge der verbesserten Länge des Sonnenjahrs nöthig 
wurde, so nannte man sie die „Sonnen-Gleichung“. 

Die Sonnengleichung besteht also darin, dass man 
in jedem Saecularjahr, welches nicht durch 400 ohne Rest theil- 
bar ist, die Ostervollmondstage im Mondeirkel um je 1 ver- 
mehrt. 

Diese Correction hätte aber nicht hingereicht die Vollmonde 
der cyklischen Festrechnung mit den astronomischen in der 
wünschenswerthen Uebereinstimmung zu erhalten, denn der 
neunzehnjährige Mondcirkel hat, wie wir schon oben erwähnt 
haben, einen Fehler von c. 1*/, Stunde, so dass die Vollmonde, 
Neumonde und die übrigen Mondphasen nach 19 Jahren um 
fast 1*/, Stunde früher wiederkehren, das macht nach 16 
Mondeirkeln oder 16x19 —= 304 Jahren fast 1 Tag. Man 
müsste also nach dieser Zeit die Ostervollmondstage um 1 ver- 
mindern. Diese Coırection heisst die „Mondgleichung“ 
Eigentlich dürfte man sie, weil derFehler nicht ganz 1!/, Stunden 
beträgt erst nach 312!/, Jahren anbringen; man hat aber be- 
hufs bequemerer Rechnung und grösserer Uebersichtlichkeit 
bestimmt, dass sie wie die Sonnengleichung stets in Saecular- 
jahren angebracht werden soll, nämlich jedesmal nach 300 
Jahreu; vorläufig in den durch 300 ohne Rest theilbaren Sae- 
cularjahren 1800, 2100, 2400... .. Da man aber dabei wieder 
einen Fehler begieng, so bestimmte man zugleich, dass nach 
achtmal drei Jahrhunderten die Carrection um 1 Jahrhundert 


409 


hinausgeschoben werden sollte, so dass die achte Anwendung 
derselben erst im 25. Saecularjahre stattfindet, anstatt im 24. 
Man erreicht auf diese Weise dass die Mondgleichung in 25 
Jahrhunderten 8 Tage, also durchschnittlich in 312!/, Jahren 
gerade 1 Tag beträgt, wie es ja der Fall sein muss. Demnach 
wird die Mondgleichung nach dem Jahre 3900 nicht mehr in 
den durch 300 theilbaren Saecularjahren angebracht, sondern 
erst in den Jahren 4300, 4600... . 6400; dann soll wieder 
eine Unterbrechung stattfinden und an Stelle von 6700 soll 
6800 eintreten u. Ss. w. 

Da wir aber, wie schon erwähnt (S. 402) unsere Tabellen 
gar nicht bis 4000 ausdehnen wollen, so besteht für uns die 
Mondgleichung darin, dass wir mit jedem Saecularjahre 
welches durch 300 ohne Rest theilbar ist, die Ostervoll- 
mondstage des Mondcirkels um je 1 vermindern. 

Geht man also von den Ostervollmonden aus welche bei 
der Kalenderverbesserung im Jahre 1582 zur Geltung kamen, 
so müssen dieselben in den einzelnen Jahrhunderten folgende 
Veränderungen erleiden: 

Sonnengleichung Mondgleichung Im Ganzen 


1600 0 Tag 0 Tag 0 Tag 
1700 41 ,„ 0 N 5; 
1800 PER, u, 010, 
1900 al 5 Bau ki 5 
2000 Dan) ui DR 
2100 +1 „ — Di 
2200 le ON 65 u, 
2300 SEE Un + „ 
2400 dj a Zar 
2500 a 0 EL. 
2600 ln Org lbs 
2700 En u Bi 
3800 044) Gras; 03153 


In den 12 Jahrhunderten von 1600—2800 tritt also im 
Ganzen eine Verschiebung der Ostervollmonde um 5 Tage ein; 
dasselbe Schema wiederholt sich in den folgenden 12 Jahr- 
hunderten (2800—4000), — dann aber erfolgt eine Unter- 
brechung 3 nicht blos weil die Mondgleichung erst 4300 statt 
4200 zur Anwendung kommt, sondern auch weil dann die 


410 


Correction des Gregorianischen Einschaltungsmodus jedenfalls 
nöthig wird. 

Berechnet man hiernach die Verschiebung der cyklischen 
Vollmonde des Gregorianischen Kalenders im Vergleich zu 
denen des Julianischen Kalenders, so ergibt sich der Datum- 
zahl nach in der Zeit 

von 1583—1699 eine Verschiebung um 7 Tage 


„1700-1899 ‚, B elel unl 
„1900-2199 it rg 
a PANNE RR ® ee 
„2300-2399 „, g „to; 
„2400-2499 „ L Kenosa 
„2500-2599 „ sugasie; 
„ 2600—2899 , # ie. a 


Diese Zahlen bezieheu sich wie gesagt nur auf das 
Datum der cyklischen Vollinonde; die Tage selbst liegen anders. 
Im Jahre 1871 z. B. fällt der Ostervollmond nach dem Juliani- 
schen Kalender auf den 27. März, nach dein Gregorianischen 
aber auf den (27+8)ten März d. i. auf den 4. April; dieser 
Tag findet aber 4 Tage vor dem 27. März Jul. Kal. statt. 
Auch diese Differenzen werden in spätern Jahrhunderten noch 
grösser werden. 

Wenn man nun die Gregorianischen Ostervollmonde 
für die einzelnen Jahrhunderte vollständig berechnen will, so 
hat man dabei noch einige Punkte zu beachten. Zunächst ver- 
steht es sich von selbst, dass man nicht über den 30sten Tag 
nach dem '21. März, also nicht über den 19. April hinausgehen 
darf; wenn also durch die oben vorgeschriebenen Additionen 
von 7, 8, 9... Tagen der 20. April oder ein noch höheres 
Datum herauskommt, so hat man jedesmal 30 zu subtrahiren ; 
der Mondmonat zwischen dem März- und April-Vollmond ent- 
hält ja stets 30 Tage. Wenn aber der 19. April herauskommt, 
so müsste diese Zahl eigentlich ungeändert bleiben, denn dieser 
Tag ist erst der 29ste Tag nach Frühlingsanfang. Nun war 
aber, wie wir oben gesehen haben, im Julianischen Kalender 
der 18. April zufällig der letzte Termin für den Östervollmond 
und in Folge dessen der 25. April der späteste Tag für das 
Osterfest. Von diesem alten Herkommen wollte man nicht 
abweichen und bestimmte daher, dass jedesmal statt des 19. April 


411 


der 18. als Ostervollmond angesehen werden sollte. Dann wäre 
aber mitunter der Fall eingetreten dass innerhalb eines Mond- 
eirkels der Ostervollmond zweimal auf den 18. April gefallen 
wäre; diess widerspricht aber dem Princip des Mondcirkels, 
welches ja darin besteht, dass erst nach 19 Jahren die Mond- 
phasen wieder auf dasselbe Datum zurück kehren. Man musste 
daher in denjenigen Cyklen, wo eine Verschiebung des Oster- 
vollmonds vom 19. auf den 18. April stattgefunden hatte, den 
etwa vorkommenden 18. auf den 17. vorschieben; bei einer 
vollständigen Berechnung aller möglichen Verschiebungen der 
Östervollmonde zeigte sich, dass diess jedesinal dann stattfinden 
musste, wenn die goldene Zahl des Jahres gerade grösser 
war als 11. In denjenigen Jahren aber deren goldene Zahl 
kleiner ist als 12, Kann der 18. Apıil (wenn er sich durch die 
Rechnung ergibt) beibehalten werden. 


Östervollmonde im Gregorianischen Kalender. 


Gold. Zahl. 1583—1699 1700---1899 1900—2199 2200-2299 


1 12. A. 13. 8 SEN 15. A. 
2 TNAR 2.A. 3 A. AA 
3 21.M, 22. M. 23.M. 24. M. 
4 9. A. 10. A, 11 A. 12: A. 
5 29. M. 30. M. 31. M. 1a ;AL 
6 IA, 18. A. *18. A. 21.M. 
7 6. A. N a 9.A. 
8 26. M. 27.M. 28. M. 29. M. 
9 14. A. 15. A. 16. A. AT..A. 
10 3.A. A,A. BEN 6. A. 
11 23. M. 24. M. 25. M. 26. M. 
12 N 12. A. 13. A, 10a: 
13 31. M. 1. A. 2 WE 33. A: 
14 *18. A. 21.M. 22. M. 23. M. 
15 8. A. 9. A. DOLHA, 14, Ar 
16 28. M. 29. M. 30. M. 31. M. 
17 16. A. WA! TEA. +18..A. 
18 5.A. 6. A. TA: 8..A. 
19 25. M. 26. M. 27. M. 28. M. 


412 


Diese Tabelle ist nach den angegebenen Vorschriften be- 
rechnet und mit den Tabellen desClavius verglichen worden; die 
mit einem Sternchen versehenen Vollmondstage sind diejenigen, 
welche um einen Tag früher angesetzt werden mussten als 
die Rechnung ergab; sie durchbrechen also die Regelmässigkeit 
des Mondeirkels. 

Wenn man nun für irgend ein Jahr das Osterfest nach 
dem Gregorianischen Kalender bestimmen will, so berechnet 
man die goldene Zahl und den Sonntagsbuchstaben, daraus 
ergibt sich das Datum und der Wochentag des Ostervollmondes, 
und daraus endlich der Ostersonntag. Ich will als Beispiel 
die Berechnung des Osterfestes für die 4 Jahre 1869 —1872 
mittheilen, und zwar sowol für den Gregorianischen als auch 
für den Julianischen Kalender (s. o. S. 396). 


Jahres- Sonntags- Goldene Oster- Öster- 

zahl buchstabe Zahl Vollmond Sonntag 
©[ 1869 C 8 27.M.Sonnab. 28. März 
3) 1870 B 9 15.A. Freit. 17. April 
2) 1871 A 10 4. A. Dinst. 9. April 
3 1872 F 11  24.M. Sonnt. 31. März 
1 1869 E 8 18. A. Freit. 20. April 
=) 1870 D ge A. Dinst, 12. April 
2) 1871 C 10  27.M.Sonnab. 28. März 
11872 A 11 15.A. Sonnab. 16. April 


Hiernach differiren die Ostervollmonde beider Kalender um 
8 oder 22 Tage und zwar fallen die Gregorianischen Vollmonde 
entweder 22 Tage vor den Julianischen oder 8 Tage nach 
denselben; das ist aber nur scheinbar, denn wenn man be- 
rücksichtigt, dass der Julianische Kalender um 12 Tage hinter 
dem Gregorianischen zurück ist, so ergibt sich dass die Gre- 
gorianischen Vollmonde stets vor den Julianischen eintreffen 
und zwar entweder um 34 oder um 4 Tage. Das Gregoria- 
nische Osterfest kann demnach zwar mit dem Julianischen zu- 
sammentreffen, es wird aber in den meisten Fällen um 1 oder 
mehrere Wochen früher gefeiert werden. Für die obigen 4 
Jahre ergibt sich beispielsweise folgende Vergleichung : 


413 


Jahres- Julianisches Osterfest Gregor. Osterfest 


zahl Jul. Datum Greg. Datum Greg. Datum. Differenz 
1869 20. April = 2. Mai 28. März 5 Wochen 
1870 12. April = 24. April 17. April 1 Woche 
1871 28. März = 9. Apnil 9. April 0 Woche 
1872 16. April = 28. April 31. April 4 Wochen 


Diess sind die verschiedenen Lagen, welche die beiden 
Osterfeste zur Zeit gegeneinander haben können, andere Diffe- 
renzen sind bisher noch nicht vorgekommen und werden auch 
in den nächsten Jahrhunderten nicht vorkommen. Erst wenn 
die Verschiedenheit beider Kalender so gross wird, dass der 
Gregorianische Vollmond mehr als 1, resp. mehr als 5 Wochen 
vor dem Julianischen eintrifft, können sich die beiden Osterfeste 
um 2 oder um 6 Wochen unterscheiden, es werden dann aber 
die Differenzen 0 und 4 Wochen verschwinden. 

Clavius hat in seinem Werke (cap. XXII, 3, S. 420—561) 
eine grosse Tabelle für die Ostersonntage und die damit zu- 
sammenhängenden beweglichen Feste berechnet, welche his 
zum Jahre 5000 nach Christo reicht; neben dem Gregorianischen 
Österfeste ist dort auch stets das Julianische und die wahre 
Differenz beider angegeben. Man sieht dort dass die Differenz 
von 4 Wochen im Jahre 1997 zum letzten male auftreten, ein 
Zusammenfallen beider Feste zum leizten male erst im Jahre 
2698 stattfinden wird; dagegen erscheint anno 2437 zum ersten 
male eine Differenz von 6 Wochen, ferner anno 3013 eine 
von 2 Wochen und endlich treten von 4609 an sogar Differen- 
zen von T Wochen ein, während solche von 5 Wochen nach 
4294 verschwinden. Differenzen von 3 Wochen kommen bis 
zum Jahre 5000 überhaupt nicht vor. 


Mit Hilfe dieser grossen Tabelle kann man also für jedes 
Jahr den Kalender entwerfen ; da sie aber wegen ihres grossen 
Umfangs etwas unbequem ist, so hat man später wiederholt 
kleinere und compendiösere Tabellen construirt, die ebenfalls 
den Zweck haben, die Berechnung des Kalenders, resp. des 
Ostervollmondes und des Osterfestes zu erleichtern und wo 
möglich ganz zu ersparen. Diese Tabellen sind zum Theil zum 
Drehen oder Verschieben eingerichtet, so dass man den ganzen 
Kalender eines Jahres oder doch den eines Monats durch eine 


414 


einfache Bewegung erhält; man pflegt sie dann als stellbare 
oder auch als immerwährende Kalender zu bezeichnen. 
Solche stellbare Kalender von denen ich weiter unten mehrere 
beschreiben werde, sind natürlich für den Gebrauch am be- 
quemsten; um aber auch von den einfachen Tabellen eine an- 
zuführen erwähne ich die recht praktische Tafel von G. U. 
A. Vieth, Director und Professor der Mathemalik in Dessau, 
welche in einem Schulprogramm ‚‚Ueber Kalenderformen und 
Kalenderreforınen“ (Dessau 1809) enthalten ist; ihre Einrichtung 
ist aus folgender Probe zu ersehen: 


Kalendertafel für 1801—1900. 


Burunz | Januar April September 
März August Mai 


: uni 
October Julius |December -_ 
November 


4 6 
13 


Sonntag | Montag | Diustag 


h | . 
Mittwoch | Donnerst. | Freitag [Sonnab. 


! 


1801 1802 1803 1804 | 1804 185 | 1806 
5. Apr. | 18. Apr. | 10. Apr. — 1. Apr. |14. Apr. |6. Apr. 
u. Ss. w. 

1868 1869 1870 1871 1872 1872 1873 
12. Apr. | 28. Mrz. | 17. Apr. ! 9. Apr. | — 31. Mrz. |13. Apr. 


u. Ss. w. 


Beim Gebrauch dieser .Tafel sucht man die Jahreszahl in 
der Tabelle auf, der darüber stehende Wochentag gilt für alle 
im Kopf der Tabelle zusammengestellten Monatstage. Bei den 
Schaltjahren gilt die erste Zahl für den Januar und Februar, die 
zweite für die übrigen 10 Monate; das Datum des Osterfestes 
ist unter jeder Jahreszahl angegeben. 

Diese Tabelle lässt sich ebenso leicht fortsetzen wie der 
Sonnencirkel, resp. wie die Tabelle der Sonntagsbuchstaben, 
die Osterfeste freilich Kennt man nur für die in der Tabelle 
enthaltenen Jahre. Uebrigens gibt Vieth ausser der Tabelle 
für das laufende Jahrhundert noch eine für vergangene; 
da sind aber oben Monatstage angeben die stets um 2 niedriger 
sind als hier. Es hat diess seinen Grund darin, dass im Jahre 


415 


1701 der zweite Januar ein Sonntag war, während der erste 
Sonntag des 19. Jahrhunderts, wie man aus der Tabelle sieht, 
auf den 4. Januar 1801 fiel. 

Man Kann also mit Hilfe der Tabelle von Vieth, welche 
den Umfang eines Quartblattes hat, für jedes Jahr des 18. und 
19. Jahrhunderts den ganzen Kalender leicht aufstellen, wenn 
man nur die Regeln über die Sonn- und Festtage kennt. 

Andere Tabellen welche denselben Zweck verfolgen, sind 
jn älterer und neuerer Zeit vielfach herausgegeben worden. 
Wenn ich aus der grossen Zahl derselben im nächsten Abschnitt 
einige wenige besonders hervorhebe, so geschieht diess nicht 
nur, weil dieselben die neuesten Erscheinungen auf diesem 
Gebiete sind, sondern auch weil ihre Einrichtung originell und 
höchst zweckmässig ist; sie verdienen in der That in den 
weitesten Kreisen bekannt zu werden. 


Die Kalender von C. A. Kesselmeyer. 


Herr Carl August Kesselmeyer aus Manchester, hat in 
Dresden eine Reihe von Kalendern und Schriften über das 
Kalenderwesen herausgegeben resp. angekündigt, in denen (soweit 
sie mir bekannt geworden sind) weder die Sonntagsbuchstaben, 
noch die goldenen Zahlen oder Epakten angewendet sind. Die 
Titel dieser interessanten Publicationen sind folgende: 

1) Kalendarium zur Auffindung der Wochentage aller 
historischen Daten der christlichen Zeitrechrung von Carl 
August Kesseimeyer. 8 S. Octav. 10 Ngr. 

2) Stellbarer Monatskalender der christlichen Zeitrech- 
nung von Anno 1—3000, alter und neuer Styl, um zu jeden 
Tag des Monats den Wochentag sofort ohne Rechnung zu 
finden. Eine Octavtafel. Preis 20 Ngr. 

3) Stellbarer Universal-Kalender der christlichen Zeit- 
rechnung von Anno 1—2000, alter und neuer Styl, wobei 
das Jahr nach Wochen eingetheilt ist, um zu jedem Datum 
den Fest- und Wochentag, und zu jedem Fest- und Wochen- 
tag das Datum sofort ohne Rechnung zu finden. Eine doppelte 
Foliotalel in Form einer Buchschale. Preis 2 Thlr. 

4) Kalendarium Perpetuum Mobile Aerae Christianae; 
drei Tafeln, von denen eine den astronomischen Kalender 


416 


für die nördlich gemässigte Zone enthält; jede 90 Centi- 
meter hoch, 70 breit, a 5 Thir. — Als Zugabe erhalten die 
Käufer von allen drei Tafeln dieses Werkes noch: 

5) Theorie des christlichen Kalenders von C. A. Kessel- 
meyer. Preis 2 Thlr. 

Von diesen Arbeiten ist allerdings erst Nro. 1—-3 er- 
schienen; dieselben sind gegen Franco-Einsendung des Betrages 
zu beziehen vom Buchbinder G. Hahner, Dresden Pfarr- 
gasse 1, III. Im Buchhandel treten erhöhte Preise ein, nament- 
lich kostet Nro. 3 durch Commission der Hofbuchhandlung 
von Burdach in Dresden 3 Thlr. 

Aus der ersten der genannten Schriften entnehmen wir 
mit Genehmigung des H. Verf, eine Tabelle zur Auffindung der 
Wochentage u. s. w., sie ist neben bei abgedruckt und wird 
folgendermassen benutzt: „Um den Wochentag eines beliebigen 
Datums der christl. Zeitrechnung aufzufinden addire man die 
die in der Tabelle gegebenen Zahlen, welche neben dem Jahr- 
hundert, dem Jahre des Jahrhunderts, dem Monat des 
‘ Jahres und dem Tage des Monats stehen, dann findet man 
(am Fusse der Tabelle) unter der Rubrik Summe der addirten 
Zahlen neben der erhaltenen Summe den betreffenden Wochen- 
tag angegeben“. Wir nehmen als Beispiel den Todestag des 
Herzogs von Wellington, den 14 Sept. 1852, welcher zufällig 
auch der 100jährige Jahrestag der Einführung des Gregoriani- 
schen Kalenders in England ist. Es gehört nach neuen Stile 
zu dem 

Jahrhundert 1800 die Zahl 5 
Schaltjahr a 
Monat September „ „ 4 
Datum 14 PR NT | 
Die Summe beträgt .... 17 
und dazu gehört der Wochentag Dinstag. 

Wir haben diess Beispiel gewählt, weil Herr Kesselmeyer 
auf einem besonders beigegebenen Blatte ein kleines Versehen 
corrigirt, welches er hier bei der Correctur übersehen hat. 

Ein anderes interessantes Beispiel bietet der 23. April 1616, 
als Todestag der beiden Dichter: Shakspeare und Cer- 
vantes; aber es ist dabei zu beachten, dass in England da- 
mals noch der Julianische Kalender galt, während der Verfasser 


41% 


En ET ES Te ES Er 
Tabelle zur Auffindung der Wochenlage. 


Jahrhunderte Jahre des Jahrhunderts Monate Tage des 
Saecularjahref Jul. und Greg. Kalender des Jahres. Monats. 
33 | zanı. Irahre on ikea) zahl. | Zahl. |Tae. Zahl 
100 6 | 1. 29. 57. 85. bei Jahren im « 1 
200| 5 2. 30. 58. 86. Jahrhundert | 2 
4 3312 159.887. } NE, 3 
: 4. 32 60. SS Januar 5 5 
Februar 1 
1 5 33. 61. 89. Keen N 6 
6. 34. 63. 9. 2 4 
Tel 75 6391. april = 8 
6 1 Ss. 36 64 92 Mai © 9 
5 Juni 2 N 
4 9. 37. 65. 9. Juli 4 10 
3 | 10. 38. 66. 94. August 7 n 
2 11. 39. 67. 95. September 3 12 
1 12. 40. 68. 96. October 5 13 
13.4 412%69,,..97. November 1 K 
. 14. 42. 70. 98. December 3 15 
5 
4 
3 
2 
1 


- 
[er] 
vvers DU pw I9TITPRPWVOVDPRr II HAST PWı rm | 


1 

2 

3 

4 

6 

7 

1 

2 

4 

5 

6 

7 

2 

3 
15. 43. 71. 99. a er 
16. 44. 72. 5 jbei ns: S, 
17. 45. 73. u ER ae 

. Ä 1 

{ 2 

3 

5 

6 

7 

1 

3 

4 

5 

6 


18. 46. 74 Januar 5| 45 20 
19. 47. 75 Februar 1| 75 21 
20. 48 76 März 1| 1 22 
21. 49. 77 a a 
Mai 6| 6$ 24 
22. 50. 78 En n 
5 uni 2| 21 25 
23. ol. 79 hi 6 
24. 52 80. au Be 
August 7| 71 27 
25. 58. 81 September 3| 31 28 
26. 54. 82 October 5| 54 29 
27. 55. 83 November 1| 15 30 
28. 56 84 December 3 5 31 | 
G. = Gemeinjahr : klein gedruckte Zahlen, 
$. = Schaltjahr: felt gedruckte Zahlen. 


m = ——ERHß@ß®RHTR]Äm re 


Summe der addirten Zahlen. | Wochentage. 

2 8 15 22 Sonntag 

— 9 16 23 Montag 

3 10 17 24 Dinstag 

4 11 18 25 Mittwoch 

5 12 19 26 Donnerstag 

6 13 20 2 Freitag 

7 14 21 28 Sonnabend 


EEE EEEESEEEEEEEEEEEEN 


418 


des Don Quixote schon den Gregorianischen Kalender benutzte; 
demnach stellen sich die Rechnungen wie folgt: 


Shakspeare Cervantes 
Jahrhundert: 1600 alter Stil: Zahl = 5 neuer Stil: Zahl = 2 
Schaltjahr: 16 u > gi A — 
Monat: April DO 4 2) „ SE d 
Datum: 23 ver >» „ „.=R 
Summe: 17 14 
Wochentag: Dinstag Sonnabend. 


Shakspeare ist 10 Tage später gestorben als Cervantes. 

Beim (Gebrauch der Tabelle ınuss man natürlich stets wissen, 
ob zu der gegebenen Zeit in dem betr. Lande schon der Gre- 
gorianische Kalender eingeführt war, oder ob noch der Julia- 
nische galt. Ferner ist es von Wichtigkeit ob die gegebene 
Jahreszahl sich wirklich auf chronologische Jahre (1. Jan.— 
31. Dec.) bezieht; in frühern Zeiten wurde nämlich in manchen 
Ländern die Jahreszahl zu Ostern oder zu Weihnachten ge- 
wechselt (25. März oder 25. Dec.). Man muss daher die Jahres- 
zahl mitunter um 1 vermehren oder vermindern. Ueber alle 
diese Puncte gibt die Schrift Kesselmeyer’s Auskunft. So 
wird z. B. meistens angegeben, die Krönung Karls des Grossen 
sei erfolgt am Weihnachtstage des Jahres 800; diess denk- 
würdige Ereignis fand aber in Wahrheit statt am 25. December 
799 (Mittwochs), doch wurde dieser Tag damals als erster 
Tag des Jahres 800 betrachtet. 

In Bezug auf die Einführung des gregorianischen Kalenders 
scheinen mir die Angaben Kesselmeyersbei einigen Ländern 
nicht genau zu sein; so soll z. B. in Frankreich der neue 
Kalender dadurch eingeführt sein, dass man voın 21. December 
1582 gleich zum 1. Januar 1583 übergegangen sei; es erscheint 
diess schon desshalb unwahrscheinlich, weil auf diese Weise 
das Weihnachtsfest übersprungen worden wäre, was die Geist- 
lichkeit doch wol nicht zugegeben hätte, zumal da der Gre- 
gorianische Kalender gerade auf Betrieb der katholischen Kirche 
eingeführt wurde. Ausserdem aber gibt Prof. v. Schmöger 
in seiner kleinen oben erwähnten Schrift (S. 28, $ 29) an, dass 
in Frankreich vom 10. auf den 21. December 1582 fortgezählt 
sei. In gleicher Werse differiren die Angaben für Holland; 
Kesselmeyer gibt als Uebergangsepoche an: 25. Dec. 1582 


419 


bis 5. Jan. 1583; v. Schiumöger dagegen den 14. bis 25. Dec. 
1582. Die Verschiedenheiten sind, wie man sieht, nicht be- 
deulend, sie mussten aber doch constatirt werden, vielleicht 
kann Herr Kesselmeyer die Angelegenheit vollständig auf- 
klären. — 

Nro. 2, der „stellbare Monatskalender“ beruht anf dem- 
selben Princip wie die eben besprochene Tafel. Was dot 
durch eine Addition erreicht wurde, geschieht hier durch eine 
einfache Verschiebung von 2 Pappstreifen; der eine wird für 
jedes Jahrhundert eingestellt, der andere aber für jeden Monat, 
so dass man jedesmal den Kalender für den ganzen Monat 
übersehen kann. Er umfasst für den alten Stil die Zeit von 
1 bis 3000 n. Chr., für den neuen die Zeit von dessen Ein- 
führung ebenfalls bis zum Jahre 3000. Die Rückseite der Tafel 
enthält wiederum die nöthigen Angaben über die Einführung 
des Gregorianischen Kalenders, sowie über die alten, nicht 
chronologischen Jahre. Diese Tafel eignet sich vortrefflich zu 
einem kleinen immerwährenden Wandkaiender. 

Wir Kommen nun zu Nro. 3, dem stellbaren Universal- 
kalender; dieser liefert durch eine doppelte, genau genominen 
durch eine dreifache Einstellung den Kalender gleich für ein 
ganzes Jahr — selbstverständlich mit Ausnahme des astro- 
nomischen Theils. Dagegen findet man die sämmtlichen be- 
weglichen und unbeweglichen Sonn- und Festtage der Katholiken 
und Protestanten, Heiligentage u.s. w. Die Einrichtung beruht 
hauptsächlich auf dem Gedanken, dass es mit Rücksicht auf 
die Wochentage nur 7 verschiedene Kalender gibt, je nachdem 
irgend ein bestimmtes Datum auf einen Sonntag, Montag... 
Sonnabend fällt. Demgemäss sind die sämmtlichen Daten eines 
Jahres auf eine von rechts nach links verschiebbare Tafel in 
13 vertikale Spalten angeordnet; je 7 von diesen 13 Spalten 
enthalten aber schon alle Tage des Jahres, die übrigen 6 siud 
Wiederholungen, wie diess aus dem folgenden Beispiel zu er- 
sehen ist, welches den März und den Anfang des Apnils darstellt: 


8 9|10| 11 12 | 13 14 | 15|1|16 117 |18| 19 
15 | 16 | ı7 | 18 | 19 | 20 | 21 |22 | 23 23 | 25 | 26 | 27 
EC EIERN EDIEZEEN EN EIN 851 an 


|_29 | 30 315 VIREN TER EIER 


IK) 
Zeitschr. f.d. ges. Naturwiss, Bd. XXXVIII, 1871. 30 


420 


Von dieser beweglichen Tafel sind bei jeder Stellung nur 
7 nebeneinanderstehende Spalten sichtbar, die andern 6 werden 
stets durch zwei vertikale Pappstreifer verdeckt; man über- 
sieht also bei jeder Stellung gerade die sämmtlichen zu einem 
Jahre gehörenden Datumzahlen vom 1. Jan. bis zum 31. Dec, 
dabei findet ınan in der ersten Spalte alle Sonntage des Jahres, 
in der zweiten die Montage u, s. w. - Von den beiden eır- 
wähnten vertikalen Pappstreifen, welche den sichtbaren Theil 
dieser Tafel abgrenzen, enthält der erste, links befindliche, 
die Namen sämmtlicher Sonntage und die übrigen beweglichen 
Feste, er kann demgemäss auch von oben nach unten geschoben 
werden, so dass namentlich die Bezeichung ‚Ostern‘ jedes- 
mal vor das richtige Datum des Osteriestes tritt; die übrigen 
beweglichen Feste: Himmelfahrt, Pfingsten u.s.w. sind dann von 
selbst vichtig. Weil nun Ostern um 5 Wochen schwanken 
kann, so kann dieser Streifen um 5 Stufen auf und abwäıts 
geschoben werden. Da aber, wie vorher erwähnt, die Tafel 
mit den Datumzahlen in 7 verschiedene Stellungen gebracht 
werden Kann, so kann man in der That die 35 möglichen 
Kalender (siehe oben S. 397) einstellen. Die unbeweglichen 
Feste u. s. w. sind auf dem zweiten, rechter Hand befindlichen 
Streifen dem Datum nach angegeben. Zur Einstellung dieses 
Kalenders dient eine grosse Ostertabelle, welche für jedes Jahr 
das Osterfest durch eine der Zahlen 1 bis 35 bezeichnet; Kes- 
selmeyer nennt diese Zahlen Kalendernummern. Cla- 
vius gebraucht in ähnlicher Weise die Bezeichnung Kalen- 
derschlüssel; in der That bestimmt ja der Tag des Oster- 
festes den ganzen Kalender. Nur wegen der Verschiedenheit 
zwischen Schalt- und Geieinjahren ist noch eine besondere 
Einrichtung nöthig, diese ist von Kesselmeyer ganz beson- 
ders sinnreich erdacht. Der Theil der Datumtafel welcher für 
den Januar und Februar dient hat nicht 13 sondern 14 Spalten 
und ist auf der Tafel selbst um 1 Spalte verschiebbar; bei 
einen Gemeinjahr schiebt man den 28. Februar unmittelbar 
vor den 1. März, bei einem Schaltjahre wird dieser obere Theil 
um eine Spalte nach links geschoben und es erscheint an der 
Stelle wo vorher die 28 stand, jetzt eine 29; dieselbe würde 
also in dem oben abgedruckten Theile der Tabelle gerade über 
der Zahl 7, in der mittelsten Spalte stehen. Es ist diess 


421 


die einzige Spalte, welche bei jeder Stellung der Tafel sichtbar 
bleibt. — Sämmtliche Theile dieses Kalenders sind mit Leitern 
gedruckt und die exacte Ausführung macht der Blochmann- 
schen Druckerei zu Dresden alle Ehre; fast noch schwieriger 
aber war die Arbeit des Buchbinders, weil das Papier beim 
Aufkleben sich leicht dehnt und die Tabellen dann nicht zu- 
sammenpassen; das ist aber hier glücklich vermieden, es stimmt 
vielinehr alles so gut, wie es bei dieser Art von Arbeiten nur 
verlangt werden kann. 

Die beiden oben unter Nro. 4 und Nro. 5 angezeigten 
Werke Kesselmeyers sind mir bis jetzt noch nicht bekannt 
geworden, ich behalte mir eine Besprechung derselben bis zu 
ihrem Erscheinen vor und empfehle einstweilen die 3 ersten 
Nummern allen Liebhabern aufs angelegentlichste. 


Ein neuer stellbarer Kalender. 

Schon ehe ich die Kesselmeyerschen Kalender kennen 
lernte, war ich damit beschäftigt einen stellbaren Kalender zu 
construiren, der für eine möglichst lauge keihe von Jahren 
nicht blos die Monats- und Wochentage, sondern auch das 
Osterfest anzeigen sollte. Als Grundlage für meinen Plan 
diente ein kleiner stellbarer Kalender, den ich zufällig kennen 
gelernt hatte, desser Ursprung mir aber leider nicht mehr 
bekanut ist. Er besteht aus einer kreisförmizen Scheibe, an deren 
Rande sich ein in 28 gleiche Felder getheilter Ring befindet; 
7 von diesen Feldern, welche also ger:de einen Quadranten 
ausmachen, enthalten die Sonntagsbuchstaben 4 bis G, das 
Feld vor_4 und das hinier @ ist frei, die übrigen 19 sind aus- 
gefüllt mit den Bezeichnungen für die Wochentage von fast 
3 Wochen, nämlich von einem Montag bis zum dritten Freitag. 
Diese kreisrunde Scheibe ist drehbar auf oder in einer grössern ° 
Tafel, welche oben folgende, bogenförmig angeordnete Ta- 
belle trägt: 


Januar | Februar Sepiemb. April 
—. n nn nn nn nn nn ne — 
| Mai August | März Juni | 
| en] 10ER ONE BR 
| | ! 
October | ent | Deecmb, 
\ 


Juli | 


30 * 


422 


Diese Tabelle schliesst sich mit ihrer Krümmung genau 
an die drehbare Scheibe an und es passen die 7 Spalten 
genau auf 7 Felder des oben erwähnten Ringes, so dass diese 
Tabelle gerade einen Quadranten eines grössern Ringes aus- 
füllen würde. — Unter der drehbaren Scheibe befinden sich 
in ähnlicher Anordnung die Zahlen von 1—31, immer je 7 
in einer Reihe. Endlich ist in der Mitte der drehbaren 
Scheibe eine Tabelle angebracht welche für jedes Jahr inner- 
halb eines beliebigen Zeitraums den Sonntagsbuchstaben an- 
gibt. Man hat dann nur nölhig die drehbare Scheibe so zu stellen 
dass der an ihrem Rande befindliche Sonntagsbuchstabe des betr. 
Jahres gerade unter dem gesuchten Monat steht, dann findet man 
unten, über den Zahlen 1—31 die zugehörigen Wochentage. 

Dieser Kalender hat später — Dank einem hochverdien- 
ten Mitgliede des „naturwissenschaftlichen Vereins für Sıchsen 
und Thüringen“ eine ziemliche grosse Verbreitung und in 
Folge dessen allgemeinen Beifall gefunden, so dass ich mich 
veranlasst sah, denselben wo möglich noch praktischer ein- 
zurichten. Es gefiel mir nämlich nicht, dass die Wochen in 
die jeder Monat zerfällt, stets von I—7, von 8—14 u.s.w laufen 
und daher fast in jedem Monat mit einem andern Wochentage 
beginnen müssen. Es schien mir für die Uebersichtlichkeit 
bequemer zu sein, wenn jede Woche mit einem Sonntag be- 
gönne. Ausserdem war es ein Mangel, dass der Kalender das 

Osterfest, welches ja nicht blos für die Kirche, sondern auch 
für das bürgerliche Leben von Wichtigkeit ist, nicht angab. 
In beiden Beziehungen suchte ich den Kalender zu vervoll- 
kommenen; das Resultat meiner Bemühungen ist auf den bei- 
den, diesem Aufsatz beigegeben Tafeln enthalten. 

Von diesen Tafeln ist die erste als Haupttafel anzusehen, 
auf ihr sind die schattirten Stellen auszuschneiden; die zweile, 
die Hilfstafel, ist concentrisch und drehbar hinter der ersten 
anzubringen, so dass stets 7 Sonntagsbuchstaben und 31 Zah- 
len durch die ausgeschnittenen Stellen sichtbar sind. Die auf den 
schattirten Stellen angedeuteten Zahlen und Buchstaben be- 
deuten eine beliebige, beispielsweise gewählte Stellung der 
Hilfstafel. Der Gebrauch ist ähnlich wie bei dem vorhin be- 
schriebenen Kalender: Man sucht zuerst in der linker Hand 
befindlichen Tabelle, welche sich durch. die darüberstehende 


423 


Sonne als Sonneneirkel zu erkennen gibt, den Sonntagsbuch- 
staben des Jahres auf, dann hat man weiter nichts zu tun, 
als die Hilfstafel durch Drehung in die Stellung zu bringen 
dass dieser Buchstabe unter dem gesuchten Monat steht: 
man findet dann unten den Kalender dieses Monats, Das 
Jahr 187i z. B. hat den Sonntagsbuchstaben 4, dieser ist in 
der Zeichnung beispielsweise auf Februar, März und November 
eingestellt, so dass man unten den Kalender für diese drei 
Monate findet, Dieselbe Stellung gilt aber ferner auch für 
den Juni 1870 (Sonntagsbuchstabe B) u. s. w. Für Schalt- 
jahre sind natürlich immer zwei Sonntagsbuchstaben angege- 
ben, von denen der eine für Januar und Februar gilt, der 
zweite für die andern zehn Monate des Jahres; wir haben 
also im Jahre 1872 zuerst den Sonntagsbuchstaben G, vom 
1. März an aber F, so dass die vorhin erwähnte Stellung der 
Hilfstafel auch für den Mai 1872 gelten wird. 

Zur Bestimmung des Osterfestes dient die Tabelle rechts 
welche durch den darüber befindlichen Mond sogleich als 
Mondeirkel characterisirt wird; man findet darin nicht nur die 
jetzt geltenden Ostervollmonde sondern auch die nach 1900 
zur Geltung kommenden. Die goldenen Zahlen sind zwar in 
der Mitte angegeben, es sind aber (zur Ersparung der Division 
mit 19) die Jahreszahlen von 1843 bis 1956 hinzugefügt, so 
dass man für jedes dieser 114 Jahre den Ostervollmond ohne 
weiteres ablesen kann. Die Tabelle des Sonnencirkels gibt 
dann die Möglichkeit den Kalender für den betreffenden März 
oder April einzustellen, so dass man das Datum des Oster- 
festes als des auf den Ostervollmord folgenden Sonntags ohne 
Rechnung zu finden im Stande ist. Beide Tabellen, die des 
Sonnencirkels sowol wie die des Mondcirkels, können auch 
noch weiter fortgesetzt werden; bei der ersten hat man nur 
in den Saecularjahren auf die Gregorianische Einschaltungs- 
form zu achten, bei der zweiten dagegen auf die oben ange- 
gebenen Regeln über die Verschiebung der Ostervollmonde, 
die sich freilich nicht in wenig Worte zusammenfassen liessen; 
für die Zeit bis 1700 rückwärts und bis 2199 vorwärts blei- 
ben aber die Ostervollmonde der vorliegen Tafel ungeändert, 
so dass man mit Hilfe derselben die Osterfeste wenigstens 
von 5 Jahrhunderten leicht bestimmen kann. | 


424 


In der Mitte enthält mein Kalender noch eine Tabelle der 
beweglichen und unbeweglichen Sonn- und Festtage, sowol 
für die protestantische als die katholische Kirche, zugleich 
auch einige andere Tage welche traditionsmässig für die Na- 
turwisseuschaft, namentlich für die Meteorologie ein gewisses 
Interesse haben, so z, B. die gestrengen Herren im Mai, den 
Tag des heiligen Laurentius, dessen Thränen als Sternschnuppen 
zur Erde fallen u. s. w. Die Auswahl ist natürlich — wie 
diess überhaupt nicht anders möglich — ziemlich willkürlich 
und wurde unter andern auch durch Rücksichten auf den 
Raum bestimmt. — Die Zeichen für die Planeten und die 
Sternbilder bei den Wochentagen und Monaten bedürfen wol 
keiner Erklärung weiter. Das Sternbild des Widders, in wel- 
ches die Sonne beim Frühlingsanfaug eintritt, so wie der 
„kleine Bär‘ mit dem Polarstern sollen ebenso wie die Sonne 
und der Mond nur zur Ausfüllung der weissen Ecken und als 
eine kleine nicht ganz unpassende Decoration dienen. 

Mit dem Universalkalender Kesselmeyers (siehe vor- 
her S. 415 Nro. 3) hält natürlich mein stellbarer Kalender keinen 
Vergleich aus, wol aber kann man ihn mit dessen Monats- 
kalender (Nro. 2) in Parallele stellen; denn wenn er auch 
nicht auf einen so grossen Zeitraum berechnet ist, so leistet 
er dafür in der Zeit seiner Giltigkeit um so mehr. Und einen 
Vorzug dürfte er auch vor dem Universalkalender Kessel- 
meyers haben: dieser letztere gibt nämlich nur an auf 
welchen Tag Ostern fällt, während der meinige zugleich zeigt, 
wie dieser Termin bestimmt wird. — Dass sich mein Datum- 
zeiger in sehr einfacher Weise auch auf den Julianischen Ka- 
lender übertragen lässt, brauche ich wol nicht weiter an- 
zuführen, 


Die Gauss’sche Osterformel. 


Ich bin veranlasst worden an dieser Stelle auch die von 
Gauss erfundene Methode zur Berechnung des Osterfestes 
nicht nur vollständig mitzutheilen, sondern wo möglich auch 
zu erklären. Diese Methode gilt für den Julianischen und den 
Gregorianischen Kalender und lässt sich folgendermassen tabel- 
larisch darstellen: 


425 


Man dividire durch und a den 
1) die gegebene Jahreszahl ö 1 a era 
2)L0,; ” ; EN, 4 b 
3) ” > PH » T c 
4) die Zahl 19a + m 30 d 
5) ” ”» 2b + dc, + 6d + q 7 | ce 


dann fällt Ostern 
auf den (22 + d + ejten März 
resp, den (d + e — 9)ıen April, 
Die beiden Zahlen » und g, welche hier vorkommen, 


sind in Julianischen Kalender constant, im Gregorianischen aber 
veränderlich. Er ist nämlich im Julianischen Kalender stets: 
m—lbudg=6; 
im Gregorianischen Kalender dagegen unterliegt q den Ver- 
änderungen der Sonnengleichung, so dass man folgende Tabelle 
dafür hat: | 
von 1583 bis 1699 ist qg = 
10 LI — 
ee gunn a 
219002, 2090 7..0) — 
2400... 219090201 — 
3.220010. 2209 0, — 
22300 0,2024998.. 20, — 
u. Ss. w. 
(siehe S. 401 und 402) 
Die Zahl m aber unterliegt, wie der Ostervollmond der 
Sonnengleichung und der Mondgleichung; es ist nämlich: 
von 1583 bis 1699 m = 22 
ST NORM LEO 2 
EU Re DIN Ha 2 
ZA nn 
2300 sam — 26 
„ 2400 „ 2499 m = 25 
u. S. w. 
(siehe S. 409 und 410) 


ooouePwm 


426 


Da es nur auf die Reste ankommt die bei den einzelnen 
Divisionen übrig bleiben, lässt man g nicht über 6 wachsen, 
sondern setzt statt 7 die Zahl 0, und auch bei m setzt man 
im Jahre 3400 statt des Werthes 30 ebenfalls wieder 0, 

Jm Julianischen Kalender ist also die Anwendung der 
Gauss’schen Formel einfacher als im Gregorianischen; in 
diesem letzterm kommt aber zu der Veränderlichkeit der bei- 
den Zahlen =» und g noch eine doppelte Ausnahme: 1) Wenn 
die Rechnung den 26. April ergibt (wie z. B.. im Jahre 1981) 
so ist stets der 19. April zu nehmen. 2) Wenn die Rech- 
nung den 25. April ergibt, so ist der 18. April zu nehmen, 
aber nur dann wenn gerade a grösser als ist 10, z. B. im Jahre 
1954, wo a = 16, nicht aber im Jahre 1943, wa =5, 

Diese Unbequemlichkeiten können aber nicht der Formel 
zur Last gelegt werden, sondern sie sind durch die ganze 
Einrichtung des Kalenders bedingt: Die Veränderlichkeit von 
m und g hat ihren Grund in der Verschiebung des Sonnen- 
und Mondcirkels, die oben an den angegebenen Orten bespro- 
chen sind. Die beiden letztgenannten Ausnahmen aber sind 
Folge der Bestimmung dass der Ostervollmond vom 19. April 
auf den 18., respective vom 18. auf den 17. verschoben wer- 
den soll (s. S. 410-411). Ueberhaupt ist in der Gauss’schen 
Osterformel fast alles was oben über die Einrichtung des Ka- 
lenders gesagt ist, in mathemathischer Kürze enthalten und 
ein Beweis der Formel ist daher nicht ganz einfach. Gauss 
selbst, der sie zuerst im Jahre 1800 in der v. Zach’schen 
monatlichen Correspondenz (Il, 121) veröffentlichte, hat keinen 
Beweis dazu gegeben. Zu seiner Specialformel für die Zahl 
m gaben später Lindenau und Bohnenberger in der 
Zeitschrift für Astronomie (1816) eine Berichtigung, welche 
aber erst vom Jahre 4200 an praktisch wird (siehe oben S. 409). 
Später haben Delambre, Tittel und Piper noch Formeln 
für das Osterfest aufgestellt, ohne deren Uebereinstimmung mit 
der Gauss’schen Formel nachzuweisen. Sodann hat F. v. 
Schmöger in seinem schon mehrfach erwähnten, 1854 er- 
schienenen „Grundriss der christlichen Zeit- und Festrechnung“ 
(8. 74—81) einen Beweis für die Gauss’sche Formel mit- 
gelheilt, der zwar kaum 6 Seiten lang ist, der aber doch 
durch viele Hinweisungen auf frühere Paragraphen des Buches 


427 


etwas unbequem ist; auch wird in demselben die Correction 
von Lindenau und Bohnenberger nicht erwähnt. Erst 
ganz vor kurzem hat Herr Prof, Kinkelin in Basel in der 
„Zeitschrift für Mathematik und Physik von Schlömilch, 
Kahl und Cantor“ (Jahrgang 1870, S. 217) einen voll- 
ständigen Beweis geliefert, der zugleich auch alle Ansprüche 
befriedigt, die man in Bezug auf Kürze und Klarheit an einen 
mathematischen Beweis zu stellen pflegt. Nur zweierlei 
möchte ich dazu bemerken: Erstens die Correction des Gre- 
gorianischen Einschaltungsmodus (siehe oben S. 401) muss 
spätetestens anno 4000 erfolgen, es hätte also bei den For- 
meln für =» und g ebensogut darauf Rücksicht genommen 
werden müssen, wie auf die anno 4200 eintretende Correction 
des Mondeirkels. — Sodann glaube ich, dass die Darstellung 
noch gewonnen hätte, wenn der geehrte Herr Verfasser statt 
des Symbols welches er für die bei den Divisionen übrig- 
bleibenden Reste gewählt hat, dass bekannte Gauss’sche 
Zeichen für die Congruenz zweier Zahlen angewandt hätte, 
Ich will in folgenden versuchen, die Richtigkeit der 
Gauss’schen Formel, d. h. ihre Uebereinstimmung mit unsern 
obigen Regeln möglichst allgemein verständlich nachzuweisen, 


Zunächt sieht man ohne weiteres, dass die Zahl a, 
welche bei der Divisien der Jahreszahl durch 19 übrigbleibt, 
die goldene Zahl ersetzt (s. S. 390), sie ist gerade um 1 
kleiner, sodass (a + 1) die goldene Zahl selbst ist. Wenn 
nun @ = 0 oder die goldene Zahl = 1 ist, so fällt im Juli- 
anischen Kalender der Ostervollmond nach den obigen Tabel- 
len auf den 5. April, oder wenn man die Tage des März bis 
in den April fortzählt, auf den 36. März, das ist auf den 
(21 + 15)tn März; in jeden folgenden Jahre fällt der Voll- 
mond um 19 Tage später, also bei @ = 1 um 19 Tage, bei 
a= 2 um 19 >< 2 Tage u. s. w., überhaupt um 19 > a 
Tage, wobei selbstverständlich darauf zu achten ist, dass man 
sich nie um mehr als 30 Tage vom 21. März entfernen darf, 
sobald also die Zahl 19 + 15 grösser wird als 30, darf 
man nur den nach Subtraktion von 30, 60, 90 ..... übrig- 
bleibenden Rest nehmen; dieser Rest heisst in der Gauss’- 
schen Forınel d, und man sieht, dass er das Datum des Oster- 


428 


vollmondes bestimmt. Der Ostervollmond fällt nämlich im 
Julianischen Kalender stets auf den (21 + d)te" März oder, 
wenn diese Zahl grösser wird als 31, auf den (10—d)ten 
April, 

Im Gregorianischen Kalender fällt der Ostervollmond im 
allgemeinen auf ein um, 8... Tage späteres Datum; man muss 
also die Zahl d um ebensoviel grösser machen. Diess er- 
reicht man dadurch, dass man statt der 15 die veränderliche 
Zahl m einsetzt, über deren Schwankungen die Tabelle auf 
S, 409 Auskunft gibt. Auf die beiden Ausnahmen beim 
Ostervollmond, am 18. und 19. April, braucht hier noch keine 
Rücksicht genommen zu werden, da die betreffende Correction 
schliesslich am Ostersonntage angebrach‘ werden kann. 

Da nun das Osterfest höchstens eine Woche nach dem 
Ostervollmonde fällt, so erhält man das Datum des Ostersonn- 
tags, wenn man — je nach dem Wochentage des Ostervoll- 
vollmonds — eine der Zahlen 1, 2, 3, 4, 5, 6 oder 7 zum 
Datum des Ostervollmonds addirt. Die Gauss’sche Formel 
liefert diese Zahl in der Form 1 + e, so dass die Zahl e 
selbst die 7 Werthe 0, 1, 2, 3, 4, 5 oder 6 haben kann; sie 
bedeutet also die Zahl der Tage zwischen Ostervollmond und 
Ostersonntag, wenn man beide Termine nicht mit zählt. 
Bei der Berechnung wird nachher die 1 mit der 2] verbun- 
den, so dass man den (22 + d + e)te= März, resp. den ent- 
sprechenden Tag im April als Datum des Ostersonntags findet. 
Es bleibt noch übrig nachzuweisen, warum man die Zahl 
e gerade so berechnen muss, wie es Gauss vorschreibt. 
Dieser Beweis ist zwar nicht so einfach, wie der für das 
Datum des Ostervollmondes, ich hoffe aber auch ihn in einer 
für Nicht-Mathematiker fasslichen Forın geben zu können; 
ich benutze dabei nur einen ganz einlachen Satz, der ohne 
weiteres verständlich sein wird. Er lautet in einer für unsere 
Zwecke speecialisirten Form folgendermassen: 

Wenn eine Zahl ein Vielfaches von 7 ist, oder, was 
dasselbe sagt: Wenn eine Zahl durch 7 ohne Rest theilbar ist, 
so kann man diese Zahl 1) mit irgend einer ganzen Zahl 
multipliciren oder 2) um irgend ein Vielfaches von 7 ver- 
mehren oder vermindern, ohne die Theilbarkeit durch 7 auf- 
zuheben, 


429 


Wir gehen bei unserer Berechnung aus vom 21. März 
des Jahres 1. v. Chr., d. i. desjenigen Jahres welches Diony- 
sius Exiguus als das Geburtsjahr Christi betrachtet und 
welches Herr Prof. Kinkelin in seinem oben citirten Aufsatz 
mit einem nicht ganz genauen Ausdruck als das Jahr 0 be- 
zeichnet hat. Dieser Tag war ein Sonntag, denn nach unserer 
Tabelle auf S. 393 galt im Jahre 1. v. Chr. nach dem Julia- 
nischen Kalender vom 1. März an der Sonntagsbuchstabe C. 
An jedem beliebigen Sonntage des Julianischen oder Gre- 
gorianischen Kalenders, speciell an jedem Osterfeste sind also 
seit jenem Tage eine durch 7 theilbare Zahl von Tagen ver- 
flossen. Um nun die Anzahl der Tage zu bestimmen welche 
vom 21. März des Jahres 1 v. Chr. bis zum Osterfeste eines 
beliebigen Jahres mit der Jahreszahl 7 verflossen sind, gehen 
wir zunächst nur bis zum 21. März desselben Jahres ©. Wenn 
es keine Schaltjahre gegeben hätte, wäre die Zahl dieser Tage 
gerade 365 >< 7; da aber seit jener Zeit im Julianischen 
Kalender jedes vierte Jahr ein Schaltjahr war, so muss man 
die Zahl © erst noch durch 4 dividiren. Geht die Division 
nicht auf, so heisst der Rest nach der Gauss’schen Formel 5 
und es muss dann die Zahl @— db durch 4 ohne Rest theilbar 
sein, so dass 4/,><(d?— 5) genau gleich der Zahl der im 
Julianischen Kalender stattgehabten Schalttage ist. Demnach 
beträgt die Zahl der Tage vom 21. März des Jahres 1 v. 
Chr. bis zum 21. März des Jahres © nach Chr. (im Julianischen 
Kalender): 

365 >: + 1, >< (dd — b). 

Bis zum ÖOstervollmonde verfliessen dann wie oben ge- 
zeist nach d Tage und von da bis zum Ostersonntage noch 
1 + e Tage, so dass man vom 21. März im Jahre 1 v. Chr. 
bis zum Osterfeste des Jahres 7 nach Chr. gerade 

3657 +1, @—b)+d+i-+re 
Tage zu rechnen hat. Diese Zahl repräsentirt, wie oben 
auseinandergesetzt ist, irgend eine Anzahl von Wochen und 
muss also ein Vielfaches von 7 sein. Da man nun alle Posten 
dieser Summe bis auf die Zahl e kennt und zugleich\weiss, 
dass e kleiner sein muss als 7, so lässt sich die Grösse von 
e ausrechnen, man hat nur nöthig die andern Posten der 


430 


Summe zusammenzuzählen und nachzusehen wieviel Einheiten 
bis zum nächstgrössern Vielfachen von 7 noch fehlen. 


Diese numerische Berechnung lässt sich aber bedeutend 
vereinfachen, wenn man die genannte Summe in eine bequemere 
Form bringt; man hat dabei nur darauf zu achten, dass sie 
immer durch 7 theilbar bleibt. Zu diesem Zweck addiren 
wir zuerst die Tfache Zahl der Schalttage, also 7, >< (© — b), 
welche mit 4, >< (€ — b) vereinigt 2 >< (@—b) ergibt; da- 
durch wird der Bruch beseitigt und es ergibt sich: 

365 ><d +2><@—b)+d+i-+te 
hier für kann man auch schreiben: 
365.7. + —?2b+d+i-rte 
oder auch: 
3677—2b+d+i-te. 

Um nun auch noch das Minuszeichen vor 25 wegzu- 

schaffen addiren wir 75, dadurch erhält man: 

3677 +56 +d+1i+e, 
welche Summe zwar grösser ist als die ursprüngliche, aber 
immer noch ein Vielfaches von 7 darstell, Zur weitern 
Vereinfachung nehmen wir davon weg: 

3647=(1><52)Xi, 

dann bleibt übrig: 

3i+5d+d+i-+te. 

Diese Summe ist immer noch durch 7 theilbar und könnte 
sehr bequem zur Berechnung von e dienen, um sie aber in 
die von Gauss angegebene Form zu bringen, multipliciren 
wir erst noch die Jahreszahl @ mit 7, und subtrahiren unsere 
ganze Summe von dem erhaltenen Product 77; der dabei übrig- 
bleibende Ausdruck ist: 

K—5b—d—1-—e, 
und dieser behält seine Eigenschaft, durch 7 ohne Rest theil- 
bar zu sein, auch wenn wir noch 


7b +T7d+TN 
hinzuzählen ; dabei ergibt sich 
+25 +6d+6—e. 
Hierin ist nur noch eine unbequeme Zahl enthalten, 
nämlich die Jahreszahl i, welche ja in den meisten Fällen 


.431 


sehr gross ist; um auch diese durch eine Kleinere zu ersetzen 
schreiben wir die letzte Summe folgendermassen: 
et. +.i+.+25+6d+6—e 
und subtrahiren nun von jedem 2 ein möglichst grosses Viel- 
faches der 7; dann bleibt nach Angabe der Gauss’schen 
Formel bei jedem ’ ein Rest ce übrig und die Summe ver- 
wandelt sich in: 
c+c+c+c+?25+6d-+6--e, 
welche wir nun wieder kurz zusammenfassen: 
4c+2b5b+6d+6—e. 

In dieser durch 7 theilbaren Summe sind nun nicht blos 
alle Glieder, bis auf das gesuchte e, bekannt, sondern sie sind 
auch leicht zu berechnen; hat man nun ihre Summe: 

2b +ic+6d+6 
gefunden, so ist diese, weil e noch nicht subtrahirt ist, um e 
zu gross, d, h. wenn man diese Summe durch 7 dividirt, so 
geht die Division nicht ohne Rest auf, sondern es bleibt e 
als Rest übrig. 

Demnach muss also die Zahl e, d. i. die Zahl der Tage 
welche zwischen dem Ostervollmonde und dem Ostersonntage 
verfliessen, im Julianischen Kalender in der That so berechnet 
werden, wie es die Gauss’sche Formel vorschreibt. Da nun 
aber im Gregorianischen Kalender bei jedem ausfallenden 
Schalttage der Sonneneirkel mit den Sonntagsbuchstaben sich 
um eine Stelle verschiebt, so muss sich hier die Zahl e 
in jedem nicht durch 400 theilbaren Saecularjahre um eine 
Einheit ändern. Man erreicht diess dadurch, dass man statt 
der Zahl 6 die veränderliche Zahl g benutzt; welche natür- 
lich nur zwischen 0 und 6 zu schwanken braucht, grösser 
braucht man sie nicht zu machen, man kann vielmehr statt 
der 7 wieder 0 nehmen, weil es ja nur auf den Rest an- 
kommt, der bei der Division mit 7 herauskommt. 

Dass man aber die Zahl y bei jedem ausfallenden Schalt- 
tage um I vergrössern muss (siehe oben die Tabelle auf 
S. 425) erklärt sich durch folgende Ueberlegung: Der Oster- 
vollmond fällt auf ein bestimmtes Datum nämlich den 
(21 + d)ien März, resp. (d — 10)!en April; wenn nun im Fe- 
bruar ein Tag weniger vorhanden gewesen ist, als ursprüng- 
lich in der Formel angenommen war, so fällt dieses Dalum 


432 


in der betreffenden Woche um einen Wochentag früher, z. B, 
auf einen Dinstag statt auf einen Mittwoch, man muss also 
zwischen Ostervollmond und Ostersonntag einen Tag mehr 
verstreichen lassen, d. h. die Zahl e um 1 vergrössern. Nur 
in dem Falle, dass der Ostervollmond von einem Sonntag auf 
den vorhergehenden Sonnabend verschoben wird, rückt der 
.Ostersonntag um eine Woche vor, wobei sich e=6 ne=!( 
verwandelt. 

Ich will die Anwendung der Gauss’schen Formel noch 
an einem Beispiel zeigen und dasselbe zugleich zur Kecapi- 
tulation ihrer Theorie benutzen, ich wähle dazu das Jahr 
1700, in welchem die Gregorianische Einschaltungsregel zum 
ersten male zur Anwendung gekommen ist. Es soll zunächst 
das Julianische Osterfest berechnet und daraus das Gregori- 
anische abgeleitet werden. Die Anwendung der Formel er- 
gibt ohne weiteres folgende Tabelle: 

1700 durch 19 gibt 89; Rest9 = a; 
1700 durch 4 gibt 425; Rest 0 = 5; 
1700 durch 7 gibt 242; Rest 6 = c; 
19a +15 =199 +15 = 171 +15 =186, 
186 durch 30 gibt 6; Rest6 = d; 
25 +4c+6d+6=0 +24+36 +6=66, 
66 durch 7 gibt 9; Best 3 = e; 
demnach fällt der Ostervollmond auf den 
21 +6 = 27. März, 
der Ostersonntag auf den 
22+6 +3 = 31. März. 

Die Bedeutung dieser Berechnung ist nach der obigen Aus- 
einandersetzung leicht einzusehen; da «=9 ist, so sind im 
Jahre 1700 seit Beginn des ersten Mondeirkels nicht nur 89 
volle Mondcirkel verflossen, sondern auch noch 9 Jahre des 
901; 1700 ist das 10, Jahr desselben, Im ersten Jahre des- 
selben, also anno 1690, war der Julianische Vollmond, wie in 
jedem ersten Jahre eines Mondeirkels, am 5. April oder 15 
Tage nach Frühlingsanfang; anno 1691, wo a=1 war, fiel 
der Aprilvollmond 19 Tage später, d. h. am 24, April; da 
diess ein zu später Termin für den Ostervollmond ist, muss 
man um 30 Tage zurückgehen, also auf den 25. März. Im 
Jahre 1692 (a=2) muss man zum 2a Mal 19 Tage vorwärts 


433 


gehen, das gibt den 13. April. So geht es fort: in jedem 
folgenden Jahre muss man um 19 Tage vorwärts gehen, elwa ein 
Jahr ums andere aber wieder 30 Tage zurück; es liegt auf 
der Hand dass man diese Subtractionen schliesslich nuf ein- 
mal ausführen kann. Bei «= 9 muss man also neunmal 19 
oder 171 Tage vorwärts gehen, was den 171 + 15 = 186ter Tag 
nach Frühlingsanfang ergeben würde; hätte man in den be- 
treffenden Jahren jedesmal die Zahl 30 subtrahirt, so wäre 
natürlich nach sechsmaliger Subtraction nur 6 herausgekom- 
men, woraus man sieht, dass der Julianische Ostervollmond 
des Jahres 1700 auf den 6 Tag nach Frühlingsanfang d. h. 
auf den 27. März fallen musste, wie es oben direct aus der 
Formel entwickelt wurde. 

Um nun zu sehen wie viel Tage noch bis zum Oster- 
sonntage vergehen müssen, schlagen wir wieder den oben an- 
gegebenen Weg ein: wir berechnen die Zahl der Tage welche 
vom Sonntag den 21. März des Jahres 1 v. Chr. vergangen 
sind bis zum Sonntag nach dem 27. März 1700; diese durch 
7 ohne Rest theilbare Zahl setzt sich zusammen aus folgenden 
Posten: 

1) 1700 Jahre von mindestens 365 Tagen, 

2) dazu kommt in jedem vierten Jahre ein Schalttag, 

das macht !/, >< 1700 Schalttage, 

3) die 6 Tage vom 21. März bis zum 27. März 1700, 

4) die vorläufig noch unbekannte Zahl von Tagen vom 

27. März bis zum nächsten Sonntag. 

Wir bezeichen den letzten Posten wieder mit 1 + e 
und finden dann, dass vom 21. März anno 1 v. Chr. bis zum 
Julianischen Osterfeste 1700 genau 

(365 >< 1700) + (4 >< 17005 +6 +1 -+e 
Tage verflossen sind. Rechnet man diese Summe numerisch 
aus, So ergibt sich: 

620500 +425 +H+6-+1+e= 620932 + e. 

Da diese Zahl von Tagen gerade eine ganze Anzahl 
von Wochen repräsentirt, so muss sie durch 7 theilbar sein; 
es ist aber: 

IT >< 88704 620928, 
7 >< 88705 = 620935, 
folglich fehlen an der 88705! Woche noch 3 Tage, woraus 


( 


434 


hervorgeht, dass e = 3 ist, wie es auch die Gauss’sche 
Formel ergibt. 

Man kann aber die Zahl e auch ohne die grossen Mul- 
tiplicationen berechnen, nämlich gerade so, wie es oben in 
dem allgemeinen Beweise geschehen ist; dabei tritt freilich 
hier der specielle Fall ein, dass 4 = 0 ist. Um diese Rech- 
nung durchzuführen brauchen wir nur gewisse Vielfache von 
7 zu einander addiren und von einander zu subtrahiren, die Re- 
sultate bleiben dann immer durch 7 ohne Rest theilbar. 

(365 >< 1700) + Ja >< 1700) +6 +1-+ e 
7><1/,>< 1700 dazu addirt 
(365>< 1700) + (8><1/, > 1700) +6 +1-+e 
—= (365 >< 1700) + 2? ><17W) +6 +1 -+e 
= (367 >10) +6 +1+ 
davon wird 364 >< 1700 = 7 ><52>< 1700 subtrahirt, 
und es bleibt (3>< 1700) +6 +1-+ e 
Wird diese Summe von 7 >< 1700 subtrahirt so bleibt 
(4><1700)-—- 6 —1—e, 
dazu (6 ><7) +7 addirt 
ergibt: (4>< 1700) + (6><6) +6 —e 
davon 4>< 1694 = 4 >< 7 >< 242 subtrahirt, 
bleibt (4><6) + (6><6) +6 —e 
= 24 +36+6 — e 
= 66 ——e 

Wenn aber 66 — e durch 7 ohne Rest theilbar sein soll, 
so muss nothwendig e = 3 sein, die Werthe e = 10, 11.... 
würden zwar ebenfalls passen, können aber hiernicht angewendet 
werden, da e kleiner sein muss als 7. Da nun vom Öster- 
vollmond bis zum Ostersonntag noch 1 + e = 4 Tage ver- 
gehen müssen, so fällt Ostern auf den 27 +4 = 3l. März, 
wie es ja auch die Formel ergeben hatte. 

Für den Gregorianischen Kalender ist zuerst der 
Ostervollmond zu corrigiren; bei der Kalenderverbesserung 
war, wie wir oben gesehen haben, jedes Vollmondsdatum um 
7 vergrössert, um den Mondeirke) wieder mit dem wirklichen 
Mondlauf in Uebereinstimmung zu bringen. Wegen des im 
Februar 1700 ausgefallenen Schalttages musste eine weitere 
Verschiebung um i Tag eintreten, so dass die Ostervollmonde 
jetzt 8 Tage später fielen (s. S.410). Diese 8 wird in der 


435 


Gauss’schen Formel zweckmässiger Weise schon vor der Division 
durch 30 addirt und gleich mit der 15 verbunden, damit man 
nicht gelegentlich auf ein zu spätes Datum kommt. Man er- 
hält also für die damals beginnende Periode der Ostervollmonde 
die Zahl m» = 23, dieselbe gilt noch jetzt, da sich anno 1800 
die Sonnengleichung mit der Mondgleichung ausglich; erst 1900 
wird 7» wieder um 1 vergrössert werden müssen, weil in diesem 
Jahre ein Schalttag ausfällt und die Vollmonde desshalb wieder 
einen Tag später fallen müssen. 

Für das Jahr 1700, um welches es sich jetzt handelt er- 
gibt sich also als Gregorianischer Ostervollmond der (27-8) ' 
März d. ij. der 4. April; denselben Termin erhält man auch 
direct aus der Formel, wenn man m = 23 anwendet, denn 

191a+23=-11+23 = 19 
194 durch 30 gibt 6; Rest 14 = d, 
demnach ist der Ostervollmond am (21-+14)te März, d. i. am 
4. Apnil. 

Für die Correction der Zahl g braucht man, nachdem ein- 
ınal die Zahl d und der Ostervollmond gefunden ist, nur noch 
die Sonnengleiehung, d. h. die Verschiebung des Sonnencirkels 
zu benutzen. Nachdem im Jahre 1582 im October die oben 
erwähnten zehn Tage ausgelassen waren, unterschieden sich 
Tage gleiches Datums in beiden Kalendern um 10—7 = 3 
Wochentage und zwar so, dass jedes Datum im Gregoriani- 
schen Kalender denselben Wochentag hatte wie das um 10 
oder um 3 Tage rückwärts liegende Datum des Julianischen 
Kalenders ; der 4. April Greg. eines beliebigen Jahres vor 1700 
hätte daher denselben Wochentag gehabt wie der (4—3)" = 
1. April Jul. Man war also scheinbar, d. h. dem Datum nach 
mit den Wochentagen gegen den Julianischen Kalender um 
drei Schritte zurück. Es dauerte daher vom 4. April 
Greg. bis zum nächsten Sonntag 3 Tage länger als vom 4. April 
Jul.,; in Folge dessen musste die Zahl e in der Zeit von 1583 
bis 1699 um 3 vermehrt worden. Da man aber dann öfters 
ein zu grosses e erhalten würde, welches erst wieder um 7 
verkleinert werden ınüsste, so kann man die Correction schon 
an der Zahl q anbringen und dieselbe gleich 6+3 = 9 setzen. 
Statt dessen nimmt man natürlich nur 2, weil es ja nur darauf 
ankommt, was bei der Division mit 7 übrig bleibt. — Nun wird 

Zeitschr. f. d. ges. Naturwiss. Bd. XXXVIII, 1871, 31 


436 


1700 wieder ein Schalttag ausgelassen und der 4. April, der 
sich vorher als Ostervollmond ergeben hatte, rückt in der Reihen- 
folge der Wochentage noch um eine Stelle vor, denn der 
Tag der dieses Datum trägt fällt jetzt um 1 Tag früher als er 
gefallen sein würde, wenn der 1. März als 29. Februar und 
demgemäss der 1. April als 31. März u. s.w. gerechnet wäre. 
Man muss also e abermals um 1 vergrössern, was am bequem- 
sten dadurch erreicht wird, dass man die Zahl q. von 2 auf 3 
vermehrt. Danach berechnet sich e wie tolgt: 
2b+4c+6d+3 = 0+24+84+43 = 111 
111 durch 7 gibt 15; Ret6 = e, 

danach fällt Ostern auf den 

d+e—-9 = 14+6—9 = 11. Apnil. 

Die Bedeutung dieser Rechnung ist leicht zu ersehen. 
Von Sonntag den 21. März des Jahres 1 v. Chr. bis zum 21. 
März 1700 n. Chr. Jul. waren verflossen 

(365><1700) + ('4><1700) Tage, 
davon müssen die im Gregorianischen Kalender weggelassenen 
10-+1 Tage subtrahirt, dagegen noch die d = 14 Tage bis 
zum Ostervollmond und die (1 +e) Tage von da bis zum Oster- 
sonntag addirt werden, dadurch erhält man 
(365><1700) + (/4><1700) — 11 +14+1+e. 

—= 620500+425 +4-+ e 

—= 620929 + e 
Tage, und da diese Zahl eine ganze Zahl von Wochen reprä- 
sentiren soll, so müssen wir die nächste, auf 620929 folgende 
Zahl welche durch 7 theılbar ist suchen, das ist 620935 
(=88705><T), folglich ergibt sich e — 6. 

Um aber aus obiger Summe denselben Ausdruck zu ge- 
winnen den die Gauss’sche Formel bietet, muss man wieder 
die oben beim Julianischen Kalender benutzte Methode anwenden, 
was wir hier der Kürze wegen übergehen. 

In derselben Weise kann man sich die Bedeutung der 
Gauss’schen Osterregel für jedes Jahr erklären, die Formeln 
werden aber inden meisten Fällen um ein Glied länger werden, 
weil in unserm Beispiel zufällig 4 = 0 war. 


437 


Schlussbemerkungen. 

In dem vorstehenden Aufsatze habe ich ausser der Be- 
schreibung der neuen stellbaren Kalender von Kesselmeyerund 
von ınir eine ziemlich vollständige Darstellung des gesammten 
Kalenderwesens gegeben; es liess sich dabei freilich nicht ver- 
meiden, alleriei allgemein bekannte Dinge zu wiederholen, ich 
habe aber doch auch manche weniger bekannte Sachen be- 
sprochen und den Lesern unserer Zeitschrift zugänglich gemacht. 
Wer sich noch specieller mit der Angelegenheit vertraut machen, 
namentlich wer die Epaktentheorie gründlich studiren will, muss 
aber immer noch an die Quelle gehen und das weitschweifige 
Buch von Clavius mit seinen unendlichen, theilweise bis zum 
Jahr 300000 n. Chi. reichende Tahellen studiren. Das oben 
erwähnte Buch von F, v. Schmöger ist zwar auch ziemlich 
vollständig , hat aber doch einige Mängel; vielleicht wird das 
von Kesselmeyer angekündigte Buch: „Theorie des christ- 
lichen Kalenders‘ hier eine Lücke ausfüllen. Wer dagegen schon 
mit einer geringern Kenntnis: der Kalendertheorie zufrieden ist, 
dem kann ich den Kalender des Lahrer hinkenden Boten für 
das Jahr 1871 aufs wärmste empfehlen, derselbe enthält einen 
in seiner Art gauz vortreiflich geschriebenen Aufsatz, in dem 
die hierher gehörenden Fragen ausführlich und in populärer 
Forın beantwortet sind. 

Dagegen möchte ich meine Leser vor einem andern 
Schriftehen warnen, nämlich vor dem ‚„Universal-Kalender für 
jedes Jahr der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft von 
J. Hörschgen. Dresden in Director Klemich’s Selbstverlags- 
handlung 1871“. Die Methode des Herrn Rechenlehrers Hörsch- 
gen, den Wochentag eines beliebigen Datums zu bestimmen 
ist folgende: er bezeichnet das Jahr 4700 v. Chr., als das Jahr 
der Erschaffung der Welt (!), mit 1 und zählt von da an bis 
jelzt weiter, so dass wir jetzt (iin Jahre 1871) nach dieser 
Zählung 6571 schreiben müssten; der erste Januar des Jahres 
i war ein Sonntag und danach kann man dann natürlich alle 
anderen Wochentage durch Abzählen ausrechnen. Dieses Ab- 
zählen besorgt nun Herr Hörschgen wirklich auf eine sehr 
einfache Art: er rechnet von jedem grössern Zeitabschnitt nur 
die über die vollen Wochen überschiessenden Tage: jedes Jahr- 
hundert also als 5 resp. 6, jedes Jahr als 1 oder 2 und die Monate 

31* 


438 


als 2 resp. 3 Tage. Er berechnet demgemäss zuerst den 
Wochentag des Neujahrstages im gegebenen Jahre und von da 
zählt er weiter bis zu dem Datum dessen Wochentag bestimmt 
werden soll. Die Methode hat also eine gewisse Aehnlichkeit 
mit der von Kesselmeyer in seinem „Kalendarium“ (Nro. 1) 
beschriebenen. Es würde auch gegen dieselbe gar nichts ein- 
zuwenden sein, wenn er sie vernünftig anwendete Herr 
Hörschgen besitzt aber die bewunderungswürdige Naivetät, eine 
Reforın des Kalenders mit rückwirkender Kraft vorzuschlagen, 
nnd zugleich die Behauptung aufzustellen, dass seine Rech- 
nungsweise die allein richtige sei. Er nimmt natürlich den 
Gregorianischen Einschaltungsmodus an, wonach von den Sae- 
eularjahren nur die durch 400 theilbaren als Schaltjahre anzu- 
sehen sind, aber — er bezieht diese Regel auf seine Jahres- 
zahlen, die alle um 4700 grösser sind als die von der ge- 
sammten Mitwelt benutzten, er macht also das Jahr 1600, was 
bei ihm 6300 heisst, zu einem Gemeinjahr und 1700 (bei ihın 
6400) zu einem Schaltjahıe. In Folge dessen liefert seine 
Methode in dem 17. Jahrhundert falsche Resultate, dasselbe 
würde sich in dem Jahrhundert von 2000—2100 wiederholen. 

Ausserdem lehrt Herr Hörschgen auch noch, wie man 
das Datum des Osterfestes in einem beliebigen Jahre (auch vor 
Christi Geburt, siehe sein Beispiel auf S. 14) berechnen kann; 
seine Methode ist aber weiter nichts als die Gauss’sche 
Formel in ziemlieh confuser Darstellung. Herr Hörschgen 
hält es aber nicht für nöthig seine Quelle anzuführen, dagegen 
gibt er am Schluss seines Werkes folgende weise Anmerkung: 


Schliesslich. 

Der Verfasser hat gezeigt dass alle Osterdaten sich nach angegebener 
Methode richtig finden lassen. Nur stimmen nach Eivsicht alter Kalen- 
der vom Jahre 6300 resp. 1600—1699 nach Chr. Geb. die wirklich ge- 
feierten Osterdaten nicht mit denen vom Verfasser berechneten überein, 
folglich hat man das ganze 64. resp. 17. Jahrhundert den Ostertag 
falseh um 1 Tag früher gefeiert- Der Grund davon liegt darin, weil 
man das Jahr 1600 als Schaltjahr unrichtig genommen hat, es musste 
vielmehr das Jahr 1700, welches das 6400 Jahr seit dem Jahre 1 (4700 
v. Chr. Geb.) ist, als Schaltjahr genommen werden, 


Wo hat denn Herr Hörschgen gezeigt, dass seine Methode 
richtig ist? In seinem Buche gibt er blos die Methode an, 
ohne eine Spur von Beweis. — Der Schluss, dass man im 
17. Jahrh. die Osterfeste „falsch um 1 Tag früher gefeiert“ 
habe ist auch nicht richtig; Herr Hörschgen gibt ja jedem 


439 


Tage des 17. Jahrhunderts (genauer: vom 29. Februar 1600 
bis zum 28. Febr. 1700) eine um 1 zu hohe Datumzahl. Die 
von ihm berechneten Ostersonntage fallen also — wenigstens 
in den allermeisten Fällen — mit den wahren zusammen, sie unter- 
scheiden sich nur durch die Benennung im Datum; nur in sehr 
wenigen Fällen kann eine Verschiedenheit eintreten und dann 
natürlich nur um ganze Wochen, nicht um einzelne Tage, denn 
ein Tag der einmal Sonntag ist, ist uud bleibt Sonntag und 
kann von Herrn Hörschgen weder zum Sonnabend noch 
zum Montag gemacht werden. 

Herr Oscar Klemich, Director der ‚Dresdner Sprach-, 
Handels- und Real-Academie“, welcher die genannte Schrift in 
seiner „Selbstverlagshandlung‘“ verlegt hat, scheint eingesehen 
zu haben, dass die Regeln des Herrn Hörschgen in ihrer 
Darstellung viel zu wünschen übrig lassen ; er hat sich daher 
veranlasst gesehen, die Methoden am Schluss des Heftes noch 
einmal in präciser Form zu wiederholen, ohne auf die Schrullen 
des Herrn Hörschgen Rücksicht zu nehmen. Die Gauss’- 
sche Osterformel druckt er ebenfalls ohne Quellenangabe ab. 


Solche Kalenderreformen wie die hier von Herrn Hörsch- 
sen versuchte, können natürlich niemals Berücksichtigung finden; 
so lange man die durchs Nicänische Concil vorgeschriebene 
Bestimmung des Osterfestes beibehält, ist und bleibt der Gre- 
gorianische Kalender der einzige, welcher Richtigkeit und 
Einfachheit, so weit es möglich ist, verbinde. Die von 
Mädler vorgeschlagene Einschaltungsform (s. S. 401) ist zwar 
genauer und richtiger als die Gregorianische, aber alle Rech- 
nungen werden viel complicirter, weil die Veränderungen des 
Sonnen- und Mondeirkels nicht in den Saecularjahren vorge- 
nommen werden könnten; und es lässt sich ja mit Hilfe einer 
einfache Modification der entstehende Fehler im Keme er- 
sticken, man braucht nur jedesmal nach 4000 oder 3600 Jahren 
ein Schaltjahr zum Gemeinjahr zu machen; ob man das nun 
anno 2000, 3600 oder 4000 thun wird, können wir wol unsern 
Nachkommen überlassen. — Andererseits ist der Julianische 
Kalender zwar bedeutend einfacher als der Gregorianische, wenn 
man ihn aber desshalb für vollkommener halten wollte, 
so wäre das elwa zu vergleichen mit der Ansicht des Freiherrn 


440 


von Tucher, der kürzlich in der Leipziger allgemeinen 
musikalischen Zeitung die Behauptung aufgestellt hat, das so- 
genannte pylthagoreische Tonsystem (ohne die Terzen 5:4 und 
6:5) sei vollkommener als das sogenannte natürliche (mit den 
genannten Terzen), weil gewisse Intervalle sich einfacher und 
bequemer berechnen liessen. 

Eine wirkliche Vereinfachung des Kalenders würde ich 
nur darin erblicken, wenn man die mit der Bewegung des 
Mondes zusammenhängende Bestimmung des Osterfestes aufgeben 
wollte, daran ist aber natürlich nicht zu denken. Eine durch- 
greifende Reform des Kalenders, welche die abwechselnde 
Länge der Monate und dergl. seltsame Einrichlungen be- 
seiligte, etwa in der Art wie es zur Zeit der ersten franzö= 
sischen Republik versucht worden ist, würde dagegen viel mehr 
Nachtheile als Vortheile mit sich führen. Und was speciell 
das Decimalsystem betrifft, welches die Franzosen damals auch 
im Kalender anwenden wollten: so ist diess hier durchaus 
nicht am Platze. Eine vollständige Decimaltheilung im Münz-, 
Mass- und Gewichts-Wesen ist ja ungemein bequem —- aber 
nur dann, wenn sie wirklich consequent durchgeführt ist. Jede 
Abweichung davon ist unbequem und lässt die Mängel des 
Decimalsystems deutlich empfinden, man denke nur an die so- 
genannte melrische Meile von 7500 Meter. Dergleichen Ab- 
weichungen und noch viel unbequemere würden aber in der 
Zeitrechnung unumgänglich nothwendig sein, weil Sonnenjahr, 
Mondmonat und Sonnentag ihre von der Natur bestimmten 
festen Verhältnisse haben, und da diese nun einmal nicht deci- 
mal abgestuft sind, so kann man hier das Zehnersystem über- 
haupt nicht mit Vortheil verwenden. 


Schliesslich theile ich den geehrten Lesern welche sich 
für meinen stellbaren Kalender interessiren noch mit, dass ich 
von den beiden Tafeln eine Anzahl besonderer Abdrücke habe 
anfertigen lassen, und dieselben etwaigen Liebhabern zum Selbst- 
kostenpreise ablasse. Desgleichen können auch fertige Exemplare 
des Kalenders von Herrn Buchbindermeister Henning zu Hallea.S. 
(Rannische Strasse Nro. 3) in verschiedener Ausstattung be- 
zogen werden. Die Preise dafür werden später angegeben 
werden, ? 


441 


Die Zoologie 


C. Giebel. 


Wo sitzt eigentlich das Schwarzsauer in der Gans? fragte 
mich ein hoffnungsvoller Theologe bei Einnahme seines Lieb- 
lingsgerichts des Schwarzsauers mit Klössen, und ob des Hohn. 
gelächters der kleinen Tischgesellschaft fuhr er zu unsrer 
neuen Ueberraschung ganz unbefangen fort: „ich meine ob 
im Kopfe oder in den Beinen der Gans?“ — Nun der Hr. 
Pastor sorgt allein mit dem Glauben für das Seelenheil seiner 
Gemeinde zugleich auch als Schulinspector für die Bildung 
der Jugend und verachtet es gründlich von Gottes Herrlichkeit 
in der Schöpfung sich irgend welche Kenntniss zu verschaffen. 

Dergleichen Beispiele staunenswerther Unwissenheit über 
alltägliche Vorkommnisse in der Natur könnte ich aus meinem 
Umgange mit Gebildeten und Gelehrten, Wissenschaftlichge- 
bildeten und Hochgelehrten viele, gar sehr viele erzählen und 
bei jeder neuen Ueberraschung dieser Art frage ich mich 
wieder: worin besteht denn unsere heutige hochgepriesene 
allgemeine Bildung, worin die wissenschaftliche und Univer- 
sitätsbildung, wenn über die gemeinsten alltäglichen Erschei- 
nungen in der Natur, wenn über den Bau des menschlichen 
und thierischen Organismus eine gänzliche Unkenntniss herrscht 
— und ich finde keine andere Antwort auf diese Frage, als 
dass heutzutage die Beobachtung einiger äusserlichen Lebens- 
formen im Umgange neben einem recht eigentlich blos tage- 
löhnerischen Wissen für das eigene Geschäft vollkommen aus- 
reicht um als Gebildeter, als wissenschaftlich Gebildeter zu 
gelten. 

Dem Zoologen muss es selbstverständlich äusserst em- 
pfindlich berühren, dass seine Wissenschaft, deren Förderung 
und Verbreitung er die ganze Kraft, sein Leben widmet, dass 
eine Wissenschaft, die an Umfang wie an Tiefe mit jeder 
andern dreist sich messen kann, und überdies auch mit den 
materiellen und geistigen Interessen des menschlichen Daseins 
zugleich viel innigere Beziehungen hat als gar manche andere 


442 


allgemein gepflegte Wissenschaft; es berührt äusserst unan- 
genehm, dass eine für den Menschen unmittelbar hochwichtige 
Wissenschaft, wie es die von den Thieren und dem thierischen 
Organismus ist, von unserer Schul- und allgemeinen wissen- 
schaftlichen Bildung ganz stiefmütterlich, ungenügend und 
selbst gar nicht berücksichtigt wird. Zur allgemeinen Bildung 
gehört meiner Ansicht nach, die ich zur Beurtheilung der 
nachfolgenden Darstellung schon hier ausspreche, wenigstens 
eine oberflächliche Kenntniss von den alltäglichen Erscheinun- 
gen in der Natur, insbesondere von dem, was den Menschen 
unmittelbar berührt, wovon unser Dasein abhängig ist, wo- 
durch das allgemeine Wohl und Weh des Menschen bedingt 
ist. Der Gebildete weiss nicht blos, dass der Dampf die 
Locomotive bewegt, sondern auch wie diese Bewegung ver- 
mittelt wird, er weiss, dass die Baumwolle nicht von baum- 
wollenen Schafen sondern von welcher eigenthümlichen Pflanze 
herrührt und warum Steinkohlen, Braunkohlen und Holz ver- 
schiedenen Brennwerth besitzen. Nun sind wir in unsern 
Existenzbedingungen doch wesentlich von den Thieren ab- 
hängig, und schon deshalb müsste die allgemeine Bildung den- 
selben wohl einige Aufmerksamkeit zuwenden. Was uns klei- 
det und nährt, unser materielles Wohl erhält und steigert, 
unsern Verkehr vermittelt, die Existenz ganzer Stände der 
menschlichen Gesellschaft bedingt und doch wahrlich einen 
hervorragenden Factor im Kulturleben und nationalen Wohl- 
stande bildet, das sollte der Gebildete meine ich nicht blos 
gesehen haben, sondern wirklich kennen. Aber nicht blos 
aus diesem Grunde beansprucht die zoologische Wissenschaft 
eine allgeineine Berücksichtigung, sie stellt sich zugleich auch 
als geistiges Bildungsmaterial mit jeder andern Wissenschaft 
in gleichen Rang und muss ebendeshalb für ihre Resultate 
dieselbe Aufnahme in das Gebiet der allgemeinen Bildung wie 
die Geschichte, Literatur, Sprachwissenschaft u. s. w. bean- 
spruchen, Dass die Zoologie in der eingangs angedeuteten 
empfindlichen Weise von Gebildeten und wissenschaftlich Ge- 
bildeten zurückgesetzt wird, hat lediglich in der ungenügen- 
den und mangelnden Kenntniss und in einer gänzlichen Verken- 
nung ihrer hohen Aufgabe, ihrer fortschreitenden Resultate 
und der sehr verschiedenartigen Richtungen ihrer Thätigkeit 


443 


seinen Grund. Dieser Verkennung und Missachtung entgegen- 
zutreten ist eine der vielen Aufgaben, welche unsere Zeit- 
schrift f. ges. Naturwissenschaft seit vielen Jahren verfolgt. 

Wie Jeder, der sich mit einer fremden Sprache metho- 
disch beschäfftigen will, zuerst mit den Wort- und Redeformen 
sich bekannt machen muss: so beginnt auch das naturge- 
schichtliche, insbesondere das zoologische Studium vor allem 
mit der Betrachtung der einzelnen Thiere, mit deren äussern 
Körperbau. Den Sperling kennt im gewöhnlichen Sinne jedes 
Kind, jeder Ungebildete, weil er ihn oft sieht, aber was er 
an diesem Vogel gesehen hat, weiss er trotzdem nicht anzu- 
geben; die Kenntniss des Gebildeten dagegen erstreckt sich 
auf die Eigenthümlichkeiten, auf die den Sperling von andern 
ähnlichen Vögeln unterscheidenden Eigenschaften, der Ge- 
bildete weiss eben, was er an dem Sperlinge sieht und darauf 
erst beruht Kenntniss; der Ungebildete sieht blos mit dem 
körperlichen, der Gebildete zugleich mit dem geistigen Auge. 
Auf solche blos äusserliche Unterscheidung der Thiergestalten, 
welcher Linne zuerst die wissenschaftliche Schärfe und 
Strenge verlieh, beschränkte sich im Allgemeinen die zoolo- 
gische Forschung bis zum Ausgange des vorigen Jahrhunderts. 
Sie begnügte sich wie auch die Botanik und Mineralogie mit 
den blos äussern Formen der Naturkörper und war also in der 
That nur eine beschreibende Naturgeschichte zum Unterschiede 
von der Physik und Chemie als den experimentellen Wissen- 
schaften. Jene Bezeichnung ist bis heute beibehalten worden, 
obwohl Inhalt und Aufgabe längst weit über die Beschreibung, 
über die äussern Formen hinausgegangen ist und die Natur- 
geschichte eine rationelle Wissenschaft geworden. Viele 
Schulmänner und Pädagogen stehen leider noch gegenwärtig 
auf jenem antediluvianischen Standpunkte und halten, weil sie 
den riesigen Fortschritt der Naturgeschichte kennen zu lernen 
sich niemals bemühten, ebendeshalb nichts von der beschrei- 
benden Naturgeschichte als Bildungsmittel. 

Die blosse Betrachtung und Unterscheidung der Thierge- 
stalten nach äussern Merkmalen konnte aber den Scharfsinn 
der Forscher nicht lange befriedigen, man fragte alsbald auch 
nach dem Inhalt dieser Formen, den innern Bau der Thier- 
gestalten, zergliederte dieselben und begnügte sich nunmehr 


444 


picht blos mit der Betrachtung der wechselnden Formen der 
innern Organe, sondern erforschte die innern und nothwendi- 
gen Beziehungen der verschiedenen Organe zu einander und 
zum ganzen Körper, man suchte die Gesetze, welche die Ein- 
heit des thierischen Organismus beherrschen. So gelang es 
zuerst Cuvier’s Scharfsinn aus einem Zahne, aus einem ein- 
zigen Knochen das ganze Thier zu construiren und die blos 
nach Merkmalen unterschiedenen Arten und Gattungen zu Be- 
griffen, Typen zu erheben. 

Der thierische Organismus ist keineswegs ein Apparat oder 
eine Maschine wie der moderne Materialismus in der physiologi- 
schen Forschung zum grössten eigenen Nachtheile starr behauptet, 
sondern er ist eine untheilbare Einheit, er ist Individuum. 
Aus der Maschine kann ich jeden Theil heraus nehmen, ersetzen, 
vertauschen, aus beliebigem Material anfertigen, die Maschine 
arbeitet trotz des Wechsels und der Willkür der Theile fort und 
herausgenommen und unabhängig von der Maschine bewahrt 
auch jeder einzelne dieser Theile noch ferner seine Selb- 
ständigkeit. Ein und dieselbe Schraube dient gleich voll- 
kommen am Pfluge, an der Sämaschine, an der Locomotive 
und es gelingt dem Scharfsinne des tüchtigsten Mechanikers 
nicht, aus solcher Schraube die ganze Maschine, aus einer 
Achse den ganzen Wagen zu construiren, weil eben nichts 
weiter als menschliche Willkür die Theile zu dem Ganzen 
zusammengefügt hät, in ihnen selbst aber nicht die geringste 
nothwendige Beziehung zum Ganzen liegt. Lunge, Herz oder 
Magen dagegen aus dem Pferde herausgenommen hören sofort 
auf zu athmen, zu pulsiren, zu verdauen, lassen sich selbst 
von dem geschicktesien Operateur nicht in ein anderes Pferd 
oder anderes Thier überhaupt einsetzen, sondern verfallen 
unmittelbar der Auflösung wie das Pferd selbst, dem sie eben 
erst entnommen, fortan aufhört, Pferd zu sein. Im Organis- 
mus sind alle Theile wie aus einem in sich homogenen Keime 
entstanden unter einander durch innere Nothwendigkeit, spe-. 
cifische Gesetzmässigkeit zu einem Ganzen unzertrennlich ver- 
bunden und wir nennen sie ebendeshalb, weil sie nicht Theile, 
nicht Werkzeuge im gewöhnlichen Sinne sind, Organe, d.h. 
vom Ganzen unzertrennliche, specifisch eigenthümliche Theile 
oder Werkzeuge. Der thierische Organismus ist im eigent- 


445 


lichsten und strengsten Sinne eineEinheit, aus welcher man 
keinen Theil ohne das Ganze zu zerstören herausnehmen 
kann; die Maschine dagegen ist eine Summe von Theilen, 
welche unter dem Wechsel ihrer Theile, unabhängig von den 
einzelnen Theilen fortbesteht. Und wie nun die Formen der 
verschiedenen Organe und deren bezügliches materielles Sub- 
strat zu der ganzen Thiergestalt eine innere nolhwendige Be- 
ziehung haben, ganz so ferner auch die Thätigkeit dieser 
Organe zum Leben des ganzen Organismus. Das Leben des 
Thieres beruht also nicht auf einer Summe von verschiedenen 
physikalischen und chemischen Processen, sondern auf einer 
Einheit specifisch eigenthümlicher organischer Processe, 
auf einer Einheit, die wir Lebenskraft nennen. Diese ist 
also nicht eine besondere Kraft neben der Muskel-, Nerven- 
und andern organischen Thätigkeiten, sondern sie besteht aus 
der Einheit dieser aller. Der Mechanismus der Bewegung, 
hören und lesen wir oft genug, erfolge lediglich nach physi- 
kalischen Gesetzen, nun warum muss denn jedes Kind seine 
Muskeln erst durch lange und schwierige Uebung zum Gan- 
ge gebrauchen lernen, warum versagt dem Betrunkenen dieser 
blosse mechanische Apparat seinen Dienst, warum watschelt 
die Ente aufrecht hurtig dahin trotzdem ihre Beine weit hinter 
dem physikalischen Schwerpunkte ihres Körpers angesetzt sind, 
warum fällt der schlaftrunkene Mensch um und hält sich der 
Vogel im tiefsten Schlafe noch aufrecht? Wenn der Magen 
wirklich eine blosse chemische Retorte ist, warum gelingt es 
dem Arzte nicht alle Störungen in den in demselben thätigen 
Processen so einfach wie in in einer chemischen Retorte zu 
reguliren? Warum construiren wir nicht selbst einen blos 
physikalischehemischen Apparat um mittelst desselben aus den 
Maulbeerblättern die Seide, aus dem Wiesenheu Wolle, Milch 
und Fleisch zu gewinnen, weg doch mit diesen umständlichen 
‚kostspieligen und unsichern Seidenraupen, Schaf- und Kuhap- 
paraten! Der Mechanismus der Muskelthätigkeit, die Processe 
im Magen, der Verbrennungsprocess in der Lunge stehen unter 
dem beherrschenden Einflusse nicht blos des Nervensystems, 
sondern sind wesentlich abhängig vom ganzen Organismus, 
unzertrennlich von dessen Gesammtthätigkeit. Ohne Nerven-, 
Lungen-, Hautthätigkeit u. s. w. stellt sofort die Magenretorte» 


446 

der Muskelapparat seine Thätigkeit ein, der Pulsschlag des 
Herzens ist zur Muskelbewegung ebenso nothwendig wie die 
Thätigkeit des Nervensystems. Durch dieses einheitliche Zu- 
sammenwirken in der Thätigkeit der verschiedensten Organe 
erheben sich die angeblich physikalischen und chemischen Pro- 
cesse im Organismus weit über die wirklichen blos physikali- 
schen und chemischen und werden zu ganz eigenthümlichen, zu 
organischen, die zwar ohne Physik und Chemie nicht erklärt, 
nimmer aber durch diese allein schon erfasst und begriffen werden 
können. So wenig sich die thierischen Gestalten obwohl For- 
men, jemals durch mathematische Formeln werden ausdrücken 
lassen, weil sie eben organische d. h. durchaus eigenthüm- 
liche Gestalten sind', ebensowenig lässt sich die Lebenskraft, 
der thierische Lebensprocess blos als eine Summe physischer 
Kräfte und chemischer Processe auflassen und darstellen. 

Die Untersuchung des innern Baues der Thiere oder die 
vergleichende Anatomie wurde bei dem riesigen Umfange 
ihres Materials anfangs von der sogenannten descriptiven Zoologie 
getrennt und noch heute hat jede ihre besondern Pfleger, aber 
beide sind nur Theile ein und derselben Wissenschaft, der 
Zoologie. Die Unterscheidung der Arten, Gattungen und Familien 
nach blos äussern Merkmalen ohne Berücksichtigung des innern 
Baues ist eine oberflächliche, unzulängliche, die Wesenheit der 
Art, Gattung, Familie, deren gründliche Erkenntniss doch die 
Aufgabe unsrer Wissenschaft ist, gar nicht erfassende, wie 
andrerseits denn auch die blosse Kenntniss der innern Organe 
ohne deren Beziehung zur ganzen Gestalt, ohne die specifische 
und generische Bedeutung ihrer Formveränderungen eine nicht 
minder einseitige und oberflächliche ist. Gerade in der gewalt- 
samen Trennung nicht der descriptiven, sondern der systema- 
tischen Zoologie von der vergleichenden Anatomie, in der über- 
trieben einseitigen Pflege jeder dieser beiden Disciplinen haben 
die wissenschaftlichen Verirrungen unserer Tage, wie der Materia- 
lismus und Darwinismus ihre einzige und Hauptstütze. Den 
Vertretern dieser Richtungen bin ich eine Rechtfertigung des 
eben gewählten Ausdruckes schuldig. 

Die Arten und Gattungen sollen werthlose, dem Wechsel, 
den Veränderungen des Zufalls unterwoörfene Formen sein. Als 
überzeugendes Beispiel dafür wird von den Darwinisten aus 


447 


dem Gebiete der neuesten und gründlichsten Forschung z. B. 
die Planorbis multiformis angeführt, deren mehrfache und er- 
hebliche Formveränderungen mit ihren bezüglichen Uebergängen 
in den auf einander folgenden Schichten des Steinheimer Süss- 
wasserbeckens Hilgendorf zum Gegenstande einer besondern 
Abhandlung gemacht hat. Die auffälligst verschiedenen Formen 
gehen hier wie die lange Reihe der Uebergänge nachweist 
aus einander hervor, ohne Kenntniss der Uebergänge würde 
der Conchyliolog ohne irgend welchen Anstand die extremen 
Formen dieser Schnecke für eigenthümliche selbstständige Arten 
erklären müssen. Ganz wie von dieser tertiären Planorbis nun 
lassen sich auch für sehr viele andere und lebende Conchylien- 
arten und selbst Gattungen, aber auch für gar manche ver- 
schiedene Vögel- und Säugethierarten und Gattungen die Ueber- 
gänge in einander, also die Wandelbarkeit der specifischen 
und generischen Merkmale nachweisen und wo wir diese Ueber- 
gänge nicht kennen, sind dieselben ausgestorben und werden 
wohl noch aufgefunden werden. Derartig sind die Behauptungen 
und Schlussfolgerungen des Darwinismus. Ich führe absicht- 
lich jene ausgestorbene Planorbis multiformis an, weil ihre 
Formenreihe eine ganz überraschende ist, fiage nun aber jeden 
Darwinisten, der sich für einen wirklichen, d. h. gründlichen 
Zoologen hält, ob er mit der Schale schon dieganze Wesen- 
heit der Art hat, ob denn die Thiere, welche all diese 
verschiedenen Schalen erzeugten in ihrem anatomischen Bau 
ebenso allmählig sich veränderten wie ihre Schalen? Das 
wissen wir nicht, wohl aber mussten doch die Conchyliologen 
wiederholt schon von den Malakologen erfahren, dass zwei ein- 
ander überaus ähnliche Schneckengehäuse von gar himmelweit 
in ihrem anatomischen Bau, in der Bewehrung ihrer Zunge, 
im Bau ihrer Fortpflanzungsorgane verschiedenen Thieren be- 
wohnt werden, dass andrerseits völlig verschiedene Gehäuse 
von in ihrer innern Organisation ungemein nah verwandten 
Thieren erzeugt werden! Also weder auf die Betrachtung des 
Gehäuses allein noch blos auf den anatomischen Bau dürfen 
wir Arten und Gattungen unterscheiden, sondern erst auf eine 
gründliche Erkenntniss beider und deren innigste Beziehungen 
zu einander, am allerwenigsten aber ist es berechtigt blos ein- 
seilig und oberflächlich bekannte Arten und Gattungen zur 


448 


Stütze allgemeiner, die ganze Wissenschaft belıerrschender 
Theorien herbeizuziehen. All jene Gattungen und Arten, welche 
von der blos descriptiven Zoologie, von den Balggelehrten in 
die Wissenschaft eingeführt worden sind, sind eben nur ober- 
flächlich charakterisirte, nicht genügend begründete, nicht hin- 
länglich bekannte und müssen bei allgemeinen wissenschaftlichen 
Fragen völlig unberücksichtigt bleiben 

Ich führe zu diesem Beispiele von der Weise, in welcher die 
Darwinisten die Arten zur Stütze ihrer Theorie wählen, noch ein 
zweites, hauptsächlich für sie selbst, zur Beurtheilung der Ueber- 
gänge hinzu. Eine vollendete Uebergangsgestalt zwischen zwei 
scharf geschiedenen und markirt ausgeprägten Typen bietet uns 
unter den gründlich bekannten Säugethieren die Hyäne. Canis und 
Felis sind durch Hyaena in ausgezeichnetster Weise mit ein- 
ander vermittelt, wir finden z.B. in dem Zahn- und Knochen- 
bau derselben die überraschendsten Beziehungen einerseits zu 
Canis, andrerseits zu Felis und wäre also Hyaena im darwini- 
stischen Sinne ein ganz vorzüglicher Urstamm, aus dem Hunde 
und Katzen als natürliche Zweige hervorsprossten. Nun aber 
finden wir bei eingehender Vergleichung neben der Vermischung 
von Hunde- und Katzenmerkmalen im Hyaenentypus noch so 
erhebliche besondere Eigenthümlichkeiten, dass deren völliges 
Verschwinden bei den Hunden und Katzen als den unmittel- 
baren Nachkömmlingen in darwinistischer Auffassung räthselhaft 
bleibt, und ebenso räthselhaft ist, dass Caninen und Felinen 
schon früher neben einander auf der Erdoberfläche erschienen 
sind als der Hyaenentypus. Und in jenen Urzeiten existirten 
diese drei Typen nicht etwa in Vertretern, welche einander 
näher verwandt waren als die heutigen Arten, nein bereits in 
Arten, welche ganz bestimmt und genau den heutigen ent- 
sprechen. Das verwandtschaftliche Verhältniss war also von 
Uranfang her dasselbe und wie für diese Typen lässt das 
gleiche Verhältniss sich von den Elephanten, Rhinoceroten, Pferden, 
hurz allen vollständig und gründlich bekannten Gestalten sehr 
leicht nachweiseu. Die möglicher Weise noch aufzufindenden 
Uebergangsformen beweisen neben den vielen hinlänglich be- 
kannten gar Nichts, die Forschung Kann uur das verwerthen, 
was ihr wirklich vorliegt, nicht aber das, was ihr in der nahen 
oder fernen Zukunft vielleicht noch geboten wird, am wenigsten 


449 


darf sie derartigen Hoffnungen einen höhern Werth beimessen 
als wirklichen Thatsachen. 

Zur Stütze des Kampfes um das Dasein oder mit den 
physischen Lebensbedingungen, mit Klima, Aufenthaltselement, 
Nahrung stützt sich der Darvinismus auf gewisse Veränderungen 
in einzelnen Organen, im besondern auf solche, welche Zucht 
und Kultur hervorgebracht haben. Wieder sind es nur ver- 
einzelte Aenderungen und zumeist gerade solche, welche für die 
Wesenheit der Gattung und Art werth- und bedeutungslos sind, 
die aber dennoch auf den ganzen Organismus übertragen werden. 
Die durchgreifende Verschiedenheit in der Organisation zweier 
Gattungen oder Arten wird dabei ganz und gar nicht berück- 
sichtigt. Ein Thier mit Flossen oder Schwimmhäuten zwischen 
den Zehen begiebt sich wie unsere Darwinisten behaupten auf 
das Land und verwandelt nunmehr in der ersten oder nächsten 
Generation seine Flossenfüsse in Gangfüsse, damit ist die Um- 
wandlung schon vollendet, dass aber an dem bezüglichen Aus- 
wanderer auch der Schädel mit dem Gehirn, jeder einzelne 
Knochen, jeder Zahn seine Form und sogar seine mikroskopische 
Struktur ebenfalls und aus welchem räthselhaften Grunde ge- 
ändert hat, bleibt völlig unbeachtet. Wie tief solche Unter- 
schiede selbst im Typus der Arten eingeprägt, wie völlig un- 
abhängig solche generischen und specifischen Eigenthümlichkeiten 
von den äussern Einflüssen sind, lehren uns die entgegenge- 
setzten Beispiele. Der afrikanische und asiatische Elephant 
leben beide unter wesentlich denselben äussern Lebensbedingungen 
und doch sind sie in allen Einzelnheiten ihres äussern und 
innern Körperbaues von jeher durchaus verschieden, verschieden 
auch von ihren Vorgängern in der Urwelt dem Mammut und 
Elephas priscus. Dasselbe gilt vom Löwen und Tiger. Umge- 
kehrt lebt der Fuchs unter allen klimatischen Verhältnissen, im 
Gebirge und in den Ebenen, in üppiger wie in steriler, in 
trockner wie in feuchter Gegend und ist dennoch überall der- 
selbe Speciestypus geblieben. Alle Arttypen, die wir vollständig 
und gründlich kennen, haben sich im Kampfe ums Dasein ent- 
‚weder rein behauptet oder sind demselben ohne eine wesent- 
liche Umwandlung erlegen. Auch ist’es noch nie einem Vieh- 
züchter gelungen, einen Esel in ein Pferd, eine Ziege in ein 
Schaf, einen Jagdhund in einen Windhund, überhaupt eine 


450 


Species in eine wirklich andere umzuzüchten selbst mit Hilfe 
der Verbastardirung nicht. Nur für jenes Heer von Arten, 
welehe auf unwesentliche Merkmale, auf Farbe und Zeichnung, 
längeres oder kürzeres, dichteres oder sperriges Haar- und 
Federnkleid, kurz auf für die Existenz der Species werthlose 
Eigenthümlichkeiten begründet sind, passen die vorhandenen 
thatsächlichen Belege vom Einflusse des Daseinskampfes. — 
Wie überaus oberflächlich und leichtfertig die Darwinisten ihre 
Theorie stützen, zeigt sich ganz besonders bei ihrer Herleitung 
des Menschen aus dem Affen, die ich hinsichtlich des Schädels 
einer kritischen Beleuchtung in unserer Zeitschrift f. ges, Natur- 
wissenschaften 1866. Bd. 28. S. 401. unterworfen habe. Aufsie ver- 
weise ich den Leser, dem die vorstehenden Betrachtungen nicht 
genügen, da weiteres zoologisches Detail mich vom vorliegenden 
Thema zu weit entfernen würde. 

Auf keiner solideren wissenschaftlichen Grundlage als der 
Darwinismus bewegt sich der Materialismus. Dem Chemiker 
in der Versuchsstation ist es gleichgültig, ob er seine Fütte- 
rungsversuche mit dem Schafe oder mit der Ziege anstellt, er 
überträgt die gewonnenen Resultate auf alle Pflanzenfresser, 
weil er eben den Magen und Darm nur als chemische Retorte 
nicht als Organ in gesetzlicher Beziehung ‚und Abhängigkeit 
von einem ihm leider ganz ungenügend bekannten untheilbaren 
Organismus auffasst. Dass jeder Pflanzenfresser sein specifisch 
eigenthümliches Verdauungsorgan besitzt, welches mit der Grösse 
und Gestalt des Thieres, mit dessen specifischer und individueller 
Lebensweise, mit dessen Schweiss- und Talgdrüsen und Haut- 
thätigkeit, dessen Respiration und Herzthätigkeit, Muskel- und 
Nerventhätigkeit, Geschlechtsleben u. s. w. in abhängigster Be- 
ziehung steht, bleibt unbeachtet. Nicht einmal die Verschieden- 
heit der Schleimhaut und der mancherlei Drüsen im Magen 
und dem Darm der Versuchsthiere wird einer ernsten Unter- 
suchung unterworfen und doch bestimmen diese in erster Linie 
den chemischen Process in der Magenretorie. Wenn die Nah- 
rung überall dieselben Wirkungen im Organismus hervorbringt 
nun warum bleiben denn Hund und Katze, Schaf und Ziege, 
Kanarienvogel und Fink bei stets völlig gleicher Nahrung und 
Gleichheit aller übrigen physischen Lebensverhältnisse vom ersten 
Tage ihres Lebens bis zum letzten unveränderlich dieselben 


451 


ausgeprägl verschiedenen Species! In seiner Retorte erhält der 
Chemiker stets mit denselben Materialien nur dieselben Resultate, 
im Magen mit demselben Futter aber die verschiedenartigsten 
Resultate, also ist hier keineswegs das Material, sondern die 
organische Retorte selbst das in erster Linie bestimmende, das 
den chemischen Process leitende und Verwerthende; aus dem- 
selben Futter je nach eigenem Belieben hier mehr Milch, dort 
mehr Fett oder aber mehr Fleisch, mehr Knochen, mehr Haut- 
gebilde producirend. So mit dem Magen und nicht anders 
mit dem Verbrennungsprocess in den Lungen, der galvani- 
schen Thätigkeit der Nerven, der physikalischen der Muskeln, 
der mechanischen Thätigkeit des Herzschlages u. s. w. So 
lange wir nicht bis in den feinsten Bau aller Organe hinein 
die in sich streng gesetzmässige Einheit jeder specifischen Wesen- 
heit erkannt und begriffen haben, ist eine befriedigende Ein- 
sicht in die Thätigkeit der einzelnen Organe und des ganzen Orga- 
nismus gar nicht zu erwarten und alle Experimente und Versuche 
mit blos einem oder auch zweien in enger Beziehung stehenden 
Organen unabhängig vom ganzen Organismus ergeben im 
günstigsten Falle ein unsicheres, stets ein ungenügendes Re- 
sultat. Alle physiologischen Experimente und Versuche, wenn 
sie irgend befriedigende Resultate erzielen sollen, müssen sich 
auf die gründlichste und erschöpfendste Kenntniss der speci- 
fischen und individuellen Wesenheit des Versuchsthiers stützen, 
zu solcher Kenntniss gehört aber. vielmehr als blos die ver- 
gleichende Anatomie, die Formen der Organe. 

Ich kehre nach dieser Abschweifung zur Zoologie selbst 
wieder zurück, nachdem wir dieselbe als wesentlich mit der 
vergleichenden Anatomie zusammenfallend kennen gelernt haben. 
Letzte lehrt uns nur die wechselnden Formen der innern Organe 
und deren gesetzmässige Beziehungen zur Gestaltung der Thiere. 
Wie die Forschung von der Körpergestalt zu deren innern Ge- 
halt, den Organen fortschreiten musste: so konnte sie auch mit 
der Kenntniss der Formen der einzelnen Organe sich nicht schon 
befriedigen, sondern verschaffte sich weiter noch die Einsicht 
in den feinsten Bau der Organe und die dieselben bildenden 
Elemente. Lange nachdem schon die vergleichende Anatomie 
neben der descriptiven Zoologie einen hohen Grad der Ent- 
wicklung erlangt hatte, machte die Gewebelehre als sehr fühl- 

Zeitschr. f,d. ges. Naturwiss. Bd, XXXVIIN, 1871. 32 


452 


bares Bedürfniss sich geltend. Die mikroskopische Struktur 
aller einzelnen Theile eines jeden Thiers, der Haut mit ihren 
verschiedenen Anhängen, der Knochen, Panzer und Schalen, der 
Muskeln und Nerven, der Gefässe, Häute, Drüsen, aller Flüssig- 
keiten im Körper, der Aufbau der Organe aus ihren letzten 
materiellen Elementen wurde untersucht und ergab alsbald in 
den Beziehungen zu den wechselnden Forınen der Organe und 
Thiergestalten dieselbe strenge Gesetzmässigkeit, welche die 
bereits gewonnene Einheit in der specifischen Wesenheit der 
thierischen Organismen bestättigte. Die Gewebelehre, erst seit 
wenigen Jahrzehnten ernstlich gepflegt, setzt uns bereits in den 
Stand aus der mikroskopischen Untersuchung eines Zahnsplitters, 
eines Schalenstückes mit überzeugender Sicherheit auf die Familie, 
ja selbst auf die Gattung und sogar die Art zu schliessen, 
welcher das bezügliche Thier angehört. Die systematische 
Zoologie, welche eben die eigentliche und volle Wesenheit der 
Arten und Gattungen ergründet, hat gegenwärtig schon ein 
reiches Material aus der Gewebelehre bezogen, aber die Physiologie, 
welche die Funktionen der einzelnen Organe erforscht, hat sich 
leider die zoologischen Resultate derselben noch nicht ange- 
eignet, d.h. sie berücksichtigt die specifischen und generischen 
Eigenthümlichkeiten in den Gewebselementen und deren noth- 
wendige Beziehungen zum ganzen Thier noch gar nicht. 


Um einen Gegenstand gründlich zu kennen und auch be- 
greifen zu können, reicht aber das Wissen wie derselbe äusser- 
lich und innerlich beschaffen ist, noch nicht aus, wesentlich 
gehört dazu auch noch die Kenntniss seiner Vergangenheit, 
wie er nämlich geworden ist, für die Thiere also noch die Ent- 
wicklungsgeschichte. Diese aber ist verschiedener Art. Wir 
untersuchen das Individuum oder das Exemplar, um dasselbe 
nach Art und Gattung zu bestimmen, müssen dazu also die 
Entwicklung vom Keim durch das Ei oder embryonale Leben 
bis zur vollendetsten körperlichen Ausbildung, bis zur Geschlechts- 
reife Kennen, müssen die Anlagen der einzelnen Organe und 
der ganzen Gestalt, die allmähligen Veränderungen jener und 
dieser bis zur endlichen Vollendung verfolgen. Auch dieser 
Zweig der zoologischen Forschung hal im” Laufe der letzten 
Jahrzehnte schnell ein reiches, überaus werthvolles Wissens- 


455 


material geschaffen, das die systemalische Zooiogie sich an- 
geeignet und in gebührender Weise verwerthet hat. 

Aber nicht blos die Individuen als Repräsentanten der 
Arten haben ihre Entwicklungsgeschichte, auch die Arten, Gat- 
lungen, des ganze Thierreich durchlief im langen Laufe der 
Zeiten vielfache Veränderungen, bevor es die Vollkommenheit 
erlangte, in welcher es gegenwärtig die Erde belebt. Arten 
erschienen in den Gewässern und auf dem Festlande und ver- 
schwanden um andere an ihre Stelle treten zu lassen. Dieser 
sich wiederholende Wechsel der Arten war ein so durch- 
greifender, dass auch die Gatlungen, Familien und Klassen des 
Thierreichs in den verschiedenen auf einander folgenden geo- 
logischen Perioden ihre Wesenheit in ganz erheblichem Grade 
änderten. Die paläontologischen Forschungen haben für so viele 
und verschiedenartige Typen die geologische Entwicklung bereits 
so vollständig ermittelt, dass wir daraus die allgemeinen Gesetze 
der zeitlichen oder geologischen Entwicklung des gesammten 
Thierreichs folgern konnten, dass wir die allmählig immer voll- 
kommenern, höhern Stufen der thierischen Organisation ent- 
sprechend gewissen ganz bestimmten Bildungsepochen unsres 
Erdkörpers in ihren wesentlichen Momenten kennen. 

Endlich bieten die Thiere in ihren Beziehungen zur Aussen- 
welt der wissenschaftlichen Forschung noch eine letzte sehr 
wichtige Seite. Zunächst sind die Lebenselemente sehr ver- 
schiedenartige: die Thiere leben streng oder doch nur zeitweilig 
im Wasser, auf dem Lande oder in der Luft, in einem, zweien 
oder allen drei Elementen zugleich, sie leben an der Ober- 
fläche oder in der Tiefe des Wassers, auf oder unter der Erde, 
grabend, laufend oder kletternd u. s. w. und jedes dieser 
Lebenselemente bedingt nicht blos eigenthümliche Bewegungs- 
organe sondern eine eigenthümliche Organisation. Nicht minder 
bestimmend auf den Organismus ist das Leben in andern Or- 
ganismen, in Pflanzen oder in Thieren, selbst die bezüglichen 
Organe, in welche sie mit ihrer Existenz verwiesen sind: der 
Schmarotzer im Zellgewebe ist ein anderer als der in der 
Höhle des Darmkannls.. In andrer Weise als das Lebensele- 
ment beeinflusst den Organismus der Aufenthaltsort: die Thiere 
sind verschieden nach ihrer Vertheilung über die Erdoberfläche, 
nach welcher wir Faunengebiete gegeneinander abgrenzen, die 

32 * 


454 


äquatorialen Gebiete werden von andern Thieren als die polaren, 
die weiten Ebenen von andern als die Gebirge, die bewaldeten 
Gegenden wieder von andern als die wüsten bewohnt, die 
Küsten bieten uus eine andere Fauna als das Binnenland, Inseln 
eine andere als continentale Gebiete. Wiederum unabhängig 
von dem Aufenthaltsorte und dem Lebenselemente bestimmt in 
eigener Richtung die Nahrungsweise die Eigenthümlichkeiten des 
Organismus, also die Existenzbedingung des Individuums. Der 
Pflanzenfresser ist anders organisirt als der Fleischfresser, weiter 
ob das Thier von frischen oder trocknen, festen oder flüssigen 
Pflanzensubstanzen, von Wurzeln, Rinde, Blätter, Blühten oder 
Früchten sich nährt, ob der Fleischfresser von frischem Fleisch 
oder Aas, von Wirbelthieren oder Insekten, von warmblütigen 
oder kaltblütigen Wirbelthieren u. s. w. sich sättigt. Nicht 
blos das Verdauungsorgan, auch die Bewegungsorgane, die 
Fang- und Greifapparale, der Spürsinn, die Energie, der Instinkt 
ändern nach der Nahrungsweise ab. Auch die zur Fortpflan- 
zung, zur Erhaltung der Art, des Typus nothwendigen Beding- 
nisse greifen tief in die Gestaltung, in die Wesenheit des 
Organismus ein. Kurz alle Beziehungen des Thieres zur Aussen- 
welt, alle Eigenthümlichkeiten der Lebensweise, des Naturells 
und Betragens muss die zoologische Forschung berücksichtigen, 
wenn sie die specifische Wesenheit vollständig und gründlich 
erkennen will. Man pflegt nun diesen Theil der Zoologie oder 
die Biologie ganz mit Unrecht die eigentliche, oder weil ohne 
besondern gelehrten Aufwand veıständlich und für Jedermann 
unterhaltend, anziehend und lehrreich, populäre Naturge- 
schichte der Thiere zu nennen, allein die Naturgeschichte 
der Thiere im wahren Sinne umfasst unser gesammtes Wissen 
von den Thieren und ist gleichbedeutend mit Zoologie. 

Die eben bezeichneten verschiedenen Theile der Zoologie 
also die Kenntniss des äussern Körperbaues, der innern Organe 
und deren mikroskopischer Bau, der Lebensweise und des 
Naturells, der Entwicklung der Iudividuen wie des ganzen 
Thierreiches, die Gesetze der thierischen Organisation überhaupt 
haben wie angedeutet wegen ihres sehr bedeutenden Umfanges 
zu besonderen Disciplinen mit eigenen Vertretern und Pflegern 
sich ausgebildet, und obwohl sie- in ihrer Gesamtheit und 
Vereinigung die Zoologie ausmachen, nennt sich gern auch der 


455 


Vertreter jeder einzelnen dieser verschiedenen Wissensgebiete 
Zoolog, leider, sehr leider wird darum von nicht Eingeweihten, 
nicht genügend Unterrichteten von dem einzelnen Theile, dieser 
speciellen einseitigen Richtung der zoologischen Forschung auf 
den Werth und die Bedeutung der Zoologie überhaupt ge- 
schlossen. Wer einen Blick in die Arbeit eines Balggelehrten 
wirft, mag dieselbe ornithologischen, conchyliologischen oder 
sonst welchen Inhalts sein, staunt über das Heer neuer Arten 
und Gattungen unter absonderlichen und eigenthümlichen Namen, 
alle blos auf kurze oder lange Beschreibungen der äussern Form, 
Farbe, Zeichnung etc. begründet, und überträgt nun diese aller- 
dings sehr augenfällige Einseitigkeit auf die ganze Zoologie, 
ohne zu bedenken, dass diese Arten und Gattungen noch gar 
sehr vieler umständlicher und schwieriger Untersuchungen be- 
dürfen, bevor sie als genügend bekannte, berechtigte, als wissen- 
schaftlich begründete gelten können. Zur Aufführung eines 
Dumes gehören vor allen Dingen Tagelöhner, welche die Steine 
brechen und keinen höhern Werth als diese rohen Steine für 
den Dom haben jene Arten für die Zoologie, nur der einzige 
Unterschied ist, dass der Dombaumeister die werthlosen Steine 
unberücksichtigt lässt, während der Zoologe die Namen werth- 
loser Arten und Gattungen seiner Handlanger in dem wissen- 
schaftlichen System als Synonyme mit literarischen Citaten schwer- 
fällig fortschleppt. Aehnliche völlig unberechtigte Beurtheilungen 
erfahren Schriften über anatomische, mikroskopische, physiolo- 
gische, paläozoologische Untersuchungen, ihre wissenschaftliche 
Verwerthung finden die Resultate aller dieser Arbeiten erst in 
der Zoologie ; für sich betrachtet erscheinen sie einseitig, sind 
aber doch unumgänglich nothwendige, weil ohne sie die Art, 
die Gattung, das Thier und die Gesetze des thierischen Organis- 
mus nicht begriffen werden können. Wegen dieses ungeheuren 
Materials, des riesigen Umfanges und der sehr verschiedenartigen 
Detailforschungen,, welche die Zoologie unmittelbar zur Lösung 
ihrer Aufgabe nöthig hat, ist es heut zu Tage dem Einzelnen 
unmöglich auf all den bezeichneten Gebieten seiner Wissen- 
schaft zugleich selbstthätig untersuchend und forschend Neues 
zu schaffen, er muss die eigenen Detailuntersuchungen auf ein 
oder einige wenige Gebiete beschränken und mit wachsamem 
Auge den Fortschritt auf allen übrigen Gebieten verfolgen, um 


456 


als seine ganze Wissenschaft beherrschender Zoologe die ge- 
wonnenen Resultate für dieselbe gewissenhaft verwerthen zu 
können. 

Welche Bedeutuug hat nun die Zoologie in dem eben 
bezeichneten Sinne und Umfange genommen für andere Wissens- 
zweige und für die Bildung, für das Leben überhaupt? — 

Unser Schulunterricht bezweckt die Erwerbung nützlicher 
Kenntnisse, Aufklärung und Ausbildung der geistigen Kräfte 
überhaupt und dieser Aufgabe kann die Zoologie ganz vor- 
züglich dienen. Im gewöhnlichen und allgemeinen Unterricht, 
wie er in der Volksschule bis zur obersten Stufe und hinsicht- 
lich der Naturgeschichte auch in den untern Klassen der Gym- 
nasien und Realschulen ertheilt wird, ist die Zoologie in so 
weit aufzunehmen, dass sie die Charaktere des äussern Körper- 
baues der unentbehrlichen Nutzthiere wie der gemeinsten nütz- 
lichen und schädlichen einheimischen Thiere Kennen lehrt und 
zwar auf Anschauung gestützt. Thiere, deren wir uns täglich 
bedienen, die wir täglich in und ausser dem Hause, in der 
Küche und auf dem Tische sehen, die uns Nahrung, Kleidung 
und andere unentbehrliche Materialien liefern, muss Jeder nicht 
allein durch das blosse Sehen sondern wissentlich nach ihren 
augenfälligen Eigenthümlichkeiten kennen. Die Beobachtung 
dieser Eigenthümlichkeiten,, die jederzeit angestellt, wiederholt 
und fort und fort ohne besondern Zeit- und Kraftaufwand viel- 
mehr schon gelegentlich erweitert werden kann, schärft das 
Auge, von dessen richtigem Gebrauch überaus viel für das 
Leben des Menschen gewonnen wird. Schädliche Thiere be- 
einträchtigen unsere Nahrung, Kleidung, . Wohnung , Vorräthe, 
Kulturpflanzen und Nutzthiere, ja unsern eigenen Körper in der 
empfindlichsten, gefährlichsten Weise, ihre Naturgeschichte muss 
schon in dem ersten Unterrichte gelehrt werden, damit eben 
ein Jeder in den Stand gesetzt wird, diese Feinde rechtzeitig 
zu erkennen und erfolgreich gegen sie zu kämpfen. Von den 
allgemeinen Organisationsplan der Thiere gehört wenigstens so 
viel in den ersten Unterricht, dass die Thiere Nerven und 
Muskeln, Blutgefässe, Drüsen, u. s. w. besitzen, ferner wie diese 
Organsysteme im Körper sich zu einander verhalten und von 
einander unterscheiden und welche allgemeine Bedeutung jedes 
für das Leben habe. Dass die Gaus wie alle Vögel und Säuge- 


457 


thiere und der Mensch selbst nur warmes rothes Blut haben, 
sollte jeder Elementarschüler wissen und ohne derlei Kenntnisse 
niemals zum lateinischen und griechischen Unterricht zugelassen 
werden. Weiss er, dass die Säugethiere und Vögel nur warmes 
rothes Blut haben: so wird er sich selbst leicht in der Küche 
unterrichten, woher das Schwarzsauer zu den Klösen kömmt, 
und setzt sich gewiss nicht als wissenschaftlich ausgebildeter 
Theologe dem Hohngelächter Andrer aus. 

Der über die Volksschule hinaus gehende Unterricht der 
höhern Bürger- und Realschulen und der Gymnasien hat wie 
überhaupt so auch in der Zoologie über die Elemente hinaus 
zu gehen. Er muss also zunächst auf die Eigenthüwlichkeiten 
und Unterschiede der einheimischen nützlichen und schädlichen 
Thiere etwas näher eingehen, ihre Charaktere schärfer fassen, 
aus allen Abtheilungen oder Klassen des Thierreiches die her- 
vorragendsten, bedeutungsvollsten Typen kennen lehren, auf 
die wichtigsten Verschiedenheiten im Organisalionsplane hin- 
weisen und damit den ersten Schritt zur Einsicht in den thie- 
rischen Organismus ausführen. Die verwandtischaftlichen 
Verhältnisse, die Grade der organischen Dignität, die ersten 
Begriffe von Arten, Gattungen, Familien und Klassen, kurz 
das natürliche System der Thiere in seinen allgemeinsten Zü- 
gen muss erkannt und erfasst werden. Das hierzu erforder- 
liche Anschauungsmaterial ist jedem Lehrer, jeder Schule zu- 
gänglich, die zur Demonstration des Schulunterrichts unum- 
gänglich nothwendigen einheimischen T'hiere sind überall leicht 
herbeizuschaffen, einige Schädel, Skelete, trockne Insekten, 
Spinnen und Krebse kann jeder gründlich für sein Fach vor- 
bereitete Lehrer selbst präpariren und zu deren Fange und 
Sammeln den Schülern die geeignetste Anleitung geben, alles 
Weitere ist dann mit Hilfe von Abbildungen, welche die be- 
zügliche Literatur gegenwärtig in jeder beliebigen Auswahl 
bietet, zu demonstriren. Den Unterricht über den innern Bau 
der Thiere unterstützt die gelegentliche Anschauung in der 
Küche, dem Fleischerladen, wenn deın Schüler nur die geeig- 
nete Anweisung sein leibliches und geistiges Auge richtig zu 
gebrauchen gegeben wird. Gerade die Uebung dieses Orga- 
nes und demnächst die Verwendung derHände, welche durch 
Präparation der eingesammelten Thiere (und Pflanzen) und de- 


458 


ren Zerlegung, Zeichnen u. s. w. ihre Leistungsfähigkeit stei- 
gern, hat der naturgeschichtliche Unterricht auf allen Stufen 
nachdrücklichst zu pflegen und dadurch deren Vernachlässigung, 
welche der sprachliche Unterricht allgemein zur Folge hat, 
entgegen zu arbeiten. Wie sehr störend ist in den verschie- 
densten Lebensverhältnissen die leider nur zu oft vorkommende 
Ungeschicklichkeit in den Händen und Blindheit bei offenen 
und gesunden Augen! „Er ist unpraktisch“ damit wird ein- 
fach diese empfindliche Unfähigkeit entschuldigt, und soll ver- 
deckt werden, dass dieselbe ebenso sicher von einer geistigen 
Beschränktheit, Einseitigkeit und Unbeholfenheit gestützt wird. 
Augen und Hände sind die beiden Organe, welche am leich- 
testen, blos gelegentlich und doch jederzeit von Jedem in ih- 
rer Leistungsfähigkeit geübt und ausgebildet werden können, 
deren Grad selbst wieder den sichersten Masstab für den Um- 
fang der geistigen Befähigung, für die allgemeine geistige 
Bildung überhaupt abgiebt. Für das praktische Leben aber 
sind scharfe Augen und geschickte Hände überaus werthvolle 
Güter. 

Die höchste Stufe des zoologischen Unterrichtes in den 
obeın Klassen unserer gelehrten Schulen hat das auf der vo- 
rigen Stufe nur in den allgemeinsten Zügen erläuterte natür- 
liche System der Thiere tiefer zu begründen und durch ein 
näheres Eingehen auf den innern Bau mit Hinweis auf die 
Gesetzmässigkeit im Organisationsplane, auf die Einheit in 
demselben wenigstens bei den höheren Thieren. Wie der 
sprachliche Unterricht in den obern Klassen von den bis da- 
hin erlernten Formen zur Auffassung des Geistes der Sprache 
fortschreitet, so hat auch der naturgeschichtliche von den 
Formen zu den denselben zu Grunde liegenden Ideen und Ge- 
setzen sich zu erheben. Beide Unterrichtszweige der sprach- 
liche und der naturgeschichtliche haben das ganz gleiche Bil- 
dungsmaterial, die strengen Formen und die durch dieselben 
ausgedrückten Gedanken, nur hat der naturgeschichtliche Un- 
terricht den leider in der Praxis nicht gewürdigten erhebli- 
chen Vorzug, dass seine Formen dem jugendlichen Geiste viel 
näher liegen und belebter sind als die Grammatik der todten 
Sprachen. Seinen Abschluss müsste der zoologische Unter- 
richt in der Prima mit der Naturgeschichte des Menschen er- 


459 


halten, dessen innerer und äusserer Körperbau mit steter Be- 
zugnahme mindestens auf die Säugethiere zu erläutern wäre. 
Es ist doch eine ganz absonderliche eigenthümliche Erschei- 
nung, dass das was uns gerade am allernächsten liegt, unser 
eigener Körper und dessen genaueste Kenntniss am wichtig- 
sten und vortheilhaftesten ist, vom Unterrichte der allgemei- 
nen und der wissenschaftlichen Bildung überhaupt ausgeschlos- 
sen wird. Wie viele körperliche Unbehaglichkeiten, Schwä- 
chen und selbst Leiden haben lediglich in der gänzlichen 
Unkenntniss des Körperbaues, der Thätigkeit und der Bezie- 
hungen der Organe zu einander ihren Grund! Das „kenne 
dich selbst“ des alten Philosophen sollte unsere Zeit vor allem 
auf den eigenen Körper beziehen, gar Viele würden durch 
dasselbe nicht blos glücklicher leben, sondern auch geistig er- 
folgreicher wirken, als es mit der überwiegenden Bildung 
durch die todten Sprachen möglich ist. So lange die moder- 
nen Wissenschaften noch nicht über ihre Elemente sich erho- 
ben hatten, konnten sie selbstverständlich kein verwerthbares 
Bildungsmaterial bieten: seitdem sie aber auf die Stufe der 
Sprachwissenschaften und selbst über diese Sich erhoben ha- 
ben, kömmt es nur auf die Art und Weise ihrer Verwendung 
im Unterrichte an, um mit ihnen die gleichen Resultate siche- 
rer und schneller zu erzielen, — Die Naturgeschichte des 
Menschen stützt sich wesentlich auf die Thiere, wird durch 
diese leichter erfasst und am gründlichsten erkannt, denn der 
menschliche Körper ist nach demselben allgemeinen Plane ge- 
baut wie der der Säugethiere, aber er ist die vollendetste 
höchste Ausführung dieses Organisationsplanes, er ist die Krone 
der Schöpfung und wie körperlich vollkommener auch geistig 
allen übrigen Geschöpfen weit überlegen und zum Herrn der 
Schöpfung bestimmt. 

Die wenigsten unserer gelehrten Schulen widınen nun dem 
naturgeschichtlichen und insbesondere dem zoologischen Unter- 
richte die verdiente Pflege, häufig wird vielmehr letzter schon 
mit den mittlen Klassen abgebrochen und die Anthropologie 
lehren meines Wissens nur sehr vereinzelte Schulen. Ein 
zweistündiger Unterricht durch alle Klassen von einem tüchtigen 
und gründlich unterrichteten Lehrer gegeben würde schon den 
Anforderungen genügen, welche die Bedeutung der Zoologie 


460 


zu stellen berechtigt ist. Also meist ohne gerade weit über 
die ersten Elemente des zoologischen Wissens hinausgelangt 
zu sein, aber mit Lateinisch und Griechisch, Mathematik und 
Geschichte etc. desto besser ausgerüstet verlässt der Schüler 
die gelehrte Anstalt, um dem praktischen Leben sich zu widmen 
oder der wissenschaftlichen Ausbildung auf einer Universität 
sich zu zuwenden. 

Der ins praktische Leben übertretende Schüler hat bei der 
Dürftigkeit und Unzulänglichkeit des zoolvgischen Unterrichts 
nicht eine ausreichende Kenntniss der Thiere. Die schlechte 
Behandlung unserer Nutzthiere z.B., von welcher man so häufig 
Zeuge ist, beruht nach meinen Beobachtungen vielmehr auf 
Unwissenheit, auf mangelnder Kenntniss der Thiere und deren 
Naturell und nur in wenigen Fällen auf wirklicher Roheit. 
Der Geschäftsmann und Handwerker, welcher mit den Producten 
des Thierreiches zuthun hat, erstrebt nur die praktische Kennt- 
niss dieser selbst und hat weder Zeit noch Gelegenheit sich 
weiter auch über die Thiere selbst, welche ihm die Producte 
liefern, zu unterrichten. Den ganzen Tag über eifrig und an- 
gestrengt im Geschäft thätig fehlt am Abend die Aufmerksam_ 
keit und nothwendige innere Regsamkeit, um aus einem Buche 
den mangelnden Unterricht nachzuholen. Hier würden Fort- 
bildungsschulen, wenn sie den bezüglichen naturwissenschaft. 
lichen Unterricht pflegten, sehr verdienstlich wirken können. 
Der Gärtner übt vermöge seiner Beschäftigung mit den Pflanzen 
seinen Blick und es entgehen seiner Beobachtung auch die 
Thiere nicht,Zwelche die Erfolge seiner Thätigkeit beeinträch- 
tigen. Aber ohne eine Kenntniss der Naturgeschichte dieser 
Feinde bringt er es auch nicht zu einem siegreichen, dieselben 
vernichtenden Kampfe. Der Landwirth mit minder scharfem 
Auge für naturgeschichtliche Gegenstände als der Gärtner er- 
kennt häufig selbst dann seinen Feind noch nicht, wenn ihm 
derselbe schon eine völlige Niederlage bereitet hat. Die Felder 
sollen von Thau, Regen befallen sein, während gefrässiges 
Ungeziefer sich allmählig unter seinen Augen entwickelte, 
Beide Gärtner und Landwirthe sind der Zoologie nicht besonders 
freundlich gesinnt, weil sie ihnen keine Recepte gegen das 
Ungeziefer wie der Arzt gegen die Krankheit liefert, sie ver- 
gessen dabei gauz, dass die Zoologie eben nur die Naturge- 


461 


schichte der Thiere ist und an deren gründlicher praktischer 
Verwerthung der Praktiker ebenso ernstlichen Antheil nehmen 
muss wie der wissenschaftliche Zoologe. Diese ernstliche Be- 
theiligung aber fehlt durchaus, denn meine vielfachen privaten 
und öffentlichen Aufforderungen und Bitten um Zusendung von 
Ungezieferarten, selbst sehr gemeinen und gefährlichsten wie 
der Räudemilbe blieben bisher gänzlich erfolglos und Andre 
haben ähnliche Erfahrungen gemacht. Hätte der Schulunter- 
richt das Interesse für die Thiere angeregt, würde gewiss 
auch der Praktiker auf einige Kenntnisse gestützt nicht in einer 
ihnselbst am empfindlichsten berührenden Gleichgültigkeit gegen 
seine Feinde und Freunde beharren. 

/u den wissenschaftlichen oder Universitätsstudien bringt 
der Theologe, Jurist und Philologe in der Regel keine zoolo- 
gische Bildung mit und das ausschliessliche Interesse für sein 
Fach — denn heut zu Tage wird eben nur Fachbildung, nicht 
universelle auf der Universität erstrebt — unterdrückt das hie 
und da empfundene Bedürfniss die auf der Schule versäumte 
allgemeine Bildung, die man doch vor Allem bei wirklich 
wissenschaftlich Gebildeten und bei Gelehrten vorauszusetzen 
pflegt, nun noch nachträglich zu befriedigen. Wie der Theologe 
daher ganz verwundert ist, dass die Gans kein Schwarzsauer 
im Kopfe hat, so entsetzt sich ein hochgefeierter Staatsrechts- 
lehrer über die Versicherung des Zoologen, dass Ratten und 
Mäuse wirklich keine niedern Thiere sind! 

Der Abiturient unserer Gymnasien begiebt sich mit einem 
durch langjährigen Fleiss und ernste Anstrengung redlich er- 
worbenem Zeugnisse der Reife also mit einem zu dem fach- 
wissenschaftlichen Studium ausreichenden Masse von Kennt- 
nissen und geistiger Fassungskraft ausgerüstet zur Universität. 
Alsbald aber erfährt der den Naturwissenschaften und der 
Medicin sich widmende Studirende, dass trotz des Zeugnisses 
der Reife ihm sogar noch die elementaren Kenntnisse seiner 
nunmehrigen Hauptwissenschaft fehlen. Doch die Schule hat 
ihn geistig soweit gereift, dass zunächst für das Studium der 
Naturwissenschaften die nothwendigen elementaren Vorkennt- 
nisse um so leichter und schneller erworben werden als der 
Docent in und neben seinen sonst streng akademischen, also 
wissenschaftlichen und gründlichen Vorträgen eilrigen Be- 


462 


strebungen das Versäumte zu ergänzen bemüht ist. Das Studium 
der Physik und Chemie, der Mineralogie, Botanik und Zoologie 
wird sogleich theoretisch und praktisch angegriffen, aber in 
all diese Fächer ohne genügende Vorkenntnisse sich so gleich- 
mässig gründlich einzuarbeiten, wie es der spätere Beruf er- 
heischt, das gelingt doch nur sehr wenigen besonders Begabten 
und Wissensdurstigen, die Mehrzahl pflegt nur eine oder zwei 
Disciplinen, die andern blos nothdürftig oder gar nicht, so dass 
es immer noch Chemiker giebt, die in einem Haifischzahne 
eine Schildkrötenpfote erkennen und ;:von Sauriern absolut 
nichts zu wissen behaupten, wie andrerseits Botaniker, die 
nie von Amiden und Sulfiden etwas gehört haben leider aber 
auch nicht einmal die Vergangenheit ihrer eignen Lieblinge 
kennen. Das ist leider eine sehr bedauermswerthe Einseitig- 
keit und Beschränktheit des Wissens, da alle naturwissen- 
schaftliche Diseiplinen tief in einander greifen und der Scharf- 
blick und Scharfsinn, den die höhere Verwerthung der Detail- 
forschungen erfordert, über die Gebühr beschränkt wird. Mehr 
als selbst die höchste Schulbildung bieten kann, also eine 
eigentlich akademische (d. h. umfassende) naturwissenschaft- 
liche Bildung sollte sich auch der erwerben, der die Pilege 
nur eines naturwissenschaftlichen Faches zur Lebensaufgabe 
sich stellt, da er ohne solche Bildung nicht leicht über den 
Stand eines tüchtigen Handlangers auch in seiner Wissenschaft 
sich erheben kann. 

Ungleich minder günstig als der Naturwissenschaften 
Studirende ist der Mediciner mit seinem Zeugniss der Reife 
vor die Medicin gestellt. Diese ist ihm völlig fremd und ver- 
langt schon deshalb für ihre verschiedenen Zweige ausser der 
geistigen Reife noch eine energische Arbeitskraft, die Natur- 
wissenschaften aber gelten ihm als Nebenfächer untergeord- 
neten Werthes und nun gar noch für diese die im Schulunter- 
richte versäumte elementare Vorbildung nachzuholen, könnte 
ob aller elementaren Studien gar das des höhern wissenschaft- 
lichen Faches vergessen werden. Und doch ist zu einer 
gründlichen wissenschaftlichen Durchbildung des Mediciners 
die Zoologie ganz unerlässlich. Die menschliche Anatomie 
und Entwicklungsgeschichte haben als blos descriptive Wissen- 
schaften für den praktischen Mediciner ihren Werth, aber sie 


463 


sollen zugleich eine tiefe und gründliche Einsicht in das Wesen 
des menschlichen Organismus verschaffen, und dazu bedürfen 
sie der vergleichenden Anatomie und Entwicklungsgeschichte 
der Tbiere als ihrer eigentlich wissenschaftlichen Grundlage. 
Ebenso unentbehrlich ist für die Physiologie des Menschen 
die genaueste Kenntniss der Gesetze des thierischen Organis- 
mus und weiter noch: würde kein Medieiner gründliche wissen- 
schaftliche Bildung sich erworben haben, wenn er vom Blut- 
igel nicht mehr weiss, als dass er Blut saugt, von der spani- 
schen Fliege nicht mehr als dass sie zu den Käfern gehört; 
wenn er vonder Trichine behauptet sie habe sechs Beine und 
lebe auch in Siedehitze fort, wenn er die Filzlaus nicht von 
andern Insekten und den Milben unterscheiden kann! Die 
Naturgeschichte der Parasiten des Menschen, der innern wie 
der äussern, deren Bekämpfung und Beseitigung dem Mediciner 
obliegt, muss er so vollständig und gründlich kennen wie der 
Zoologe selbst. Warum trotz der hohen Wichtigkeit der 
Zoologie unsere Mediciner von einem pflichimässigen Studium 
der Zoologie gegenüber einem ernsten Studium der Chemie, 
die für die Erkenntniss und Behandlung des menschlichen Or- 
ganismus kein höheres Interesse hat, als jene, entbunden sind, 
dafür weiss ich die Gründe nicht anzugeben und begnüge mich 
hier nur den Einwand zu beseitigen als sei die Zoologie eine so 
sehr umfangreiche Wissenschaft geworden, dass der Mediciner 
sie nicht mehr bewältigen könne. Allerdings ist es nicht mög- 
lich neben der Medicin noch die Zoologie in ihrem ganzen 
Umfange zu studiren, sehr wohl aber kann sich der Medieiner 
und er hat es zur Gründlichkeit in seinem Fache völlig nöthig, 
das aus der Zoologie, was für ihn Interesse hat, also die Ge- 
setze vom Bau und Leben der Thiere so wie die Naturge- 
schichte der Schmarotzer und der Arzneimittel liefernden Thiere, 
aneignen, gegenwärtig sogar leichter und bequemer als vor 
Jahrzehnten, weil die Wissenschaft bestimmtere sichere Re- 
sultate und mit diesen eine zweckmässigere Methode des 
Studiums gewonnen hat. Beschränkt der Medieiner sein z00- 
logisches Interesse auf das, was sein Fach unmittelbar berührt, 
lässt er also das Detail der Systematik einzelner Familien, 
die systematischen Einzelnheiten der vergleichenden Anatomie, 
Histologie und Entwicklungsgeschichte unberücksichtigt soweit 


464 


dasselbe eben nicht zum Verständniss der allgemeinen Geselze 
erforderlich ist: so braucht er auch die akademische Studien- 
zeit gewiss nicht über die jetzt übliche hinaus zu verlängern. 
Sehr wesentlich erleichtert würde ihm freilich die Erwerbung 
dieses Wissens, wenn ihm die Schulbildung in ausreichender 
Weise darauf vorbreitete, unzweifelhaft würde mit einer solchen 
Vorbereitung bei uns auch die Vernachlässigung der Zoologie 
eine minder allgemeine, minder empfindliche sein. 
Pharmaceuten und Landwirthe pflegen ohne das Zeugniss 
der Reife akadeıinischen Studien für ihr Fach obzuliegen. Erste 
begnügen sich mit wenigen Fächern und beschränken, bei uns 
wenigstens, auch diese noch, indem sie die Zoologie völlig 
unbeachtet lassen. Eine solche Beschränkung steht aber mit 
dem, was man unter akademischer Bildung begreift in Wider- 
“ spruch. Akademische Bildung heisst eben nur gründliche, um- 
fassende, erschöpfende, erstreckt sich also für den Pharmaceuten 
auch auf die Naturgeschichte aller Thiere, die eine nähere 
oder fernere Beziehung zur Mediein haben, sei es dass sie 
selbst Medicamente liefern oder solche gegen sie verlangt 
werden, und da der Apotheker den Arzt in der Herstellung 
und Erhaltung der Gesundheit des Menschen die nothwendig- 
sten Dienste leistet, muss die akademische Bildung von ihm 
auch eine mehr als oberflächliche Kenntniss vom Bau des mensch- 
lichen Körpers und den Functionen seiner Organe verlangen. 
Eine sehr schwierige Aufgabe endlich stellt sich der 
ohne Zeugniss der Reife, ohne naturwissenschaftliche Vor- 
bildung, wie solche der Pharmaceut in der Apotheke schon 
sich zu erwerben genöthigt ist, an das akademische Studium 
herantretenden Landwirth., Die wissenschaftliche Grundlage 
für die Landwirthschaft bilden wesentlich die Naturwissen- 
schaften, in gleichem Grade eine wie die andere, die Chemie 
nicht im geringsten mehr als die Geologie mit der Boden- 
kunde, die Zoologie in völlig gleicher Berechtigung mit der 
Botanik. Da die Landwirthschaft mit den Thieren in unmittel- 
barer Beziehung, in eigentlicher Abhängigkeit von denselben 
steht: so hat sie auch die Zoologie in ungleich ausgedehnterem 
Masse nothwendig als die Medicin. Sie nimmt die Hausthiere 
in ihren unmittelbaren Dienst auf und züchtet andere für den 
menschlichen Haushalt unentbehrliche. Die Behandlung beider, 


465 


welche doch durch akademische Studien auf sichere wissen- 
schaftliche Grundlagen gestützt werden soll, erfordert die Kennt- 
niss ihrer Naturgeschichte in vollem Umfange. Die Wichtig- 
keit der Hausthiere hat die Viehzuchtlehre und die Thierarznei- 
kunde als eigene Disciplinen ausgebildet und beide kann der 
wissenschaftlich gebildete Landwirth durchaus nicht entbehren, 
aber ohne zoologische Grundlage ist auch deren wissenschaft- 
liches Studium nicht möglich, ohne sie kann ihr Vortrag sich 
nicht über die Stufe des niedern Schulunterrichts erheben. Weiter 
werden unsere Nutzthiere von den Schmarotzern geplagt. 
Während der Mediciner die Filzlaus und den Bandwurm auch 
ohne dieselben zoologisch zu kennen wohl beseitigen kann 
und mit deren Naturgeschichte eben nur seiner akademischen 
Bildung zu genügen sich beschäftigt, steht der Landwirth hilf- 
los vor der Räudekrankheit, ohne die gründlichste Kenntniss 
der Räudemilben und der Naturgeschichte der Milben über- 
haupt dauert die Rathlosigkeit fort. Auch die Felder und 
Speicher werden von einer nicht geringen Anzahl sehr gefähr- 
licher Feinde heimgesucht, deren gefährlichste gerade sich 
den nicht unterrichteten Augen am meisten entziehen, ihre 
Naturgeschichte hat der Landwirth in seinem materiellen Inter- 
esse und nicht blos um den Anforderungen der akademischen 
Bildung zu genügen. gründlich zu studiren. Endlich greift die 
Landwirthschaft mit ihren Kulturen gewaltsam störend in den 
gesetzlich geordneten Haushalt der Natur ein; wie sie den 
Boden nöthigt nach ihrem Willen Pflanzen zu nähren: so ver- 
rückt sie damit auch das Gleichgewicht im Thierreiche und 
das zwischen Pflanzen und Thieren, bereitet gewissen Unge- 
zieferarten die günstigsten Lebensbedingungen und verscheucht 
in gleichem Masse deren natürlichen Feinde. Diese Störung 
verpflichtet den Landwirth auch die allgemeinen Gesetze des 
natürlichen Haushaltes zum Gegenstande ernstlichen Studiums 
zu machen. So greift die Zoologie nach den verschiedensten 
Richtungen hin unmittelbar und mittelbar tief in die Landwirth- 
schaft ein und stellt hohe Forderungen an deren erfolgreiches 
wissenschaftliches Studium, das ohne ausreichende schulge- 
rechte Vorkenntnisse nur mit grossem Aufwande an Zeit, Kraft 
und Hingebung ermöglicht werden kann. 

Die Weltgeschichte wird in allen Schulen unterrichtet und 


466 


ihre Kenntniss mit Recht von der allgemeinen Bildung verlangt, 
aber es ist es nur die politische Völkergeschichte, nicht die 
Geschichte des Menschengeschlechtes, auch nicht die der Welt. 
Die erste reicht weit über die Völkergeschichte zurück und 
greift wie die Forschungen der Neuzeit lehren in die Geschichte 
des Erdballs, der Welt ein. Warum wird eine Weltgeschichte 
in diesem Sinne nicht allgemein gelehrt? Die Geschichte des 
Erdballs und seiner Bewohner, der Pflanzen, Thiere und des 
Menschen hat in der That keinen geringern Werth für die all- 
gemeine Bildung als jede andere Wissenschaft und eine sehr 
wesentlicher Theil der eigentlichen Schöpfungsgeschichte ge- 
hört wieder der Zoologie an. Ihre Auffassung erfordert freilich 
ein gewisses Mass von Kenntnissen aus verschiedenen andern 
Wissenschaften und eine gewisse geistige Reife, leider hat 
sich der Schüler diese noch nicht erworben und muss daher das 
Studium der wissenschaftlichen Schöpfungsgeschichte der Univer- 
sität vorbehalten bleiben. Hier aber kann sie das verdiente 
allgemeine Interesse nur finden, wenn die naturwissenschaft- 
lichen Studien überhaupt allgemein gepflegt werden. 


Literatur. 


Physik. Aug. Kundt, über die anomale Dispersion der 
Körper mit Oberflächenfarben. — Es ist längst bekannt, dass 
nach theoretischen Schlussfolgerungen einzelne Metalle (Silber, Gold etc.) 
einen Brechungsexponenten haben, der kleiner ist als 1, d. h. dass das 
Licht sich in ihnen schneller fortbewegt als im luftleeren Raume; experi- 
mentell ist diese Sache noch nicht ganz sicher nachgewiesen, aber auch 
noch nicht vollständig widerlegt. Kundt hat jetzt eine Klasse von Kör- 
pern untersucht, die in ihren optischen Eigenschaften den Metallen nahe 
stehen, er hat dabei zwar keine absoluten Werthe für die Brechungsex- 
ponenten gefunden, aber doch allgemeine anomale Dispersionserscheinun- 
gen die für die Folge von Wichtigkeit sein werden. Die erwähnten Kör- 
per haben die Eigenschaft für einzelne Lichtstrahlen durchsichtig zu sein, 
für andere aber sich wie Metalle verhalten und sie mit metallischem Glanz 
zu reflectiren; man nennt dieselben: Körper mit Oberflächenfarben. Das 
von ihnen durchgelassene Licht ist ganz oder nahe complementär zu dem 
an der Oberfläche reflectirten Lichte; ausserdem zeigen sie, wie die Me- 
talle deutliche elliptische Polarisation des Lichtes. Um von diesen Kör- 
pern ein Dispersionsspectrum herzustellen, mussten sie gelöst und in Holıl- 


467 


prismen gefällt werden. Herr Christiansen in Kopenhagen (Pogy. 
Ann. 141, 479) hatte kürzlich eine solche Untersuchung mit Fuchsin 
ausgeführt nnd gefunden, dass der Brechungsexponent der Lösung von B 
bis D zunimmt, dann schnell bis @ sinkt und von da an wider wächst. 
Auch von Joddampf war bereits seit 1862 (Le Roux in Pogg. Ann. 117, 
659) bekannt, dass er die rothen Strahlen stärker bricht als die blauen. 
Kundt hat nun gefunden, dass fast alle Körper, die im festen Zustande 
eine deutliche Oberflächenfarbe zeigen in concentrirter Lösung eine ano- 
male Dispersion zeigen. Alle diese Körper brechen das rothe Licht stär- 
ker als das blaue und sodann ist bei den Körpern, bei denen Grün einen 
Hauptbestandtheil der Oberflächenfarbe bildet und noch deutlich im Spec- 
trum erkannt werden konnte, das Grün am wenigsten abgelenkt. Anilin- 
violett, Anilinblau, Indigocarınin, besonders aber Cyanin zeigen daher fol- 
gende Farbenfolge: Grün, Blau, Roth, wo Grün am wenigsten abgelenkt 
ist. Beim Cyanin war ausserdem Hell- und Dunkelblau zu unterscheiden, 
zwischen Blau und Roth befand sich eine dunkele Stelle und jenseit des 
Roth noch eine Andeutung von Orange. In verdünnter Lösung zeigen 
alle diese Körper eine anomale Dispersion. — Ueber die Beobachtungs- 
methode ist auf das Original zu verweisen, der brechende Winkel des 
Prisma betrug c. 250; die Beobachtungen wurden theils mit unbewaffne- 
tem Auge, theils durch das Fernrohr des Kirchhoffschen Speetralappara- 
tes angestellt. Versuche mit Prismen aus festen Körpern werden in Aus- 
sicht gestellt, ausserdem wird die Nothwendigkeit betont, dass auch die 
Constanten der elliptischen Polarisation bestimmt werden. — (Pogy. Ann. 
142, S. 163, s. auch die Würzburger phys. medic. Verhandlungen 1871, 
Ss. 1—8.) 

A.Kundt, Nachtrag zum vorigen Aufsatz. — Die von Kundt 
untersuchten Körper, welche Dispersion und Oberflächenfarben zeigen, ha- 
ben uoch eine andere Eigenschaft gemeinsam, nämlich den Dichroismus: 
Anilinroth, Fuchsin, Anilinblau, Anilinviolett, Anilingrün, Murexid, Cyanin, 
Uebermangansaures Kali sind deutlich und stark dichroitisch, wie man 
am deutlichsten sieht, wenn man die Lösungen in dünnen Schichten auf 
Glasplatten krystallisiren lässt und unter dem Mikroskop auf Dichroismus 
untersucht; aber auch mit blossem Auge erkennt man den Dichroismus, 
wenn man die Platte im durchfallenden Lichte betrachtet. In gleicher 
Weise zeigen auch Carmin und Indigcarmin in dünnen Schichten an ver- 
schiedenen Stellen verschiedene Farbennüancen; in Krystallen sind sie lei- 
der nicht zu erhalten. Ob und iu wie weit der Dichroismus mit der ano- 
malen Dispersion zusammenhängt, lässt der Verf. dahingestellt; unwahr- 
scheinlich erscheint es durchaus nicht; man könnte sich etwa denken, dass 
die Moleküle die beiden Eigenschaften: einen weissen Liehtstrahl in zwei 
firbige zu zerlegen und gewisse Strahlen stark zu reflectiren, mit in die 
Lösung hinüber zu nehmen und in Folge dessen anomale Brechung zei- 
gen. Bemerkenswerth ist auch noch, dass die genannten Körper bei der 
Untersuchung durch das Spectroskop säramtliche starke und characteri- 
stische Absorptionserscheinungen zeigen. — (Poyg. Ann. 143, 149—152.) 

Sbg. 
Zeiischr. f. d. ges Naturwiss. Bd, XXXVII, 1871. 33 


468 


V.v. Lang, über die anomale Dispersion spitzer Pris- 
men. — Die vorher beschriebenen Versuche von Christiansen und 
Kundt sind durch V. v.Lang wiederholt, anfangs ohne Erfolg; er wen- 
dete ein Hohlprisma von 60° an und hat, wie er sagt, nichts Anomales ge- 
funden. Ref. vermuthet, dass bei einem solchen starken Prisma wahrschein- 
lich die Lösung nicht eoncentrirt genug war. Erst als Verf. sich genau 
nach den von Christiansen und Kundt angegebenen Methoden richtete, er- 
hielt er dieselben Resultate wie jene Forscher, aber er gibt eine andere 
Erklärung, er bringt die Erscheinung in Zusammenhang mit der unvoll- 
kommenen Achromasie des Auges. Er beschreibt zur Unterstützung die- 
ser Ansicht noch einige andere Versuche, wo ebenfalls roth und blau nicht 
in der gewöhnlichen Ordnung auftreten. — (Sitzungsber. der Wiener 
Akademie Bd. 63, S. 658 — 660; Poyg. Ann. 143. 269 — 272.) 

A.Kundt, über anomale Dispersion, zweiteMittheilung. 
— Diese Vertheidigung Kundts gegen V. v. Lang ist in unserer Zeitschrift 
schon ausführlich referirt: Bd. 38, S. 188 — 191 (siehe auch Poyg. Ann. 
143, 259 — 269.) 

Sellmeyer, zur Erklärung der abnormen Farbenfolge im 
Speetrum einiger Substanzen. — Verf. theilt die theoretischen 
Ansichten mit, die er sich schon früher von der Dispersion gebildet habe 
und.die ihn schon, ehe er die eben beschriebenen Versuche von Chri- 
stiansen und Kundt kannte, zu denselben Resultaten geführt hatten; 
eine experimentelle Bestätigung seiner Theorie war ihm bisher noch nicht 
gelungen. Seine Speculationen werden nun dureh die Versuche jener bei- 
den Beobachter bestätigt‘ — (Pogg. Ann. 143, 272 — 290.) Sbg. 

F. Knoblauch, eine durch Dispersion hervorgebrachte 
stereoskopische Erscheinung. — Man stelle sich zwei Combina- 
tionen von je einem Crown- und einem Flintglasprisma her, welche eine 
mässige Dispersion, aber für eine bestimmte Farbe, etwa für roth keine Ab- 
lenkung geben, bringe dieselben so vor die Augen, dass die brechenden 
Kanten sich innen befinden und betrachte damit einen rothen und einen 
blauen Punkt; es escheint dann der blaue Punkt dem Auge näher, Bei 
der entgegengesetzten Stellung der Prismen erscheint der rothe Punkt nä- 
her. Ist z, B. der brechende Winkel für die Crowglasprismen —=20°, der 
für die Flintglasprismen 170%, nimmt man dabei die Brechungsexponenten 
wie folgt an: 

roth (0) Crown 1,5268 Flint 1,6020 

blau (F) ,„ 1,5360 a ) 
dann beträgt der Unterschied der Ablenkung für roth und blau in einem 
Prismenpaare 7’ und daraus ergibt sich für !/, Meter Bildabstand eine 
Verschiebung von 1?/, em., für 1 M. Bildabstand sogar 7 em. Der Effect 
wird besoders überraschend, wenn man colorirte Bilder durch ein solches 
Prismenpaar betrachtet, am deutlichsten wirkt ein roth und blaues Schach- 
brettmuster oder gelbe Staubfäden mit den grünen Kelchblättern u. s. w. 
Wenn man die Augen abwechselnd öffnet und schliesst, so kann man sich 
überzeugen, dass eine streng stereoskopische Erscheinung vorliegt. Die 
Farben müssen möglichst frei von Weiss sein, die Flächen dürfen nicht 


469 


zu gross und gleiehmässig sein, wenn der Eindruck stark sein soll, daher 
sind denn auch mit dem Pinsel gemalte Objecte besser als solehe, die ans 
Papier zusammengeklebt sind. Immer ist die dentliche Sehweite nöthig. 
In geringein Grade zeigt auch schon ein einzelnes Prisma die Erscheinung, 
es stören dann aber die farbigen Ränder mehr; auch bei einem schwachen 
Flintglasprisma kann man die Bilder mit einiger Anstrengung zusammen- 
bringen und den Eindruck erhalten, — (Poyg. Ann. B. 143, S. 144—146.) 


Sbg. 
Chemie. Linnemann, ein Beitrag zur weiteren Kennt- 
niss des Pinakons. — Der Verf. hatte früher (Ann. d. Ch. u. Ph. 


133. 1 ff.) nachgewiesen, dass das Benzpinakon eine Zwischenstellung 
zwischen Benzophenon und Benzhydrol einnimmt, indem es durch aus al- 
kalischer Lösung frei werdenden Wasserstoff in Benzhydrol übergeht (wie 
das Benzophenon), bei der Oxydation aber Benzophenon liefert (wie das 
Benzhydrol). Für das Pinakon des Acetons, welches in derselben Weise 
zwischen Aceton und Isopropylalkohol seine Stelle hat, war bisher nur 
nachgewiesen, dass es durch Oxydation wie der Isopropylalkohol in Ace- 
ton übergeht. Es ist Linnemann gelungen, durch Zinnwirkung von gas- 
förmiger Jodwasserstoffsäure das Pinakon weiter zu Isopropylalkohol zu 
hydrogenisieren; es resultirte dabei ausserdem noch ein Kohlenwasserstoff, 
den L. nach einer vorläufigen Analyse für einen Hexylwasserstoff C$H1® 
hält. Der Vorgang hat jedenfalls in der Weise staitgefunden, dass zu- 
nächst Pinakolin entstanden und bei weiterer Einwirkung des JH in Iso- 
propylalkohol und den Kohlenwasserstoff zerfallen ist: 
H3 2 H3 
2 am Se-=0N +31 — 2 | (OB) on, + CHA, 
CH> CH> CH3 

— (Sitzungsber. d. Wiener Acad. d. Wissensch, 1871. S. 255 ff.) 

Linnemann, über die gleichzeitigeBildung von Propyl- 
aldehyd, Aceton und Allylalkohol neben Acrolein bei der 
wasserentziehendenEinwirkung vonChlorcaleium aufGly- 
eerin. — Durch Destillation mit Chlorcaleium erhielt L, aus 100 Thl. 
Glyeerin 0,88 Acrolein, 0,23 Propylaldehyd, 0,12 Aceton, 0,07 Allylalko- 
hol, Verfasser ist vorläufig nicht im Stande, die Bildung der drei isome- 
ren Substanzen C®H°O aus Glycerin durch einfache Wasserentziehung zu 
erklären. Vielleicht findet durch Einwirkung des zunächst entstehenden 
Acroleins eine Produktion des Glycerins statt, welcher dann erst die Bil- 
dung jener drei Körper folgt. (Das von L. angewandte Glycerin enthielt 
übrigens kein Propylglycol.) — (Ebenda S. 673 ff.) 


Schafner, über die Darstellung von Thallium im Gros- 
sen, — Die bei der Röstung der Schwefelkiese freiwerdenden Gase setzen 
in einer geräumigen gemauerten Kammer, ehe sie in der Bleikammer mit 
Salpetersäure behandelt werden, Flugstaub ab, der neben viel arseniger 
Säure und schwefelsaurem Eisenoxyd kleine Mengen von Zinkoxyd, Blei- 
oxyd, Spuren von Aulimon und Silber und schwefelsauren Thalliumoxydul 
enthält. Um das Thallium auszuziehen wird der gesammte Flugstaub mit 
Wasser ausgekocht, unler Zusatz von etwas Schwefelsäure, weil ein Theil 


& Bo 


a0 


des Thalliums als basisch schwefelsaures Salz vorhanden zu sein scheint. 
Aus der filtrirten Lösung wird das Thallium durch Salzsäure als Chlorür 
gefällt und dieses durch Auflösen in concentrirler Schwefelsäure und noch- 
maliges Fällen mit Salzsäure gereinigt. Zur Entfernung der letzten Spu- 
ren Arsen wird in die saure Lösung des schwefelsauren Thalliums H?S 
eingeleitet, aus dem Filtrat erhält man dann durch C!IH chemisch reines 
Chlorür, endlich durch Reduktion des schwefelsauren Salzes mit metalli- 
schem Zink das Thallium selbst, welches im Leucltgas- oder Wasserstofl- 
strom in eisernen Porcellantiegeln geschmolzen und in Papierformen ge- 
gossen werden kann. — (Edda 176.) 

Thomsen, die Affinität desWasserstoffs zumChlor, zum 
Sauerstoff und zum Stickstoff, — Der Verf. hat die bei der Bil- 
dung resp. Zerselzung des CIH,H?O und NH3 auftretenden Wärmemengen 
von Neuem untersucht, wobei er besonders auch auf die Reindarstellung 
der betreffenden Elemente geachtet hat. Als Bildungswärme für Cl,H fand 
er 22001e, für CIH,Aq 17314, für Cl,H,Aq 39315; dass die von Favre und 
Silbermann und von Abria gefundenen Zahlen höher liegen, erklärt er 
daraus, dass wenigstens die beiden ersteren höchstwahrscheinlich mit 
Chlor gearbeitet haben, welches Sauerstoff, resp. unterchlorige Säure ent- 
hielt. Die Verbrennungswärme von H und © ist nach Thomsen 68376e, 
eine Zahl, die zwischen die von Favre und Silbermann und von Andrews 
angegebenen fällt. Für ONH? fander, indireet aus der, bei der Zersetzung 
von Ammoniaklösung durch Chlor freiwerdenden Wärme) 26707 e, — (Be- 
richte d. Berliner chem. Ges. 4. Jahry. S. 941 ff.) 

Silv. Zinno, Jodschwefelsäure und jodschwefelsaure 
Salze. — Verf. liess schweflige Säure anf Jod und Bromamylum einwir- 
ken. Die Einwirkung auf Jodstärkemehl dauerte bis zur vollkommenen 
Entfärbung, dann wurde die Flüssigkeit der Destillation unterworfen und 
in dem Produkte dieser fand sich keine Spur von Jodwasserstoffsäure, ob- 
wohl Chlorwasser Jod daraus frei machte. Das Produkt wurde nun mit 
Kalilauge gesättigt, aber die concentrirte Flüssigkeit besass nicht die 
Eigenschaften des Jodkaliums, sondern unterschied sich dadurch, dass sie 
mit Quecksilberoxyd einen weissen Niederschlag gab, der roth werdend 
sich in Sulfat und Jodid umwandelte; essigsaures Blei gab einen weissen, 
salpetersaures Blei einen gelben Niederschlag. Darauf vermuthet Verf. die 
Jodschwefelsäure in dem Destillat, die noch sehr wenig bekannt ist. Er 
versuchte dieselbe rein darzustellen. Behufs der Vergleichung bereitete er 
solche nach Pelouze und Fremy’s Methode und fand, dass diese sich ganz 
ebenso verhält wie die von ihm gewonnene, Daraus nun schloss er, dass 
die schweflige Säure und Jodstärkemehl noch keineswegs Schwefelsäure 
und Jodwasserstoffsäure bilden, sondern Jodschwefelsäure. Hierauf ver- 
suchte er jodschwefelsaure Salze zu bilden. Er goss eine Lösung von 
schwefligsaurem Natron auf in Wasser zertheiltes Jodstärkemehl, filtrirte 
gleich nach der Entfärbung die Flüssigkeit, dampfte etwas ein, filtrirte 
abermals um das letzte Amylum zu entferneu. Diese Salzlösung lieferte 
zahlreiche Krystalle. Um das Verfahren zu modifieiren trug er in eine 
goncentrirte Lösung von schwefligsaurem Natron in der Kälte so viel Jod 


471 


ein als sich auflösen konnte, filtrirte dann und dampfte bis zur Bildung 
einer dieken Salzhaut ein. Das herauskıystallisirte Salz war von dem 
mittelst Jodstärkemehls erhalteneu durchaus nicht verschieden, Zur wei- 
tern Ueberzeugung von der Synthese der Jodosulfate bereitete er direct 
Jodschwefelsäure, indem er Jod in concentrirte wässrige schweflige Säure 
eintrug. Ein Dritttheil dieser farblosen Flüssigkeit wurde mit kohlensau- 
rem Kali, ein zweites mit kohlensaurem Natron, das dritte mit kohlen- 
saurem Ammoniak gesättigt. So erhielt er das Kali-, Natron- und Ammo- 
niaksalz der Jodschwefelsäure. Ans allen Versuchen folgt, dass die jod- 
schwefelsauren Alkalien auf dreifache Weise bereitet werden können: 
1. durch Einwirkung schwefligsaurer Alkalien auf Jodamylum, 2. Auflö- 
sung einer bestimmten Menge Jod in den Auflösungen der schwefligsauren 
Alkalien, 3. durch direete Sättigung der Jodschwefelsäure mit den Alkalien 
oder deren Carbonaten, Diese Salze können auch durch Auflösung von Jod 
in den Lösungen der unterschwefligsauren Alkalien und zwar unter Ausschei- 
dung von Schwefel nach der Gleichung Na0,S,0, + J = Na0,S0,J + S 
erhalten werden. Stets verlangt jedoch die Darstellung der jodschwefel- 
sauren Salze die höchste Sorgfalt. — Das jodschwefelsaure Natron Na,S0,J 
+ 10H0O krystallisirt in farblosen langen Prismen, schmeckt bitterlich, 
ist leicht lösslich im Wssser und wässrigem Weingeist, entwickelt beim 
Erhitzen Joddämpfe und verwandelt sich in Schwefelnatrium und schwe- 
felsaures Natron, verwitiert an der Luft, wird am Licht verändert. Seine 
Auflösung reagirt nicht alkalisch, durch einen schwachen galvanischen 
Strom entsteht darin eine Zersetzung in Jodwasserstoff, Schwefelsäure und 
Natron. Verf. giebt noch das Verhalten gegen Schwefel-, Salpeter- und 
Hydrochlorsäure und andere Reactionen an. Die Analyse ergiebt 56,20 
Jodschwefelsäure, 11,30 Natron, 32,50 Wasser. Das jodschwefelsaure 
Kali K0,0,J ist dem schwefelsauren Kali isomorph und zersetzt sich leicht 
an der Luft und am Lichte, ist weniger leicht löslich in Wasser wie das 
vorige Salz, besitzt im Uebrigen dieselben wesentlichen Eigenschaften. Das 
jodschwefelsaure Ammoniak NH,0,S0,J krystallisirt wie das Kalisalz in 
sechsseitigen Säulen und istin Wasser sehr leicht löslich, effloreseirt an der 
Luft und am Licht und befleckt sich dabei gelb, roth und braun. Obwohl 
einige Eigenschaften der jodschwefelsauren Alkalien denen der löslichen 
Jodmetalle analog sind, so ist doch nicht zweifelhaft, dass die Jodsulfate 
bestimmte chemische Verbindungen sind, da die Jodschwefelsäure das 
Jodür der schwefligen Säure ist. — (Münchener Sitzggsberichte 1871. 
I1. 177—185.) 
Bettendorff,krystallisirteSchwefelselenverbindungen. 
— Diese Verbindungen waren aus geschmolzenen Gemengen von Selen und 
Schwefel durch Krystallisiren aus Kohlensulfid gewonnen und zwar Sey,S,, 
Se,S,g SegS45, SeSz, Se,S,,, SeSz,SeS;,. Die Krystallform derselben gehört 
dem monoklinischen System an und sind die Krystalle in der Richtung 
der Vertikalachse zu Nadeln ausgedehnt und Combinationen eines verti- 
kalen Prismas nebst der Längsfläche, einer vordern und hintern Hemipy- 
ramide und eines klinodiagonalen Prismas. Der Habitus der Krystalle ist 
zuweilen dem des rhombisehen Systemes ähnlich, doch liefern nicht nur 


412 


die Messungen, sondern auch die tafelförmig ausgebildeten Zwillinge deu 
Beweis für das monokline System. Uebersteigt in den Schwefelverbindun- 
gen die Menge des S 5 Mol. gegen 1 Mol. Se: so bilden sich nicht jene 
monoklinen Krystalle, sondern rhombische Oktaeder von der Form des 
Schwefels. — (Rhein. Verhdigen XVII, Sitzgsberichte 4—5.) 

P. C. Marquart, über die Polybromide der Ammonium- 
basen. — In seiner Abhandlung über die flüchtigen organischen Basen 
erwähnt Hofmann eine Reihe von Verbindungen, die er durch Einwirkung 
der Haloide auf die Tetraaethylammoniumverbindungen erhalten hatte und 
für Substitutionsprodukte hielt, ohne sie näher zu untersuchen. Von den- 
selben sind nun die Jodide und Chloride von Weltzien als die Polyha- 
loide der Tetrammoniumbasen erkannt und beschrieben worden, aber über 
die durch Einwirkung von Brom erhaltenen Substanzen ist noch nichts 
bekannt. Als Verf. nach Hofmanns Methode Aethylamin durch Erhitzen 
von wässerigem Ammoniak und Bromaethyl im Franklandschen Digestor 
darstellte, wurde die vom Zersetzen des Bromides mit Aetzkali restirende 
alkalische Bromkaliumlauge zur Wiedergewinnung der letzten mit Brom 
neutralisirt. Dabei entstand ein flockiger orangerother Niederschlag, der 
sich als Tribromid des Tetraethylammoniums ergab. Der Niederschlag 
verlor seinen starken Geruch naclı Brom selbst nach häufigem Waschen 
und Trocknen an der Luft nicht ganz. Beim Umkrystallisiren aus Alko- 
hol lieferte derselbe schöne orangerothe Nadeln. Ihre Untersuchung führte 
zu der Formel N(C,H,),Br, des Tetraethylammoniumtribromids.. Um die 
Bedingungen der Bildung dieses zu constatiren wurde eine wässrige Lö- 
sung der freien Base mit Bromwasserstoffsäure neutralisirt und mit Brom- 
wasser versetzt, wobei derselbe orangerothe Niederschlag des Tribromids 
erhalten wurde. Das Tetraethylammoniumtribromid krystallisirt aus Alko- 
hol in hellorangerothen Nadeln, löst sich leicht in Alkohol und Schwefel- 
kohlenstoff, schwimmt in zu viel Chloroform farblos obenauf, schmilzt bei 
780 C. ohne Zersetzung zu einer dunkelrothen Flüssigkeit. Ein Pentabro- 
mid des Tetraethylammonium scheint zu existiren, ist aber so unbestän- 
dig, dass es schon an der Luft Br, verliert und sich in Tribromid um- 
wandelt. Beim Versetzen einer alkoholischen Lösung von Tribromid mit 
Brom entsteht ein krystallinischer Niederschlag, der auf Zusatz von mehr 
Brom wieder verschwindet. Die nun klare Lösung erstarrt nach einiger 
Zeit fast vollständig zu einer dunkel karminrothen Krystallmasse, welche 
an der Luft bald die Farbe des Tribromids annimmt. Der Bromgehalt 
entspricht dem des Tribromids.. Beim Behandeln einer Lösung von Tri- 
bromid in Chloroform und Brom wurde ebenfalls eine karminrothe Kry- 
stallmasse erhalten, deren Bromgehalt sich dem des Pentabromids nähert. 
Um ein langes Trocknen zu vermeiden wurde trocknes Tribromid mit ge- 
trocknetem Brom übergossen und die entstandene karminrothe Masse zer- 
rieben, über Schwefelsäure gebracht und analysirt. Der Bromgehalt stellte 
sich noch für das Pentabromid zu hoch. Versetzt man eine alkalische 
Lösung von Tetraethylammoniumtribromid mit einer Lösung von Jod in 
Jodkalium: so entsteht ein dunkelbraunrother Niederschlag von Tetraethyl- 
ammoniumtrijjodid. Die Reaction geschieht nach folgender Zersetzungs- 


4713 


gleichung: N(C,H,)4Br, + 3KJ —= N(C,H,),J; + 3KBr. Will man diese 
Reaction als doppelten Austausch betrachten, so müssen die Anhänger 
gewisser Ansichten, die als Beweis für die Fünfwerthigkeit des Stickstoffs 
anführen, dass die Ammoniaksalze des doppelten Austausches fähig sind, 
consequenter Weise in diesem Falle den Stickstoff als siebenwerthig be- 
trachten. Beim Behandeln der Methylbase mit Brom wurde ebenfalls ein 
Tribromid erhalten. Dasselbe zersetzt sich aber schon beim Umkrystalli- 
ren aus Alkohol und man erhält Krystalle von Tribromid neben solchen 
von Monobromid. Beim Umkrystallisiren aus Bromkalium wurden federför- 
mig gruppirte Krystalle von Tribromid erhalten. Dass die Bromide der Me- 
thylbase weniger beständig sind, wie die Aethylbase, ist um so auffallen- 
der als bei den Jodiden gerade das Umgekehrte der Fall ist. Selbst bei 
längerem Behandeln einer wässrigen Lösung der Methylbase mit Chlor konnte 
ein Polychlorid nicht erhalten werden. — (Rhein. Verhdigen XXVII, 
Sitzggsber. 6—8.) 

Muck, Verwerthung m®lybdänsäurehaltiger Flüssig- 
keiten von Phosphorsäurebestimmungen. — Die Wiedergewin- 
nung der Molybdänsäure als solche ist umständlich und schwierig und 
wandte sich Verf. der Regenerirung des üblichen Reagens selbst zu, das 
auf 1 Molybdänsäure 4 Ammoniak und 15 Salpetersäure enthält. Trotz 
der bekannten Löslichkeit des gelben Niederschlags von phosphormolyb- 
dänsaurem Ammoniak und allen möglichen Salzlösungen, versuchte er 
doch von demselben auszugehen, weil die Verbindung sich leicht darin 
darstellen lässt und der Verlust an Molybdänsäure selten mehr als 10 Proc, 
beträgt. Die sauren Filtrate vom gelben Niederschlag werden mit den am- 
moniakalischen (von der phosphorsauren Ammoniakmagnesia) gemischt. 
Der Gesammtgehalt an Molybdänsäure ist bekannt. Zu der Lösung setzt 
man eine ausreichende Menge phosphorsauren Natrons (1 Phosphors, auf 
20 Molybdäns.) und lässt 24 Stunden in mässiger Wärme stehen. Den 
gut abgesetzten Niederschlag wäscht man einige Male mit Wasser, bis die 
überstehende Flüssigkeit milchıg getrübt zu bleiben anfängt. Der Nieder- 
schlag wird im Wasserbad getroeknet und gewogen. Man nimmt darin 
eii Minimum von 90 Proc, Molybdänsäure an und wägt nun die 4fache 
Menge Ammon, und löfache an Salpetersäure ab oder mit audern Worten 
auf 100 Th. gelben Niederschlag 360 Th. Ammoniak und 1350 Th. Salpe- 
tersäure sowie 2—3 Th. reine Magnesia, der gelbe Niederschlag wird in 
der möglichst geringen Menge Ammoniak, die Magnesia in der erforder- 
lichen Salpetersäure gelöst. Beide letzt genannte Lösungen giesst man 
zusammen, filtrirt die phosphorsaure Ammoniakmagnesia ab, wäscht diese 
unter Anwendung einer Bunsenschen Pumpe mit dem Rest des Ammoniaks 
aus und giesst das ammoniakalische Filtrat in die Hauptmenge der Sal- 
petersäure. Nach langer Zeit scheidet sich hierbei eine geringe Menge 
des gelben Niederschlags aus, von welenem abfiltrirt die Lösung zum 
Wiedergebrauch ferlig ist und bei obiger Annahme von nur 90 Proc. Mo- 
Iybdänsäure im gelben Niederschlag etwas mehr als 5 Proc. Molybdän- 
säure enthält. — (Ebda 53—54.) 

Vogel, der Fettgehalt der Bierhefe. — Den Fettgehalt der 


474 


Getreidearten erkannte Vauquelin 1828, worauf Bibra eine grössere Arbeit 
darüber veröffentlichte (Nürnberg 1860) und nachwies, dass das Fett in 
keinem Getreide fehlt, aber je nach deu Arten zwischen 1,6—6,6 Proc, 
schwankt. Daraus folgt, dass das Fett keine spurenweise oder zufällige 
Beimengung ist, sondern eine wesentliche. Verf. wies früher im trock- 
nen Bierextracte Fett nach, 0,16 Proc. und wiederholte diese Untersuchung 
mit ähnlichem Resultate. Zur genauern Ermittlung dampfte er 500 CC 
Bier auf 1/, ein und schüttelte es dann wiederholt mit Aether. Dieser 
hinterliess nach dem Verdampfen ein gelbliches Fett, 0,094 Gramm pro 
Liter, dazu der Gehalt im festen Rückstande, stellte sich der Fettgehalt 
auf 0,15 Proc. In Folge dieser Untersuchungen wurde die Unterhefe des 
Bieres auf Fettgehalt geprüft. Die Extraktion des Fettes aus der Hefe 
geschah durch Schwefeläther. Mehre Stunden nach Aufgiessen des Schwe- 
feläthers auf die breiartige Hefe schied sich eine obre ganz klare Aether- 
schicht, eine mittle Wasserschicht und eine untere breiartige Hefenschicht. 
Die obere Schicht wurde mit einer Pipette abgehoben und die wässrige 
abgegossen, dann auf dieHefe wiederholt neuer Aether aufgegossen und 
die Schichten abermals abgenommen. Alle Aetherauszüge wurden auf !/, 
des ursprünglichen Volumens zur Wiedergewinnung des "Aelhers destillirt 
und der grünlichgelbe Rest in einem Kolben langsam verdunstet. Der 
Rückstand war ein gelbgrünliches fettes Oel. Die quantitative Bestimmung 
konnte nicht ermittelt, nur geschätzt werden, nämlich auf 1 Liter breiar- 
tige Hefe 0,2—0,3 Gramm Fett. Dieses Oel wurde mit dem direet aus 
der Gerste gewonnenen verglichen. Beide haben dieselbe Farbe, Geruch 
und Geschmack. Bei gewöhnlicher Temperatur flüssig, erstarrt das He- 
fenfett in der Kälte, scheidet sich in ein körniges festes Fett und in ein 
darüber stehendes flüssiges Oel, das bei —2° erstarrt. Das Hefenfett hat 
0,901 spec. Gew., das Gerstenfett 0,892. Der Kochpunkt jenes liegt zwi- 
schen 198— 200° C., der Zersetzungspunkt bei 3000 C., wobei sich ste- 
chend riechende Dämpfe von Acrolein entwickeln. Der kratzende Geschmack 
rührt von einer Spur Bitterstoff her. Es nimmt wie mehre andere Fette 
den rothen Farbstoff aus der Alkannawurzel auf und färbt sich gelbroth. 
Die durch Aether ihres Fettes beraubte Hefe büsste einen erheblichen Theil 
ibrer Gährungsfähigkeit ein. In welchem Verhältniss steht nun der Fett- 
gehalt zu den Vorgängen der geistigen Gährung? Wahrscheinlich ist, dass 
der Fettgehalt des Getreides in gewisser Beziehung sieht zu stiekstoffhal- 
tigen Bestandtheilen, also zu den Fermentationen. Neuen Untersuchnngen 
bleibt vorbehalten, die Entscheidung über die Rolle des Fettes beim Keim- 
und Maischprocess, beim Kochen der Maische in bedeckten und offenen 
Gefässen, endlich beim Gährungsprocess. Dass der Fettgehalt am Kei- 
mungsprocess der Gerste keinen wesentlichen Antheil nimmt, dass in der 
gekeimten Gerste, dem feingeschrotenen Malze ebenfalls ein dem Gersten- 
fett identisches Oel gewonnen wird, ohne dessen Verminderung. Leider 
ist die vom Fette befreite Gerste noch zu keinem Gährungsversuche ver- 
wendet worden, Bei Vermaischung und Brennen einer grossen Quantität 
Mais wurde auf der Maischflüssigkeit ein überaus feines fettes gelbes Oel 
ohne Geruch und Geschmack wahrgenommen, Man nahm an, dass das 


415 


Getreideschrot zu heiss eingemaischt sei und die Temperatur vielmehr 
nahe bei 6", R, zu halten sei. Dabei unterblieb denn auch die Oelaus- 
scheidung, trat aber bei Erhöhung auf 66° wieder ein. So hängt also 
die Fettabscheidung von der Temperetur der Maischflüssigkeit ab. Diese 
Abscheidung kann auf die Praxis nicht ohne Einfluss bleiben. Das Mai- 
schen (Mischen des Malzschrotes mit Wasser), wobei das in Wasser auf- 
lösliche Zuckerferment mit dem durch das Keimen im Wasser lösbar ge- 
wordene Stärkemehl in steter inniger Berührung mit Wasser unter allmä- 
lig sieh steigernder Temperatur zu erhalten beabsichtigt wird, geschieht 
in Baiern vor andern Ländern, dass der dicke Theil des Gemisches in die 
Pfanne 2 bis 3 mal gebracht und zum Sieden erhitzt wird, während die 
Flüssigkeit mit der weitaus grössern Diastasemenge der Zuckerbildung in 
der Maischmaschine überlassen bleibt. Durch das Diekmaischkochen wird 
die Diastase ausser Wirksamkeit gesetzt und nur Dextringummi erzeugt, 
eine kleine Nebenproduetion , bis zu deren Ende auch die Saccharification 
in dem Maischgefässe vollendet ist und dann beide Flüssigkeiten zusam- 
mengebracht werden können. Bei allen Brauarten überhaupt hält man 
grundsätzlich daran, dass die Zuckerbildung bei den Temperaturen zwi- 
schen 52—60° R. ihren Höhenpunkt erreicht, weil das auflösliche Ferment 
in höherer Wasserwärme unwirksam wird. In der neuern Zeit hat die 
Erfahrung gelehrt, dass bei 67° R, das Fett des Getreides aus der Ver- 
bindung tritt und oben auf schwimmt. Aber schon bei 63— 65° macht 
sich ein Auflockern der Verbindung wahrnehmbar, die man als Fehler 
von der Ueberhitzung erkennt und diese Fehler sind: Entstehung einer 
rothen schmierigen Hefe bei der nachfolgenden Gährung, eine blasige warme 
Gährung und ein trübes emulsives Bier. — (Münchener Sitzungsberichte 
1871. II. 109—118.) 

Vogel, Schwefelsäure als Verbrennungsprodukt des 
Steinkohlenleuchtgases. — Lässt man in einer Platinschale Wasser 
über einen Bunsenschen Brenner verdampfen, so findet man aussen an der 
Schale eine schmierige Flüssigkeit, coneentrirte Schwefelsäure. Verf. hat 
den Boden kupferner Kessel, welche lange als Wasserbäder über den Gas- 
flammen erwärmt waren sowohl mit Wasser, wie mit verdünnter Salzsäure 
abgekühlt und darin stets bedeutende Mengen von Schwefelsäure nachwei- 
sen können. Ein frisch polirter Kupferkessel, in dem Wasser über der 
Gasflamme kocht, färbt sich alsbald schwarz und dieser Ueberzug enthält 
Schwefelsäure. Ebenso an eisernen Gefässen bilden sich die Inerustatio- 
nen von basischschwefelsaurem Eisenoxyd. Erhitzt man kohlensauren Ba- 
ıyt einige Zeit auf einem engen Metalldrahtgitter über Gas: so ist der 
Baryt nicht mehr vollständig in Salzsäure löslich, es bleibt ein Rückstand 
von ungelöstem schwefelsauren Baryt. Bei Benutzung einer Spiritusflamme 
werden nur ausnahmsweise Spuren von Schwefelsäure beobachtet. In die- 
sem Schwefelsäuregehalte des Gases ist die Abnutzung der Metallgefässe 
begründet, Ulex wies, worüber auch unsere Zeitschrift berichtete, die 
Schwefelsäure des Gases an den Fensterscheiben in Zimmer nach, in de- 
nen viel Gas verbrannt wird, und sie veranlasst die K!agen der Leute mit 
empfindlichen Respirationsorganen über trockne Luft in gaserleuchteten 


476 


Zimmern. Auf die Vegetation hat die Beleuchtung einen entschieden nach- 
theiligen Einfluss, während Kerzen - und Oellicht ohne allen Einfluss bleibt. 
Für Wintergärten und andere Räume mit Blumen ist daher Gaserleuch- 
tung durchans zu vermeiden. Auch Wöhler hat übrigens sehon vor Ulex 
in der trüben Oberfläche eines Gaslampencylinders schwefelsaures Natron 
nachgewiesen. Die Quelle dieses Schwefelsäuregegehaltes ist in dem Schwe- 
felkohlenstoff zu suchen, welcher bei der Destillation schwefelhaltiger 
Steinkohlen auftritt. Der Schwefelkohlenstoff kann durch die gewöhnlichen 
Reinigungsvorriehtungen nicht entfernt werden und ist daher je nach dem 
Schwefelgehalte der zum Gas verwendeten Steinkohlen in grosser oder 
geringer Menge stets ein Begleiter des Steinkohlenleuchtgases. Der Schwe- 
felwasserstoff wird durch die Reinigung fast gänzlich entfernt. — (Ebda 
118—123.) 

Geologie. Ed. v. Mojsisovics, Parallelen in der obern 
Trias der Alpen. — In seinem vorzüglichen Compendium der Geolo- 
sie der Ostalpen (Graz 1871) weicht D. Stur hinsichtlich der Gliederung 
der alpinen Trias von den seitherigen Ansichten so erheblich ab, dass 
Verf. es für nöthig hält, wenigstens die seinigen dagegen aufrecht zu 
erhalten. Stur nimmt als Ausgangspunkt seiner Parallelen das Gebiet des 
Lunzer Sandsteines, in welchem des Verf.s norische Stufe ganz fehlt, 
Verf. dagegen geht vom Salzkammergut aus, in welchem die Trias am 
vollkommensten entwickelt ist und über die auch Stur keine abweichenden 
Ansichten aufstellt. Dieses Gebiet durchforschte Verf. sehr sorgfältig geo- 
gnostisch und paläontologisch. Er fand, dass mitten durch die Hallstädter 
Kalke eine sehr wichtige paläontologische Gränze sich hindurchzieht. Die 
untere Abtheilung, an welche die Ziambachschichten paläontologisch sich 
eng anschliessen, nannte er die Gruppe des Arcestes Metternichi, die obere 
die des Trachyceras acnoides, erste entspricht dem Hallstätter Marmor Sturs, 
letzte dessen Hallstätter Kalken. Beide Gruppen haben keine einzige Art 
gemeinsam, vielmehr jede ihren eigenen Formenkreis. Die Zlambachschich- 
ten mit den untern Hallstätter Kalken bilden in 5 einander folgenden Ni- 
veaus eine fortlaufende Entwicklungsreihe, die nur durch wenige Formen 
mit der in 3 Niveaus vertheilten Fauna der obern Hallstätter Kalke ver- 
knüpft ist. !. Stellung der Hallstätter Kalke nach paläontologischen That- 
sachen. Paläontologisch stehen die Cassianer, Raibler und Lunzer Schich- 
ten höher als die obersten Hallstätter Kalke. Die Aonschiefer des Lunzer 
Gebietes, identisch mit den Fischschiefern von Raibl, stehen nach ihren 
Cephalopoden zu den obersten Hallstätterschichten in nächster Beziehung. 
Die über den Aonschiefern folgenden Rheingrabner Schiefer haben ihre 
wichtigsten Arter ebenfalls mit den obersten Schichten der Hallstätter Kalke 
gemeinsam. Das über ‘den Reingrabener Schiefern folgende St. Cassian 
hat einige Arcesarten und ein Pbylloceras ebenfalls mit den obersten La- 
gen des Hallstätterkalkes gemein, die Mehrzahl der Cephalopoden aber 
verschieden, nicht eine einzige Art mit den untern Hallstätter Schichten 
gemein. 2. Die Lagerungsverhältnisse bestättigen diese paläontologische 
Parallelisirung. In den Karavanken konnte Verf, den directen Nachweis 
liefern, dass die Bleiberger Schichten (Reingrabener und Cassianer) über 


477 


dem erzführenden Kalk liegen, der in seinen obern Lagen genau den 
Sehichten mit Trachyceras austriacum der obern Gruppe der Hallstätter 
Kalke entspricht. Derselbe erzführende Kalk wird in Raibl von dem Com- 
plex der Raibler Schichten inel. den Aonschiefern überlagert. Auch der 
erzführende Kalk von Ardese liegt unter, den Raibler Schichten und über 
den Tuffen mit Choristoceras doleriticum und auch Trachyceras archelaus. 
In ganz NTiro! liegen die den Bleibergern entsprechenden Carditaschich- 
ten.über dem Wettersteinkalk, der nach seinen Cephalopoden der obern 
Abtheilung der Hallstätter Kalke entspricht. 3. Unter Wengener und Cas- 
sianer Schichten wurden lange zwei paläontologisch ganz verschiedene Ho- 
rizonte zusammengefasst, deren einen Verf. als Niveau des Choristoceras 
doleriticum an die Basis der obern Trias stellt, den andern als theilwei-. 
ses Aequivalent der obern Hallstätter Kalke, Niveau des Trachyceras aonoi- 
des betrachtet. Seitdem wies er nach, dass die Buchensteiner Kalke der 
SAlpen und die Pötschenkalke des Salzkammergutes einander völlig äqui- 
valent sind und paläontologisch den Schichten mit Choristoceras doleriti- 
cum eng verbunden. Da die Pötschenkalke unmittelbar über den Wenge- 
ner Schichten des Salzkammergutes liegen, so entsprechen die letzten in 
der That der oenischen Gruppe und habeu nichts mit den Aonschiefern der 
niederösterreichischen Alpen gemein. Durch den direeten Nachweis der 
aonischen Gruppe und der Cephalopodenbänke mit Arcestes Studeri wurde 
eine Lücke in der Triasreihe des Salzkammergutes ausgefüllt und zugleich 
die richtige Stellung der önischen Schichten erprobt. 4. Transgression des 
Cassian-Lunzer Complexes und des Hauptdolomits, Die vom Verf. her- 
vorgehobene Disccordanz des Dachsteinkalkes und des Hauptdolomites wurde 
in den nordtiroler Alpen vielfach beobachtet und hat sich ferner her- 
ausgestellt, dass auch die Carditaschichten mit dem Niveau der Halobia 
rugosa und des Amm. floridus an der Basis stellenweise an der Discor- 
danz theilnehmen , während diese und Hauptdolomit zu einander stets con- 
cordant lagern. Auch für Steiermark hat Stur die gleiche Discordanz be- 
obachtet. Diese Transgression hat insofern ein grosses Gewicht, weil durch 
sie jene Fälle, wo wie im Gebiete des Lunzer-Sandsteines und wahrschein- 
lich auch bei St. Cassian, unterhalb des Complexes der Raibler, Cassia- 
ner oder Lunzer Schichten grössere Lücken bestehen, die natürlichste Er- 
klärung finden. — Sonach finden also die paläontologischen Resultate ihre 
vollste Bestättigung in den Lagerungsverhältnissen und es liegt klar, dass 
im Gebiete des Lunzer Sandsteines, am Rande des alten hereynischen 
Festlandes die Reihenfolge der Triasschichten eine lückenhafte ist. Es 
entspricht der Opponitzer Dolomit mit den Lunzer Sandsteinen und den 
Aonschiefern an der Basis genau jenem Complexe oberer triadischer Bil- 
dungen, dessen Transgression an so vielen Punkten der N und SAlpen 
nachgewiesen ist. Verf. stellt folgende Uebersicht der Hauptglieder der 
norischen und karnischen Stufe in den wichtigsten Triasdistrikten auf. 


478 


Liegend: Muschelkalk, Zone des Arcestes Studeri 


Salzkammergut. Nordtirol. Niederösterreich. Raibl. Karavanken. Lombardei. 
era Er IP FI BEENEITIE Er 
Hangend: Rhätische Stufe, Zone der Avieula contorta. 

© na — — 
31:25 JDachsteinkalk Hauptdolomit Hauptdolomit Hauptdolomit Hauptdolomit Petrefakte von Esino 
un =) 
= S, Carditaschichten Carditaschichten Lunzer Schichten Raibler Schiehten Carditaschicht Gorno u. Dossena 
a\D | Aonschiefer Aonschiefer 
z = . Untere Gränze der Carnischen Transgression 
= 5 ; 

= Metersichhlslk Wettersteinkalk fehlt Errfünnender Kalk Kalk von Ardese 

Obr. Hallstätter K. Erzführender Kalk Erzführender Kalk 

= Untr. Hallstätter K. Partnachdolomit Erzführender Kalk Erzführender Kalk- Kalk von Ardese 
o [| & |Zlambach Schicht. Arlbergkalk fehlt Tuffe von Kaltwasser mergel Rothe Tuflmergel 
3 = Partnachmergel 
a N\E 
= 5 Pötschenkalk Partnachschichten fehlt Tuffe v. Kaltwasser Mergel Schwarze Tufle 
2 15 von Davone 
= = Kieselige knollige Bänke. Erstes Auftreten der Halobia Lommeli Cassiano 

Kb} — EL EEEEEEEEESSESERERS EEE nn 

o 


479 


G, Tschermak, zur Kenntniss der Salzlager. — Die Auf- 
schliessung der Salzlagerstätten bei Stassfurt hat ein erhöhtes Interesse 
für die Geologie der Salzlager angeregt und die bezügliche Literatur be- 
veits erfreulich erweitert. Das Stassfurter Lager besteht aus einer untern 
Etage, welche vorzugsweise Steinsalz ist, und aus einer obern, die zu_ 
meist Kieserit und Carnallit enthält. Erste theilt Bischof in eine Anhy- 
drit- und eine Polyhalitregion , die obere in eine Kieserit- und eine Car- 
nallitregion. Seitdem wurden zwei Arten von Salzlagern angenommen, 
solche, welche aus beiden Etagen bestehen, wie Stassfurt und solche blos 
aus der untern bestehend wie Schönebeck, Wieliezka etc. Heute glaubt 
man allgemein, dass die Salzlager durch das allmählige Eintrocknen von 
Salzseen entstanden, indem sich zuerst Gyps und Steinsalz absetzte, bis 
der Salzsee vorwiegend Magnesia- und Kalisalze in Lösung enthielt, die 
in der obern Etage zum Absatz kommen. Die Salzlager der zweiien Art 
sind entweder schon anfänglich unvollständig gebildet, weil der Absatz 
der obern Etage durch Wasserbedeckung vereitelt ward oder die Salzla- 
gerstätte ist anfänglich in der ganzen Vollständigkeit gebildet und die obre 
ist später durch Wasser aufgelöst und fortgeführt worden. In der obern 
Etage des Stassfurter Lagers wurden zunächst der Erdoberfläche auch 
zwei Mineralien gefunden, Sylvin und Kainit, die als Umwandlungspro- 
dukte sich ergaben. Sowie der Carnallit beim Auftropfen von wenig Was- 
ser sogleich in abfliessendes Chlormagnesium und krystallinisches Chlor- 
kalium sich zerlegt: so dürfte auch der natürliche Sylvin sich bilden. 
MgCl,.KC1.6H,0 (Carnallit) = KCl (Sylvin) + MgCl,.6H0, (Chlormag- 
nesium). Der Kainit ist ohne Zweifel aus der gegenseitigen Einwirkung 
von Kieserit und Carnallit entstanden: MgSO,.H,0 (Kieserit) + MgÜl,. 
KC1.68,0 (Carnallit) + 5H,0 = MgS0,.KC1.6H,0 (Kainit) + MgCl,. 
6H,0 (Chlormagnesium). Allerdings gelingt es nicht aus den ersten dreien 
den Kainit künstlich darzustellen, aber in der Natur herrschen eben an- 
dere Bedingungen. Nun erscheint es auch möglich, dass bei einem früher 
vollständigen Salzlager die obere Etage gänzlich in Sylvin und Kainit um- 
gewandelt wurde wie in der That bei Kalusz in Galizien Kainit, Sylvin 
im Haselgebirge die obere Etage bilden. Die Lagerungsverhältnisse hier 
entsprechen nicht denen des Stassfurter Lagers, da über dem Sylvin und 
Kainit noch Haselgebirge erscheint, aber die Entstehung des Kainit und 
Sylvin setzt eine Wasserbedeekung voraus, welche hier zur erneuten Bil- 
dung eines Salzsees führte. Eine wichtige Bestältigung dieser Ansicht 
würde darin liegen, dass auch Ueberreste der ursprüngliehen Salze, des 
Carnallit und Kieserit zwischen den Umwandlungsprodukten gefunden 
würde, wie es neuerdings wirklich geschehen, So ist nun die weitere 
Darlegung der Verhältnisse bei Kalusz von Interesse. Der Sylvin kömmt 
nämlich daselbst in Linsen und dünnen Lagen als körnige Masse vor, die 
Körner aus Krystallen bestehend meist mit abgerundeten Kanten, aber mit 
ansehnlichem Formenreichthum. Ausser Würfel und Oktaeder bestimmte 
Verf. 2 Tetrakishexaeder, 6 Ikositetraeder, 1 Triakisoktaeder, 5 Hexakis- 
oktaeder, Die Messungen werden mitgetheilt. Der Sylvin ist farblos, 
bläulich oder gelbroth, das Blau rührt von eingeschlossenen kleinen Kry- 


480 


stallen von blauem Steinsalz her, welehe Würfel und Oktaeder sind, auch 
hohle Würfelgasporen sind häufig. Der gelbrothe Sylvin besteht aus fast 
wasserhellen Sylvinkörnern, welche die kleinen Steinsalzwürfelchen und 
Gasporen aufweisen, aber am Rande enthalten sie eine braune Einmengung, 
bei der Auflösung hinterbleibt ein flockiger brauner stark eisenhaltiger 
Rückstand. Aehnliche Einschlüsse erkannte Verf. auch in dem Stassfur- 
ter Sylvin. Die Zusammenselzung des Sylvin aus Krystallen weist darauf 
hin, dass keine Absatzbildung sondern ein Umwandlungsprodukt vorliegt. 
In den Salzseen werden niemals grobkörnige Massen abgesetzt, nur dichte 
oder feinkörnige Aggregate. Da im Sylvin Steinsalz eingeschlossen vor- 
kömmt und da Sylvin bei gewöhnlicher Temperatur im reinen Wasser 
schwerer löslich ist als Steinsalz: so konnte die Krystallisalion des Syl- 
vins nicht in reiner wässriger Lösung geschehen. Wohl aber lässt sich 
nach der früher genannten Ansicht die Erscheinung erklären, denn der 
Carnallit enthielt stets Steinsalz. Bei der Einwirkung des Wassers auf 
Carnallit wird das vorhandene Steinsalz nicht aufgelöst, sondern das Was- 
ser wird zur Zerlegung des Carnallit verbraucht und der neu gebildete 
Sylvin umhüllt alle Partikel der unveränderten Salze. Bei Kalusz hält 
sich der Sylvin ganz gesondert vom Kainit, doch treten beide auch in 
Wechsellagerung auf. Interessant ist Fötterle’s Beobachtung bei Kalusz. 
Im zweiten Horizont zeigt sich nämlich, dass das linsenförmige Auftreten 
des Sylvinsim Kleinen auch im Grossen vorkömmt, da seither zwei grosse 
Linsen aufgeschlossen sind durch ein 6° mächtiges Kainitlager getrennt. 
Die Einlagerungen des Sylvin in dem Haselgebirge gehen nieht immer ganz 
“dessen Hauptstreichen parallel, sondern es zweigen sich stellenweise Trüm- 
mer ab und selbst in Kreuzstellung. Das nun harmonirt vollständig mit 
der Ansicht von der secundären Bildung des Sylvins. Der Kainit tritt in 
braungrauen oder gelbkörnigen Massen mit beigemengtem Thon 60—70' 
mächtig auf. In ihm sind häufig Nester von Steinsalz deren Drusenräume 
Kainitkrystalle auskleiden und grosskörniges Steinsalz erfüllt. Die Form 
der Krystalle ist dieselbe wie bei Stassfurt. In den Körnern des gelben 
Kainit liegen mikroskopische bräunliche Flocken und Splitter eines dop- 
peltbrechenden Minerals. Die Analyse des Kainit führt zu der Formel 
MgS0,.KCI1.6H,0, nämlich 32,34 Schwefelsäure, 14,56 Chlor, 15,66 Kali, 
0,03 Natrium, 16,75 Magnesia, 20,73 Wasser, Mit Wasser behandelt zer- 
legt sich der Kainit in Pickromerit und Chlormagnesium. Bei starker 
Erhitzung entweicht Wasser, es geht mehr als die Hälfte des Chlors iu. 
Form von Salzsäure fort und bleibt ein Gemenge! zurück, in welchem 
freie Magnesia und die übrigen Sulfate und Chloride vorhanden sind, 
Nach Reichardt wurde der Kainit für ein Gemenge gehalten, das er aber 
nicht ist. — Die bei Stassfurt und Kalusz gemachten Erfahrungen erre- 
gen die Vermuthung, dass auch in andern Salzlagern wenigstens noch 
Spuren der obern Etage vorlianden sein möchten und so fand Simony im 
Salzberge bei Hallstadt Kieserit als scharf abgegränzte Ausscheidung im 
Salzıhon in 9 Quadratklafter Oberfläche begleitet von Simonyit, Steinsalz, 
Anhydrit, Bittersalz, Dieser Kieserit ist grosskörnig, durchscheinend, 
gelblich, vollkommen spaltbar mit der Analyse: 57,92 Schwefelsäure, 29,09 


481 


Magnesia, 13,40 Wasser, 0,25 Eisenoxyd. Er schliesst hier Krystalle ein. 
Verf. giebt eine genaue Bestimmung, der Kieseritkrystalle der Spaltbarkeit 
und des optischen Verhaltens. Vergesellschaftet mit ihm ist Kupferkies 
in winzigen Kryställchen. Mit dem Kieserit bei Hallstadt erklärt sich unn 
auch das dortige Vorkommen des Löweit 2MgS0,.2Na,50,.5H,0 und des 
Simonyit MgSO,.Na,SO, ..4H,0, die wahrscheinlich von Kieserit herstam- 
men. Die grobkrystallinische Struktur des Kieserit lässt vermuthen, dass 
sich derselbe nicht mehr im ursprünglichen Zustande befindet, sondern 
durch Einwirkung einer umgebenden Lauge seinen diehten Zustand verlo- 
ven hat. Aehnlich dürfte es sich mit dem dortigen Polyhalit verhalten, 
den Verf, näher beleuchtet und schliesslich noch die andern Vorkomm- 
nisse, wie Eisenglanz, Boracit, Quarz und deren Verbreitung berührt. — 
(Wiener Sitzungsberichte LXIII. 305—324. 1 Tf}.) 

E. E. Schmidt, aus dem östlichen Thüringen. — 1. Die 
“ schaligen Sandsteine des obersten Muschelkalks. Ueber den obern dolo- 
mitischen Kalkschiefern des mittlen Muschelkalkes beginnt im östlichen 
Thüringen der obre Muschelkalk mit einer Reilhie harter Kalkbänke mit 
überwiegender Lima striata, oft mit Hornsteinlinsen oder mit oolithischer 
Structur und 15—30° mächtig. Der Name Striatakalk wäre sehr bezeich- 
nend, obwohl er mit dem norddeutschen Trochitenkalke völlig äquivalent 
ist. Ueber ihm folgen Mergelplatten und Schiefer im Wechsel mit harten 
Kalkbänken, die Mergel bisweilen sehr lettig, die Kalkbänke reich an Ger- 
villia soeialis, Pecten discites, die obern hauptsächlich aus Terebratula 
vulgaris bestehend. Hierüber folgen 20° von Kalk- und Mergelschichten 
und Knollen mit Mergelschiefer, dem Sandsteinschiefer untergeordnet ist. 
Die bis 17 starken harten Kalkschichten heissen Glasplatten,, während an- 
dere Schiehten kreideartig weiss und weich sind. Alle Schichten über 
dem Striatakalk führen Ammonites nodosus und könnten sie danach No- 
dosenschichten genannt werden, dem die Gervillien-, Pectiniten und Te- 
rebratulabänke untergeordnet sind. Geinitz erwähnt statt jener schaligen 
Sandsteine eine Glaukonitreiche Schicht, aber der Glaukonit geht durch 
alle Schiehten des Striatakalks hindurch und die schaligen Sandsteine fin- 
den sich überall im östlichen Thüringen, nur im: Salzschachte bei Erfurt 
fehlen sie. Gerade sie führen die Schuppen, Zähne und Knochenstücke, 
auch kleine Koprolithen. Der Sandstein ist feinkörnig und hart, gelblich- 
grau und wird erst nach langem Liegen im Wasser mürbe und ist gänz- 
lich von dem des Keupers und der untern Trias verschieden. Er braust 
mit Salzsäure stark auf, zeigt krystallisirte Quarzkörner, Feldspathstück- 
chen, Glimmer und besteht nach der Analyse aus in Salzsäure löslichen 
Theilen: Wasser 0,10, Kalkerde 12,33, Talkerde 0,54, Kohlensäure 10,15, - 
Phosphorsäure 0,89, Eisenoxyd 2,09, Thonerde 0,58 und Kali 0,11 aus in 
Salzsäure unlöslichen Theilen 0,48 gebundenes Wasser, 61,02 Kieselsäure, 
6,67 Thonerde und Eisenoxyd, 2,42 Kalkerde, 0,54 Talkerde, 2,42 Kali und 
Natron. Hieraus berechnet Verf. folgende mineralische Bestandtheile: 
0,10 Wasser, 21,05 kohlensaure Kalkerde, 1,15 kohlensaure Talkerde, 1,74 
phosphorsaure Kalkerde, 2,24 Eisenoxydhydrat, 27,33 Feldspath und Glim- 
mer und 46,80 Quarz. Es geht daraus die völlige Eigenthünlichkeit die- 


482 


ses Sandsteines hervor. — 2. Der weisse Boden -zwischen Unstrut und 
Wethau. Die Hochflächen dieses Gebieles sind von einem gleichförmigen 
nur wenige grobe Brocken einschliessenden Boden bedeckt, bei Frauen- 
priessnitz in 1080, bei Stiebuitz in 990, bei Dietrichsrode in 840° Meeres- 
höhe und bei 1—20° Mächtigkeit. An vielen Stellen besteht diese Decke 
aus einem gelben Lehm, sogenannten Baulehm;, ohne Geschiebe und Sand, 
ohue Gerölle und Trümmer des nächst anstehenden Gesteines. Aus dem 
in der Nähe anstehenden obersten Muschelkalke entsteht durch Verwilte- 
rung ein sehr beweglicher Lehm, der sich auf freien Hochflächen aber 
nicht mächtig ansammeln kann. Aus diesem Lehm entwiekelt sich ein 
heller Boden , der graue oder weisse Boden, sehr eigenthümlieh und der 
nähern Untersuchung werth. Er besteht nach des Verf.s Analyse aus 0,02 
Wasser, 0,22 Humussäure, 0,60 kohlensaure Kalkerde auch etwas Talk- 
erde, 1,95 Brauneisenstein, 11,32 Thon, 87,17 Quarz und Thonerdesilikat. 
Danach ist er weder ein Lehm noch ein Sand, ist kein Produkt der Zer- 
trümmerung und Verwitterung des Untergrundes und fordert zu weitern 


sorgfältigen Beobachtungen seiner Verbreitung auf. — (Geoloy. Zeit- 
schrift XXIII. 473—485.) 
Alf, Jeutzsch, über den LössimSaalthale. — Der Löss des 


Saalthales tritt an zwei Punkten: nördlich von Halle und südlich von 
Naumburg auf. In dem ersten Bezirke findet er sich von Löbnilz an 
nördlich, bei Lehndorf u. a. O., bis an den Petersberg und wahrschein- 
lich weit darüber hinaus. Der Petersberg wird indess nicht von Löss 
überlagert, sondern zeigt über dem Porphyr nur eine dünne Kruste von 
Verwilterungsproducten. Dagegen wird allerdings der Fuss dieses Berges 
rings von Löss umlagert. Der ganze Vegetationscharakter der Gegend ist 
durch den Löss bedingt. Ausserordentlich üppig gedeiht das Getreide, 
während von kalkliebenden Pflanzen sich besonders Onobrychis sativa häu- 
fig zeigt. Die grosse Fruchtbarkeit des Bodens findet ihren Ausdruck in 
den ausserordentlich dicht gedrängten Dörfern, deren Existenz auf min- 
der gutem Boden bei einer nur ackerbautreibenden Bevölkerung unmöglich 
wäre, Der Löss selbst zeigt die charakteristische petrographische Be- 
schaffenheit, wie sie an dem Löss der Rhein- und Elbgegenden zu finden 
ist, ist ganz ausserordentlich gleichförmig, führt aber keine Conchylien, 
Knochen oder Mergelconeretionen. Ganz anders ist das Verhältniss bei 
dem Löss, südwestlich von Naumburg mehrere Hundert Fuss über dem 
Ufer der Saale. Circa 10 Minuten von Naumburg befindet sich darin links 
von der Strasse nach Schulpforte eine Lehmgrube, in weleher der Lüss 
zwar dieselbe petrographische Beschaffenheit besitzt, aber ziemlich viele 
- Conehylien enthält, nämlich: Helix hispida, Suceinea oblonga, Pupa sp. 
(besonders P. muscorum), Helix arbustorum, Helix pomatia, Von der 
letzten Art jedoch nur ein unsicheres Bruchstück. Das Verhältniss der 
Häufigkeit ist hier ein ganz anderes als in dem typischen Löss des Rlhein- 
thales. Es hat sich im Naumburger Löss hauptsächlich H. hispida auf 
Kosten der Suceinea oblonga vermehrt, ein Verhältniss;, welches Al. Braun 
auch hier und da am Rlıein beobachtete. Neben den Schnecken kommen 
auch eigenthümliche Mergelnieren vor. Endlich aber haben sich auch noch 


483 


Säugelhierreste gefunden, und zwar nicht weniger als acht Zähne, welche 
von den Arbeitern an der tiefsten Stelle der Grube, eirca 28 Fuss unter 
der Oberfläche gefunden worden sind. Sie haben beisammen gelegen, noch 
im Zusammenhange mit Kinnlade und Schädel, der aber sofort zerfallen 
ist, und sind Pferdezähne. In einer eirca fünf Minuten davon gelegenen 
Lössgrube fanden sich Knochen, welche jedenfalls einem einzigen Thiere 
angehört haben. Sie zeigen keine Dendriten, sind indess sehr mürbe und 
hängen stark an der Zunge. Sie entstammen einer Schicht 10—11 Fuss 
unter der Oberfläche. Es sind drei Halswirbel, ein Stück der Scapula, 
zwei Rippen und verschiedene Röhrenknochen, wahrscheinlich von einem 
kleinen Wiederkäuer. Endlich ist noch ein walzenförmiger Knochen ge- 
funden worden, viel. grösser als der eines Pferdes. Hier ist der Löss 
ziemlich reich an organischen Einschlüssen verschiedener Art, welche sämmt- 
lich von Exemplaren entstammen, die zur Zeit der Lössbildung gelebt 
haben, da sonst schwerlich die verschiedensten Knochen eines Thieres bei- 
sammen liegen könnten. Es muss der Zukunft vorbehalten bleiben, durch 
weitere Funde Obiges zu ergänzen, und namentlich Beziehungen zu finden 
zu den in der Gegend von Pössneck vor einiger Zeit gefundenen Resten 
menschlicher Cultur, Beziehungen, welche vielleicht zu interessanten 
Schlüssen führen werden über die noch so wenig gekannten vorhistorischen 
Bewohner Mitteldeutschlands. — (Dresdener Isis 1871. 111.) 
Oryktognosie. Websky, Julianit neues Erz. — Unter den 
silberreichen Erzen von Grube Friederike Juliane zn Rudolstadt in Schle- 
sien am Ende des vorigen Jahrhunderts wird auch ein Fahlerz aufgeführt, 
dessen im Breslauer Museum befindliche Stücke W. einer Untersuchung 
unterwarf, nachdem das Löthrohr Schwefel, Arsen, Kupfer und Silber 
nachgewiesen hatte. Dieses Erz besitzt eine von Arsenfahlerz abweichende 
Constitution, ist isomer und isomorph mit Buntkupfererz und isomer mit 
Rothgültig. Es bildet kleine traubige Kırystallanhäufungen, theils einge- 
wachsen in Kalkspath, theils in Drusen desselben, die Krystalle in bauchi- 
ger Würfelform. Die Farbe des frischen Bruches ist bleigrau, läuft aber 
eisenschwarz an und bedeckt sich mit einem Mulm, in dem grüne Oxy- 
dationspunkte erkennbar sind. Das Mineral ist etwas spröde, die Härte 
sehr gering, der Bruch splittrig, kleinmuschlig, spec. Gew. 5,12. Die 
Analyse ergab 26,503 S, 18,453 As, 1,424 Sb, 0,787 Fe, 0,538 Ag und 


2 3 
52,298 Cu, daher die Formel | = Se. —_ (Geolog. Zeit- 


!/joSb, Fe) Tag? 

schrift XXIII. 486—490.) 
Spirgatis, ein fossiles vielleicht der Bernsteinflora 
angehöriges Harz. — Unter den Bernsteingräbern geht das Gerücht, 
dass der Bernstein bisweilen in noch weichem unreifen Zustande vorkomme, 
aber erst jetzt gelang es bei Brüsterort an der NWSpitze des OPreussi- 
schen Samlandes ein angeblich unreifes Stück zu finden. Dasselbe hat 
eine gewisse Aehnlichkeit mit dem als Krantzit beschriebenen Braunkoh- 
lenharze von Latdorf. Er besteht nämlich aus einer in dicken Stücken 
grünlichen, in dünnen licht honiggelben Masse mit braunrother bis gelb- 
lichweisser Rinde. Die Innenmasse ist so weich, dass sie mit der Scheere 

Zeitschr. f. d. ges. Naturwiss. Bd. XXXVIII, 1871. 34 


484 


zerschnitten werden kann, und ist elastisch, erhärtet aber an der Luft. 
Geruchlos. Spec. Gew. 0,934. Gegen Lösungsmittel fast indifferent, in 
ätzenden Alkalien, Weingeist, Terpentinöl unlöslich, in Chloroform, Schwe- 
felkohlenstoff, Steinöl blos aufquellend, in Schwefelsäure verkohlend. Bei 
100° wird es spröde, dunkel und nimmt an Gewicht zu, sehmilzt bei 300° 
und noch höher zersetzt es sich unter Entwicklung von Brenzöl und Zu- 
rücklassung von Kohle. An derLuft erhitzt, verbrennt es mit stark leuch- 
tender russender Flamme und lässt 0,73 Proc. Asche zurück, Ist frei von 
Schwefel, enthält aber eine kleine wahrscheinlich zufällige Menge Stick- 
stoff. Bernsteinsäure fehlt gänzlich. Nach Abzug der Asche erhielt Verf. 
86,02 Kohlenstoff und 10,93 Wasserstoff und leitet daraus die Formel 
C,0Hg50 her. Für den Krantzit fand Bergmann 79,25 Kohlenstoff und 10,41 
Wassserstoff und der reine Bernstein enthält 78,60 Kohlenstoff, 10,19 Was- 
serstoff. Aus allem geht hervor, dass jenes weiche Harz kein im Werden 
begriffener Bernstein ist. — (Münchner Sitzgsbericht 1871. II. 172—176.) 

Sandberger, Vorkommmen des Lithionglimmers im 
Fichtelgebirge, — In einem schriftgranitähnlichen Gesteine von Eulen- 
lohe, wo viel deutlich gestreifter Oligoklas mit grauem Quarz und langen 
schmalen Glimmertafeln ist an mehreren Stellen und zwar stets neben 
Quarz bläulichgrüner Turmalin eingewachsen mit den Flächen der beiden 


Säulen „P, und =. Vor dem Löthrohr schmilzt der Turmalin in dün- 


nen Splittern leicht zu graulichweissem Email gerade so wie der identisch 
gefärbte, lithionhaltige von Chesterfield in Massachussets. Bei der Prüfung 
des Glimmers vor dem Löthrohre zeigte sich dann auch sogleich eine so 
intensivrothe Färbung der Flamme, wie sie nur von lithion- und rubi- 
diumhaltigen Lepidolith von Rozena bekannt ist. Die langgestreckt schma- 
len Blätter sind bei Lithionglimmer ungewöhnlich und kommen fast nur 
bei braunen Glimmern grobkörniger Ganggranite vor, sie führen niemals 
Lithion. Häufig zeigen die Blätter des Lithionglimmers von Eulenlohe 
eine innere braune von einer aussen stark glänzenden silberweissen um- 
gebene Zone und durch beide setzt die Ebene der Spaltbarkeit ganz gleich- 
mässig hindurch. Das Gestein mit diesem Glimmer bildet einen Gang im 
körnigen Kalk in einer jetzt verlassenen Eisenspathgrube — (Ebda 
193— 194.) x 

Derselbe, über Weissnickelkies oder Rammelsbergit. — 
In seiner Abhandlung über die Erzgänge von Wittichen in Baden beleuchtet 
Verf. eine Anzahl von Kobalt- und Nickelerzen, aber noch nicht das 
Weissnickel. Dies ist bisher nur von Schneeberg in Sachsen bekannt. Ein 
Stück der Würzburger Sammlung besteht aus versteckt strahligen zinn- 
weissen Aggregaten mit einzelnen Drusenräumen, in welchen zunächst 
eine dünne Quarzschicht, darüber reguläre Kıystale „O0%.0 silzen, 
welche starke Kobalt- und Nickelreactionen geben und Chloanthit sind, 
während die zinnweisse Substanz ausser Nickel und Arsen sehr wenig 
Eisen.und Wismuth und nur Spuren von Kobalt enthäll. Ein zweites 
Stück besteht aus stark glänzenden deutlich strahligen Weissnickelkies, 
In sehr kleinen Drusen laufen die Aggregate in rhombische Kryställchen 


485 


aus, die aus Säule und einem Brachydoma bestehen, aber nur 4,5 Härte 
haben. Im Rohr erhitzt wird das Mineral unter Sublimation von Arsen in 
Form eines breiten Spiegels licht kupferrolh. Auf Kohle schmilzt es un- 
ter starken Arsendämpfen leicht zu einer weissen, grau angelaufenen nicht 
magnetischen Kugel. Von Salpetersäure wird es unter Abscheidung von 
weissem Pulver leicht zu hoch apfelgrüner Flüssigkeit gelöst. Die Ana- 
Iyse ergab 68,300 Arsen, 26,650 Nickel, 2,060 Eisen, 2,662 Wismuth» 
Spuren von Kupfer, Kobalt und Schwefel. Das Schneeberger Mineral hat 
gar kein Eisen, mehr Arsen und Nickel und war jedenfalls minder rein, 
die Differenzen sind danach unerheblich. Die Formel NiAs? wird auch 
durch die Zersetzungsprodukte bestättigt, da durch starke Verwitterung eine 
so hell grüne Kruste sieh bildet, in der man mit der Lupe farblose glän- 
zende Oktaeder und eine grüne matte Substanz unterscheidet. Erste be- 
stehen aus arseniger Säure. An eben diesem Stücke umgiebt den Weiss- 
nickelkies eine breite Hülle von stahlgranem Speisskobalt, der innig mit 
Quarz gemengt und sehr hart ist, nach aussen in Krystalle „On.O aus- 
läuft. Er enthält neben Kobalt und Arsen viel Eisen, sehr wenig Nickel, 
Kupfer und Schwefel und ist offenbar derselbe Körper, den E, Hofmann 
von der Grube Sauschwart bei Schneeberg analysirte. Beide Mineralien 
greifen ganz unregelmässig in einander und ist nicht wahrscheinlich, dass 
sie sich nach einander bildeten, Es scheint sich vielmehr um eine all- 
mählige Trennung der Arsenverbindungen der verschiedenen Metalle aus 
einem sie gemeinsam enthaltenden Niederschlage durch spätere Molecular- 
thätigkeit zu handeln, welche eine Concentration des Nickels im Innern 
herbeiführte. Ganz analoge Erscheinungen lassen sich auch bei dem so 
häufigen Zusammenvorkommen des Kupfernickels mit Speisskobalt und 
Chloanthit beobachten. — (Ebda 202 — 205.) 

K. Th. Liebe, Beyrichit und Millerit. — Eine Erzstufe aus 
„Lammrichs Kaul Fdgrb.“ am Westerwald lieferte ein neues Mineral, 
welches durch das Doppeltschwefelnickel in seiner Zusammensetzung bei 
Abwesenheit von Antimon und Arsen (vgl. u. A. Rammelsberg, Mineral- 
chemie p. 61 ete.) das Interesse der Mineralogen erregt. Der Beyrichit 
macht den Eindruck eines ausserordentlich stark entwickelten Haarkieses, 
krystallisirt in Prismen, welche theilweise eine schraubenförmige Drehung 
mit 1/; bis 3 Umgängen zeigen. Es sind dies längsgestreifte Viellinge, 
deren schilfiger Habitus, zumal an den gedrehten Krystallen noch erhöht 
wird durch eine fiügelartige Vorziehung einzelner Seitenkanten. Die Viel- 
linge sind radial geordnet, meist in Bündel und lockere Gruppen zusam- 
mengestellt, und sitzen in einem gutentheils schon ausgewitterten Eisen- 
spath auf quarziger Gangmasse auf. Meist haben die prismatischen Viel- 
linge eine einzige Endfläche, mit Winkel von 81° gegen die verticale Axe. 
Eine zweite, ziemlich selten hinzutretende Endfläche bildet mit der ersten 
eine domatische Combination mit dem Winkel von 144%, was dem Winkel 
der Polkanten des Millerit-Rhomboeders entsprechen würde. Leider lässt 
sich die Anwesenheit der dritten Rhomboederfläche an diesem Exemplar 
durch Beobachtung nicht sicher feststellen. Die Winkel, unter welchen 
sich die Seitenflächen der aus mehreren Individuen zusammengesetzten 


34* 


486 


Prismen schneiden, weichen an den verschiedenen Krystallen so sehr un- 
ter einander ab, dass man ein Verwachsungsgesetz daraus nicht ableiten 
kann. Die Spaltbarkeit ist parallel der Endfläche, welche die Längsaxe 
unter 81° schneidet, ziemlich vollkommen, wenn auch infolge der Viel- 
lingsverwachsung bisweilen gestört, so dass dann der Bruch ein fast kry- 
stallinisches Aussehen bekommt. Das Mineral steht der Abtheilung der 
Glanze näher, als der der Kiese. Es ist sehr zäh; die einzelnen Krystalle 
sind schwer zu zerbrechen. Der Messerspitze gegenüber verhält es sich 
ziemlich mild, Härte 3,2 bis 3,3. Specifisches Gewicht 4,7. Bleigrau, 
mit schwachem, auf den Spaltungsflächen lebhafterem Metallglanz,. Im 
Glaskolben gibt der Beyrichit nach Deerepitation bei Dunkelrothgluth, ohne 
zu schmelzen, eine gewisse (Quantität Schwefel aus, die sich am Glas nie- 
derschlägt und zeigt dann keine weitere Reaction. Die Probe ist dabei 
aus einem Glanz ein Kies geworden, aussen dunkel tombackbraun ange- 
laufen und innen speissgelb bis messinggelb, härter und spröder. Auf der 
Kohle schmilzt der Beyrichit leicht und ruhig nach Abgabe von schwelfli- 
ger Säure zu einer innen messinggelben, stark magnetischen Kugel. In 
Phosphorsalz- und Boraxperle gibt er Nickelreaktion und ist in Salzsäure, 
zumal auf Zusatz von Salpetersäure leicht löslich zu smaragdgrüner So- 
lution. Er enthält in reinen Proben weder Arsen noch Antimon, sondern 
nur Schwefel, Nickel, Eisen und nicht mehr messbare Spuren von Kobalt 
und Mangan. Die Analyse ergab: 42,86 Schwefel, 2,79 Eisen, 54,23 
Nickel. Da drei andere Specialproben den Eisengehalt nicht einmal in 
demselben Vielling constant genug zeigen, und da an dem Handstück 
überhaupt und insbesondere in den Beyrichitkrystallen keine Spur von 
Schwefelkies zu entdecken ist, so ist die Annahme geboten, dass das 
Eisen für Nickel stellvertretend eintritt. BRechnet man demgemäss den 
Eisengehalt in Nickel um, so resultirt die Formel 3NiS.2NiS,, aus der 
sich berechnet: 43,21=S, 56,79=Ni, was mit der Analyse ganz gut 
übereinstimmt. Schreibt man aber den Eisengehalt einer Einmengung von 
Schwefelkies zu, so erhält man die ebenfalls zum Befund passende Formel 
2NiS.NiS,. Es wäre noch daran zu erinnern, dass Fellenberg durch Glü- 
hen von kohlensaurem Nickeloxydul mit Schwefel und kohlensaurem Kali 
ein dunkles eisengraues Bisulphuret NiS, erhielt. — Mit dem Beyrichit 
tritt ein hochmessing- bis speissgelber, oft bnnt angelaufener Kies auf, 
welcher die Beyrichitkrystalle in äusserst feinen Lamellen, seltener den- 
dritisch oder fein krystallinisch überzieht und vielfach in der Richtung 
der Spaltungsflächen in Gestalt scharf gesonderter Lamellen in jene ein- 
dringt, öfter bis zur gänzlichen Verdrängung des Beyrichits. Die Spalt- 
barkeit des umwandelnden Kieses in den Krystallen ist genau dieselbe wie 
die des Beyrichils. Einerseits spricht wenigstens der starke Glanz dieser 
Spaltungsflächen dafür, dass es wirkliche Spaltungsflächen sind: ander- 
seits scheint es aber auch wieder, als ob man es nicht mit eigentlicher 
Spaltbarkeit zu thun habe, sondern vielmehr mit einer Flächenbildung des 
Eindringlings nach den Spaltungsflächen des Beyrichits. Aber auch wenn 
die Spaltbarkeit nicht rhomboedrisch wäre, müsste man aus folgenden 
Gründen in dem Kies einen Millerit oder Haarkies erkennen: —- Härte zwi- 


487 


schen 3,6 und 3,8; spec. Gewicht 5,7— 5,9. Die Analyse ergab: 35,27 S, 
1,16 Fe, 63,41 Ni was auf die Formel NiS führt, Es liegt im Beyrichit ein 
Mineral vor, welches sich mit grösster Leichtigkeit in Millerit umwandelt. 
Vielleicht erklären sich somit auf einfache Weise manche Widersprüche 
in den Angaben über das letztgenannte Mineral. So gibt Kenngott für den 
Joachimsthaler Millerit das spec. Gew. 4,601, was ziemlich dem des Bey- 
richit entspricht. Die Richtigkeit der Vermuthung vorausgesetzt, dürfte 
es nicht Wunder nehmen, wenn auch sonst die Angaben für das speci- 
fische Gewicht des Millerit zwischen weiteren Grenzen schwanken, denn 
einerseits kann noch Beyrichitsubstanz im Kies eingeschlossen sein, und 
anderseits liegen in dem Umwandlungsprocess die Bedingungen für der- 
artige Verschiedenheiten. Der Millerit entsteht hier offenbar dadurch, dass 
der Beyrichit aus dem Gangwasser Nickel aufnimmt, ohne Bestandtheile 
abzugeben. Je vollkommener und je weniger porös daher der Beyrichit 
ausgebildet war, um so dichter und schwerer muss bei dem gegebenen 
Raume der Millerit werden. — (Neues Jahrb. f. Mineral. etc.) 
Palaeontologie. Em. Kayser, die Brachiopoden des 
Mittel- und Oberdevon der Eifel. — Die Brachiopoden der Eifel 
sind bei ihrer dominirenden Wichtigkeit für das Devon bereits von Roe- 
mer, Steininger, Schnur bearbeitet worden, allein die umfassenden Mono- 
sraphien der letzten beiden genügen den Anforderungen nicht und ma- 
chen eine neue Bearbeilung nothwendig zumal seitdem die Davidsonschen 
Untersuchungen eine neue Richtung in der Systematik der Brachiopoden 
angezeigt haben. Verf. sammelte selbst an Ort und Stelle ein reiches 
Material und benutzte auch die Sammlungen in Bonn und Berlin. Wir 
geben nun das Verzeichniss der eingehend nntersuchten Arten mit Hin- 
zufügung der Synonymen. Terebratula sacculus Mart (T. hastata und 
virgo Phill, T. elougata Stein) in der Crinoideenschicht bei Gerolstein. T. 
amygdalina Gf in der Stringocephalenschieht zwischen Gerolstein und Pelm. 
T. caigua AV nur von Quenstedt beobachtet. Meganteris Archiaci (Te- 
rebr. Archiaci Vern) im obersten Unterdevon. Stringocephalus Burtini 
Defr. überall Leitform des obern Mitteldevon ungemein häufig. Rhyncho- 
nella Orbignyana Vern Leilform der Eifler und belgischen Cultrijugatus- 
schichten. Rh. parallelepipeda Bronn (Atrypa primipilaris Sowb, Terebr. 
angulosa und subcordiformis Schnur) an der obern Gränze der Oultriju- 
gatusschichten bis in die Crinoideenschicht. Rh. Wahlenbergi Gf (Terebr. 
Goldfussi Schnur) wie vorige. Rh. primipilaris Buch Leitform der Cri- 
noideenschiecht. Rh. coronata n. sp. ebda. Rh. procuboides n. sp. in der 
Calceola- und der Crinoideenschicht. Rh. cuboides Swb selten in den 
Cuboideskalken bei Rüdesheim. Rh. livonica (Terebr. daleidensis Roem, 
Terebr. huotina Murch, Terebr. Pareti Vern, T. hexatoma und Wirtgeni 
Schnur, Rh. inaurita Sandb) häufig im Unterdevon, nach oben bis in die 
Crinoidenschicht seltener, Rh. Schnuri Vern im Stringocephalenkalk,. Rh. 
pugnus Mart (Terebr. pugnoides Schnur) im Calceolakalk und der Crinoi- 
deenschicht. Rlı. acuminata Mart selten in der Crinoideenschicht. Rh. 
aptyeta Schnur selten in den Caleeolaschichten. Rh. tetratoma Schnur 
(Terebr. minuta Stein) im obern Calceola-Niveau und der Crinoideen- 


4885 


schicht. Rh. triloba Swb (Atrypa latissima Swb, Terebr. fornieata und 
diluviana Schnur) selten im Calceolakalk. Rh. elliptica Schnur ebda sel- 
ten. Camarophoria rhomboidea Phill (Terebr. bijugata und brachyptyca 
Schnur T, subdentata Gein) in den Calceola- und Crinoideenschiehten nicht 
selten. C. mierorhyncha Roem (Terebr. pachyderma Q) häufig in den un- 
tern Calceolaschichten. C. formosa Schnur leitende Art der Cuboides- 
schiehten. C. subreniformis Schrur nicht selten in den Gonialitenschiefern. 
C. protracta Swb (Terebr. proboseidalis Phill, T. subtetragona Schnur, T. 
ascendens Stein) selten im untern Theile der Calceolakalke. Pentamerus 
galeatus Dalm (P. biplicatus, optatus, formosus Schnur, P. acutolobatus 
Sandb, P. brevirostris Davids) vom obern Silur durch das ganze Devon, 
in der Eifel am häufigsten im untern Mitteldevon. P. globus Bronn 
(P. inflatus Stein) nicht selten im Mitteldevon. Airypa retieularis Lin 
(Terebr. aspera und prisca Schloth, A. squamosa und desquamata Swb, 
Terebr. insquamosa, zonata und latilinguis Schnur, Terebr. explanata, 
eiflensis, flabellata Stein.) in der Eifel von der unterdevonischen Grau- 
wacke bis zum Öberdevon häufig. Athyris concentrica Buch (Terebr, his- 
pida Swb, T. concentrica und ventrosa Schnur, Spirigera gracilis Sandb) 
überall im Devon der Eifel. Merista plebeja Swb (Atrypa lacryma Swb, 
Terebr. sealprum Roem, T. prunulum Schnur) im Unter-, häufig im Mittel- 
devon. Nucleospira lens Schnur im obern Caleeolakalk und den Crinoideen- 
schiehten. Uneites gryphus Schl, selten in den Stringocephalenschichten. 
Retzia prominula King selten im Calceolakalk. R. pelmensis n. sp. im 
untersten Stringocephalenkalk bei Pelm und Kerpen. R. ferita Buch ziem- 
lich häufig in den obern Caleeolaschiehten. R. longirostris (Terebr. ferita 
Schnur) ebda,. R. lepida Gf in den Cultrijugatus-, Calceola- und Crinoi- 
deenschichten. R. lens Phill (Terebr. dividua Schnur) von den Calceola- 
schichten bis zum Stringocephalenkalk. Spirifer eultrijugatus Roem (Sp. 
cariratus und primaevus Stein, Sp. auriculatus Sdb) Leitform fü die Ba- 
sis des Mitteldevon. Sp. laevicosta Val (Sp. histerieus und ostiolatus 
Schl) nur im untern Eifler Kalk. Sp. speeiosus Schloth (Sp. intermedius 
Schloth) sehr häufig in den Calceolaschichten. Sp. elegans Stein (Sp. di- 
luvianus Stein, Sp. laevicosta Schnur, Sp, multilobus Q) in der Calceola- 
und Crinoideenschicht. Sp. subeuspjdatus Schnur in der Cultrijugatuszone 
und den Calceolaschichten. Sp. mediotextus AV im untern Stringocepha- 
leukalk. Sp. Schulzei sehr selten in den Calceolaschichten. Sp. undife- 
rus Roem Leitform im Stringocephalenkalk. Sp. eurvatus Schloth im Un- 
ter- und Mitteldevon. Sp. aviceps im obern Calceolakalk und der Crinoi- 
deenschicht. Sp. simplex Phill (Sp. pyramidalis und nudus Schnur) im 
obern Calceolakalk und der Crinoideenschicht. Sp. concentrieus Schnur 
sehr häufigim untern Mitteldevon. Sp. glaber Mart (Sp. laevigatus Schlotl) 
selten in den Cuboidesschichten. Sp. lineatus Mart wie voriger. Sp. pa- 
ehyrhnchus MVK (Sp. euryglossus Schnur) selten in den Cuboidesschichten, 
Leitart derselben in Belgien. Sp, Urii Flem (Sp. inflatus Schnur) überall 
im Stringocephalenkalk. Sp. canaliferus Val (Sp. aperturatus Schloth) 
selten in den Calceolaschichten und in der Crinoidenschicht. Sp, David- 
soni Schnur in der Crinoideenschicht. Sp, Verneuili Murch (Sp. Lonsdalei, 


489 


Archiaci Murch, Sp, disjunetus Swb, Sp. calcaratus Sdb) häufig nur in 
den Cuboidesschichten. Sp. hians Buch (Orthis Lewisi Schnur, Orthis 
euspidatus Stein) im Stringocephalenkalk, Spiriferina maerorhyncha Schnur 
im obern Caleeolakalk und der Crinoideenschicht. Sp. aculeata Schnur 
(Sp. imbricatalamellosus Sdb) nicht häufig im Calceolakalk. Cyrtina he- 
teroclytes Defr in mehren Varietäten im Unterdevon und häufiger im 
Mitteldevon. C. undosa Schnur sehr selten in der Crinoideenschicht. Or- 
this striatula Schl (0. excisa Q) sehr häufig im Unterdevon bis ins Ober- 
devon, O. subeordiformis leitend für die Cultrijugatuszone. 0, opercularis 
MKV selten in der Cultrijugatuszone, häufig in der Calceolaschichte, 0. 
tetragona Roem. (O0. opereularis Sdb) selten im Centrum der Calceola- 
schichten. 0. eifliensis Vern (O. lunata Murch, O. sacculus Sdb) von den 
untern Calceolaschichten bis in die Crinoideenschicht. 0. canaliculata 
Sehnur (O. ausavensis Stein) Leitform für die Crinoideenschicht. O. venusta 
Schnur sehr selten in der Crinoideenschicht. 0. stringorhyncha in den 
Cuboidesschichten. Mystrophora areola Q (nov. gen.) in der Crinoideen- 
schicht, Streptorhynchus umbraeulum Schl (Orthis undifera und hippa- 
rionyx Schnur) vom Unter- bis ins Oberdevon. Str. lepidus Schnur (Or- 
this testudinaria und plicatella Schnur) in der Crinoideenschicht. Stro- 
phomena rhomboidalis Wahlb (Producta depressa Swb) sehr häufig im 
ganzen Devon. Str. subarachnoidea AO unterdevonisch. Str. palma in 
den untern Calceolaschichten, Str. interstrialis Phill im Unter- und Mittel- 
devon. Str. subtransversa Schnur in der Crinoideenschicht. Str. irregu- 
laris Roem selten in den Calceolaschichten. Str. lepis Bronn (Leptaena 
naranjoana Vern) in den Cultrijugatus- und Calceolaschichten. Str. cau- 
data Schnur (Leptaena Bouei Hein) ebda. Str. anaglypha in der Crinoi- 
deenschieht. Str. subtetragona Roem (Leptaena lepis Schnur) in der Cal- 
ceola und Crinoideenschicht häufig. Davidsonia Verneuilli Buch in der 
Crinoideenschicht häufig. _Chonetes minuta Gf ebda häufig. Ch. erenu- 
lata Roem. im Stringocephalenkalk. Ch. Bretzi Schnur. Ch. sareinulata 
Schl (Ch. plebeja Schnur, Ch, Hardensis und sordida Davids) sehr häufig 
im Unterdeven. Ch. dilatata Roem häufig im Unterdevon. Strophalosia 
productoides Murch (Productus Murchisonanus Kon) von den obern Cal- 
ceolaschichten bis zum Stringocephalenkalk. Productus subaculeatus 
Murch (Leptaena fragaria Swb) ebda. iiseina nitida Phill (Orbieula ru- 
gata (), D. arduennensis Schnur) im Eifeler Kalk nicht selten. Crania 
proavia Gf ebda. Lingula Konincki Schnur ebda sehr selten. — (Geolog. 
Zeitschr. XXIII. 49\—645. Tff. 9 14.) 

Botanik. Aug. Neilreich, kritische Zusammenstellung 
derin Oesterreich vorkommenden Arten, Formen und Ba- 
starde der Gattung Hieracium. — Nach einigen historischen Be- 
merkungen und einer Aufzählung der bezüglichen Literatur giebt Verf, 
eine kurze Geschichte der Gattung Hieracium, die zuerst Linne neben 
Crepis kurz charakterisirte und dann 1828 Tausch schärfer sonderte, dar- 
auf Fröhlich wieder etwas verwirrte, und Bischof ziemlich im Sinne Tausch’s 
umgränzte. Neuerdings trennte Grisebach Chloroerepis und Schlagintweitia, 
Schultz Pilosella ab. Verf. behandelte nun folgende Subgenera und Arten. 


490 


1. Subgen. Pilosella Tausch: die Rippen der sehr kleinen Frucht 
endigen in zahnartige Vorsprünge; Köpfchen klein; die Fortpflanzung 
mittelst Seitentriebe geschieht entweder durch Achselknospen oder durch 
Adventivknospen an wagrecht auslaufenden Wurzelfasern. Die Stamm. 
arten ordnen sich in folgende Gruppen: 1. Oligocephala: Stengel 
1—5köpfig nur ausnahmsweisse mehrköpfig. 1. H. pilosella L (Pilosella 
offieinarum Schultz) überall. NH. Peleterianum Mer. wird fast allgemein 
als eine Varietas pilosissima betrachtet. H, pilosellaeformis Hoppe oder 
AH. Hoppeanum Schultz ist eine üppige Alpenform von H. pilosella und ist 
in den Alpen weit verbreitet. — 2. H. auricula L (H. dubium Wild) fast 
überall. — 3. H.,‚glaciale Regn (H. angustifolium Hoppe) wird allgemein 
als Art anerkannt, obwohl durch kein constantes Merkmal von H. auri- 
cula zu unterscheiden. H.Laggeri Fries (H. sabinum var. Laggeri Reichb) 
ist vielleicht hybrid. H. breviscapum Koch (H. glaeiale Griseb) geht in 
H. glaciale über, auf hohen Alpentriften. — 4. H. alpicola Schleich nach 
Koch und auch Fries eine sehr zottige Form von H. furcatum also eines 
Bastardes von H. pilosella und piliferum, nach Schultz von H. glaciale 
und glanduliferum, nach Verf. doch wohl eigene Art auf dem Monte moro 
und in der Tatra. — 2, Polycephala Stengel 10—100köpfig. 5. H. prae- 
altium Vill (H. florentinum Gaud) tritt in einer südlichen transalpinen Form 
(H. piloselloides Vill, H. florentinum Viell, H. Michelii Tausch, H. Poai- 
chii Heuff, H. fussianum Schur, H. mieranthum Pan) und einer nördlichen 
oder cisalpinen (H. praealtum Wim) auf, letzte als efflagella (H. obscu- 
rum Reichb und H, fallax Willd) und flagellare (H. collinum Goch, H. 
Bauhini Schultz, H. stoloniferum Bess, H. aurienloides Reichb, H. radio- 
caule Tausch, H. sarmentosum Fröl und H. pratense Dietr.) Das H. 
glaucescens Boss ist von H, Bauhini nicht verschieden, H. aurieuloides 
Lang bei Ofen steht zwischen H. auricula und Bauhini in der Mitte, doch 
ist es nur ein stark behaartes H. praealtum. H. floribundum Wim wird 
sehr verschieden gedeutet, nach Grisebach Varietät von pratense, nach 
Schultz Bastard von diesem und auricula, nach Verf. mehr von diesem 
und praealtum. H. furcatum Vis bei Spalato ist nicht das gleichnamige 
alpine daher es Schultz als Pilogella Visiana aufführt, es hält die Mitte 
zwischen auricula und praealtum. 6. H. cymosum L (H. Nestleri und 
sabinum) ebenfalls in zwei geographisch verschiedenen Formen, die nörd- 
liche ist H. Nestleri Vill (CH. cymosum Dietr, H. Vaillanti Tausch, H. 
glomeralum Fries, H. poliotrichum Wim) und die südliche H. sabinum 
Seb scheint mit nördlichen Formen bisweilen verwechselt zu sein. 7. H. 
pratense Tausch (H, Besserianum Spr, H, eymosum Sturm, H, collinum 
Gris). 8. H. echioides Lum in zwei Varietäten: strigosum und setigerum 
(H. Rothianum Gies und echioides Dietr.). 9. H. Heuffeli Jank (H. oreades 
und petraeum Heuff). 10. H. aurantiacum L (H. fulgidum Heimh) in der 
ganzen Alpenkette. H. fuscum Vill ist mit H. dubium verwandt aber 
nicht sicher zu ermitteln. — Als hybrideFormen gehören hierher: 1. H. 
pilosella >< auricula Fries (H. aurieulaeforme Fries, H. Schultesi Schultz) 
weit verbreitet. 2. H. pilosella >< glaciale Nag (H. augustifolium Hoppe, 
H. sphaerocephalum Fröl, H. furcatum Hoppe, H. hybridum Gris) auf den 


491 


Alpen. 3. H. pilosella >< praealtum Wim (H. brachiatum Bert., H. obseu- 
rum Lang, H. collinum Baumg, H, flagellare Dietr, H. bifurcum Koch, 
H. acutifolium Gris, Pilosella brachiata Schultz) ein vielgestaltiger Bastard. 
4. H. pilosella >< pratense Schultz (H. stoloniferum Koch) weit verbreitet. 
H. hybridum Clair ist ein üppiges mehrköpfiges Exemplar. 5. H. pilo- 
sella >< echioides Lasch (H. bifurcum Taur, H. einereum Tausch) bei Prag 
und in Mähren. H. collinum Bess bei Lemberg ist ohne Zweifel Bastarıl 
von H. pilosella und einer unsichern Art, 6. H. pilosella >< aurantiacum 
Heer (H. stolouiferum Wk, H. discolor vel tricolor Kil, H. alpicola Tausch, 
H. fulgidum Caul, HB. cernuum Saut, H. versicolor Fries, H. Sauteri 
Schultz, H. Hausmanni Reichb) in den Voralpen, 7. H. auricula >< prae- 
altum Lasch (H. oehroleueum Döll) in den Karpatlıen. H.auricula >< pra- 
tense Schultz fehlt in Oestreich. H. notlıum Hunt ist H. piloselloides > 
aurantiacum. 8, praealtotridentatum s. Garkeanum Ascherson Riesen- 
gebirge. 9. H. sabinum >< aurantiacum Näg (H. multiflorum Schleich, H. 
subfuseum Schur, einige Varietäten von H. aurantiacum) H. Hinterhuberi 
Schultz in Salzburg ist fraglich. 10. H. pratense >< aurantiacum Schur 
(H. subauratum Schur) in Siebenbürgen. 11. H. aurantiacum >< alpinum 
oder H. biharieuse Kern an der ungarischen Gränze. 

2. Subg. Archieracium Fries. der obere Rand der 1—2 ‘’‘ langen 
Frucht etwas verdiekt, nicht gezähnelt, Köpfchen gross, Ausläufer stets 
fehlend. 1. Reihe Aurelia Tausch die Fortpflanzung mittelst Seitentriebe 
geschieht durch Blattrosetten. 1. Gruppe oder Typus des H, saxatile. 
Dahin gehören: 11. H. staticefolium Vill (Chloroerepis staticefolia Gris) 
sehr häufig. 12. H. porrifolium L. in den Voralpen. 13. H. saxatile Jacq. 
(H. glaueum All) in zwei Formen: nudicaule (H. Wildenowi Koch, H. 
porifolium denticulatum Koch, H. bupleuroides Schenki Gris, H. Myrieum 
Fries, H. politum Gris) und foliatum (H, bupleuroides Gmel, H. polyphyl- 
lum Willd, H. denudatum Roch, H, graminifolium Fröl, H. leiocephalum 
Bartl, H. Tatrae Gris, H. glabrum Kit, H. saxetanum Fries und pubes- 
cens Kit). H. australe Fries oder lanceolatum Fröl ist zweifelhaft und 
voller Widersprüche. Ebenso sind schwer unterzubringen: H. Papperitzi 
Reichb, porphyriticum Kern und stupposum Reichb (stuppeum Gris, Cre- 
pis heterogyne Fröl.). — Als hybride Formen von H. saxatile gelten: 
H. bupleuroides >< villosum Reichb, bupleuroides >< mucrorum Rehm, Tom- 
masini ungewissen Ursprungs, speciosum Willd zweifelhaft zwischen sa- 
xatile und villosum stehend. — 2. Gruppe oder Typus des H. villosum. 
14. H. villosum Jacq (H. floeccosum Schur) in den Alpen und Voralpen. 
Von ihr sind nur abweichende Formen: H. piliferum Hoppe (alpinum 
Hoppe, Schraderi Koch), H. fuliginatum Hut, glabratum Hoppe (scorzo- 
neraefolium Fries, trichocephalum Willd, Jaushaianum Opiz), scorzonerae- 
folium Vill ein üppiges glabratum Hoppe (H. Ozanoni Schultz) , dentatum 
Hoppe (sericatum Doll) ist ein ächtes villosum, pilosum Saut eine minder 
zottige Form, flexuosum WK in der Behaarung am meisten abweichend 
ferner noch als Bastarde hierher H, villosum >< murorum Neilr und villo- 
sum >< prenanthoides Schultz (trichodes Gris.). — 3. Gruppe oder Typus 
des H. alpinum dahin gehören’ als Phyllopoda: 15. H, alpinum L (H. pu- 


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milum Hoppe, nigrescens Reichb) in den Alpen. H. glanduliferum Hoppe 
wird fast allgemein in die Gruppe des villosum verwiesen, gehört aber 
hierher. H. Czereianum Baumg. soll H. sudeticum Sternb. sein, Verf. 
hält es für H. alpinum melanocephalum Wim. Hierher noch H, alpinum 
>< murorum Neilr (nigrescens Fries, Halleri Vill). H,. pulmonarium EB 
ist sehr zweifelhaft. Ferner als Hypophyllopoda: 16. H. bohemicum Fries 
(sudeticum Sternb, pulmonarioides Vieil, eydoniaefolium Tausch, carpa- 
tieum Gris) auf dem Riesengebirge. H.pedunculare Tausch (amplexieaule 
villosum Tausch, bellidifolium Fries) entweder eine künstliche Art oder 
ein Bastard. — 4. Gruppe oder Typus des H,. murorum: 17. H. murorum 
L (pellueidum Wahlb, praecox Schultz, plumbeum Reichb, ineisum Reichb, 
cordifolium und rotundatum Kit, sphaerophyllum Viek, Pulmonaria gal- 
lica femina Tabern) überall. 18. H. caesium Fries weit verbreitet. Als 
nicht selbständig müssen bezeichnet werden: H. plumbeum und atratum 
Fries, pallesceens Wk, Schmidti Tausch (rupestre Schmidt, Sternbergi 
Fiol, pallesceus Wim, pallidum Fries), bifidum Kit (Retzi Reichb), rupi- 
colum Fries, Kerneri Aussend, dollineri Schultz (laevigatum Gris, gra- 
veolens Doll, canescens Schleich), rohacense Kit, lasiophyllum Koch unter 
allen am meisten von caesium abweichend, italieum Fries. Ferner 19. H. 
vulgatum Fries (Lachenali und angustifolium Gunl, silvaticum und macu- 
latum EB) überall in gebirgigen Gegenden. H. faseiatum Fries (umbro- 
sum Jord) ein reichköpfiger vulgatum, Buceonei Gris (hispidum Fries) 
eine armköpfige Alpenform, gothicum Fries (diaphanuum Gris, erocatum 
‚Wim. boreale vulgatum Hausm) nur eine Form mit schwärzlichen Hüllen, 
Kotschyanum Heuff völlig werthlos, ramosum Wk eigenthümlich. Ueber- 
gangsformen zwischen vulgatum und caesium sind: juranum Fritze, po- 
rectum Fries, pleiophyllum Schur (transsilvanieum Heuffl, leptocephalum 
Vuk, eriocaule Schur, Crepis Fussi Kov), silesiacum Krause. Anerkannt 
hybridesind: H, vulgatum >< boreale oder H. polycladum Jur und vulga- 
tum >< umbellatum Schultze. — 20. H. humile Jacq (pumilum Jacq, Jac- 
quini Vill) in den Voralpen. — 5. Gruppe oder Typus des 21. H. am- 
plexicaule L das überall in den Alpen. H. pulmonarioides Vill (intyba- 
ceum Hoppe) Alpen. — 6. Gruppe oder Typus des H. andryaloides Vill. 
22. H. tomentosum Ger (lanatum Vill. verbaseifolium Pers, Tommasini 
Host) in Istrien. 23. H. lanatum Wk (Waldsteini Tausch, eriophyllum 
Vuk, Schlosseri Reichb) weit verbreitet. 24. H. marmoreum Pans im 
Banat. — Il. Reihe Aceipitrina Fries. 1. Gruppe oder Typus des 25. H. 
intybaceum Wulf (albidum Will, Schlagintweitia intybacea Gris) überall 
in den Alpen. — 2. Gruppe oder Typus des 26. H. prenanthoides KIl 
(spieatum All, cerinthoides Kit, corymbosum Kit, strietissimum Fröl, lu- 
tescens Hut) überall. H. dentieulatum Sm ist nur eine Nebenform, stric- 
tum Fries (spieatum All, eotoneifolium Fröl, eydoniaeforme Gris) eben- 
sowenig unterschieden, Sieberi Tausch (picioides Fries, pallidiflorum Jord, 
Huteri Hausm) eine behaarte Nebenform. — 3. Gruppe oder Typus des 
St. Sabaudum All: 27. H. virosum Pall (foliosum Wk) nicht häufig. 28. H. 
racemosum Wk weit verbreitet. H. barbutum Tausch ist eine Uebergangs- 
form zwischen 27 und 28 in Mähren und im Banat. 29. H. Sabaudum 


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All (autumnale Gris) fast überall. H. latifolium Spr, und brevifolium 
Tausch sind blosse Nebenformen, 30. H. tridentatum Fries (ambiguum 
Schult, lanceolatum Kit, croaticun Rost, Crepis suceisaefolia Tausch, H. 
affine Fröl, rigidum Fries, virescens Sond) überall. 31. H. boreale Fries 
(silvestre Tausch, Iycorum und hirsutum Schur, largum Fries) überall. H. 
erocalum Fries gehört dazu, lactucaceum Fröl zwischen sabaudum und vi- 
rosum stehend. 32. H. umbellatum L. überall. H. lactaris Bert blosse 
Varietät und serotinum Host desgleichen. — Als ungenügend bekannt be- 
zeichnet Verf, albinum Fries, asperifolium Sternb, asperum Schleich, at- 
tenuatum Tausch, Baumgartenanum Schur, bifidum Fröl chlorospermum 
Fröl, densiflorum Tausch, dinaricum Fries, globuliferum Tausch, hirsu- 
tam Schur, Kladnianum Schur, leucophyllum Schur, melachaetum Tausch, 
nemorosum Pers, nivale Fröhl, oriophilum Schur, Pacheri Schultz, pseu- 
dobifidum Schur, pseudomororum Schur, pseudoramosum Schur, pseudo- 
schmidti Schur, pustulatum Schur, spathulaefolium Vuk, stenophyllum 
Sehur und uneinatum Vit, Endlich führt Verf, noch 11 Arten als auf 
irrigen Angaben beruhend auf. — (Wiener Sitzgsber. LXIII. 424—500.) 

G. A. Pritzel, Thesaurus Literaturae botanicae omnium 
gentium inde a rerum botanicarum initiis ad nostra usque tempora quin- 
deeim millia operum recensens,. Editio nova reformata. Fase. I. Lipsiae 
1872. 4%. — Die Nothwendigkeit und Nützlichkeit des Pritzelschen The- 
saurus der botanischen Literatur ist durch das Erscheinen einer zweiten 
Auflage thatsächlich bestättigt und wir freuen uns mittheilen zu können, 
dass nach dem vorliegenden ersten Hefte der Verf. das Möglichste aufge- 
boten hat die bei dem riesigen Umfange der Literatur und der Seltenheit 
gar vieler Schriften sehr verzeihlichen Lücken der ersten Auflage in die- 
ser neuen auszufüllen. Durch Benutzung verschiedener sehr reicher 
Bibliotheken des In- und Auslandes war Verf. in den Stand gesetzt, die 
aufgeführten Bücher nach eigener Einsicht, also bibliographisch genau auf- 
zunehmen. Auch sind nunmehr die Autoren mit Geburis- und Todesjahr 
und ihrer Lebensstellung versehen. Bei der bedeutenden Erweiterung, 
welche diese neue Auflage erfahren hat, wird dieselbe auch für die Be- 
sitzer der ersten unentbehrlich, 

J. B. Jack, die Lebermoose Badens. Ein Beitrag zur Kennt- 
niss der Lebensweise und geographischen Verbreitung dieser Pflanzen. 
Freiburg 1870. 8°. — Auf eigne und mehrer Andrer Beobachtungen ge- 
stützt giebt Verf. eine systematische Aufzählung der Arten auf Grundlage 
der Synopsis Hepaticarum von Gottsche, Lindenberg und Nees, führt die 
Standorte innerhalb Badens speciell auf und fügt biologische Beobachtungen 
hinzu. Es sind im Ganzen 108 Arten. Die Arbeit verdient die Aufmerk- 
samkeit der Bryologen. 

Zoologie. Fr. Eilh. Schultze, über den Bau und-die 
Entwicklung von Cordylophora lacustris (Allm) nebst Bemer- 
kungen über Vorkommen und Lebensweise dieses Thieres.. Mit 6 Tf. 
Leipzig 1871. Fol — Unter den Coelenteraten leben nur Hydra und Cor- 
dylophora in süssem Wasser. Letzte erkannte zuerst Allman 1843 und 
stellte sie zwischen Coryne und Hernia, allein Agardh beschrieb schon 


494 


1816 eine Süsswasser Tubularia cornea, welche dieselbe Art ist. Auch 
Hinks, Lindström, van Beneden, Kirchenpaur beschäftigten sich mit die- 
sem Thiere und Verf. fand es bei Warnemünde. Hier bildet es Colonien 
von 3—8 Cm. Höhe unter Wasser auf Muscheln, Holz ete. Jedes Zweig- 
ende trägt ein hydraähnliches Köpfehen, gewisse Zweige männliche, an 
andern Colonien weibliche Knospen, Gonophoren seitlich, welche Sperma- 
fäden oder Eier enthalten. Der alle Ausläufer und Zweige durchziehende 
Theil des Weichkörpers, das Coenenchym wird von einem röhrenförmigen 
Chitinskelet vollständig umhüllt, welches als Kelche die Polypoiden um- 
giebt. Die Farbe ist matt weisslich oder hell fleischfarben. Der Stolo- 
nenstamm läuft geradlinig fort und sendet rechtwinklig Ausläufer ab meist 
alternirend, diese wieder andere ebenfalls rechtwinklig, wodurch jedoch 
kein Maschenetz entsteht, höchstens einige über einander weggehen. Von 
diesen Stolonen erheben sich wie ein Wald senkrechte Stöcke, an den En- 
den der Stolonen einfache, daneben wenig in der Mitte vielfach verzweigte. 
Die Zweige gehen meist unter 45° und alternirend vom Stamme ab, meist 
10— 20 Zweige, deren einzelne Gonophoren entwickeln; alle sind dreh- 
rund, spindelförmig vorn mit einem walzigen Rüssel, an dessen runden 
Ende der Mund liegt. Die Endpolypoiden der Haupt - und Seitenstämme 
sind die grössten, bis 2 Mm, lang. Hinter dem Rüssel gehen 15— 20 
(8— 23) drehrunde Arme ab. Die Gonophoren sind Knospen auf kurzen 
Stielen von 0,2 Mm. Länge, die männlichen gestreckt, die weiblichen melır 
hauchig jedoch erst bei der Reife. Das Chitinskelet nimmt von den älte- 
sten zu den jüngsten Theilen an Dicke ab auf Kosten des Röhrenlumens. 
Querschnitte zeigen eine Zusammensetzung aus concentrischen Lamellen. 
Die Hülle der Gonophoren ist anfangs eine dünne hyaline Chitinlamelle, 
nimmt dann an Dicke zu, bleibt aber bis zur Reife weich und zeigt nur 
bei sorgfältiger Prüfung die Schichtung, am freien Pole dann Streifung 
wahrscheinlich von Kanälen herrührend. Der Weichkörper kann als ein 
verästelter Schlauch betrachtet werden, dessen Hohlraum durch die dehn- 
baren Mundöffnungen nach aussen geöffnet ist. Die Mundöffnung führt 
in eine Rüsselhöhle, diese durch einen engen Schlund in einen weiten 
Magen, dessen verdünntes Ende ohne scharfe Gränze in die Röhre des 
Cönenchyms fortsetzt. Diese sendet Ausstülpungen in die Gonophoren, 
Ein Gefässsystem wie Hinks angiebt vermochte Verf. nicht aufzufinden, 
Das Coenenchym ist durch Flüssigkeit von dem Chitingerüst getrennt, je- 
doch durch einzelne Zipfel an demselben befestigt. Das Coenenchym be- 
steht aus 4 Schichten, dem Ektoderm, der Muskellage, der Stützlamelle 
und dem Entoderm. Dem Ektoderm gehören jene Zipfel, die Wülste und 
Runzeln zumal in den Armen an. Nach Allman besteht dasselbe aus 
Zellen, dem Reichert widerspricht, während Andere und Verf, selbst die 
Epithelzellen, deren Wände und Kerne deutlich erkannt haben. Eingebettet 
sind zweierlei Nesselzellen. Kleine eiförmige mit unterm runden und obern 
spitzen Pole einen dünnen drehrunden Faden enthaltend. Grosse eiförmige 
mit schiefem oder gekrümmten dünnen Ende, aus deren Wand ein anfangs 
mit Stacheln besetzter Faden hervorgeht. Die Nesselkapseln entwickeln 
sich in besondern Zellen unter den epithelialen, und sind am Polypoid 


495 


am zahlreichsten, in den Stolonen am spärlichsten, fehlen am Rüsselende, 
das aus einer einfachen Zellschicht besteht. In den Wülsten der Arme 
liegen die Nesselkapseln gehäuft, S— 10 kleine um eine grosse, welche 
Gruppen sich kegelförmig und von einem Haar gekrönt über die Ober- 
fläche erheben, wie solche auch bei Hydra bereits erkannt sind. In den 
Gonophoren sendet das Ektoderm allmählig mehr sich verästelnde Fort- 
sätze nach innen, Die Anwesenheit einer Schicht glatter Muskelfasern ist 
oft in Abrede gestellt worden, Verf. hat sie wie Allman und Kölliker 
wirklich erkannt am Rüssel, Körper und den Armen als sehr dünne spitz 
auslaufende Fasern, aber niemals einen Kern in ihnen. Die Stützlamelle 
durchsetzt alle Theile des Weichkörpers einer Kolonie continuirlich, voll- 
kommen glashell und sirukturlos, in der Körperwand dicker von feinen 
Fasern querdurchsetzt in den Armen wieder dünn, in den Gonophoren den 
Ausstülpungen des Ektoderms folgend. Innen an die glatie Stützlamelle 
und den Hohlraum auskleidend legt sich als Entoderm eine einfache Zell- 
schicht, flache polygonale bis lange prismatische Zellen, jede mit einer 
Cilie wie auch bei Hydra, Am Rüsselende gehen Entoderm und Ektoderm 
unmittelbar in einander über. Die Entodermzellen im Magen sind gross, 
mit wasserheller Flüssigkeit erfüllt, im untern Ende des Magens mit kör- 
niger Masse gefüllt, im Cönenehymrohr flach mit Körnchen und Pigment 
erfüllt, in den Gonophoren ganz flach. In den Armen erkennt Verf. einen 
aus grossen vollsaftigen Zellen bestehenden Achsenstrang, der den Stütz- 
lamellenschlauch ganz erfüllt, diese Zellen bilden gewöhnlich eine, an 
der Basis bisweilen zwei Reihen. Bei Hydra und Cyanea sind die Arme 
hohl, Die Geschlechtsknospen oder Gonophoren entwickeln sich nur an 
den Seitenzweigen vom Juni bis Oktober, männliche und weibliche an 
verschiedenen Kolonien. Jede Knospe entsteht als Ausstülpung des Coe- 
nenchymrohres unterhalb eines Polypen, flachflügelig, dann kolbig, mit 
Hohlraum, der sich wie oben erwähnt bald baumförmig verästelt durch 
Fortsätze der Wandung. In den männlichen Knospen treten nun unter 
platten Epithelzellen Kleine kugelige Gebilde auf mit einem Kern und einem 
Körnehen von dem ein langer feiner Faden abgeht. So entstehen die 
Spermafäden. Sind diese reif: so trübt sich der Inhalt der Deckzellen 
am Pole des Gonophors, werden eylindrisch und treten aus einander und 
das reife Sperma dringt nach aussen. Die Eier bilden sich ebenfalls unter 
den Ektodermzellen als rundliche Zellen mit grossem hellen Kern und 
grossem Nucleolus. Weiter ausbildend häufen sich die Eier in der Mitte 
des Gonophors an, ihr Protoplasma wird grobkörnig und dunkel, das 
ganze Ei schwach bläulich. Sind die 6—12 Eier in einem Gonophor reif: 
so weichen die Polzellen dieses ebenfalls auseinander, es entsteht ein 
rundliches Loch, der Gonophoreninhalt zieht sich in die hintere Hälfte 
zurück und die Eier werden in die vordere gedrängt und in dieser traf 
Verf, auch eingedrungene Spermafäden an. Ebenso beobachtete er den 
nach der Befruchtung erfolgenden Furchungsprocess. Dann bildet sich in 
dem gefurchten Dotter eine mit Flüssigkeit gefüllte Höhle, die Dotterzellen 
scheiden sich in Ektoderm und Entoderm, der Körper wird walzig, aus 
allen Ektodermzellen wachsen zarte Flimmereilien hervor und mit diesen 


496 


bewegen sich die Embryonen in dem Gonophor und bohren sich endlich 
an dem weichgewordenen Pole durch. Freigeworden sind sie bewimperte 
Planulae, in denen sieh nun die Stützlamelle bildet. Dann setzen sie sich 
mit dem breiter werdenden Ende fest, werfen die Flimmereilien ab und 
öffnen den Mund, erst sprosson 2, dann 2 weitere und so die übrigen 
Arme hervor, das Thierchen streckt sich in die Länge und umgiebt sich 
von der Basis her mit der Chitinhülle, während schon die 4 Schichten 
des Weichkörpers sich ausgebildet haben. Mit Ausbildung der Arme be- 
ginnt auch die Aufnahme compakter Nahrung, die Entwicklung der Sto- 
lonen u. s, w. Alle bisher beschriebenen Formen mit Ausnahme der ame- 
‚rikanischen vereinigt Verf. unter Cordylophora lacustris Allm. Dieselbe ist 
bei Stockholm, Dublin, in den Londoner Docks, bei Lyme Regis, Dud- 
ley, in der Elbmündung , in der Schlei, bei Ostende, bei Warnemünde 
und bei Lübeck beobacht. Danach ist sie Brakwasserbewohner und nährt 
sich ganz nach Art der Hydra. ; 
Const. Blumberg, über den Bau des Amphistoma coni- 
cum. Inauguraldissertation. Dorpat 1871. 40%. 1 Tfl. — Nach Darlegung 
Der Untersuchungsmethode und Aufzählung der bezüglichen Literatur giebt 
Verf. zunächst eine Beschreibung des äussern Körperbaues von Amphistoma 
conicum nach geschlechtsreifen Exemplareu von 5—6 Mm. Länge aus 
dem Pansen des Rindes, dann wendet er sich zur Untersuchung des fei- 
neren Baues. Das Körperparenchym besteht aus rundlichen und polyedri- 
schen Zellen mit klarer Flüssigkeit und bildet die eigentliche Körpermasse 
ohne Höhle vom Perisom umgeben. Nahe der Oberfläche sind in dasselbe 
eingelagert zahlreiche Muskelzüge, welche den Hautmuskelschlauch bilden, 
Die Muskelfasern sind langgestreckte kernhaltige Zellen im Querschnitt 
kreisrund oder platt. Sie bilden eineRing-, Längs- und Schrägfaserschicht, 
ausserdem noch dorsoventrale Züge. Die Ringschicht ist die äusserste, 
durch eine dünne Parenchymschicht getrennt folgt die Längsfaserschicht, 
die keine geschlossene ist, zuinnerst die Schrägfaserschicht, Die stärksten 
Muskelzüge aber sind die vom Rücken zur Bauchfläche ziehenden, die 
sich mehrfach kreuzen und an den Seiten des Körpers am häufigsten sind. 
die eigentliche Haut besteht aus einer gestreiften Cuticula und einer tiefern 
zelligen Subeuticularschicht von 0,0154 Mm. Dicke unmittelbar auf der 
Ringmuskelschicht. Diese erscheint meist homogen, von feinen geschwun- 
genen dunkeln Linien durchsetzt, lässt nur selten ihre eylindrischen Zellen 
erkennen. Die dunkeln Linien ergeben sich als die durchsetzenden Aus- 
führungsgänge der Hautdrüsen. Die nur 0,0308 Mm, dicke Cutieula hat 
eine äusserst feine senkrechte Streifung, wohl von feinen Porenkanälen 
herrührend. Am. vordern Körperende bildet sie abgestumpft kegelförmige 
Höcker in alternirenden (uerreihen, Cutieularpapillen, jede von 8-10 
Ausführungsgängen der Hautdrüsen durchsetzt. Dicht unter dem’ Haut- 
muskelschlauche liegen birnförmige Hautdrüsen von 0,0616 Mm. Länge und 
0,0462 Mm. Breite. Sie bestehen aus einem Conglomerat von 15—20 birn- 
förmigen Zellen mit sehr zarter Hülle, fein granulirtem Inbalt und hellem 
Nucleolus. Die verjüngten Enden aller setzen durch die Cutieula als Aus- 
führungsgänge fort. Der Bauchsaugnapf ist eine hohle Halbkugel von 


497 


1,23 Mm. Durchmesser und als verdiekte Stelle des Hautmuskelschlauches 
zu betrachten. Er besteht aus radiären, eirculären und meridionalen Mus- 
kelfasern. Erste die radiären bilden die Hauptmasse. Die Ringmuskeln 
bilden auf der innern wie der äussern Fläche je eine einfache Schicht, 
die am Rande des Saugnapfes am stärksten sind. An jede dieser Schichten 
schliesst sich eine meridionale Muskelschicht. Die Innenfläche des Saug- 
napfes wird von der Haut ausgekleidet. Zwischen den radiären Muskel- 
fasern liegen viele birnförmige einzellige Drüsen in doppelter Reihe über 
einander, deren Ausführungsgänge in den Hohlraum münden. Besondere 
Muskeln bewegen den ganzen Saugnapf, kurze unter rechtem Winkel sich 
ansetzende, lange unter spitzem Winkel inserirte. Erste etwa 15 entspringen 
an der Haut nahe am Saugnapf, letzte an der Bauch- und Rückenfläche 
viel weiter vorn. Am Verdauungsapparate führt zunächst der kreisrunde 
Mundsaugnapf in den Schlundkopf. Er besteht aus radiären und Ring- 
muskeln, erste sind die stärkern, letzte blos dünne Schichten neben 
einander liegender Faserzellen besonders am Vorderrande einen Sphinkter 
bildend. Zwischen den Muskeln liegen zahreiehe Drüsen in 4—5fachen 
Reihen über einander. Die Haut des Mundsaugnapfes besitzt Cutieular- 
papillen in alternirenden Querreihen. Der ellipsoidische Pharynx ist mus- 
kulös und hohl, 0,84 lang und hatradiäre Ring- und Längsmuskeln. Von 
diesen sind die Ringmuskeln in äussere, mittle und innere gesondert, die 
Längsmuskeln ebenfalls in innere, äussere und seitliche. Auch die Cuti- 
eula der Schlundhöhle trägt mehrere Reihen Papillen. In der Wand des 
Pharyux liegen Ganglienzellen und Drüsen. Erste zwischen der äussern 
und mittlen Ringmuskelschicht um den ganzen Schlundkopf herum, rund 
oder unregelmässig, 0,046 Mm. im Durchmesser haltend, jede mit fein 
sestreifter Hülle und bläschenförmigen Kern und Nucleolus und grobkör- 
nigen Inhalt. Diese Zellen senden geschlängelte Fortsätze aus, die völlig 
homogen sich wieder theilen und in den Papillen der Schlundeutieula 
kolbig enden. Die Drüsen nehmen die ganze Dicke des Pharynx ein, 
liegen zwischen der äussern und innern Ringmuskelschicht, bestehen aus 
rundlichen und birnförmigen Zellen und münden in die Schlundhöhle, sind 
also Speicheldrüsen. Besondere dicke Hautmuskeln erhalten den Pharynx 
in seiner Lage. Der cylindrische Sförmig gekrümmte Oesophagus hat eine 
äussere einfache Schicht von Längsfasern und eine innere fünffache Lage 
von Ringfasern. Anch in den Oesophagus münden zahlreiche ihn umla- 
gernde Drüsenzellen, Die beiden Darmschenkel laufen an beiden Körper- 
seiten zwischen Dotterstöcken und Hoden nach hinten und enden blind, 
ihre Wand besteht aus der äussern Längs- und innern Ringmuskelschicht 
und einer Auskleidung von Flimmerzellen, jede mit zahlreichen langen 
Cilien. Die Ganglienzellen im Pharynx deutete Leuckart als Speicheldrüsen 
und bleibt Verf.’s Auffassung derselben immer noch etwas bedenklich. 
Von den zwitterhaften Genitalien liegen die beiden Hoden in der hintern 
Körperhälfte sich fast berührend, sind rundlich und stark gelappt, weiss, 
gallertartig, 1,54 Mm. im Durchmesser, mit bindegewebiger Hülle und 
zelligem Inhalte, Erste ist homogen, zerlappt den Hoden und ist innen 
von Cylinderepithel bekleidet. Den Inhalt des Hodens bildeu grosse rund- 


498 


liche granulirte Zellen und dazwischen befindliche Samenfäden, die sich 
in gewöhnlicher Weise entwickeln. Die bindegewebige Hülle eines jeden 
Hodens setzt sich als vas deferens fort und beide Leiter treien vorn zum 
Ductus ejaculatorius zusammen. In diesen Leitern erkannte Verf. deutlich 
die dünne Ringmuskulatur. Der Ductus ejaculatorius macht Schlängelun- 
gen und erweitert sich zur Vesicula seminalis mit Verdickung seiner Wan- 
dung. Ihn umgiebt die rundliche Prostata, welche aus zahlreichen birn- 
förmigen Drüsenzellen umhüllt von einer strukturlosen Membran besteht. 
Der Genitalporus, 6 Mm. hinter der Mundöffnung gelegen, ist schwach 
umwulstet, enthält eine aus Muskellagen und Haut bestehende Papille, iu 
deren Gipfel der Ductus ejaculatorius, hinter ihr der Uterus mündet. Das 
Endstück des Ductus stülpt sich als Penis vor. Das den Porus umgebende 
Bindegewebe enthält Ganglienzellen. Die weiblichen Organe liegen im 
hintern Viertheile des Körpers und führt in sie die auf dem Rücken des 
Thieres gelegene Scheide, welche nahe dem hintern Hoden hinab geht und 
vor dem hintern Saugnapfe in die ovale Schalendrüse eintritt. Die Scheide 
wird von Ring- und Längsmuskelfasern gebildet und ist stels mit Sperma 
gefüllt. Die Schalendrüse ist von einer strukturlosen festen Membran um- 
geben und besteht aus vielen birnförmigen Drüsenzellen mit Ausführungs- 
gängen, ihr Hohlraum ausgekleidet von einem Cylinderepithel. In diesen 
tritt ausser der Vagina noch der von dem Keimstocke kommende Keimgang. 
Der vollkommen kugelige Keimstock hat eine doppelte strukturlose Membran 
als Hülle, welche die Keimzellen umgiebt, diese sind verschieden gross, 
haben eine deutliche Membran, feingranulirten Inhalt, Kern und Kernchen. 
Weiter tritt auch der unpaare Dottergang in die Schalendrüse ein. Dieser 
entsteht aus der Vereinigung beider Dottergänge, die sich vielfach ver- 
ästelnd längs beider Seiten des Körpers und mit ihren letzten Canälchen 
von den einzelnen Dottersäckehen entspringen. Die Dotierstöcke nehmen 
die ganze Länge beider Körperseiten ein und bestehen aus zahlreichen 
kugeligen Säckehen mit engen Ausführungsgängen, welche dem gemein- 
schaftlichen Dottergange aufsitzen. Jedes Säckchen enthält in einer struk- 
turlosen Membran rundliche Dotterzellen, von welchen die grossen einen 
grobkörnigen fettigen Inhalt haben. Der aus der Schalendrüse entsprin- 
gende Uterus oder Eibehälter macht 6 starke Windungen und läuft weiter 
werdend zwischen Hoden und Rückenfläche nach vorn, verengt sich wieder 
und läuft zwischen den Vasa deferentia zum Genitalporus hin, Seine 
Wände haben äussere Längs- und innere Ringmuskeln und führen in der 
Nähe des Porus viele Drüsenzellen. Die reifen Eier sind oval, 0,12 Mm. 
lang und 0,07 Mm. breit, haben eine äussere röthliche und innere grün- 
liche Hülle, am verjüngten Pole einen Deckelapparat, enthalten 50 — 60 
Dotterzellen und eine Keimzelle. Bei der Copulation gelangt der Same 
durch die Vagina in die Schalendrüse, wo die Befruchtung erfolgt. Jenen 
als Vagina bezeichneten auf’dem Rücken mündenden Kanal hat Laurer 
zuerst erkannt aber noch nicht als Scheide gedeutet, wofür Verf. seine 
Gründe beibringt. Das Centralorgan des Exeretionsgefässsystems ist ein 
hohler birnförmiger dünnwandiger Sack unter der Rückenfläche vor dem 
Bauchsaugnapf, sein Ausführungsgang mündet am Rücken, seine Wandung 


499 


besteht aus sehr feinen Längs- und Ringmuskelzügen, innen mit flachen 
Epithelzellen bekleidet, aussen umsponnen von einem dichten Gefässnetz. 
In den Sack münden zwei vordere und 2 hintere starke Gefässstämme, 
welche zahreiche Gefässe aufnehmen, also sich verzweigen und in ihren 
feinsten Zweigen blind enden, um den Saugnapf und Pharynx jedoch mit 
kolbigen. Erweiterungen. Die Wandung aller Gefässe besteht aus einer 
strukturlosen Membran. Ihr Inhalt ist flüssig, wasserhell, mit kleinen 
runden Körperchen und Fettitröpfehen. Das Centrum des Nervensystems 
endlich liegt auf dem Oesophagus in Form zweier Ganglien, die durch 
ein Band verbunden sind. Jedes Ganglion enthält zahlreiche Nervenzellen 
und ist umhüllt von einem Gewirr von Nervenfasern, welche durchsichtig 
und strukturlos sind. Sechs peripheriselie Nerven entspringen jederseits, 
ein erster zum Oesophagus, ein zweiter an den Pharynx, der dritte für 
die Papillen im Munde, der vierte für die Gegend zwischen Mund und 
Geschlechtsöffnung, der fünfte für den Genitalporus, der sechste und 
stärkste läuft längs der Darmschenkel nach hinten und versorgt den Haut- 
muskelschlauch, Darm und Genitalien. Die feinsten Fasern in der Haut 
endigen kolbig in den Papillen. — 

R. Greeff, über den Bau der Echinodermen. — 1. Die 
Augen und ein neues Sinnesorgan der Seesterne. Der in den Armen ent- 
lang ziehende Nerv endigt nicht auf der Spitze des Armes in der Rinne, 
sondern hebt sich von der Rinne ab und spaltet sich fortsetzend in einen 
obern und einen untern Sinnesnerv. Der untere kurze kolbenförmige 
trägt das längst bekannte Auge, der obere seither übersehene ist ein lang 
vorstreckbarer, z. Th. bewimperter Fühler, der mit den Saugfüsschen nichts 
gemein hat, auch keine Saugscheibe besitzt, gelb, dicker und grösser ist 
als die Füsschen. Der das Auge tragende Nervenzweig umfasst den über 
ihm gelegenen Fühlernerv henkelartig und diese Fühlerbasis scheinen 
Ehrenberg und Häckel für das Ganglion oder Polster des Auges gehalten 
zu haben. Die Oberfläche des Auges ist mit einer glashellen deutlichen 
Cuticula überzogen, der ein zartes Plattenepithel folgt. Beide Gebilde 
überziehen aber auch den Fühler. Unter dem Epithel liegt eine breite 
Parenchymschicht und in diese tief eingebettet eine je nach Alter und 
Grösse des Seesternes verschiedene Zahl von rothen Pigmentkegeln mit 
den Spitzen convergirend. Diese Pigmentkegel enthalten Krystallkegel 
einer glashellen weichen Substanz und mit linsenförmig gewölbter Ober- 
fläche. Kugelige Linsen, die Häckel angiebt, fand Gr. nicht. Die Pig- 
mentschicht ist aussen und innen ebenfalls von einem Plattenepithel be- 
kleidet, trägt aussen eine Zone kräftiger radiärer Fasern, mit denen sich 
eireuläre kreuzen, und aussen noch eine Zone radiärer folgt, die von Zel- 
len und Körnern durchsetzt ist. Auf dem innern Epithel liegt eine Zone 
von hyaliner weicher Substanz mit Längs-, Ring- und radialen Fasern. Der 
Innenraum des Auges stellt sich überraschend als eine gerade Höhle mit 
heller Flüssigkeit und Körnchen dar und diese Höhle setzt auch in den 
Fühler fort bis in dessen Spitze und als Kanal auch in der Armrinne 
entlang. Die Körnchen treten vorn ein, treiben bis ans Ende der Fühler 
und Augen und verschwinden auf dem Rückwege. Verf. konnte diesen 

Zeitschr. f,d. ges. Naturwiss. Bd, XXXVIII, 1871. 35 


500 


Kanal injiciren wie den daneben liegenden ambulakralen Wassergefässka- 
nal. — 2. Das Nervensystem der Seesterne. Den von Tiedemann beschrie- 
benen orangegelben Gefässring um den Mund mit seinen Aesten für die 
Arme erklärte Joh. Müller für das Nervensystem, aber Ring und Aeste 
sind in der That hohl, wirkliche Kanäle, in denen eine Flüssigkeit mit 
Körnchen cireulirt. Wo liegen nun in diesem System die Nerven? Auf 
Querschnitten durch den Arm sieht man zunächst das Lumen des radialen 
Kanales des Wassergefässsystemes, uuler dem Septum dieses Kanales 
liegt leistenförmig in der Bauchrinne nach unten vorspringend der Am- 
bulaeralnerv. Die erhöhte Leiste ist von einer feinen Cuticula umhüllt und 
diese mit dichten feinen Wimpern überzogen, welchen Wimperüberzug man 
auf allen Nervenstämmen wieder findet. &Auf die Cuticula folgt ein Plat- 
tenepithel und auf dieses nach innen eine Schicht ganz wie das oben er- 
wähnte Parenchym des Auges, sie ist das orangene Gefäss Tiedemann’s 
und biegt schmäler werdend um und geht direct in die Haut der Saug- 
füsschen über. Diese Leiste ist also nur eine Fortsetzung der äussern Haut, 
in die sie direct und auch durch Vermittelung der Saugfüsschen übergeht, 
sie umschliesst die Nervensubstanz , welche von den oben erwähnten Ka- 
nale durchzogen wird. — 3. Blutgefässsystem und Athemorgan. Die in- 
nere Wandung der Leibeshöhle der Seesterne ist mit einem diehten Wim- 
perüberzug bekleidet, der die darin befindliche Flüssigkeit in steter Cir- 
culation erhält. Diese Organe sind meist auf ihrer Aussenfläche bewim- 
pert. Der innere Wimperüberzug geht in den Fortsetzungen der Leibeshöhle, 
die sogenannten Hautkiemen fort, in welche die Flüssigkeit lebhaft ein- 
und austritt. Die Körnchen in der Flüssigkeit sind Blut- oder Lymph- 
körnchen, ganz wie die im Wassergefässsystem, im Fühler- und Augen- 
kanal, kleine hyaline Zellen mit Höckern, Zapfen und Fortsätzen fast wie 
Amöben auch in deren steten Formenwechsel begriffen. Injieirter Car- 
min tritt sogleich in die Hautkiemen ein von der Leibeshöhle her und färbt 
nach ein bis zwei Tagen auch die Blutkörperchen roth. Die in der Lei- 
beshöhle eirkulirende Flüssigkeit ist also die ernährende, das Blut und 
die innen und aussen bewimperte Haut hat respiratorische Funktionen. 
Verf. glaubt auch einen direkten Zusammenhang der Blutflüssigkeit der 
Leibeshöhle mit der des Wassergefässsystemes und der Nervenkanäle an- 
nehmen zu müssen. Seine Untersuchungen stellte Verf. bei Helgoland an 
Asteracanthion rubens, Solaster papposus und Asteropecten aurantiacus 
an, — (Marburger Sitzgsberichte 1871. Novbr.) 

R. A. Kossmann, über die Talgdrüsen der Vögel. — Die 
Talgdrüsen finden sich bei den Säugethieren an jedem einzelnen Haar- 
balge; sie haben die Function jedes einzelne Haar durch Einölen 
weich und elastisch zu erhalten. Bei den Vögelu aber kann ein Einölen 
der einzelnen Federn, die ja an und für sich starr genug sind, wegfallen, 
und schon das Einfetten des ganzen Federnkleides genügt zum Schutze 
gegen Durchnässung. — Aus dem Grunde fehlen den Vögeln die über den 
ganzen Körper verbreiteten Talgdrüsen — die von Tiedemann für Drüsen 
gehaltenen gelblichen Schläuche in den Wollkisschen der Reiher sind Fe- 
dernbälge. — Sie besitzen nur eine Talgdrüse über der Insertion der 


501 


Steuerfedern, die sog. Bürzeldrüse. Doch fehlt diese Drüse einigen Papa- 
geien, einigen Tauben, der Trappe etc. — Sie ist zweitheilig, immer 
durch eine muskulöse Scheidewand getrennt. Im Innern befinden sich 
Drüsenschläuche, die Bildungsorte des Secrets, welche sich in Hohlräume 
öffnen, und von diesen gehen die Ausführungsgänge nach aussen. Die 
Gefässe der Drüse sind Aeste der Arteria und Vena caudalis, welche 
zwischen dem zweiten und dritten Schwanzwirbel durchtreten und jeder- 
seits drei Arterien und drei Venen in die Drüse schicken. Die feinsten 
Verzweigungen der Aederchen gehen bis in die Schläuche. Ein starker 
dorsaler Rückenmarkstrahl spaltet sich zwischen dem ersten und zweiten 
Schwanzwirbel in je drei Aeste und sendet den mittleren Nerv in die 
Drüse. — Die Bildungsorte des Secrets sind die schon erwähnten Schläuche, 
welche radial gestellt an dem nach aussen gerichteten Ende geschlossen 
sind und sich nach innen zu einem Hohlraume vereinigen. Die Form und 
Weite des Hohlraums, ferner die Zahl der Ausführungsgänge sind je nach 
den Arten verschieden, der Uebergang der Schläuche in die Ausführungs- 
canäle ist oft so allmählich, dass sich eine genaue Grenze zwischen bei- 
den nicht feststellen lässt. Die Drüse ist überzogen von der Körperhaut, 
einem fetthaltigen Unterhautbindegewebe und einer aus vier Schichten be- 
stehenden Muskelhaut. An der innern Seite der Muskelhaut liegen epi- 
thelartige Zellen an, welche klein und rundlich nach der Mitte der 
Schläuche grösser und eckig werden. Sie haben einen körnigen Inhalt 
und kleine Fettkörperchen. Durch Zerplatzen der centralen Zellen werden 
die Fetikörperchen frei und fliessen zusammen, während sich die wand- 
ständigen durch fortwährende Theilung vermehren und neue Zellen nach 
der Mitte vorschieben, Die Entwicklungsgeschichte der Bürzeldrüse ist 
am Hühnerembryo verfolgt. Die erste Spur zeigt sich am zehnten Tage 
in Gestalt zweier Grübchen von länglicher Form, Die Einstülpung der 
Epidermis nimmt am elften Tage mehr und mehr zu, indem sich die Rän- 
der wulstartig erheben. Diese zeigen am zwölfteu Tage knollige Erhebun- 
gen, die Anlagen der Federn. Die Gruben weiten sich flaschenartig aus, 
namentlich nach vorn, wo das Zäpfchen deutlich hervortritt. Die Eingänge 
in die Taschen zeigen sich als schmale Spalten, umstellt von neuen Fe- 
derkeimen, Die Epithelialzellen im Innern bilden sich zu Schläuchen aus 
und zeigen am einundzwanzigsten Tage eine compacte Drüsenmasse. So 
viel Einsenkungen die Epidermis hat, so viel Ausführungsgänge zeigen 
.sich. So ist die Bürzeldrüse eine Localisation der bei den Säugethieren 
über den ganzen Körper verbreiteten Talgdrüsen. Ww. 
W, Peters u. Philippi, über Pelzrobben an den SAmeri- 
kanischen Küsten. — Philippi erhielt von Juan Fernandez und Masa- 
fuera Felle eines neuen Seehundes, den er als Olaria argentata also dia- 
gnosirt: supra cinerascens subtus e cinnamomeo castanea; pilis brevio- 
ribus, omnibus aequalibus, dorsi nigris apice albis, lana rufescente zum 
Unterschiede von der nächst vewandten O. Philippii: supra nigra, subtus 
atra, pilis cervieis in mare duplo longioribus, apice albo; lana rufa. Auch 
Schädel und Gebiss bieten Unterschiede, welche dargelegt werden. Beide 
Arten stehen nach Peters einander ebenso nah wie&s0. falcklandica und O. 


35 * 


02 


nigrescens. Letzte glaubte derselbe mit O. Philippii identificiren zu kön- 
nen, allein die Vergleichung der Schädel bestättigte diese Vermuthung 
nicht. Er stellt nun jene fast nur im Schädelbau verschiedenen südame- 
rikanischen in dem Subgenus Arctophoca zusammen: 1. A. falklandica 
Shaw grau mit blassrother Unterwolle, Atlant. Ocean. 2. A. nigrescens 
Gray schwärzlich mit dunkelrother Unterwolle, Atlant. Ocean. 3. A. ar- 
gentata Phil. grau mit blassrother Unterwolle, Stiller Ocean. 4. A. Phi- 
lippii Pet. schwärzlich mit dunkelrother Unterwolle, Stiller Ocean. Peters 
stellte früher O. Byronia Blainv, O.leonina Cuv und O. Godeffroyi Peters 
als noch fraglich unter O. jubata zusammen und die Arbeit von Murie 
über das Material von den Falklandsinseln bestärkt diese Deutung. Dessen 
Schädel von O.jubata ist dem von O. leonina überaus ähnlich, der weib- 
liche von Ulloae aber stimmt mehr mit O. Godeffroyi, so dass diese bei- 
den vielleicht beide Geschlechter einer Art sind. Immerhin kann die Kritik 
dieser Ohrenrobben noch nicht als abgeschlossen _betrachtet werden. — 
(Berliner Monatsberichte 1871. 558—566. 2 Tff.) 


1871. Correspondenzblatt XII. 


des 


Naturwissenschaftlichen Vereines 


r 


14, 


für die 
Provinz Sachsen und Thüringen 
in 


Halle. 


Sitzung am 6, December. 


Anwesend 17 Mitglieder. 
Eingegangene Schriften: 


. Neue Denkschriften der allgem. Schweizerischen Gesellschaft XXIV, 


Zürich 1871 4°. 


. ‚Vierteljahrschrift der naturforsch. Gesellsch, in Zürich XV. 1—4. Zü- 


rich 1870. 8°. 


. Mittheilungen der naturforsch. Gesellsch. in Bern no. 741—744 Bern 


1871..89: 
Schriften der k. physik, ökon. Gesellsch. zu Königsberg IX, 1. 2, 
(1871) Königsberg 1871 4%. » 


. Beilage no. 1 zu den Abhandl. des naturwiss, Vereines in Bremen. 


Bremen 1871 4°, 


. Termeszettudomä nyi Közlöny et. II. Kötel no. 10—18 Pest 1870 4°. 
. A kir magyar Terme törsulat ujabb könyveinu Czimjegyzäke Pest 


1871 4°. 


. R. Comitato geologico d’Italia. Bolletino 1871 9. 10. 8°. 


Giebel, Prof., Thesaurus Ornithologiae etc. Erster Halbband. Leipz. 
1871 8%. Geschenk des Herrn Verf, 


. Andersohn, Aurel, Jahresbericht des Breslauer Hydrauliker- Ver- 


eins 1870 u. 71 Breslau 1871. 8°. 


. Weber, die Entstehung der menschlichen Sprache und ihre Fortbil- 


dung. Heidelb. 1871 8°. 


.„ Hagenbach, Eduard, die Zielpunkte der physikal. Wissenschaften 


Leipz. 1871 8°, 


, Siedamogrotzky, über die Struktur u. das Wachsthum der Horn- 


scheiden der Wiederkäuer und der Krallen der Fleischfresser. Dres- 
den 1871 8°. 

L’universo lezioni popolari di filosofia eneielopediea, astronomica, an- 
tropologia fasc. 1. Bologna 1871 8°. 


504 


Es wurde festgestellt, das laufende Quartal mit der Sitzung am 13. 
h. zu beschliessen und im neuen Jahre mit dem 10. Januar zu beginnen. 

Unter Vorlegung des ersten Halbbandes seines Thesaurus Ornithologiae 
spricht sich Herr Prof. Giebel, anknüpfend an die im Novemberheft 
(S. 364—366) gegebene Anzeige, noch über die bei der Bearbeitung des- 
selben massgebenden Principien aus. So musste für das Repertorium zu- 
nächst, um dasselbe nicht ins Unbestimmte auszudehnen die aufzuführende 
Literatur insofern beschränkt werden, als alle allgemeinen Sammelwerke 
wie Ersch und Grubers Encyclopädie, die verschiedenen Dictionaires etc., 
ferner Schriften und Abhandlungen vermischten Inhalts, Berichte über 
zoologische Gärten, Akklimatisationsvereine, wie auch Uebersetzungen, 
Berichte, Referate und dgl. ausgeschlossen bleiben. Im Nomenclator sind 
selbstverständlich diese Arbeiten, wo immer nur nöthig, berücksichtigt wor- 
den, und wird man hier z. B. die bezüglichen sehr verdienstlichen Artikel 
von Cabanis in Ersch und Gruber ebenso eitirt finden wie Cuviers Regne 
animal uud Schlegel und Pollens Rech. Faune Madagascar. Es genügt 
also schon ein flüchtiger Blick auf weit verbreitete Gattungen oder geo- 
graphisch, streng begränzte um die bezügliche, auch im Repertorium aus 
principiellen Gründen nicht aufgeführte Literatur zu übersehen. Ferner war 
bei der Gruppirung der Literatur in erster Linie die Uebersichtlichkeit 
massgebend, so dass also die faunistischen Arbeiten nicht nach den 
natürlichen Faunengebieten geordnet, sondern nach der bezüglichen Menge 
geographisch zusammengestellt sind, wie daher Deutschland, Frankreich, 
England selbständig neben einander aufgeführt wurden, mussten Holland, 
Belgien, die Schweiz den Nachbargebieten untergeordnet werden. So wird 
man die vereinzelten Arbeiten über untergeordnete Localitäten leicht in 
den allgemein zu nehmenden geographischen Abschnitten auffinden können. 
Den Nomenelator betreffend durfte, um den Umfang des Werkes nicht un- 
mässig auszudehnen, die Literatur der Arten und Gattungen und ihrer Sy- 
nonymen nicht in der in Monographien üblich gewordenen luxuriösen, 
eigentlich aber werthlosen Fülle ceitirt werden, musste sich vielmehr im 
Allgemeinen auf die erste Quelle eines jeden Namens beschränken und 
konnte von der spätern Literatur nur die wichtigsten Monographien und 
Abbildungen gelegentlich noch hinzufügen. Die Synonymen sind mit mög- 
lichster Vollständigkeit aufgeführt worden und nur einzelne völlig werth- 
lose aus allgemeinen Uebersichten und gehaltslosen’ Verzeichnissen unbe- 
achtet geblieben. Da eine Kritik des ungeheuren Materiales in einem blos- 
sen Nomenclator unmöglich gegeben werden kann: so wird man dem 
augenblicklichen Stande der systematischen Ornithologie entsprechend gar 
manches Synonym an zwei und selbst an mehreren Orten, noch gar nicht 
eingehend kritisch behandelte natürlich auch nur an den nächst gelegenen 
Orten aufgeführt finden, die gränzenlose Verwirrung in der Synonymie vie- 
ler Arten nicht aufgeklärt, sondern dieselbe so wiedergegeben wie zur 
ernsten Mahnung an alle, denen die genügenden Mittel zu Gebote stehen, 
die nothwendige Aufklärung zu beschleunigen. Die Vulgärnamen sind, weil 
für den Systematiker ohne besonderen Werth, nur als gelegentliche Bei- 
gabe zu betrachten; das allbekannte Polyglottenlexikon wieder abzudrucken 


5N5 


und durch grossen Zeitaufwand aus Reiseberichten zu vervollständigen 
lag für diesen Nomenclator keine Nothwendigkeit vor und wurden nur die 
Vulgärnamen aufgenommen, welche dem Verf. bei dem Excerpiren derLi- 
teratur begegneten, immerhin schon eine beachtenswerthe Anzahl, die in 
gar manchen Fällen nützlich sein dürfte. — Bei der empfindlichen Ein- 
seitigkeit und Unvollständigkeit, der unverantwortlichen Willkür in der 
Anführung der Quellen und Gattungen verbunden mit der dem heutigen 
Stande des ornithologischen Wissens hohnsprechenden Systematik in der 
einzigen unmittelbaren Vorarbeit, den Hartlaubschen ornithologischen 
Jahresberichten hielt Verf. die Beigabe eines literarischen Repertoriums 
zum Nomenclator geboten und war leider genöthigt bei der Gewinnung 
des Materials für letztern von diesen Jahresberichten ganz abzusehen und 
mühevoll von neuem die periodische und monographische Literatur un- 
mittelbar zu excerpiren und wenn ihm trotz der Benutzung einiger gros- 
ser Bibliotheken dennoch einzelne Arbeiten unzugänglich blieben: so wer- 
den die bei der Bewältigung eines so riesigen Materiales leicht verzeih- 
lichen und erklärlichen Lücken mit der während des zeiterfordernden 
Druckes neu erscheinenden Literatur, durch diese sich ergebenden Berich- 
tigungen und Zusätze in einem Nachtrage am Schlusse des Werkes ihre 
befriedigende Erledigung finden. Hinsichtlich der Vollständigkeit ergiebt 
die Vergleichung des Thesaurus mit Gray’s eben erscheinenden Handist 
of Birds, welcher doch über das reichste literarische Material freie Dis- 
position hat, dass der Thesaurus hinsichtlich der Gattungen, Arten und 
deren Synonymie die höchste Vollständigkeit erreicht hat. 

Weiter hielt Herr Professor Giebelnoch einen längern Vortrag über die 
verschiedenen Fortpflanzungsweisen im Thierreiche, über die individuellen 
und sexuellen und deren besondere Weisen mit näherer Angabe der be- 
züglichen Thiergruppen und Hinweisen auf die Entwicklungsgeschichte 
und deren Bedeutung für die Systematik, insbesondere der niederen Thiere. 
Vermehrung durch freiwillige Theilung tritt überall nur sehr beschränkt 
auf, selbst bei den Infusorien, überhaupt noch bei einigen Polypenfamilien, 
den polypinischen Jugendzuständen einiger Quallen und zum letzten Male 
bei den Naiden. Häufiger ist die ihr nächst ähnliche Knospenbildung zu- 
gleich häufiger bei den Infusorien und Polypen, der Medusenbrut, den 
Tunicaten und der geschlechtslosen Brut vieler Eingeweidewürmer. Die 
Vermehrung durch Keimkapseln kömmt bei den Protozoen häufig, bei po- 
Iypinischer Medusenbrut und bei den geschlechtslosen Blattlausammen und 
der neuerdings entdeckten Fliegenmade aufwärts im Thierreiche zum letz- 
ten Male vor. Die geschlechtlichen Fortpflanzungsweisen schilderte Red- 
ner nach dem Vorkommen der zwitterhaften und der getrennten Geschlech- 
ter und verweilte noch bei dem Verlaufe der Entwicklung des Embryo aus 
dem ganzen Dotter und aus der Anlage besonderer Keimblätter sowie auch 
bei den manichfachen Weisen des Generationswechsels. 


506 


Sitzung am 13. December. 


Anwesend 18 Mitglieder. 
Eingegangene Schriften: 


Achtundvierzigster Jahresbericht der schles. Gesellschaft vaterländischer 
Cultur, Breslau 1871. Lex. 8°. 


Herr Prof. Taschenberg legt im Anschluss an seine letzte Mitthei- 
lung den Pelopoeus chalybeus und spirifex, von letzterem auch Nester, 
den Pompilus natalensis n. sp., die Agenia domestica n. sp. mit Zellen 
und eine Belonogaster- Art nebst Nestern vor und berichtet über die Le- 
bensweise der genannten Thiere (S. Bd. XXX1X Januarheft.) 


Herr Jani referirt Detner’s neueste Untersuchungen über die na- 
türlichen Humuskörper (S. Bd. XXXIX Februarheft). 


Herr Dr. Köhler berichtet zum Schluss die von Rennard ausge- 
führten Untersuchungen über das Cantharidin, aus welchen hervorgeht, 
dass in den Spanischen Fliegen nur der genannte und kein besonderer, 
noch flüchtiger Stoff enthalten ist, dass aber das Cantharidin bei geringe- 
ren Temperaturgraden (60°) sich verflüchtigt. 


Sachregister zu Band XXXVII und XXXVII. 


Alle Seitenzahlen ohne Bezeichnung 


hinter einem * 


A. 


Abia fasciata 452. 

Abies pinsapa 91. 

Absorption des Lichts 500. 

Absorptionsspectrum der- flüss. Un- 
tersalpetersäure 499, 


Acetonbildung * 469. 

Acetophenon - Abkömmlinge 72. 

Achat im magnetischen Felde 142. 

Aconitin * 385. 

Adventivknospen, abnorm * 198. 

Aesche * 78. 

Aethylenbasen, im Grossen darge- 
stellt * 264. 


Affenhand, missgebildete 248. 

Akustische Anziehung und Abstos- 
sung 415. 

Alauda, Geschichte der Gattung 267. 

Aleyonaria Pseudogorgia Godeffroyi 
440. i 

Alismaceen, Nachtrag 441. 

Alkoholradikale, substituirt im Phos- 
phorwasserstoff 212. 

Alleghany-System seine Geologie u. 
sein Mineralreichthum 179. 


Alligator n. sp. 167. 
Allylalkoholbildung * 469. 
Allylgruppe, Versuche * 315. 
Alsinidendron n. gen. 442. 
Ammoniak, salpetrigsaur. * 50. 
Amphibien, indische u.malaische 337. 

— Luxemburgs * 80. 

— Perus * 205. 
Amphibienreste bei Malta 150. 
Amphibol * 329. 

Amphistoma conicum * 496. 
Analges, Federmilbengattung 490. 
Anhydrit * 59. 

Anhydritbildung * 273. 
Anorthitfels von d. Baste 219. 
Anthipates arctica n. sp. * 283, 
Anthraecitlager Kärntens 320. 
Anthrakonsäure * 314. 

Anthus Richardi * 379. 
Antozon * 384. 

Apoderus ceoryli, Larve * 383. 


beziehen sich auf Bd. XXXVII, alle 
auf Bd. XXXVIN. 


Arachniden Australiens * 459. 
Araneidi italiani, Catalog * 360. 
Archagaricon, Steinkohlenpilz 325. 
Arsenverbindungen, natürliche* 210. 
Asperifolien, ihre Wickelbildung 
2347. 

Astrakanit von Stassfurt * 62. 
Astronomie, theoretische * 311. 
Attelabus cureulionoides, Larve*383. 
Atypus Sulzeri, Würgspinne * 204. 


B. 


Babingtonit, neues Vorkommen * 61. 
Balanoglossus sp. im Nordmeere 93, 
Bartgeier in der Schweiz * 218. 
Barytgehalt einig. Mineralien * 61. 
Basalt, Tachylyt, Dolerit * 270. 
Basalte, mikros. u. chemisch unter- 
sucht 510. 
Bastzellenbau 392. 
Baumgrenze in W.Tirol 236. 
Belemniten in der Trias 538. 
Belemnitidae, britische 516. 
Beuzil, opt. Eigenschaften 502. 
Beyrichit * 485. 
Bierverfälschung 536. 
Bilder photogr. Linsen 502. 
Bildungsabweichungen, pflanzliche 
439. 
Blattgrün, seine optisch. Eigenschaf- 
ten 499, 
Bleigeschosse geschmolzen 
Aufschlagen * 44. 
Blitzschutz, merkwürdiger 414. 
Blitzschlag 204. 
Blockanhäufungen im Flötz und von 
Conglomeraten 309. 
Bomolochidengattung, neue * 203. 
Borneo-Nummuliten 448. 
Brachiopoden der Eifel * 487, 
Brachiopoden foss., brit. * 63. 
Brachiopoden, mitteloligocäne be 
Magdeburg 60. 
Brackwasserconchylien, 
Biberach * 341. 
Braun’s Jura von NWDeutschl. * 381. 
Braunsteinelemente Leclanche’s 125. 


durch 


foss. von 


Zeitschr. f. d. ges. Naturwiss. Bd. XXXVIlI, 1871. 36 


508 


Breehharkeit desLichts, verschiedene 
stereoskopisch wirkend 70. 

Brechungsverhältnisse einer Fnchsin- 
lösung 500. 

Brennwerthe der hall. Brennmateria- 
lien * 85. 

Brighamia niger 442, 

Bromol und Nebenprodukte 214. 

Bromeinwirkung auf Fluorsilber 129. 

Bromphenolsulfosäure 298. 

Brutvögelzabl Europas * 389. 

Bryogeographische Studien aus den 
rhät. Alpen * 351. 

Bryopsis männl. Pflanzen 519. 

Buchberg bei Bopfingen 795. 

Buntsandstein Thüringens 448. 

Bitomeen-Nachtrag 441. 


JO. 


Calliopsis tinetoria, abnorme Ad- 

ventivknospen * 198. 
Camerospongia=Ptychotrochus100. 
CanalisationsprojectPetienkofers*89. 
Cantharidin * 506. 

Cardamine silvatica 441. 

Centetes semispinosus 97. 
Cephaloptera 170. 

Cestoden, system. Stellung * 384. 
Cetacea, foss. britische 517. 
Chalcedon-Concretionen Brasiliens 

145. 

Characeen - Befruchtung 517. 
Chasmarhynchus 170. 
Chemie der atmosph. Niederschläge 

318. 

Chloralverbindungen mit Alkoholen 

131. 

— mit Amiden 131. 
Chloreinwirkuug auf Fluorsilber 129. 
Chlormethylbenzol 73. 

Chrysoelista aurifrontella, Lebens- 

weise 251. 

Cobitis taenia, Männchen * 363. 
Coceolithen 86. i 
Coelacanthus harlemensis 158. 
Coelenteraten zu conserviren * 282. 
Coleopteren, biolog. Beobachtungen 

246. 

Columbit, Zusammensetz. 429. 
Comparator der Toise mit dem Me- 

ter 210. 

Compensation eines opt. Gangunter- 

schiedes 502. 

Compositenfrüchte, Verbreitungsmit- 

tel * 280. 

Conchylien, lebende im Asphalt 448. 
Conchylien, tertiäre des Amazonen- 
thales 235. 


Coniferen, bernsteinliefernde 324. 

Coniin 385. 

Constante derDispersionsforrmeln124, 

Cordylophora lacustris * 493. 

Cornbrashschichten des Baseler Jura 
2672 

Cossypha gutturalis * 380. 

Crinoidea brachiata, ihre Basis 87. 

Crustaceen Tirols * 204. 

Cyanmetalle, gepaarte mit Ammoniak 
verbunden 294. 

Cyclops quadrieornis 339. 

Cymol, seine chem, Geschichte 295. 

Cyprinoiden Chinas * 363. 

Cylisin, neues Alkaloid * 264. 


D. 


Darwinsche Theorie * 374. 

Demonstrationsapparat für negative 
eiserne Röhren * 262. 

Derivate der Cuminsäure 296. 

Derivate der Gallussäure 297. 

Devon bei Aachen 223. 

Diamant, erster böhmischer 513. 

Diamanten im Xanthophyllit 168. 

Diamantenrfelder in S. Afrika 169. 

Diaphorit * 196. 

Diatomaceen, Bau * 282. 

Diatomeen * 376. ; 

Diatomeenlager in Schlesien 432. 

Dichtigkeitsmaxim. von Alkohol- u. 
Wassermischung 129. 

Dictaea u. silurische Korallen * 383. 

Differentialphotometer * 263. 

Diluvialgeschiebe 450. 

Diluviale Geschiebe der Prov, Sach- 
sen * 383. 

Dimorphismus, geologischer 10. 

Dinitro - Naphtalin * 51. 

Dinochlamydeae, neue Gürtelthierfa- 
milie 250. 

Dinotheriumreste, miocäne * 279, 

Dioxysebacinsäure * 287. 

Disjunctions-Ströme, elektr. durch 
Gase verschiedener Dichtigkeit 69. 

Dispersion, anomale * 188 * 466*468. 

Dispersion des Lichts durch ponde- 
rabile Moleküle 124, 

Dispersion mit stereoskop. Erschei- 


nung * 468. 
Dolerit, Tachylyt, Basalt. * 270. 
Doppeleyanide, quantit. bestimmt 
* 266. 
E. 


Earias insulana, Synonymie, frühere 
Stände 247. 


509 


Earias n. sp. 247, 

Echiniden, neue der Kreide * 339. 

Echinocoecus beiMacropus majoro23. 

Echinodermata, foss. britische 516. 

Echinodermen, foss. brit.d.Kreide*63. 

Echinodermen Spitzbergens * 283. 
— Bau, * 499. 

Eichengallen, mitteleurop. 446. 

Eidechsen, neue 9. 

Eischnüre der Schlangen 335. 

Eisenchlorid, Zersetzungsprodukt 
wässr. Lösung * 191, 

Eisenoxydlöslichkeit in ätzend. Al- 
kalien * 51. 

Eisenstein im westph. Steinkohlen- 
geb. * 323. 

Eisentrennung von Kobalt * 192. 

Eisentrennung von Nickel * 192. 

Bu seine Wasserbestimmung 
” 42, 

Eiszeit, Erklärung u. Bestimmung 
derselben * 194, 

Elektrieität 203. 

ElektromagnetischeMaterie, ihre kos- 
mische Existenz * 312. 

Elen, seine Naturgesch. * 75. 

Emaille-Photographien * 208. 

Embrithit, Zusammensetzung 233. 

Entladung, elektrische 209. 

Eocäne Mollusken Englands * 64. 

Epidote, Sulzbacher * 337. 

Epidot, Zusammensetzung * 57. 

Erratische Geschiebe, Verbreitung 
594. 

Erdbeben auf Milo * 55. 

Erdbildungstheorie Mohrs, Einwand 
594. 

Erde, ihre Bewegung im Aether 69. 

Erdtemperatur Theorie 413. 

Erhaltungszustände russ. Ammoniten 
EIS: 

Erstarrungstemperatur der Fette” 43. 

Eruptionsgesteine, jüngste des Wes- 
terwaldes 220. 

Erzführung der Przibramer Sand- 
steine u. Schiefer zu den Dislo- 
cationen * 50. 

Erzlagerstätten von Schneeberg in 
Tyrol 136. 

Eschenzweig mit geweihartiger Fas- 
eiation * 343. 

Eudiometer mit beweglichen Funken- 
drähten 208. 

Euplectella * 372, e 

Eurypterus, neuer * 197, 

Excursion, zool. auf ein Korallenriff 
des roth. Meeres 248. 


Er". 


Falkonidae,Klassifie. d.Namerik.*81. 

Farben doppelt brechender Platten 
286. 

Farbenfolge, abnorm im Spectrum 
* 486, 

Farbensinn der Vorzeit 210. 

Farbentheorie 124. 

Faserpflanzen,, indische 392. 

Faulthier, neues 9. 

Federlinge Spitzbergens 451. 

Fettgehalt der Bierhefe * 473. 

Fische des rothen Meeres, Synopsis, 
335. 

Fishes of the old red Sandstone 516. 

Flamme, sensitive 128. 

Flammenstudien, akustische 415. 

Flammentheorie 213. 

Flechten Krains 89. 

Flechten-Ernährung * 69. 

Flora foss. der Bäreninsel * 342. 
— Grönlands * 342. 

Flussconchylien Galiziens 248. 

Foraminiferen d.Septarienthons*277. 

Foraminiferenfauna der obern Kreide 
* 340. 

Formieiden, neue 247. 

Formieiden, neue von Granada 334. 

Forstzeichen, eingewachsenes * 334, 

Fortpflanzung der Thiere * 505. 

Foss. Flora v. Radoboj 321. 

Foss. Flora aus dem Nyraner Gas- 
schiefer 433. 

Foss. Pflanzen im Marmor 433. 

Fossilien des. s. afrikanischen Mer- 
gels * 278. 

Freieslebenit * 196. 

Frostschäden 1870/71 * 184. 

Fusus tertiärer im Diluv. * 385. 


Gr. 

Gänse, Klassifik. der nordamerikan. 
* 80. 

Gallenblase, gelappte bei Katze u. 
Hund 248. 

Galmeilagerstätten, ihre Genesis 137. 

Gangunterschied polarisirter Strah- 
len 287. ! 

Gavialschädel * 85. 

Gefangene Vögel, ein Handbuch 63. 

Gefrierpunkt von Alkohol- u. Was- 
sermischung 129. 

Geistesepidemie der Franzosen 536. 

Geognosie des goldführenden Kali- 
forniens 534. 

Geognosie Pommerns 225. 

Geognostische Karte von Oberschle- 
sien 99. 


36* 


910 


Geologie der europ. OÖ. Türkei 427. 
Geologie des Val Trompia 512, 
Geologischer Durchschnitt durch S. 
Afrika 134. 
Gesteine des Geschenen-, Gomern- 
u. Mainthales * 321. 
Getreidegrenze in W. Tirol 236. 
Gewichte, neue 201. 
Gewicht in alten u. neuen Systemen 
2250. 
Gewitterwirkungen 204. 
Glaubersalz, eigenth. Vorkommen*53. 
Gleichgewichtsfiguren 417. 
Goldvorkommen im Unterharz 169. 
Granulitgebiet, sächsisches 221. 
Graphit, steierischer * 195, 
Grünstein, mikrosk. untersucht #192. 
Guanidin, Geschichtliches 74. 


Hr. 


Haematopinus, analyt.Uebersicht 173. 

Häringer Schichten des untern Inn- 
thales 512, 

Häringsasung 96. 

Harmonik, esoterische desAlterthums 
64. 

Haschisch, Zubereitung * 87. 

Hebung durch Wasserwirkung *371. 

Hebungsphänomene in S. Norwegen 
269: 

Hemiptera europ. n, gen. et sp. 245. 

Heteropea 163. 

Hieracien Oesterreichs * 489. 

Himmelsbeschreibung Lehrb. 406. 

Hind’sche Kometenbahn 283, 

Holz, verkieseltes 450. 

Holz in Schwefelkies umgewandelt 
* 379. 

Holzfaserwandungen, Bau 326. 
Homöomorphismus bei der Substit. 
von 2 neuen Doppelsalzen 302, 
Honigstein, krystall, von Taucha * 85. 

Hufeisennasen 528, 

Hummeln, 4 neue 166. 

Humuskörper, natürliche * 506. 

Hydroxylamin, Synthese 505. 

Hymenophyllum tunbridgense, Fund- 
orte 238. 

Hymenopteren, neue s.europ, * 305 
* 379. 


I. 


Janthella, neue Hornschwammgat- 
tung * 206 * 380. 

Ilvait, nassauer * 61. 

Indigblau, seine Synthese 71, 

Indigoblau-Lösungsmittel 214. 


Induections-Ströme, elektr. durchGase 
verschiedener Dichtigkeit 69. 

Induktionsfunken 127. 

Infusorien, Geschichtliches * 384. 

Insekten Chile’s * 38. 

Insektengespinnste 97. 

Intensität polarisirter Strahlen 287. 

Jodeinwirkung auf Fluorsilber 127. 

Jodide,unlösliche,neueZerlegung301. 

Jodphosphonium, neue Darstellung 
294. 

Jodschwefelsäure * 470. 
Isomorphismus bei der Substitution 
von 2 neuen Doppelsalzen 302. 
Isomorphismus sehwefels. Bleis, Ba- 

ryis, Strontians, Kalks, Natrous, 
Ammoniaks 82. 
Julianit * 483. 
Juncaceen, ihre Naturgesch. 437. 
Juncagineen - Nachtrag 441. 
Jura, baltischer 96. 


K. 


Kalender, immerwährende +86 #387. 

Kalenderwesen * 387. 

Kalkspathe einer Wettiner Steinkoh- 
lengrube 339. 

Kampferfamilie, opt. Eigensch, 502. 

Kaoline, böhmische 514. 

Kautschuk -Elastieität * 313. 

Keimfähigkeit des Roggens im Eise 
* 344. 

Kieselzinkerz, Analyse * 195. 

Kieserit, Analyse * 62. 

Klin’scher Sandstein * 273. 

Knochenstück mit gedieg.Kupfer 249. 

Königscher Apparat * 382. 

Kohlenformation in Schonen 172. 

Kohlenwasserstoffe, aromat. * 49. 

Korallen, foss. Englands 516. 

Kosmische Anziehung der Sonnen- 
strahlen 283. 


Kreideformation am Genfersee * 271. 
Kresole, isomere 299. 
Kryptogamen im Orient * 68. 
— W.Afrikas * 201. 
Kıystallform und chemische Consti- 
tution 229. 
Krystallform, gyroidische u. eirku- 
lare Polarisation 514. 
Krystallographische Notizen 142. 
Krystallwachsthum 317. 
Kupfer, gediegen in Serbien 144. 


-Kupferlasur von Nertschinsk * 329. 


Kupferprobe, elektrolytische 172. 
Kupferoxydlöslichkeit in ätzenden 
-Alkalien * 51. 


511 


L. 

Labradorit 316. 

Landeonchylien Galiziens 248. 

Landschneckenzucht in Aquarien 9. 

Lastreminae 164. 

Laubmoose Badens * 493. 

— bei St. Goar * 343, 

Leben in der todten Natur 101. 

Lebenserscheinungen, periodische 
der Pflanzen 236. 

Lebermoose bei St. Goar * 343. 

Lebiidae, Monogr. * 286. 

Lernaea M.u. W. vor der rückschrei- 
tenden Metamorphose 241. 

Lichanotus mitratus * 286. 

Licht 203. 

Lichtabsorption mit Spectralapparat 
gemessen 124. 

Liehtabsorption, optische u. chemi- 
sche der Silberhaloidverbindungen 
291. 

Lichtempfindlichkeit des rothen Blut- 
laugensalzes 130, 

Lievrit, Zusammenselzung 233. 

Lima namaquensis n. sp. 448. 

Lithionglimmer * 434. 

Löss im Saalthale * 482. 

Lüneburgit * 277. 

Luftsäulen,tönende zu analysiren415. 

Luftwiderstandsgesetze, Apparat zur 
Ermittlung * 312. 


M. 


Maeropus major. Embryo 526. 
Magneteisensand, titanhaltiger 312. 
Magnetisirungsspirale u. beweglicher 
Eisenkern * 262. 
Magnetkies-Analyse 146. 
Mammiferes foss. de Lombardie*197. 
Mammut, seine Haardecke 486. 
Mammutszahn von Merseburg * 382. 
Mangangehalt einig. Mineralien * 61. 
Mass in alten u. neuen Systemen*250. 
Medusen, foss. 434. 
Meeresconchylien, foss. von Biberach 
* 341. 
Meeresströmungen, Theorie 409. 
Megatherium, sein Becken 86. 
Meile des neuen Systems * 86. 
Melaphyre der niedern Tatra 133. 
Menschenschädel, verletzter * 85. 
Mergel von S.Afrika * 278. 
Mesoplon Güntheri, neuer Wal 447. 
Mesozoische Säugethiere * 65. 
Meteoreisen der Collina di Brianza 84. 
Meteoreisen von Wisconsin 146. 
Meteoreisen - Untersuchung 83. 
Meteorit von Alabama 146, 


Meteorologie von Graubünden 284. 

Meteorol. Jahresber,, Nachtrag * 183. 

Meteorologische Station Halle 382. 

Miastor 163. 

Milben 536 * 29. 

Milchsäure * 385. 

Millerit * 485. 

Mineralogisches ausSteiermark * 276. 

Mineralog. Mittheilungen 316. 

Mineralogische Notizen 142. 

Miscellen botan. 151. 

Mischfarbenapparat 500. 

Molekular, statistischer Satz 418. 

Molesanstock im Canton Freiburg138. 

Molybdänsäurehaltige Flüssigkeiten, 
ihre Verwerthung * 473. 

MonographiaBotrychiorum, Nachtrag 
151 


Mononaphtalin * 51. 
Monstrositäten bei Pflanzen 240. 
Moose, neue 201. 

Moosflora des Orients 89. 
Mundhöhle als Resonator 532. 
Muscorum sp. novae 89. 
Mycolog. Symbolae * 69. 
Mygind, Franz von, Biolog. 151. 
Mykologische Beiträge 150. 
Mykologische Mittheilungen 89. 
Mykologisches aus N. Ungarn 236. 


N. 


Nasiterna pygmaea 452. 

Naturkräfte, ilıre Verwandtschaft 62. 

Nebenströme der elektr. Batterie 207. 

Neocom N. Deutschlands paläontol. 
untersucht 148, 

Neosilurus brevidorsalis,Sexualunter- 
schied 243. 

Nickelantimonkies 315. 

Noeggerathia * 338, 

Nulliporenkalk 86. 


O. 


Oberoligocäne Geschiebe bei Hohen- 
dorf 311. 

Odontopteriden 234. 

Oetzthaler Ferner * 91. 

Optomelrische Figuren 501. 

Ornis von Halle 453. 

Ornithologie, malayische 447. 

Orthoceras regulare, Eigenthümlich- 
keit * 382. 

Orthopteren der syrmischen Bucht 
246. 

Orthopterologische Studien * 1. 

Oseillationen, elektrische * 261. 

Ossicula accessoria am Vogelschädel 


512 


Oxyorhynchus 2 sp. n. 167. 
Oxymonocarbonsäure lin Diearbon- 

säure umzuwandeln * 315. 
Ozonstudien * 50. 


P. 


Parthenogenesis bei Lip. dispar 99. 

Pedicillarien der Echinodermen * 362. 

Pelzrobben Südamerikas * 501, 

Pencatit, mikroskop. untersucht 314. 

Perisphinetus Greppini und oxypty- 
chus 8. 

Petrefaktenführung der Erzgänge von 
N.W.England 147. 

Pferde, vorweltl. Amerikas * 66. 

Pflanzen, kritische Meklenburgs * 74. 

Pflanzeneigenwärme 192. 

Pflanzenstructur, foss. * 68, 

Pflanzenwachsthum, mechan.Verhält. 
68. 

Philomycus carolinensis u. australis 
n. Sp. 380. 

Phosphin der Methylreihe * 47. 

Phosphorescenz verdünnt.Gase * 261. 

Phosphorit Podoliens 144. 

Phosphorwasserstoff 211. 

Phosphorwasserstoff - Abkömmlinge 
508. 

Photometrie u, Anziehungslehre 501. 

Phykologische Charakteristik Ost- 
frieslands 152. 

Phymatocareinus speciosus n, SP. 
im Leithakalk * 337. 

Physik. Mechanik, Lehrb. 412. 

Pilularia, Standorte 239. 

Pilzepidemie bei Insekten 238. 

Pinakon * 469. 

Piperaceen Brasiliens * 74. 

Pitta arquata 337. 

Planetentheorie, Grundriss * 311. 

Plateausche Gleichgewichtsfiguren 
* 371. 407. 

Plateau’sche Figuren experim,. und 
theoret. untersucht 417. 

Plateausche Gleichgewichtsfiguren, 
Flüssigkeit dazu * 86. 

Platinüberzug 210. 

Platydesma n. gen. 442. 

Platypeza holosericea, Metamorph. 
165. 

Plumbostib, Zusammensetzung 233. 

Podochytrium celavatum, parasit. Pilz 
auf Diatomaceen * 312. 

Polybromide der Ammoniumbasen 
* 472. 

Polyeder, gleicheckige * 311. 

Polymera, system. Stellung 253. 

Porphyre, liasische im Banat 78. 


Porphyr von Halle, Vorkommnisse 
darin 251. 
Porphyroide Thüringens 76. 
Prismatische Ablenkung, Minima500. 
Predazzit, mikroskop. untersncht 314. 
Propithecus Coquerelli, diadema 451. 
— Deckeni, neuer Halbaffe 92. 
Propylaldehydbildung * 469. 
Protozoische Geschiebe Meklenburgs 
* 52, 
Psephophorus polygonus 85. 
Psendomorphosen, 2 neue 81. 
Pseudoskopische Figur 501. 
Pterocerasschichten der Kimmeridge- 
bildung bei Hannover 221. 
Pterodactylus, lebender 249. 
Ptyehotrochus = Camerospongia 100. 
Pupipara auf Chiropteren 121. 
Pyrochlor, Zusammens, 429. 
Pyrosmalith, Analyse 85. 
Pyroxen * 329. 


@. 
QuartäreBildungen im unternKander- 
gebiete 75. 
Quecksilberchlorür, Darstell. * 51. 
Quecksilbersulfid, amorphes 234, 


IR. 


Radiolarien 521 * 358. 
Ralligengebirge * 271. 
Rammelsbergit * 484. 
Raumanschauungen * 312, 
Receptaculites Murchisoni * 380. 
Reibungselektrieität auf Pendel wir- 
kend 202. 
Reisebericht aus S.Afrika 449. 
Reptilien der Liasformat. 517. 
Reptilienei * 284. 
Rhinobates obscurus * 85. 
Rhynechota Tirolensia, Wanzen 245. 
Riesenammoniten der Kreide * 339. 
Riesvulkan 302. 
Ringelnatter-Eischale 335. 
Rubus glaucovirens bei Magdeb.*198. 
Rüben - Nematode 442 * 89, 


Ss. 


Säugethiere foss. von Steinheim 98, 

Säugethierläuse, analyt. Uebersicht 
173. 

Salmonidenei, Bau * 283, 

Salpetersäurebestimmung * 316. 

Salz, unsichtbar in seiner Mutter- 
lauge 501. 

Salze, jodschwefelsaure * 470. 

Salzlager * 479. 

Salzvorkommen Siebenbüryens 141, 


513 


Samenfäden-Entwickelung bei Insekt. 
u. Crustae. * 360. 
Sandstein mit Silber und Kupfer 251. 
Sarmatische Stufe in d. Bukowina 139. 
in d. nördl. Moldau 139. 
Saurier, neue 480. 
Schädlichelnsekten, von 1871 * 371. 
Schalldurechgang durch Luft u. Was- 
serstoff 210. 
Schallgeschwindigkeit in eylind.Röh- 
ren gemessen 127. 
Schallintensitätsmessungen 417. 
Schiefergebirge Thüringens paläon- 
tol. 448. 
Schieferterrain im Erzgebirge 1. 
Schmelztemperatur der Fette * 48. 
Schmetterlingsbuch Ramanns 353. 
Schmetterlingsflügel, Entwickel. 332. 
Schneckengehäuse als Resonatord32. 
Schneefloh vei Sondershausen 339. 
Schreiben aus der Kapstadt * 382. 
Schwefeleyankalium, Modificationen 
213. 
Schwefelsäure, Verbrennungsprodukt 
des Leuchtgases * 475. 
Schwefelselenverbindungen, Krystal- 
lisirte * 471. 
Schwimmen festen Eisens auf flüs- 
sigem 128. 
Sebacin- Weinsäure * 287, 
Seebryozoen, Anatomie, Entwickel. 
157. 
Seeigel, Jugendzustände 160. 
Seesterne, kritisch untersucht * 283. 
Seesterne, neue Chili’s 94. 
Seidenraupenkrankheit unters. * 210. 
Selaginella, Embryobildung * 67. 
Serpentin * 328. 
Seite Communi * 53. 
Sieden, gemeinschaftl. zweier nicht 
mischbarer Flüssigk. * 44. 
Silberrhodanid mit Ammoniak ver- 
bunden 293. 


Simonyit, neues Salz 313. 

Sirius, phpuläre Zeitschr. 104. 

Solfataren auf Milo * 55. 

Sonne, ihre Bewegung im Aether 69, 

Sonne, ihreTemperaturu. Physik 205. 

Sonnenschein und Regen, ihr Einfluss 
407. 

Specimina zoologiea mossambicana 
94. 


Speisezettel des belagerten Paris * 89. 

Spectra negativer Elektroden 288, 

Spectra geisslerscher Röhren 288. 

Spectrallinien, ihre Breite 69. 

Spectroskopische Sonnenbetrach- 
tung, neue Methode * 314. 


Spectrum des Nordlichtes. 499. 

Sphärien der Rose 90. 

Spinnen von Niesky 360. 

Spirgatis * 483. 

Spongiensystem 159. 

Sporenentwiekelung der Leitbündel- 
kryptogamen * 281. 

Stereoskop, einlinsiges 210. 

Sternschnuppensubstanz 414. 

Stickstoffgehalt des Fleisches 294. 

Stickstoffgehalt, Veränderung im 
Mehl 419. 

Stimmung, reine oder temperirte? 
.* 258. 

Stoss elast. Körper * 313. 

Stosszeit!, numerische Bestimmung 
* 313. 

Subjective Farben an den Doppel- 
bildern farbiger Glasplatten 284. 

Sulfonsäuren, neue 341. 

Syenit von Blansko, mikroscop. un- 
tersucht 140. 

Symbolae myeologieae * 69. 

Sympodienbildung u. Zygomorphie 
der Blühten * 281. 


T. 


Tachylit, Basalt, Dolerit * 270. 
Talgdrüsen der Vögel * 500. 
Tanrec, weissköpfiger 57. 
Tantalit, Zusammensetzung 429. 
Temperatureurve, jährliche und ihre 
Bedingungen 67. 
Temperatureinfluss auf Speetral-Re- 
action 68. 
Temperatursteigerung der Salzlösun- 
gen durch Dämpfe * 208. 
Terpentinöl, Antidot bei Phosphor- 
vergiftung * 379. 
Thalliumdarstellung * 469. 
Thermen auf Milo * 55. 
Thermosäule, neue * 263 * 314. 
Thesaurus literat. botan. * 493. 
Thesaurus Ornithologiae * 364. * 504. 
Thierreste aus der Brettelkohle 431. 
Thüringen, östliches * 481. 
Thymallus vexillifer * 78. 
Thiefseethiere, ihre Nahrung? * 201. 
Topas, thermoelektrisch 143. 


Trachypoma marmoratum, neuer 
. Wels 97. 
Transversalschwingungen tönender 


Flüssigkeiten 416. 
Trematoden, Kanal * 89. 
Treves’scher Versuch 128. 
Trias der Alpen * 476. 
Tribonisphorus Schüttei, Anatomie 
330. 


>14 


Trichodectes, analyt. Uebersicht 173. 

Tridymit mikroskopischer 145. 

Tridymit, neues Vorkommen * 336. 

Trinkerit * 196. 

Turaein untersucht * 87. 

Tylodendron speeiosum n. Conifere 
im Rothliegenden * 338. 


U. 


Ullmannit 315 * 62. 

Ultramarin, seine Constitution 420, 

Umbelliferen, monströs 325. 

Umwandlungen des Phenols 130. 

Uredineen * 281. 

Utile cum dulei, acotyledonische Mu- 
senklänge 63. 


V. 


Vegetation des nwdeutsch, Tieflan- 
des 153. 

Venusdurchgang durch dieSonne207. 

Vögel, deutscheals Wintergäste*81. 

Vögel Deutschlands, Synopsis * 364. 

Vögel, foss. von Steinheim 9. 

Vögelverzeichniss von den Andama- 
nen 397. 

Vorticellen, Bau u. Naturgesch. * 356. 


Ww. 


Wärme 203. 

Wärme, eine Art der Bewegung 413. 

Wärme u, Pflanzenwachsthum * 280. 

Wärmeabnahme auf der Erde 283. 

Wärmecapaeität des Wassers in sei- 
nem Dichtigkeitsmax. * 262. 


Wärmestrahlung durch Oberflächen- 

rauheit verändert * 44. 
Wasserbäder, ihre Sicherheitsvor- 

riehtungen 213. 

Wassermolche Sibiriens 248. 
Wasserstoff-A ffinität zum Chlor* 470. 

— zum Sauerstoff 470. 

— zum Stickstoff 470. 
Wasserstoffhyperoxyd * 50. 
Wasserverhältnisse von Zürich 42]. 
Weissnickelkies * 484. 
Weisstanne, spanische 91. 
Werrathal, geolog. Untersuch. 171. 
Whuano der Chinchainseln * 32, 
Wickworthit, neues Mineral * 277. 
Winde, ihre Theorie ete. 408. 
Windrichtung beinflusst die Luft- 

feuchtigkeit * 211. 

Wintergäste der Vögel * 379. 
Wirbelthiere Pommerns * 367. 


2. 


Zähigkeit der Emaillenoberfläche aus 
Saponinlösung 418. 
Zea mais, monströs 100. 

Zeiterforderniss für 
drücke * 45. 
Zellkernbewegung * 344. 
Zillerthal, geognostisch beleuchtet 
138. 
Zoologie, ihre Bedeutung * 441. 
Zoologie von Schmarda * 366. 
Zuckerarien, Kenntniss 506. 
Zygomorphie der Blühten u. Sym- 
podien Bildung * 281. 


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Gebauer - Schwetschke’sche Buchdruckerei in Halle, 


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In Schalgahren gilt die Zahl mit [2 VE Hinz ha Deoemben 


1000,2000, 2400 (nach Gregar)Sthaltjahre, 


1700, 1800, 1900, 2100, 2200 , Gemeinyahre. 


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Von den. Säeularzahren sind { 


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Anweisung zum Zusammensetzen des Kalenders. 


Man ziehe beide Tafeln. auf dünne llgype auf’ steche in der Haupttafel de beiden: schraffirten Raume aus(mit den 
Buchstaben DEBAGFE und mit den Zahlen: 1.31) die Iitfstafel aber schneide manı aus nach der vorgextiehneten 
gebrochenen: Umfässungslinie STUVWIYZ. Alsdaun: steche manı ane Reszweche oder dergleichen durch die Mittel - 
punkte beider Tirfeln, so dafs sich. die Hlftapel hinter der Haupttafl findet: und um: den gemeinschaftlecdten. Mittel - 
Punkt drehbar ist: es muss dann bei jeder Stellung der Hilfstafel fülgendes silrtwar sein 1) durdı die schmale Spalte 
der Ieupttapl :die 7 Buchstaben A-6 in ingend. aaner Ordnung; &) durch die großer Ming die Zahlen‘ von 
I-ölf jede nur einmal, ),es danf aber bei keiner der möglichen‘ 7 Stellungen: (: Buchstabe A auf jeder der 7 Monatsgruppen und 
Datum L.auf jedem: der V Wöchentage:) die: Ihlstafel seit wärts über die Haupttakl herausragen. _ Der 
Aalender ist dann fertig und bedarf behafs SR 

destens eines Lachüberzugs, Um die Ihlfstuftl besser und sicherer drehen: zu können, versicht ma sie hinten 
im Mittelpunkt mi£ einem‘ Gryfe, der zugleich zur Bifesigung der Drehungsaze dienen kann ‚ausserdem: ist es 
rathsam auf die Hinterseite der Haupttapl oben und: unten je ein hreisbogerformag ausgesihnittenes Stich Lappe 
aufsuhleben er danuk sicht die HIlßtafil swischen denselben: möglichst scher drelien‘ kann, man kann 
dar pleich die oben‘ und. unten von der Kilfstafl abgeschnittenen‘ Shäche verwenden: 


Ton diesem: immermührenden: Kalender sind rohe und. fertige Eumplare 

zu beziehen durch den Buchbindermeister A. Henning, 
AS " AN 
EN, Halle’ ®S, Kannische Strafse N? 3. ZN 


sern: Schutzes nur nodı einer (asdecke ‚oder min- 


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